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Positionen der Beratungsstelle schwanger.li zur aktuellen Debatte ...

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<strong>Positionen</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratungsstelle</strong> <strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong><br />

<strong>zur</strong> <strong>aktuellen</strong> <strong>Debatte</strong> um die Regelung des<br />

Schwangerschaftsabbruchs in Liechtenstein<br />

Mag. Christoph Jochum (c.jochum@<strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong>),<br />

Geschäftsführer <strong>der</strong> <strong>Beratungsstelle</strong> <strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong>, Schaan,<br />

bezieht Position zu einigen häufig gestellten Fragen.<br />

Schaan, 8. Ju<strong>li</strong> 2011<br />

Grundsätz<strong>li</strong>ch konzentriert sich <strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong> auf die Beratungstätigkeit und überlässt<br />

die Po<strong>li</strong>tik an<strong>der</strong>en. Wir haben jedoch festgestellt, dass in <strong>der</strong> <strong>Debatte</strong> um das<br />

Liechtensteinische Abtreibungsrecht bisher einige wesent<strong>li</strong>che Sachfragen nicht<br />

diskutiert werden. Deswegen wollen wir unsere fach<strong>li</strong>che Einschätzung zu diesen<br />

Themen einbringen.<br />

Schwanger.<strong>li</strong> ist fünf Jahre alt. Wie hat sich Ihre Tätigkeit entwickelt?<br />

Wir haben von Anfang an Schwangerschaftskonf<strong>li</strong>ktberatung und sexualpädagogische<br />

Seminare an Schulen angeboten. Heute ist unsere Arbeit breiter. Wir unterstützen<br />

Frauen in vielfältigen Problemlagen rund um Schwangerschaft und Geburt, z.B. bei<br />

unerfülltem Kin<strong>der</strong>wunsch, bei Trauer nach einer Fehlgeburt o<strong>der</strong> wenn die<br />

<strong>schwanger</strong>e Frau psychisch belastet ist. Stark nachgefragt werden auch sozial-<br />

recht<strong>li</strong>che Informationen und Beratung von Frauen und Paaren, die sich in unseren<br />

Sozialsystemen nicht <strong>zur</strong>echt finden. Zugenommen haben die Beratungen zum Thema<br />

vorgeburt<strong>li</strong>che Untersuchungen, die wir im Krankenhaus Feldkirch und in einem<br />

zweiten Zentrum gemeinsam mit den dortigen ÄrztInnen durchführen. Wir haben<br />

heute 10 hauptamt<strong>li</strong>che Mitarbeiterinnen, Psychologinnen, Psychotherapeutinnen,<br />

Sozialarbeiterinnen, Hebammen, SexualpädagogInnen usw., die speziell ausgebildet<br />

wurden und bei Bedarf mit ÄrztInnen kooperieren. In den letzten 5 Jahren hatten wir<br />

über in Liechtenstein und Vorarlberg 500 K<strong>li</strong>entinnen, die in einem Schwangerschafts-<br />

konf<strong>li</strong>kt unsere Unterstützung gesucht haben, ca. 10% davon in Liechtenstein. Dies<br />

entspricht ziem<strong>li</strong>ch genau <strong>der</strong> Bevölkerungsproportion dieser beiden Län<strong>der</strong>.<br />

1


Jähr<strong>li</strong>ch lassen ca. 50 Frauen aus Liechtenstein einen Schwangerschafts-<br />

abbruch vornehmen. Warum?<br />

Eine jüngste Befragung <strong>der</strong> Ärzteschaft weist darauf hin, dass diese Zahlen gesunken<br />

sein dürften und heute bei ca. 40 Abbrüchen pro Jahr <strong>li</strong>egen. Die Gründe für einen<br />

Schwangerschaftsabbruch sind vielfältig. Häufig fehlt <strong>der</strong> Frau eine tragfähige<br />

Partnerschaft. Manchmal hat eine Frau Probleme, das Kind mit ihrer Lebensplanung zu<br />

vereinbaren. Oft spielen Zukunftsängste und Überlastungen eine Rolle. Manchmal sind<br />

es auch die materiellen Umstände, gelegent<strong>li</strong>ch auch die diagnostizierte Behin<strong>der</strong>ung<br />

des Kindes. Beson<strong>der</strong>s traurig sind jene Schwangerschaftsabbrüche, bei denen sich die<br />

Frau selbst zwar das Kind vorstellen kann, ihr Umfeld jedoch Druck auf sie ausübt.<br />

Manche Frauen fürchten sich davor, aus ihrer Fami<strong>li</strong>e ausgeschlossen zu werden, wenn<br />

sie dieses „unehrenhafte Kind“ bekommen. Sie sehen sich im Dilemma zwischen dem<br />

Abbruch und ihrem sozialen Ausschluss.<br />

Wie berät <strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong>?<br />

Eine Frau im Schwangerschaftskonf<strong>li</strong>kt steht enorm unter Druck. Sie spürt, dass sie<br />

mit je<strong>der</strong> Entscheidung, die sie trifft, einen schweren Weg vor sich hat. Oft kommt<br />

noch Druck von aussen dazu, z.B. durch den Kindesvater o<strong>der</strong> die Eltern.<br />

Professionelle Beratung wird daher zuerst einen geschützten Rahmen für die Frau<br />

schaffen, in dem sie zu sich kommen und sich emotional stabi<strong>li</strong>sieren kann. Die<br />

Beraterin ist dabei oft die erste Person, die <strong>der</strong> Frau mit Verständnis und Wert-<br />

schätzung begegnet. Sie wird die Frau stärken und ihr helfen, die Hintergründe ihres<br />

eigenen Konf<strong>li</strong>ktes besser zu verstehen und mög<strong>li</strong>chen Optionen zu durchdenken.<br />

Manchmal können dabei neue Perspektiven eröffnet werden, z.B. durch<br />

Unterstützungs- und Entlastungsangebote. Unsere Stiftung hat dabei die Mög<strong>li</strong>chkeit,<br />

die Frau auf vielfältige Weise zu unterstützen, auch materiell. Es kann auch hilfreich<br />

sein, den Partner einzubinden, wenn dieser dazu bereit ist.<br />

Wie sehen Sie die Initiative “Hilfe statt Strafe?<br />

Die Initiative kann jedenfalls für sich in Anspruch nehmen, diese notwendige <strong>Debatte</strong><br />

in Gang gebracht zu haben. Auch wir halten die bestehende gesetz<strong>li</strong>che Regelung nicht<br />

für die beste aller denkbaren Lösungen. Allerdings beinhaltet die Initiative einige<br />

Probleme, auf die wir hinweisen möchten.<br />

Was halten Sie von <strong>der</strong> vorgeschlagenen Pf<strong>li</strong>chtberatung vor einem Abbruch?<br />

Die Beratungspf<strong>li</strong>cht kann in Liechtenstein, im Unterschied zu Deutschland, nicht funk-<br />

tionieren. Die Liechtensteinerinnen werden auch zukünftig, schon aus Anonymitäts-<br />

gründen, zum Abbruch in die Schweiz o<strong>der</strong> nach Österreich fahren. Dort gibt es keine<br />

Beratungspf<strong>li</strong>cht. Für die dortigen ÄrztInnen wäre die Liechtensteinische Beratungs-<br />

pf<strong>li</strong>cht bedeutungslos. Selbst wenn es in Liechtenstein eine Abtreibungsmög<strong>li</strong>chkeit<br />

gäbe, würden die Frauen dorthin fahren, wo die Hürde zum Abbruch niedriger ist, also<br />

ins Ausland, ohne Beratungspf<strong>li</strong>cht. Das ist auch <strong>der</strong> Grund, warum kaum<br />

Österreicherinnen in die grenznahen Abtreibungsk<strong>li</strong>niken nach Deutschland fahren.<br />

2


Eine an<strong>der</strong>e Schwierigkeit <strong>der</strong> Beratungspf<strong>li</strong>cht ist, dass Beratung Freiwil<strong>li</strong>gkeit voraus-<br />

setzt. Deutsche Beraterinnen berichten, wie frustrierend es für sie ist, wenn sie Frauen<br />

beraten sollen, die gar keine Beratung wollen, son<strong>der</strong>n nur den Beratungsschein.<br />

Natür<strong>li</strong>ch besteht auch bei einer Pf<strong>li</strong>chtberatung die Chance, dass ein sinnvolles<br />

Gespräch entsteht. Die Beratungspf<strong>li</strong>cht hätte auch den grossen Vorteil, sehr viel mehr<br />

Frauen als bisher mit Beratungs- und Unterstützungsangeboten zu erreichen. Das<br />

praktische Problem in Liechtenstein ist jedoch, dass die Frauen zum Abbruch in das<br />

nahe Ausland ausweichen werden, wo sie keinen Schein brauchen. Daher wird die<br />

Beratungspf<strong>li</strong>cht hier nicht umsetzbar sein.<br />

Ein effektiver Ansatz, Frauen im Schwangerschaftskonf<strong>li</strong>kt mit Beratung zu erreichen,<br />

ist die aktive Empfehlung von Beratung durch jene ÄrztInnen, die die Schwanger-<br />

schaft feststellen. Wenn ÄrztInnen erkennen, dass die Frau durch eine qua<strong>li</strong>fizierte<br />

psychologische Beratung ihre Entscheidung, welche auch immer, langfristig besser<br />

integrieren und verkraften kann, dann werden sie <strong>der</strong> Frau die Beratung dringend<br />

empfehlen. Und viele Frauen werden dieser Empfehlung folgen. Natür<strong>li</strong>ch muss man<br />

auch für mehrere qua<strong>li</strong>fizierte Beratungsangebote sorgen, damit die Frauen<br />

Auswahlmög<strong>li</strong>chkeiten haben.<br />

Wie stehen Sie <strong>zur</strong> Fristenregelung?<br />

Da muss man die gesellschaftspo<strong>li</strong>tische Ebene von <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Schwangerschafts-<br />

konf<strong>li</strong>ktberatung unterscheiden. Wir beraten in zwei Län<strong>der</strong>n, eines ohne und eines mit<br />

Fristenregelung. Wir stellen in <strong>der</strong> Praxis keinen wesent<strong>li</strong>chen Unterschied fest. Das<br />

Tabu <strong>der</strong> Abtreibung und die Schwelle, Beratung in Anspruch zu nehmen, sind unserer<br />

Erfahrung nach in Liechtenstein und in Vorarlberg vergleichbar hoch. Wir werden<br />

anteilsmässig in Liechtenstein gleich häufig in Anspruch genommen, wie in Vorarlberg.<br />

Die Frauen im Schwangerschaftskonf<strong>li</strong>kt treffen ihre Entscheidung unabhängig von <strong>der</strong><br />

Rechtslage. Da sind an<strong>der</strong>e Themen vorrangig.<br />

Die recht<strong>li</strong>che Regelung des Schwangerschaftsabbruchs hat hohe gesellschafts-<br />

po<strong>li</strong>tische Bedeutung. Diese Diskussion wollen wir jedoch <strong>der</strong> Po<strong>li</strong>tik überlassen.<br />

Unsere Aufgabe ist es, für Frauen und Paare in schwierigen Schwangerschaften da zu<br />

sein, unabhängig von <strong>der</strong> Rechtslage.<br />

Was halten Sie vom Vorschlag, dass <strong>der</strong> Schwangerschaftsabbruch straffrei<br />

sein soll, wenn eine schwere Behin<strong>der</strong>ung des Kindes diagnostiziert wird?<br />

Diese sogenannte "eugenische Indikation" wurde von Deutschland 1995 abgeschafft,<br />

vor allem wegen <strong>der</strong> belasteten Vergangenheit des Landes. In Österreich, woher<br />

dieser Vorschlag stammt, wären breite Kreise ebenfalls bereit, die eugenische<br />

Indikation wie<strong>der</strong> abzuschaffen, weil sie behin<strong>der</strong>te Menschen diskriminiert. Das<br />

Thema wird nur deswegen nicht angetastet, weil die Angst besteht, dass damit auch<br />

die Fristenregelung selbst wie<strong>der</strong> in Frage gestellt wird.<br />

3


In Deutschland finden jähr<strong>li</strong>ch ca. 2.200, in <strong>der</strong> Schweiz ca. 550 Spätabbrüche nach<br />

<strong>der</strong> 12. Schwangerschaftswoche straffrei statt. Beide Län<strong>der</strong> brauchen dafür keine<br />

eugenische Indikation, weil die Spätabbrüche auch mit <strong>der</strong> medizinischen Indikation<br />

<strong>der</strong> Frau recht<strong>li</strong>ch abgedeckt werden können, wenn eine Gefährdung <strong>der</strong> körper<strong>li</strong>chen<br />

o<strong>der</strong> psychischen Gesundheit <strong>der</strong> Frau vor<strong>li</strong>egt (mütter<strong>li</strong>che Indikation). Wenn <strong>der</strong><br />

Gesetzgeber also Spätabbrüche recht<strong>li</strong>ch ermög<strong>li</strong>chen möchte, braucht er dafür die<br />

eugenische Indikation nicht. Er muss nicht das Signal setzen, dass er behin<strong>der</strong>tes<br />

Leben für weniger schützenswert hält, als nicht behin<strong>der</strong>tes Leben.<br />

Zukünftig wird die eugenische Indikation ohnedies an Bedeutung ver<strong>li</strong>eren. Die<br />

Pränataldiagnostik entwickelt sich sehr schnell, immer mehr Fehlbildungen können<br />

immer früher festgestellt werden. So werden heute viele genetische Abweichungen<br />

bereits in <strong>der</strong> 11. Woche diagnostiziert. Schweizer Forscher arbeiten daran, genetische<br />

Abweichungen beim Kind noch früher über das mütter<strong>li</strong>che Blut feststellen zu können.<br />

Wie stehen Sie generell <strong>zur</strong> Pränataldiagnostik? Werden da nicht<br />

systematisch behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> selektiert?<br />

Die Pränataldiagnostik hat grundlegend verän<strong>der</strong>t, was es heute bedeutet, <strong>schwanger</strong><br />

zu sein. Zum einen können heute schon früh Probleme erkannt und gelöst werden, die<br />

noch vor 15 Jahren zu einer schweren Schädigung o<strong>der</strong> zum Tod des Kindes o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Mutter geführt hätten. Da ist die Pränataldiagnostik sehr hilfreich. Allerdings gibt es<br />

auch eine Schattenseite. Viele Probleme, die gefunden werden können, sind nicht<br />

heilbar. Eltern haben in solchen Fällen nur die Alternative, das Kind so anzunehmen,<br />

wie es ist o<strong>der</strong> einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Der<br />

Entscheidungsdruck ist enorm. Neben dem Zweifel, dass die Gesellschaft gut für ihr<br />

behin<strong>der</strong>tes Kind sorgen wird, wenn sie selbst nicht mehr dazu in <strong>der</strong> Lage sind,<br />

stehen Eltern heute sogar unter Rechtfertigungszwang vor <strong>der</strong> Gesellschaft, wenn sie<br />

sich für ihr krankes o<strong>der</strong> behin<strong>der</strong>tes Kind entscheiden.<br />

Wir können das Rad <strong>der</strong> Zeit nicht <strong>zur</strong>ückdrehen. Es geht heute um eine Kultivierung<br />

des Umgangs mit <strong>der</strong> Pränataldiagnostik. Wenn <strong>der</strong> Verdacht auf eine Fehlbildung<br />

geäussert wird, sind viele Paare im Moment von den Entscheidungen, die verlangt<br />

werden, überfor<strong>der</strong>t. Wir halten es für sehr wichtig, dass alle Schwangeren zu Beginn<br />

<strong>der</strong> Schwangerschaft über die mög<strong>li</strong>chen Untersuchungen und über ihre<br />

Entscheidungsmög<strong>li</strong>chkeiten informiert werden. Sie müssen Zeit haben, um sich ohne<br />

den Druck einer belastenden Diagnose eine Meinung über die Pränataldiagnostik zu<br />

bilden. Sie sollten z.B. wissen, dass manche Untersuchungen nicht zu sicheren<br />

Diagnosen führen, son<strong>der</strong>n nur zu einer Wahrschein<strong>li</strong>chkeitsaussage. Sie sollten auch<br />

ihr Recht auf Nicht-Wissen kennen. Und sie sollten psychologisch unterstützt werden,<br />

wenn wirk<strong>li</strong>ch eine Auffäl<strong>li</strong>gkeit gefunden wird. Wir haben gerade gemeinsam mit den<br />

Liechtensteinischen GynäkologInnen ein Projekt abgeschlossen, das den Schwangeren<br />

so<strong>li</strong>de Informationen und kostenlose psychosoziale Beratung <strong>zur</strong> Verfügung stellen<br />

wird. Es wird im kommenden Jahr umgesetzt werden.<br />

4


Wie glaubhaft ist es, dass <strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong> als Einrichtung des Fürstenhauses<br />

wirk<strong>li</strong>ch neutral, ergebnisoffen berät?<br />

Wir haben uns von Anfang an klar und eindeutig für den Weg entschieden, Frauen und<br />

Paare im Schwangerschaftskonf<strong>li</strong>kt professionell zu beraten und zu unterstützen.<br />

Professionelle psychosoziale Beratung kann nur ergebnisoffen sein. Dieser Standard ist<br />

uns wichtig. Die Tatsache, dass wir über die Hälfte unserer K<strong>li</strong>entinnen durch<br />

ÄrztInnen und Sozialeinrichtungen zugewiesen bekommen, belegt, dass wir<br />

ergebnisoffen beraten. Die ÄrztInnen erhalten Feedback darüber, wie die Frauen die<br />

Beratung bei <strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong> erlebt haben. Die Zuweisungen würden sofort abbrechen,<br />

wenn wir Frauen in eine Richtung drängen würden. Das Gegenteil ist <strong>der</strong> Fall. Immer<br />

mehr ÄrztInnen vertrauen uns ihre Patientinnen an.<br />

Heisst das, dass <strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong> wertneutral berät?<br />

Jede Beraterin <strong>der</strong> Welt hat ihre persön<strong>li</strong>chen Werte, niemand ist wertneutral.<br />

Professionelle Beratung bedeutet, sich <strong>der</strong> eigenen Werte bewusst zu sein und diese<br />

<strong>der</strong> K<strong>li</strong>entin nicht aufzudrängen. Die Frau kann nur innerhalb ihres eigenen Werte-<br />

systems eine Entscheidung finden, mit <strong>der</strong> sie auf Dauer leben kann. Wenn die K<strong>li</strong>entin<br />

dafür offen ist o<strong>der</strong> danach fragt, kann man darüber sprechen, welche Wertvor-<br />

stellungen für sie in dieser Entscheidung eine Rolle spielen, aber nur mit grosser<br />

Zurückhaltung.<br />

Unsere Werthaltung drückt sich auf folgende Weise aus: wenn die Frau signa<strong>li</strong>siert,<br />

dass sie sich das Kind unter besseren Umständen vorstellen könnte, dann bieten wir<br />

Unterstützung <strong>zur</strong> Verbesserung dieser Umstände an. Wir können einen fehlenden<br />

Partner nicht ersetzen. Aber wir können viele Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Frau wesent<strong>li</strong>ch<br />

verbessern, wenn sie das will. Das Fürstenhaus hat in den letzten fünf Jahren<br />

beträcht<strong>li</strong>che Summen in <strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong> und damit in die Unterstützung <strong>schwanger</strong>er<br />

Frauen investiert. Wir finanzieren die Beratung und die persön<strong>li</strong>che Begleitung von<br />

Frauen und Paaren, aber auch Wohnungen, Kin<strong>der</strong>betreuung, Berufsausbildung,<br />

Arztkosten, Psychotherapie usw., auch längerfristig.<br />

Was kann die Gesellschaft dazu beitragen, dass es weniger<br />

Schwangerschaftsabbrüche gibt?<br />

Da gibt es viele Mög<strong>li</strong>chkeiten. Zum einen kann man im Sinn <strong>der</strong> Prävention für eine<br />

gute Sexualpädagogik in den Schulen sorgen, die nicht allein in Aufklärung und<br />

Verhütungswissen besteht, son<strong>der</strong>n vor allem in <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong><br />

eigenen geschlecht<strong>li</strong>chen Identität und damit, wie man Beziehung, Liebe und<br />

Sexua<strong>li</strong>tät leben möchte.<br />

Dann wäre eine För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>- und Fami<strong>li</strong>enfreund<strong>li</strong>chkeit <strong>der</strong> Gesellschaft<br />

wünschenswert. Liechtenstein ist nicht sehr Kin<strong>der</strong>- und fami<strong>li</strong>enfreund<strong>li</strong>ch, was z.B.<br />

die Vereinbarkeit von Beruf und Fami<strong>li</strong>e betrifft. Das Land müsste alleinerziehende<br />

Mütter nicht vor die Alternative stellen, entwe<strong>der</strong> drei Monate nach <strong>der</strong> Geburt wie<strong>der</strong><br />

arbeiten zu gehen und den Säug<strong>li</strong>ng fremdbetreuen zu lassen o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Sozialhilfe<br />

5


leben zu müssen. Das bietet einer Frau im Schwangerschaftskonf<strong>li</strong>kt keine<br />

Perspektive. Wir brauchen bessere Rahmenbedingungen für Fami<strong>li</strong>en, beson<strong>der</strong>s für<br />

Alleinerziehende, damit die Option „Kind“ als gut lebbar empfunden wird.<br />

Wie schätzen Sie den Beitrag <strong>der</strong> katho<strong>li</strong>schen Kirche in <strong>der</strong> Abtreibungsfrage<br />

ein?<br />

Grundsätz<strong>li</strong>ch können die Re<strong>li</strong>gionsgemeinschaften in vielen gesellschaftspo<strong>li</strong>tischen<br />

Fragen einen wichtigen Beitrag leisten, indem sie den spirituellen Aspekt einbringen,<br />

bedrängten Menschen konkret helfen und die ethische Frage wach halten.<br />

Auch die katho<strong>li</strong>sche Kirche leistet konkrete Hilfe, z.B. in <strong>der</strong> Unterstützung sozial<br />

schwacher Menschen o<strong>der</strong> im seelsorg<strong>li</strong>chen Bereich. Erfahrene Pflegekräfte in Alters-<br />

heimen berichten z.B., dass Frauen manchmal nicht in Frieden sterben können, weil<br />

eine lang <strong>zur</strong>ück<strong>li</strong>egende Abtreibung ihr Gewissen belastet. Aus <strong>der</strong> Hospizbewegung<br />

wissen wir, dass neben psychologischer Begleitung ein seelsorg<strong>li</strong>ches Gespräch für<br />

katho<strong>li</strong>sch geprägte Frauen unter Umständen erlösend sein kann.<br />

Aussagen, wie jene des Generalvikars vom „Arzt als Auftragsmör<strong>der</strong>“, sind allerdings<br />

in <strong>der</strong> gesellschaftspo<strong>li</strong>tischen <strong>Debatte</strong> nicht hilfreich. Ein echter Dialog, in dem man<br />

sich öffnen und einan<strong>der</strong> zuhören soll, wird dadurch verunmög<strong>li</strong>cht.<br />

Steht <strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong> in Kontakt mit dem Erzbistum?<br />

Bei unserer Gründung vor fünf Jahren baten wir den Herrn Erzbischof, so wie an<strong>der</strong>e<br />

Meinungsbildner, um ein Gespräch, um ihm unser Konzept vorzustellen. Er hat ein<br />

solches Gespräch nicht gewünscht und uns über die Zeitung mitgeteilt, dass er uns<br />

ablehnt, weil wir ergebnisoffen beraten. Seither haben wir keinen Kontakt mehr.<br />

Was sind die nächsten Pläne von <strong>schwanger</strong>.<strong>li</strong>?<br />

Wir veranstalten Anfang September in Bregenz die Bodenseedialoge, eine grosse<br />

Fachtagung für ÄrztInnen, Hebammen und PsychologInnen zum Thema „Vom Umgang<br />

mit Tragödien in <strong>der</strong> Schwangerschaft“. Im Herbst werden wir das Projekt <strong>zur</strong><br />

Pränataldiagnostik-Beratung in Liechtenstein fertig stellen. Dann wollen wir uns<br />

verstärkt dem Leid <strong>der</strong> ungewollten Kin<strong>der</strong>losigkeit zuwenden. Bereits jedes fünfte<br />

Paar ist davon betroffen. In Kürze eröffnet bereits das zweite Kin<strong>der</strong>wunschzentrum in<br />

Liechtenstein, wo ÄrztInnen ungewollt kin<strong>der</strong>losen Paaren mit Hilfe <strong>der</strong> künst<strong>li</strong>chen<br />

Befruchtung zu Kin<strong>der</strong>n verhelfen wollen. Allerdings zweifeln wir daran, dass die<br />

Reproduktionsmedizin immer die beste Antwort für diese Paare hat. Wir werden uns<br />

diesem Thema aus psychologischer Sicht widmen. Hier steht bereits die nächste<br />

bioethische <strong>Debatte</strong> vor <strong>der</strong> Tür, weil erheb<strong>li</strong>che ethische Probleme mit <strong>der</strong><br />

Reproduktionsmedizin verbunden sind.<br />

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