Neue Welten erschaffen: Die Bedeutung der Fantasie - Lego
Neue Welten erschaffen: Die Bedeutung der Fantasie - Lego
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<strong>Neue</strong> <strong>Welten</strong> <strong>erschaffen</strong>:<br />
<strong>Die</strong> <strong>Bedeutung</strong> <strong>der</strong> <strong>Fantasie</strong><br />
Aus einer Artikelserie <strong>der</strong> Autorin und Erzieherin Elizabeth Slade.<br />
„<strong>Fantasie</strong> ist wichtiger als Wissen, denn Wissen ist begrenzt. <strong>Fantasie</strong> aber<br />
umfasst die ganze Welt und alles, was wir je wissen und verstehen können.”<br />
– Albert Einstein<br />
„Guck mal, Mama, was ich gebaut habe! Ein gepanzertes Fahrzeug. Ich<br />
habe zwei gebaut, eins für mich und eins für Jasper. Guck mal, hinten ist ein<br />
Feuerwehrschlauch drin und ein Fach, wo man Gold rein tun kann.“ Isaac<br />
zeigt mir seine LEGO Konstruktion und beschreibt sie ausführlich. „Hinten<br />
haben sie einen U-Boot-Turm, damit sie schwimmen können, wenn sie ins<br />
Wasser fahren. Siehst du die Reifen? Das sind extra dicke Gelän<strong>der</strong>eifen,<br />
keine Rennreifen. Und hier im vor<strong>der</strong>en Teil hat <strong>der</strong> Fahrer genug Platz, um<br />
seine Arme zu bewegen.“<br />
„Und warum ist das wichtig?“<br />
„Damit er an die Steuerung rankommt“, beantwortet er nachsichtig<br />
meine etwas begriffsstutzige Frage.<br />
„Und wofür ist die Steuerung?“<br />
„Für den Feuerwehrschlauch und den Propeller hintendran, weil sie<br />
manchmal durchs Wasser fahren.“ Und weg ist er, wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong> LEGO Welt,<br />
zusammen mit seinem Bru<strong>der</strong>.<br />
Seit über einer Stunde spielen die beiden nun schon mit ihren LEGO<br />
Kreationen. <strong>Die</strong> LEGO Welt än<strong>der</strong>t sich jede Woche, aber die gepanzerten<br />
Fahrzeuge sind ein Dauerbrenner. Sie waren schon im alten Ägypten, auf<br />
dem Mond und im Urwald. Wirklich sehr vielseitige Fahrzeuge.<br />
Hier ist die Macht <strong>der</strong> <strong>Fantasie</strong> am Werk.<br />
Wir beobachten Kin<strong>der</strong> ständig dabei, wie sie ihre <strong>Fantasie</strong> einsetzen,<br />
vermutlich ohne uns viele Gedanken darüber zu machen, was sich eigentlich<br />
dahinter verbirgt. Im Wörterbuch <strong>der</strong> Psychologie wird <strong>Fantasie</strong> als „die<br />
Neuanordnung von Daten aus vergangenen Erfahrungen mit neuen<br />
Verbindungen zu aktuellen imaginären Erfahrungen” beschrieben. Es ist also<br />
mit an<strong>der</strong>en Worten die Fähigkeit, durch eine Mischung aus Altem und<br />
<strong>Neue</strong>m Bil<strong>der</strong> vor dem inneren Auge entstehen zu lassen.<br />
Offenbar gibt es zwei Grundtypen <strong>der</strong> <strong>Fantasie</strong>: nachahmende und<br />
kreative <strong>Fantasie</strong>. Nachahmende <strong>Fantasie</strong> ist ganz einfach die Rekonstruktion<br />
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<strong>der</strong> Vergangenheit. Wir malen uns in unserer Erinnerung etwas aus, das wir<br />
erlebt haben, und <strong>erschaffen</strong> es neu. <strong>Die</strong>se Art <strong>der</strong> <strong>Fantasie</strong> tritt<br />
beispielsweise dann in Kraft, wenn Kin<strong>der</strong> Vater-Mutter-Kind o<strong>der</strong> Schule<br />
spielen. Sie erinnern sich an bestimmte Situationen, spielen sie nach und<br />
nehmen dabei freizügige Än<strong>der</strong>ungen vor (z. B. dass statt dem Schüler <strong>der</strong><br />
Lehrer ausgeschimpft wird).<br />
Bei <strong>der</strong> kreativen <strong>Fantasie</strong> werden in <strong>der</strong> Vergangenheit erlebte<br />
Sinneserfahrungen neu geordnet. Kreative <strong>Fantasie</strong> bedeutet, dass mithilfe<br />
<strong>der</strong> eigenen Vorstellungskraft vergangene Bil<strong>der</strong> o<strong>der</strong> Erfahrungen zu neuen<br />
Empfindungen o<strong>der</strong> Situationen verarbeitet werden, die nie zuvor erlebt<br />
wurden. Schließen einmal die Augen und stellen Sie sich die Arktis vor. <strong>Die</strong><br />
meisten von uns waren noch nie in <strong>der</strong> Arktis, aber dennoch können wir dank<br />
unserer kreativen <strong>Fantasie</strong> ein Bild vor unserem geistigen Auge entstehen<br />
lassen. Wir nutzen dazu Bil<strong>der</strong>, die wir gesehen haben, und erlebte<br />
Sinneseindrücke, wie z. B. Kälte, Eis, Schnee und heftige Winde. <strong>Die</strong>se Art<br />
<strong>der</strong> <strong>Fantasie</strong> ist dann beteiligt, wenn meine beiden Söhne mit LEGO spielen.<br />
Daher können die gepanzerten Fahrzeuge auch zum Mond fliegen – selbst<br />
wenn Isaac und Jasper meines Wissens noch nie dort gewesen sind.<br />
Was ist nun das Beson<strong>der</strong>e an fantasievollem Spiel?<br />
In seinem Buch Kin<strong>der</strong>welt schreibt John B. Thomson: „Wenn die<br />
<strong>Fantasie</strong> von Anfang an geför<strong>der</strong>t wird, kann sie das ganze Leben lang einen<br />
Rettungsanker darstellen. <strong>Fantasie</strong>volles Spiel liefert die Grundlage dafür,<br />
dass das Kind heranwachsen und sich schließlich alleine in <strong>der</strong> Welt<br />
zurechtfinden kann.“ Dahinter steht <strong>der</strong> Gedanke, dass Kin<strong>der</strong> die<br />
Fähigkeiten erwerben, die sie benötigen, um das Erwachsenenleben mit<br />
Erfolg und Flexibilität zu meistern, wenn sie ausreichend Zeit erhalten,<br />
kreativ zu spielen und in ihrer <strong>Fantasie</strong>welt zu leben. Thomson sagt<br />
weiterhin: „Auch einfache Dinge zum Spielen reichen aus, um die <strong>Fantasie</strong><br />
des Kindes in vollem Umfang anzuregen. Es braucht kein ‚perfektes‘<br />
Spielzeug, im Gegenteil: <strong>Die</strong> Kreativität kann dadurch sogar behin<strong>der</strong>t<br />
werden, weil kein Raum für die <strong>Fantasie</strong> mehr bleibt.“<br />
<strong>Die</strong>ser Theorie zufolge, för<strong>der</strong>n wir also die Fähigkeiten, die unsere<br />
Kin<strong>der</strong> als zukünftige Wissenschaftler, Schriftsteller, Designer und<br />
Städteplaner benötigen, wenn wir ihnen Spielzeug zur Verfügung stellen, das<br />
unbegrenzte Spielmöglichkeiten birgt und die Entwicklung ihrer <strong>Fantasie</strong><br />
anregt. <strong>Die</strong> Fertigkeiten, die sie beim Spiel mit LEGO herausbilden, können<br />
im späteren Arbeitsleben einmal viel wert sein. Wie Maria Montessori bereits<br />
sagte: „Wir brauchen in <strong>der</strong> Wissenschaft vor allem <strong>Fantasie</strong>. Es geht nicht<br />
nur um Mathematik o<strong>der</strong> Logik, son<strong>der</strong>n auch um Schönheit und Poesie.“<br />
Und nicht nur das: Es macht auch einfach Spaß!<br />
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Quellen:<br />
Robertson, Ian. Opening the Mind’s Eye: How Images and Language Teach<br />
us How to See. New York: St. Martin’s Press, 2002.<br />
Roeckelein, Jon E. Imagery in Psychology, A Reference Guide. Connecticut:<br />
Praeger, 2004.<br />
Thomson, John. Kin<strong>der</strong>welt. New York: Simon & Schuster, 1994.<br />
Elizabeth Slade ist als Autorin und Erzieherin tätig und hat das<br />
Arbeitsbuch „How to Raise a Peaceful Child in a Violent World“<br />
mitverfasst. Des Weiteren war sie Co-Autorin <strong>der</strong> Kolumne „Ask Bess<br />
& Bubby“, die in <strong>der</strong> Zeitschrift „Spirit of Change“ erschien und<br />
Erziehungsratschläge für Eltern gab. Sie hat selbst drei kleine Kin<strong>der</strong><br />
und ist als Erziehungsberaterin an diversen Schulen in New England<br />
tätig. Sie hat zwei Romane veröffentlicht und arbeitet im Moment an<br />
einem Sachbuch zum Thema Kin<strong>der</strong>erziehung.<br />
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