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62 Serbien PARTISANEN DES POP Serbien PARTISANEN DES POP 63<br />
Serbien ohne Stolz<br />
Die serbische Schwulenkomödie „Parada“ gewann den Publikumspreis<br />
der Berlinale 2012 und sorgte auch auf <strong>dem</strong> Balkan für lange Schlangen<br />
an den Kinokassen. Belgrads echte Gay Pride jedoch ist alles andere als<br />
eine Erfolgsgeschichte.<br />
Text: Krsto Lazarević Fotos: Nemanja Jovanović / Kamerades, Constanze Flamme<br />
Das verwüstete Stadtzentrum von Belgrad: Bei der Gay Pride 2010 kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen homophoben Demonstranten und der Polizei.<br />
Foto: Nemanja Jovanović<br />
Kampferprobte Kriegsveteranen <strong>aus</strong> allen Teilen des ehemaligen Jugoslawiens finden sich<br />
zusammen, um lesbische und schwule Demonstranten in Belgrad vor Hooligans und Neonazis<br />
zu schützen. Letzten Endes wird deutlich, dass der erste Eindruck nicht immer der ist,<br />
der zählt. So sieht die Belgrader Gay Pride im serbischen Film „Parada“ <strong>aus</strong>, in <strong>dem</strong> sich am<br />
Ende alle prächtig verstehen, unabhängig davon, ob sie nun Hochzeitsplaner, Kriegsveteranen,<br />
lesbisch, schwul oder hetero sind.<br />
Regisseur Srđan Dragojević wirbt in seinem Film „Parada“ für die Verständigung zwischen<br />
Lesben, Schwulen, Transsexuellen und der homophoben Mehrheitsgesellschaft in den<br />
Nachfolgestaaten Jugoslawiens. Dafür wurde der Regisseur auf der Berlinale 2012 unter anderem<br />
mit <strong>dem</strong> Publikumspreis geehrt. In Kroatien und Serbien gilt der Film als einer der erfolgreichsten<br />
aller Zeiten.<br />
Die Realität sieht jedoch anders <strong>aus</strong>: Die echte „Parada“, die Gay Pride in Belgrad, ist eine<br />
Geschichte von Misserfolgen, Nationalismus, Gewalt und bröckeln<strong>dem</strong> Engagement <strong>aus</strong> der<br />
Community selbst. 2012 wurde die Parade zum wiederholten Mal verboten. Aus „Sicher -<br />
heitsgründen“.<br />
Der Heiland ist umringt von Gay-Aktivisten<br />
Dabei hatte sie in <strong>dem</strong> Jahr eigentlich ganz friedlich begonnen: Jesus lacht und hat großartige<br />
Laune. Er fährt mit <strong>dem</strong> Fahrrad in der ersten Reihe, hinter ihm Regenbogenflaggen<br />
und gleichgeschlechtliche Pärchen, die sich küssen. Der Heiland umringt von Aktivisten,<br />
ganz vorne dabei auf einer Gay Pride.<br />
Das Jesus-Bild war Teil der Ausstellung „Ecce Homo“ der lesbischen Künstlerin<br />
Elisabeth Ohlson Wallin <strong>aus</strong> Schweden, die noch vor der Parade in Belgrad gezeigt wurde.<br />
Die Veranstalter hatten <strong>dem</strong> eigentlichen Marsch die einwöchige Pride Week vorangestellt.<br />
Partys, Filmabende und Coming-out-Sessions, die in Belgrad sonst eher hinter geschlossenen<br />
Türen stattfinden, wurden öffentlich beworben. Ohlson Wallin zeigte in ihrer Ausstellung<br />
Jesus nicht nur als Teilnehmer einer Gay Pride, sondern auch beim letzten Abendmahl<br />
umgeben von Transsexuellen und Aidskranken. Die Künstlerin wollte damit daran erinnern,<br />
dass Jesus sich insbesondere um die Ausgeschlossenen in der Gesellschaft gekümmert hat.<br />
Bereits während der Ausstellung, die mit etwa 100 Teilnehmern eher dürftig besucht war,<br />
waren 2.000 Polizisten im Einsatz, um die Vernissage vor angereisten Fußballhooligans und<br />
Neonazis zu schützen. Als die Gay Pride nur wenige Tage vorab verboten wurde, gab Ministerpräsident<br />
und Innenminister Ivica Dačić den Aktivistinnen und Aktivisten eine Mitschuld:<br />
„Gen<strong>aus</strong>o wie die Anhänger der Gay-Community ein Recht darauf haben, ihre Identität <strong>aus</strong>zuleben,<br />
haben die religiösen Menschen in diesem Land das Recht, nicht von einer solchen Ausstellung<br />
beleidigt zu werden. An <strong>dem</strong> Verbot des Marsches sind auch die Organisatoren schuld.“<br />
Dabei war man schon einmal weiter. Am 10. Oktober 2010 wurden 5.600 Polizisten <strong>aus</strong><br />
<strong>dem</strong> gesamten Land eingesetzt, um die knapp t<strong>aus</strong>end Teilnehmer der „Parada“ vor 6.000<br />
Gegen<strong>dem</strong>onstranten zu schützen. Diese waren <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> gesamten westlichen Balkan angereist,<br />
um die „schwule Seuche“ zu bekämpfen.<br />
Die Innenstadt wurde an diesem Tag verwüstet, Autos brannten <strong>aus</strong>, es kam zu über 150<br />
Verletzten, hauptsächlich Polizisten. Rechtsextreme Organisationen finanzierten Busse, die<br />
den prügelnden Pöbel k<strong>ost</strong>enlos vom Land in die Belgrader Innenstadt und wieder zurück<br />
fuhren. Orthodoxe Priester standen zwischen den Neonazis und motivierten diese, auf Polizisten<br />
und Demonstranten einzuprügeln.