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Vorlesung - Prof. Dr. Dr.hc Helmut Rüßmann

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Leistungskontrolle zum Bürgerlichen Vermögensrecht (<strong>Vorlesung</strong>)<br />

WS 2003/2004<br />

Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Zivilprozessrecht und Rechtsphilosophie<br />

Sachverhalt 1<br />

<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Helmut</strong> <strong>Rüßmann</strong><br />

V ist Eigentümer zweier Grundstücke in der Friedrichstraße. Das Grundstück A hat die<br />

Hausnummer 104 und das Grundstück B die Hausnummer 108. V will das Grundstück B mit<br />

der Hausnummer 108 veräußern. Er findet einen Interessenten K, mit dem er nach der<br />

Besichtigung des Grundstücks B handelseinig wird. Ein notariell beurkundeter Kaufvertrag<br />

wird geschlossen, die Auflassung wird erklärt und der Erwerber wird in das Grundbuch als<br />

neuer Eigentümer eingetragen. Kaufvertrag und Auflassung nennen das Grundstück A mit der<br />

Hausnummer 104, obwohl die Vertragsparteien übereinstimmend das Grundstück B mit der<br />

Hausnummer 108 meinten. Auch die Eintragung erfolgt zum Grundstück A mit der<br />

Hausnummer 104. Im Grundbuch ist jetzt K als Eigentümer des Grundstücks A und V als<br />

Eigentümer des Grundstücks B eingetragen.<br />

1. Wer ist Eigentümer des Grundstücks A?<br />

2. Wer ist Eigentümer des Grundstücks B?<br />

3. Kann K von V die Übereignung des Grundstücks B verlangen?<br />

Lösungshinweise<br />

Frage 1: K ist als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Das begründet<br />

nach § 891 BGB die Vermutung, dass er der Eigentümer sei. Grundbücher können indessen<br />

falsch sein, wie schon die Existenz des Grundbuchberichtigungsanspruchs nach § 894 BGB<br />

zeigt. Deshalb fragt es sich, ob ein Eigentumsübergang von V auf K stattgefunden hat. Das<br />

setzt nach § 873 BGB neben der Eintragung auch eine Einigung in Gestalt der Auflassung<br />

(§ 925 BGB) voraus. Es gibt eine Auflassung, die sich dem Text nach auf das Grundstück A<br />

bezieht. Es ist indessen fraglich, ob diese Auflassung wirklich das Grundstück A erfasst.<br />

Grundsätzlich ist das objektiv Erklärte maßgeblich für den Inhalt einer Willenserklärung. Das<br />

folgt aus Gründen des Vertrauensschutzes für den Vertragspartner. Wenn aber die<br />

Vertragsparteien übereinstimmend mit dem objektiv Erklärten subjektiv etwas anderes<br />

meinen, bestimmt nicht das objektive Erklärte, sondern das übereinstimmend Gewollte den<br />

Inhalt der Vereinbarung (falsa demonstratio non nocet). Denn jetzt gibt es kein zu schützendes<br />

Vertrauen des Vertragspartners mehr. Damit bezieht sich die Auflassung auf das<br />

Grundstück B. Für den Eigentumsübergang beim Grundstück A fehlt es an der erforderlichen<br />

Einigung. Eigentümer des Grundstücks A ist V und nicht K.<br />

Frage 2: V ist als Eigentümer des Grundstücks im Grundbuch eingetragen. Das begründet<br />

nach § 891 BGB die Vermutung, dass er der Eigentümer sei. Grundbücher können indessen<br />

falsch sein, wie schon die Existenz des Grundbuchberichtigungsanspruchs nach § 894 BGB<br />

zeigt. Deshalb fragt es sich, ob V vielleicht sein Eigentum an K verloren hat. Die erforderliche<br />

Einigung für einen Eigentumsübergang auf K liegt nach dem zu Frage 1 Ausgeführten vor. Es<br />

fehlt indessen an der Eintragung. Deshalb ist V noch Eigentümer des Grundstücks B.


<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Helmut</strong> <strong>Rüßmann</strong> 2 „BVR I <strong>Vorlesung</strong>“<br />

Frage 3: K kann von V Übereignung des Grundstücks B verlangen, wenn ihm ein<br />

entsprechender Anspruch zusteht. Hier kommt ein Anspruch aus Kaufvertrag (§ 433 Abs. 1<br />

BGB) in Betracht. Ein notariell beurkundeter Kaufvertrag liegt vor. Die Urkunde nennt aber<br />

das Grundstück A und nicht das Grundstück B als Kaufobjekt. Beide Vertragsparteien<br />

meinten aber übereinstimmend das Grundstück B. Deshalb müsste nach dem Grundsatz der<br />

falsa demonstratio das Grundstück B Gegenstand des Kaufvertrages sein. Fraglich ist, ob das<br />

auch bei formbedürftigen Rechtsgeschäften gilt. Stellt man auf die Beweisfunktion der<br />

Formbedürftigkeit ab, müsste die Frage verneint werden. Stellt man auf die Warnfunktion der<br />

Formbedürftigkeit ab, kann man die Frage bejahen, da auch bei einer Falschbezeichnung die<br />

Warnfunktion erhalten bleibt. Die ganz herrschende Meinung wendet den Grundsatz der falsa<br />

demonstratio auch bei formbedürftigen Rechtsgeschäften an. Danach hat K gegen V einen<br />

Anspruch auf Übereignung des Grundstücks B. Da V die Auflassung schon erklärt hat,<br />

könnten ganz Clevere auf die Idee kommen, dass es von V nichts mehr zu tun gäbe. Das ist<br />

mit Blick auf die Auflassung in der Tat richtig. V muss aber zur Eintragung des K in das<br />

Grundbuch noch eine Eintragungsbewilligung nach § 19 GBO abgeben.<br />

Wichtig ist beim Sachverhalt 1 vor allem, dass die Studierenden das Trennungsprinzip<br />

beachten. Der Kaufvertrag spielt für die Antwort auf die Fragen 1 und 2 keine Rolle und<br />

kommt erst bei der Frage 3 ins Spiel.<br />

Sachverhalt 2<br />

Der Eigentümer eines Grundstücks möchte das Grundstück für € 800.000,00 verkaufen. Er<br />

findet auch einen Interessenten, der bereit ist, diesen Kaufpreis zu zahlen. Um bei der<br />

Grunderwerbssteuer, den Notarkosten und dem Maklerhonorar ein wenig zu sparen, kommen<br />

Verkäufer (V) und Käufer (K) überein, im notariell beurkundeten Kaufvertrag einen<br />

Kaufpreis von € 500.000,00 beurkunden zu lassen. K zahlt die mündlich vereinbarten<br />

€ 800.000,00 an V. Die Erklärung der Auflassung erfolgt nicht.<br />

Zwei Wochen später findet V einen weiteren Interessenten, der ihm eine Million Euro für das<br />

Grundstück bietet. V möchte sich dieses Geschäft nicht entgehen lassen und fragt an, ob er<br />

verpflichtet ist, dem K das Eigentum an dem Grundstück zu übertragen. Die schon erhaltenen<br />

€ 800.000,00 will er gern an K zurückzahlen.<br />

Wie ist die Rechtslage?<br />

Lösungshinweise<br />

Auch wenn nach der Rechtslage gefragt ist, zielt die Fallaufgabe doch eindeutig auf die Frage,<br />

ob V verpflichtet ist, dem K das Eigentum an dem Grundstück zu übertragen.<br />

V ist nach § 433 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem K das Eigentum an dem Grundstück zu<br />

übertragen, wenn er mit K einen entsprechenden Kaufvertrag geschlossen hätte. Es gibt einen<br />

notariell beurkundeten Kaufvertrag zwischen V und K über das betreffende Grundstück. Ein<br />

solcher ist auch nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlich. Der beurkundete Kaufvertrag<br />

könnte jedoch nach § 117 Abs. 1 BGB nichtig sein. Die Erklärung zum Kaufpreis von<br />

€ 500.000,00 ist nur zum Schein abgegeben worden. In Wirklichkeit sollte ein Kaufpreis von<br />

€ 800.000,00 gezahlt werden. Bei Scheinerklärungen greift auch nicht der Grundsatz der falsa<br />

demonstratio. Er tritt hinter die ausdrückliche Anordnung der Nichtigkeit zurück.


<strong>Prof</strong>. <strong>Dr</strong>. <strong>Helmut</strong> <strong>Rüßmann</strong> 3 „BVR I <strong>Vorlesung</strong>“<br />

Der Kaufvertrag zum Preis von € 800.000,00 könnte jedoch nach § 117 Abs. 2 BGB wirksam<br />

sein. Danach finden, wenn das Scheingeschäft ein anderes Geschäft verdeckt, die für das<br />

verdeckte Rechtsgeschäft geltenden Vorschriften Anwendung. Verdeckt worden ist ein<br />

Kaufvertrag zum Preis von € 800.000,00. Für diesen Kaufvertrag fehlt es aber an der nach<br />

§ 311b Abs. 1 Satz 1 BGB erforderlichen notariellen Beurkundung, sodass das verdeckte<br />

Rechtsgeschäft mangels Einhaltung der gesetzlichen Form nach § 125 BGB nichtig ist.<br />

Das formnichtige Grundstückskaufgeschäft ist auch nicht nach § 311b Abs. 1 Satz 2 geheilt<br />

worden. Zwar ist der Kaufpreis schon gezahlt worden. Die Heilung tritt aber erst ein, wenn<br />

die Auflassung und die Eintragung in das Grundbuch erfolgen.<br />

V ist deshalb nicht verpflichtet, dem K das Eigentum an dem Grundstück zu übertragen.

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