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Die „Sägebock-Aktion“ in Münsterdorf - Beirat für Geschichte

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06 Schwichtenberg 01.06.2008 20:29 Uhr Seite 144<br />

144<br />

Rechte Seite: Bruno Kaste (Aufnahme aus<br />

dem Jahr 2000) auf der Kegelbahn <strong>in</strong> der<br />

Gaststätte „Krug zum grünen Kranz“. Hier<br />

prügelte die SA ihre Opfer.<br />

Hermann Schwichtenberg <strong>Die</strong> <strong>„Sägebock</strong>-<strong>Aktion“</strong> <strong>in</strong> <strong>Münsterdorf</strong><br />

vorn anfangen zu zählen. Zwischendurch hörte er noch, wie der<br />

Hauptmann sagte: ‘Schade, dass der auf der anderen Seite steht.’“<br />

<strong>Die</strong> Schläger seien nach Me<strong>in</strong>ung se<strong>in</strong>es Bruders deshalb so brutal<br />

vorgegangen, weil er bei der Misshandlung nicht schrie. Bruno<br />

Kaste: „Angekommen bei 97 Schlägen, wurde me<strong>in</strong> Bruder<br />

bewusstlos. Beim Aufwachen aus der Bewusstlosigkeit standen die<br />

Schläger zwischen Gaststube und Kegelpoller und begannen unmittelbar<br />

danach, wieder auf ihn e<strong>in</strong>zuschlagen. Gezählt wurde nun<br />

nicht mehr.“ He<strong>in</strong>rich Kaste bemerkte, dass das doppelflügelige Fenster<br />

auf der Kegelbahn, das während der Züchtigung verschlossen<br />

gewesen war, plötzlich offen stand. Bruno Kaste: „Man versuchte,<br />

ihn <strong>in</strong> Richtung des Fenster zu treiben. Bei e<strong>in</strong>em der Schläger sah<br />

me<strong>in</strong> Bruder e<strong>in</strong>e Pistole. Er vermutete, dass man ihn aus dem Fenster<br />

treiben wollte, um ihn dann auf der Flucht zu erschießen, um e<strong>in</strong>en<br />

Zeugen der Aktion zu beseitigen. Me<strong>in</strong> Bruder sprang aber nicht<br />

aus dem Fenster.“<br />

Unbegreiflich ist Bruno Kaste heute noch das Verhalten e<strong>in</strong>es<br />

ihm bekannten <strong>Münsterdorf</strong>er Bürgers: „Er verstärkte die Übergriffe<br />

der Nationalsozialisten gegen me<strong>in</strong>en Bruder, <strong>in</strong>dem er der SA zurief:<br />

‘Wo hebbt ji de lüttje Kaste? De lüttje Kaste mut ok noch wat<br />

hebben!’ Das haben mir später Zeugen berichtet.“ Außerdem wurden<br />

Henry Möller und Hans Struck an diesem Morgen schwer misshandelt,<br />

er<strong>in</strong>nert sich der <strong>Münsterdorf</strong>er.<br />

Über den weiteren Hergang erzählt er: „Nach der sogenannten<br />

Sägebock-Aktion kamen me<strong>in</strong> Bruder und me<strong>in</strong>e Mutter nach Itzehoe<br />

auf die Polizeiwache, Am Markt. Dort wurde ihm das Versprechen<br />

abgenommen, nicht über die Sägebock-Aktion zu berichten,<br />

andernfalls käme er <strong>in</strong> das KZ. Nach etwa zwei Tagen bekam me<strong>in</strong>e<br />

Familie Bescheid, He<strong>in</strong>rich könne wieder nach <strong>Münsterdorf</strong> abgeholt<br />

werden. Mit mehreren Personen machten wir uns auf nach Itzehoe.<br />

Wir warteten an der Ecke Kapellenstraße/Am Markt.“ Das Wiedersehen<br />

war schmerzlich: „Zuerst kam me<strong>in</strong>e Mutter aus der Polizeiwache.<br />

,Komm um die Ecke, sie sollen uns nicht we<strong>in</strong>en sehen,<br />

den Triumph sollen sie nicht haben’, sagte me<strong>in</strong>e Mutter zu mir. ‘Wo<br />

ist He<strong>in</strong>?’, fragte ich. Me<strong>in</strong>e Mutter we<strong>in</strong>te und sagte: ‘Ich habe<br />

Angst, dass sie mit ihm <strong>in</strong>s KZ abgehen.’ – Nach e<strong>in</strong>iger Zeit kam<br />

me<strong>in</strong> Bruder aus der Wache heraus. Er war schwer gezeichnet. Wir<br />

g<strong>in</strong>gen langsam nach Haus.“<br />

„Das habe ich nicht gewollt.“ Nachdem sich He<strong>in</strong>rich Kaste die vier Kilometer<br />

nach <strong>Münsterdorf</strong> geschleppt hatte, mussten se<strong>in</strong>e Wunden<br />

versorgt werden. Bruno Kaste: „Wir lösten das von Blut und Eiter<br />

durchtränkte Hemd mit warmem Wasser von der zerschundenen<br />

Haut und behandelten die Wunden mit Z<strong>in</strong>ksalbe. <strong>Die</strong> Z<strong>in</strong>ksalbenbehandlung<br />

wurde uns von e<strong>in</strong>er <strong>Münsterdorf</strong>er<strong>in</strong> empfohlen, von der<br />

wir auch die erste Dose bekamen. Weitere Dosen mit Z<strong>in</strong>ksalbe haben<br />

wir dann selbst beschafft.“<br />

In der Folgezeit musste sich He<strong>in</strong>rich Kaste zuerst täglich bei der<br />

Polizei <strong>in</strong> Itzehoe melden. Se<strong>in</strong> Bruder: „Später wurde dies dann<br />

gelockert, und er musste sich nicht mehr so oft auf der Wache e<strong>in</strong>f<strong>in</strong>-

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