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06 - Bundesnotarkammer

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Heft 6 Juni 2002 Seite 401 – 480<br />

INHALT<br />

Mitteilungen<br />

Ergänzung von § 17 Abs. 2 a BeurkG<br />

Vorstände der Notarkammern: Notarkammer Sachsen, Notarkammer<br />

401<br />

Thüringen 401<br />

Notar Prof. Dr. Hans-Joachim Priester 65 Jahre alt<br />

Muster eines Freigabeversprechens i.S. von § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3<br />

402<br />

MaBV 402<br />

Veranstaltungen des Fachinstituts für Notare 410<br />

Preisindex für die Lebenshaltung im April 2002 411<br />

Aufsatz<br />

Harborth/Lau, Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG und das<br />

Instrumentarium zur Kontrolle ihrer Einhaltung 412<br />

Rechtsprechung<br />

I. Familienrecht<br />

1. Nachehelicher Unterhalt gemäß der sog. Differenzmethode<br />

BGH, Urt. v. 13. 6. 2001 – XII ZR 343/99 (mit Anm. Wegmann) 440<br />

2. Berechnung des Anfangsvermögens; Berechnung des Unterhalts<br />

nach der Differenzmethode<br />

BGH, Urt. v. 31. 10. 2001 – XII ZR 292/99 451<br />

II. Handels- und Gesellschaftsrecht<br />

1. Haftung von Organmitgliedern im GmbH-Konzern bei „zentralem<br />

Cash-Management‘‘<br />

BGH, Urt. v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99 (mit Anm. Schaub) 459<br />

2. Ausfallhaftung des GmbH-Gesellschafters<br />

BGH, Urt. v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00 472<br />

Buchbesprechungen<br />

Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen,<br />

Band 1: Allgemeiner Teil und Band 16: Sachenrecht 3<br />

(Tropf) – Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck, Erbschaftsteuerund<br />

Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz (Wachter) –Dörner/<br />

Staudinger, Schuldrechtsmodernisierung – Kuselit-R: Rechtsbibliographie<br />

476


VERKUÈ NDUNGSBLATT DER BUNDESNOTARKAMMER<br />

Herausgegeben im Auftrag der <strong>Bundesnotarkammer</strong> von 6 Notar Prof. Dr. Günter Brambring, Köln,<br />

Notar a. D. Dr. Christoph Reithmann, Wolfratshausen<br />

2002<br />

Heft 6, Juni 2002<br />

Seite 401 ± 480<br />

MITTEILUNGEN<br />

Ergänzung von § 17 Abs. 2 a BeurkG<br />

Am 7. 6. 2002 hat der Bundestag im Rahmen des „Gesetzes zur Änderung<br />

des Rechts der Vertretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten‘‘<br />

u. a. eine Ergänzung von § 17 Abs. 2 a BeurkG um folgende<br />

Sätze 2 und 3 verabschiedet:<br />

„Insbesondere bei Verbraucherverträgen soll der Notar darauf hinwirken,<br />

dass<br />

1. die rechtsgeschäftlichen Erklärungen des Verbrauchers von diesem<br />

persönlich oder durch eine Vertrauensperson vor dem Notar abgegeben<br />

werden und<br />

2. der Verbraucher ausreichend Gelegenheit erhält, sich vorab mit dem<br />

Gegenstand der Beurkundung auseinander zu setzen; im Regelfall geschieht<br />

dies dadurch, dass dem Verbraucher der beabsichtigte Text des Rechtsgeschäfts<br />

zwei Wochen vor der Beurkundung zur Verfügung gestellt wird.<br />

Weitere Amtspflichten des Notars bleiben unberührt.‘‘<br />

Das Gesetz wird, wenn der Bundesrat in seiner Sitzung vom 21. 6. 2002<br />

keinen Einspruch erhebt, am Tag nach seiner Verkündung und damit voraussichtlich<br />

schon Anfang Juli in Kraft treten.<br />

Vorstände der Notarkammern<br />

Die nachstehenden Notarkammern haben in ihren Kammerversammlungen<br />

ihre Präsidenten, Vizepräsidenten und Ehrenpräsidenten wie folgt gewählt.<br />

Notarkammer Sachsen<br />

Kammerversammlung: 3. 5. 2002<br />

Präsident: Notar Dr. Joachim Püls, Dresden (Neuwahl)<br />

Vizepräsident: Notar Amadeus Thomas, Werdau (Neuwahl)<br />

Ehrenpräsidentin: Notarin Bettina Sturm, Bautzen (Neuwahl)<br />

DNotZ 2002


402 Mitteilungen<br />

Notarkammer Thüringen<br />

Kammerversammlung: 31. 5. 2002 (Amtsperiode ab 1. 7. 2002)<br />

Präsident: Notar Dr. Stefan Hügel, Weimar (Neuwahl)<br />

Vizepräsident: Notar Klaus-Dietmar Schmidt, Weimar<br />

Ehrenpräsident: Notar a. D. JR Hans-Georg Schmidt, Weimar<br />

Notar Prof. Dr. Hans-Joachim Priester 65 Jahre alt<br />

Am 21. 6. 2002 vollendete Notar Prof. Dr. Hans-Joachim Priester, Hamburg,<br />

sein 65. Lebensjahr. Der Jubilar ist seit vielen Jahren in der Standesarbeit<br />

tätig. 1988 wurde ihm in Würdigung seiner wissenschaftlichen Leistungen<br />

die akademische Bezeichnung Professor verliehen. 1991 wurde<br />

Notar Prof. Dr. Priester in den Vorstand und im Juni 2000 zum Vizepräsidenten<br />

der Hamburgischen Notarkammer gewählt. Die Arbeit der <strong>Bundesnotarkammer</strong><br />

unterstützt er u. a. als stellvertretender Vorsitzender im Ausschuss<br />

für Handels- und Gesellschaftsrecht.<br />

Herausgeber und Schriftleiter gratulieren Notar Prof. Dr. Hans-Joachim<br />

Priester sehr herzlich zu seinem Geburtstag und wünschen ihm für die<br />

Zukunft alles Gute.<br />

Muster eines Freigabeversprechens i. S. von § 3 Abs. 1 Satz 1<br />

Nr. 3 MaBV<br />

(Stand: 10. 4. 2002)<br />

Der Vorlage des nachstehenden Musters der <strong>Bundesnotarkammer</strong> für ein<br />

Freigabeversprechen des die Bauträgermaßnahmen finanzierenden Instituts<br />

ist ein eingehender Meinungsaustausch mit Verbänden der Kreditwirtschaft<br />

vorausgegangen. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband und der Verband<br />

Deutscher Hypothekenbanken haben sich mit der hier vorgelegten<br />

Fassung grundsätzlich einverstanden erklärt.<br />

A. Text des Freigabeversprechens<br />

An<br />

Herrn Notar X.<br />

zur Weiterleitung an (Bezeichnung der oder des Adressaten)<br />

– im Folgenden: Käufer –<br />

Bauvorhaben: (Bezeichnung des Objekts mit Grundbuchangaben)<br />

Bauträger:<br />

1. Bezeichnung des Pfandobjekts<br />

Auf dem im (Wohnungs-)Grundbuch von (ggf. genaue Angabe des Wohnungseigentums)<br />

eingetragenen Pfandobjekt sind/werden für die (Bank/<br />

Sparkasse) (eine) Grundschuld(en) von x e eingetragen.<br />

2. Freigabeverpflichtung bei Vollendung des Bauvorhabens<br />

Wir verpflichten uns hiermit gegenüber dem Käufer, das jeweilige vom<br />

Käufer erworbene Kaufobjekt aus der Mithaft für die vorstehend aufgeführ-<br />

DNotZ 2002


Mitteilungen 403<br />

te(n) Grundschuld(en) zu entlassen, wenn das Bauvorhaben vollendet ist<br />

und der Käufer die geschuldete Vertragssumme gezahlt hat.<br />

3. Freigabeverpflichtung ohne Vollendung des Bauvorhabens<br />

Sofern das Bauvorhaben nicht vollendet werden sollte, werden wir nach<br />

unserer Wahl<br />

a) das Kaufobjekt freigeben, sobald der Käufer den dem erreichten<br />

Bautenstand entsprechenden Teil der geschuldeten Vertragssumme gezahlt<br />

hat, oder<br />

b) anstelle der Freigabe die vom Käufer geleisteten Zahlungen bis zum<br />

anteiligen Wert des Vertragsobjekts ohne Zinsen zurückzahlen.<br />

Wir werden bei der Ausübung unseres Wahlrechts die Interessen des<br />

Käufers angemessen berücksichtigen. Dabei gehen wir davon aus, dass der<br />

Käufer im Fall der Rückzahlung die Löschung einer zu seinen Gunsten<br />

eingetragenen Auflassungsvormerkung nicht rechtsmissbräuchlich verweigern<br />

wird.<br />

4. Aufrechnung durch den Käufer<br />

Unsere vorstehenden Verpflichtungen zur Freigabe bestehen nicht, soweit<br />

die Vertragssumme nicht mehr geschuldet ist, weil mit einer Forderung<br />

gegen den Bauträger aufgerechnet wurde, die nicht dem kaufvertraglichen<br />

Rechtsverhältnis entstammt.<br />

5. Zahlungen an die Bank<br />

Soweit Zahlungsforderungen des Bauträgers an uns abgetreten sind oder<br />

Käufer und Bauträger sonst vereinbaren, dass Zahlungen an uns zu richten<br />

sind, erbitten wir diese auf folgendes Konto: . . .<br />

B. Erläuterungen<br />

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 MaBV darf ein Bauträger Vermögenswerte<br />

des Auftraggebers (im Folgenden: Käufer) u. a. erst entgegennehmen, wenn<br />

die Freistellung des Vertragsobjekts von allen Grundpfandrechten gesichert<br />

ist, die der Vormerkung zugunsten des Auftraggebers im Range vorgehen<br />

oder gleichstehen und nicht übernommen werden sollen.<br />

Regelmäßig ist daher die Freistellung von der so genannten Globalgrundschuld<br />

der den Bauträger finanzierenden Bank zu sichern, die alle im<br />

Rahmen eines Gesamtvorhabens errichteten Vertragsobjekte belastet. Die<br />

MaBV lässt hierfür eine schuldrechtliche Verpflichtung der Bank genügen.<br />

Üblicherweise gibt die Bank deshalb ein so genanntes Freigabeversprechen<br />

ab, das als Vertragsangebot an den jeweiligen Käufer aufgefasst wird.<br />

Damit wird der Käufer vor dem Risiko bewahrt, eine Zwangsversteigerung<br />

des Vertragsobjekts aus der vorrangigen Grundschuld hinnehmen zu müssen<br />

und in der Insolvenz des Bauträgers sowohl bereits geleistete Zahlungen als<br />

auch das Grundstück zu verlieren. Der Bank ist diese Verpflichtung wirtschaftlich<br />

zumutbar, weil sie dafür sorgen kann, dass zur Rückführung der<br />

Kredite des Bauträgers Kaufpreiszahlungen an sie fließen: Damit erhält sie<br />

ein Äquivalent für die aufzugebenden Grundpfandrechte.<br />

DNotZ 2002


404 Mitteilungen<br />

Soweit nicht eine Bürgschaft nach § 7 MaBV vorliegt, sehen notariell<br />

beurkundete Verträge regelmäßig das Vorliegen eines Freigabeversprechens<br />

als eine der Fälligkeitsvoraussetzungen vor, deren Eintritt der Notar dem<br />

Käufer mitteilt. Da der Notar stets zu prüfen hat, ob das jeweilige Freigabeversprechen<br />

die bestehenden rechtlichen Anforderungen erfüllt, wird durch<br />

rechtlich umstrittene Formulierungen häufig die Abwicklung der Verträge<br />

mit Unsicherheit belastet. Die daraus resultierenden Verzögerungen beeinträchtigen<br />

letztlich die Interessen aller Beteiligten.<br />

Daher legt die <strong>Bundesnotarkammer</strong> eine aktualisierte Musterempfehlung<br />

für ein Freigabeversprechen vor, die nicht zuletzt durch weitgehende Rückführung<br />

auf den Wortlaut der MaBV rechtliche Risiken soweit möglich<br />

minimieren soll.<br />

I. Zu einzelnen Klauseln des Musters<br />

1. Adressaten<br />

Sowohl die Adressierung des Freigabeversprechens an einen konkret<br />

benannten Käufer als auch eine abstrakte Adressierung an alle Käufer im<br />

Rahmen eines Bauprojekts – ggf. zur Weiterleitung durch den Notar nach<br />

Prüfung bestimmter Vorgaben der Bank – sind denkbar. Daher ist das<br />

Muster hinsichtlich des Adressatenkreises neutral gestaltet.<br />

2. „Bezeichnung des Pfandobjekts‘‘<br />

Im Muster aus dem Jahre 1973 befindet sich der ausdrückliche Hinweis,<br />

dass die für den Kreditgeber eingetragenen Grundpfandrechte nur zur<br />

Sicherung von solchen Krediten dienen, die zur Errichtung des Vertragsobjekts<br />

verwandt werden.<br />

Bei näherer Betrachtung hat sich gezeigt, dass diese Einschränkung überflüssig<br />

ist. Für den Käufer ist allein entscheidend, das Objekt frei von<br />

Grundpfandrechten zu erwerben. Der Sicherungszweck der zu löschenden<br />

Grundpfandrechte ist demgegenüber unbeachtlich.<br />

3. „Freigabeverpflichtung bei Vollendung des Bauvorhabens‘‘<br />

a) Geschuldete Vertragssumme<br />

Im Freigabeversprechen ist in Übereinstimmung mit dem Wortlaut der<br />

MaBV auf die Zahlung der „geschuldeten Vertragssumme‘‘ abzustellen (zur<br />

Aufrechnung mit Gegenansprüchen vgl. unten Ziff. 5).<br />

b) Vorbehaltlose oder auflagenfreie Zahlung<br />

Das vorgeschlagene Muster enthält keine Einschränkung dahingehend,<br />

dass der Käufer die fällige Kaufpreisforderung „vorbehaltlos‘‘ oder „auflagenfrei‘‘<br />

zu leisten hat.<br />

Für eine solche Formulierung besteht kein zwingender Grund. Die Freigabeverpflichtung<br />

ist in jedem Fall abhängig von der Zahlung der geschuldeten<br />

Vertragssumme durch den Käufer. Dabei kann es sich nur um eine<br />

Zahlung handeln, der Erfüllungswirkung zukommt. Vorbehalte oder Auf-<br />

DNotZ 2002


Mitteilungen 405<br />

lagen des Käufers oder Dritter bei der Zahlung führen aber dazu, dass die<br />

Kaufpreisforderung noch nicht erfüllt ist. Sie lösen ggf. Schadensersatzansprüche<br />

des Bauträgers aus, die die Bank an sich abtreten lassen kann,<br />

um sie mit eventuellen Ansprüchen des Käufers aufzurechnen.<br />

Lediglich der Vorbehalt i. S. des § 814 BGB ändert nichts an der Erfüllungswirkung<br />

der Zahlung. Das Recht zur Erklärung dieses Vorbehalts kann<br />

aber dem Verkäufer durch das Freigabeversprechen nicht genommen werden.<br />

Denkbar wäre, im Freigabeversprechen die Zahlung unter Vorbehalt<br />

i. S. von § 814 BGB ausdrücklich als unschädlich zu bezeichnen und<br />

ansonsten eine auflagenfreie Zahlung zu fordern. Dadurch wird der Text für<br />

den Laien aber schwer verständlich.<br />

4. „Freigabeverpflichtung im Falle nicht vertragsgemäßer Vollendung des<br />

Bauvorhabens‘‘<br />

a) Verschulden des Käufers<br />

Die empfohlene Formulierung macht die Freigabeverpflichtung nicht<br />

davon abhängig, dass das Steckenbleiben des Baus nicht vom Erwerber zu<br />

vertreten ist.<br />

Gegen derartige Klauseln bestehen erhebliche Bedenken: Hindert der<br />

Käufer, beispielsweise durch verzögerte oder unterbliebene Ratenzahlungen,<br />

den Bauträger an der zügigen Fortführung des Bauvorhabens, verletzt<br />

er im Verhältnis zum Bauträger bestehende Pflichten zur Vertragstreue.<br />

Im Rechtsverhältnis zwischen Bauträger und Käufer entstehen<br />

dann möglicherweise Schadensersatzansprüche des Bauträgers, die aber<br />

keinen Bezug zu dem zwischen Bank und Käufer bestehenden Rechtsverhältnis<br />

haben. Durch die Aufnahme des Vorbehalts, der Käufer dürfe<br />

das Steckenbleiben des Baus nicht zu vertreten haben, werden daher in<br />

sachfremder Weise entgegen der Wertung der MaBV Einwendungen aus<br />

dem Verhältnis zwischen Bauträger und Käufer in das Verhältnis zwischen<br />

Bank und Käufer eingeführt.<br />

Will die Bank dem Käufer dessen Verschulden entgegenhalten, so ist sie<br />

jedoch nicht gehindert, sich etwaige Schadensersatzansprüche gegen den<br />

Käufer durch den Bauträger abtreten zu lassen und – ggf. im Wege der<br />

Aufrechnung oder Zurückbehaltung – geltend zu machen. Es besteht aber<br />

kein Bedürfnis, dies im Rahmen des Freigabeversprechens zu regeln.<br />

b) Ausübung des Wahlrechts<br />

Der Text zieht die Konsequenz daraus, dass die Ausübung des Wahlrechts<br />

der Bank (§ 3 Abs. 1 Satz 3 MaBV) nach dem Grundsatz von Treu und<br />

Glauben nicht ohne jede Berücksichtigung der Interessen der Käufer erfolgen<br />

kann.<br />

c) Löschung der Auflassungsvormerkung des Käufers<br />

Häufig verpflichtete sich der Kreditgeber in der bisherigen Praxis für den<br />

Fall des Steckenbleibens des Bauvorhabens zur wahlweisen Rückzahlung<br />

vom Käufer eingezahlter Beträge nur unter dem Vorbehalt, dass sie Zug um<br />

DNotZ 2002


4<strong>06</strong> Mitteilungen<br />

Zug gegen Abgabe der Löschungsbewilligung für eine für den Käufer im<br />

Grundbuch eingetragene Auflassungsvormerkung erfolge. Damit soll nach<br />

der Rückzahlung ein freihändiger Verkauf des nicht fertig gestellten Objekts<br />

ermöglicht werden, der erfahrungsgemäß zu besseren wirtschaftlichen Ergebnissen<br />

führt.<br />

Das vorliegende Muster enthält dagegen lediglich den deklaratorischen<br />

Hinweis, die Bank erwarte, dass die Löschungsbewilligung nicht rechtsmissbräuchlich<br />

verweigert werde. Dabei ist die Verweigerung nicht<br />

schlechthin als rechtsmissbräuchlich anzusehen (vgl. Basty, Der Bauträgervertrag,<br />

4. Aufl., Rdn. 315 ff.): Der Wortlaut von § 3 Abs. 1 Satz 3 MaBV<br />

sieht einen allgemeinen Vorbehalt der Bank nicht vor. Vor allem aber sichert<br />

die Auflassungsvormerkung den Eigentumsübertragungsanspruch im Verhältnis<br />

zwischen Bauträger und Käufer, das nicht mit dem Rechtsverhältnis<br />

zwischen Grundpfandrechtsgläubiger und Käufer vermischt werden darf.<br />

Die Gläubigerbank ist hinsichtlich ihrer Zahlungsansprüche gegenüber dem<br />

Bauträger dadurch gesichert, dass sie aus dem Grundpfandrecht die<br />

Zwangsvollstreckung betreiben kann.<br />

Für den Käufer kann auch die gegenüber dem Grundpfandrecht nachrangige<br />

Vormerkung gleichwohl bedeutsam sein:<br />

Sie kann ihm die Durchsetzung von Ansprüchen gegen den Bauträger<br />

ermöglichen, die ihm im Hinblick auf nach § 3 Abs. 1 Satz 3 MaBV nicht<br />

zurückzugewährende Leistungen zustehen. In der Zwangsversteigerung<br />

kann er Wertersatz für die Eigentumsvormerkung gemäß § 92 ZVG verlangen.<br />

Selbst wenn z. B. infolge eines Rücktritts der gesicherte Anspruch auf<br />

Eigentumsverschaffung erloschen ist, besteht noch ein Zurückbehaltungsrecht<br />

des Käufers, das er dem Anspruch des Bauträgers auf Erteilung der<br />

Löschungsbewilligung entgegenhalten kann.<br />

Aus der Bankenpraxis wird allerdings z. B. auf Fälle – insbesondere im<br />

Geschosswohnungsbau – hingewiesen, in denen die Abwicklung durch<br />

Rückzahlung und anschließende freihändige Verwertung angestrebt wird,<br />

aber trotz Konzessionen der Bank eine wirtschaftlich vernünftige Lösung an<br />

einem Einzelnen aus einer Vielzahl von betroffenen Käufern scheitert, der<br />

die Löschung seiner in der Zwangsversteigerung erkennbar nicht werthaltigen<br />

Vormerkung verweigert. In solchen Fällen kann – nicht zuletzt auch im<br />

Interesse der übrigen Käufer – der Einwand des Rechtsmissbrauchs eines<br />

Zurückbehaltungsrechts zu prüfen sein.<br />

d) Hilfsweiser Rücktritt des Globalgrundschuldgläubigers hinter die Auflassungsvormerkung<br />

des Käufers<br />

Das Muster des Freigabeversprechens enthält keine besondere Formulierung<br />

für den Fall, dass nach Steckenbleiben des Bauvorhabens die Bank das<br />

Vertragsobjekt freigeben will, aber eine Löschung des eingetragenen<br />

Grundpfandrechts rechtlich noch nicht möglich ist. Dies kann beim Verkauf<br />

von Teilflächen der Fall sein, wenn die Teilung des Stammgrundstücks im<br />

Grundbuch noch nicht vollzogen ist. Dann stellt aber die schuldrechtliche<br />

Verpflichtung des Globalgrundschuldgläubigers zur Freigabe nach Vollzug<br />

der Grundstücksteilung eine für den Käufer ausreichende Sicherheit dar.<br />

DNotZ 2002


Mitteilungen 407<br />

Der übliche, aber schwer verständliche Hinweis auf den Rangrücktritt des<br />

Kreditgebers mit seinen Rechten hinter die Vormerkung des Käufers kann<br />

daher entfallen.<br />

e) „Vertragsgemäße‘‘ Zahlung<br />

Die Verpflichtung zur Freigabe des Vertragsobjekts bei Steckenbleiben<br />

des Bauvorhabens war im Muster der <strong>Bundesnotarkammer</strong> aus dem Jahre<br />

1973 von der „vertragsgemäßen‘‘ Zahlung fällig gewordener Kaufpreisraten<br />

abhängig gemacht. Für diese Formulierung besteht kein Bedürfnis. Bleibt<br />

der Käufer hinter seiner vertraglichen Zahlungspflicht zurück, besteht auch<br />

aufgrund der jetzt vorgeschlagenen Formulierung keine Freigabepflicht der<br />

Bank. Im Falle vorzeitiger oder nicht im Vertrag vorgesehener Zahlungen<br />

des Käufers kann die besondere Erwähnung der „vertragsgemäßen‘‘ Zahlung<br />

hingegen zu Missverständnissen führen.<br />

f) Rückzahlung vom Käufer eingezahlter Beträge ohne Zinsen<br />

Für den Fall, dass der Globalgrundschuldgläubiger bei Steckenbleiben<br />

des Baus sich für die Rückzahlung der vom Käufer gezahlten Beträge<br />

entscheidet, sieht das Muster eine Rückerstattung der Beträge „ohne Zinsen‘‘<br />

vor. Die MaBV regelt die Frage nicht, ob der Käufer im Falle der<br />

Rückerstattung auch Zinsen verlangen kann. Aufgrund sonstiger in Betracht<br />

kommender Anspruchsgrundlagen lässt sich ein Zinsanspruch kaum herleiten.<br />

Sollte sich jedoch die entsprechende Literaturansicht (vgl. Basty, aaO,<br />

Rdn. 309) in der Rechtsprechung durchsetzen, könnte im Freigabeversprechen<br />

ein gesetzlicher Anspruch des Käufers nicht eingeschränkt werden.<br />

5. „Aufrechnung durch den Käufer‘‘<br />

Das Freigabeversprechen enthält kein Aufrechnungsverbot, schränkt aber<br />

die Voraussetzungen ein, unter denen die Freigabeverpflichtung bestehen<br />

soll.<br />

Grundsätzlich geht § 3 MaBV davon aus, die Bank könne erreichen, dass<br />

die vom Käufer geschuldeten Zahlungen an die Bank fließen und zur Tilgung<br />

der Kredite des Bauträgers beitragen. Der BGH hat jedoch bereits in seiner<br />

Entsch. v. 10. 6. 1983 (DNotZ 1984, 322 ff.) klargestellt, dass die Bank eine<br />

Aufrechnung mit Gegenforderungen wegen Schlechterfüllung seitens des<br />

Bauträgers berücksichtigen muss, obwohl ihr kein Geld zugeflossen ist.<br />

Denn der Erwerber soll zur Enthaftung des Grundstücks nicht mehr aufwenden<br />

müssen, als es dem Wert der vom Bauträger erbrachten Leistung entspricht.<br />

Diese Rechtsprechung war Anlass einer Änderung der MaBV. Seither<br />

stellt der Wortlaut für den Bestand der Freigabeverpflichtung auf die<br />

„geschuldete Vertragssumme‘‘ ab. In diesen Fällen mindert die Schlechterfüllung<br />

zudem mit dem Wert des Vertragsobjekts auch den wirtschaftlichen<br />

Wert der Globalgrundschuld. Das Verhältnis zwischen der Bank zufließenden<br />

Zahlungen und freizugebender Sicherheit bleibt also gewahrt.<br />

Die wirtschaftlichen Grundlagen des Freigabeversprechens werden aber in<br />

Frage gestellt, wenn der Erwerber gegen den Kaufpreisanspruch Forderungen<br />

aufrechnet, die nichts mit dem Kaufvertrag zu tun haben. In der Praxis<br />

DNotZ 2002


408 Mitteilungen<br />

treten Fälle auf, in denen der Käufer Forderungen gegen den Bauträger von<br />

Dritten (z.B. Bauhandwerkern) nur erwirbt, um anschließend die Aufrechnung<br />

zu erklären. In vielen Fällen scheitert eine Aufrechnung bereits aufgrund<br />

einer angezeigten Abtretung der Kaufpreisforderung an die finanzierende<br />

Bank (§§ 387, 4<strong>06</strong> BGB) oder einem im Kaufvertrag vereinbarten<br />

Aufrechnungsverbot (vgl. OLG Düsseldorf, ZfIR 1999, 27). Doch ist dies<br />

nicht stets der Fall. Billigerweise kann der Bank die Freigabe der (voll werthaltigen)<br />

Grundschuld trotz vermindertem Zahlungszufluss nicht auferlegt<br />

werden. Insoweit liegt der Formulierung eine der Struktur der MaBV Rechnung<br />

tragende, offene Reduktion des Wortlauts von § 3 Abs. 1 MaBV zugrunde:<br />

Die Bank kann die Freigabe verweigern, obwohl die Vertragssumme<br />

möglicherweise infolge einer Aufrechnung nicht mehr geschuldet ist.<br />

6. „Zahlungen an die Bank‘‘<br />

Die Angabe des Kontos für Zahlungen an die Bank ist ausdrücklich nur<br />

von Bedeutung, soweit aufgrund einer Abtretung oder anderweitigen Vereinbarung<br />

an die Bank zu leisten ist. Der Käufer kann hiervon ohne Verlust<br />

des Freigabeanspruchs abweichen, wenn ein Dritter (z.B. ein Pfändungsgläubiger)<br />

von ihm berechtigterweise eine andere Zahlungsweise fordert.<br />

Das Muster bedingt die Freigabepflicht also nicht durch die Zahlung der<br />

geschuldeten Vertragssumme auf ein im Freigabeversprechen genanntes<br />

Konto (Zahlstellenklausel). Das Freigabeversprechen ist nicht der zutreffende<br />

Ort, um das Interesse der Bank am Eingang der Zahlungen auf bei ihr<br />

geführte Konten des Bauträgers abzusichern (a). Zudem belastet eine solche<br />

Klausel den Käufer unzumutbar mit außerhalb seiner Sphäre liegenden<br />

Risiken (b).<br />

a) Sicherung des Eingangs von Zahlungen bei der Bank des Bauträgers<br />

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Zahlung an die Bank vor Forderungspfändungen<br />

zu schützen. Sie bauen jedoch alle auf Vereinbarungen außerhalb<br />

des Freigabeversprechens auf.<br />

aa) Sicherung der Bank durch Abtretung<br />

Die Bank kann aufgrund einer Abtretung durch den Bauträger Gläubigerin<br />

der Kaufpreisansprüche werden. Ob eine Abtretung wirksam erfolgt ist,<br />

können jedoch weder Notar noch Käufer überprüfen. Gerade Sicherungszessionen<br />

unterliegen unterschiedlichsten und ernst zu nehmenden Wirksamkeitsrisiken.<br />

Daher darf die Verpflichtung zur Freigabe nicht durch die<br />

Abtretung bedingt werden. Denkbar wäre allenfalls die Abhängigkeit von<br />

einer Abtretungsanzeige des Bauträgers. Deren Vorliegen ist Notar und<br />

Käufer erkennbar. Der Kreditgeber muss dann aber aus dem Freigabeversprechen<br />

verpflichtet bleiben, selbst wenn die angezeigte Abtretung sich als<br />

unwirksam erweist, um so den Käufer vom Wirksamkeitsrisiko zu entlasten.<br />

bb) Sicherung der Bank durch Vertrag zugunsten Dritter<br />

Eine Alternative zur Abtretung, die Bank- und Käuferinteressen wahrt,<br />

stellt eine Vereinbarung im Bauträgervertrag dar, im Wege eines echten<br />

DNotZ 2002


Mitteilungen 409<br />

Vertrages zugunsten Dritter der Bank von Anfang an einen Anspruch auf<br />

Zahlung des Kaufpreises zu verschaffen, der ohne ihre Zustimmung nicht<br />

aufgehoben werden kann (§ 328 BGB).<br />

cc) Sicherung der Bank durch Zweckbindung der Kaufpreiszahlung<br />

Auch eine Zweckbindung der Forderung bzw. ein unechter Vertrag zugunsten<br />

Dritter, die bei konventionellen Kaufverträgen weithin üblich sind,<br />

können unter bestimmten Voraussetzungen im Bauträgervertrag gegen Störungen<br />

durch Pfändungsgläubiger des Bauträgers schützen (vgl. zuletzt<br />

BGH, DNotZ 2000, 752). In diesen Fällen ist die Bank jedoch nicht<br />

dagegen geschützt, dass Käufer und Bauträger die Zweckbindung einvernehmlich<br />

abändern.<br />

b) Risiken einer als Bedingung ausgestalteten Zahlstellenklausel<br />

Der Käufer kann den Kaufpreis schuldbefreiend nur an den wahren<br />

Gläubiger leisten. Daran kann das Freigabeversprechen nichts ändern. Sichert<br />

weder eine Abtretung noch eine Vereinbarung zwischen Käufer und<br />

Bauträger die Zahlung an die Bank (s.o.), besteht das Risiko, dass der<br />

Bauträger den Kaufpreisanspruch anderweitig abtritt oder im Wege der<br />

Zwangsvollstreckung die Verfügungsbefugnis über die Forderung verliert.<br />

In der Folge wäre der Käufer verpflichtet, nach Weisung einer dritten<br />

Person zu zahlen. Würde dann die Freigabeverpflichtung nur bei Zahlung<br />

auf ein Konto bei der Bank bestehen, wäre die Freistellung des Vertragsobjekts<br />

nicht mehr gesichert. Dieses Risiko ist dem Käufer nicht zumutbar.<br />

Daher ist eine im Freigabeversprechen als Bedingung enthaltene Zahlstellenklausel<br />

nicht akzeptabel, wenn sie unabhängig von den sonstigen<br />

Vereinbarungen außerhalb des Freigabeversprechens bestehen soll. Liegen<br />

derartige Vereinbarungen jedoch vor, so ist eine solche Zahlstellenklausel<br />

für die Bank nicht erforderlich.<br />

II. Nicht in das Muster aufgenommene Klauseln<br />

1. Schiedsgutachterklausel<br />

Die Aufnahme einer Schiedsgutachterklausel, wonach zum Beispiel die<br />

Feststellung des erreichten Bautenstands und des Werts der Bauleistungen<br />

durch einen von der zuständigen Industrie- und Handelskammer bestellten,<br />

vereidigten Bausachverständigen erfolgen soll, ist problematisch: Formularmäßige<br />

Schiedsgutachterklauseln, wonach die Feststellungen des Schiedsgutachters<br />

vorbehaltlich der §§ 317 bis 319 BGB für die Vertragschließenden<br />

verbindlich sind, mithin also eine richterliche Kontrolle nur noch bei<br />

offenbarer Unbilligkeit bzw. Unrichtigkeit des Gutachtens in Frage kommt,<br />

können gegen § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB n. F. verstoßen (BGHZ 115,<br />

329 ff. – Fertighausentscheidung). Soweit Schiedsgutachterklauseln zwar<br />

zu keiner Einschränkung des richterlichen Prüfungsmaßstabs führen, jedoch<br />

vor Einschaltung eines Gerichts zwingend vorsehen, dass zunächst ein<br />

Schiedsgutachten angefertigt wird, kann auch in der hierin liegenden zeitlichen<br />

Verzögerung eine unangemessene Verkürzung staatlichen Rechtsschutzes<br />

liegen.<br />

DNotZ 2002


410 Mitteilungen<br />

2. Klauseln zugunsten des Finanzierungsgläubigers des Käufers<br />

Die Situation der den Käufer finanzierenden Bank, die in der MaBV<br />

keine Erwähnung findet, ist unter Sicherungsaspekten problematisch. Auch<br />

bei Bestellung einer Grundschuld zu ihren Gunsten bleibt es dabei, dass<br />

diese zunächst gegenüber der Globalgrundschuld nachrangig ist. Die übliche<br />

Abtretung der Ansprüche aus dem Freigabeversprechen durch den<br />

Erwerber an seine Bank bietet nur einen lückenhaften Schutz. Zum einen<br />

besteht stets die Möglichkeit einer vorrangigen Abtretung, zum anderen<br />

setzt dieses Verfahren beim Auftreten mehrerer Finanzierer aufwendige<br />

Vereinbarungen voraus. Überdies erfüllt die durch die Abtretung erlangte<br />

Sicherheit bestimmte, von einigen Kreditinstituten bei der Darlehensvergabe<br />

zu beachtende Vorschriften (z.B. § 7 BausparkassenG) nicht.<br />

Daher enthalten einige Freigabeversprechen Rangrücktrittsversprechen<br />

der Bauträgerbank zugunsten der Erwerberbank. Die Bauträgerbank verpflichtet<br />

sich darin, im Umfang der von der Erwerberbank finanzierten<br />

Zahlungen deren Grundpfandrecht den Vorrang einzuräumen. Für den Fall<br />

der Rückerstattung geleisteter Zahlungen verpflichtet sich die Bauträgerbank<br />

gegen Löschung der Grundpfandrechte der Erwerberbank zur Rückerstattung<br />

direkt an die Erwerberbank. Soweit derartige Klauseln der Situation<br />

des Erwerbers im Einzelfall gerecht werden, ist ein Verstoß gegen die<br />

Vorschriften der MaBV nicht zu erkennen.<br />

Veranstaltungen des Fachinstituts für Notare<br />

1. Steuerrecht für Notare<br />

Zeit/Ort: 5. – 7. 9. 2002, Bremen, Golden Tulip Hotel<br />

Referenten: Notar Dr. Robert Kiefer, Zweibrücken, Steueramtsrat Klaus Köhler, Fachhochschule<br />

für Finanzen, Edenkoben, Notar Dr. Stephan Schuck, Andernach,<br />

Prof. Thomas Reich, Würzburg<br />

Kostenbeitrag: 395,– e / ermäßigt 295,– e<br />

20,– e für den Erfolgsnachweistest<br />

2. Der Unternehmenskauf in der notariellen Praxis<br />

Zeit/Ort: 13. 9. 2002, Düsseldorf, Hilton Hotel<br />

14. 9. 2002, Frankfurt, Hotel Holiday Inn City South<br />

Referenten: Rechtsanwalt Dr. Siegfried Elsing, Düsseldorf, Notar Dr. Heribert Heckschen,<br />

Dresden, Rechtsanwalt und Steuerberater Carsten Pospich, Düsseldorf<br />

Kostenbeitrag: 295,– e / ermäßigt 245,– e<br />

20,– e für den Erfolgsnachweistest<br />

3. Intensivkurs Erbrecht<br />

Zeit/Ort: 19. – 21. 9. 2002, Oldenburg, Weser-Ems-Halle<br />

Referenten: Notar Dr. Norbert Frenz, Mönchengladbach, Notariatsdirektor a.D. Dr.<br />

Heinrich Nieder, Karlsruhe, Notar Dr. Reinhard Kössinger, Illertissen<br />

Kostenbeitrag: 395,– e / ermäßigt 295,– e<br />

20,– e für den Erfolgsnachweistest<br />

DNotZ 2002


Mitteilungen 411<br />

4. Wohnungseigentum und Wohnungserbbaurecht<br />

Zeit/Ort: 20. – 21. 9. 2002, Berlin, Maritim Hotel<br />

Referenten: Notar Dr. Andreas Albrecht, Regensburg, Notar Dr. Gerd-H. Langhein,<br />

Hamburg, Notar Dr. Manfred Rapp, Landsberg/Lech, Rechtsanwalt Ullrich<br />

Volk, Regensburg<br />

Kostenbeitrag: 395,– e / ermäßigt 295,– e<br />

20,– e für den Erfolgsnachweistest<br />

Änderungen werden vorbehalten. Muss wider Erwarten eine Veranstaltung abgesagt oder<br />

verschoben werden, werden bereits bezahlte Teilnehmergebühren umgehend erstattet.<br />

Weitergehende Ansprüche sind leider ausgeschlossen.<br />

Anfragen und Anmeldungen sind zu richten an das Deutsche Anwaltsinstitut e. V. – Fachinstitut<br />

für Notare –, Universitätsstr. 140, 44799 Bochum, Telefon 0234/97<strong>06</strong>418, Telefax<br />

0234/703507, E-Mail: notare@anwaltsinstitut.de, Internet: www.anwaltsinstitut.de, Bankverbindung:<br />

Dresdner Bank AG Bochum (BLZ 430 800 83), Konto-Nr. 802 950 700.<br />

Preisindex für die Lebenshaltung im April 2002<br />

Mitgeteilt vom Statistischen Bundesamt auf Basis 1995 = 100.<br />

1. Deutschland<br />

Alle privaten Haushalte: 111,2<br />

2. Früheres Bundesgebiet und Neue Länder und Berlin-Ost<br />

Früheres Bundesgebiet Neue Länder und Berlin-Ost<br />

a) Alle privaten Haushalte:<br />

b) 4-Personen-Haushalte von<br />

Beamten und Angestellten mit<br />

111,0 112,1<br />

höherem Einkommen:<br />

c) 4-Personen-Haushalte von<br />

Arbeitern und Angestellten mit<br />

110,0 110,9<br />

mittlerem Einkommen:<br />

d) 2-Personen-Rentner-Haushalte<br />

110,7 111,4<br />

mit geringem Einkommen: 111,6 111,9<br />

Die Umbasierungsfaktoren für das frühere Bundesgebiet sind DNotZ 2002, Heft 1, S. 4,<br />

zu entnehmen.<br />

Das Statistische Bundesamt ist im Internet unter der Adresse www.statistik-bund.de vertreten.<br />

Aktuelle Monatswerte können auch über den Anrufbeantworter <strong>06</strong>11/75-2888<br />

abgefragt werden, Indexwerte ab 1991 unter Abruffax <strong>06</strong>11/75-3888.<br />

Die Verbraucherpreisindizes für das Frühere Bundesgebiet und die Neuen Länder und<br />

Berlin-Ost werden in Zukunft vom Statistischen Bundesamt nicht mehr berechnet und<br />

stehen ab dem Jahr 2003 nicht mehr zur Verfügung (nähere Informationen unter Telefon<br />

<strong>06</strong>11/75-2621).<br />

DNotZ 2002


412 Harborth/Lau<br />

AUFSATZ<br />

Ministerialrätin Hiltrud Harborth, Steimbke, und Richter am LG Dr. Berthold<br />

Lau, Hannover<br />

Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG und das Instrumentarium<br />

zur Kontrolle ihrer Einhaltung<br />

– Zugleich ein Beitrag zu den öffentlich-rechtlichen Grundlagen der<br />

Dienstordnung für Notarinnen und Notare, insbesondere des § 15<br />

DONot –<br />

Am 8. 9. 1998 ist das Dritte Gesetz zur Änderung der BNotO und anderer<br />

Gesetze (BGBl. 1998 I, 2585 ff., berichtigt durch BGBl. 1999 I, 194) in<br />

Kraft getreten. Zu den anderen geänderten Gesetzen gehört insbesondere<br />

das BeurkG. Dabei hat der Gesetzgeber § 3 BeurkG – die Regelungen über<br />

die Mitwirkungsverbote – geändert und erheblich verschärft. Ziel dieser<br />

weitgehenden Neuregelung war es, im Interesse einer geordneten vorsorgenden<br />

Rechtspflege bereits dem Anschein einer Gefährdung der Unabhängigkeit<br />

und Unparteilichkeit von Notarinnen und Notaren entgegenzuwirken<br />

1 und dabei eine bisher gelegentlich praktizierte formale Umgehung der<br />

Mitwirkungsverbote auszuschließen. So wurde die Regelung des § 3 Abs. 1<br />

Nr. 5 BeurkG a. F. dadurch umgangen, dass ein vorausgegangenes anwaltliches<br />

Mandat niedergelegt und sodann notarielle Tätigkeit entfaltet wurde 2<br />

(nach restloser Abwicklung des vorangegangenen anwaltlichen Mandats<br />

einschließlich Abrechnung der Kosten durfte der Anwaltsnotar in derselben<br />

Sache notarielle Tätigkeit entfalten, indem er bspw. nach Vertretung einer<br />

Partei im Scheidungsprozess nunmehr einen Scheidungsfolgenvergleich beurkundete<br />

3 ).<br />

Ziel dieses Beitrags soll es sein, die Mitwirkungsverbote übersichtsmäßig<br />

zu erläutern und unter Anführung einiger Beispiele häufige Verstöße<br />

und deren Ursachen darzulegen. Ferner soll dargelegt werden, wie<br />

das von den Notaren vorzuhaltende Instrumentarium beschaffen sein<br />

muss, mit dem die Einhaltung der Mitwirkungsverbote durch den Notar<br />

selbst und durch die Dienstaufsicht kontrolliert wird. Die Darstellung<br />

wird auch zeigen, dass die bisher verschiedentlich geübte Kritik an der<br />

DONot nicht berechtigt ist und die DONot wie auch die verschiedenen<br />

Richtlinien der Notarkammern den verfassungsrechtlichen Anforderungen<br />

an eine bindende Regelung genügen.<br />

1) BT-Drucks. 13/4184, S. 36 (abgedr. als Anh. bei Arndt/Lerch/Sandkühler, Bundesnotarordnung,<br />

3. Aufl., 1996).<br />

2) Eylmann, NJW 1998, 2929/2931.<br />

3) Huhn/von Schuckmann, Beurkundungsgesetz, 3. Aufl., 1995, § 3 Rdn. 40.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 413<br />

I. Das System der Mitwirkungsverbote ist abgestuft.<br />

1. Die §§ 6 und 7 BeurkG stellen absolute Ausschließungsgründe dar.<br />

Hiernach sind Beurkundungen unwirksam, wenn daran der Notar oder nahe<br />

Angehörige beteiligt sind (§ 6 BeurkG) oder die Beurkundung darauf gerichtet<br />

ist, diesen Personen einen rechtlichen Vorteil zu verschaffen (§ 7<br />

BeurkG). Dabei wird in § 6 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 BeurkG auf die Beteiligung<br />

im formellen Sinne abgestellt, also darauf, ob der Notar, sein Ehepartner,<br />

Lebenspartner oder Verwandter in gerader Linie zur Beurkundung erschienen<br />

ist und eine Erklärung abgibt. Für frühere Ehepartner gilt diese Regelung<br />

nicht 4 . § 6 Abs. 1 Nr. 4 BeurkG dehnt den Anwendungsbereich auf<br />

den Fall aus, dass für den Notar oder seinen Angehörigen bei der Beurkundung<br />

ein Vertreter auftritt.<br />

Verstöße gegen diese Vorschriften werden nur selten vorkommen, weil<br />

die meisten Notare zumindest instinktiv wissen, dass sie solche Beurkundungen<br />

nicht vornehmen dürfen. Es gibt aber auch Fälle, in denen vorsätzlich<br />

gegen diese Bestimmung verstoßen wird.<br />

Hierzu folgendes Beispiel aus der Praxis eines niedersächsischen Notarprüfers:<br />

Ein Notar nimmt Beurkundungen unter Beteiligung seines Vaters<br />

vor. Der Notar hat hierzu erklärt, sein Vater habe die Beurkundung mit dem<br />

Hinweis verlangt, er habe schließlich das Studium des Notars bezahlt; dem<br />

habe er – der Notar – sich nicht zu entziehen vermocht.<br />

§ 7 BeurkG erstreckt die Unwirksamkeit von Beurkundungen auf die<br />

Fälle materieller Beteiligung, in denen die Beurkundung darauf gerichtet<br />

ist, dem Notar oder seinen Angehörigen – die Vorschrift erfasst auch frühere<br />

Ehe- und Lebenspartner – einen rechtlichen Vorteil zu verschaffen, also<br />

Rechte zu erweitern oder Pflichten zu vermindern 5 . Nur in diesen Fällen ist<br />

die Beurkundung unwirksam und nur soweit, als dem in § 7 BeurkG<br />

genannten Personenkreis ein rechtlicher Vorteil verschafft wird (hinsichtlich<br />

der übrigen Vertragsteile findet § 139 BGB Anwendung 6 ). Ist diese Voraussetzung<br />

nicht erfüllt, so ist die Beurkundung wirksam, jedoch verstößt der<br />

Notar gegen § 3 BeurkG.<br />

Hierzu folgendes Beispiel: Schuldner S. hat bei der Ehefrau des Notars<br />

hohe Schulden. Der Notar beurkundet das Schuldanerkenntnis über diese<br />

Schulden.<br />

Die Beurkundung ist nichtig, § 7 Nr. 2 BeurkG; denn sie verschafft der<br />

Ehefrau des Notars einen rechtlichen Vorteil. Gleichzeitig hat der Notar<br />

gegen seine Berufspflicht aus § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeurkG verstoßen;<br />

denn die Beurkundung ist eine Angelegenheit seines Ehegatten.<br />

2. Die für die Praxis wichtigste Vorschrift aus dem Bereich der Mitwirkungsverbote<br />

ist § 3 BeurkG. § 3 BeurkG enthält die sog. relativen Ausschließungsgründe.<br />

Beurkundungen, die unter Verstoß gegen diese Vorschrift<br />

vorgenommen worden sind, sind wirksam, wenn nicht gleichzeitig<br />

4) Eylmann in Eylmann/Vaasen, Bundesnotarordnung, Beurkundungsgesetz, 2000, § 6<br />

BeurkG Rdn. 5.<br />

5) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 7 BeurkG Rdn. 2.<br />

6) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 7 BeurkG Rdn. 10.<br />

DNotZ 2002


414 Harborth/Lau<br />

ein Fall des § 6 oder § 7 BeurkG gegeben ist. Der Notar hat jedoch pflichtwidrig<br />

gehandelt.<br />

Erfasst sind alle Amtstätigkeiten 7 .<br />

Von zentraler Bedeutung – weil in jeder Alternative der Vorschrift genannt<br />

– ist der Begriff der Angelegenheit. Weil durch die Neufassung und<br />

Erweiterung der Mitwirkungsverbote schon der böse Schein vermieden werden<br />

sollte, ist dieser Begriff weit auszulegen. Angelegenheit ist der Lebenssachverhalt,<br />

auf den sich die Tätigkeit des Notars bezieht, und um die Angelegenheit<br />

einer Person handelt es sich dann, wenn die Rechte und Pflichten<br />

der Person durch den Urkundsvorgang unmittelbar betroffen werden 8 .<br />

Im Einzelnen gilt Folgendes:<br />

Willenserklärungen sind Angelegenheiten der sie abgebenden Personen 9 ,<br />

aber auch des Empfängers 10 .<br />

Wenn in einer Angelegenheit ein Vertreter tätig wird, handelt es sich um<br />

eine Angelegenheit des Vertreters und des Vertretenen 11 .<br />

Wenn ein Insolvenzverwalter, Zwangsverwalter oder Testamentsvollstrecker<br />

tätig wird, dann handelt es sich bei allem, was er in dieser Funktion<br />

tut, um seine Angelegenheit 12 .<br />

Verträge zugunsten Dritter sind eine Angelegenheit auch des begünstigten<br />

Dritten, Testamente auch des bedachten Erben oder Vermächtnisnehmers<br />

13 .<br />

Wird ein Rechtsgeschäft einer juristischen Person beurkundet, so handelt<br />

es sich um eine Angelegenheit der juristischen Person, nicht aber ihrer<br />

Mitglieder 14 . Wenn der Notar also einfaches Mitglied eines Sportvereins ist,<br />

dann darf er für diesen beurkunden. Etwas anderes gilt bei Gesellschaften,<br />

wenn der Notar oder die in Nr. 2, 3 und 4 genannten Personen wirtschaftlich<br />

Inhaber der Gesellschaft sind, z. B. bei einer Einmann-GmbH oder so<br />

großen Beteiligung, dass der Notar pp. als wirtschaftlicher Inhaber anzusehen<br />

ist 15 .<br />

Versammlungsbeschlüsse sind Angelegenheiten der Gesellschaft, ihrer<br />

Organe und der teilnehmenden Mitglieder 16 .<br />

Unterschriftsbeglaubigungen sind Angelegenheiten der Unterzeichnenden<br />

und derjenigen Personen, die an der Urkunde materiell beteiligt sind 17 .<br />

3. Im Folgenden werden die einzelnen Regelungen des § 3 Abs. 1<br />

BeurkG erläutert, mit Ausnahme des § 3 Abs. 1 Nr. 9 BeurkG 18 .<br />

7) Armbrüster/Leske, ZNotP 2001, 450/453; Mihm, DNotZ 1999, 8/10 f.<br />

8) Keidel/Winkler, Beurkundungsgesetz, 14. Aufl., 1999, § 3 Rdn. 24; eingehend zum<br />

Begriff der Angelegenheit Armbrüster/Leske, ZNotP 2001, 450/453 ff.<br />

9) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 26.<br />

10) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 10.<br />

11) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 30; kritisch Armbrüster/Leske, ZNotP 2001, 450/456.<br />

12) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 13; Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 31.<br />

13) Arndt/Lerch/Sandkühler, Bundesnotarordnung, 4. Aufl., 2000, § 16 Rdn. 30.<br />

14) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 32.<br />

15) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 33.<br />

16) Arndt/Lerch/Sandkühler, § 16 Rdn. 42.<br />

17) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 17; Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 37.<br />

18) Zu § 3 Abs. 1 Nr. 9 BeurkG s. Mihm, DNotZ 1999, 8/23.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 415<br />

3.1. Nr. 1<br />

Die Vorschrift betrifft eigene Angelegenheiten des Notars.<br />

Beispiel: Der Notar ist Testamentsvollstrecker, nunmehr beurkundet er<br />

den Verkauf eines zum Nachlass gehörenden Grundstücks 19 .<br />

Es läge ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BeurkG vor, da die<br />

Tätigkeit als Testamentsvollstrecker eigene Angelegenheit ist.<br />

3.2. Nr. 2<br />

Der Notar darf nicht tätig werden, wenn es sich um eine Angelegenheit<br />

seines gegenwärtigen oder früheren Ehegatten oder seines Verlobten handelt.<br />

Nicht erfasst sind Angelegenheiten des früheren Verlobten oder einer<br />

Person, mit der der Notar in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft<br />

lebt 20 . In diesen Fällen sollte sich der Notar jedoch nach § 16 Abs. 2<br />

BNotO für befangen erklären.<br />

3.3. Nr. 3<br />

Die Vorschrift betrifft die Angelegenheiten von mit dem Notar verwandten<br />

oder verschwägerten Personen.<br />

Insbesondere bei entfernterer Verwandtschaft oder Schwägerschaft prüfen<br />

die Notare oft nicht genau nach, ob sie tätig werden dürfen.<br />

Dazu folgende Beispiele aus der Praxis eines niedersächsischen Notarprüfers:<br />

Der Prüfer hat bei einer Notarin eine Urkunde mit Erklärungen<br />

einer Person gefunden, die denselben Namen wie die Notarin hatte. Der<br />

Notarin erklärte, es handele sich um den Bruder ihres geschiedenen und<br />

mittlerweile verstorbenen Ehemannes. Es liegt Schwägerschaft zweiten<br />

Grades in der Seitenlinie vor. Die Notarin hätte nicht tätig werden dürfen.<br />

Noch extremer ist folgender Fall: Der Notar errichtet eine Urkunde unter<br />

Beteiligung seines Schwiegervaters. In der Kostennote heißt es: „Keine<br />

Kosten, da es sich um den Schwiegervater des Notars handelt.‘‘<br />

Fehler werden häufig auch von Notarvertretern gemacht. Hierzu folgendes<br />

Beispiel: Zwei Rechtsanwälte üben ihren Beruf gemeinsam aus. Der<br />

Seniorpartner ist Notar, der Juniorpartner noch nicht. Er ist regelmäßig als<br />

Notarvertreter des Seniorpartners tätig. Der Schwiegervater des Juniorpartners<br />

betreibt ein Unternehmen, für das der Seniorpartner als Notar sämtliche<br />

Notariatsangelegenheiten erledigt, soweit kein Fall des § 3 Abs. 1<br />

Satz 1 Nr. 7 BeurkG vorliegt (bei Angelegenheiten von Verwandten des<br />

Sozius besteht kein Mitwirkungsverbot). Während der Juniorpartner Notarvertreter<br />

ist, muss eine eilige Unterschriftsbeglaubigung mit mehreren Beteiligten<br />

vorgenommen werden. Einer davon ist der Schwiegervater des<br />

Juniorpartners, und der nimmt die Unterschriftsbeglaubigung im Drange<br />

der Geschäfte vor.<br />

3.4. Nr. 4<br />

Die – neu eingeführte – Regelung untersagt dem Notar ein Tätigwerden<br />

in Angelegenheiten beruflich mit ihm verbundener Personen. Nach dem<br />

alten Recht durfte der Notar für seine Sozien beurkunden, und aus Kosten-<br />

19) Beispiel von Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 31.<br />

20) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 31.<br />

DNotZ 2002


416 Harborth/Lau<br />

gründen wurde dies auch gerne gemacht. Insbesondere in der Zeit nach<br />

In-Kraft-Treten der Neuregelung dürften aus alter lieb gewordener Gewohnheit<br />

noch eine Reihe solcher Beurkundungen vorgenommen worden sein.<br />

Die Dienstaufsicht wird daher unter den im letzten Jahresdrittel 1998<br />

errichteten Urkunden nach Vorgängen suchen, an denen ein Sozius pp. des<br />

Notars beteiligt war.<br />

Persönlicher Anwendungsbereich: Es fällt jegliche Form der beruflichen<br />

Verbindung darunter, nicht nur die Bürogemeinschaft im klassischen Sinne,<br />

bei der man außer gemeinsamen Räumen auch gemeinsames Personal hat<br />

und sächliche Mittel gemeinsam nutzt. Das schlichte gemeinsame Nutzen<br />

von Räumen begründet bereits das Mitwirkungsverbot hinsichtlich der Angelegenheiten<br />

des Mitbenutzers 21 . Dabei reicht es aus, wenn nur ein Teil der<br />

Räume wie z. B. der Eingangsbereich oder das Wartezimmer gemeinschaftlich<br />

genutzt werden 22 . Eine Ausnahme gilt möglicherweise für den Fall, dass<br />

ein Notar Räume an einen Rechtsanwalt untervermietet und dabei nicht<br />

berechtigt ist, diese jederzeit zu betreten. Für diesen Fall wird die Auffassung<br />

vertreten, dass der von dem Notar ausgeübte mittelbare Besitz an den untervermieteten<br />

Räumen kein Haben gemeinsamer Geschäftsräume darstellt 23 .<br />

Unklar ist auch, ob das Mitwirkungsverbot greift, wenn sowohl der Notar<br />

als auch der urkundsbeteiligte Rechtsanwalt pp. derselben EWIV angehören<br />

24 .<br />

Es besteht aber dann nicht mehr, wenn die Verbindung zur gemeinschaftlichen<br />

Berufsausübung erloschen ist 25 .<br />

Nicht erfasst sind Angehörige der Sozien, so dass der Notar z. B. für die<br />

Ehefrau seines Sozius tätig werden darf. Ebenfalls nicht erfasst sind Kanzleiangestellte,<br />

die keine Volljuristen sind. In beiden Fällen sollte der Notar<br />

aber in entsprechender Anwendung von § 3 Abs. 2 BeurkG den Beteiligten<br />

einen Hinweis erteilen und dies in der Urkunde vermerken 26 .<br />

Sachlicher Anwendungsbereich: Es ist zweifelhaft, ob der Notar einseitige<br />

nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen seines Sozius beurkunden<br />

oder Beglaubigungen der Unterschrift des Sozius vornehmen darf.<br />

Gesetzeszweck des § 3 Abs. 1 Nr. 4 BeurkG ist es, Gefährdungen für das<br />

Vertrauen in die Unparteilichkeit des Notars auszuschließen. Ein mit dem<br />

vorgenommenen Geschäft unzufriedener Beteiligter könnte einwenden,<br />

dass der Notar nicht unparteiisch gewesen sei 27 , indem er bspw. bei dem<br />

21) Mihm, DNotZ 1999, 8/14; Harder/Schmidt, DNotZ 1999, 949/956.<br />

22) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 41.<br />

23) Harder/Schmidt, DNotZ 1999, 949/956.<br />

24) Für ein Mitwirkungsverbot Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 33.<br />

Die gegenteilige Auffassung hat Sandkühler in seinem am 10. 5. 1999 auf einer Fortbildungsveranstaltung<br />

für Notarprüfer in Wildeshausen gehaltenen Vortrag vertreten mit<br />

der Begründung, die EWIV verfolge keinen eigenen Geschäftszweck.<br />

25) Der Gesetzesentwurf sah auch für diese Fälle ein Mitwirkungsverbot vor; es<br />

wurde vom Rechtsausschuss gestrichen. Siehe BT-Drucks. 13/11034, S. 40; 13/15089,<br />

S. 39 linke Spalte zu Nr. 2 (§ 3 zu Abs. 1 Nr. 4).<br />

26) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 79.<br />

27) BT-Drucks. 13/4184, S. 36.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 417<br />

Entwurf eines Grundstückskaufvertrages eine für seinen Sozius günstige<br />

Gewährleistungsregelung in den Vertrag aufgenommen und beurkundet<br />

habe. Gerade diese Situation kann aber nicht eintreten, wenn es außer dem<br />

Sozius keinen weiteren Beteiligten gibt wie z. B. bei der Errichtung eines<br />

Testaments für den Sozius. Mit dieser Begründung wird die Auffassung<br />

vertreten, dass § 3 Abs. 1 Nr. 4 BeurkG teleologisch dahingehend zu reduzieren<br />

ist, dass Unterschriftsbeglaubigungen für den Sozius vorgenommen<br />

und einseitige nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen für ihn beurkundet<br />

werden dürfen 28 .<br />

Dieser Auffassung ist unseres Erachtens nicht zu folgen. Der Gesetzgeber<br />

wollte mit der Neufassung des § 3 BeurkG das Vertrauen in die<br />

Unparteilichkeit des Notars schützen. Deshalb hat er als eines der Grundprinzipien<br />

der Neuregelung festgeschrieben, dass der Notar nicht für<br />

seinen Sozius tätig werden darf. Ausnahmen von diesem Grundprinzip<br />

hat er nicht gewollt, sonst hätten sie Eingang in das Gesetz gefunden.<br />

Hinzu kommt, dass der böse Schein, den der Gesetzgeber gerade vermeiden<br />

wollte, auch bei einer nur einseitige Willenserklärungen enthaltenden<br />

Urkunde wie einem Testament später entstehen kann, wenn die Urkunde<br />

verwendet wird. So kann es vorkommen, dass nach dem Tode des<br />

testierenden Sozius Erbstreitigkeiten entstehen und der Notar als Zeuge<br />

zur Willensbildung seines früheren Bürokollegen gehört werden muss,<br />

was für einen Teil der streitenden Betroffenen sehr problematisch aussehen<br />

kann (Parteien des Rechtsstreits sind einerseits die dem Notar auch<br />

persönlich gut bekannte Witwe, die möglicherweise Versorgungsansprüche<br />

gegen die Sozietät hat, andererseits entferntere Verwandte des Sozius).<br />

Auch die schlichte Unterschriftsbeglaubigung für einen „Bürokollegen‘‘<br />

kann Misstrauen wecken, wenn es sich um eine rechtlich bedeutsame<br />

Urkunde wie eine Grundschuldbestellung oder eine Vollmachtserteilung<br />

handelt.<br />

3.5. Nr. 5<br />

Nach dieser Vorschrift besteht ein Mitwirkungsverbot dann, wenn es sich<br />

um die Angelegenheit einer Person handelt, deren gesetzlicher Vertreter der<br />

Notar oder sein Sozius ist. Dies sind bei natürlichen Personen Eltern,<br />

Vormund, Betreuer, Pfleger oder Beistand 29 , bei juristischen Personen der<br />

Geschäftsführer einer GmbH, alleinige Vorstand einer AG oder Genossenschaft,<br />

Bürgermeister oder Gemeindedirektor 30 . Das Mitwirkungsverbot<br />

besteht für sämtliche Angelegenheiten des Vertretenen, auch für solche, auf<br />

die sich die gesetzliche Vertretungsmacht gerade nicht erstreckt 31 .<br />

Hierzu folgende Beispiele: Der Sozius des Notars ist Betreuer des X. mit<br />

den Wirkungskreisen „Aufenthaltsbestimmung‘‘, „Sorge für die Gesund-<br />

28) Harder/Schmidt, DNotZ 1999, 949/958.<br />

29) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 35. Eylmann will den Anwendungsbereich<br />

der Vorschrift auf natürliche Personen beschränken.<br />

30) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 89.<br />

31) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 36; Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 87.<br />

DNotZ 2002


418 Harborth/Lau<br />

heit‘‘ und „Sorge für das Vermögen‘‘. Nun erbt X. ein wertvolles Grundstück,<br />

das er verkaufen will.<br />

Der Notar darf den Kaufvertrag nicht beurkunden.<br />

Variante 1: Die Betreuung ist nur für die beiden erstgenannten Wirkungskreise<br />

eingeleitet worden, weil X. zunächst nur ein sehr geringes Vermögen<br />

hatte, um das er sich trotz der Erkrankung, deretwegen die Betreuung<br />

eingeleitet wurde, noch selbst kümmern kann. Nun erbt er ein Grundstück<br />

und möchte es – selbst handelnd – verkaufen.<br />

Auch hier besteht das Mitwirkungsverbot des § 3 Abs. 1 Nr. 5 BeurkG,<br />

weil es sich auf alle Angelegenheiten des X. erstreckt, also auch auf die,<br />

die außerhalb des Wirkungskreises des Betreuers liegen.<br />

Variante 2: Betreuerin – auch mit dem Wirkungskreis Vermögenssorge –<br />

ist die Ehefrau des Notars.<br />

Ein Mitwirkungsverbot nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 BeurkG besteht<br />

nicht, weil die Vorschrift nicht den Sachverhalt erfasst, dass Angehörige<br />

des Notars gesetzliche Vertreter sind 32 . Trotzdem dürfte der Notar nicht<br />

beurkunden: Es besteht das Mitwirkungsverbot des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2<br />

BeurkG, weil es sich um eine Angelegenheit der Ehefrau auch dann handelt,<br />

wenn diese als Vertreterin handelt. Ferner wäre die Beurkundung nichtig,<br />

wenn die Ehefrau des Notars selbst zur Beurkundung erscheinen sollte, § 6<br />

Abs. 1 BeurkG.<br />

3.6. Nr. 6<br />

Es besteht ein Mitwirkungsverbot auch dann, wenn es sich um die<br />

Angelegenheit einer Person handelt, deren vertretungsberechtigtem Organ<br />

der Notar oder sein Sozius angehört. In Betracht kommt der wohl eher<br />

seltene Fall, dass der Notar oder sein Sozius dem mehrgliedrigen Vorstand<br />

einer AG angehören, für die beurkundet werden soll 33 . Zu beachten sind die<br />

Ausnahmen, die in § 3 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 BeurkG enthalten sind:<br />

Wenn es sich um Angelegenheiten einer Gemeinde, eines Kreises oder einer<br />

als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaft<br />

handelt und der Notar dem Organ dieser Institution angehört, besteht kein<br />

Mitwirkungsverbot. Der Notar muss lediglich vor der Beurkundung auf diesen<br />

Umstand hinweisen und fragen, ob er die Beurkundung gleichwohl vornehmen<br />

soll. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich bei dem Organ, dem der<br />

Notar angehört, um einvertretungsberechtigtes Organ handelt 34 .<br />

Dasselbe gilt, wenn der Notar dem nicht vertretungsberechtigten Organ<br />

(Aufsichtsrat) einer juristischen Person angehört, die nicht zu den in § 3<br />

Abs. 3 Nrn. 2 und 3 BeurkG zählt.<br />

Zu beachten ist Folgendes: Die Verwalter kraft Amtes (Insolvenzverwalter,<br />

Zwangsverwalter, Nachlassverwalter, Testamentsvollstrecker) sind nicht<br />

32) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 37; Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 88.<br />

33) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 92. Geht man hingegen davon aus, dass § 3 Abs. 1<br />

Satz 1 Nr. 5 BeurkG nur natürliche Personen erfasst, so liegt ein Fall des § 3 Abs. 1<br />

Satz 1 Nr. 6 BeurkG vor, wenn es sich z. B. um die Angelegenheit einer GmbH handelt,<br />

deren Geschäftsführer der Notar oder sein Sozius ist.<br />

34) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 184, 187.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 419<br />

Vertreter, sondern sie handeln in eigener Angelegenheit. Wenn also der<br />

Notar, sein Angehöriger oder sein Sozius als Insolvenzverwalter einer<br />

GmbH tätig sind und es soll im Rahmen der Insolvenzverwaltung für die<br />

GmbH eine Beurkundung vorgenommen werden, dann liegt ein Fall des § 3<br />

Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 3 oder 4 BeurkG vor.<br />

3.7. Nr. 7<br />

3.7.1. Diese Bestimmung ist neu. Früher gab es § 3 Abs. 1 Nr. 5 a.F., der<br />

der Nr. 8 entspricht.<br />

Die Vorschrift bedeutet letztlich Folgendes, wie Eylmann (ehemaliger<br />

Vorsitzender des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages) ausgeführt<br />

hat: „War oder ist der Anwalt selbst oder sein Sozius oder Partner als<br />

Rechtsanwalt, Patentanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, vereidigter<br />

Buchprüfer oder in sonstiger Weise, die auch privates Handeln einschließt,<br />

in einer Angelegenheit tätig, ist diese für ihn als Notar tabu‘‘ 35 .<br />

Persönlicher Anwendungsbereich: Das Mitwirkungsverbot gilt für den<br />

Notar und den Sozius, allerdings nur für den Bereich der vorangegangenen<br />

Tätigkeit als Rechtsanwalt etc. in derselben Angelegenheit.<br />

Kein Fall der Vorbefassung im Sinne dieser Vorschrift liegt vor, wenn der<br />

Notar oder sein Sozius – ebenfalls Anwaltsnotar – in seiner Eigenschaft als<br />

solcher – also als Notar – mit der Sache befasst ist oder war. Ein typisches<br />

Beispiel hierfür ist folgender Sachverhalt: Der Notar oder sein Sozius beurkundet<br />

zunächst einen Grundstückskaufvertrag. Anschließend soll der Notar<br />

die der Finanzierung dienenden Grundpfandrechte beurkunden. Dies wäre<br />

zulässig 36 .<br />

Ob die vorangegangene Tätigkeit Notartätigkeit oder Anwaltstätigkeit<br />

pp. war, bestimmt sich nach § 3 BRAO und § 24 BNotO. Zu beachten ist<br />

dabei insbesondere § 24 Abs. 2 BNotO: Beratende Tätigkeit ist im Zweifel<br />

Notartätigkeit, wenn sie der Vorbereitung notarieller Amtshandlungen i. S.<br />

der §§ 20 bis 23 BNotO dient. Ist dies nicht der Fall, so ist im Zweifel von<br />

einer anwaltlichen Tätigkeit auszugehen.<br />

Zeitlicher Anwendungsbereich: Nach der neuen Regelung ist der Notar<br />

auch dann ausgeschlossen, wenn seine Vorbefassung bzw. die seines Sozius<br />

schon beendet ist 37 . Damit entfällt für die Dienstaufsicht die Prüfung des<br />

nach Aufdeckung von Konfliktfällen immer wieder vorgebrachten Einwandes,<br />

die vorausgegangene anwaltliche Tätigkeit sei bereits beendet gewesen.<br />

Diese Prüfung entbehrlich zu machen ist u. a. Zweck der Neuregelung 38 .Es<br />

besteht hier also ein Unterschied zu der in § 3 Abs. 1 Nr. 5 BeurkG<br />

getroffenen Regelung, die dem Notar ein Tätigwerden erlaubt, wenn die<br />

gesetzliche Vertretung beendet ist.<br />

Sachlicher Anwendungsbereich: Der Notar oder sein Sozius muss in<br />

derselben Angelegenheit tätig sein oder irgendwann einmal – auch vor<br />

Jahren – tätig gewesen sein.<br />

35) Eylmann, NJW 1998, 2929/2931.<br />

36) Harder/Schmidt, DNotZ 1999, 949/959.<br />

37) Harder/Schmidt, DNotZ 1999, 949/960.<br />

38) BT-Drucks. 13/4184, S. 36.<br />

DNotZ 2002


420 Harborth/Lau<br />

Der Begriff der Angelegenheit hat bei Auslegung dieser Vorschrift eine<br />

besonders große Bedeutung. Er ist – dem Normzweck, schon den bösen<br />

Schein zu meiden, entsprechend – weit auszulegen 39 . Dies einerseits und<br />

der Umfang der vorangegangenen außernotariellen Tätigkeit in derselben<br />

Angelegenheit andererseits kann dazu führen, dass der Notar für bestimmte<br />

Personen überhaupt nicht tätig sein darf, wie folgendes Beispiel zeigt: Der<br />

Sozius des Notars ist Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer. Er berät eine<br />

GmbH ständig und umfassend steuerlich. Der Notar darf nicht beurkunden,<br />

wenn die Beurkundung mit den steuerlichen oder wirtschaftlichen Zielen zu<br />

tun hat, die die GmbH sich im Rahmen der Beratung durch den Sozius<br />

gesetzt hat 40 .<br />

Typisch mag vielleicht folgender Fall sein, wie er auch in einer kleineren<br />

Kanzlei vorkommen kann: Der Notar oder sein Sozius hat einen Scheidungsrechtsstreit<br />

geführt. Nunmehr soll eine Scheidungsfolgenvereinbarung<br />

geschlossen werden. Der Notar darf sie grundsätzlich nicht beurkunden 41 .<br />

Auch sonst kann es im Zusammenhang mit familienrechtlichen Auseinandersetzungen<br />

leicht zu Verstößen gegen Mitwirkungsverbote kommen,<br />

wie folgendes Beispiel zeigt: Die Eheleute M. und F. leben getrennt. Sie<br />

hatten ein Haus, dessen Zwangsversteigerung der Notar als Rechtsanwalt<br />

für F. betrieben hatte. Dann findet man einen Kaufinteressenten, und der<br />

Notar beurkundet den Kaufvertrag. Es liegt ein eindeutiger Verstoß gegen<br />

§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BeurkG vor. (Aufgedeckt wurde der Verstoß wie<br />

folgt: Die Vorbereitung des Vertrages gestaltete sich schwierig. In der<br />

Nebenakte fand der Prüfer einen Vermerk des Notars, der etwa wie folgt<br />

lautete: „Wir fahren zweigleisig und betreiben die Zwangsversteigerung<br />

weiter, um M. weiter unter Druck zu setzen.‘‘)<br />

Folgender Fall mag verdeutlichen, dass sich aus anwaltlichen Mandaten<br />

der unterschiedlichsten Art für den Notar Konfliktsituationen ergeben können:<br />

Eine sehr kleine Wohnungseigentümergemeinschaft besteht nur aus<br />

den zwei Mitgliedern A. und B. B. ist gleichzeitig Verwalter. Der Notar hat<br />

den A. anwaltlich beraten.<br />

Es ging darum, dass B. angeblich das Hausgeld falsch abgerechnet hatte.<br />

Nun will A. sein Wohnungseigentum an B. verkaufen. Darf der Notar den<br />

Vertrag beurkunden? Angesichts des Umstandes, dass der Begriff der Angelegenheit<br />

weit auszulegen ist, wird ein seriöser Notar die Beurkundung<br />

schon deshalb ablehnen, weil hier zumindest ein Zweifelsfall vorliegt.<br />

Auch hier ist – ähnlich wie bei § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BeurkG – streitig,<br />

ob die Bestimmung auch für Unterschriftsbeglaubigungen gilt 42 .<br />

39) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 25, 114.<br />

40) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 115, 116.<br />

41) Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die vorangegangene anwaltliche Tätigkeit<br />

im Auftrag aller später an der Beurkundung beteiligten Personen ausgeübt werden<br />

sollte, z. B. dann, wenn der Notar oder sein Sozius vorher als Mediator tätig war.<br />

42) Dafür Harder/Schmidt, DNotZ 1999, 949/963; dagegen Mihm, DNotZ 1999, 8/19;<br />

wohl auch Armbrüster/Leske, ZNotP 2001, 450/455 f., die allerdings empfehlen, die Praxis<br />

solle sich hieran vorerst nicht orientieren.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 421<br />

Hierzu wird die Auffassung vertreten, dass § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7<br />

BeurkG dann keine Anwendung findet, wenn der Notar oder sein Sozius<br />

anwaltlich tätig war und nunmehr eine Unterschriftsbeglaubigung vorgenommen<br />

werden oder eine beglaubigte Fotokopie hergestellt werden soll,<br />

die diesen Vorgang betrifft. Diese Auffassung ist jedoch nicht mit dem<br />

Wortlaut des Gesetzes vereinbar. Auch eine teleologische Reduktion kommt<br />

aus folgendem Grund nicht in Betracht: Mit § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7<br />

BeurkG hat der Gesetzgeber das Prinzip einer strikten Trennung zwischen<br />

notarieller Amtsausübung einerseits und der Ausübung von anderen Funktionen<br />

und Berufen gesetzlich normiert. Dieses Prinzip gilt es allgemein zu<br />

wahren – unabhängig davon, ob aufgrund der Art des Urkundsgeschäfts<br />

erhebliche oder nur geringe Gefahren für eine neutrale Amtsführung des<br />

Notars und damit das Ansehen von Amt und Beruf bestehen. Im Übrigen<br />

gilt es, schon den bösen Schein zu meiden und die Mitwirkungsverbote<br />

deshalb weit auszulegen.<br />

Das Mitwirkungsverbot des § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG besteht nicht, wenn<br />

die vorangegangene Tätigkeit im Auftrag aller Personen ausgeübt wurde,<br />

die an der Beurkundung beteiligt sein sollen. Die Betonung liegt dabei auf<br />

„aller‘‘.<br />

Hierzu folgende Beispiele 43 : Drei Personen beauftragen den Notar, in<br />

einer bestimmten Angelegenheit für sie tätig zu werden. Im weiteren Verlauf<br />

der Angelegenheit ist eine Beurkundung vorzunehmen, an der außer<br />

den bisher beteiligten Personen drei weitere Personen beteiligt sein sollen.<br />

Es besteht ein Mitwirkungsverbot nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BeurkG.<br />

Der Notar war für A., B. und C. anwaltlich tätig. C. stirbt und wird von<br />

D. beerbt. Nunmehr soll in derselben Angelegenheit unter Beteiligung von<br />

A., B. und D. beurkundet werden. Hier darf D. den Willen des C. sozusagen<br />

aufnehmen.<br />

Der Notar macht für seinen Mandanten A. eine Forderung gegen B.<br />

geltend und erwirkt die Eintragung einer Sicherungshypothek auf dem<br />

Grundstück des B. B. zahlt. Nun soll A. die Löschungsbewilligung erteilen.<br />

Der Notar darf die Unterschrift des A. nicht beglaubigen, § 3 Abs. 1<br />

Satz 1 Nr. 7 BeurkG. Formell beteiligt ist zwar nur A. Materiell beteiligt ist<br />

aber auch B. Die Erteilung der Löschungsbewilligung ist auch seine Angelegenheit.<br />

Die vorausgegangene anwaltliche Tätigkeit hat nur im Auftrag<br />

des A. stattgefunden.<br />

Der Notar berät als Anwalt einen Konzern in der Frage einer Neustrukturierung.<br />

In dieser Sache soll nunmehr beurkundet werden. Dabei soll einer<br />

der Beteiligten vertreten werden. Der Vertreter war an der Beauftragung des<br />

Notars mit der anwaltlichen Tätigkeit nicht beteiligt; beteiligt war nur der<br />

Vertretene.<br />

Es liegt ein Fall des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 2. Altern. BeurkG vor; die<br />

Tätigkeit wurde im Auftrag aller Beteiligten ausgeübt.<br />

43) Die zu § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BeurkG folgenden Beispiele stammen aus dem<br />

Vortrag von Sandkühler, gehalten am 10. 5. 1999 auf der bereits erwähnten Kurztagung<br />

für Notarprüfer in Wildeshausen.<br />

DNotZ 2002


422 Harborth/Lau<br />

Unzulässig ist es, einen vorangegangenen anwaltlichen Auftrag nachträglich<br />

zu erweitern, um so die Situation herbeizuführen, dass die vorangegangene<br />

Tätigkeit im Auftrag aller Personen ausgeübt wurde.<br />

3.7.2. Vorbefassungsfrage und -vermerk (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BeurkG)<br />

Vor jeder Beurkundung soll der Notar fragen, ob er nach Erinnerung der<br />

Parteien i. S. des § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG vorbefasst ist, das Ergebnis soll<br />

er in der Urkunde vermerken, § 3 Abs. 1 Satz 2 BeurkG.<br />

Zur Anwendung dieser Vorschrift haben sich folgende Problemkreise<br />

ergeben:<br />

a) Fragepflicht des in Einzelpraxis tätigen Notars: Nach den Gesetzesmaterialien<br />

wird durch die Fragepflicht dem in einer beruflichen Verbindung<br />

tätigen Notar die Bedeutung dieses Mitwirkungsverbotes in besonderer<br />

Weise bewusst gemacht und eine effektive Überwachung seiner Einhaltung<br />

durch die Aufsichtsbehörden gewährleistet 44 . Aus dieser Formulierung<br />

in den Gesetzesmaterialien wird hergeleitet, dass die Vorschrift entgegen<br />

dem Gesetzeswortlaut nicht für in Einzelpraxis tätige Notare gelten soll 45 .<br />

Dem ist Folgendes entgegenzuhalten: Regelungszweck der Mitwirkungsverbote<br />

ist es, bereits dem Anschein einer Gefährdung der Unparteilichkeit<br />

entgegenzuwirken 46 . Dieser Anschein kann aber auch entstehen, wenn ein<br />

in Einzelpraxis tätiger Notar eine u. U. lange zurückliegende anwaltliche<br />

Vorbefassung vergisst und auch die Kontrollmechanismen aus irgendwelchen<br />

Gründen (falsche Eingabe in das Beteiligtenverzeichnis; Vorgang liegt<br />

lange zurück und ist deshalb nicht in der EDV erfasst) nicht greifen.<br />

Folgendes Beispiel mag dies verdeutlichen: Der Notar hat vor Jahren<br />

jemanden in einer Scheidungssache anwaltlich beraten. Die Eheleute haben<br />

sich zunächst wieder versöhnt. Nun wollen sie sich aber doch scheiden<br />

lassen. Bei der Eingabe in das Beteiligtenverzeichnis ist ein Rechtschreibungsfehler<br />

passiert, so dass der Konfliktfall nicht angezeigt wird. Der<br />

Notar hat den Vorfall – eine kurze „Allerweltsberatung‘‘ – nach Ablauf von<br />

mehreren Jahren vergessen und beurkundet eine Scheidungsfolgenvereinbarung.<br />

Noch deutlicher wird dies, wenn man sich vorstellt, dass die Beurkundung<br />

nicht vom Notar selbst, sondern von seinem Vertreter vorgenommen<br />

wird, der sich naturgemäß an eine lange zurückliegende anwaltliche<br />

Tätigkeit des vertretenen Notars nicht erinnern kann. Die Parteien werden<br />

sich demgegenüber schon erinnern, wenn man sie fragt.<br />

Auch für den in Einzelpraxis tätigen Notar besteht daher eine Fragepflicht.<br />

b) Fragepflicht bei Unterschriftsbeglaubigung ohne Entwurf: Hier könnte<br />

man zweifeln, ob die Frage nach einer Vorbefassung gestellt werden muss.<br />

Der Notar gibt mit der Fertigung des Beglaubigungsvermerks lediglich ein<br />

Zeugnis über die Echtheit der vor ihm geleisteten oder anerkannten Unterschrift<br />

ab, leistet also keinerlei inhaltlich rechtsgestaltende Arbeit, die mit<br />

44) BT-Drucks. 13/4184, S. 37.<br />

45) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 52; Mihm, DNotZ 1999, 8/20,<br />

jeweils m. w. Nachw.<br />

46) BT-Drucks. 13/4184, S. 36.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 423<br />

einer früheren anwaltlichen Tätigkeit zusammenhängen und daher Zweifel<br />

an seiner Unabhängigkeit wecken könnte. Gleichwohl ist auch bei Unterschriftsbeglaubigungen<br />

ohne Entwurf die Frage nach einer Vorbefassung zu<br />

stellen. Der Beglaubigungsvermerk ist eine öffentliche Beurkundung i. S.<br />

des § 1 Abs. 1 BeurkG und damit auch i. S. des § 3 Abs. 1 BeurkG 47 . Selbst<br />

wenn man sich auf den Standpunkt stellen würde, dass eine Beglaubigung<br />

keine Beurkundung ist, so wäre über § 16 Abs. 1 BNotO § 3 Abs. 1<br />

BeurkG gleichwohl anzuwenden 48 .<br />

c) Fragepflicht bei Fertigung beglaubigter Abschriften: Eshandeltsich<br />

bei der Fertigung beglaubigter Abschriften um sonstige Amtstätigkeit i. S.<br />

des § 16 Abs. 1 BNotO, da die Beglaubigung von Abschriften in § 20<br />

Abs. 1 Satz 1 BNotO erfasst ist. § 3 BeurkG findet daher Anwendung, so<br />

dass an sich die Vorbefassungsfrage gestellt werden müsste und im Beglaubigungsvermerk<br />

der Vermerk nach § 3 Abs. 1 Satz 2 BeurkG anzubringen<br />

wäre. Eine Kontrolle durch die Dienstaufsicht ist allerdings nicht möglich,<br />

weil über solche Vorgänge überhaupt keine Akten geführt werden, die im<br />

Rahmen von Geschäftsprüfungen eingesehen werden könnten. Der Prüfer<br />

könnte sich lediglich den den Beglaubigungsvermerk enthaltenden Stempel<br />

zeigen lassen und ein Fehlen des Vorbefassungsvermerks beanstanden.<br />

Letztlich sollte es aber nicht beanstandet werden, wenn bei Fertigung<br />

beglaubigter Abschriften die Frage nach der Vorbefassung nicht gestellt<br />

wird.<br />

Letztlich ist hier aber der Gesetzgeber gefordert, der eine entsprechende<br />

Ausnahmeregelung schaffen sollte.<br />

d) Fragepflicht bei Protokollierung von Gesellschafterversammlungen:<br />

Versammlungsbeschlüsse sind – wie oben ausgeführt – Angelegenheiten<br />

der Gesellschaft, ihrer Organe und der teilnehmenden Mitglieder 49 .Nach<br />

dem Gesetzeswortlaut besteht eindeutig eine Fragepflicht. Das kann dazu<br />

führen, dass ein listiger Kleinaktionär eine Hauptversammlung empfindlich<br />

stören, zumindest aber den Notar in erhebliche Konflikte bringen kann, und<br />

zwar wie folgt: Kurz vor der Hauptversammlung sucht der Aktionär einen<br />

anwaltlichen Sozius des Notars, am besten an einem anderen Niederlassungsort,<br />

auf und lässt sich über seine Rechte in der Hauptversammlung<br />

beraten. Wenn der Notar dann die Frage nach der Vorbefassung stellt, offenbart<br />

der Aktionär diesen Vorgang 50 . Der Notar darf nicht tätig werden.<br />

Dieses Ergebnis ist wenig befriedigend, muss aber angesichts des eindeutigen<br />

Gesetzeswortlauts und im Interesse der Wahrung des Prinzips der<br />

strikten Trennung notarieller und sonstiger Tätigkeit so hingenommen werden.<br />

Außerdem hätte die Sozietät des Notars die Möglichkeit, bei sorgfältiger<br />

und vor allem zeitnaher Führung der Dokumentation zur Einhaltung der<br />

Mitwirkungsverbote den möglichen Konfliktfall zu erkennen und den Ak-<br />

47) Eylmann in Eylmann/Vaasen, § 3 BeurkG Rdn. 53.<br />

48) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 133.<br />

49) Arndt/Lerch/Sandkühler, § 16 Rdn. 32 ff.<br />

50) Beispiel von Sandkühler aus seinem – wie bereits ausgeführt – am 10. 5. 1999<br />

auf der Fortbildungsveranstaltung für Notarprüfer in Wildeshausen gehaltenen Vortrag.<br />

DNotZ 2002


424 Harborth/Lau<br />

tionär als anwaltlichen Mandanten abzuweisen, sobald er sein Anliegen<br />

vorgetragen hat.<br />

e) Fragepflicht bei Errichtung berichtigender oder abändernder oder<br />

aufhebender Urkunden: Zweifel, ob der Vorbefassungsvermerk anzubringen<br />

ist, sind deshalb angebracht, weil die Frage ja schon bei der Ursprungsurkunde<br />

gestellt worden ist. Vielfach wird Adressat der Frage nach der Vorbefassung<br />

auch nicht der Urkundsbeteiligte sein, sondern eine in der Ausgangsurkunde<br />

bevollmächtigte Mitarbeiterin des Notars. Diese wird, wenn<br />

sie erst kurze Zeit bei dem Notar beschäftigt ist, die Frage nach einer lange<br />

zurückliegenden – nämlich aus der Zeit vor Beginn einer entsprechenden<br />

Dokumentation durch den Notar stammenden – Vorbefassung ohnehin nicht<br />

beantworten können. Im Übrigen wird sie nur das sagen können, was die<br />

Abfrage in den gemäß § 28 BNotO zu führenden Verzeichnissen ergeben<br />

hat; in der Regel weiß sie also bestenfalls das, was im Büro des Notars<br />

ohnehin bekannt ist.<br />

Trotzdem sollte auch in derartigen Fällen die Frage nach der Vorbefassung<br />

gestellt werden, und zwar aus folgenden Gründen:<br />

Handelt es sich um eine langjährige Mitarbeiterin und wird ein oft noch<br />

junger Notarvertreter tätig, dann weiß diese Mitarbeiterin möglicherweise<br />

noch Dinge aus der Zeit vor dem Beginn einer EDV-gestützten Mandantendokumentation<br />

und kann den Notarvertreter so u. U. vor Fehlern bewahren.<br />

Wenn das Personal weiß, dass der Vorbefassungsvermerk in jede Urkunde<br />

hineingehört, dann ist seine Anbringung Routine. Die birgt zwar, wie<br />

wir alle wissen, auch die Gefahr in sich, dass man mit dem Nachdenken<br />

aufhört und deshalb Fehler macht. Umgekehrt wird er auch nicht vergessen<br />

oder aufgrund einer fehlerhaften rechtlichen Bewertung nicht angebracht.<br />

3.8. Nr. 8<br />

Die Vorschrift bestimmt ein Mitwirkungsverbot für den Fall, dass es sich<br />

um die Angelegenheit einer Person handelt, die den Notar in derselben<br />

Angelegenheit bevollmächtigt hat oder zu der er in einem ständigen Dienstoder<br />

ähnlichen Geschäftsverhältnis steht.<br />

Die Vorschrift ist im Verhältnis zu § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG subsidiär 51 .<br />

Das hat zur Folge, dass die Vorschrift nur einen kleinen Anwendungsbereich<br />

hat:<br />

Sie betrifft den Fall, dass der Notar zwar vor der Beurkundung als<br />

Rechtsanwalt bevollmächtigt worden, aber noch nicht tätig geworden ist 52 .<br />

Ferner soll sie den Fall betreffen, dass der Notar in seiner Eigenschaft als<br />

Notar vorher bevollmächtigt worden ist 53 . Das führt aber zu einem widersinnigen<br />

Ergebnis: Wenn der Notar vorher in dieser Eigenschaft tätig war,<br />

darf er gleichwohl beurkunden, ohne dass ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1<br />

Satz 1 Nr. 7 BeurkG vorliegt. Dann ist nicht einzusehen, warum die bloße<br />

Bevollmächtigung die Beurkundung hindern soll 54 .<br />

51) Mihm, DNotZ 1999, 8/21 f.<br />

52) Harder/Schmidt, DNotZ 1999, 949/965; Vaasen/Starke, DNotZ 1998, 661/672.<br />

53) Harder/Schmidt, DNotZ 1999, 949/965.<br />

54) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 148.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 425<br />

4. § 3 Abs. 2 BeurkG<br />

Erste Alternative: Es handelt sich um eine Angelegenheit mehrerer Personen,<br />

und der Notar ist in dieser Angelegenheit früher als gesetzlicher<br />

Vertreter oder Bevollmächtigter tätig gewesen. Grundsätzlich liegt damit<br />

ein Fall des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BeurkG vor 55 , so dass der Notar nicht<br />

tätig werden darf. Lediglich wenn die vorangegangene Tätigkeit im Auftrag<br />

aller Personen ausgeübt wurde, die an der Beurkundung beteiligt sein<br />

sollen, besteht kein Mitwirkungsverbot. Dann aber besteht die Belehrungspflicht<br />

nach § 3 Abs. 2 1. Altern. BeurkG. Dies dürfte im Wesentlichen der<br />

gesamte Anwendungsbereich dieser Vorschrift sein.<br />

Zweite Alternative: Der Notar ist für eine der beteiligten Personen in<br />

anderer Sache als Bevollmächtigter tätig.<br />

Beispiel: Der Notar soll einen Grundstückskaufvertrag beurkunden, an<br />

dem A. und B. beteiligt sind. Er vertritt den A. gleichzeitig in einem<br />

Rechtsstreit, den dieser mit seinem Arbeitgeber hat.<br />

Kein Fall des § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 BeurkG, da es sich bei dem Grundstückskaufvertrag<br />

und dem Arbeitsrechtsstreit nicht um dieselbe Angelegenheit<br />

handelt. Aber es besteht die Hinweis-, Frage- und Vermerkpflicht<br />

nach § 3 Abs. 2 BeurkG. (Wenn die anwaltliche Tätigkeit bereits beendet<br />

war, entfällt die Hinweispflicht pp. 56 .)<br />

II. 1. Bei der Novellierung des Berufsrechts hat der Gesetzgeber nicht<br />

nur die Mitwirkungsverbote erweitert, sondern außerdem dem Notar aufgegeben,<br />

durch geeignete Vorkehrungen ihre Einhaltung sicherzustellen<br />

(§ 28 BNotO). Den Notarkammern obliegt es, durch Richtliniensatzungen<br />

nähere Regelungen über die Art der Vorkehrungen zu treffen (§ 67 Abs. 2<br />

Satz 3 Nr. 6 BNotO). Abschnitt VI Nr. 1.2 der Richtlinienempfehlungen<br />

vom 29. 1. 1999 57 , die die <strong>Bundesnotarkammer</strong> gemäß § 78 Abs. 1 Satz 2<br />

Nr. 5 BNotO beschlossen hat, lautet: „Der Notar hat als Vorkehrungen i. S.<br />

des § 28 BNotO Beteiligtenverzeichnisse oder sonstige zweckentsprechende<br />

Dokumentationen zu führen, die eine Identifizierung der in Betracht<br />

kommenden Personen ermöglichen.‘‘ Die Notarkammern Mecklenburg-<br />

Vorpommern, Koblenz und Pfalz haben zu der Thematik keine Regelung<br />

getroffen 58 . Nach Abschnitt VI Nr. 1.1 der Richtliniensatzung der Notarkammer<br />

Thüringen 59 hat der Notar sich vor Übernahme einer notariellen<br />

Amtstätigkeit zu vergewissern, dass Kollisionsfälle i. S. des § 3 Abs. 1<br />

BeurkG nicht bestehen; daran anknüpfend lautet Nr. 1.2: „Dazu hat er<br />

erforderlichenfalls Beteiligtenverzeichnisse oder sonstige zweckentspre-<br />

55) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 172.<br />

56) Keidel/Winkler, § 3 Rdn. 176.<br />

57) Abgedr. bei Eylmann/Vaasen, S. 1071/1073.<br />

58) Berufsrichtlinien der Notarkammer Mecklenburg-Vorpommern vom 23. 6.<br />

1999/9. 2. 2000; Richtlinien zur näheren Bestimmung der Amtspflichten und sonstigen<br />

Pflichten der Mitglieder der Notarkammer Koblenz vom 23. 10. 1999/28. 4. 2001;<br />

Richtlinien zur näheren Bestimmung der Amtspflichten und sonstigen Pflichten der Mitglieder<br />

der Notarkammer Pfalz vom 30. 10. 1999/18. 6. 2001.<br />

59) Richtlinien für die Amtspflichten und sonstigen Pflichten der Mitglieder der Notarkammer<br />

Thüringen vom 9. 6. 1999.<br />

DNotZ 2002


426 Harborth/Lau<br />

chende Dokumentationen zu führen, die eine Identifizierung der in Betracht<br />

kommenden Personen ermöglichen.‘‘ Die Richtliniensatzungen der Notarkammern<br />

Bremen, Brandenburg und Hamm 60 verzichten auf den Relativsatz:<br />

„Als Vorkehrungen (bzw. Vorkehrung) i. S. des § 28 BNotO kommen<br />

insbesondere ein Beteiligtenverzeichnis oder eine sonstige zweckentsprechende<br />

Dokumentation in Betracht.‘‘ Die Notarkammer Sachsen hat kürzlich<br />

eine – nicht unproblematische – Satzungsänderung beschlossen: „Der<br />

Notar bestimmt geeignete Vorkehrungen i. S. des § 28 BNotO nach seinem<br />

pflichtgemäßen Ermessen‘‘ 61 .<br />

Da die Kammersatzungen ebenso wie § 28 BNotO keine näheren Regelungen<br />

zu Inhalten und Form der Dokumentationen enthalten, hatte das für<br />

die Dienstordnung bundesweit federführende Land Niedersachsen in § 15<br />

des Musterentwurfs für die neue Dienstordnung die Regelung von Mindestanforderungen<br />

an die Inhalte der Dokumentationen vorgeschlagen: „Die<br />

Vorkehrungen zur Einhaltung der Mitwirkungsverbote nach § 3 Abs. 1 Nr. 7<br />

und Nr. 8 erste Alternative, Abs. 2 BeurkG genügen § 28 BNotO und den<br />

Richtliniensatzungen nach § 67 Abs. 2 Satz 3 Nr. 6 BNotO, wenn sie zumindest<br />

die Identität der Personen, für welche die Notarin oder der Notar oder<br />

eine Person i. S. von § 3 Abs. 1 Nr. 4 BeurkG außerhalb ihrer Amtstätigkeit<br />

bereits tätig war oder ist oder welche die Notarin oder der Notar oder eine<br />

Person i. S. von § 3 Abs. 1 Nr. 4 BeurkG bevollmächtigt haben, zweifelsfrei<br />

erkennen lassen und den Gegenstand der Tätigkeit in ausreichend kennzeichnender<br />

Weise angeben. Die Angaben müssen einen Abgleich mit der Urkundenrolle<br />

und den Namensverzeichnissen im Hinblick auf die Einhaltung der<br />

Mitwirkungsverbote ermöglichen. Soweit die Notarin oder der Notar Vorkehrungen,<br />

die diese Voraussetzungen erfüllen, zur Einhaltung anderer gesetzlicher<br />

Regelungen trifft, sind zusätzliche Vorkehrungen nicht erforderlich.‘‘<br />

Die Dienstordnungen der Länder sind dem Musterentwurf gefolgt;<br />

dabei wurde in Satz 1 meist das Wort „Richtliniensatzungen‘‘ durch den<br />

Hinweis auf die im jeweiligen Land geltenden Kammersatzungen ersetzt 62 ;<br />

die Dienstordnung in Mecklenburg-Vorpommern verweist nur auf § 28<br />

BNotO; Bayern hat den Musterentwurf unverändert übernommen 63, 64 .<br />

60) Richtlinien für die Amtspflichten und sonstigen Pflichten der Mitglieder der Bremer<br />

Notarkammer vom 2. 2. 2000; Richtlinien für die Amtspflichten und sonstigen<br />

Pflichten der Mitglieder der Notarkammer Brandenburg vom 22. 11. 1999; Richtlinien<br />

der Notarkammer für den Oberlandesgerichtsbezirk Hamm vom 9. 6. 1999.<br />

61) Richtlinien für die Berufsausübung vom 5. 2. 1999/8. 6. 2001.<br />

62) In Form der statischen Verweisung auf die im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der<br />

Dienstordnung geltende Richtliniensatzung, so in Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg,<br />

Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen,<br />

Sachsen-Anhalt, oder in Form der dynamischen Verweisung auf die jeweils geltende<br />

Richtliniensatzung, so in Schleswig-Holstein und Thüringen.<br />

63) Die Dienstordnung ist hinsichtlich des Anwaltsnotariats und des Nur-Notariats in<br />

allen Ländern bekannt gemacht worden; die Umsetzung für die baden-württembergischen<br />

Notare im Landesdienst steht noch aus (Stand November 2001); eine „konsolidierte<br />

Fassung‘‘ ist im Internet unter www.bnotk.de auffindbar.<br />

64) Die Darstellung von Maaß, ZNotP 2001, 330/332, zur Fassung des § 15 DONot<br />

in den einzelnen Dienstordnungen der Länder trifft nicht zu.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 427<br />

2. Die Aufsicht über die Einhaltung der Mitwirkungsverbote wird nicht<br />

gerade dadurch erleichtert, dass die Verbindlichkeit von § 15 DONot bestritten<br />

und gelegentlich auch die Vereinbarkeit der Richtlinien mit § 28<br />

BNotO in Frage gestellt wird. Die Bedenken werden jedoch zu Unrecht<br />

erhoben.<br />

2.1. Die genaue Bestimmung des Verhältnisses von Gesetz, Richtlinien<br />

und Dienstordnung zueinander hängt zunächst von der Beantwortung der<br />

Frage ab, worauf sich die Verbindlichkeit der Dienstordnung gründet. Die<br />

Dienstordnung enthält unterschiedliche Arten von Regelungen 65 ; die Legitimation<br />

der Landesjustizverwaltungen zu ihrem Erlass ist von der Art der<br />

Regelung abhängig 66 .<br />

§ 15 DONot gehört zu der Gruppe jener Dienstordnungs-Regelungen,<br />

die sich mit dem laufenden Geschäftsbetrieb im Notariat befassen. Dazu<br />

gehören die Vorschriften über<br />

– die Dokumentation der Amtsgeschäfte, insbesondere darüber, welche<br />

Unterlagen wie geführt und wie lange sie aufbewahrt werden müssen,<br />

– die Gestaltung einzelner Geschäftsabläufe (die Führung der Unterlagen<br />

in der Geschäftsstelle, die Behandlung von notariell verwahrten Erbverträgen,<br />

die Bedingungen zur Führung von Anderkonten, die Herstellung<br />

der Urkunden als körperliche Gegenstände, ihre äußere Gestaltung als<br />

Schriftstücke 67 und ihre Kennzeichnung),<br />

– die Erkennbarmachung des Notariats nach außen durch Unterschrift,<br />

Siegel und Schilder 68 .<br />

Gleich geartete Regelungen finden sich in den Aktenordnungen und den<br />

Aufbewahrungsbestimmungen für die Gerichte, Staatsanwaltschaften und<br />

Verwaltungsbehörden, in den Geschäftsordnungen für die Geschäftsstellen<br />

der Gerichte und Staatsanwaltschaften sowie für die Grundbuchämter, in<br />

den Ausführungsbestimmungen zu den Landeshaushaltsordnungen oder in<br />

den Justizkassenordnungen. Die Regelungen der Dienstordnung zum laufenden<br />

Geschäftsbetrieb bilden die Aktenordnung und die Geschäftsordnung<br />

des Notariats, die sich Notarinnen und Notaren nicht selbst geben<br />

können, sondern die ihnen durch staatliche Regelungen vorgegeben wird 69 .<br />

65) Die Typisierung der Dienstordnungsvorschriften folgt im Ansatz der grundlegenden<br />

Monographie von Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968,<br />

250 ff.; vgl. ferner Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, 11. Aufl., 1999, § 24<br />

Rdn. 23 ff.<br />

66) So auch Bohrer, Das Berufsrecht der Notare, 1991, Rdn. 172.<br />

67) §§ 28 Abs. 1, 29 Abs. 4 DONot.<br />

68) Die Regelungen über Siegel, Amtsschild und das Landeswappen auf dem „Kombinationsschild‘‘<br />

(§§ 2 Abs. 1 und 3 Satz 1, 3 Abs. 1 und 2 Satz 3) gehören dem notariellen<br />

Dienstrecht und zugleich dem Staatshoheitsrecht an. Die Führung von Hoheitszeichen<br />

ist Gegenstand des Staatshoheitsrechts des Bundes bzw. der einzelnen Länder<br />

(vgl. Jarass/Pieroth, GG, 5. Aufl., 2000, Art. 22 Rdn. 1, Art. 70 Rdn. 8 f.; Huber in<br />

Sachs, Grundgesetz, Art. 22 Rdn. 5; Neumann, Die Niedersächsische Verfassung,<br />

3. Aufl., 2000, Art. 1 Rdn. 19). Die Dienstordnung setzt die Befugnisse und Bindungen,<br />

die das Staatshoheitsrecht begründet, in notarielles Berufsrecht um und schafft damit<br />

die Möglichkeit dienstrechtlicher Kontrolle und Sanktionierung.<br />

69) Vgl. Schippel, Bundesnotarordnung, 7. Aufl., 2000, § 118 Rdn. 29.<br />

DNotZ 2002


428 Harborth/Lau<br />

Ebenso wie die Regelungen zur Urkundenrolle, zu Verwahrungs- und<br />

Massenbuch und zu den Namensverzeichnissen begründet auch § 15<br />

DONot Dokumentationspflichten. Diese Pflichten dienen keinesfalls nur<br />

der Erleichterung der Aufsicht. Urkundenrolle, Verwahrungsbuch und Massenbuch<br />

sollen im Interesse des rechtsuchenden Publikums gewährleisten,<br />

dass alle notariellen Urkunden aufbewahrt und wieder aufgefunden werden,<br />

dass die Notariatsakten die Abläufe geordnet wiedergeben und dass die<br />

Abwicklung der Verwahrungsgeschäfte durch Belege nachgewiesen und<br />

nachvollziehbar dokumentiert wird. Die Führung von Dokumentationen<br />

über außernotarielle Mandanten des Notars und seiner Sozien soll durch<br />

eine entsprechende Gestaltung der notariatsinternen Organisation die Einhaltung<br />

der Mitwirkungsverbote sichern.<br />

2.2. Die Verbindlichkeit der Dienstordnung, von der auch die ganz herrschende<br />

Meinung ausgeht 70 , wird meist damit begründet, dass die Notarinnen<br />

und Notare der Aufsicht des Landes unterstünden 71 . Aus der Aufsichtsbefugnis<br />

folgt jedoch nicht das Recht zur Aufstellung von Regeln<br />

über den laufenden Geschäftsbetrieb, sondern nur das Recht (und die<br />

Pflicht) zur Kontrolle und zur Durchsetzung anderweit vorgegebener Pflichten<br />

und Bindungen 72 . § 93 Abs. 2 BNotO verleiht den Landesjustizverwaltungen<br />

nicht etwa die Befugnis zur Festlegung von Kriterien für die „ordnungsgemäße<br />

Erledigung der Amtsgeschäfte‘‘, sondern setzt nach seinem<br />

Wortlaut die Existenz von Maßstäben, an denen die Ordnungsmäßigkeit<br />

gemessen werden kann, voraus.<br />

Die Befugnis der Landesjustizverwaltungen zu Regelungen des laufenden<br />

Geschäftsbetriebs der Notariate ergibt sich vielmehr aus der Organisationsgewalt<br />

der Exekutive 73, 74 . Dass leitende Organe und übergeordnete<br />

70) BGH st. Rspr., DNotZ 1993, 465/467; OLG Celle, Senat für Notarsachen, DNotZ<br />

1989, 55/56; Schippel, § 118 Rdn. 35; Schippel/Lemke, § 93 Rdn. 16; Arndt/Lerch/<br />

Sandkühler, § 14 Rdn. 21 f.; Weingärtner/Schöttler, Dienstordnung für Notarinnen und<br />

Notare, 8. Aufl., 2000, Rdn. 5 ff., 8; Huhn/von Schuckmann, D Vorbem. Rdn. 10; Kanzleiter,<br />

DNotZ 1972, 519 f.; die Verbindlichkeit grundsätzlich bejahend auch Stockebrand<br />

in Eylmann/Vaasen, § 95 BNotO Rdn. 10; Vaasen in Eylmann/Vaasen, BNotO, Einl. 3;<br />

zweifelnd hinsichtlich der Regelungen zur notariellen Amtstätigkeit Eylmann in Eylmann/Vaasen,<br />

BeurkG, Einl. 9; lediglich Bohrer, aaO, Rdn. 172 ff., 200, zieht die Bindungskraft<br />

der Dienstordnung als Ganzes in Zweifel und lässt sie nur für einzelne Regelungsbereiche<br />

gelten (s. dazu Fußn. 18).<br />

71) BGH, DNotZ 1972, 551/552; Schippel/Lemke, § 93 Rdn. 16; Arndt/Lerch/<br />

Sandkühler, § 14 Rdn. 21 f.; Kanzleiter, DNotZ 1972, 519; vgl. auch Vaasen in Eylmann/Vaasen,<br />

BNotO, Einl. 3.<br />

72) Vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 455 f.; Bohrer, aaO,<br />

Rdn. 173.<br />

73) Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 253, 453 ff., 455; ders.,<br />

Handbuch des Staatsrechts, Bd. III, 1988, § 65 Rdn. 14-16; zum Ganzen ferner statt<br />

anderer Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 24 Rdn. 22 ff.; zur Dienstordnung<br />

ebenso BGH, DNotZ 1977, 488/489; OLG Celle, Senat für Notarsachen, DNotZ<br />

1989, 55/56.<br />

74) Nicht gefolgt werden kann der Meinung von Bohrer, aaO, Rdn. 175 ff., wonach<br />

der Geltungsgrund für die Dienstordnungs-Regelungen über die Herstellung der Urkunden,<br />

über die zugehörigen Akten, über die Siegel und „Karteien‘‘ darin zu sehen ist,<br />

dass die Urkunden des Notars öffentliche Sachen seien (ähnlich Wolfsteiner, DNotZ<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 429<br />

Behörden die Rahmenbedingungen für staatliche Aufgabenerfüllung, nämlich<br />

den laufenden Dienstbetrieb der ihnen nachgeordneten Amtswalter und<br />

Behörden, regeln, ist ständige Verwaltungspraxis. Es bedarf hierfür keiner<br />

gesetzlichen Ermächtigung; nicht nur der Gesetzgeber, sondern auch die<br />

Exekutive kann aus originärer Zuständigkeit Organisationsregelungen erlassen<br />

75 . Überträgt der Staat – wie hier – Aufgaben, die er selbst erfüllen<br />

müsste, an Träger öffentlicher Ämter außerhalb des Behördenapparates,<br />

behält er gleichwohl die Verantwortung für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung<br />

76 und kann daher nicht auf die bloße Kontrolle beschränkt werden,<br />

sondern muss die Aufgabenerledigung auch weiterhin jedenfalls in<br />

dem Maße beeinflussen können, wie es die fortbestehende Verantwortung<br />

erfordert. Bliebe es jeder Notarin und jedem Notar überlassen, wie die<br />

Nebenakten geführt, wie lange Urkunden und Akten aufbewahrt, wie die<br />

Urkunden in Registern erfasst werden, ob eine geordnete notarielle Buchführung<br />

für die Verwahrungsgeschäfte vorgenommen wird oder ob das<br />

Notariatspersonal nur die Bankbelege sammelt und irgendwie abheftet usw.,<br />

wäre die staatliche Kontrolle ständiger Diskussion darüber ausgesetzt, ob<br />

die konkrete Art der Erledigung der internen Geschäftsabläufe „ordnungsgemäß‘‘<br />

war. Hinsichtlich der Bücher- und Registerführung wäre der Staat<br />

letztlich auf das angewiesen, was die Anbieter von Vordrucken und Notariatssoftware,<br />

die Verfasser von Kommentaren und Handbüchern vorschlagen,<br />

und hätte nicht die Gewähr, dass diese Vorschläge die Sicherheit und<br />

Kontrollierbarkeit des inneren Geschäftsbetriebs und seiner Ergebnisse hinreichend<br />

gewährleisteten. Die Entstehungsgeschichte der Dienstordnung<br />

und die nahezu allgemeine 77 Akzeptanz ihrer Verbindlichkeit zeigen denn<br />

auch, dass die Bindung der Notarinnen und Notare an Vorgaben der Exekutive<br />

zum laufenden Geschäftsbetrieb ungeachtet der notariellen Unabhängigkeit<br />

seit jeher zum Inhalt des öffentlichen Amtes gehörte 78 .Dienota-<br />

1990, 531/532). „Öffentliche Sachen‘‘, die durch ihren Gebrauch dem Gemeinwohl oder<br />

den eigenen Bedürfnissen der öffentlichen Verwaltung zu dienen bestimmt sind (vgl.<br />

statt anderer Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 2, 6. Aufl., 2000, § 75 Rdn. 1),<br />

haben mit der „öffentlichen Urkunde‘‘ i. S. von § 415 ZPO nichts zu tun. Auch für die<br />

Auffassung, wonach die Urkunde im Eigentum des Staates stehe (Ertl, DNotZ 1967,<br />

339/358; Wolfsteiner, aaO; Mecke/Lerch, Beurkundungsgesetz, 2. Aufl., 1991, § 45 Rdn.<br />

1; Kuntze/Ertl/Herrmann/Eickmann, Grundbuchrecht, 5. Aufl., 1999, § 19 GBO Rdn.<br />

240), ist keine Begründung ersichtlich (s. auch Huhn/von Schuckmann, § 45 Rdn. 2;<br />

Keidel/Winkler, § 45 Rdn. 4); § 45 BeurkG gibt dafür nichts her.<br />

75) Vgl. Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, 1968, 250 ff., 276;<br />

BVerfGE 8, 155/166 ff.; 26, 338/396 f.<br />

76) BVerfGE 17, 371/379 = DNotZ 1964, 424/428.<br />

77) Siehe Fußn. 70.<br />

78) Verwaltungsvorschriften, die z. B. die Führung der Urkundenrolle, des Verwahrungsbuches<br />

und des Massenbuches und die Anlage der Urkundensammlung detailliert<br />

regelten, gab es seit 1937 für das gesamte damalige Reichsgebiet, nämlich die Dienstordnung<br />

für Notare (DONot), AV d. RJM v. 5. 6. 1937 (Deutsche Justiz, S. 874) (vgl.<br />

Weingärtner/Schöttler, Rdn. 1). § 20 der Reichsnotarordnung v. 13. 2. 1937 (RGBl. I,<br />

191) enthielt hierfür eine Ermächtigungsgrundlage, die wegen der Überführung des auf<br />

landesgesetzlicher Regelungen beruhenden Gebiets des Notarrechts auf das Reich erforderlich<br />

geworden war und die durch Art. 1 Nr. 13 des Gesetzes über Maßnahmen auf<br />

DNotZ 2002


430 Harborth/Lau<br />

rielle Unabhängigkeit umfasste nie den Bereich des innerdienstlichen Betriebs<br />

79 . Die Unabhängigkeit des Notars wurde erstmals in § 1 der Bundesnotarordnung<br />

v. 16. 2. 1961 (BGBl. I, 77) ausdrücklich geregelt 80 ; im<br />

gleichen Jahr haben die Landesjustizverwaltungen mit Zustimmung der<br />

<strong>Bundesnotarkammer</strong> den Notaren erneut eine Dienstordnung mit Regelungen<br />

zur Dokumentation und zum internen Geschäftsbetrieb vorgegeben 81<br />

und damit bekräftigt, dass in diesem Bereich der Notar zur Befolgung der<br />

Vorgaben der Landesjustizverwaltung genauso verpflichtet ist, wie die öffentlichen<br />

Bediensteten organisatorische Verwaltungsvorschriften zu befolgen<br />

haben 82 . Das öffentliche Amt wird von vornherein nur mit der Maßgabe<br />

verliehen, dass der laufende Geschäftsbetrieb durch die Exekutive geregelt<br />

werden kann 83 . Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist dieser Bereich der<br />

Berufsfreiheit ebenso entzogen wie etwa die Festsetzung der Zahl der<br />

Notarstellen 84 oder die Entscheidung über die Notariatsform 85 .<br />

2.3. Wollte man die Vorschriften zum inneren Geschäftsbetrieb im Notariat<br />

gleichwohl an Art. 12 GG messen, so hielten sie allerdings auch dieser<br />

Prüfung stand.<br />

a) Inhaltlich werden die Regelungen den Anforderungen des BVerfG an<br />

die Verfassungsmäßigkeit von Eingriffen in die Berufsausübung gerecht.<br />

Sie verfolgen vernünftige Zwecke, sind geeignet und erforderlich, um diese<br />

Zwecke zu erreichen, und der Eingriff ist schon deshalb zumutbar, weil die<br />

Vorschriften auch den Interessen der Notare dienen, indem sie einen geordneten<br />

Geschäftsbetrieb sichern, das Vertrauen in den Notarstand fördern<br />

und dazu beitragen, den einzelnen Notar vor Schadensersatz zu bewahren 86 .<br />

dem Gebiet des Notarrechts v. 16. 2. 1961 (BGBl. I, 77), d. h. in der ersten Fassung der<br />

Bundesnotarordnung, mit der Begründung gestrichen wurde, dass eine Ermächtigungsgrundlage<br />

wegen der auf Art. 84 GG beruhenden Regelungskompetenz der Länder nicht<br />

mehr erforderlich sei (Gesetzesbegründung, vgl. BT-Drucks. 219/3. Wahlperiode, S. 23<br />

zu Nr. 11 Buchst. a; vgl. auch Saage, DNotZ 1961, 116/142 f.). Unter dem 6. 3. 1961<br />

wurde dann von den Landesjustizverwaltungen der alten Bundesländer einheitlich die<br />

erste Fassung der Dienstordnung für Notare (DONot) erlassen (Saage, „Bundesnotarordnung‘‘,<br />

1961, 29).<br />

79) Schippel, DNotZ 1965, 595, 596, 602.<br />

80) BT-Drucks. 219/3. Wahlperiode, S. 18; vgl. Saage, DNotZ 1961, 116/118; Schippel,<br />

DNotZ 1965, 595.<br />

81) Vgl. Fußn. 78.<br />

82) § 55 BBG; vgl. statt anderer Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 24<br />

Rdn. 25; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 285 f.; ob man mit<br />

Schippel, § 14 Rdn. 6, die Verpflichtung des Notars zur Beachtung der Dienstordnung<br />

aus § 14 Abs. 3 BNotO herleitet, ist aus unserer Sicht nicht entscheidend.<br />

83) Vgl. etwa BVerfGE 17, 371/380 = DNotZ 1964, 424/429; BVerfGE 73, 280/292<br />

= DNotZ 1987, 121/123.<br />

84) Vgl. BVerfGE 17, 371/377 ff. = DNotZ 1964, 424/427 ff.; BVerfGE 73, 280/292<br />

= DNotZ 1987, 121/123.<br />

85) BVerfGE 16, 6/21 ff., insbes. 22 = DNotZ 1963, 621/625 ff., insbes. 627; ähnlich<br />

BVerfGE 17, 385/387 = DNotZ 1964, 430/432: Der Staat habe „kraft Hoheitsgewalt‘‘<br />

die Befugnis, über die Form des Notariats zu entscheiden.<br />

86) Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit des Eingriffs in<br />

die Berufsausübungsfreiheit s. statt anderer Jarass/Pieroth, Art. 12 Rdn. 27-32; ferner<br />

BVerfGE, DNotZ 1995, 772/773; 1996, 471/473 f.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 431<br />

Im Übrigen darf nicht außer Betracht bleiben, dass Art. 12 Abs. 1 Satz 1<br />

GG für Notarinnen und Notare nicht uneingeschränkt gilt, sondern dass<br />

diese wegen ihrer Nähe zum öffentlichen Dienst in Anlehnung an Art. 33<br />

Abs. 5 GG engeren Beschränkungen unterstellt werden können, als dies für<br />

andere Berufe – etwa für den Rechtsanwalt oder für andere Freiberufler –<br />

möglich wäre 87 .<br />

b) Allerdings bedarf nach Art. 12 Abs. 1 GG Satz 2 GG ein Eingriff in<br />

die Berufsfreiheit grundsätzlich einer gesetzlichen Grundlage und eine<br />

Verwaltungsvorschrift reicht regelmäßig nicht aus 88 . Die Dienstordnung<br />

wird als Verwaltungsvorschrift 89 von den einzelnen Landesjustizverwaltungen<br />

für ihren Geschäftsbereich erlassen; eine ausdrückliche gesetzliche<br />

Grundlage hat sie nicht. Nach der Rechtsprechung des BVerfG gilt die<br />

Möglichkeit zum Erlass von Sonderregelungen in Anlehnung an Art. 33<br />

Abs. 5 GG nur für den Inhalt der Regelungen, nicht für deren Form 90 .<br />

Bisher fehlt es allerdings an einer Begründung dafür, warum trotz der<br />

Nähe des Amtes zum öffentlichen Dienst der Gesetzesvorbehalt uneingeschränkt<br />

gilt 91 . Die Nähe des Amtes zum öffentlichen Dienst, die durch<br />

die Aufgabenstellung des Notars bedingt ist und in seinem Status 92 zum<br />

Ausdruck kommt, bedingt nach unserer Auffassung auch, dass es grundsätzlich<br />

nicht der Staat in Gestalt des Gesetzgebers, sondern der Staat in<br />

Gestalt der Exekutive ist, der dem Notar interne Geschäftsabläufe vorschreiben<br />

darf. Hier gilt zum einen, dass es die Exekutive ist, welche die<br />

Verantwortung für den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb trägt, zum anderen,<br />

dass nicht alles und jedes Sache des Gesetzgebers sein kann. Soll der<br />

Gesetzesvorbehalt nicht leer laufen, müsste sich der Gesetzgeber mit einer<br />

Fülle von Kleinigkeiten zumindest in den Grundzügen befassen. Das Parlament<br />

wäre mit Dingen befasst, die seiner Bedeutung und Funktion<br />

87) Seit BVerfGE 7, 377/398 st. Rspr.; für Notarinnen und Notare s. BVerfGE 16,<br />

6/22 = DNotZ 1963, 621; BVerfGE 17, 371, 377, 379 = DNotZ 1964, 424/427;<br />

BVerfGE 47, 285/319 = DNotZ 1978, 412/418; BVerfGE 54, 237/246 = DNotZ 1980,<br />

556/559 f.; BVerfGE 69, 373/378 = DNotZ 1985, 776; BVerfGE 73, 280, 292, 294 =<br />

DNotZ 1987, 121/123; BVerfGE 80, 257/265 = DNotZ 1989, 623/625; s. aber zur neueren<br />

Rspr. noch nachstehend und Fußn. 96.<br />

88) Statt anderer Jarass/Pieroth, Grundgesetz, Art. 12 Rdn. 21 m. w. Nachw.; für das<br />

Notarrecht BVerfGE 80, 257/265 = DNotZ 1989, 623/625.<br />

89) Statt anderer Weingärtner/Schöttler, Rdn. 2; Arndt/Lerch/Sandkühler, § 14 Rdn.<br />

22; Schippel, § 118 Rdn. 28, jeweils m. w. Nachw.<br />

90) Für den Notarberuf seit BVerfGE 54, 237/245 f. = DNotZ 1980, 556/559 f. ohne<br />

Begründung st. Rspr.; BVerfGE 73, 280, 291, 294 f. = DNotZ 1987, 121/123; BVerfGE<br />

80, 257/265 = DNotZ 1989, 623/625; vgl. ferner BVerfGE 98, 49/59 = DNotZ 1998,<br />

754/760; DNotZ 2000, 787/789 = NJW 2000, 3486/3487.<br />

91) Auch Jäger, ZNotP 2001, 2, gibt keine Begründung.<br />

92) Die Nähe zum öffentlichen Dienst zeigt sich u. a. in einem Auswahlverfahren, bei<br />

dem Eignung, Befähigung und fachliche Leistung „nicht unberücksichtigt bleiben<br />

können‘‘ (BVerfGE 73, 280/295 = DNotZ 1987, 121/124), in dem Erfordernis der Treue<br />

zur Verfassung (BGH, DNotZ 1979, 362), in den Anforderungen an die Dienstfähigkeit<br />

(BGH, DNotZ 1976, 504/505), in der formellen Bestallung, dem erhöhten Schutz vor<br />

dem Amtsverlust, in der Unterordnung unter die staatliche Aufsicht, Prüfung der Amtsgeschäfte<br />

und Disziplinargewalt, in der Stellung als öffentliche Stelle im Sinne der Datenschutzgesetze<br />

(BGHZ 112, 178/181).<br />

DNotZ 2002


432 Harborth/Lau<br />

keinesfalls angemessen sind 93 . Anpassungen an moderne Entwicklungen<br />

– bspw. an den Einsatz neuer technischer Mittel im Notariat – würden sich<br />

in der Hand des Gesetzgebers (noch) schwerfälliger und langwieriger<br />

gestalten. Gerade praktische Abläufe und Verfahrensdetails kann die Exekutive<br />

sachnäher regeln.<br />

Soweit das BVerfG im Zusammenhang mit der verfassungsrechtlichen<br />

Beurteilung des Verbots von Auswärtsbeurkundungen hervorgehoben hat,<br />

§ 5 DONot (a. F.) könne als Verwaltungsvorschrift dem Gesetzesvorbehalt<br />

nicht genügen 94 , betraf dies eine Regelung zur Amtsausübung, die nichts<br />

mit der Verantwortung der Exekutive für die ordnungsgemäße Dokumentation<br />

und die äußere Abwicklung des regelmäßigen Dienstbetriebs zu<br />

tun hatte. Dennoch ist die neuere Rechtsprechung des BVerfG durchaus<br />

geeignet, Zweifel an der Verbindlichkeit der Dienstordnung zu wecken.<br />

Hatten frühere Entscheidungen die Nähe des Notaramtes zum öffentlichen<br />

Dienst noch hervorgehoben 95 , so misst das BVerfG seit der Entscheidung<br />

über die Inkompatibilität der Sozietät des Anwaltsnotars mit<br />

dem Steuerberater und dem Kammerrechtsbeistand die Zulässigkeit von<br />

Beschränkungen der Berufsfreiheit allein an Art. 12 GG 96 .Solangenoch<br />

aus den dort gegebenen Kriterien die Zulässigkeit einer Berufsrechtsbeschränkung<br />

abgeleitet wurde 97 , war dies hinnehmbar. In den letzten<br />

Entscheidungen zu dem notariellen Berufsrecht hat das BVerfG jedoch<br />

die Freiheit von Bindungen in den Vordergrund gestellt und darüber<br />

hinaus hinsichtlich des Anwaltsnotariats aus der Verbindung zwischen<br />

Notar- und Anwaltsberuf eher Freiheiten für den Notar denn umgekehrt<br />

93) Vgl. auch BVerfGE 8, 155/168 f.<br />

94) BVerfG, DNotZ 2000, 787/792 = NJW 2000, 3486/3488.<br />

95) BVerfGE 16, 6/22 = DNotZ 1963, 622/626; BVerfGE 47, 285/319 = DNotZ 1978,<br />

412/418; und – noch – DNotZ 1995, 772/773: „in die nächste Nachbarschaft des Beamten<br />

gerückt‘‘; BVerfGE 17, 371/379 = DNotZ 1964, 424/428: „dem öffentlichen Dienst<br />

sehr nahe gerückt‘‘; BVerfGE 17, 381/386 = DNotZ 1964, 430/432: „die für die Aufgaben<br />

des Notars . . . kennzeichnende Bindung an den Staat‘‘; BVerfGE 54, 237/246 =<br />

DNotZ 1980, 556/559; BVerfGE 73, 280/294 = DNotZ 1987, 121: „sachlich bedingte<br />

Nähe‘‘ der Tätigkeit zum öffentlichen Dienst; BVerfGE 73, 280/292 = DNotZ 1987,<br />

121: „besonders ausgeprägten Nachbarschaft zum öffentlichen Dienst‘‘; BVerfGE 80,<br />

257/265 = DNotZ 1989, 623/625: „Nähe des Berufs zum öffentlichen Dienst‘‘; abschwächend<br />

BVerfG, DNotZ 1993, 260 f. (insoweit in NJW 1993, 1575 nicht abgedr.);<br />

BVerfG, DNotZ 2000, 787/789 mit Anm. Eylmann = NJW 2000, 3486/3487; BVerfG,<br />

DNotZ 2000, 937/938 = NJW 2001, 670/671: „(unabhängiger) Träger (bzw. Inhaber)<br />

eines öffentlichen Amtes‘‘.<br />

96) Die Entscheidungen zur Sozietät des Anwaltsnotars mit dem Steuerberater und<br />

dem Kammerrechtsbeistand (BVerfGE 80, 269/278 ff. = DNotZ 1989, 627/628 ff.) und<br />

zur Höchstalterszugangsgrenze (DNotZ 1993, 260/261 ff. = NJW 1993, 1575 f.) haben<br />

die Zulässigkeit der Beschränkungen allein aus Art. 12 GG entnommen. Spätere Entscheidungen<br />

messen die Berufsfreiheitsbeschränkung ebenfalls allein an Art. 12, leiten<br />

aber die Unzulässigkeit des Eingriffs daraus ab (BVerfG, DNotZ 1998, 69/70 ff. = NJW<br />

1997, 2510 ff.; BVerfGE 98, 49/59 ff. = DNotZ 1998, 754/761 ff.; BVerfG, DNotZ 2000,<br />

787/789 ff. = NJW 2000, 3486 ff.). Die Entscheidung DNotZ 2000, 937/939 ff. = NJW<br />

2001, 670/671 ff. zum Berufszugang für eine ehemalige DDR-Richterin erwähnt zwar<br />

die engere Bindung des Notars aus Art. 33 GG, aber leitet hieraus keine Folgen ab.<br />

97) Vgl. Fußn. 96.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 433<br />

Bindungen für den Anwalt abgeleitet 98 . Der Notar steht aber auch heute<br />

noch „im Spannungsfeld zwischen Berufsfreiheit und staatlicher Gebundenheit‘‘<br />

99 . Die widersprechenden Grundsätze in ein angemessenes Verhältnis<br />

zu bringen, gelingt der Rechtsprechung des BGH zum Notarrecht sehr<br />

erfolgreich und war lange auch ein Kennzeichen der Rechtsprechung des<br />

BVerfG – besonders einprägsame Beispiele bilden etwa die Entscheidungen<br />

zum Notargebührenrecht 100 . Das BVerfG scheint jetzt im Begriff, das Berufsbild<br />

des Notars zum Freiberufler hin zu verschieben. Den Vorstellungen<br />

des Gesetzgebers des Dritten Gesetzes zur Änderung der Bundesnotarordnung<br />

und anderer Gesetze v. 31. 8. 1998 (BGBl. I, 2585, berichtigt BGBl.<br />

1999 I, 194) entspricht dies jedoch nicht. Die Stellung des Notars als Träger<br />

eines öffentlichen Amtes wurde durch die neuen Gesetzesregelungen verfestigt:<br />

Der Begriff „Beruf‘‘ wurde durch die Worte „Amt‘‘ und „Notaramt‘‘<br />

ersetzt 101 ; soweit Pflichten und Bindungen aus Dienstordnung und aus den<br />

Allgemeinen Richtlinien der <strong>Bundesnotarkammer</strong> für die Berufsausübung<br />

der Notare übernommen wurden 102 , wurden sie nicht gelockert 103 ;bestehende<br />

Bindungen wurden verdeutlicht (z.B. in §§ 14 Abs. 3 Satz 2, 9<br />

Abs. 3 BNotO), neue Sanktionen geschaffen (z.B. in § 50 Abs. 1 Nrn. 4, 5<br />

und 9 BNotO). Die Gesetzesbegründung hebt wiederholt hervor, dass der<br />

Notar Angehöriger eines staatlich gebundenen Berufs 104 , Träger eines öffentlichen<br />

Amtes sei und hoheitliche Befugnisse habe 105 .DieBindungan<br />

98) So schon angelegt in der „Logo-Entscheidung‘‘, BVerfG, DNotZ 1998, 69 = NJW<br />

1997, 2510 (von Schippel, DNotZ 1998, 74 f., und Starke, Die neuen Werbebestimmungen<br />

des notariellen Berufsrechts, in Festschrift für Bezzenberger, 2000, 611/612 ff.<br />

m. w. Nachw., zu Recht kritisiert); und weiter entwickelt in den Entscheidungen zur<br />

Wirtschaftsprüfersozietät (BVerfGE 98, 49/60 ff. = DNotZ 1998, 754/761 ff.) und zur<br />

Zulässigkeit von Auswärtsbeurkundungen (DNotZ 2000, 787/789 ff. = NJW 2000,<br />

3486 ff.).<br />

99) Rinne, AnwBl. 2000, 12/18.<br />

100) BVerfGE 47, 285 = DNotZ 1978, 412; BVerfGE 69, 373 = DNotZ 1985, 776;<br />

DNotZ 1995, 772; 1996, 471.<br />

101) BT-Drucks. 13/4184, S. 23/24.<br />

102) Übernahmen aus der Dienstordnung finden sich in Art. 1 Nr. 7 Buchst. c, Nr. 22<br />

§ 26 und § 32, Nr. 40, Art. 2 Nr. 4 und 6 des Gesetzes; nicht übernommen wurde die<br />

Regelung über die Beurkundungen außerhalb der Geschäftsstelle, aber innerhalb des<br />

Amtsbereichs (§ 5 Abs. 2 DONot a. F.; § 7 Satz 1 RLNot). Aus den Berufsrichtlinien<br />

wurden alle Regelungen, die sich nicht in bloßer Wiederholung des Gesetzestextes erschöpften<br />

und nicht schon früher in die BNotO übernommen worden waren, in Gesetzesrecht<br />

transformiert.<br />

103) Das wird auch aus der Gesetzesbegründung deutlich, vgl. z. B. BT-<br />

Drucks. 13/4184, S. 25 rechte Spalte, S. 26 rechte Spalte, S. 28 rechte Spalte, S. 37<br />

linke Spalte, S. 38 oben und vierter Absatz, S. 39 linke Spalte.<br />

104) BT-Drucks. 13/4184, S. 1 zu B, zweiter Absatz.<br />

105) „Träger eines öffentlichen Amtes‘‘; BT-Drucks. 13/4184, S. 19 rechte Spalte,<br />

S. 23/24, S. 27 rechte Spalte, S. 31 linke Spalte; „hoheitliche Befugnisse‘‘: aaO, S. 31<br />

rechte Spalte. Selbst im Zusammenhang mit dem Werbeverbot heißt es, das nach außen<br />

gerichtete Verhalten des Notars habe sich auch insoweit „den Anforderungen des von<br />

ihm wahrgenommenen Amtes und dessen Nähe zum öffentlichen Dienst auszurichten‘‘<br />

(aaO, S. 27 rechte Spalte). Im Grundsatz nicht anders äußert sich auch der Rechtsausschuss<br />

des Bundestages, vgl. BT-Drucks. 13/10589, S. 2 zu B, S. 36 rechte Spalte,<br />

S. 37 linke Spalte.<br />

DNotZ 2002


434 Harborth/Lau<br />

eine durch Verwaltungsvorschrift erlassene Dienstordnung wurde nicht<br />

grundsätzlich angetastet. Die Übernahme von Vorschriften aus der Dienstordnung<br />

und den Berufsrichtlinien erschien dem Gesetzgeber angesichts<br />

der Rechtsprechung des BVerfG zum Gesetzesvorbehalt angezeigt 1<strong>06</strong> und<br />

hatte nicht das Ziel, die bisher bestehenden, aus der Organisationsgewalt<br />

der Exekutive resultierenden Befugnisse der Landesjustizverwaltungen zu<br />

beseitigen. In der Begründung zu den Regelungen über die Verwahrungsgeschäfte<br />

im Beurkundungsgesetz heißt es, „Bestimmungen, die durch<br />

Dokumentationspflichten lediglich die Information der Aufsichtsbehörden<br />

bezwecken und damit der Durchführung der Aufsicht dienen‘‘, könnten<br />

die Landesjustizverwaltungen weiterhin durch Verwaltungsvorschrift erlassen<br />

107 , sowie die Vorschriften zur Führung von Massen- und Verwahrungsbuch<br />

und des Anderkontenverzeichnisses (§ 11 Abs. 3 bis 5 DONot a. F.)<br />

bedürften keiner gesetzlichen Regelung 108 . Der Bundesrat führt in seinem<br />

Vorschlag zur Aufhebung der Verordnung über die Tätigkeit von Notaren<br />

in eigener Praxis und zur entsprechenden Durchführungsverordnung noch<br />

klarer aus, dass für „die mehr technischen Regelungen der Dienstordnung<br />

für Notare eine Geltung im Range einer Verordnung nicht erforderlich‘‘<br />

sei; derartige Regelungen sollten in Zukunft auch in den neuen Ländern<br />

als Verwaltungsvorschrift der Landesjustizverwaltung erlassen werden, die<br />

dann auch „einfacher und schneller geändert‘‘ werden könnten 109 .<br />

Auch angesichts des Vertragsverletzungsverfahrens der Europäischen<br />

Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland zur Anwendbarkeit der<br />

Niederlassungsfreiheit und der Diplom-Anerkennungsrichtlinie 89/48/<br />

EWG 110 kann nur davor gewarnt werden, die tradierten Vorstellungen über<br />

die Tätigkeit des deutschen Notars zu verlassen und die Unterscheidung<br />

zwischen hoheitlicher Amtswaltung des Notars und anwaltlicher Berufsausübung<br />

zu verwischen. Nach Wortlaut und Begründung der letzten Berufsrechtsnovelle<br />

jedenfalls sind die Notarinnen und Notare unverändert Träger<br />

eines öffentlichen Amtes und stehen in einem engen Verhältnis zum Staat.<br />

Dass diese gesetzgeberischen Ziele verfassungswidrig waren, bedürfte der<br />

Begründung.<br />

3. In dem vorstehend geschilderten Kontext ist das Verhältnis von § 15<br />

DONot zu den Richtlinien der Notarkammern und zu § 28 BNotO zu sehen.<br />

1<strong>06</strong>) Der Regierungsentwurf nennt unterschiedliche Gründe für die einzelnen Übernahmen:<br />

wegen des statusbildenden Charakters, BT-Drucks. 13/4184, S. 24 linke Spalte,<br />

S. 24 rechte Spalte, wegen ihrer Wichtigkeit oder Bedeutung für die Amtsausübung,<br />

S. 19 linke Spalte, S. 37 rechte Spalte, S. 22 rechte Spalte, ähnlich auch S. 27 linke<br />

Spalte, wegen ihres berufsregelnden Charakters oder Eingriffscharakters, S. 28 rechte<br />

Spalte, S. 33 linke Spalte, wegen der Rspr. des BVerfG zum Gesetzesvorbehalt, S. 26<br />

linke Spalte, rechte Spalte, S. 36 linke Spalte.<br />

107) BT-Drucks. 13/4184, S. 37 rechte Spalte.<br />

108) BT-Drucks. 13/4184, S. 38 linke Spalte.<br />

109) BT-Drucks. 13/4184, Stellungnahme des Bundesrates, S. 49 linke Spalte; zustimmend<br />

die Gegenäußerung der Bundesregierung, S. 52 rechte Spalte, und die Beschlussempfehlung<br />

und der Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 13/10589, S. 40.<br />

110) Siehe BNotK-Intern 2/2001, 1 f.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 435<br />

Keines der bisher geäußerten Bedenken gegen § 15 DONot kann vor diesem<br />

Hintergrund überzeugen:<br />

3.1. Soweit § 28 BNotO eine Verpflichtung des Notars zur Anlage von<br />

Dokumentationen enthält 111 und § 67 Abs. 2 Satz 3 Nr. 6 BNotO die Notarkammern<br />

zur Konkretisierung dieser Verpflichtung ermächtigt, trifft er<br />

Regelungen zur inneren Organisation des Notariats, mithin in einem Bereich,<br />

der zur originären Zuständigkeit der Landesjustizverwaltungen gehört.<br />

Zu Unrecht wird aber daraus geschlossen, dass damit die alleinige<br />

Zuständigkeit für die Dokumentationen zur Absicherung der Mitwirkungsverbote<br />

auf die Notarkammern übergegangen und den Landesjustizverwaltungen<br />

jede Regelungskompetenz genommen sei 112 . Gesetzliche Regelungen,<br />

insbesondere in Verfahrens- und Zuständigkeitsfragen, die die originäre<br />

Ermessensfreiheit und die Befugnisse der Exekutive bei dem Erlass<br />

organisatorischer Regelungen einschränken und begrenzen, sind nichts Ungewöhnliches<br />

113 . Das bloße Vorhandensein derartiger gesetzlicher Regelungen<br />

begründet keine generelle Regelungssperre für die Exekutive; im Rahmen<br />

der gesetzlichen Vorgaben bleibt ihre Zuständigkeit erhalten 114 . Weder<br />

aus dem Wortlaut noch aus der Begründung 115 von §§ 28 und 67 Abs. 2<br />

Satz 3 Nr. 6 BNotO lässt sich entnehmen, dass dies hier anders sein sollte.<br />

Die Gesetzesbegründung liefert eher einen – kleinen – Hinweis auf die<br />

subsidiär fortbestehende Kompetenz der Exekutive; danach soll nämlich<br />

§ 28 BNotO einerseits den berufsrechtlichen Rang der Mitwirkungsverbote<br />

hervorheben, andererseits aber auch die effektive Überwachung durch die<br />

Aufsichtsbehörden ermöglichen 116 . Das Bundesministerium der Justiz und<br />

die Landesjustizverwaltungen haben im Zuge der Dienstordnungsnovellierung<br />

den Standpunkt vertreten, dass die Landesjustizverwaltungen im Rahmen<br />

von § 28 DONot und Abschnitt VI Nr. 1.2 Dienstordnungs-Regelungen<br />

treffen dürften, soweit die Gestaltungsfreiheit erhalten bliebe, die die<br />

Richtliniensatzungen dem Notar verliehen hätten 117 . Dem ist umso mehr zu<br />

folgen, als allein die Landesjustizverwaltungen die erforderlichen Erfahrungen<br />

mit dem Erlass und der Durchsetzung entsprechender Regelungen<br />

haben.<br />

3.2. Nach der hierarchischen Rangordnung der Rechtsquellen geht die<br />

gesetzliche Regelung des § 28 BNotO den Richtliniensatzungen vor und<br />

steht § 15 DONot als Verwaltungsvorschrift im Rang unterhalb der Rechts-<br />

111) BT-Drucks. 13/4184, S. 27 linke Spalte.<br />

112) So – beide ohne Begründung – Arndt/Lerch/Sandkühler, § 14 Rdn. 23, und<br />

Hartmann in Eylmann/Vaasen, § 67 Rdn. 37; ebenso Maaß, ZNotP 2001, 330/331 f.<br />

113) BVerfGE 26, 338/396 f.; 8, 155/168 für Regelungen zum Verwaltungsverfahren;<br />

Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 261 ff.<br />

114) Zum Ganzen Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften und Grundgesetz, S. 261 f.<br />

m. w. Nachw.; s. auch BVerfGE 40, 237/247 f.<br />

115) BT-Drucks. 13/4184, S. 27/31 f.<br />

116) BT-Drucks. 13/4184, S. 27 linke Spalte.<br />

117) Ebenso Weingärtner/Schöttler, Rdn. 232; Starke in Festschrift für Bezzenberger,<br />

S. 611/625; Mihm/Bettendorf, DNotZ 2001, 22/38 f., und wohl auch Lerch, ZNotP 2001,<br />

210/214.<br />

DNotZ 2002


436 Harborth/Lau<br />

vorschriften des Gesetzes und der Satzung 118 . Der Wortlaut des niedersächsischen<br />

Vorschlags zu § 15 DONot macht die Normenhierarchie deutlich<br />

und weist die Vorschrift ausdrücklich als Konkretisierung von Gesetz<br />

und Richtlinie aus. Aus diesem Grunde haben auch nahezu alle Landesjustizverwaltungen<br />

im Wortlaut „ihres‘‘ § 15 Satz 1 ausdrücklich die Beziehung<br />

zu den im jeweiligen Land geltenden Richtliniensatzungen hergestellt<br />

119 . In diesem Gefüge müssen allerdings auch die entsprechenden<br />

Vorschriften der Richtliniensatzungen mit dem höherrangigen Gesetzesrecht<br />

übereinstimmen 120 .<br />

Soweit die Richtliniensatzungen die Empfehlung der <strong>Bundesnotarkammer</strong><br />

übernommen haben, schreiben sie die Führung von „Beteiligtenverzeichnissen<br />

121 oder sonstige(n) zweckentsprechende(n) Dokumentation(en)‘‘<br />

dem Notar zwingend vor. Die vereinzelt geäußerte Auffassung 122 ,<br />

dass diese Regelungen als zu weitgehend dem Gesetz widersprächen, ist in<br />

dieser Allgemeinheit unzutreffend. Zwar führt die Gesetzesbegründung einschränkend<br />

aus, „von den Gegebenheiten des Einzelfalles, insbesondere von<br />

der Ausgestaltung einer etwaigen beruflichen Verbindung sowie von den<br />

zumutbarerweise in Frage kommenden praktischen Möglichkeiten wird es<br />

abhängen, ob das Treffen besonderer Vorkehrungen‘‘ erforderlich sei 123 ;<br />

der Wortlaut des § 28 BNotO enthält jedoch keinerlei Einschränkungen. Im<br />

Bereich des Anwaltsnotariats sind in der Tat andere „Vorkehrungen‘‘ als die<br />

Führung von Mandantenverzeichnissen nicht denkbar, wenn dem Notar und<br />

der Notaraufsicht eine wirkliche Kontrolle des Mitwirkungsverbots wegen<br />

Vorbefassung möglich sein soll. Die Notaraufsicht kann fahrlässige oder<br />

absichtliche Verstöße nur schwer aufdecken, wenn sie bei der Notarprüfung<br />

allein auf Zufallsfunde verwiesen wird und ihr ein systematisches Kontrollinstrumentarium<br />

nicht zur Verfügung steht. Der Anwaltsnotar in einer<br />

Sozietät kann ohne praktisch verwendbare Verzeichnisse überhaupt keine<br />

gesicherte Kenntnis von Vorbefassungen der Sozii haben, der Notarvertreter<br />

keine Kenntnis von Vorbefassungen des Vertretenen. Das Gedächtnis des<br />

Notars hinsichtlich seiner eigenen Vorbefassung ist, wie Praxiserfahrungen<br />

118) Weingärtner/Schöttler, Rdn. 3; Starke in Festschrift für Bezzenberger,<br />

S. 611/625; zum Ganzen statt anderer Wolf/Bachof/Stober, § 26 V Rdn. 14 ff.; BVerfGE<br />

40, 237/247.<br />

119) Maaß, ZNotP 2001, 330/332, geht zum einen von falschen tatsächlichen Voraussetzungen<br />

aus und verkennt zum anderen, dass die Vereinbarkeit der Dienstordnung mit<br />

den Kammerrichtlinien nicht anhand der Richtlinienempfehlung und des Musterentwurfs<br />

der Dienstordnung, sondern nur für den jeweiligen Kammerbezirk anhand der im Bezirk<br />

geltenden Richtliniensatzung und der im Land geltenden Dienstordnung geprüft werden<br />

kann; zutreffend insoweit Mihm/Bettendorf, DNotZ 2001, 22/39.<br />

120) Näher zum Verhältnis BNotO, Richtlinien und DONot Schippel/Kanzleiter, §67<br />

Rdn. 29; Starke in Festschrift für Bezzenberger, S. 611/622 f.<br />

121) Der Begriff wurde in der Dienstordnung bewusst vermieden. „Beteiligte‘‘ sind<br />

im Notarrecht die am Urkundsgeschäft Beteiligten; um deren Erfassung geht es aber<br />

gerade in § 15 DONot nicht.<br />

122) Diese Auffassung wird vertreten von Eylmann u. a. in Fortbildungsveranstaltungen<br />

beruflicher Organisationen, so bei dem Auditorium Celle am 22. 9. 2001, s. das<br />

Vortragsskript S. 24 f.<br />

123) BT-Drucks. 13/4184, S. 27 linke Spalte.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 437<br />

auch insoweit zeigen, ebenso wenig unfehlbar wie das Gedächtnis eines<br />

jeden normalen Menschen, ganz davon zu schweigen, dass dieses Gedächtnis<br />

bei bewussten Verstößen keine Hilfe für die Notaraufsicht darstellen<br />

wird. Die Richtlinien der Kammern des Anwaltsnotariats, die die Empfehlung<br />

der <strong>Bundesnotarkammer</strong> übernommen haben, haben daher § 28<br />

BNotO gesetzeskonform umgesetzt. Im Nur-Notariat gibt es allerdings<br />

Notarinnen und Notare, die keinerlei außernotarielle Tätigkeiten – Testamentsvollstreckungen,<br />

Streitschlichtungen, Aufgaben als Betreuer, Schiedsrichter,<br />

Mediator usw. – ausüben und daher auch keine Mittätigkeitsverbote<br />

wegen Vorbefassungen zu erwarten haben. Nun wird man aber nicht davon<br />

ausgehen können, dass Gesetz und Satzung Sinnloses – etwa die Einrichtung<br />

eines Verzeichnisses ohne Eintragungen – verlangen wollten, so dass<br />

§ 28 BNotO und die entsprechenden Richtliniensatzungen einschränkend<br />

dahingehend zu verstehen sind, dass der Nur-Notar dann zur Führung von<br />

Verzeichnissen verpflichtet ist, wenn er außernotarielle Tätigkeiten ausübt,<br />

diezueinemnotariellenMitwirkungsverbotnach§3Abs.1Nrn.7und8<br />

BeurkG führen könnten 124 . Dann allerdings besteht auch für ihn eine zwingende<br />

Verpflichtung.<br />

Auch die Satzungen, die abweichend von der Richtlinienempfehlung<br />

ausführen, dass als Vorkehrungen Beteiligtenverzeichnisse oder sonstige<br />

Dokumentationen „in Betracht‘‘ kommen oder dass „erforderlichenfalls‘‘<br />

Dokumentationen zu führen sind, sind im vorstehend beschriebenen Sinne<br />

auszulegen. Im Anwaltsnotariat müssen auch unter der Geltung dieser Satzungen<br />

immer Verzeichnisse über die anwaltlichen Mandanten geführt<br />

werden, im Nur-Notariat dann, wenn Tätigkeiten vorliegen, die eine Vorbefassung<br />

beinhalten könnten. Die zwingende Verpflichtung zu den entsprechenden<br />

Vorkehrungen folgt unmittelbar aus § 28 BNotO, und die Satzungen<br />

sind gesetzeskonform auszulegen 125 , was in diesem Fall angesichts des<br />

Wortlauts, der nicht mehr als eine Erläuterung der „Vorkehrungen‘‘ i. S. von<br />

§ 28 BNotO darstellt, keine Schwierigkeiten bereitet.<br />

3.3. Anders als bei Urkundenrolle, Massen- und Verwahrungsbuch enthält<br />

die Dienstordnung kein Muster und keinen Namen für die Dokumentation,<br />

keine Regelung über die EDV-gestützte Führung oder den Zeitpunkt<br />

der Eintragung, auch keine Regelung zur Form der Dokumentationen. Von<br />

derartigen Detailregelungen haben die Landesjustizverwaltungen ganz bewusst<br />

abgesehen, weil nicht auszuschließen ist, dass die Richtlinien dem<br />

Notar insoweit die Gestaltungsfreiheit belassen wollten. Zwar ist zuzugeben,<br />

dass sich aus § 6 Abs. 1 i. V. mit § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 DONot der<br />

Schluss ziehen lässt, die Dokumentationen seien papiergebunden zu führen<br />

126 . Dieser Schluss ist aber nicht gewollt; bei der systematischen Einordnung<br />

des § 15 DONot in den Abschnitt über Bücher und Verzeichnisse ist<br />

124) Vgl. v. Campe, NotBZ 2000, 366/368.<br />

125) Vergleichbar etwa der Rangfolge zwischen Gesetz und Verfassung oder zwischen<br />

Gesetz und Gemeinschaftsrecht, vgl. statt anderer Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht,<br />

Bd. 1, § 26 I Rdn. 2.<br />

126) Vgl. v. Campe, NotBZ 2000, 366/368.<br />

DNotZ 2002


438 Harborth/Lau<br />

diese Konsequenz übersehen worden. Die Dienstordnung ist im Hinblick<br />

auf den Redaktionsfehler einschränkend auszulegen 127 .<br />

Allerdings stellt § 15 DONot einige inhaltliche Anforderungen an die<br />

Dokumentationen:<br />

– Es müssen in die Dokumentation aufgenommen werden alle natürlichen<br />

oder juristischen Personen,<br />

für die der Notar oder der Sozius pp. (= eine Person i. S. von § 3 Abs. 1<br />

Nr. 4 BeurkG) außerhalb der Amtstätigkeit tätig war oder ist (also selbstverständlich<br />

auch die Beratungsmandate und auch die Gegner),<br />

die den Notar oder den Sozius pp. (= eine Person i. S. von § 3 Abs. 1<br />

Nr. 4 BeurkG) außerhalb der Amtstätigkeit bevollmächtigt haben.<br />

– Es müssen Angaben zur Person aufgenommen werden, die einen Abgleich<br />

mit der Urkundenrolle ermöglichen, d. h. der Familienname, bei<br />

Abweichungen vom Familiennamen auch der Geburtsname, der Wohnort<br />

oder der Sitz, im Idealfall bei Namen wie „Meier, Müller, Schulze‘‘ auch<br />

andere Unterscheidungsmöglichkeiten (§ 8 Abs. 4 Satz 2 DONot).<br />

– Es muss der Geschäftsgegenstand in einem Konkretisierungsgrad angegeben<br />

werden, der dem der Angabe des Geschäftsgegenstandes in der<br />

Urkundenrolle (vgl. § 8 Abs. 5 Satz 1 DONot) entspricht, also z. B.<br />

„Verkehrsunfallsache‘‘, „Ehescheidung‘‘, „Unterhaltsrechtsstreit‘‘.<br />

Die Angabe des Geschäftsgegenstandes ist aus praktischen Gründen unerlässlich.<br />

Zum einen liefert sie dem Notar und dem Prüfungsbeauftragten<br />

einen ersten Filter für die Klärung, ob eine Vorbefassung vorliegt oder<br />

nicht. Bittet etwa ein Herr Müller, den man in der Anwalts- und Notarkanzlei<br />

nicht (mehr) kennt, um die notarielle Beurkundung eines Kaufvertrages,<br />

und enthält das Verzeichnis der anwaltlichen Mandanten der Kanzlei keine<br />

Angabe des Gegenstandes des anwaltlichen Mandats, so müsste das Kanzleipersonal<br />

unterschiedslos alle entsprechenden Handakten ziehen, um jegliche<br />

Vorbefassung mit der Angelegenheit des Herrn Müller sicher auszuschließen.<br />

Stellt der Notarprüfer eine Namensgleichheit in Mandantenverzeichnis<br />

und notariellem Namensverzeichnis fest, müsste auch er alle in<br />

Frage kommenden Anwaltsakten einsehen, was wegen des Arbeitsaufwands<br />

weder ihm noch dem Notariatspersonal lieb sein kann. Nennt das Mandantenverzeichnis<br />

aber den Geschäftsgegenstand, bspw. bei einer „Verkehrsunfallsache‘‘,<br />

können Notar und Prüfungsbeauftragter normalerweise beruhigt<br />

davon ausgehen, dass die Beurkundung eines Grundstückskaufvertrages<br />

problemlos sein wird. Zum anderen ist die Angabe des Geschäftsgegenstandes<br />

die einzige objektive Grundlage für die Prüfung, wenn die anwaltlichen<br />

Handakten vernichtet sind. Und zum Dritten: Wie will der Notar bei<br />

wiederholt vorkommenden Verstößen gegen das Mitwirkungsverbot dem<br />

Vorwurf der groben Fahrlässigkeit begegnen, wenn er wegen fehlender<br />

Angabe des Geschäftsgegenstandes schon eine einfache Plausibilitätskontrolle<br />

nicht vornehmen kann 128 ?<br />

127) Für die Zwecke der Notarprüfung können Ausdrucke verlangt werden, § 93<br />

Abs. 4 BNotO.<br />

128) Vgl. Lerch, ZNotP 2001, 210/214.<br />

DNotZ 2002


Die Mitwirkungsverbote des § 3 BeurkG 439<br />

In Teilen der Literatur wird aus dem Nebensatz von Abschnitt VI Nr. 1.2,<br />

wonach der Notar Dokumentationen zu führen hat, „die eine Identifizierung<br />

der in Betracht kommenden Personen ermöglichen‘‘, gefolgert, dass nur die<br />

Angaben zur Person zwingend gefordert seien und dass der Notar darüber<br />

hinaus Gestaltungsfreiheit habe 129 . Wäre dem so, könnte § 15 DONot die<br />

Angabe des Geschäftsgegenstandes im Geltungsbereich derjenigen Richtliniensatzungen<br />

nicht vorschreiben, die den fraglichen Nebensatz enthalten.<br />

Es darf aber der Gesamtzusammenhang nicht übersehen werden, in dem<br />

dieser Satz steht. Erst aus dem Nebensatz in der (nicht eben glücklich<br />

formulierten) Regelung des Abschnittes VI 1.2 ist zu erkennen, dass die<br />

Vorschrift nur jene Mitwirkungsverbote aus dem großen Katalog der in<br />

§ 28 BNotO genannten Pflichten meint, die darauf beruhen, dass der Notar<br />

oder sein Sozius pp. im Rahmen außernotarieller Tätigkeit bestimmte Personen<br />

beraten und vertreten hat. Nur zur Einhaltung jener Mitwirkungsverbote<br />

sind die Dokumentationen zu führen. Ohne den Nebensatz wäre<br />

dieser Bezug nicht zu erkennen, der Zweck der Dokumentationen unbestimmt<br />

und der Sinn der Regelung unverständlich. Hinzu kommt, dass die<br />

Problematik des Verhältnisses zwischen Dienstordnung und Richtlinien erst<br />

nach der Beschlussfassung über die Richtlinienempfehlung in voller Schärfe<br />

erkannt wurde. Es trifft daher nicht zu, dass die Richtliniensatzungen dem<br />

Notar hinsichtlich des Gegenstandes der Vorbefassung freie Hand lassen<br />

und insoweit eine Regelungssperre für die Dienstordnung errichten.<br />

Aber selbst wenn dem so wäre, müsste der Notar den Geschäftsgegenstand<br />

dennoch mit in die Dokumentation aufnehmen. Es darf nicht verkannt<br />

werden, dass der Regelungsspielraum der Richtlinien hinsichtlich der Inhalte<br />

der Dokumentationen eng ist. Nach § 28 BNotO muss der Notar nicht<br />

irgendwelche, sondern „geeignete Vorkehrungen‘‘ treffen. Die Vorkehrung<br />

muss sich zur Durchführung der Eigenkontrolle und der Kontrolle durch die<br />

Aufsicht „eignen‘‘, das bedeutet, sie muss eine praxisgeeignete und zweckmäßige<br />

Lösung darstellen. Nichts anderes besagen die Richtliniensatzungen,<br />

indem sie „zweckentsprechende Dokumentationen‘‘ fordern. Geeignet<br />

bzw. zweckentsprechend ist die Dokumentation erst, wenn sie die Möglichkeit<br />

liefert, in einer ersten Sichtung alle gesetzlichen Voraussetzungen des<br />

Mitwirkungsverbots zu prüfen – die Identität der Personen und die Identität<br />

der Angelegenheit 130 . Das bedeutet im Übrigen nicht, dass die Landesjustizverwaltungen<br />

die – von ihnen genehmigten – Regelungen der Richtliniensatzungen<br />

nachträglich als unwirksam betrachtet und sich über sie<br />

hinweggesetzt hätten 131 . Die Verwaltung hat grundsätzlich keine eigene<br />

Kompetenz zur Nichtanwendung höherrangigen Rechts 132 . Ein Wider-<br />

129) So Mihm/Bettendorf, DNotZ 2001, 22/39; a. A. wohl Weingärtner/Schöttler,<br />

Rdn. 232, und wohl auch Lerch, ZNotP 2001, 210/214.<br />

130) So im Ergebnis auch Arndt/Lerch/Sandkühler, § 28 Rdn. 11; Schippel, § 28<br />

Rdn. 6.<br />

131) Dies halten wohl Mihm/Bettendorf, DNotZ 2001, 22/39, für rechtlich möglich.<br />

132) Vgl. Starke in Festschrift für Bezzenberger, S. 611/623; allg. statt anderer Wolff/<br />

Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Bd. 1, § 26 I Rdn. 2 m.w.Nachw.<br />

DNotZ 2002


440 Rechtsprechung<br />

spruch zwischen Gesetz und Richtliniensatzung wäre vorrangig durch gesetzeskonforme<br />

Auslegung zu lösen 133 . Eben dieses wird mit der hier vertretenen<br />

Interpretation der Richtliniensatzung erreicht.<br />

4. Die Dienstordnung verletzt die Satzungskompetenz der Notarkammern<br />

nicht. Sie bewegt sich innerhalb des Spielraums, der den Landesjustizverwaltungen<br />

im Rahmen von Gesetz und Satzung gegeben ist. Es erscheint<br />

von ganz wesentlicher Bedeutung, dass die Notarinnen und Notare die<br />

gesetzlichen Verbote des § 3 BeurkG akzeptieren und sich bereit zeigen, zu<br />

ihrer Einhaltung das Zweckmäßige – auch das Unbequeme – zu tun. Wir<br />

sehen hierin einen Prüfstein dafür, ob das Anwaltsnotariat die verschiedenen<br />

beruflichen Rollen strikt zu trennen versteht und die Möglichkeit wahrnimmt,<br />

sich diese Trennung in der täglichen Praxis immer wieder zu vergegenwärtigen.<br />

RECHTSPRECHUNG<br />

I. Familienrecht<br />

Nr. 1 BGB §§ 1573 Abs. 2, 1578 (Nachehelicher Unterhalt gemäß der<br />

sog. Differenzmethode)<br />

Zur Frage der Berechnung des nachehelichen Unterhaltsanspruchs<br />

eines Ehegatten, der in der Ehe die Haushaltsführung übernommen hat<br />

und nach der Ehe eine Erwerbstätigkeit aufnimmt (Änderung der<br />

bisherigen Rechtsprechung zur sog. Anrechnungsmethode).<br />

BGH, Urt. v. 13. 6. 2001 – XII ZR 343/99 (mit Anm. Wegmann)<br />

1. Gemäß § 1573 Abs. 2 BGB kann die Klägerin nach der Scheidung<br />

einen sog. Aufstockungsunterhalt in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen<br />

ihren eigenen Einkünften und dem vollen Unterhalt (§ 1578 BGB)<br />

verlangen, wenn ihre Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit<br />

zum vollen Unterhalt nicht ausreichen. Das Gesetz knüpft dabei an den<br />

Unterhaltsmaßstab der ehelichen Lebensverhältnisse in § 1578 BGB an,<br />

ohne dort allerdings im Einzelnen zu definieren, welche Umstände diese<br />

Lebensverhältnisse bestimmen, und ohne den für die Beurteilung maßgeblichen<br />

Zeitpunkt festzulegen. Nach den bislang vom Senat zur Ausfüllung<br />

dieses Rechtsbegriffs entwickelten Grundsätzen werden die ehelichen Lebensverhältnisse<br />

im Wesentlichen durch die bis zur Scheidung nachhaltig<br />

erzielten tatsächlichen Einkünfte der Ehegatten bestimmt, soweit sie dazu<br />

vorgesehen waren, den laufenden Lebensunterhalt zu decken (vgl. grundlegend<br />

Senatsurteile v. 8. 4. 1981 – IVb ZR 566/80, FamRZ 1981, 539/541;<br />

v. 4. 11. 1981 – IVb ZR 625/80, FamRZ 1982, 255/257; v. 24. 11. 1982 –<br />

133) Vgl. Fußn. 125.<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 441<br />

IVb ZR 326/81, FamRZ 1983, 144/146 und seither ständig; weitere Nachw.<br />

bei Lohmann, Neue Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zum Familienrecht,<br />

8. Aufl., Rdn. 110 f.). Zwar hat der Senat die Haushaltsführung eines<br />

nicht erwerbstätigen Ehegatten einschließlich der Kinderbetreuung wirtschaftlich<br />

betrachtet der Erwerbstätigkeit und der durch diese ermöglichten<br />

Geldunterhaltsleistung des anderen Ehegatten als grundsätzlich gleichwertig<br />

angesehen. Er hat aber entscheidend darauf abgehoben, dass an Barmitteln,<br />

die zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehen, nur die Einkünfte des erwerbstätigen<br />

Ehegatten vorhanden sind und daher die für die Unterhaltsbemessung<br />

maßgeblichen ehelichen Lebensverhältnisse grundsätzlich durch<br />

diese Einkünfte und nicht entscheidend durch den wirtschaftlichen Wert der<br />

von beiden Ehegatten erbrachten Leistungen geprägt werden (Senatsurteile<br />

v. 14. 11. 1984 – IVb ZR 38/33, FamRZ 1985, 161/163; v. 23. 4. 1986 –<br />

IVb ZR 34/85, FamRZ 1986, 783/785). Da die Scheidung den Endpunkt für<br />

die Entwicklung der ehelichen Lebensverhältnisse setzt, können diese nach<br />

diesen Grundsätzen nicht mehr durch Einkünfte mitgeprägt werden, die erst<br />

durch eine spätere Arbeitsaufnahme oder Ausdehnung einer Teilzeittätigkeit<br />

hinzutreten. Hat der unterhaltsberechtigte Ehegatte während der Ehe (nur)<br />

den Haushalt geführt und ggf. Kinder betreut, bestimmt sich daher das Maß<br />

seines eheangemessenen Unterhalts grundsätzlich nur nach einer Quote des<br />

tatsächlich erzielten und zum Lebensunterhalt zur Verfügung stehenden Einkommens<br />

des erwerbstätigen Ehegatten. Diese Quote erhöht sich ggf. um<br />

trennungsbedingten Mehrbedarf, den der unterhaltsberechtigte Ehegatte konkret<br />

darlegen muss (Senatsurteile v. 4. 11. 1981, aaO, S. 257, und v. 23. 11.<br />

1983 – IVb ZR 21/82, FamRZ 1984, 149/151 = BGHZ 89, 108, insoweit dort<br />

jedoch nicht abgedruckt). Einkommen, das der unterhaltsberechtigte Ehegatte<br />

nach der Scheidung durch erstmalige Aufnahme (vgl. Senatsurteile v.<br />

8. 4. 1981, aaO, und v. 4. 11. 1981, aaO) oder durch Erweiterung einer<br />

bereits innegehabten Teilzeitarbeit (vgl. Senatsurt. v. 14. 11. 1984, aaO)<br />

erzielt, bleibt daher bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs nach den<br />

ehelichen Lebensverhältnissen außer Betracht. Vielmehr muss er sich dieses<br />

Einkommen nach dem Grundsatz wirtschaftlicher Eigenverantwortung auf<br />

die Quote bedarfsdeckend anrechnen lassen (§§ 1569, 1577 Abs. 1 BGB;<br />

sog. Anrechnungsmethode, vgl. Senatsurteile v. 8. 4. 1981, 24. 11. 1982,<br />

14. 11. 1984, jeweils aaO). Hat der unterhaltsberechtigte Ehegatte demgegenüber<br />

seine Tätigkeit schon während der Ehe aufgenommen, fließt sein<br />

daraus erzieltes Einkommen als die ehelichen Lebensverhältnisse prägend<br />

(und damit letztlich unterhaltserhöhend) in die Bedarfsbemessung nach<br />

§ 1578 BGB mit ein. Sein Unterhalt kann dann im Wege der sog. Differenzmethode<br />

nach einer Quote der Differenz der beiderseits erzielten (bereinigten)<br />

Einkommen bemessen werden, ohne dass der so berechnete „Quotenunterhalt‘‘<br />

allerdings die Gewähr bietet, den vollen, nach den ehelichen<br />

Lebensverhältnissen bemessenen Unterhaltsbedarf abzudecken (vgl. Senatsurt.<br />

v. 25. 1. 1984 – IVb ZR 43/82, FamRZ 1984, 358/360 mit Nachw.). Die<br />

Berechnung kann auch im Wege der sog. Additionsmethode erfolgen, indem<br />

eine Quote aus den zusammengerechneten beiderseitigen (bereinigten) Einkommen<br />

gebildet wird und darauf sowohl die prägenden als auch die nicht<br />

DNotZ 2002


442 Rechtsprechung<br />

prägenden Einkünfte des unterhaltsberechtigten Ehegatten angerechnet werden.<br />

Differenz- und Additionsmethode führen danach – bei beiderseits bereinigtem<br />

Einkommen – rechnerisch zum selben Ergebnis, wobei die Differenzmethode<br />

lediglich eine Verkürzung darstellt (zu den verschiedenen Methoden<br />

vgl. Wendl/Gerhardt, Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis,<br />

5. Aufl., § 4 Rdn. 386 ff.; Schwab/Borth, Handbuch des Scheidungsrechts,<br />

4. Aufl., IV Rdn. 933 ff.).<br />

Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen zur Bestimmung der ehelichen Lebensverhältnisse<br />

hat der Senat u. a. in einem Fall zugelassen, in dem die Ehefrau nach der Trennung<br />

ihre bisher in der Ehe ausgeübte Halbtagstätigkeit in eine Ganztagstätigkeit ausgeweitet<br />

hatte, nachdem das Kind 16 Jahre alt geworden war. Er hat dazu ausgeführt, dass das<br />

Heranwachsen eines Kindes in aller Regel dem betreuenden Elternteil die Möglichkeit<br />

eröffne, eine Vollzeitbeschäftigung aufzunehmen. Er hat in diesem Zusammenhang entscheidend<br />

darauf abgestellt, ob die Aufnahme oder Ausweitung der Erwerbstätigkeit<br />

bereits in der Ehe geplant und angelegt war und damit auch ohne die Trennung erfolgt<br />

wäre (BGHZ 89, 108/113 = FamRZ 1984, 149/150). In diesem Fall war das erhöhte<br />

Einkommen der Ehefrau bereits bei der Bemessung des Unterhaltsbedarfs zu berücksichtigen<br />

und in die Differenzrechnung einzustellen. Ebenso ist er in einem Fall verfahren,<br />

in dem die Ehefrau nach der Heirat ihren Beruf aufgab, den Haushalt und die Kinder<br />

betreute und den Ehemann in dessen Tierarztpraxis unterstützte, nach der Trennung – die<br />

Kinder waren inzwischen 17 und 18 Jahre alt – zunächst ihren erlernten Beruf als Medizinisch-Technische<br />

Assistentin im Rahmen einer Teilzeitbeschäftigung wieder aufnahm und<br />

diese noch vor der Scheidung zu einer Ganztagstätigkeit ausweitete. Der Senat hat ihren<br />

Einkünften prägenden Einfluss auf die ehelichen Lebensverhältnisse zugemessen, weil<br />

ihre Arbeitsaufnahme im Rahmen einer normalen Entwicklung lag (Senatsurt. v. 9. 6.<br />

1982 – IVb ZR 698/80, FamRZ 1982, 892/893). Erfolgte die Arbeitsaufnahme dagegen<br />

erst nach der Scheidung, erhöhte das daraus erzielte Einkommen nach den bisherigen<br />

Grundsätzen den Unterhaltsbedarf nach § 1578 BGB auch dann nicht, wenn ein entsprechender<br />

Lebensplan schon vor der Trennung bestanden hatte, so dass ein späteres Erwerbseinkommen<br />

im Wege der Anrechnungsmethode auf den Unterhaltsbedarf anzurechnen<br />

war und den Unterhalt beschränkte (Urt. v. 23. 4. 1986, aaO, S. 785).<br />

2. Die in den Fällen einer erst nachehezeitlich aufgenommenen oder<br />

ausgeweiteten Erwerbstätigkeit des unterhaltsberechtigten Ehegatten angewandte<br />

Anrechnungsmethode führt zu einem geringeren Unterhalt als es<br />

der Fall wäre, wenn das Einkommen aus dieser Erwerbstätigkeit im Wege<br />

der Differenzmethode in die Unterhaltsbemessung einbezogen würde.<br />

Das mag folgendes vereinfachtes Beispiel verdeutlichen (nach Graba,<br />

FamRZ 1999, 1115/1116), wobei die Einkommen bereits um den berufsbedingten<br />

Aufwand und um den Erwerbstätigenbonus bereinigt sind, so<br />

dass von einer Aufteilung zu je 1 /2 ausgegangen werden kann:<br />

Anrechnungsmethode:<br />

prägendes Einkommen des M. 4 000,– DM<br />

nicht prägendes Einkommen der F. 2 000,– DM<br />

Bedarf: 4 000,– DM : 2 = 2 000,– DM<br />

darauf anzurechnen nicht prägendes Einkommen der F. 2 000,– DM<br />

Unterhalt 0,– DM<br />

Additionsmethode:<br />

prägendes Einkommen des M. 4 000,– DM<br />

prägendes Einkommen der F. +2000,–DM<br />

Summe 6 000,– DM<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 443<br />

Bedarf: 6 000,– DM : 2 = 3 000,– DM<br />

darauf anzurechnen eigenes Einkommen der F. – 2 000,– DM<br />

Unterhalt 1 000,– DM<br />

Dasselbe Ergebnis ergibt sich verkürzt durch die<br />

Differenzmethode:<br />

prägendes Einkommen des M. 4 000,– DM<br />

prägendes Einkommen der F. – 2 000,– DM<br />

Differenz 2 000,– DM : 2 =<br />

Unterhalt 1 000,– DM.<br />

3. Der Rechtsprechung des Senats, dass sich die ehelichen Lebensverhältnisse<br />

nur durch die vorhandenen Barmittel, nicht aber auch durch den<br />

wirtschaftlichen Wert der von dem haushaltsführenden Ehegatten erbrachten<br />

Leistungen bestimmen sollen, wird entgegengehalten, dass sie den<br />

Ehegatten benachteilige, der um der Familie und Kinder willen oder um<br />

dem anderen erwerbstätigen Ehegatten ein besseres berufliches Fortkommen<br />

zu ermöglichen, auf eine eigene Erwerbstätigkeit (und damit auch auf<br />

eine höhere Alterssicherung) verzichtet. Die Bemessungsweise nach der<br />

sog. Anrechnungsmethode führe vollends zu Unbilligkeiten, wenn in der<br />

Ehe ein Teil des Erwerbseinkommens zur Vermögensbildung gespart worden<br />

sei und nicht zum allgemeinen Lebensbedarf zur Verfügung gestanden<br />

habe.<br />

Das als ungerecht empfundene Ergebnis der Unterhaltsbemessung bei<br />

nachehelicher Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wurde in der Literatur<br />

stets kritisch beurteilt (vgl. u. a. Büttner, FamRZ 1984, 534/536; Hampel,<br />

FamRZ 1984, 621, 624, 625; Laier, FamRZ 1993, 392 ff.; Luthin, FamRZ<br />

1988, 1109/1113), ist aber nunmehr angesichts des Wandels der sozialen<br />

Wirklichkeit seit Einführung der Eherechtsreform verstärkt in das Blickfeld<br />

geraten (vgl. u. a. Johannsen/Henrich/Büttner, Eherecht, 3. Aufl.,<br />

§1573Rdn.30; Heiß/Heiß, Handbuch des Unterhaltsrechts I, Kap. 5.7,<br />

Rdn. 21 ff., 26; Kalthoener/Büttner/Niepmann, Rechtsprechung zur Höhe<br />

des Unterhalts, 7. Aufl., Rdn. 440 und 445; Schwab/Borth, aaO, IV<br />

Rdn. 853, 945; Gerhardt/von Heintschel-Heinegg/Klein, Handbuch des<br />

Fachanwalts Familienrecht, 3. Aufl., Kap. 6, Rdn. 403 a ff.; Göppinger/<br />

Bäumel, Unterhaltsrecht, 7. Aufl., Rdn. 1073; MünchKommBGB/Maurer,<br />

4. Aufl., § 1578 Rdn. 59; Palandt/Brudermüller, BGB, 60. Aufl., § 1578<br />

Rdn. 31; Born, FamRZ 1999, 541/547; ders., MDR 2000, 981 ff.; Büttner,<br />

FamRZ 1999, 893 ff.; Borth, FamRZ 2001, 193 ff.; Gerhardt, FamRZ<br />

2000, 134 ff.; Gerhardt/Gutdeutsch, FuR 1999, 241 ff.; Graba, FamRZ<br />

1999, 1115 ff.).<br />

Als Hauptargumente werden angeführt:<br />

Die ehebedingte Beschränkung infolge des Verzichts auf eine eigene<br />

berufliche Tätigkeit könne auf dem Wege über die Anrechnungsmethode zu<br />

einer dauerhaften Beschränkung des Lebensstandards des unterhaltsberechtigten<br />

Ehegatten führen, die auch durch die Zubilligung eines trennungsbedingten<br />

Mehrbedarfs nur teilweise abgemildert werde. Dies laufe der<br />

vom Gesetzgeber gewollten Lebensstandardgarantie des geschiedenen Ehe-<br />

DNotZ 2002


444 Rechtsprechung<br />

gatten in §§ 1573 Abs. 2, 1578 Abs. 1 BGB, der in §§ 1356, 1360 Satz 2,<br />

16<strong>06</strong> Abs. 3 Satz 2 BGB vorgegebenen Gleichwertigkeit von Erwerbstätigkeit<br />

einerseits, Haushaltsführung und Kindesbetreuung andererseits, sowie<br />

dem Benachteiligungsverbot des Art. 6 Abs. 1 und 2 GG zuwider, der jede<br />

belastende Differenzierung verbiete, die eine Folge der Übernahme familiärer<br />

Pflichten sei (vgl. BVerfG, Beschl. v. 10. 11. 1998 – 2 BvR 1057/91,<br />

u. a. FamRZ 1999, 285/288). Denn die ehelichen Lebensverhältnisse würden<br />

nicht nur durch die vorhandenen Barmittel des erwerbstätigen Ehegatten,<br />

sondern auch durch den Einsatz des haushaltsführenden Ehegatten für<br />

die Familie mitbestimmt. Eine zuverlässige Feststellung, ob und ggf. in<br />

welchem Umfang eine später (wieder) aufgenommene oder erweiterte Erwerbstätigkeit<br />

bereits in der Ehe angelegt gewesen sei und (im Vorgriff) die<br />

ehelichen Lebensverhältnisse geprägt habe, so dass auch die aus der (späteren)<br />

Erwerbstätigkeit erzielten Mittel als prägendes Einkommen in die<br />

Unterhaltsbemessung nach der Differenzmethode einfließen könnten, sei<br />

selten möglich. Die Rechtsprechung führe daher zu Zufallsergebnissen, je<br />

nachdem, ob bspw. die Kinder zum Zeitpunkt der Trennung schon so alt<br />

seien, dass eine alsbaldige Rückkehr der Frau in den Beruf zu erwarten<br />

gewesen sei oder nicht. Mit dem Wandel der sozialen Verhältnisse in den<br />

letzten 20 Jahren, in denen das Ehebild der typischen Hausfrauen-Ehe<br />

immer mehr durch dasjenige der Doppelverdienerehe ersetzt worden sei,<br />

bei der die Frau ihre Erwerbstätigkeit nur durch eine Kinderbetreuungsphase<br />

unterbreche, danach aber in aller Regel wieder aufnehme, sei dies<br />

nicht mehr zu vereinbaren.<br />

4. Dem ist zuzugeben, dass die Anrechnungsmethode dem Verständnis<br />

von der Gleichwertigkeit von Kindesbetreuung und/oder Haushaltsführung<br />

nicht gerecht wird und auch dem gewandelten Ehebild in der Mehrzahl der<br />

Fälle nicht mehr angemessen Rechnung trägt.<br />

Ausgangspunkt ist die Wertentscheidung des Gesetzgebers, mit der er die<br />

Haushaltsführung des nicht erwerbstätigen Ehegatten der Erwerbstätigkeit<br />

des anderen Ehegatten gleichstellt. Nach § 1360 Satz 1 BGB sind beide<br />

Ehegatten verpflichtet, durch ihre Arbeit und ihr Vermögen die Familie<br />

angemessen zu unterhalten. Nach heutigem Eheverständnis regeln die Ehegatten<br />

im gegenseitigen Einvernehmen und unter Rücksichtnahme auf die<br />

jeweiligen Belange des anderen und der Familie die Frage, wer von ihnen<br />

erwerbstätig sein und wer – ganz oder überwiegend – die Haushaltsführung<br />

übernehmen soll (§ 1356 BGB). Dies richtet sich nach den individuellen<br />

(familiären, wirtschaftlichen, beruflichen und sonstigen) Verhältnissen der<br />

Ehegatten. Dabei kann z. B. mitbestimmend sein, wer von beiden die qualifiziertere<br />

Ausbildung hat, für wen die besseren Chancen am örtlichen<br />

Arbeitsmarkt bestehen, wo sich der Arbeitsplatz und das Familienheim<br />

befinden, ob ggf. Personen aus dem Familienverband (z. B. Geschwister<br />

oder Eltern) oder nahe Freunde zur Kindesbetreuung zur Verfügung stehen<br />

oder ob den Ehegatten noch weitere Familienpflichten besonderer Art, z. B.<br />

die Pflege hilfsbedürftiger Eltern, obliegen. Geht die Entscheidung dahin,<br />

dass einer von ihnen die Haushaltsführung und ggf. Kindesbetreuung übernehmen<br />

soll, so bestimmt das Gesetz ausdrücklich, dass er hierdurch in der<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 445<br />

Regel seine Verpflichtung, durch Arbeit zum Unterhalt der Familie beizutragen,<br />

erfüllt (§ 1360 Satz 2 BGB). In ähnlicher Weise setzt § 16<strong>06</strong><br />

Abs. 3 Satz 2 BGB die Kindesbetreuung der Gewährung von Barunterhalt<br />

gleich.<br />

Der Gesetzgeber geht damit zugleich davon aus, dass die ehelichen<br />

Lebensverhältnisse nach § 1578 BGB nicht nur durch die Bareinkünfte des<br />

erwerbstätigen Ehegatten, sondern auch durch die Leistungen des anderen<br />

Ehegatten im Haushalt mitbestimmt werden und hierdurch eine Verbesserung<br />

erfahren (vgl. BT-Drucks. 7/650, S. 129/136; 7/4361, S. 15). Dessen<br />

Tätigkeit ersetzt Dienst- und Fürsorgeleistungen und Besorgungen, die<br />

andernfalls durch teure Fremdleistungen erkauft werden müssten und den<br />

finanziellen Status – auch einer Doppelverdienerehe – verschlechtern würden.<br />

Darüber hinaus enthält sie eine Vielzahl von anderen, nicht in Geld<br />

messbaren Hilfeleistungen, die den allgemeinen Lebenszuschnitt der Familie<br />

in vielfältiger Weise verbessern. Aus dieser Sicht ist es zu eng, die<br />

ehelichen Lebensverhältnisse als Maßstab des Unterhalts nur an den zum<br />

Zeitpunkt der Scheidung vorhandenen Barmitteln auszurichten. Zwar bildet<br />

das Erwerbseinkommen als finanzielle Grundlage der Familie den primären<br />

Faktor der Unterhaltsbemessung, jedoch werden die ehelichen Lebensverhältnisse<br />

durch die Gesamtheit aller wirtschaftlich relevanten beruflichen,<br />

gesundheitlichen, familiären und ähnlichen Faktoren mitbestimmt (vgl.<br />

Gerhardt in Handbuch Familienrecht, aaO, Rdn. 403 d). Auch nach der<br />

gesetzgeberischen Intention soll es auf das Gesamtbild der ehelichen Lebensverhältnisse<br />

ankommen, wozu im Übrigen eine gewisse Dauer gehört<br />

und vorübergehende Änderungen irrelevant sein sollen (vgl. BT-<br />

Drucks. 7/650, S. 136). Die – auf den Scheidungszeitpunkt bezogenen –<br />

konkreten Barmittel können damit immer nur ein Kriterium, nicht aber der<br />

alleinige Maßstab sein. Vielmehr umfassen die ehelichen Lebensverhältnisse<br />

alles, was während der Ehe für den Lebenszuschnitt der Ehegatten<br />

nicht nur vorübergehend tatsächlich von Bedeutung ist (vgl. Senatsurt. v.<br />

25. 11. 1998 – XII ZR 98/97, FamRZ 1999, 367/368), mithin auch den<br />

durch die häusliche Mitarbeit des nicht erwerbstätigen Ehegatten erreichten<br />

sozialen Standard.<br />

5. An dem in dieser Weise verbesserten ehelichen Lebensstandard soll<br />

der haushaltsführende Ehegatte auch nach der Scheidung teilhaben. Das<br />

Gesetz bringt dies an verschiedenen Stellen zum Ausdruck: So enthält<br />

§ 1578 BGB nach dem Willen des Gesetzgebers eine Lebensstandardgarantie<br />

gerade auch zugunsten des haushaltsführenden Ehegatten (BT-<br />

Drucks. 10/2888, S. 18). Mit der Anknüpfung des Unterhalts an die ehelichen<br />

Lebensverhältnisse wollte der Gesetzgeber insbesondere den Fällen<br />

gerecht werden, in denen durch gemeinsame Leistung der Ehegatten ein<br />

höherer sozialer Standard erreicht worden ist, an dem auch der nicht<br />

erwerbstätige Ehegatte teilhaben soll (BT-Drucks. 7/650, S. 136). Es wurde<br />

als unbillig empfunden, den Wert der Leistungen unberücksichtigt zu<br />

lassen, die sich in der Haushaltsführung, der Erziehung der gemeinsamen<br />

Kinder oder in der Förderung des beruflichen Fortkommens und Ansehens<br />

des anderen Ehegatten niedergeschlagen haben (BT-Drucks. 7/4361,<br />

DNotZ 2002


446 Rechtsprechung<br />

S. 15). Eine Ausprägung dieses Gedankens ist auch der Aufstockungsunterhalt<br />

nach § 1573 Abs. 2 BGB, mit dem der Gesetzgeber den sozialen<br />

Abstieg eines Ehegatten nach der Scheidung verhindern will, weil das<br />

erreichte Lebensniveau als gleichwertige Leistung auch desjenigen Ehegatten<br />

angesehen wird, der zugunsten von Ehe und Familie auf eine eigene<br />

Berufstätigkeit verzichtet hat. Die Regelung schränkt in verfassungskonformer<br />

Weise den Grundsatz der nachehelichen wirtschaftlichen Eigenverantwortung<br />

(§ 1569 BGB) zugunsten der nachwirkenden ehelichen Mitverantwortung<br />

ein (BVerfG, Urt. v. 14. 7. 1981 – 1 BvL 28/77 u. a., FamRZ<br />

1981, 745/750 ff.; Senatsurt. v. 27. 4. 1983 – IVb ZR 372/81, FamRZ<br />

1983, 678/679; Kalthoener/Büttner/Niepmann, aaO, Rdn. 439; Born,<br />

FamRZ 1999, 542). Schließlich soll durch § 1574 Abs. 2 BGB sichergestellt<br />

werden, dass Ehegatten, die ihr eigenes berufliches Fortkommen<br />

um der Familie willen hintangestellt und den wirtschaftlichen und sozialen<br />

Aufstieg des anderen Ehegatten gefördert haben, nicht nach der Scheidung<br />

eine Tätigkeit ausüben müssen, die unter dem ehelichen Lebensstandard<br />

liegt (BT-Drucks. 7/650, S. 129; 7/4361, S. 17). Die Teilhabequote orientiert<br />

sich an der Gleichwertigkeit der beiderseits erbrachten Leistungen, so<br />

dass beide Ehegatten hälftig an dem durch Erwerbseinkommen einerseits,<br />

Haushaltsführung andererseits geprägten ehelichen Lebensstandard teilhaben.<br />

6. Zur Verwirklichung einer derartigen gleichmäßigen Teilhabe werden<br />

in der Literatur (vgl. die obigen Zitate, ferner Übersicht bei Schwab/Borth,<br />

aaO, Rdn. 945) verschiedene Wege vorgeschlagen:<br />

a) Eine verbreitete Meinung geht von der Tatsache aus, dass das Heiratsalter<br />

von Frauen in den letzten rund 25 Jahren stetig gestiegen ist<br />

(1975: 22,7 Jahre; 1996: 27,6 Jahre; 1998: 28 Jahre, vgl. Statistische Jahrbücher<br />

des Statistischen Bundesamtes 1977, 70; 1998, 70; 2000, 69) und<br />

schließt daraus, dass Frauen vor der Eheschließung in aller Regel einen<br />

Beruf erlernt und ausgeübt haben und ihn nach der Heirat erst aufgeben,<br />

wenn die Betreuung von Kindern, die man nicht Hilfspersonen überlassen<br />

will, dies erfordert. Daran wird die (widerlegliche) Vermutung geknüpft,<br />

dass die Ehegatten nach den heutigen Gepflogenheiten in aller Regel die<br />

Vorstellung haben, dass die Berufstätigkeit nur für die Phase der Kindesbetreuung<br />

unterbrochen werden soll und der betreuende Ehegatte danach<br />

in den Erwerbsprozess zurückkehrt, vorausgesetzt, seine Gesundheit, seine<br />

berufliche Qualifikation und die Arbeitsmarktlage lassen dies nach dem<br />

Zeitablauf zu. Dem ist einzuräumen, dass Ehen, in denen die Ehefrau den<br />

Haushalt führt und Kinder betreut, in der sozialen Wirklichkeit nicht mehr<br />

generell und auf Dauer dem Typ der Haushaltsführungsehe zugeordnet<br />

werden können, sondern in stark gestiegenem Maße nurmehr vorübergehend<br />

in dieser Form geführt werden und sich die Ehegatten nach ihren<br />

jeweiligen Bedürfnissen auch zur (Wieder-)Aufnahme einer Doppel- oder<br />

Zuverdienerehe entschließen. Auch ist es nicht mehr stets die Ehefrau, die<br />

die Haushaltsführung und Kinderbetreuung übernimmt, vielmehr kann<br />

diese Aufgabe, je nach Berufschancen und Arbeitsmarktlage, auch dem<br />

Ehemann zufallen oder von beiden gemeinsam übernommen werden. Den<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 447<br />

Ehegatten wird eine solche – ggf. phasenweise – Aufteilung der Übernahme<br />

von Erwerbs- und Familienpflichten nicht nur durch die Möglichkeit<br />

eines staatlichen Erziehungsgeldes erleichtert, sondern auch die Arbeitswelt<br />

enthält sowohl im öffentlichen Dienst als auch in privaten Arbeitsverhältnissen<br />

Beurlaubungs- oder Rückkehrmöglichkeiten (vgl. Büttner,<br />

FamRZ 1999, 894). Anreize zur Wiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit<br />

ergeben sich schließlich auch aus dem Gedanken des Aufbaues einer<br />

eigenen Alterssicherung, zumal rentenrechtliche Vorschriften u. a. den<br />

Bezug einer vorzeitigen Rente wegen Erwerbsminderung von Mindestpflichtversicherungszeiten<br />

in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung<br />

abhängig machen (vgl. §§ 43 Abs. 1 Nr. 2 und 44 Abs. 1<br />

Nr. 2 SGB VI a. F. und § 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI i. d. F. des Rentenreformgesetzes<br />

1999 v. 16. 12. 1997 ab 1. 1. 2001, BGBl. 1997 I, 2998 und<br />

BGBl. 1999 I, 388; Johannsen/Henrich/Hahne, aaO, § 1587 a Rdn. 137,<br />

138).<br />

Auch wenn an diesen Wandel der sozialen Verhältnisse vielfach die<br />

Vermutung geknüpft werden kann, dass die Wiederaufnahme der Berufstätigkeit<br />

nach Abschluss der Kindesbetreuungsphase schon in der Ehe<br />

angelegt war und damit schon deshalb zur Berücksichtigung des Erwerbseinkommens<br />

im Rahmen der Anwendung der Differenzmethode führen<br />

kann, vermag diese Überlegung indes nicht die Fälle kinderloser Ehen zu<br />

lösen, in denen ein Ehegatte nur den Haushalt geführt und sein eigenes<br />

berufliches Fortkommen um der Ehe willen oder im Interesse des beruflichen<br />

Einsatzes und der Karriere des anderen Ehegatten – sei es bei Auslandsaufenthalten<br />

oder sonstigen Versetzungen – hintangestellt hat. Ein<br />

solcher Ehegatte verdient nicht weniger Schutz als ein kindesbetreuender<br />

Ehegatte. Auch zeigt sich in diesen Fällen, dass eine Abgrenzung danach,<br />

ob die Berufstätigkeit auch ohne die Trennung aufgenommen worden wäre,<br />

nicht weiterhilft. Die durch die Aufgabe der eigenen Berufstätigkeit entstandenen<br />

ehebedingten Nachteile wirken – bei Anwendung der Anrechnungsmethode<br />

– auch nachehezeitlich fort, wenn nach der Scheidung, wie<br />

nicht selten bei kinderlosen Ehen, eine Berufstätigkeit wieder aufgenommen,<br />

aber der Unterhaltsbedarf allein nach dem Einkommen des anderen<br />

Ehegatten bemessen wird.<br />

b) Ein anderer Lösungsweg, den Familieneinsatz eines Ehegatten bei der<br />

Unterhaltsbemessung zu berücksichtigen, wird über eine „Monetarisierung‘‘<br />

der Haushaltsführung und Kindesbetreuung gesucht, wobei zum Teil<br />

pauschale Festbeträge ohne Rücksicht auf den individuellen Umfang der<br />

familienbezogenen Leistungen vorgeschlagen werden (500,– DM bis<br />

1 000,– DM nach den Bayerischen Leitlinien Nr. 6, s. FamRZ, Buch 1,<br />

3. Aufl., S. 75; vgl. Gerhardt/Gutdeutsch, FuR, aaO, S. 243; Graba, aaO,<br />

S. 1118/1121), zum Teil – in Anknüpfung an die Bewertung der Haushaltsführung<br />

in sog. Konkubinatsfällen analog § 850 h ZPO (vgl. u. a. Senatsurt.<br />

v. 28. 3. 1984 – IVb ZR 64/82, FamRZ 1984, 662 m. w. Nachw.) – allgemeine<br />

Erfahrungswerte, die zur Bemessung von Schadensersatzrenten bei<br />

Verletzung oder Tötung von Hausfrauen entwickelt wurden (vgl. Born,<br />

MDR 2000, 984; Graba, aaO, S. 1121). Diskutiert wird in diesem Zusam-<br />

DNotZ 2002


448 Rechtsprechung<br />

menhang auch eine Verdoppelung der Bareinkünfte des erwerbstätigen<br />

Ehegatten, weil nach der Gleichwertigkeitsregel des § 1360 Abs. 1 Satz 2<br />

BGB die Haushaltsführung der Erwerbstätigkeit gleichzusetzen sei. Zu<br />

Recht wird jedoch diese Berechnungsweise mit dem Hinweis darauf verworfen,<br />

dass eine solche Verdoppelung nicht der Lebenswirklichkeit entspreche<br />

und die Haushaltsführung als eigenständiger Umstand zu beurteilen<br />

sei, der die ehelichen Lebensverhältnisse ebenso bestimme wie etwa ein<br />

Wohnvorteil im eigenen Heim (vgl. Graba, aaO, S. 1121). Im Übrigen wird<br />

gegen die fiktive Monetarisierung eingewandt, dass sie wegen der Unterschiedlichkeit<br />

der Ehetypen nicht praktikabel sei und den jeweiligen individuellen<br />

Leistungen des Ehegatten für die Familie nicht angemessen Rechnung<br />

trage (vgl. Gerhardt, FamRZ 2000, 135/136; zweifelnd auch Borth,<br />

aaO, S. 200; Bienko, FamRZ 2000, 13 ff.; Söpper, FamRZ 2000, 14 ff.).<br />

Auch könne sie die Mehrzahl derjenigen Fälle nicht befriedigend lösen, in<br />

denen der haushaltsführende Ehegatte nach der Scheidung etwa wegen<br />

Kindesbetreuung oder alters- oder krankheitsbedingt nicht arbeiten kann<br />

oder auf dem Arbeitsmarkt keine angemessene Tätigkeit mehr findet. Denn<br />

der unterhaltspflichtige Ehegatte werde ihm in solchen Fällen ohnehin nur<br />

den Quotenunterhalt nach dem fortgeschriebenen, real zur Verfügung stehenden<br />

Einkommen gewähren können. Ein Zugriff auf ggf. weitere, nicht<br />

der Ehe angelegte Einkünfte des Unterhaltspflichtigen sei nach der Ausrichtung<br />

des § 1578 BGB nicht möglich. Der Grundsatz der Gleichwertigkeit<br />

der beiderseitigen Leistungen erfordere es nämlich andererseits nicht,<br />

die Haushaltsleistungen nachträglich durch die hälftige Beteiligung am<br />

verfügbaren Einkommen zu vergüten. Solange daher der haushaltsführende<br />

Ehegatte nach Trennung bzw. Scheidung z. B. wegen Kindererziehung,<br />

Krankheit oder Alters keine eigenen Einkünfte beziehen könne, verbleibe<br />

es bei der Aufteilung des real zur Verfügung stehenden eheprägenden<br />

Einkommens. Denn da die lebensstandarderhöhende Haushaltstätigkeit mit<br />

der Scheidung weggefallen und kein an deren Stelle tretendes Ersatzeinkommen<br />

vorhanden sei, müssten beide Ehegatten in gleicher Weise die<br />

trennungsbedingte Verschlechterung ihrer ehelichen Lebensverhältnisse<br />

hinnehmen (vgl. Borth, aaO, S. 200; Graba, aaO, S. 1117/1118).<br />

c) Einer abschließenden Entscheidung zur Frage der Notwendigkeit einer<br />

Monetarisierung der Haushaltstätigkeit bedarf es indessen nicht. Jedenfalls<br />

in den Fällen, in denen der unterhaltsberechtigte Ehegatte – wie hier – nach<br />

der Scheidung ein Einkommen erzielt oder erzielen kann, welches gleichsam<br />

als Surrogat des wirtschaftlichen Wertes seiner bisherigen Tätigkeit<br />

angesehen werden kann, ist dieses Einkommen in die Unterhaltsberechnung<br />

nach der Differenzmethode einzubeziehen.<br />

Das knüpft an die Überlegung an, dass die während der Ehe erbrachte<br />

Familienarbeit den ehelichen Lebensstandard geprägt und auch wirtschaftlich<br />

verbessert hat und als eine der Erwerbstätigkeit gleichwertige Leistung<br />

anzusehen ist, und trägt dem Grundsatz Rechnung, dass der in dieser Weise<br />

von beiden Ehegatten erreichte Lebensstandard ihnen auch nach der Scheidung<br />

zu gleichen Teilen zustehen soll. Nimmt der haushaltsführende Ehegatte<br />

nach der Scheidung eine Erwerbstätigkeit auf oder erweitert er sie<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 449<br />

über den bisherigen Umfang hinaus, so kann sie als Surrogat für seine<br />

bisherige Familienarbeit angesehen werden. Der Wert seiner Haushaltsleistungen<br />

spiegelt sich dann in dem daraus erzielten oder erzielbaren Einkommen<br />

wider, von Ausnahmen einer ungewöhnlichen, vom Normalverlauf<br />

erheblich abweichenden Karriereentwicklung abgesehen. Insofern bildet<br />

§ 1578 BGB – ebenso wie bei unerwarteten Einkommenssteigerungen des<br />

Unterhaltspflichtigen – auch eine Begrenzung für die Bedarfsbemessung.<br />

Aus dieser Sicht erscheint es gerechtfertigt, dieses Einkommen in die<br />

Bedarfsbemessung einzubeziehen und in die Differenzrechnung einzustellen.<br />

Damit ist gewährleistet, dass – ebenso wie früher die Familienarbeit<br />

beiden Ehegatten zu gleichen Teilen zugute kam – nunmehr das beiderseitige<br />

Einkommen zwischen ihnen nach dem Grundsatz der gleichmäßigen<br />

Teilhabe geteilt wird. Eine wirtschaftliche Benachteiligung des unterhaltspflichtigen<br />

gegenüber dem unterhaltsberechtigten Ehegatten trifft durch die<br />

Differenzmethode nicht ein, zumal eine Entlastung durch die zeitliche<br />

Begrenzung des Unterhalts gemäß den §§ 1573 Abs. 5 und 1578 Abs. 1<br />

Satz 2 BGB möglich ist. Es wird lediglich vermieden, dass – wie es bei der<br />

Anrechnungsmethode der Fall wäre – zulasten des haushaltsführenden<br />

Ehegatten eine Berücksichtigung seines Einkommens bei der Bedarfsbemessung<br />

unterbleibt und nur der unterhaltspflichtige Ehegatte einseitig<br />

entlastet wird (Borth, aaO, S. 200/201; ders. in Schwab/Borth, aaO,<br />

Rdn. 945; Gerhardt in Handbuch Familienrecht, aaO, Rdn. 403 d; Büttner,<br />

FamRZ 1999, 896; ders., FamRZ 1984, 538; i. E. ebenso Graba, aaO,<br />

S. 1119; Laier, aaO, S. 393; Born, FamRZ 1999, 548).<br />

7. Die vom OLG gewählte Lösung, ein Ersatzeinkommen der Klägerin in<br />

die Unterhaltsberechnung einzubeziehen, entspricht im Ergebnis diesem<br />

Ansatz. Dass es dabei statt der Differenz- die Additionsmethode gewählt<br />

hat, macht keinen Unterschied, da hier beide Berechnungsweisen zum<br />

selben Ergebnis führen. Die Additionsmethode hat lediglich den Vorzug der<br />

besseren Verständlichkeit gegenüber der verkürzenden Differenzmethode.<br />

Die vom OLG vorgenommene Aufteilung des erzielbaren Erwerbseinkommens<br />

von monatlich 1 291,– DM in einen Anteil von 1 /3 als prägendes<br />

Einkommen (= 430,– DM), welches dem früheren prägenden Einkommen<br />

der Klägerin aus der Fußpflegetätigkeit entsprechen soll, und von 2 /3 als<br />

Ersatzeinkommen für die Haushaltsführung (= 861,– DM) führt zu keiner<br />

Abweichung, weil das gesamte jetzt erzielte Erwerbseinkommen an die<br />

Stelle des Wertes der Haushaltsführung tritt.<br />

8. Dass das OLG auch die Zinseinkünfte der Klägerin in Höhe von monatlich 407,– DM<br />

als Ersatzeinkommen berücksichtigt hat, die sie aus dem nach Verkauf des Hauses und<br />

nach Ablösung von Schulden und der Zugewinnausgleichszahlung an den Beklagten<br />

verbliebenen Restkapital erzielen kann, ist in der Sache zutreffend. Während der Ehe<br />

waren die ehelichen Lebensverhältnisse der Parteien geprägt durch das mietfreie Wohnen<br />

im Haus der Klägerin, so dass sich der eheangemessene Bedarf grundsätzlich auch durch<br />

die daraus gezogenen Nutzungsvorteile erhöhte. Mit dem Verkauf des Hauses nach der<br />

Scheidung sind diese Nutzungsvorteile jedoch für beide Ehegatten entfallen, so dass ein<br />

(fiktiver) Ansatz des Wohnvorteils nicht mehr in Betracht kommt. Diese Einbuße muss<br />

von beiden Ehegatten getragen werden (vgl. Senatsurt. v. 11. 4. 1990 – XII ZR 42/89,<br />

FamRZ 1990, 989/991 f.; Graba, aaO, S. 1120). Verblieben sind allerdings auf Seiten der<br />

Klägerin die Zinsvorteile aus dem Verkaufserlös, die an die Stelle des Nutzungsvorteils<br />

DNotZ 2002


450 Rechtsprechung<br />

getreten sind und daher mit in die Differenz- bzw. – nach der Berechnungsweise des<br />

OLG – in die Additionsmethode einzubeziehen sind (vgl. Senatsurt. v. 3. 5. 2001 –<br />

XII ZR 62/99, z. V. b.; vgl. auch 13. Deutscher Familiengerichtstag 1999, Beschlüsse<br />

Arbeitskreis 3 zu III, Brühler Schriften zum Familienrecht).<br />

Anmerkung: 1. Die Entscheidung beseitigt eine gravierende Ungerechtigkeit<br />

der bisherigen Rechtsprechung für die Fälle, in denen ein Ehegatte<br />

– speziell ohne entsprechende Erwerbsverpflichtung – erst nach Scheidung<br />

der Ehe eine Erwerbstätigkeit aufgenommen hat: Nach der bisherigen Rechtsprechung<br />

wurden ihm die Einkünfte in voller Höhe auf seinen Anspruch auf<br />

nachehelichen Unterhalt angerechnet. Dies führte häufig zu dem (suboptimalen)<br />

Rat, dass der unterhaltsberechtigte Ehegatte keine Erwerbstätigkeit aufnimmt<br />

oder dass der künftig unterhaltsberechtigte Ehegatte noch vor der<br />

Scheidung die Erwerbstätigkeit aufnimmt (optimaler Rat), wodurch sein<br />

Unterhalt dann nach der sog. „Differenzmethode‘‘ berechnet wurde.<br />

In der Kautelarpraxis führte dieses Problem zu der Empfehlung, zu<br />

vereinbaren, dass Einkünfte aus Erwerbstätigkeiten, die durch den unterhaltsberechtigten<br />

Ehegatten erst nach der Scheidung aufgenommen werden,<br />

nicht in voller Höhe, sondern teilweise angerechnet werden oder zur Empfehlung,<br />

zu vereinbaren, dass auch in diesem Fall die Unterhaltsberechtigung<br />

nach der Differenzmethode erfolgt. Das neue Urteil, das die Unterhaltsberechnung<br />

für eine nach der Ehe aufgenommene Erwerbstätigkeit<br />

ebenfalls nach der Differenzmethode vorsieht, beseitigt die Notwendigkeit,<br />

insofern noch kautelar tätig zu werden (s. dazu noch näher unten).<br />

2. Die dogmatische Begründung für die Entscheidung musste die<br />

Hürde des Wortlauts des § 1578 Abs. 1 Satz 1 BGB überwinden, wonach<br />

sich das Maß des Unterhalts nach den ehelichen Lebensverhältnissen<br />

bestimmt. Die nach Scheidung der Ehe aufgenommene Erwerbstätigkeit<br />

ist nun natürlich nicht ohne weiteres ein Umstand, der noch mit diesen<br />

ehelichen Lebensverhältnissen zusammenhängt. Diese Hürde wurde mit<br />

dem – im Ansatz nachvollziehbaren – Argument genommen, dass nach<br />

der Wertung des Gesetzgebers die Haushaltsführung des nicht erwerbstätigen<br />

Ehegatten der Erwerbstätigkeit des anderen Ehegatten gleichgestellt<br />

ist. In ökonomischer Sicht ist nachvollziehbar, dass durch die<br />

Haushaltsführung des nicht erwerbstätigen Ehegatten finanzielle Mittel<br />

erspart werden, die sonst für die Haushaltsführung oder Kindesbetreuung<br />

aufgewendet werden müssten.<br />

Zu praktischen Problemen wird aber in Zukunft sicher die weitere Überlegung<br />

des BGH führen, dass die nach Scheidung aufgenommene Erwerbstätigkeit<br />

oder die Erweiterung der Erwerbstätigkeit über den bisherigen<br />

Umfang hinaus als Surrogat für die bisherige Familienarbeit angesehen<br />

werden muss und dass sich der Wert der Haushaltsleistungen dann in dem<br />

daraus erzielten oder erzielbaren Einkommen widerspiegele.<br />

Dies soll folgendes Beispiel verdeutlichen:<br />

Die Ehefrau hatte, bevor sie während der Ehe zugunsten der Haushaltsführung<br />

und Kindererziehung ihre berufliche Tätigkeit aufgab, als Diplom-<br />

Kauffrau in verantwortlicher Stellung eines Marketing-Unternehmens gearbeitet.<br />

Nach Scheidung der Ehe gelingt es ihr, wieder in eine vergleichbare<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 451<br />

Position zurückzufinden. Wurden die ehelichen Lebensverhältnisse in diesem<br />

Fall tatsächlich durch fiktive Einkünfte aus der Tätigkeit der beruflich<br />

hochqualifizierten Ehefrau mitbestimmt oder nur durch Tätigkeiten, die auf<br />

einem niedrigeren Level wirtschaftlich bewertet werden müssen? Wenn<br />

letztere Auffassung richtig ist, ergibt sich dann sofort das Folgeproblem, ob<br />

nicht die Unterhaltsberechnung zugunsten der Diplom-Kauffrau auf zwei<br />

Ebenen stattzufinden hat:<br />

Auf einer 1. Ebene wird nur ein Teil ihrer Einkünfte einbezogen, nämlich<br />

der Teil, der für die Entlohnung einer Haushaltsführungs- und Erziehungskraft<br />

erforderlich gewesen wäre. Auf dieser Ebene 1 müsste dann unter<br />

Berücksichtigung der Differenzmethode der Unterhaltsanspruch errechnet<br />

werden. Wenn die Diplom-Kauffrau des Beispielfalls dann real höhere<br />

Einkünfte erzielt, müssten diese auf einer 2. Ebene aber wieder nach der<br />

Anrechnungsmethode abgezogen werden?<br />

Die weitere Frage stellt sich, wie in den Fällen verfahren wird, in denen<br />

der unterhaltsberechtigte Ehegatte nicht entscheidend bei der Haushaltsführung<br />

und Kindererziehung tätig war, sondern in denen diese Tätigkeiten<br />

aufgrund der guten Wirtschaftsverhältnisse während der Ehe durch Angestellte<br />

wahrgenommen wurden, der unterhaltsberechtigte Ehegatte aber<br />

trotzdem während der Dauer der Ehe keine Erwerbstätigkeit ausübte. Sollen<br />

hier die „ruhenden Fähigkeiten‘‘ die ehelichen Lebensverhältnisse mitgeprägt<br />

haben?<br />

3. Für den Kautelarjuristen stellt sich die Frage, wie bei der Ehevertragsgestaltung<br />

auf diese geänderte Rechtsprechung reagiert werden soll. Dazu<br />

wird empfohlen, in jedem Fall die bisher teilweise empfohlenen Klauseln,<br />

wonach Erwerbseinkünfte nur teilweise angerechnet werden sollen, nicht<br />

mehr zu verwenden, da ihre Basis eigentlich weggefallen ist und ihre<br />

Aufnahme ggf. sonst Anlass zu der Überlegung bietet, ob die Beteiligten<br />

nicht wieder dem Grunde nach die Anrechnungsmethode zur Unterhaltsbestimmung<br />

einführen wollten. Die Differenzmethode ausdrücklich zu vereinbaren,<br />

erscheint überflüssig; auf sie stellt die Rechtsprechung nunmehr<br />

ohnehin ab. M. E. sollte auch nicht übereilt versucht werden, die verbleibenden<br />

o. a. Fragen zwanghaft kautelar in den Griff zu bekommen. Nur<br />

wenn es der Rechtsprechung in absehbarer Zeit nicht gelingt, hierzu akzeptable<br />

Ergebnisse zu finden, ergibt sich die Notwendigkeit, vertragsgestaltend<br />

vorzusorgen.<br />

Notar Dr. Bernd Wegmann, Ingolstadt<br />

Nr. 2 BGB §§ 1374, 1578, 812 Abs. 1 Satz 2 1. Altern. (Berechnung des<br />

Anfangsvermögens; Berechnung des Unterhalts nach der Differenzmethode)<br />

a) Zur Berechnung des Anfangsvermögens eines Ehegatten, der im<br />

Wesentlichen vor der Ehe im Haus seines Vaters eine Wohnung ausgebaut<br />

hat, seine Investitionen aber wegen des späteren Räumungsverlangens<br />

des Vaters nicht mehr nutzen kann.<br />

DNotZ 2002


452 Rechtsprechung<br />

b) Zur Frage der Bemessung des nachehelichen Unterhalts nach der<br />

Differenzmethode, wenn der unterhaltsberechtigte Ehegatte Rente aus<br />

vorehelich erworbenen Anwartschaften und aus dem Versorgungsausgleich<br />

bezieht (Fortführung des Senatsurt. v. 13. 6. 2001 – XII ZR<br />

343/991 , FamRZ 2001, 986 ff.).<br />

BGH, Urt. v. 31. 10. 2001 – XII ZR 292/99<br />

Die Parteien streiten noch über die Folgesachen Zugewinnausgleich und nachehelichen<br />

Unterhalt.<br />

Die am 26. 11. 1971 geschlossene kinderlose Ehe der Parteien wurde auf den dem<br />

Ehemann (Antragsgegner) am 19. 6. 1996 zugestellten Antrag der Ehefrau (Antragstellerin)<br />

durch Verbundurteil des AG geschieden. Der Scheidungsausspruch ist seit 8. 6.<br />

1999 rechtskräftig.<br />

Die Parteien waren hälftige Miteigentümer einer Eigentumswohnung, die ihnen als<br />

Ehewohnung diente. Im Oktober 1997, ca. zwei Jahre nach der Trennung, verkauften sie<br />

die Wohnung. Die Ehefrau erhielt vom Erlös rund 148 000,– DM, von denen sie ca.<br />

135 000,– DM verzinslich anlegte und für den Rest u. a. Hausrat anschaffte. Der Ehemann<br />

erhielt rund 100 000,– DM, mit denen er unter Aufnahme von Krediten ein Reihenhaus<br />

finanzierte. Die Ehefrau war nur vor der Ehe berufstätig, danach versorgte sie den<br />

Haushalt. Seit 1. 1. 1999 bezieht sie eine auf eigener Pflichtversicherung beruhende Rente<br />

von monatlich rd. 415,– DM. Aus dem Versorgungsausgleich erhielt sie, bezogen auf das<br />

Ehezeitende 31. 5. 1996, 639,15 DM gesetzliche Rentenanwartschaften. Schon während<br />

der Ehe verfügte sie über monatliche Zinseinnahmen von 267,– DM. Der Ehemann bezog<br />

während der Ehe zuletzt eine monatliche Gesamtrente von 3851,– DM.<br />

Das AG hat der Zugewinnausgleichsklage des Ehemannes teilweise in Höhe von<br />

41 000,– DM stattgegeben. Dabei hat es seinem Anfangsvermögen eine gegen seinen<br />

Vater gerichtete Bereicherungsforderung wegen nutzlos erbrachter Aufwendungen an<br />

dessen Haus zugerechnet. Auf die Berufung der Ehefrau hat das OLG das amtsgerichtliche<br />

Urteil insoweit abgeändert und die Zugewinnausgleichsklage abgewiesen, weil die Bereicherungsforderung<br />

erst nach Eheschließung entstanden und daher nicht zum Anfangsvermögen<br />

zu rechnen sei.<br />

In der Folgesache Unterhalt hat das AG der Ehefrau ab Rechtskraft der Scheidung einen<br />

nachehelichen monatlichen Altersunterhalt in Höhe von 450,– DM zugesprochen und ihre<br />

Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Ehefrau hat das OLG diesen nachehelichen<br />

Altersunterhalt auf monatlich 939,– DM erhöht und ihre Berufung im Übrigen<br />

zurückgewiesen.<br />

Die Revision des Ehemannes führt zur Aufhebung des Urteils und zur<br />

Zurückverweisung der Sache an das OLG hinsichtlich der Folgesachen<br />

Zugewinnausgleich und Unterhalt.<br />

A. Zugewinnausgleich<br />

I. Das AG hat auf Seiten der Ehefrau ein unstreitiges Endvermögen in<br />

Höhe von 217 702,21 DM festgestellt und hiervon ein inflationsbereinigtes<br />

Anfangsvermögen in Höhe von 92143,– DM abgezogen, so dass sich bei<br />

ihr ein Zugewinn von 125 559,21 DM ergab. Auf Seiten des Ehemannes hat<br />

es dessen unstreitiges Endvermögen in Höhe von 160 271,26 DM um ein<br />

inflationsbereinigtes Anfangsvermögen von 117 120,– DM vermindert, so<br />

dass ein Zugewinn von 43 151,26 DM verblieb. In dieses Anfangsvermögen<br />

hat es als wesentlichsten Teil eine Forderung des Ehemannes gegen dessen<br />

Vater in Höhe von (inflationsbereinigt) 90 551,07 DM eingestellt, weil der<br />

Ehemann überwiegend vor, teils auch nach der Eheschließung Material-<br />

1) Siehe in diesem Heft S. 440.<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 453<br />

und Arbeitsleistungen zum Ausbau des väterlichen Anwesens erbracht habe<br />

in der Erwartung, dort auf Lebenszeit wohnen zu können. 1977 sei er<br />

– zusammen mit seiner Frau – auf Betreiben des Vaters zur Räumung und<br />

Herausgabe der Ehewohnung verpflichtet worden. Soweit diese somit nutzlos<br />

gewordenen Aufwendungen vor der Ehe erbracht wurden, hat sie das<br />

AG als zum Anfangsvermögen gehörig angesehen und dem Ehemann demgemäß<br />

einen Zugewinnausgleichsanspruch von (125 559,10 DM –<br />

43 151,26 DM) : 2 = abgerundet 41 000,– DM zugesprochen.<br />

Das OLG ist dieser Berechnung, was die Bereicherungsansprüche des<br />

Ehemannes gegen den Vater angeht, nicht gefolgt. Nach seiner Auffassung<br />

seien die aus §§ 812 und 951 BGB folgenden Kondiktionsansprüche insgesamt<br />

nicht in das Anfangsvermögen einzustellen, da sie erst nach Beginn<br />

der Ehe entstanden seien. (. . .)<br />

II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Prüfung nicht in allen<br />

Punkten stand.<br />

1. Ohne Erfolg wendet die Revision allerdings ein, der Ehefrau habe die<br />

Bereicherungsforderung des Ehemannes gegen dessen Vater i. S. von § 288<br />

ZPO zugestanden, indem sie sie nur der Höhe nach bestritten und in ihrer<br />

Berufungsbegründung mit (inflationsbereinigten) 31 532,70 DM anerkannt<br />

habe. (. . .)<br />

2. Rechtlichen Bedenken begegnet es aber, dass das BerufungsG die<br />

Forderung des Ehemannes nicht dem Anfangsvermögen zugerechnet hat.<br />

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des BGH, auch des erkennenden<br />

Senats, umfasst das Anfangsvermögen alle dem Ehegatten am Stichtag (hier<br />

26. 11. 1971, §§ 1374 Abs. 1, 1363 Abs. 1 BGB) zustehenden rechtlich<br />

geschützten Positionen von wirtschaftlichem Wert, das heißt also neben den<br />

einem Ehegatten gehörenden Sachen alle ihm zustehenden objektiv bewertbaren<br />

Rechte, die beim Eintritt des Güterstandes bereits entstanden sind<br />

(vgl. nur BGHZ 82, 149/150; zuletzt Senatsurt. v. 15. 11. 2000 – XII ZR<br />

197/98, NJW 2001, 439 f. mit Nachw.). Dazu gehören u. a. auch geschützte<br />

Anwartschaften mit ihrem gegenwärtigen Vermögenswert sowie die ihnen<br />

vergleichbaren Rechtsstellungen, die einen Anspruch auf künftige Leistung<br />

gewähren, sofern diese nicht mehr von einer Gegenleistung abhängig und<br />

nach wirtschaftlichen Maßstäben (notfalls durch Schätzung) bewertbar sind<br />

(vgl. BGH, Urt. v. 9. 6. 1983 – IX ZR 56/82, FamRZ 1983, 881/882; BGHZ<br />

87, 367/373 2 ; Senatsurt. v. 15. 11. 2000, aaO, S. 439). Der Wert muss<br />

jedoch nicht zwingend sogleich verfügbar sein (BGHZ 117, 70/77 3 ;<br />

Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl., VII Rdn. 47). Die Berücksichtigung<br />

eines Rechts im Anfangsvermögen setzt auch nicht voraus,<br />

dass das Recht bereits fällig oder dass es unbedingt oder vererblich ist.<br />

Selbst in der Realisierung dubiose Forderungen sind grundsätzlich in das<br />

Anfangsvermögen einzubeziehen (vgl. Senatsurt. v. 15. 11. 2000, aaO, mit<br />

Nachw.; Johannsen/Henrich/Jäger, Eherecht, 3. Aufl., § 1374 Rdn. 8; Staudinger/Thiele,<br />

BGB, Bearb. 2000, § 1374 Rdn. 3 und 4; Soergel/Lange,<br />

2) DNotZ 1984, 394. 3) DNotZ 1993, 518.<br />

DNotZ 2002


454 Rechtsprechung<br />

BGB, 12. Aufl., § 1374 Rdn. 7; MünchKommBGB/Koch, 4. Aufl., § 1374<br />

Rdn. 6 und 9; Schwab, Handbuch, aaO, Rdn. 48). Nicht zum Anfangsvermögen<br />

gehören demgegenüber noch in der Entwicklung begriffene Rechte,<br />

die noch nicht zur Anwartschaft erstarkt sind und bloße Erwerbsaussichten,<br />

da sie nicht das Merkmal „rechtlich geschützter Positionen mit wirtschaftlichem<br />

Wert‘‘ erfüllen (Senatsurt. v. 15. 11. 2000, aaO, S. 440 m. w. Nachw.).<br />

b) Eine solche dem Anfangsvermögen des Ehemannes hinzuzurechnende,<br />

vermögenswerte Rechtsposition kommt – entgegen dem OLG – im<br />

Hinblick auf den dem Ehemann im Falle einer vorzeitigen Beendigung der<br />

Nutzungsmöglichkeit der Wohnung zustehenden künftigen Bereicherungsanspruch<br />

gemäß § 812 Abs. 1 Satz 2 1. Altern. BGB (Bereicherungsausgleich<br />

wegen Fortfalls des Rechtsgrundes) in Betracht.<br />

Nach den bisherigen Feststellungen des OLG hatte der Ehemann im<br />

Wesentlichen vor, teils auch während der Ehe nicht unerhebliche Arbeitsund<br />

Materialleistungen auf dem Hausgrundstück seines Vaters erbracht zu<br />

dem Zweck, sich dort auf Lebenszeit ein Unterkommen zu sichern. Der<br />

Vater hat ihn in der Folgezeit dort auch unentgeltlich wohnen lassen. Das<br />

legt die Annahme nahe, dass diese Handhabung weder vom Sohn noch<br />

vom Vater als ein bloßes unverbindliches und lediglich auf der verwandtschaftlichen<br />

Beziehung beruhendes gegenseitiges Gefälligkeitsverhältnis<br />

angesehen wurde; vielmehr kann in einem solchen Fall angenommen<br />

werden, dass beide stillschweigend ein rechtlich verbindliches Leihverhältnis<br />

hinsichtlich der Wohnung vereinbart haben, aufgrund dessen der<br />

Ehemann berechtigt war, die Wohnung unentgeltlich zu nutzen, ohne<br />

einem überraschenden oder willkürlichen Räumungsverlangen ausgesetzt<br />

zu sein (§§ 598, 605 BGB; vgl. BGH, Urt. v. 10. 10. 1984 – VIII ZR<br />

152/83, NJW 1985, 313; BGHZ 111, 125/128 ff.). Unter diesen Umständen<br />

wäre zu prüfen gewesen, ob zwischen dem Ehemann und seinem<br />

Vater ein solches stillschweigendes Leihverhältnis bestand. Aus diesem<br />

Leihverhältnis ergäbe sich hier zwar kein Verwendungsersatzanspruch<br />

gemäß § 601 Abs. 2 Satz 1 BGB nach den Grundsätzen der Geschäftsführung<br />

ohne Auftrag (§§ 670, 683, 684 BGB), weil der Ehemann im<br />

hierfür maßgeblichen Zeitpunkt der Aufwendungen nicht die Absicht<br />

hatte, Kostenersatz zu fordern, so dass gemäß § 685 Abs. 1 BGB ein<br />

Anspruch ausscheidet (BGH, Urt. v. 10. 10. 1984, aaO, S. 314). In<br />

Betracht kommt aber ein Bereicherungsanspruch nach § 812 Abs. 1<br />

Satz 2 1. Altern. BGB (Fortfall des Rechtsgrundes), weil der Leihvertrag,<br />

der den Rechtsgrund für die Investitionen des Ehemannes bildete, jedenfalls<br />

mit dem Auszug des Ehemannes und der Ehefrau auf das Räumungsverlangen<br />

des Vaters hin 1977 tatsächlich beendet wurde. Mit dem<br />

Fortfall dieses Leihverhältnisses war daher der Vater grundsätzlich zum<br />

Bereicherungsausgleich für die getätigten Investitionen verpflichtet (vgl.<br />

BGHZ, aaO, S. 129/130). Richtig ist zwar, dass damit der Zeitpunkt für<br />

das Entstehen dieses Bereicherungsanspruches erst nach dem für das<br />

Anfangsvermögen maßgeblichen Zeitpunkt der Eheschließung anzusetzen<br />

ist. Das schließt es jedoch nicht aus, dass dem Ehemann bereits zum<br />

Zeitpunkt der Heirat (Stichtag des Anfangsvermögens) aufgrund seiner<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 455<br />

bis dahin getätigten Investitionen und der stillschweigenden Abrede eines<br />

Leihverhältnisses eine vermögenswerte Position zugestanden haben kann,<br />

die mehr war als eine bloße ungewisse Erwerbsaussicht. Sie bestand<br />

entweder in der dauernden Nutzungsmöglichkeit der Wohnung oder in<br />

dem Bereicherungsanspruch, den er gehabt hätte, wenn der Leihvertrag<br />

bereits im Zeitpunkt der Heirat geendet hätte.<br />

Art und Umfang dieses Bereicherungsausgleichs richten sich – entsprechend<br />

den Grundsätzen für den Ausgleich von Mieterleistungen (Baukostenzuschuss,<br />

eigene Aus- und Umbauten) bei vorzeitiger Beendigung<br />

langfristiger Mietverträge – nach den Vorteilen, die der Vater infolge der<br />

vorzeitig erlangten Nutzungsmöglichkeit der ausgebauten Räume durch<br />

anderweitige Vermietung hätte erzielen können. Danach ist auf den Ertragswert<br />

der Räume zum Zeitpunkt der Heirat mit den bis dahin getätigten<br />

Investitionen abzustellen, wovon derjenige Ertragswert abzusetzen ist,<br />

der schon vor den Investitionen des Ehemannes gegeben war (vgl. BGH,<br />

Urt. v. 10. 10. 1984, aaO, S. 315; BGHZ 111, 130 ff. m. w. Nachw.;<br />

Senatsurt. v. 16. 9. 1998 – XII ZR 136/96, ZMR 1999, 93/94 = NZM<br />

1999, 19 ff.). Entsprechend diesem Bereicherungsausgleich wäre auch die<br />

in das Anfangsvermögen einzustellende Vermögensposition zu bewerten,<br />

wobei sie allerdings für die Zwecke des Zugewinnausgleichs zu kapitalisieren<br />

wäre. Das OLG hat – aus seiner Sicht folgerichtig – weder zum<br />

Grund noch zur Höhe einer solchen in das Anfangsvermögen einzustellenden<br />

Forderung die notwendigen Feststellungen getroffen. Die Sache<br />

muss daher zur Nachholung derselben an das OLG zurückverwiesen<br />

werden, was den Parteien auch Gelegenheit gibt, hierzu ergänzend vorzutragen.<br />

B. Unterhalt<br />

Auch die Ausführungen des BerufungsG zum nachehelichen Unterhalt<br />

halten einer rechtlichen Überprüfung nicht in allen Punkten stand.<br />

I. Die Revision des Ehemannes erweist sich entgegen den Ausführungen<br />

der Revisionserwiderung nicht schon deshalb als unbegründet, weil er in<br />

der mündlichen Verhandlung vor dem AG am 10. 6. 1997 den Anspruch auf<br />

Elementarunterhalt in Höhe von 1400,– DM und auf Krankenvorsorgeeinschließlich<br />

Pflegeversicherungsunterhalt in Höhe von 182,18 DM anerkannt<br />

hat und dieses Anerkenntnis trotz Verstoßes gegen § 162 Abs. 1 ZPO<br />

wirksam war (vgl. Senat, BGHZ 107, 142/146). Denn der Ehemann hat<br />

dieses Anerkenntnis im Termin vom 12. 1. 1999 vor dem AG widerrufen<br />

und sich dabei darauf gestützt, dass sich die tatsächlichen Verhältnisse<br />

durch den ab 1. 1. 1999 – also nach dem Anerkenntnis – eingetretenen<br />

Altersrentenbezug der Ehefrau wesentlich geändert hätten. Dieser Widerruf<br />

war hier ausnahmsweise wirksam. (. . .)<br />

II. 1. Das OLG hat zur Begründung seiner Unterhaltsentscheidung im Wesentlichen<br />

Folgendes ausgeführt:<br />

Die ehelichen Lebensverhältnisse seien nicht nur durch das Renteneinkommen des<br />

Ehemannes in Höhe von 3851,– DM (vor Abzug des Versorgungsausgleichs) bestimmt<br />

worden, sondern auch durch die Rente der Ehefrau in Höhe von 415,– DM, unabhängig<br />

davon, dass diese ausschließlich auf ihrer Erwerbstätigkeit vor der Ehe beruhe. Denn<br />

sie habe die Rente seit 1. 1. 1999 bezogen, somit bevor die Scheidung am 8. 6. 1999<br />

DNotZ 2002


456 Rechtsprechung<br />

rechtskräftig geworden sei. Auch die Zinseinkünfte der Ehefrau von 267,– DM monatlich<br />

seien eheprägend gewesen, weil zumindest sie sich davon während der Ehe<br />

besondere Wünsche erfüllt habe. Daneben sei der Wohnwert der in der Ehe genutzten,<br />

im Miteigentum beider Ehegatten stehenden Eigentumswohnung ihnen in Höhe von<br />

800,– DM jeweils hälftig zuzurechnen. Da nach der Veräußerung der Wohnung beide<br />

Ehegatten entsprechende Kapitaleinkünfte erzielen bzw. erzielen könnten – die Ehefrau<br />

in Höhe von 456,– DM monatlich, der Ehemann in Höhe von fiktiven 422,– DM<br />

monatlich, da die unwirtschaftliche Wiederanlage des Erlöses in eine neue Immobilie<br />

unterhaltsrechtlich nicht berücksichtigt werden könne –, sei der Wohnwert auch weiterhin<br />

zu berücksichtigen. Schließlich seien die ehelichen Lebensverhältnisse auch<br />

durch die Haushaltsführung geprägt gewesen. Soweit ein Ersatzeinkommen zur Verfügung<br />

stehe, welches hier in den nichtprägenden Zinseinkünften bestehe, sei es als<br />

fiktives Entgelt für die Haushaltsführung zu berücksichtigen. Somit seien die den<br />

Wohnwert übersteigenden Zinseinkünfte des Ehemannes in Höhe von 22,– DM und der<br />

Ehefrau in Höhe von 56,– DM ebenfalls bei der Bedarfsermittlung einzubeziehen.<br />

Dagegen seien Zusatzversicherungen der Kranken- und Unfallvorsorge bei beiden Parteien<br />

nicht als einkommensmindernd zu berücksichtigen, weil diese im Hinblick auf<br />

den bereits eingetretenen Ruhestand nicht mehr als angemessene Vorsorge anzusehen<br />

seien. Danach ergebe sich folgende Unterhaltsberechnung:<br />

Rente Ehemann 3851,– DM abzgl. 639,– DM Versorgungsausgleich 3212,– DM<br />

Rente Ehefrau einschließlich Versorgungsausgleich (nach Abzug der 1033,– DM<br />

entsprechenden Krankenversicherungsbeiträge)<br />

Ersatzeinkommen Hauserlös Ehemann 400,– DM<br />

Ersatzeinkommen Hauserlös Ehefrau 400,– DM<br />

Ersatzeinkommen Hausfrauentätigkeit Ehemann 22,– DM<br />

Ersatzeinkommen Hausfrauentätigkeit Ehefrau 56,– DM<br />

prägende Zinseinkünfte Ehefrau 267,– DM<br />

5390,– DM<br />

Bedarf 5390,– DM : 2 = 2695,– DM.<br />

Darauf habe sich die Ehefrau ihr Renteneinkommen in Höhe von 1033,– DM sowie die<br />

Zinseinkünfte in Höhe von nichtprägenden 456,– DM und prägenden 267,– DM, insgesamt<br />

723,– DM, anrechnen zu lassen, so dass sich ein Unterhaltsanspruch in Höhe von<br />

939,– DM ergebe.<br />

Dem kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden.<br />

2. Der Senat hat mit Urt. v. 13. 6. 2001 1 (XII ZR 343/99, FamRZ 2001,<br />

986) entschieden, dass sich der nach § 1578 BGB zu bemessende Unterhaltsbedarf<br />

eines Ehegatten, der seine Arbeitsfähigkeit während der Ehe<br />

ganz oder zum Teil in den Dienst der Familie gestellt, den Haushalt geführt<br />

und ggf. Kinder erzogen hat, nicht nur nach dem in der Ehe zur Verfügung<br />

stehenden Bareinkommen des Unterhaltspflichtigen richtet. Vielmehr soll<br />

dieser Ehegatte auch nach der Scheidung an dem durch seine Familienarbeit<br />

verbesserten ehelichen Lebensstandard teilhaben, weil seine in der Ehe<br />

durch Haushaltsführung und etwaige Kinderbetreuung erbrachten Leistungen<br />

der Erwerbstätigkeit des verdienenden Ehegatten grundsätzlich gleichwertig<br />

sind und die ehelichen Lebensverhältnisse mitgeprägt haben. Ausgehend<br />

von dieser Gleichwertigkeit hat der Senat daher ein Erwerbseinkommen<br />

des unterhaltsberechtigten Ehegatten, welches dieser nach der Ehe<br />

erzielt und welches gleichsam als Surrogat des wirtschaftlichen Wertes<br />

seiner bisherigen Familienarbeit angesehen werden kann, bei der Unterhaltsbemessung<br />

mitberücksichtigt und den Unterhalt nicht mehr nach der<br />

sog. Anrechnungs-, sondern nach der Additions- bzw. Differenzmethode<br />

ermittelt. Diese, auf einer abweichenden Sicht des § 1578 BGB und des<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 457<br />

bisherigen Verständnisses der „eheprägenden Verhältnisse‘‘ beruhenden<br />

Grundsätze sind in entsprechender Weise auch auf den vorliegenden Fall<br />

anzuwenden.<br />

Zwar hat die Ehefrau hier aus Altersgründen nach der Ehe keine Erwerbstätigkeit<br />

mehr aufgenommen, sondern bezieht Altersrente. Diese ist in<br />

gleicher Weise als Surrogatseinkommen in die Bedarfsberechnung einzubeziehen,<br />

und zwar insgesamt, ohne Unterscheidung danach, dass sie teilweise<br />

auf eigenen vorehelich erworbenen Anwartschaften, teilweise auf dem infolge<br />

der Scheidung durchgeführten Versorgungsausgleich beruht.<br />

a) Soweit es die im Versorgungsausgleich erworbene Rente betrifft, liegt<br />

dem Versorgungsausgleich der Gedanke zugrunde, dass die vom Ausgleichsverpflichteten<br />

erworbenen und formal ihm zugeordneten Versorgungsanrechte<br />

auf einer gemeinsamen Lebensleistung beider Ehegatten<br />

beruhen, ohne Rücksicht darauf, ob es sich um Erwerbstätigkeit oder Haushaltsführung<br />

handelt, und dass beide Tätigkeiten gleichwertige Beiträge<br />

zum Familienunterhalt erbringen (§ 1360 BGB). Das vom allein oder überwiegend<br />

erwerbstätigen Ehegatten in der Ehe angesammelte Versorgungsvermögen<br />

gebührt daher zu einem entsprechenden Teil auch demjenigen<br />

Ehegatten, dem es nicht formal zugeordnet ist, und ist im Falle der Scheidung<br />

zu teilen (BT-Drucks. 7/650, S. 61/155; 7/4361, S. 18/19; BVerfGE<br />

53, 257 ff.; Johannsen/Henrich/Hahne, aaO, vor §§ 1587 bis 1587 p BGB<br />

Rdn. 4). Unter diesem Gesichtspunkt stellen sich die im Versorgungsausgleich<br />

erworbenen Rentenanwartschaften der Ehefrau gleichsam als Surrogat<br />

für ihre Haushaltsführung in der Ehe dar. Die daraus bezogene Rente<br />

der Ehefrau tritt an die Stelle ihres sonst möglichen Erwerbseinkommens<br />

und ist daher bei der Bedarfsbemessung nach dem Maßstab des § 1578<br />

BGB mit zu berücksichtigen (in Abweichung zu den Senatsurteilen v. 11. 2.<br />

1987 – IVb ZR 20/86, FamRZ 1987, 459/460, und v. 11. 5. 1988 – IVb ZR<br />

42/87, FamRZ 1988, 817/818 ff.; a. A. wohl Scholz, FamRZ 2001,<br />

1<strong>06</strong>1/1<strong>06</strong>3).<br />

b) Für den auf vorehelichen Rentenanwartschaften beruhenden Rententeil<br />

gilt im Ergebnis nichts anderes. Auch insoweit kann die Altersrente als<br />

ein Surrogat für die frühere Erwerbstätigkeit und die sich daran anschließende,<br />

nach Eheschließung in Form der Familienarbeit fortgeführte Tätigkeit<br />

angesehen werden. Würde nämlich der berechtigte Ehegatte nach<br />

Scheidung zunächst noch ein Erwerbseinkommen erzielen und erst später<br />

– unter Einschluss vorehelicher Rentenanwartschaften – eine Rente beziehen,<br />

so wäre diese Rente als normale Fortentwicklung seines Erwerbseinkommens<br />

bei späteren Unterhaltsberechnungen gemäß § 1578 BGB in<br />

gleicher Weise mit zu berücksichtigen, wie zuvor das als Surrogat der<br />

Haushaltstätigkeit anzusehende Erwerbseinkommen. Ein Vergleich mit der<br />

Situation beim Verpflichteten bestätigt dieses Ergebnis: Dessen – im Zeitpunkt<br />

der Scheidung erzieltes und danach im normalen Rahmen fortentwickeltes<br />

– Erwerbseinkommen wird in voller Höhe ohne Rücksicht darauf<br />

berücksichtigt, ob dieses Einkommen z. B. auf besonderen Lehrgängen,<br />

Schulungen oder ähnlichem beruht, die der Verpflichtete vor der Ehe durchlaufen<br />

hat. Auch sein im Versorgungsfall an die Stelle des Erwerbseinkom-<br />

DNotZ 2002


458 Rechtsprechung<br />

mens tretendes Renteneinkommen wird in voller Höhe in die Unterhaltsbemessung<br />

einbezogen, gleichgültig, ob es auch auf vorehelichen Beitragsoder<br />

beitragsfreien Zeiten, z. B. Ausbildungszeiten, beruht. Auf die Frage,<br />

ob die Rente noch vor Rechtskraft der Scheidung angefallen ist, kommt es<br />

somit nicht mehr an.<br />

3. Die Revision beanstandet zu Unrecht den Einbezug der monatlichen Zinseinkünfte<br />

der Ehefrau in Höhe von 267,– DM in die Bedarfsbemessung. Das OLG hat hierzu<br />

aufgrund des Vorbringens des Ehemannes in der mündlichen Verhandlung festgestellt,<br />

dass sich die Ehefrau in der Ehe von den Zinseinkünften zuweilen besondere Wünsche<br />

erfüllt habe. Das enthält eine bindende tatsächliche Feststellung i. S. des § 314 ZPO, auch<br />

wenn sie in den Gründen getroffen wird (BGHZ 139, 36/39; Urt. v. 19. 11. 1998 – IX ZR<br />

116/97, NJW 1999, 641/642). Dass ein Ehegatte sich von einem Teil seiner Einkünfte<br />

besondere persönliche Wünsche erfüllt, ohne dass der andere unmittelbar daran teilhat,<br />

entspricht im Übrigen den üblichen Gepflogenheiten und steht der Annahme, dass auch<br />

dies zu den ehelichen Lebensverhältnissen zählt, nicht entgegen.<br />

4. Bedenken bestehen jedoch gegen die Nichtberücksichtigung der Zusatzversicherungen<br />

der Parteien für Kranken- und Unfallvorsorge, die das OLG damit begründet hat, dass<br />

die Parteien bei ihrem jetzigen Renteneinkommen nur noch Anspruch auf eine angemessene<br />

Vorsorge hätten. Die von den Parteien schon während der Ehe jeweils abgeschlossenen<br />

Zusatzversicherungen entsprachen den ehelichen Lebensverhältnissen, weshalb sie<br />

bei der Bedarfsbemessung zu berücksichtigen sind. Sie liegen auch nach der Pensionierung<br />

der Parteien nicht außerhalb eines eheangemessenen Bedarfs. Dem Senat ist eine<br />

eigene Sachentscheidung verwehrt, da das OLG zu den der Höhe nach zwischen den<br />

Parteien zum Teil streitigen Versicherungen keine abschließenden Feststellungen getroffen<br />

hat. Daher war auch der Unterhaltsausspruch aufzuheben und die Sache zwecks weiterer<br />

Feststellungen an das OLG zurückzuverweisen.<br />

5. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin: Das OLG hat nicht nur<br />

die jeweils 400,– DM Kapitaleinkünfte der Parteien, die dem je hälftigen Wohnwert der<br />

zwischenzeitlich verkauften Eigentumswohnung entsprechen, in die Bedarfsbemessung<br />

einbezogen, sondern auch die darüber hinausgehenden Kapitalzinsen von 56,– DM auf<br />

Seiten der Ehefrau und 22,– DM auf Seiten des Ehemannes (jeweils monatlich). Es hat<br />

dies damit begründet, dass die 400,– DM als Ersatzeinkommen für das „tote Kapital‘‘ aus<br />

dem jeweiligen Wohnvorteil und die überschießenden Zinsen als „Ersatzeinkommen für<br />

die Haushaltsführung‘‘ einzusetzen seien. Das weckt insofern Bedenken, als die Kapitaleinkünfte,<br />

die aus dem Wohnungsverkauf erzielt werden, nicht als Surrogat für die Haushaltsführung<br />

angesehen werden können. Denn sie stehen in keinem Zusammenhang mit<br />

der Haushaltsführung. Dieser Ansatz entspricht auch nicht der Rechtsprechung des Senats.<br />

Allerdings sind sie aus einem anderen Grunde als eheprägend anzusehen.<br />

Die ehelichen Lebensverhältnisse waren dadurch geprägt, dass die Eheleute gemeinschaftlich<br />

Eigentümer einer Eigentumswohnung waren. Bis zum Verkauf dieser Wohnung<br />

war daher der Wohnwert in Höhe von 800,– DM beiden Ehegatten jeweils zur Hälfte<br />

zuzurechnen. Durch die Veräußerung der Wohnung entfiel der Wohnwert für beide Ehegatten,<br />

allerdings nicht ersatzlos. Vielmehr setzte sich der eheprägende Wohnvorteil in<br />

dem Vorteil fort, welchen die Parteien nunmehr in Form von Zinsgewinnen aus dem Erlös<br />

ihrer Miteigentumsanteile zogen oder ziehen konnten (Senatsurteile v. 19. 12. 1989 – IVb<br />

ZR 9/89, FamRZ 1990, 269/272; v. 3. 5. 2001 – XII ZR 62/99, NJW 2001, 2259/2261).<br />

Dementsprechend prägten diese Kapitaleinkünfte der Parteien die ehelichen Lebensverhältnisse,<br />

und zwar auch, soweit sie den Wohnwert überstiegen. Gegen die Höhe der<br />

bisher angesetzten Zinseinkünfte wendet sich die Revision nicht. Sie ist auch nicht zu<br />

beanstanden.<br />

Allerdings wird das OLG bei der Berechnung des künftigen Unterhaltsanspruchs zu<br />

beachten haben, inwieweit sich die Zinseinkünfte der Ehefrau künftig verringern werden.<br />

Dies hängt davon ab, ob und ggf. in welcher Höhe sie dem Ehemann einen Zugewinnausgleich<br />

zahlen muss, der ihr Kapital vermindert.<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 459<br />

II. Handels- und Gesellschaftsrecht<br />

Nr. 1 AktG §§ 309 Abs. 2, 317 Abs. 2, 400 Abs. 1 Nr. 1; GmbHG §§ 30,<br />

31, 43 Abs. 3; BGB § 823 Abs. 2; StGB §§ 263, 266 (Haftung von<br />

Organmitgliedern im GmbH-Konzern bei „zentralem Cash-Management‘‘)<br />

a) Der Schutz einer abhängigen GmbH gegen Eingriffe ihres Alleingesellschafters<br />

folgt nicht dem Haftungssystem des Konzernrechts des<br />

Aktienrechts (§§ 291 ff., 311 ff. AktG), sondern ist auf die Erhaltung<br />

ihres Stammkapitals und die Gewährleistung ihres Bestandsschutzes<br />

beschränkt, der eine angemessene Rücksichtnahme auf die Eigenbelange<br />

der GmbH erfordert. An einer solchen Rücksichtnahme fehlt es,<br />

wenn die GmbH infolge der Eingriffe ihres Alleingesellschafters ihren<br />

Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann.<br />

b) Veranlasst der Alleingesellschafter die von ihm abhängige GmbH,<br />

ihre liquiden Mittel in einen von ihm beherrschten konzernierten Liquiditätsverbund<br />

einzubringen, trifft ihn die Pflicht, bei Dispositionen<br />

über ihr Vermögen auf ihr Eigeninteresse an der Aufrechterhaltung<br />

ihrer Fähigkeit, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen, angemessene<br />

Rücksicht zu nehmen und ihre Existenz nicht zu gefährden. Kommt er<br />

dieser Verpflichtung nicht nach, kann er sich eines Treubruchs i. S. des<br />

§ 266 Abs. 1 StGB schuldig machen.<br />

BGH, Urt. v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99 (mit Anm. Schaub)<br />

Die Klägerin nimmt die Beklagten als ehemalige Vorstandsmitglieder der B. AG (B.)<br />

auf Schadensersatz in Höhe von je 9,7 Mio. DM in Anspruch. Sie wirft ihnen insbesondere<br />

vor, entgegen den getroffenen Vereinbarungen die Verwendung mehrerer für die M.<br />

GmbH in W. (M.) freigegebener Investitionsbeihilfebeträge, insbesondere eines am 20. 9.<br />

1995 freigegebenen Betrages von 194 Mio. DM zur Durchführung von Investitionsvorhaben<br />

verhindert zu haben. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:<br />

Die Klägerin schloss unter dem Namen Treuhandanstalt (THA) zusammen mit der D.<br />

in R. (D.), deren alleinige Gesellschafterin sie damals war, am 11. 8. 1992 mit der B. V.<br />

AG (B.) und der S. AG (S.) einen Veräußerungs- und Abtretungsvertrag (KAV) über die<br />

beiden Geschäftsanteile, welche die D. als Alleingesellschafterin der H. Schiffs- und<br />

Maschinenbaugesellschaft in R. (H.) hielt, die Alleingesellschafterin der M. war. Nach<br />

Verschmelzung der H. auf B. wurden die Anteile an M. mit 2% von B. und mit 98% von<br />

der V. GmbH (V.) gehalten, deren alleinige Gesellschafterin B. war. Nach § 5 Ziff. I<br />

Abschn. 1 lit. b des KAV hatte die THA einen Betrag von 686 542 000,– DM als „Gesamtausgleichsbetrag<br />

cash‘‘ auf ein Treuhandkonto zu zahlen, den die Treuhänder M. in<br />

Teilbeträgen zu bestimmten Terminen auszuzahlen hatten. Nach § 8 Abschn. 1 KAV<br />

verpflichtete sich B., M. als Verbundgesellschaft zu veranlassen, in dem Zeitraum von<br />

1992 bis 1995 Investitionen in Höhe von 562,2 Mio. DM vorzunehmen. Als Investition<br />

war nur ein Zugang im Anlagevermögen der jeweiligen Verbundgesellschaft anzusehen.<br />

Der Betrag von 337,2 Mio. DM, der als Rückstellung für „unterlassene Instandhaltung,<br />

Instandsetzung und Aufholinvestitionen‘‘ vorgesehen war, stellte eine Vorschussleistung<br />

für den vom Land Mecklenburg-Vorpommern erwarteten Förderanteil dar, der nach Leistung<br />

der als Investitionsfördermittel vorgesehenen 562,2 Mio. DM an die THA zurückgezahlt<br />

werden sollte. Nach § 8 Abschn. 4 KAV war der THA der zu bestimmten<br />

Zeitpunkten realisierte Umfang der Investitionen schriftlich bekannt zu geben und ein<br />

entsprechender Bericht des Abschlussprüfers der Verbundgesellschaften zu übersenden,<br />

der im Zuge der Prüfung der jeweiligen Jahresabschlüsse zu erstellen war. Da die im<br />

Vertrag aufgeführten Beihilfen als staatliche Fördermittel i. S. der Art. 92 f. des Vertrages<br />

DNotZ 2002


460 Rechtsprechung<br />

zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i. d. F. des Vertrages über die Europäische<br />

Union v. 7. 2. 1992 (BGBl. II, 1253/1256) anzusehen waren, bestimmte § 13 KAV u. a.,<br />

dass der Vertrag erst nach Erteilung der Zustimmung der Organe der EG und des<br />

Bundesministers der Finanzen wirksam werden sollte. Da diese Zustimmungen bis zu<br />

dem von den Parteien vorausgesetzten Zeitpunkt nicht vorlagen, setzten sie den Vertrag<br />

mit den Vereinbarungen vom 1. 10. 1992 und vom 12. 2. 1993 unter Anpassung der<br />

rechtlichen Voraussetzungen für die von der THA auszuzahlenden Beträge vorzeitig in<br />

Kraft. Mit Schreiben vom 6. 1. 1993 genehmigte die EG die Auszahlung einer Beihilfe<br />

von 304 Mio. DM, in der aus dem „Gesamtausgleichsbetrag cash‘‘ (686 542 000,– DM)<br />

insgesamt 223,3 Mio. DM enthalten waren. Die EG machte die Genehmigung weiterer<br />

Beihilfen von dem Nachweis abhängig, dass die Gefahr eines Übertragungseffektes von<br />

Beihilfen auf andere – in den alten Bundesländern gelegene – Werften ausgeschlossen<br />

war. Da B. die M. in den Liquiditätsausgleich des B.-Konzerns einbezog und aus diesem<br />

Grunde nicht mehr ausgeschlossen war, dass die M. ausgezahlten Beihilfebeträge anderen<br />

Gesellschaften des B.-Konzerns zugute kamen, verlangte die THA von B. für die<br />

einbezogenen Beträge die Stellung von Sicherheiten zugunsten von M. Nachdem B. sich<br />

geweigert hatte, diesem Verlangen nachzukommen, einigten sich B. und THA auf die<br />

halbjährliche Berichterstattung über den Geschäftsverlauf und die Fortschritte bei der<br />

Umstrukturierung von M. sowie die vierteljährliche Vorlage sog. spill-over-Berichte. Da<br />

sich aus den beiden ersten spill-over-Berichten ergab, dass die M. zur Verfügung<br />

gestellten Mittel im Wege des Liquiditätsausgleichs teilweise westdeutschen Konzernunternehmen<br />

überlassen worden waren, erhob die THA weiter den Vorbehalt, dass die<br />

Mittel M. auf erstes Anfordern sofort wieder verfügbar gemacht werden müssten. In der<br />

Folgezeit genehmigte die EG die Auszahlung weiterer Beihilfen (u. a. am 10. 10. 1995:<br />

194 Mio. DM Investitionsbeihilfe). Nachdem die Treuhänder den Betrag von 194 Mio.<br />

DM am 11. 10. 1995 freigegeben hatten, gelangte er alsbald auf das Konto der Treasury<br />

des B. Zur Einzahlung war M. verpflichtet, weil sie am 1. 9./30. 11. 1994 dem zwischen<br />

B. und den Beteiligungsgesellschaften abgeschlossenen Vertrag über konzerninterne<br />

Finanzierungen und Geldanlagen (CC-Vertrag) beigetreten war, nach dem die Verbundgesellschaften<br />

verpflichtet waren, frei verfügbare liquide Mittel ausschließlich bei der<br />

Treasury von B. anzulegen und Betriebsmittelkredite nur bei ihr aufzunehmen. Am 3. 7.<br />

1995 konfrontierte die von B. beauftragte Bo. Group den Vorstand mit dem Hinweis auf<br />

drohende Liquidationsrisiken: Sie stellte einen sofortigen Handlungsbedarf zur Abdeckung<br />

kurzfristiger Liquiditätsrisiken fest und hielt einen über Plan liegenden Cash-<br />

Bedarf von 1,1 Mrd. DM für die Jahre 1995 bis 1997 und die Aufnahme langfristiger<br />

Kredite für erforderlich. Die Lagebesprechung vom 25. 8. 1995 führte nach dem von<br />

der C. angefertigten Protokoll zu dem Ergebnis, dass die langfristige Planung eine<br />

Rechnungslücke von ca. 300 Mio. DM aufwies und die B. zur Verfügung stehenden<br />

Betriebsmittelkredite von 155 Mio. DM für die Finanzierung kurzfristig auftretenden<br />

Finanzierungsbedarfs nicht ausreichten. Da eine Erfüllung der Investitionsverpflichtungen<br />

von B. gegenüber M. mit Hilfe von Kreditmitteln nach dem Scheitern der mit<br />

Bankenvertretern geführten Gespräche ausschied, erklärte der Vorstand am 22. 12. 1995<br />

und 3. 1. 1996, dass die Zahlungsanforderungen der Werften in Ostdeutschland an das<br />

zentrale Cash-Management nicht mehr bedient werden könnten. Am 30. 9. 1995 waren<br />

von dem durch die EG freigegebenen Beihilfebetrag (288 800 000,– DM) noch<br />

102 687 000,– DM, zum 31. 12. 1995 noch 55 289 000,– DM reserviert. Zu diesen Zeitpunkten<br />

waren bei der Treasury Fest- und Tagesgelder von M. in Höhe von nahezu<br />

428 Mio. DM (30. 9. 1995) bzw. 590 Mio. DM (31. 12. 1995) angelegt. M. steht aus<br />

dem Liquiditätsverbund gegen V. noch eine Forderung von 527 300 000,– DM, gegen B.<br />

eine solche von 4,7 Mio. DM zu. Am 1. 5. 1996 ist über das Vermögen von B. das<br />

Konkursverfahren eröffnet worden. (. . .)<br />

Die Revision gegen das die Klage abweisende Urteil des BerufungsG<br />

führt zur Aufhebung und Zurückverweisung. Nach dem gegenwärtigen<br />

Stand des Verfahrens kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Klägerin<br />

Schadensersatzansprüche gegen die Beklagten sowohl aus abgetretenem<br />

Recht der M. als auch aus eigenem Recht zustehen.<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 461<br />

I. Ansprüche der Klägerin aus abgetretenem Recht der M.<br />

Das BerufungsG hat Ansprüche der Klägerin entsprechend §§ 309<br />

Abs. 2, 317 Abs. 3 AktG sowie § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit §§ 266 bzw.<br />

263 StGB und § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG verneint. Dagegen wendet sich die<br />

Revision teilweise mit Erfolg.<br />

1. Schadensersatzanspruch entsprechend § 309 Abs. 2 bzw. § 317 Abs. 3<br />

AktG im Rahmen eines qualifiziert faktischen oder auch eines einfachen<br />

faktischen GmbH-Konzerns.<br />

Die Revision rügt, das BerufungsG habe zu Unrecht das Vorliegen eines<br />

qualifiziert faktischen Konzerns zwischen B. und der M. GmbH (M.) verneint.<br />

Der M. als beherrschter Gesellschaft zugefügte Nachteil lasse sich<br />

nicht durch nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen begründete Einzelansprüche<br />

kompensieren. Sei demnach von dem Vorliegen eines qualifiziert faktischen<br />

GmbH-Konzerns auszugehen, finde auf dieses Rechtsverhältnis nicht<br />

nur der Rechtsgedanke der §§ 302, 303 AktG Anwendung, sondern auch<br />

derjenige über die Haftung der geschäftsführenden Organmitglieder des herrschenden<br />

Unternehmens bei Verletzung der ihnen gegenüber der beherrschten<br />

Gesellschaft obliegenden Pflichten (vgl. § 309 Abs. 1 und 2 AktG).<br />

Jedenfalls aber habe das BerufungsG eine Schadensersatzpflicht der Beklagten<br />

in entsprechender Anwendung des § 317 Abs. 3 AktG bejahen müssen.<br />

Mit dieser Rüge kann die Revision keinen Erfolg haben.<br />

Der Schutz einer abhängigen GmbH gegenüber Eingriffen ihres Alleingesellschafters<br />

folgt nicht dem Haftungssystem des Konzernrechtes des<br />

Aktiengesetzes (§§ 291 ff. AktG). Er beschränkt sich auf die Erhaltung<br />

ihres Stammkapitals i. S. der §§ 30 f. GmbHG, für die im Rahmen des § 43<br />

Abs. 3 GmbHG auch ihre Geschäftsführer haften, und die Gewährleistung<br />

ihres Bestandsschutzes in dem Sinne, dass ihr Alleingesellschafter bei<br />

Eingriffen in ihr Vermögen und ihre Geschäftschancen angemessene Rücksicht<br />

auf ihre seiner Disposition entzogenen eigenen Belange zu nehmen<br />

hat. An einer solchen angemessenen Rücksichtnahme auf die Eigenbelange<br />

der abhängigen GmbH fehlt es dann, wenn diese infolge der Eingriffe ihres<br />

Alleingesellschafters ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann<br />

(BGHZ 122, 123/130 – TBB). Zu einer Haftung des Alleingesellschafters<br />

für die Verbindlichkeiten der von ihm beherrschten GmbH führt aber auch<br />

ein solcher bestandsvernichtender Eingriff nur dann, wenn sich die Fähigkeit<br />

der GmbH zur Befriedigung ihrer Gläubiger nicht schon durch die<br />

Rückführung entzogenen Stammkapitals gemäß § 31 GmbHG wiederherstellen<br />

lässt.<br />

Im vorliegenden Fall waren die Eigenbelange der M. spätestens ab<br />

Dezember 1995 nicht mehr gewahrt, weil sie von diesem Zeitpunkt an die<br />

in den Liquiditätsverbund des Konzerns eingebrachten zur Erfüllung ihrer<br />

Verbindlichkeiten benötigten Mittel mangels eigener Liquidität des B.-Konzerns<br />

nicht mehr abrufen konnte. Zugleich war spätestens in diesem Zeitpunkt<br />

der Tatbestand des § 30 GmbHG erfüllt.<br />

Für den Erfolg der Klage bleibt das jedoch ebenso ohne Bedeutung wie<br />

die Frage, ob die Fähigkeit der M. zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten<br />

allein durch die Erstattung des ihr entzogenen Stammkapitals nach § 31<br />

DNotZ 2002


462 Rechtsprechung<br />

GmbHG wieder herstellbar wäre. Denn sowohl der Erstattungsanspruch<br />

nach § 31 GmbHG als auch der Anspruch der Gesellschaft wegen eines<br />

bestandsvernichtenden Eingriffs in ihr Vermögen und ihre Geschäftschancen<br />

nach den Grundsätzen der Entscheidung BGHZ 122, 123 ff. richtet sich<br />

grundsätzlich allein gegen ihren Gesellschafter, nicht aber auch gegen<br />

dessen Organe. Eine persönliche Verpflichtung der Beklagten aus den<br />

genannten Anspruchsgrundlagen ist damit nicht begründbar.<br />

2. Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 266 Abs. 1<br />

Altern. 2 StGB.<br />

Das BerufungsG hat den Treubruchtatbestand des § 266 Abs. 1 StGB mit<br />

der Begründung verneint, die Beklagten hätten keine auf einem Treueverhältnis<br />

beruhende Pflicht zur Wahrung der Vermögensinteressen von M.<br />

gehabt. Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.<br />

Die Vermögensbetreuungspflicht von B. gegenüber der M. i. S. des § 266<br />

Abs. 1 StGB folgt aus ihrer Stellung als beherrschendes Unternehmen<br />

gegenüber M. als beherrschter Gesellschaft. Aufgrund dieser Stellung war<br />

B. in der Lage, auf M. und ihre Geschäftsführung faktisch unbeschränkt<br />

Einfluss zu nehmen. Davon hat sie nach den vom BerufungsG getroffenen<br />

Feststellungen insoweit Gebrauch gemacht, als sie M. veranlasst hat, zunächst<br />

dem Liquiditätsverbund des B.-Konzerns und am 1. 9./30. 11. 1994<br />

dem CC-Vertrag beizutreten. Sie veranlasste M. ebenso wie ihre anderen<br />

Tochtergesellschaften, ihre liquiden Mittel in den Liquiditätsverbund einzubringen.<br />

Sie bestimmte allein darüber, in welcher Weise über die eingebrachten<br />

liquiden Mittel verfügt wurde. Diese Vermögensbetreuungspflicht<br />

von B. gegenüber M. bestand zwar nicht unbegrenzt. Da B. über ihre<br />

unmittelbare und mittelbare Beteiligung an M. deren Alleingesellschafterin<br />

war, hatte sie jedoch die Pflicht, das Vermögen von M. insoweit zu betreuen,<br />

als sie bei ihren Dispositionen über Vermögenswerte der M. durch angemessene<br />

Rücksichtnahme auf deren Eigeninteresse an der Aufrechterhaltung<br />

ihrer Fähigkeit, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen (vgl. oben<br />

unter Ziff. 1) darauf zu achten hatte, dass sie die Existenz der M. nicht<br />

gefährdete (vgl. BGH, Urt. v. 24. 8. 1988 – 3 StR 232/88, NJW 1989, 112).<br />

Dieser Pflicht ist sie, wie bereits oben unter Ziff. 1 ausgeführt, im vorliegenden<br />

Falle nicht nachgekommen. (. . .)<br />

Da die Beklagten die Geschäfte von B. als vertretungsberechtigte Vorstandsmitglieder<br />

geführt haben, trifft sie gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB die<br />

Verantwortung für die Handlungen von B.<br />

Die Vorschrift des § 266 Abs. 1 StGB setzt ein vorsätzliches Handeln<br />

voraus. Ob – und ggf. zu welchem Zeitpunkt – den Beklagten bekannt war,<br />

dass der B.-Konzern nicht mehr in der Lage war, M. – und den anderen<br />

ostdeutschen Werftunternehmen – die in den Liquiditätsverbund eingezahlten<br />

Gelder zurückzugewähren, bedarf noch der Feststellung durch das<br />

BerufungsG.<br />

3. Schadensersatzanspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 263<br />

Abs. 1 StGB.<br />

Das BerufungsG hat einen Betrug der Beklagten gegenüber M. mit der<br />

Begründung verneint, eine Täuschung und eine darauf beruhende Ver-<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 463<br />

mögensverfügung von M. scheide im Hinblick auf die Weisungsgebundenheit<br />

ihrer Geschäftsführer aus. Auch die dagegen erhobene Rüge der Revision<br />

hat Erfolg.<br />

a) Zutreffend weist die Revision darauf hin, dass B. verpflichtet war, M.<br />

von dem Zeitpunkt an, in dem die Rückführung der von M. in den Konzernverbund<br />

eingebrachten Mittel aufgrund der drohenden Illiquidität des B.-<br />

Konzerns nicht mehr gewährleistet war, auf den drohenden Verlust dieser<br />

Mittel hinzuweisen, der zum Verlust ihres Stammkapitals und darüber hinaus<br />

zur Gefährdung ihrer Existenz führen musste. Eine solche Aufklärungspflicht<br />

ergab sich aus dem besonderen Vertrauensverhältnis, das aufgrund<br />

des CC-Vertrages zwischen M. und B. als herrschendem Unternehmen begründet<br />

worden war. Da M. grundsätzlich verpflichtet war, auch freigegebene<br />

Beihilfebeträge als Fest- oder Tagesgelder dem Konzern zur Verfügung<br />

zu stellen, traf B. als herrschendes Unternehmen nicht nur die Verpflichtung,<br />

jederzeit die zur Deckung des Stammkapitals der M. erforderlichen Mittel<br />

vorzuhalten, sondern darüber hinaus auch die Pflicht, die Liquidität von M.<br />

sicherzustellen. Sobald sich abzeichnete, dass sie dazu nicht mehr in der<br />

Lage sein würde und es sich dabei nicht nur um einen vorübergehenden<br />

Liquiditätsmangel handelte, musste M. darauf aufmerksam gemacht werden.<br />

Nur wenn die Beklagten als die für B. handelnden Organe dieser Verpflichtung<br />

nachkamen, war die M. in der Lage, den Verlust ihrer in den Konzernverbund<br />

eingelegten Mittel durch deren rechtzeitigen Abzug zu verhindern.<br />

Das BerufungsG hat offen gelassen, zu welchem Zeitpunkt die Gefährdungslage<br />

für M. eingetreten ist. Nach dem Vortrag der Klägerin, dessen<br />

Richtigkeit revisionsrechtlich zu unterstellen ist, war das auf jeden Fall<br />

schon vor Auszahlung des Beihilfebetrages von 194 000 000,– DM der Fall.<br />

Da B. den aufklärenden Hinweis nicht vorgenommen hat, hat sie M.<br />

pflichtwidrig durch Unterlassen getäuscht.<br />

b) Die von den Beklagten als den nach § 14 StGB für das rechtmäßige<br />

Verhalten von B. verantwortlichen Organmitgliedern begangene Täuschung<br />

der Geschäftsführung der M. durch Unterlassen des gebotenen Hinweises<br />

auf die drohende Illiquidität des Konzerns ist auch ursächlich für den<br />

unterlassenen rechtzeitigen Abzug der eingelegten Mittel und damit für die<br />

Minderung des Vermögens der M. geworden.<br />

Entgegen der Annahme des BerufungsG kann nicht davon ausgegangen werden, dass<br />

die Geschäftsführung der M. mit Rücksicht auf ihre Weisungsgebundenheit den Abzug der<br />

Mittel auch in Kenntnis ihres drohenden Verlustes unterlassen hätte. Die vom BerufungsG<br />

angenommene Weisungsgebundenheit der Geschäftsführung der M. gegenüber dem Alleingesellschafter<br />

der von ihnen geleiteten Gesellschaft mag zwar in Bezug auf den<br />

Beitritt zu dem CC-System des Konzernverbundes bestanden haben. Sie bestand jedoch<br />

auf keinen Fall in Bezug auf die Belassung dieser Mittel auch bei sich anbahnender<br />

Illiquidität des Konzernverbundes. Vielmehr wäre die Befolgung einer etwaigen Weisung<br />

der für B. handelnden Beklagten zur Unterlassung des Abzuges in dieser Situation, wie<br />

§ 43 Abs. 3 GmbHG deutlich macht, sogar pflichtwidrig mit der Folge der Entstehung<br />

eigener Schadensersatzpflichten der Geschäftsführer der M. gewesen. Ein solch pflichtwidriges,<br />

zur Selbstschädigung führendes Verhalten der Mitglieder der Geschäftsführung<br />

der M. kann nicht zu deren Lasten unterstellt werden.<br />

c) Das BerufungsG wird deshalb auf der Grundlage des klägerischen<br />

Vortrages die erforderlichen Feststellungen dazu treffen müssen, ob die<br />

DNotZ 2002


464 Rechtsprechung<br />

Voraussetzungen einer Schadensersatzpflicht aufgrund Betruges gegeben<br />

sind.<br />

4. Schadensersatz wegen unrichtiger Darstellung der Gesellschaftsverhältnisse<br />

in der Hauptversammlung von B. am 29. 6. 1995 (§ 823 Abs. 2<br />

BGB i. V. mit § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG).<br />

Das BerufungsG hat einen Schadensersatzanspruch der M. aufgrund der<br />

Erklärungen, die der Vorstandsvorsitzende H. in der Jahreshauptversammlung<br />

1995 über die Liquiditätssituation des Konzerns und der Muttergesellschaft<br />

abgegeben hat und denen die Beklagten nicht widersprochen haben,<br />

mit der Begründung verneint, eine Ursächlichkeit des Verhaltens der Beklagten<br />

für den Schadenseintritt sei nicht ersichtlich, weil die Entscheidung<br />

über die Auszahlung des Betrages von 194 000 000,– DM kaum durch<br />

Ausführungen des Vorstandes in der Hauptversammlung habe beeinflusst<br />

werden können, zumal M. weisungsgebunden gewesen sei. Im gegenwärtigen<br />

Verfahrensstadium müssen die dagegen gerichteten Angriffe der Revision<br />

im Ergebnis ohne Erfolg bleiben.<br />

Nach der genannten Vorschrift wird u. a. ein Vorstandsmitglied bestraft,<br />

wenn es die Verhältnisse der Gesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen<br />

zu verbundenen Unternehmen in Vorträgen in der Hauptversammlung unrichtig<br />

wiedergibt. Vorstandsmitglieder, die einer derart unrichtigen Wiedergabe<br />

nicht widersprechen, begehen die in der genannten Vorschrift enthaltene<br />

Tatbestandshandlung durch Unterlassen (vgl. GroßkommAktG/Otto,<br />

4. Aufl., § 400 Rdn. 17). Da die Vorschrift u. a den Schutz gegenwärtiger<br />

Gläubiger und Vertragspartner der Aktiengesellschaft bezweckt, ist sie als<br />

Schutzgesetz i. S. des § 823 Abs. 2 BGB anzusehen. Dieser zivilrechtliche<br />

Schutz setzt allerdings voraus, dass der Geschädigte durch Handlungen, die<br />

er im Vertrauen auf die Richtigkeit der getätigten Angaben gemacht hat,<br />

einen Schaden erlitten hat (vgl. Otto, aaO, § 400 Rdn. 4).<br />

Nach dem Vortrag der Klägerin war B. im Zeitpunkt der Durchführung der Hauptversammlung<br />

am 29. 6. 1995 bereits konkursreif. Demgegenüber habe ihr Vorstandsvorsitzender<br />

in der Hauptversammlung u. a. ausgeführt, die Gesellschaft werde in der dritten<br />

Phase des neuen Unternehmenskonzeptes ausschließlich schwarze Zahlen schreiben, so<br />

dass der Vorstand wie im Jahr 1994 auch im Jahr 1995 seine Zusagen einhalten könne.<br />

Trotz großer Schwierigkeiten, insbesondere aufgrund der Wechselkursentwicklung und<br />

eines nicht sehr befriedigenden ersten Quartals des laufenden Jahres sei er überzeugt, bei<br />

guter Entwicklung der Auftragseingänge die gesteckten Ziele für 1995 im Wesentlichen<br />

erreichen zu können. Nach dem Vortrag der Klägerin erfüllen diese Erklärungen die<br />

Voraussetzungen des § 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG. Die Beklagten hätten danach dem Vorstandsvorsitzenden<br />

widersprechen müssen. Das haben sie nicht getan.<br />

Diese Erklärungen führen dann zu einer Schadensersatzpflicht, wenn sie<br />

bewirkt haben, dass die Auszahlung des Betrages von 194 000 000,– DM<br />

nicht unterbunden worden ist. Das setzt die Kenntnis des Geschädigten von<br />

dem Inhalt der Äußerungen voraus (vgl. zu § 399 Abs. 1 Nr. 4 AktG:<br />

BGHZ 96, 231/2431 ; 105, 121/126 f.). Die Revision hat keinen Vortrag<br />

darüber aufgezeigt, ob und auf welche Weise M. von den Ausführungen des<br />

Vorstandsvorsitzenden von B. Kenntnis erlangt hat. Damit steht auch nicht<br />

1) DNotZ 1986, 368.<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 465<br />

fest, dass diese in der Hauptversammlung von B. gemachten Ausführungen<br />

ursächlich für die Auszahlung des Betrages von 194 000 000,– DM gewesen<br />

sind. (. . .)<br />

II. Ansprüche der Klägerin aus eigenem Recht.<br />

1. Schadensersatzanspruch wegen unrichtiger Darstellung der Gesellschaftsverhältnisse<br />

in der Hauptversammlung vom 29. 6. 1995.<br />

Die Klägerin macht einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit<br />

§ 400 Abs. 1 Nr. 1 AktG auch aus eigenem Recht geltend. Die Rüge der<br />

Revision, das BerufungsG habe diesen Anspruch verkannt, kann auch hier<br />

nach dem gegenwärtigen Verfahrensstand keinen Erfolg haben. Die Revision<br />

zeigt keinen Vortrag der Klägerin auf, aus dem sich ergibt, dass die<br />

Klägerin von den Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden von B. in der<br />

Hauptversammlung des Jahres 1995 positive Kenntnis erlangt hat. Ein<br />

Grundsatz, nach dem die Lebenserfahrung für die Erlangung einer solchen<br />

Kenntnis spricht, besteht nicht. Die Kenntnis muss also auch hier von der<br />

Klägerin konkret behauptet und bewiesen werden.<br />

2. Schadensersatzanspruch wegen Untreue (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. mit<br />

§ 266 Abs. 1 Altern. 2 StGB).<br />

Das BerufungsG bejaht das Vorliegen des Treubruchtatbestandes nach<br />

§ 266 Abs. 1 StGB. Zwischen der Klägerin und B. sei aufgrund der vereinbarten<br />

Zweckbindung der Investitionsmittel ein Treueverhältnis entstanden,<br />

das B. verpflichtet habe, die im Einzelnen freigegebenen Mittel entsprechend<br />

der Zweckabsprache zu verwenden. Das sei im Hinblick auf die<br />

Investitionsbeihilfe von 194 000 000,– DM zumindest in Höhe von<br />

146 000 602,– DM nicht geschehen. Dabei sei es unerheblich, ob alle getätigten<br />

Investitionen – darunter verstanden die Parteien den Zugang im<br />

Anlagevermögen der jeweiligen Verbundgesellschaft – bezahlt gewesen<br />

seien. Das BerufungsG verneint jedoch eine Schadensersatzpflicht der Beklagten<br />

mit Rücksicht auf die in § 7 des Vertrages vom 4. 4. 1996 getroffene<br />

Vereinbarung, nach der die BVS gegen u. a. B. und die V. keinerlei<br />

Ansprüche aus oder in Zusammenhang mit dem M. betreffenden Privatisierungsvertrag<br />

geltend machen wird. Diese Vereinbarung wirke auch zugunsten<br />

der Beklagten.<br />

Der Revision ist zwar darin zu folgen, dass die Beklagten von § 7 des<br />

Vertrages vom 4. 4. 1996 nicht erfasst werden; sie hat jedoch im Ergebnis<br />

mit Rücksicht auf die von den Beklagten erhobene Gegenrüge keinen<br />

Erfolg.<br />

a) (Auslegung von § 7 Nr. 1 des Vertrages vom 4. 4. 1996 . . .)<br />

b) Die fehlerhafte Auslegung des § 7 des Vertrages vom 4. 4. 1996<br />

ändert jedoch an dem Ergebnis, zu dem das BerufungsG gelangt ist, nichts.<br />

Denn B. – und damit den Beklagten – kann keine Untreuehandlung i. S. des<br />

§ 266 Abs. 1 StGB vorgeworfen werden.<br />

Das BerufungsG bejaht eine Vermögensbetreuungspflicht aus dem KAV.<br />

Bei dem Betrag von 686 542 000,– DM handele es sich um Treugut. Mit<br />

diesem als Gesamtausgleichszahlung bezeichneten Betrag hätten Rückstellungen<br />

abgedeckt werden sollen. Sie hätten aufgrund ihrer Zweckbindung<br />

den Charakter einer Subvention, die als Zuschuss aus öffentlichen Mitteln<br />

DNotZ 2002


466 Rechtsprechung<br />

ein fremdnütziges Treuhandverhältnis begründe. Die Zweckbindung habe<br />

bewirkt, dass die jeweiligen Investitionen mit diesen Beträgen hätten bezahlt<br />

werden müssen. Eine Verrechnung auf Investitionen, die bereits mit<br />

anderen Mitteln bezahlt worden seien, scheide somit aus. Dem vermag der<br />

Senat nicht zu folgen.<br />

aa) Grundsätzlich führt allein die Verpflichtung einer Privatperson, Zuschussmittel<br />

der öffentlichen Hand entsprechend den mit ihr getroffenen<br />

Absprachen zu verwenden, nicht dazu, dass die Privatperson Vermögensinteressen<br />

der öffentlichen Hand wahrzunehmen hätte. Diese Aufgabe obliegt<br />

vielmehr nur Amtsträgern oder solchen Personen, denen der Staat die<br />

Zuteilung derartiger Mittel übertragen hat. Der Privatperson, die staatliche<br />

Zuwendungsmittel für ihre Zwecke erhält, fehlt in der Regel die erforderliche<br />

enge Beziehung zu den staatlichen Vermögensinteressen. Deren Wahrung<br />

durch den Empfänger dieser Mittel kann regelmäßig nicht als die<br />

wesentliche Verpflichtung angesehen werden, die ihm aus dem mit der<br />

öffentlichen Hand abgeschlossenen Rechtsgeschäft erwächst (BGH, Urt. v.<br />

14. 4. 1954 – 1 StR 565/53, LM, StGB § 266 Nr. 16 Bl. 2; vgl. auch<br />

Tiedemann, Wirtschaftsbetrug 1999, § 264 Rdn. 5: „Untreueähnlicher<br />

Fall‘‘). Allein der Umstand, dass derartige Beihilfen dem Genehmigungsvorbehalt<br />

der EG entsprechend Art. 92 f. des EG-Vertrages a. F. unterliegen,<br />

begründet keine Vermögensbetreuungspflicht des privaten Empfängers gegenüber<br />

dem Staat (vgl. Tiedemann, aaO, § 264 Rdn. 8). Insoweit greift die<br />

im Jahre 1998 in das Strafgesetzbuch eingefügte, auf den vorliegenden Fall<br />

daher nicht anwendbare Vorschrift des § 264 Abs. 1 Nr. 2 StGB ein (Tiedemann,<br />

aaO, § 264 Rdn. 1).<br />

bb) Etwas anderes kann jedoch dann gelten, wenn die zweckgerichtete<br />

Verwendung der Subventionsmittel die wesentliche Pflicht aus dem mit der<br />

öffentlichen Hand geschlossenen Vertrag ist (vgl. BGH, aaO, LM, StGB<br />

§ 266 Nr. 16; ferner BGHSt 4, 170/171; 3, 289/293 f.; für Zahlungen von<br />

Privatpersonen und Vereinbarungen mit ihnen vgl. BGHSt 1, 186/189 f.; 13,<br />

315/317 f.; Schönke/Schröder/Lenckner, StGB, 26. Aufl., § 266 Rdn. 23;<br />

Dreher/Tröndle, StGB, 50. Aufl., § 266 Rdn. 9; Lackner/Kühl, StGB,<br />

23. Aufl., § 266 Rdn. 11). Diese Voraussetzungen erfüllen die zwischen der<br />

Klägerin und B. sowie S. getroffenen Vereinbarungen nicht. (. . .)<br />

Nach der Gestaltung des KAV ist nach alledem eine eigenständige Pflicht<br />

von B. zur Betreuung der Beihilfezahlungen im Interesse der öffentlichen<br />

Hand nicht begründet worden.<br />

Folgerichtig mussten die Treuhandanstalt und der Bundesminister der<br />

Finanzen in dem Augenblick tätig werden, in dem festgestellt wurde, dass<br />

M. in den Liquiditätsverbund des B.-Konzerns einbezogen wurde und damit<br />

die Gefahr bestand, dass die Investitionsbeihilfebeträge in der einen oder<br />

anderen Form westdeutschen Schiffswerften zugute kamen. Dieses Eingreifen<br />

war erforderlich, weil anderenfalls die EG weitere Beihilfebeträge nicht<br />

freigegeben hätte und damit die Gefahr bestand, dass die Durchführung des<br />

KAV scheiterte. Allein dieser Hintergrund führte zu der Vereinbarung, dass<br />

anstelle der jährlich vereinbarten Berichterstattung über den Stand der Investitionen<br />

halbjährlich berichtet werden sollte. Zugleich wurde die Be-<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 467<br />

richterstattung auf die Frage erweitert, ob sog. spill-over-Effekte eingetreten<br />

waren. Auch daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass B.<br />

gegenüber THA bzw. der Klägerin und der Bundesrepublik Deutschland die<br />

Pflicht zur Betreuung der öffentlichen Beihilfegelder übernommen hätte.<br />

Verwaltung und Berichterstattung lagen weiter in den Händen von M.<br />

B. war lediglich die Verpflichtung eingegangen, M. und den anderen ostdeutschen<br />

Werften jederzeit die Liquidität zur Verfügung zu stellen, die sie<br />

benötigten, um ihre Verbindlichkeiten erfüllen zu können. Dazu gehörten<br />

auch die Verbindlichkeiten, die aus der Vornahme von Investitionen herrührten.<br />

Der später von der Treuhandanstalt gemachte Vorbehalt, dass den<br />

Verbundgesellschaften die in den Konzernverbund eingezahlten Beträge<br />

jederzeit auf erstes Anfordern zur Verfügung stehen müssten, hat zu keiner<br />

besonderen Vereinbarung geführt. B. hatte demnach insgesamt nur eine<br />

geringfügige Konzession gemacht, dafür aber das weitgehende Einverständnis<br />

der Rechtsvorgängerin der Klägerin und des zuständigen Bundesministeriums<br />

dazu erlangt, die Verbundgesellschaften ohne die Stellung von<br />

irgendwelchen Sicherheiten in ein zentrales Cash-Management-System einzubinden.<br />

Eine Vermögensbetreuungspflicht im Interesse der öffentlichen<br />

Hand ergibt sich daraus nicht.<br />

3. Schadensersatz gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. mit § 263 StGB durch<br />

Täuschung der Klägerin bzw. ihrer Rechtsvorgängerin.<br />

Das BerufungsG hat einen Betrug nach § 263 Abs. 1 StGB durch Täuschung<br />

der Klägerin oder der EG mit der Begründung verneint, sowohl<br />

Klägerin als auch EG hätten lediglich ihre Einwilligung zur Auszahlung des<br />

Betrages erteilt, jedoch keine Vermögensverfügung vorgenommen. Dagegen<br />

wendet sich die Revision mit Erfolg.<br />

Wie oben unter Ziff. I 3 a bereits dargelegt, oblag B. aufgrund der<br />

Besonderheit der Rechtsbeziehungen zwischen ihr und M. die Verpflichtung,<br />

M. auf eine Verschlechterung der Vermögens- und Liquiditätslage des<br />

Konzerns hinzuweisen, weil anderenfalls die Rückzahlung der Beträge, die<br />

M. in den Konzernverbund einzahlte, gefährdet war und zu einer Schädigung<br />

von M. führen konnte. Die gleiche Aufklärungspflicht hatte B. auch<br />

gegenüber der THA bzw. BVS, weil diese über die Freigabe der Investitionsbeihilfemittel<br />

zu befinden hatte. Ob in dem Zeitraum unmittelbar vor<br />

Auszahlung der Beihilfe von 194 000 000,– DM eine solche Gefahrenlage<br />

bereits eingetreten war, ist vom BerufungsG nicht festgestellt. Aufgrund des<br />

Vortrages der Klägerin ist eine solche Situation mit der Folge einer Aufklärungspflichtverletzung<br />

von B. zu unterstellen. Diese Täuschung durch<br />

Unterlassen hat entgegen der Ansicht des BerufungsG auch zu einer Vermögensverfügung<br />

der BVS geführt. Diese hatte veranlasst, dass die Beihilfebeträge<br />

auf einem Treuhandkonto verwaltet wurden. Die Auszahlung<br />

durch die Treuhänder durfte nur dann vorgenommen werden, wenn nach<br />

Eingang der Zustimmung der EG die Klägerin die Freigabe erklärt hatte,<br />

die in Kenntnis der wirklichen wirtschaftlichen Lage des B.-Konzerns nicht<br />

erfolgt wäre. In der Freigabe ist eine Verfügung über den Beihilfebetrag<br />

zugunsten von M. zu sehen.<br />

DNotZ 2002


468 Rechtsprechung<br />

Der Klägerin ist durch die Vermögensverfügung auch ein Schaden entstanden.<br />

Er besteht darin, dass staatliche Gelder fehlgeleitet und dem mit ihnen<br />

verfolgten öffentlichen Zweck entzogen worden sind (Schönke/Schröder/<br />

Lenckner, StGB, 26. Aufl., § 263 Rdn. 104, vgl. auch § 266 Rdn. 44). Die<br />

Messbarkeit dieses Schadens nach zivilrechtlichen Grundsätzen kann nur<br />

darin gesehen werden, dass die öffentliche Hand erneut Mittel in dem getätigten<br />

Umfang aufwenden musste, um den verfehlten Zweck zu erreichen.<br />

Die Klägerin kann jedoch Schadensersatz nur einmal, und zwar entweder<br />

aus abgetretenem Recht der M. oder aus eigenem Recht verlangen. (. . .)<br />

Anmerkung: I. Die „Bremer Vulkan‘‘-Entscheidung des BGH befasst<br />

sich mit Ansprüchen der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben<br />

gegen Organmitglieder des zusammengebrochenen Werftkonzerns<br />

„Bremer Vulkan‘‘ wegen deren persönlicher Haftung für zweckwidrig verbrauchte<br />

Fördermittel. Von grundsätzlicher Bedeutung sind dabei die Aussagen<br />

zum Bestandsschutz einer abhängigen GmbH gegen existenzgefährdende<br />

Eingriffe ihres Alleingesellschafters für den Fall, dass die GmbH<br />

infolge der Eingriffe ihren Verbindlichkeiten nicht mehr nachkommen kann.<br />

Gleichzeitig hat es der BGH abgelehnt, das Haftungssystem des Aktienkonzernrechts<br />

auf den faktischen GmbH-Konzern anzuwenden.<br />

Die grundlegenden Ausführungen des II. Senats des BGH zum GmbH-<br />

Konzernrecht verwundern angesichts des vorgetragenen Sachverhalts. Für<br />

die Abweisung der auf fehlerhafte Konzernführung durch die Beklagten<br />

gestützte Klage hätte insoweit schon der Hinweis genügt, dass sich die<br />

Kapitalsicherungshaftung nach § 31 GmbHG nur gegen die Muttergesellschaft<br />

und nicht gegen deren Vorstandsmitglieder richten kann und dass die<br />

konzernrechtliche Schadensersatzhaftung nach § 317 Abs. 3 AktG gegenüber<br />

einer faktisch abhängigen GmbH-Tochter keine Anwendung findet.<br />

Auch eine nicht konzernrechtliche Haftung des Alleingesellschafters wegen<br />

Schädigung der GmbH konnte sich nur gegen die AG als Gesellschafterin<br />

richten und nicht gegen deren Vorstandsmitglieder (K. Schmidt, NJW 2001,<br />

3577/3578; Ulmer, ZIP 2001, 2021 f.).<br />

Gleichwohl sah sich der BGH in einem obiter dictum zu den im ersten<br />

Leitsatz mündenden Ausführungen veranlasst. Offenbar hat der II. Senat<br />

die erste mögliche Gelegenheit genutzt, um – aufbauend auf den Vorarbeiten<br />

seines Senatsvorsitzenden Röhricht (Die GmbH im Spannungsfeld zwischen<br />

wirtschaftlicher Dispositionsfreiheit ihrer Gesellschafter und Gläubigerschutz,<br />

in Festschrift 50 Jahre BGH, 2000, 83 ff.) – Signale für die<br />

künftige Praxis auszusenden. Nur so ist erklärlich, dass ein in der Amtlichen<br />

Sammlung zu publizierender Leitsatz formuliert wird, der nicht die<br />

das Revisionsurteil tragende Erwägungen betrifft (K. Schmidt, NJW 2001,<br />

3577/3578).<br />

Bedeutet die Entscheidung den Abschied von einer fast auf den Tag<br />

genau 16 Jahre alten Rechtsprechung (BGH v. 16. 9. 1985 – II ZR 275/84,<br />

BGHZ 95, 330 = DNotZ 1986, 358 – „Autokran‘‘) und damit den Abschied<br />

der Haftungsregeln für den qualifiziert faktischen GmbH-Konzern (so Römermann/Schröder,<br />

GmbHR 2001, 1015; Mülbert, DStR 2001, 1937) oder<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 469<br />

handelt es sich auf dem Weg von „TBB‘‘ (BGH v. 29. 3. 1992 – II ZR<br />

265/91, BGHZ 122, 123) zu „Bremer Vulkan‘‘ doch statt einer Revolution<br />

nur um eine Evolution (so Ulmer, ZIP 2001, 2021; wohl auch Hoffmann,<br />

NZG 2002, 68)? Die Einordnung lässt sich nur im vergleichenden Blick auf<br />

die TBB-Entscheidung des BGH treffen.<br />

II. Mit dem ersten Leitsatz seiner TBB-Entscheidung (BGH v. 29. 3. 1992<br />

– II ZR 265/91, BGHZ 122, 123) markiert der BGH die grundsätzliche<br />

Voraussetzung für den konzernrechtlichen Durchgriff auf den hinter der<br />

abhängigen GmbH stehenden Gesellschafter neu. Dieser Leitsatz war für das<br />

Konzernhaftungsrecht von größter Bedeutung, da er den Übergang von einer<br />

aus den Urteilen „Autokran‘‘ (BGH v. 16. 9. 1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95,<br />

330), „Tiefbau‘‘ (BGH v. 20. 2. 1989 – II ZR 167/88, BGHZ 107, 7) und<br />

„Video‘‘ (BGH v. 23. 9. 1991 – II ZR 135/90, BGHZ 115, 187) abgeleiteten<br />

Konzernstrukturhaftung zu einer Missbrauchshaftung bei einer gezielten<br />

Benachteiligung der abhängigen Gesellschaft signalisiert (Hoffmann, NZG<br />

2002, 68; Überblick zur BGH-Rspr. bei Goette, Die GmbH, 2. Aufl., 2001,<br />

§ 9). Die herausragende Bedeutung des TBB-Urteils liegt in der Auswechslung<br />

des die Qualifikation begründenden Tatbestandes. Danach gründet die<br />

Haftung entsprechend §§ 302, 303 AktG nicht auf der dauernden und umfassenden<br />

Leitung der abhängigen Gesellschaft (so BGHZ 95, 330), sondern<br />

auf einem objektiven Missbrauch der Leitungsmacht durch das herrschende<br />

Unternehmen (Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht,<br />

2. Aufl., 2001, Anh. II, § 318 Rdn. 4). Ein solcher Missbrauch liegt vor,<br />

„wenn der die GmbH beherrschende Unternehmensgesellschafter die Konzernleitungsmacht<br />

in einer Weise ausübt, die keine angemessene Rücksicht<br />

auf die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft nimmt, ohne dass sich<br />

der ihr insgesamt zugefügte Nachteil durch Einzelausgleichsmaßnahmen<br />

kompensieren ließe‘‘ (BGHZ 122, 123/130). Genau gesehen bedeutet damit<br />

schon die TBB-Entscheidung des BGH den Abschied vom qualifizierten<br />

faktischen Konzern (Altmeppen, DB 1991, 2225; ders., ZIP 1992, 1668;<br />

ders., DB 1994, 1912). Seither war die qualifizierte faktische Konzernierung<br />

weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung für das Eingreifen<br />

der Konzernhaftung (Ulmer, ZIP 2001, 2021/2022; Bitter, ZIP 2001,<br />

265/272). Röhricht hat in seinem grundlegenden Beitrag zur „Bestandsschutz-Haftung‘‘<br />

(aaO) vor dem Hintergrund von TBB deutlich hervorgehoben,<br />

dass die Haftung weder eine dauernde und umfassende Leitungsmacht<br />

durch ihren herrschenden Gesellschafter noch die Vornahme der existenzvernichtenden<br />

Maßnahmen im Konzerninteresse noch überhaupt eine Konzernlage<br />

erfordere. Haftungsauslösender Tatbestand sei vielmehr allein der<br />

existenzvernichtende Eingriff des Gesellschafters im Sinne der TBB-Formel.<br />

Damit steht trotz der Hinweise im Urteil auf die „Konzernhaftung‘‘ und die<br />

„Analogie zu §§ 302, 303 AktG‘‘ bereits die TBB-Entscheidung für den<br />

Paradigmenwechsel im „Konzernhaftungsrecht‘‘. Konsequenterweise beruft<br />

sich auch die „Bremer Vulkan‘‘-Entscheidung auf die in TBB festgelegten<br />

Grundsätze, ohne die konzernhaftungsrechtlichen Grundlagenentscheidungen<br />

„Autokran‘‘, „Tiefbau‘‘ und „Video‘‘ auch nur zu erwähnen. Alles in<br />

allem: Evolution statt Revolution.<br />

DNotZ 2002


470 Rechtsprechung<br />

III. Welche Folgerungen lassen sich aus der „Bremer Vulkan‘‘-Entscheidung<br />

ziehen?<br />

1. Der Vertragskonzern bleibt durch die Entscheidung des BGH unberührt.<br />

Selbstverständlich bleibt es auch in Zukunft bei der analogen Anwendung<br />

der §§ 291 ff. AktG auf Unternehmensverträge der GmbH, soweit sie<br />

in Rechtsprechung und Lehre anerkannt sind, insbesondere bei den Grundsätzen<br />

der „Supermarkt‘‘-Entscheidung (BGHZ 105, 324 = DNotZ 1989,<br />

102; BGH, NJW 1992, 1452; zu den Unternehmensverträgen der GmbH:<br />

Scholz/Emmerich, GmbHG, 9. Aufl., 2000, Anh. Konzernrecht Rdn. 136 ff.,<br />

203 ff., 212 ff.; Altmeppen, ZIP 2001, 1837/1838; Römermann/Schröder,<br />

GmbHR 2001, 1015/1016). Schließlich geht es in der Entscheidung ausschließlich<br />

um den Gläubigerschutz in der Einmann-GmbH, nicht etwa um<br />

den Schutz außenstehender Minderheitsgesellschafter (hierzu BGH v. 15. 6.<br />

1975, BGHZ 65, 15 – „ITT‘‘).<br />

2. Der Gläubigerschutz in der Einmann-GmbH folgt seinen eigenen<br />

Regeln, also weder dem Modell der Verlustausgleichspflicht und der Gläubigersicherung<br />

im Vertragskonzern (§§ 302, 303 AktG) noch demjenigen<br />

des Benachteiligungsausgleichs im faktischen Konzern (§§ 311 ff. AktG).<br />

Vorrangig ergibt sich der Gläubigerschutz aus den Kapitalerhaltungsregeln,<br />

§§ 30 ff. GmbHG, die eine Innenhaftung des Alleingesellschafters<br />

gegenüber seiner GmbH statuieren. Indem die „Bremer Vulkan‘‘-Entscheidung<br />

die Analogie zu § 303 AktG aufgibt, wird klargestellt, dass dieser<br />

Ersatzanspruch (zunächst) nicht auch den ausgefallenen Gläubigern, sondern<br />

nur der GmbH zugewiesen ist.<br />

Allerdings führt dies in den meisten Fällen nicht zu einer praktisch<br />

bedeutsamen Akzentverschiebung im Vergleich zu TBB, weil der Anspruch<br />

nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in jedem Fall vom Insolvenzverwalter<br />

geltend zu machen ist und die GmbH-Gläubiger jedenfalls bei masseloser<br />

Insolvenz die Möglichkeit haben müssen, sich ohne Pfändung und<br />

Überweisung des GmbH-Anspruchs unmittelbar an den Alleingesellschafter<br />

zu halten (BGHZ 134, 333 mit Anm. Fleischer, EWiR 1997, 463 = DNotZ<br />

1998, 142; Roth/Altmeppen, GmbHG, 3. Aufl., 1997, Anh. § 13 Rdn. 186<br />

m. w. Nachw.).<br />

3. Kann auch trotz der Erstattung des entzogenen Kapitals der bei<br />

der Gesellschaft eintretende Nachteil nicht vollständig ausgeglichen<br />

werden, weil es durch den Kapitalentzug schon zum Zusammenbruch<br />

(„Existenzvernichtung‘‘) der GmbH gekommen ist, kann es nach der<br />

„Bremer Vulkan‘‘-Entscheidung zur Bestandsschutz- oder Eingriffshaftung<br />

des Alleingesellschafters im Sinne einer unmittelbaren Außenhaftung<br />

kommen. Diese Fälle, die auch außerhalb einer Konzernsituation<br />

auftreten können (Goette, aaO, Rdn. 32), setzen tatbestandlich nicht<br />

nur eine konkrete Bestandsgefährdung der GmbH, sondern den Zusammenbruch,<br />

d. h. die Insolvenz der Gesellschaft, voraus (Ulmer, ZIP<br />

2001, 2021/2023; Hoffmann, NZG 2002, 68/69). Tritt die Bestandsvernichtung<br />

infolge Eingriffs ein, haftet der Alleingesellschafter, der auch<br />

außerhalb der Kapitalschutzvorschriften den GmbH-Bestand zu gewährleisten<br />

hat, unmittelbar.<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 471<br />

Allerdings führt nicht jeder Eingriff des Alleingesellschafters zur Haftung,<br />

da anderenfalls das Haftungsprivileg der GmbH effektiv beseitigt<br />

und damit § 13 GmbHG leer laufen würde. Es muss sich vielmehr um<br />

„Eingriffe in ihr Vermögen und ihre Geschäftschancen handeln‘‘, womit<br />

nur der kompensationslose bzw. unzureichend kompensierte Entzug von<br />

Vermögenswerten und konkreten Erwerbsaussichten gemeint ist, also<br />

nicht durch das Gesellschaftsinteresse zu rechtfertigende Vorgänge oder<br />

vom Alleingesellschafter getroffene Leitungsentscheidungen, selbst wenn<br />

derartige Fehlentscheidungen die Insolvenz nach sich ziehen (Röhricht,<br />

aaO, S. 108 ff.).<br />

IV. Die Entscheidung des BGH lässt allerdings eine Vielzahl von Fragen<br />

offen.<br />

1. Ungenannt bleibt, wo der BGH die Pflicht des Alleingesellschafters<br />

zur Respektierung der „Eigenbelange‘‘ der abhängigen GmbH bzw. ihres<br />

„Eigeninteresses‘‘ an der Aufrechterhaltung ihrer Fähigkeit, ihren Verbindlichkeiten<br />

nachzukommen, dogmatisch verankert sieht.<br />

Auch die Literatur ist auf der Suche nach einer Anspruchsgrundlage noch<br />

zu keiner konsensfähigen Antwort gekommen. Die Antworten reichen<br />

schlagwortartig von der „Treupflicht des Alleingesellschafters‘‘, der „allgemeinen<br />

Durchgriffshaftung‘‘, der „Haftung des Alleingesellschafters wegen<br />

Verstoßes gegen seine Pflichten aus der Sonderverbindung zur GmbH‘‘, der<br />

„Sorgfaltshaftung des beherrschenden Gesellschafters als Quasi-Fremd-Geschäftsführer<br />

analog § 43 GmbHG‘‘ bis zur „verzichtsresistenten Sorgfaltshaftung<br />

des Einmann-Gesellschafters analog § 93 Abs. 5 Satz 2 und 3<br />

AktG‘‘ (zum Ganzen vgl. Altmeppen, ZIP 2001, 1837; ders., NJW 2002,<br />

321; K. Schmidt, NJW 2001, 3277; Ulmer, ZIP 2001, 2021; Hoffmann, NZG<br />

2002, 68).<br />

2. Der BGH spricht anders als in „TBB‘‘ nur noch von Eingriffen des<br />

„Alleingesellschafters‘‘, nicht mehr von solchen des herrschenden Unternehmensgesellschafters.<br />

Offen ist daher, ob die Durchgriffshaftung auch<br />

weiterhin nur gegenüber einem Alleingesellschafter anzuwenden ist, der<br />

konzernrechtlich als „Unternehmen‘‘ anzusehen ist (zum Unternehmensbegriff<br />

des Konzernrechts Emmerich/Habersack, aaO, § 15 Rdn. 6 ff.), oder<br />

auch auf den Privatgesellschafter (in diesem Sinne Hoffmann, NZG 2002,<br />

68/70).<br />

3. Da sich die Entscheidung mit der Haftung des Alleingesellschafters<br />

befasst, bleibt ungeklärt, ob sie auch in der mehrgliedrigen abhängigen<br />

Gesellschaft gilt (in diesem Sinne Römermann/Schröder, GmbHR 2001,<br />

1015/1018).<br />

4. Hinsichtlich der Verletzung der Kapitalerhaltungsvorschriften befindet<br />

sich der Gläubiger oftmals in Beweisnöten; u. a. wegen dieser Beweisprobleme<br />

wurden mit der Figur des qualifiziert faktischen Konzerns Beweiserleichterungen<br />

geschaffen. Bleiben auch nach einer Abkehr von einer<br />

Analogie zu §§ 302, 303 AktG die Erleichterungen bezüglich Darlegung<br />

und Beweis zugunsten der Gläubiger der Ansprüche aus §§ 30, 31 GmbHG<br />

beachtlich, wie sie seit „TBB‘‘ anerkannt sind? (bejahend Altmeppen, ZIP<br />

2001, 1837/1840).<br />

DNotZ 2002


472 Rechtsprechung<br />

V. Angesichts der Vielzahl offener Fragen ist der Hoffnung Ausdruck zu<br />

verleihen, dass dem BGH bald die Möglichkeit zu einer vertiefenden Auseinandersetzung<br />

mit der Thematik gegeben wird. Anderenfalls bliebe der<br />

sonderbar anmutende Befund, dass die beiden grundlegenden Urteile<br />

„TBB‘‘ und „Bremer Vulkan‘‘ die dargestellte Problematik nur als „Klarstellung‘‘<br />

(BGHZ 122, 123 – „TBB‘‘, Leitsatz 1) – obwohl in Wirklichkeit<br />

ein Paradigmenwechsel mit der Entscheidung verbunden war (!) – bzw. als<br />

„obiter dictum‘‘ abgehandelt hätten.<br />

Notar Dr. Bernhard Schaub, München<br />

Nr. 2 GmbHG §§ 30, 31 Abs. 3 (Ausfallhaftung des GmbH-Gesellschafters)<br />

a) Die Ausfallhaftung des § 31 Abs. 3 GmbHG erfasst nicht den<br />

gesamten durch Eigenkapital nicht gedeckten Fehlbetrag, sondern ist<br />

auf den Betrag der Stammkapitalziffer beschränkt.<br />

b) Die Ausfallhaftung aus dem Gesichtspunkt des existenzvernichtenden<br />

Eingriffs (BGH, Urt. v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/991 , ZIP 2001,<br />

1874/1876) trifft auch diejenigen Mitgesellschafter, die, ohne selber<br />

etwas empfangen zu haben, durch ihr Einverständnis mit dem Vermögensabzug<br />

an der Existenzvernichtung der Gesellschaft mitgewirkt<br />

haben.<br />

BGH, Urt. v. 25. 2. 2002 – II ZR 196/00<br />

Der Kläger, Konkursverwalter über das Vermögen der L. GmbH (Gemeinschuldnerin),<br />

nimmt die Beklagten auf Zahlung von 1 839 409,37 DM in Anspruch. Dem liegt folgender<br />

Sachverhalt zugrunde:<br />

Der Alleingesellschafter G. der Gemeinschuldnerin, die über ein Stammkapital von<br />

100 000,– DM verfügte, übertrug mit notariellem Vertrag vom 21. 8. 1992 einen Geschäftsanteil<br />

von 20% auf Ma. M. und einen solchen von 60% auf F. S., der als<br />

Treuhänder des Beklagten zu 2) handelte. Durch weiteren Vertrag vom 21. 8. 1992<br />

verpfändeten M. den von ihm erworbenen und G. den von ihm gehaltenen restlichen<br />

Geschäftsanteil von 20% der Beklagten zu 1) als Sicherheit für ein von dieser der<br />

Gemeinschuldnerin gewährtes, am 1. 10. 1997 rückzahlbares verzinsliches Darlehen<br />

von 5 Mio. DM. Zugleich übertrugen beide der Beklagten zu 1) für die Dauer des<br />

Darlehensvertrages ihr Gewinnbezugsrecht und erteilten ihr die unwiderrufliche Vollmacht,<br />

das Stimmrecht in der Gemeinschuldnerin auszuüben und sie als Gesellschafter<br />

in allen Gesellschafterfunktionen zu vertreten. Die Beklagte zu 1) erklärte sich außerdem<br />

damit einverstanden, dass G. mit dem Darlehensbetrag Rechnungen von Bauunternehmen<br />

für ein von ihm durchgeführtes Bauvorhaben „U.-Straße‘‘ beglich und mit<br />

diesen Zahlungen zugleich ein Darlehen von ca. 1,5 Mio. DM getilgt wurde, das er<br />

nach seinen Angaben der Gemeinschuldnerin gewährt hatte. Am 26. 11. 1992 übertrug<br />

F. S. den für den Beklagten zu 2) gehaltenen Geschäftsanteil auf E., der am 4. 11. 1992<br />

zusätzlich zu G. und M. als Geschäftsführer bestellt worden war und der den Anteil als<br />

Treuhänder für den Beklagten zu 2) hielt.<br />

In der Zeit vom 25. 8. bis zum 31. 10. 1992 wurden zulasten der Gemeinschuldnerin<br />

Verbindlichkeiten von G. in Höhe von 1 498 596,37 DM gegenüber der Firma „W.‘‘ und<br />

am 7. 12. 1992 in Höhe von 340 813,– DM gegenüber der Firma „Max.‘‘ durch Zahlung<br />

mit Schecks getilgt, die M. ausgestellt hatte.<br />

1) Siehe in diesem Heft S. 459.<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 473<br />

Der Kläger verlangt von den Beklagten Erstattung des zulasten der Gemeinschuldnerin<br />

für G. bezahlten Gesamtbetrages von 1 839 409,37 DM.<br />

Das LG hat der Klage stattgegeben. Das BerufungsG hat die Beklagten zu 1) zur<br />

Zahlung von 40 000,– DM und den Beklagten zu 2) von 60 000,– DM – jeweils nebst 4%<br />

Zinsen seit dem 15. 3. 1997 und als Gesamtschuldner neben M. und G. – verurteilt. Mit<br />

seiner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des LG-Urteils.<br />

Die Revision ist nicht begründet.<br />

Die Beklagten haften nach § 31 Abs. 3 GmbHG nicht über die Beträge<br />

hinaus, die das BerufungsG dem Kläger gegen die Beklagten zugesprochen<br />

hat. Ihre Haftung ergibt sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt der Treupflichtverletzung<br />

gegenüber der Gemeinschuldnerin oder der Gefährdung<br />

ihrer Existenz.<br />

1. Das BerufungsG hat die Beklagten nach § 31 Abs. 3 GmbHG zu einer<br />

Erstattungsleistung entsprechend den ihnen zuzurechnenden Geschäftsanteilen<br />

verurteilt, weil von G. als dem alleinigen Empfänger der Leistungen<br />

keine Rückzahlungen zu erlangen sind. Es hat jedoch die Haftsumme<br />

auf den Betrag des Stammkapitals der Gemeinschuldnerin beschränkt, so<br />

dass auf die Beklagte zu 1) ein Erstattungsbetrag von 40 000,– DM und den<br />

Beklagten zu 2) ein solcher von 60 000,– DM entfällt. In Höhe des darüber<br />

hinaus geltend gemachten Betrages von insgesamt 1 739 409,37 DM hat es<br />

die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichteten Angriffe der Revision, nach<br />

deren Ansicht die Haftung nach § 31 Abs. 3 GmbHG auch den nicht vom<br />

Eigenkapital gedeckten, einem Gesellschafter unter Verstoß gegen § 30<br />

Abs. 1 GmbHG zugewandten Betrag erfasst, haben keinen Erfolg. (. . .)<br />

Entgegen der Ansicht der Revision erfasst die Ausfallhaftung nach § 31<br />

Abs. 3 GmbHG nicht den gesamten durch das Eigenkapital nicht gedeckten<br />

Betrag. Vielmehr ist die Haftung auf den Betrag des Stammkapitals zu<br />

beschränken, der zur Befriedigung der Gläubiger benötigt wird.<br />

Allerdings hat der Senat bereits vor längerer Zeit entschieden, § 30<br />

GmbHG decke nicht nur die Erhaltung vorhandenen Stammkapitals, sondern<br />

auch den Fall ab, dass Zahlungen an Gesellschafter nach Verlust des<br />

Stammkapitals der Gesellschaft nur noch unter Herbeiführung oder Vertiefung<br />

einer Überschuldung aus Fremdmitteln erfolgen könnten. Denn die<br />

Sicherung des Stammkapitals sei nicht gegenständlich, sondern als rein<br />

rechnerischer Schutz des Gesellschaftsvermögens angelegt, so dass der<br />

Rechnungsposten „Stammkapital‘‘ auch dann noch geschützt werden müsse,<br />

wenn das Aktivvermögen der Gesellschaft nicht nur den rechnerischen<br />

Betrag des Stammkapitals, sondern auch die vorhandenen Verbindlichkeiten<br />

nicht mehr decke. Die Ausfallhaftung nach § 31 Abs. 3 GmbHG bestehe<br />

mithin auch in den Überschuldungsfällen. Der Senat hat jedoch damals<br />

ausdrücklich offen gelassen, ob das Haftungsrisiko der Mitgesellschafter<br />

aus § 31 Abs. 3 GmbHG in den Überschuldungsfällen im Interesse der<br />

Vermeidung einer nicht mehr kalkulierbaren Haftungsausweitung zu beschränken<br />

sei (Senatsurt. v. 5. 2. 1990 – II ZR 114/89, ZIP 1990, 451/453).<br />

Der Senat hält bei der Auszahlung von Vermögen, das zur Erhaltung des<br />

Stammkapitals erforderlich ist, an Gesellschafter eine Beschränkung der<br />

Haftung der Mitgesellschafter, die von der Auszahlung nicht profitieren, mit<br />

der weit überwiegenden Meinung im Schrifttum für geboten (Baumbach/<br />

DNotZ 2002


474 Rechtsprechung<br />

Hueck/Fastrich, GmbHG, 17. Aufl., § 31 Rdn. 17; Hachenburg/Goerdeler/<br />

Müller, GmbHG, 8. Aufl., § 31 Rdn. 54; Scholz/H. P. Westermann, GmbHG,<br />

9. Aufl., § 31 Rdn. 30; Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl., § 31<br />

Rdn. 21; K. Schmidt, BB 1995, 532/533; ders., Gesellschaftsrecht, 3. Aufl.,<br />

§ 37 III 3 b; im Ergebnis zustimmend auch Roth/Altmeppen, GmbHG,<br />

3. Aufl., § 31 Rdn. 21; a. A. Fabritius, ZHR 144 (1980), 628/635; Immenga,<br />

ZGR 1975, 487/491; Gätsch, BB 1990, 704; Kleffner, Erhaltung des Stammkapitals<br />

und Haftung nach §§ 30, 31 GmbHG, 1994, 182 f.). Zwar löst das<br />

Gesetz den Widerstreit zwischen dem Interesse dieser Gesellschafter an der<br />

Aufrechterhaltung ihrer Haftungsbeschränkung und dem Interesse der Gläubiger<br />

an der Erhaltung des gebundenen Kapitals zulasten der Gesellschafter.<br />

Damit trägt es der Tatsache Rechnung, dass die Gesellschafter der GmbH und<br />

ihren wirtschaftlichen Risiken näher stehen als die Gläubiger. Den Umstand,<br />

dass die Mitgesellschafter aus der Zahlung nichts erlangen, berücksichtigt es<br />

damit, dass es ihnen lediglich eine Ausfallhaftung nach den bevorteilten<br />

Gesellschaftern zumutet. Ferner darf nicht übersehen werden, dass sich das<br />

Risiko, das mit der Auszahlung nicht durch Eigenkapital gedeckten Vermögens<br />

verbunden ist, nach der gesetzgeberischen Konzeption auf das zur<br />

Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Vermögen beschränkte. Mit<br />

Stammkapital war „das im Gesellschaftsvertrag festgesetzte Sollvermögen‘‘<br />

zu verstehen, „dem das Aktivvermögen der Gesellschaft als Deckung gegenübersteht‘‘<br />

(Begründung des Entwurfs eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften<br />

mit beschränkter Haftung, Drucks. zu den Verhandlungen des Deutschen<br />

Reiches 1891, Nr. 94, S. 66; vgl. ferner Ulmer, Festschrift 100 Jahre<br />

GmbH-Gesetz, 1992, 363/371). Dieser Ausgangspunkt ist allgemein als unzutreffend<br />

erkannt worden (vgl. u. a. BGHZ 60, 324/331; Urt. v. 5. 2. 1990,<br />

aaO, S. 453). Trotz dieser Entstehungsgeschichte der §§ 30 f. GmbHG erscheint<br />

es zwar gerechtfertigt, die Haftung nach § 31 Abs. 1 und 2 GmbHG<br />

auf den gesamten, nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag zu erstrecken.<br />

Den Belangen der nach § 31 Abs. 3 GmbHG haftenden Gesellschafter<br />

würde man vor diesem Regelungshintergrund auch bei angemessener Berücksichtigung<br />

der Gläubigerinteressen jedoch nicht gerecht, wenn sie auch<br />

für den die Stammkapitalziffer übersteigenden Fehlbetrag haften würden.<br />

Zudem wird zu Recht darauf hingewiesen, dass eine unbeschränkte Haftung<br />

mit der besonderen Haftungsstruktur in der GmbH und mit dem Fehlen einer<br />

gesetzlichen Nachschuss- und Übernahmepflicht der Gesellschafter unvereinbar<br />

wäre (so zutreffend Ulmer, Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz, aaO,<br />

S. 371; K. Schmidt, BB 1995, 530; Scholz/H. P. Westermann, aaO, § 31<br />

Rdn. 30; im Ergebnis auch Roth/Altmeppen, aaO, § 30 Rdn. 13).<br />

Im Schrifttum ist im Einzelnen umstritten, auf welchen Betrag diese<br />

Haftung zu beschränken ist. Die Regelung des § 31 Abs. 3 GmbHG, dass<br />

die Gesellschafter „nach dem Verhältnis ihrer Geschäftsanteile‘‘ haften, ist<br />

nach herrschender Ansicht so zu verstehen, dass dieser anteiligen Haftung<br />

der Fehlbetrag in Höhe des Stammkapitals als Obergrenze zugrunde zu<br />

legen ist (vgl. u. a. Hachenburg/Goerdeler/Müller, aaO, § 31 Rdn. 54;<br />

Baumbach/Hueck/Fastrich, aaO, § 31 Rdn. 17; Just, GmbHR 1983, 289 f.;<br />

Ulmer, Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz, aaO, S. 372). Nach anderer<br />

DNotZ 2002


Rechtsprechung 475<br />

Ansicht ist die Vorschrift so auszulegen, dass sich wie bei § 24 GmbHG die<br />

anteilige Haftung auf die Stammeinlagebeträge der Gesellschafter beschränkt,<br />

die den unter Verstoß gegen das Gesetz ausgezahlten Betrag<br />

empfangen haben (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, aaO, § 37 III 2 d,<br />

S. 1139 f.; BB 1995, 530 f.). Diese Frage bedarf jedoch im vorliegenden<br />

Falle keiner Entscheidung. Da die Beklagten das Berufungsurteil hingenommen<br />

haben, ist es, soweit zu ihrem Nachteil entschieden worden ist,<br />

bereits rechtskräftig.<br />

2. Die Beklagten trifft keine Haftung aus einem sonstigen Verpflichtungsgrund.<br />

(. . .)<br />

Im vorliegenden Fall scheidet auch eine Haftung der Beklagten wegen<br />

Existenzvernichtung der Gemeinschuldnerin aus.<br />

Die Revision weist zwar zutreffend darauf hin, dass nach der neuesten<br />

Rechtsprechung des Senats eine Ausfallhaftung der Gesellschafter dann in<br />

Betracht kommt, wenn sie beim Abzug von Vermögen der Gesellschaft<br />

nicht die gebotene angemessene Rücksicht auf die Erhaltung ihrer Fähigkeit<br />

zur Bedienung ihrer Verbindlichkeiten genommen und damit die Insolvenz<br />

der Gesellschaft herbeigeführt haben. Das muss auch für die durch ihr<br />

Einverständnis mit dem Vermögensabzug an der Existenzvernichtung der<br />

Gesellschaft mitwirkenden Gesellschafter gelten (BGHZ 142, 92/95; BGH,<br />

Urt. v. 17. 9. 2001 – II ZR 178/99 1 , ZIP 2001, 1874/1876). Zur Darlegung<br />

einer Existenzvernichtung der Gemeinschuldnerin hat die Revision auf den<br />

Vortrag des Klägers im Schriftsatz vom 16. 12. 1999 Bezug genommen.<br />

Aus diesem Vortrag ergibt sich jedoch nicht, dass die Beklagten durch ihr<br />

Verhalten die Existenz der Gemeinschuldnerin vernichtet hätten. Der Kläger<br />

führt in diesem Schriftsatz unter Darlegung eines umfangreichen Zahlenwerkes<br />

aus, das Vermögen der Gemeinschuldnerin sei durch die Auszahlungen<br />

um ca. 22% verringert und um diesen Betrag die Überschuldung<br />

der Gesellschaft erhöht worden. Es ist zwar unbestreitbar, dass sich durch<br />

die Auszahlungen die wirtschaftliche Lage der Gemeinschuldnerin in dem<br />

vom Kläger dargestellten Maße verschlechtert hat. Ein bestandsvernichtender<br />

Eingriff, der den Beklagten zuzurechnen wäre, kann darin jedoch<br />

schon deswegen nicht gesehen werden, weil die Beklagte zu 1) der Gemeinschuldnerin,<br />

wie das BerufungsG festgestellt hat, nach dem Vertrag vom<br />

21. 8. 1992 5 Mio. DM und später nochmals 3,6 Mio. DM, also insgesamt<br />

8,6 Mio. DM zur Verfügung gestellt hat.<br />

Der Kläger hat in diesem Zusammenhang weiter vorgetragen, die Beklagten<br />

hätten die Überschuldung der späteren Gemeinschuldnerin zum<br />

Schaden der Gläubiger dadurch auszunutzen versucht, dass sie ohne eigene<br />

reale Gegenleistung den sog. Beraterstamm der Gemeinschuldnerin hätten<br />

vereinnahmen wollen. Darin kann schon deswegen kein bestandsvernichtender<br />

Eingriff gesehen werden, weil es nach dem Vortrag des Klägers bei<br />

dem Versuch der Abwerbung geblieben ist. Es ist nicht ersichtlich, dass ein<br />

mögliches Bemühen der Beklagten um die Abwerbung der Berater Erfolg<br />

gehabt hat, die Gemeinschuldnerin aus diesem Grunde zum Absatz ihrer<br />

Produkte nicht mehr in der Lage und mit Rücksicht darauf ihre weitere<br />

Existenz nicht mehr gewährleistet war. (. . .)<br />

DNotZ 2002


476 Buchbesprechungen<br />

BUCHBESPRECHUNGEN<br />

Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen.<br />

Kommentar. 13. Auflage. Band 1: Allgemeiner Teil (§§ 1 bis<br />

103). Wissenschaftliche Redaktion: Prof. Dr. Manfred Wolf. 2000. 601<br />

Seiten. 110,– e. Band 16: Sachenrecht 3 (§§ 1018 bis 1296). Wissenschaftliche<br />

Redaktion: Prof. Dr. Horst Konzen. 2001. 486 Seiten. 85,90 e<br />

(Verlag W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart).<br />

Band 1 der 13. Auflage schließt die mit Band 2 (§§ 104 bis 120; Besprechung DNotZ<br />

2000, 477) begonnene Kommentierung des Allgemeinen Teils des BGB ab. Gegenüber der<br />

Vorauflage (erschienen 1988) ist das Bearbeiterteam, mit Ausnahme von Marly (§§ 90 bis<br />

103), der die Nachfolge von Mühl angetreten hat, unverändert (Fahse, §§ 1 bis 11;<br />

Heinrich, §12;Hadding, §§ 21 bis 79, 89; Neuhoff, §§ 80 bis 88). In seiner Art nach wie<br />

vor unübertroffen ist das Kompendium des Namensrechts der natürlichen Personen, juristischen<br />

Personen und Personenvereinigungen, das auf knapp 100 Seiten alles enthält, was<br />

der Praktiker benötigt. Die Übersichtlichkeit der Darstellung, die den Kommentar auch<br />

sonst auszeichnet, kommt dem Leser bei gesetzlich nur andeutungsweise geregelten<br />

Materien, wie dem Namensrecht des § 12, besonders zugute. Neuen Erscheinungen, etwa<br />

dem Domainnamen im Internet, sind eigene Abschnitte gewidmet. Gewohnt zuverlässig<br />

und unter vollständiger Auswertung der Rechtsprechung ist die Kommentierung des<br />

Vereinsrechts weiterhin bemüht, eigene Akzente zu setzen. Die Kommentierung des allgemeinen<br />

Sachenrechts arbeitet die aus der Vorauflage übernommene Masse auf. Schrifttumsverzeichnis<br />

und Rechtsprechungshinweise sind auf dem Stand der Auflage. Das eine<br />

oder andere könnte nachgetragen werden, etwa bei § 95 die Rechtsprechung zum Einbau<br />

von Leasinggut in das Grundstück des Leasingnehmers (BGH, ZIP 1999, 75), die die<br />

restriktive Linie zum Begriff des Scheinbestandteils fortsetzt.<br />

Als erster von drei dem Sachenrecht gewidmeten Bänden ist 2001 der Band 16 erschienen,<br />

der die Kommentierung der §§ 1018 bis 1296 zum Gegenstand hat. Gegenüber der<br />

Vorauflage ist der Bearbeiterkreis (Stürner: Dienstbarkeiten, Vorkaufsrecht und Reallast;<br />

Konzen: Grundpfandrechte) bis auf Habersack, der an die Stelle von Mühl getreten ist<br />

(Pfandrecht an beweglichen Sachen und Rechten), unverändert. Das im Windschatten des<br />

Reformgesetzgebers liegende Gebiet der beschränkten dinglichen Rechte hat seit der<br />

Vorauflage (damaliger Stand: Sommer/Herbst 1989) eher marginale Änderungen erfahren<br />

(Gleichstellung der rechtsfähigen Personengesellschaft mit der juristischen Person bei der<br />

Übertragung des Nießbrauchs, § 1059 a Abs. 2; Übertragbarkeit von Leitungs- und Transportrechten,<br />

§ 1092 Abs. 3; im abgedruckten Gesetzestext noch nicht berücksichtigt die<br />

formalen Anpassungen des Rechts des Nießbrauchs und der Grunddienstbarkeit an das<br />

neue Mietrecht, § 1056 u. a., § 1123 u. a.). Die Rechtsprechung, die sich kontinuierlich<br />

und ohne Brüche fortentwickelt hat, ist umfassend dargestellt und auch kritisch beleuchtet.<br />

Für das Verhältnis der Grunddienstbarkeit zur Baulast folgt die Kommentierung der 1989<br />

begründeten (BGHZ 1<strong>06</strong>, 348 = DNotZ 1989, 565), seither weiterentwickelten und zum<br />

Teil wieder eingeschränkten (NJW 1994, 2757) Rechtsprechung des BGH und lehnt mit<br />

zutreffender Begründung den umgekehrten Weg, nämlich zur Dienstbarkeit mit dem Inhalt<br />

einer Baulast, ab. Die in ihren Grenzen noch weitgehend ungeklärte Anpassung der<br />

Dienstbarkeit an geänderte Bedürfnisse des Berechtigten setzt die Bearbeitung zu Recht in<br />

eine Beziehung zu den erweiterten Nutzungsrechten, die der Gesetzgeber den Kabelverlegern<br />

in § 57 des Telekommunikationsgesetzes eingeräumt hat (dazu jetzt BGH, Urt. v.<br />

23. 11. 2001, ZIP 2002, 176). Aus dieser Sicht müsste es eigentlich folgerichtig erscheinen,<br />

dem erhöhten Bedarf des Dienstbarkeitsberechtigten einen Geldausgleich des Verpflichteten<br />

dafür entgegenzusetzen, dass er die verstärkte Belastung seines Grundstücks<br />

hinnimmt. Die Kommentierung bietet hierzu Ansätze. Zur formularmäßigen Zweckerklärung<br />

bei Bestellung oder Übertragung der Grundschuld hält sich der Kommentar auf der<br />

DNotZ 2002


Buchbesprechungen 477<br />

Linie der Rechtsprechung (kein Schutz nach § 9 AGBG wegen Fehlens eines gesetzlichen<br />

Leitbildes; Anwendung des § 3 AGBG bei Einbeziehung von Verbindlichkeiten Dritter),<br />

macht aber auch deren Grenzen deutlich. Jedenfalls aus dem beigefügten Stichwortverzeichnis<br />

ergibt sich zur Frage der Verjährung der Zinsen aus Sicherungsgrundschulden<br />

(BGHZ 142, 332 = DNotZ 2000, 59) nichts. Die auch die steuerlichen Gefahren einer<br />

Beschränkung der Teilhabe des Nießbrauchers an der Willensbildung der Gesellschaft<br />

berücksichtigende, bereits in der Vorauflage umfassende Darstellung des Nießbrauchs am<br />

Geschäftsanteil (bei § 1<strong>06</strong>8) ist weiter vertieft. Mit Erfolg bemüht sich die Kommentierung<br />

um in der Praxis handhabbare Lösungen (zum Stimmrecht des Nießbrauchers am<br />

Wohnungseigentum nunmehr BGH, Beschl. v. 7. 3. 2002 – V ZB 24/01).<br />

Richter am BGH Karl-Friedrich Tropf, Karlsruhe<br />

Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Bewertungsgesetz. Kommentar.<br />

Von Hermann-Ulrich Viskorf, Josef Glier, Dr. Heinrich Hübner,<br />

Wolfgang Knobel und Dr. Stephan Schuck. 2001. 16<strong>06</strong> Seiten. 99,– e<br />

(Verlag Neue Wirtschafts-Briefe, Herne).<br />

Die Erbschaft- und Schenkungsteuer hat in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung<br />

gewonnen. Angesichts der erheblichen Vermögenswerte, die derzeit zur Übertragung auf<br />

nachfolgende Generationen anstehen, ist davon auszugehen, dass der Beratungsbedarf in<br />

diesem Bereich noch weiter zunehmen wird. Aufgrund des Wegfalls der früheren Einheitswerte<br />

für Grundbesitz und der Anhebung der Steuersätze kann es insbesondere bei mittleren<br />

und großen Vermögen zu einer erheblichen Steuerbelastung kommen. Allerdings<br />

bietet die neue Erbschaft- und Schenkungsteuer (wie wohl nur wenig andere Steuergesetze)<br />

zahlreiche Möglichkeiten, die Höhe der Steuerlast durch eine individuelle Gestaltung<br />

der Vermögensnachfolge zu beeinflussen. Die Nutzung der bestehenden Gestaltungsspielräume<br />

ist in der Praxis indes nicht immer ganz risikolos möglich, da sich die von Gesetzgeber,<br />

Rechtsprechung und Finanzverwaltung bestimmten Rahmenbedingungen kontinuierlich<br />

und oftmals auch überraschend ändern. Die erhebliche Verunsicherung, die durch<br />

die Entscheidung des Bundesfinanzhofs v. 25. 1. 2001 zur Einschränkung der vorweggenommenen<br />

Erbfolge verursacht worden ist (BStBl. 2001 II, 414; s. dazu jetzt den<br />

Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung vom 15. 5. 2001, BStBl. 2001 I, 350), hat<br />

dies erst jüngst wieder eindrucksvoll bestätigt (s. dazu Hübner, § 13 a ErbStG Rz. 16).<br />

Die gut verständliche und präzise Darstellung der immer komplizierter werdenden<br />

Materie des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts in dem neuen Kommentar von Viskorf/<br />

Glier/Hübner/Knobel/Schuck stellt daher eine echte Bereicherung dar. Die Herausgeber<br />

und Autoren sind alle wissenschaftlich bestens ausgewiesene Praktiker: Hermann-Ulrich<br />

Viskorf, Richter am BFH und Mitglied des für die Erbschaft- und Schenkungsteuer sowie<br />

das Bewertungsrecht zuständigen Zweiten Senats, Josef Glier, Steuerberater, Dr. Heinrich<br />

Hübner, Rechtsanwalt und Steuerberater, Wolfgang Knobel, Vorsitzender Richter am FG,<br />

und Dr. Stephan Schuck, Notar.<br />

Das in der Reihe der gelben NWB-Kommentare erschienene Werk umfasst neben einer<br />

ausführlichen Darstellung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes (920 Seiten) auch<br />

eine vollständige Kommentierung der Bestimmungen des Bewertungsgesetzes (soweit sie<br />

nicht lediglich für die Grundsteuer von Bedeutung sind) (630 Seiten). Dabei ist der<br />

„Doppelkommentar‘‘ erfreulicherweise in gebundener Form und nicht als Loseblattsammlung<br />

erschienen. Ein ansprechendes Schriftbild und das handliche Format erleichtern die<br />

Benutzung. Kurzum: In dem neuen Kommentar findet sowohl der Praktiker als auch der<br />

Wissenschaftler alles was er braucht.<br />

Die Kommentierungen selbst sind außerordentlich übersichtlich und äußerst prägnant.<br />

Umfangreichen Erläuterungen werden zur besseren Orientierung Inhaltsübersichten vorangestellt.<br />

Zu Beginn eines jeden Abschnitts finden sich umfassende Hinweise auf<br />

aktuelles Schrifttum und die jeweils maßgebenden Bestimmungen der Erbschaftsteuerrichtlinien.<br />

Zur Veranschaulichung sind die Kommentierungen um zahlreiche Übersichten<br />

und Beispiele ergänzt. Ein außerordentlich detailliertes Sachverzeichnis (31 Seiten)<br />

schließt den Kommentar ab.<br />

DNotZ 2002


478 Buchbesprechungen<br />

Der Kommentar befindet sich auf dem Stand von März 2001. Alle Gesetzesänderungen,<br />

Gerichtsentscheidungen und Stellungnahmen der Finanzverwaltung bis zu diesem Zeitpunkt<br />

(und zum Teil darüber hinaus) sind umfassend und präzise eingearbeitet. Die<br />

Kommentierung von Viskorf zur Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach<br />

dem Stuttgarter Verfahren (§ 11 BewG Rz. 64) berücksichtigt daher bspw. bereits die<br />

Auswirkungen des durch das Steuersenkungsgesetz (BGBl. 2000 I, 1433) eingeführten<br />

Halbeinkünfteverfahrens (zu den gleichlautenden Erlassen der obersten Finanzbehörden<br />

der Länder vom 13. 2. 2001, BStBl. 2001 I, 162, s. auch Weinmann, ZEV 2001, 184).<br />

Aus Sicht der (notariellen) Beratungspraxis soll nachfolgend beispielhaft auf einige<br />

Kommentierungen eingegangen werden.<br />

Hübner stellt die verschiedenen Arten von Vermächtnissen (insbesondere Sachvermächtnisse,<br />

Verschaffungsvermächtnisse, Kaufrechtsvermächtnisse) umfassend dar und<br />

weist auf die sich aus der unterschiedlichen Bewertung ergebenden Gestaltungsmöglichkeiten<br />

hin (§ 3 ErbStG Rz. 130 ff.). Die Bewertung von Kaufrechtsvermächtnissen, d. h.<br />

die Einräumung der Möglichkeit, bspw. ein bestimmtes Grundstück zu einem unter dem<br />

Verkehrswert liegenden Preis zu kaufen, ist bislang noch nicht abschließend geklärt.<br />

Hübner vertritt zu Recht die Auffassung, dass der Vermächtnisnehmer in diesem Fall die<br />

Differenz zwischen dem Verkehrswert und dem Kaufpreis zu versteuern habe und der<br />

Erbe in gleicher Höhe eine Nachlassverbindlichkeit in Abzug bringen kann (§ 3 ErbStG<br />

Rz. 132). Demgegenüber geht Schuck davon aus, dass lediglich die Differenz zwischen<br />

dem Grundbesitzwert und dem Kaufpreis zu versteuern sei, da der Kaufrechtsvermächtnisnehmer<br />

anderenfalls gegenüber dem reinen Sachvermächtnisnehmer benachteiligt<br />

werde (§ 10 ErbStG Rz. 84). Eine anstehende Entscheidung des BFH (Az. II R 4/01) wird<br />

in diesem Bereich für die notwendige Rechtssicherheit sorgen.<br />

Das Instrument der mittelbaren Grundstücksschenkung ist auch nach der Erhöhung der<br />

Grundstückswerte für die Gestaltungspraxis noch von großem Interesse. Die Ablösung<br />

eines vom Grundstückskäufer aufgenommenen Kaufpreisfinanzierungsdarlehens durch<br />

den Schenker will Schuck entgegen der überwiegenden Meinung (s. auch R 16 Abs. 1<br />

Satz 5 ErbStR) nicht als Fall der mittelbaren Grundstücksschenkung anerkennen (§ 7<br />

ErbStG Rz. 82). Der schenkweise Erlass eines Darlehens nach Anschaffung des Grundstücks<br />

durch den Darlehensnehmer wird allgemein als Geldschenkung angesehen. Dementsprechend<br />

soll nach Auffassung von Schuck auch die unentgeltliche Gewährung eines<br />

zinslosen Darlehens zum Grundstückserwerb keine mittelbare Grundstücksschenkung<br />

darstellen (§ 7 Rz. 75). Schuck weist zutreffend darauf hin, dass viele Zweifelsfragen der<br />

mittelbaren Grundstücksschenkung erst nach Vollzug der Schenkung auftauchen, die<br />

durch eine notarielle Beurkundung der (Geld-)Schenkung in den meisten Fällen vermieden<br />

werden könnten (§ 7 ErbStG Rz. 81).<br />

Die außerordentlich umstrittene Frage nach der schenkungsteuerrechtlichen Beurteilung<br />

von Leistungen der Gesellschafter an Kapitalgesellschaften, stellt Schuck in bemerkenswerter<br />

Klarheit dar (§ 7 ErbStG Rz. 179 ff.). Werden bspw. Angehörige von Gesellschaftern<br />

im Rahmen einer Kapitalerhöhung zum Bezug neuer Anteile an einer Kapitalgesellschaft<br />

zugelassen, für die sie lediglich den Nominalwert erbringen, obwohl die Anteile<br />

mehr wert sind, kann darin nach Auffassung des BFH eine steuerpflichtige Schenkung zu<br />

sehen sein (zum Urt. v. 20. 12. 2000 – II R 42/99, BStBl. 2001 II, 454, s. Schuck, §7<br />

ErbStG Rz. 188). Ungeklärt ist bislang, ob der Notar bei der Beurkundung solcher Gesellschafterbeschlüsse<br />

auf eine mögliche Schenkungsteuerpflicht hinweisen muss (s. § 8<br />

Abs. 1 Satz 5 und Abs. 4 ErbStDV).<br />

Schon bei der Abfassung von letztwilligen Verfügungen von Todes wegen sollte berücksichtigt<br />

werden, dass die mit dem Erwerb verbundenen Kosten den steuerpflichtigen<br />

Erwerb mindern können. Zu den abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten gehören grundsätzlich<br />

auch die Kosten der Testamentsvollstreckung. Schuck weist darauf hin, dass die<br />

Vergütung des Testamentsvollstreckers nach den Empfehlungen des Deutschen Notarvereins<br />

(ausführlich dazu Reimann, DNotZ 2001, 344) als angemessen anzusehen sind und<br />

daher in vollem Umfang vom steuerpflichtigen Erwerb abgezogen werden können (§ 10<br />

ErbStG Rz. 112).<br />

Viskorf äußert in verschiedener Hinsicht erhebliche Zweifel, ob die derzeitige Bewertung<br />

von Grundbesitz und Betriebsvermögen den verfassungsrechtlichen Vorgaben nach<br />

einer realitätsgerechten Bewertung entspricht (Vor § 12 ErbStG Rz. 1 ff.; s. dazu auch<br />

DNotZ 2002


Buchbesprechungen 479<br />

Streck, NJW 2001, 2059). Die Begünstigung von Betriebsvermögen und die Rechtsformabhängigkeit<br />

der Bewertung erachtet Viskorf gleichfalls für verfassungsrechtlich bedenklich.<br />

Hübner weist darauf hin, dass die begünstigten Wirkungen der §§ 13 a, 19 a ErbStG<br />

in größeren Steuerfällen alles in den Schatten stellen dürften, was das deutsche Steuerrecht<br />

an Privilegierung kennt (§ 13 a ErbStG Rz. 3). Das Stuttgarter Verfahren für die<br />

Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften führt nach der Einschätzung von Viskorf<br />

in der Mehrzahl der Fälle zu einer Unterbewertung und kann daher für Zwecke der<br />

Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht ohne weiteres übernommen werden (§ 11 BewG<br />

Rz. 36). In diesem Zusammenhang empfiehlt Viskorf, dass das Stuttgarter Verfahren in<br />

Gesellschaftsverträgen nicht mehr allgemein als Grundlage für die Berechnung der Abfindung<br />

ausgeschiedener Gesellschafter vereinbart werden sollte (§ 11 BewG Rz. 37).<br />

Angesichts der deutlichen Kritik von Viskorf an der derzeitigen Bewertung von Grundund<br />

Betriebsvermögen ist davon auszugehen, dass das BVerfG in absehbarer Zeit (erneut)<br />

über die Zulässigkeit und die Grenzen einer Begünstigung dieser Vermögensarten zu<br />

entscheiden haben wird.<br />

Bei der Übertragung von Anteilen an Personengesellschaften ist es durch die neuere<br />

(ertrag-)steuerliche Rechtsprechung bereits zu ersten Einschränkungen der Begünstigungen<br />

gekommen, was Glier (§ 97 BewG Rz. 18) und Hübner (§ 13 a Rz. 31) zu Recht<br />

betonen. Die teilweise Übertragung von Mitunternehmeranteilen ist danach nur noch dann<br />

begünstigt, wenn das zu dem Anteil gehörende Sonderbetriebsvermögen (z. B. auch die<br />

Anteile an der Komplementär-GmbH bei der anteiligen Übertragung von Anteilen an einer<br />

GmbH & Co. KG) in gleichem Umfang mit übertragen wird (s. dazu ausführlich jüngst<br />

Reich, DNotZ 2001, 525).<br />

Bei der Bewertung bebauter Grundstücke ist als Mindestwert der Wert anzusetzen, der<br />

sich für den Grund und Boden als unbebautes Grundstück ergeben würde. Der Mindestwert<br />

errechnet sich regelmäßig aus dem um 20% ermäßigten Bodenrichtwert und der<br />

Grundstücksfläche. Vor allem bei der Bewertung von Wohnhäusern, die in der Vergangenheit<br />

auf großen (und heute hochwertigen) Grundstücken errichtet worden sind, stellt sich<br />

die Frage, ob eine Wertminderung vorgenommen werden kann, wenn die tatsächliche<br />

Bebauung von der rechtlich zulässigen Bebauung des Bodenrichtwertgrundstücks abweicht.<br />

Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist eine Wertminderung nur in Ausnahmefällen<br />

zu berücksichtigen (R 176 Abs. 2 Satz 1 und 2 ErbStR). Knobel schließt sich dieser<br />

Auffassung an (§ 146 BewG Rz. 72). Die Bewertung nach der rechtlich zulässigen<br />

Bebauung führt in der Praxis jedoch in vielen Fällen zu einer unangemessen hohen<br />

Belastung der Erwerber. Die höhere Bewertung von bebauten Grundstücken in Ballungszentren<br />

im Vergleich zu sonstigen bebauten Grundstücken hält Knobel gleichwohl verfassungsrechtlich<br />

für unbedenklich (§ 146 BewG Rz. 76).<br />

Die Übertragung von Ansprüchen aus bereits bestehenden Lebensversicherungen kurz<br />

vor Versicherungsende ist steuerlich oftmals vorteilhaft. Viskorf weist darauf hin, dass der<br />

Erwerb der noch nicht fälligen Versicherungsansprüche in der Regel lediglich mit 2 /3 der<br />

eingezahlten Prämie und nicht mit dem tatsächlichen (und meist deutlich höheren) Rückkaufswert<br />

bewertet wird (§ 12 BewG Rz. 74 ff.). Nach dem Entwurf für das Steueränderungsgesetz<br />

2001 soll dieser Bewertungsvorteil künftig jedoch entfallen und stets eine<br />

Bewertung mit dem aktuellen Rückkaufswert erfolgen.<br />

Zuwendungen unter Ehegatten sind schenkungsteuerpflichtig. Lediglich die Übertragung<br />

des (Mit-)Eigentums an dem zu eigenen Wohnzwecken genutzten Familienwohnheim<br />

ist (unabhängig vom Güterstand) von der Schenkungsteuer befreit. Nach Auffassung<br />

der Finanzverwaltung (R 43 Abs. 1 Satz 6 ErbStR), der sich Viskorf ausdrücklich anschließt<br />

(§ 13 ErbStG Rz. 38), soll die Befreiung jedoch in vollem Umfang entfallen,<br />

wenn auch nur ein untergeordneter Teil des Vertragsobjekts an einen Dritten vermietet ist<br />

(a.A. zu Recht Tiedtke/Wälzholz, ZEV 2000, 19). Bei einer Fremdvermietung kann es sich<br />

daher im Einzelfall empfehlen, das Familienwohnheim vor einer Ehegattenübertragung in<br />

Wohnungseigentum aufzuteilen, um zumindest die Steuerbefreiung für den selbstgenutzten<br />

Wohnteil sicherzustellen.<br />

Werden in einem Berliner Testament nicht die gemeinsamen Kinder der Ehegatten,<br />

sondern bspw. die Nichten oder Neffen eines Ehegatten zu Schlusserben eingesetzt, soll<br />

die Besteuerung bei den Schlusserben nicht von der zufälligen Reihenfolge der Todesfälle<br />

abhängen. Beruht die Erbeinsetzung auf dem gemeinsamen Willen beider Ehegatten,<br />

DNotZ 2002


480 Buchbesprechungen<br />

können die Schlusserben die Besteuerung nach dem mit ihnen näher verwandten erstverstorbenen<br />

Ehegatten wählen (§ 15 Abs. 3 ErbStG). Nach dem Gesetzeswortlaut gilt<br />

dieses Steuerklassenwahlrecht nur für gemeinschaftliche Testamente. Knobel vertritt überzeugend<br />

die Auffassung, dass die Regelung nach ihrem Sinn und Zweck auch auf<br />

entsprechende Erbverträge Anwendung finden muss (§ 15 ErbStG Rz. 78).<br />

Der vorzeitige Verzicht auf vorbehaltene Nutzungs- oder Rentenrechte kann erhebliche<br />

steuerliche Auswirkungen haben. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist in dem<br />

Verzicht eine (erneute) steuerpflichtige freigiebige Zuwendung zu sehen (H 85 Abs. 4<br />

ErbStR). Insbesondere bei den bis zum 31. 12. 1995 unter Nießbrauchsvorbehalt erfolgten<br />

Grundstücksübertragungen kann die dadurch entstehende Gesamtsteuerlast deutlich höher<br />

sein als die Steuer, die bei einem vorbehaltsfreien Erwerb eingetreten wäre (s. dazu<br />

Moench, ZEV 2001, 143; Jülicher, DStR 2001, 1200/1202). Schuck betont zu Recht, dass<br />

der Verzicht auf ein vorbehaltenes Recht keine steuerpflichtige Schenkung darstellen<br />

kann, wenn die ursprüngliche Übertragung der Vermögenssubstanz (in Durchbrechung des<br />

Bereicherungsprinzips) so besteuert wird, als ob die Belastung mit einem Nutzungs- oder<br />

Rentenrecht nicht bestehen würde (§ 25 ErbStG Rz. 46). Das FG Nürnberg hat indes<br />

jüngst die Auffassung der Finanzverwaltung gebilligt (Urt. v. 9. 11. 2000 – IV 84/2000,<br />

DB 2001, 511 = DStRE 2001, 150); die Revision ist derzeit beim BFH anhängig (Az. II R<br />

3/01).<br />

Im Bereich der Erbschaft- und Schenkungsteuer besteht ein differenziertes System von<br />

Anzeigepflichten, das von Schuck kenntnisreich und kritisch dargestellt wird (§§ 30 ff.<br />

ErbStG). Die Renaissance der Namensaktie hat zur Folge, dass eine bislang wenig<br />

beachtete Anzeigepflicht wieder zunehmend an praktischer Bedeutung erlangt. Umschreibungen<br />

von Namensaktien im Aktienregister auf den Erben dürfen danach von Aktiengesellschaften<br />

erst nach einer Anzeige an das zuständige Finanzamt vorgenommen werden<br />

(Schuck, § 33 ErbStG Rz. 10).<br />

Der Kommentar von Viskorf/Glier/Hübner/Knobel/Schuck stellt einen unerlässlichen<br />

Ratgeber bei der steueroptimalen Gestaltung der privaten und betrieblichen Vermögensnachfolge<br />

dar. Eine weite Verbreitung der Neuerscheinung ist schon jetzt sichergestellt.<br />

Notar Thomas Wachter, Osterhofen<br />

Schuldrechtsmodernisierung. Systematische Einführung und synoptische<br />

Gesamtdarstellung. Von Prof. Dr. Heinrich Dörner und Dr. Ansgar Staudinger.<br />

2002. 645 Seiten. 29,– e (Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-<br />

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DNotZ 2002

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