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Anton Ziegenaus:<br />
Die Mariengestalt und ihre Verehrung<br />
als Gradmesser gläubigen Lebens<br />
Doch stehen diesen Aktivposten<br />
auch Passivposten gegenüber.<br />
Da einmal die Diskussion<br />
um den Ort der Mariologie erwähnt.<br />
Ist Maria vor allem von Christus her,<br />
christotypisch, zu verstehen, d.h.<br />
von der Gottesmutterschaft und der<br />
hypostatischen Ordnung her, so dass<br />
sie die Kirche transzendiert und ein<br />
eigenes Mariendokument angebracht<br />
wäre, oder ist ihr Ort innerhalb der<br />
Kirche, wenn auch ihre urbildliche<br />
Verwirklichung? Steht Maria auf<br />
der Seite ihres Sohnes und somit der<br />
Kirche vorgeordnet oder in ihr? Die<br />
christotypische und ekklesiotypische<br />
Spannung wurde bereits besprochen.<br />
Es kam zu einer Abstimmung.<br />
1114 Konzilsväter sprachen sich am<br />
29. Oktober 1963 für eine ekklesiologische<br />
Einordnung, 1074 für eine<br />
christologische aus. Man darf von einer<br />
echten Pattsituation sprechen. Die<br />
knappe Mehrheit war nicht antimarianisch<br />
eingestellt, hoffte aber, mit<br />
einer ekklesiologischen Einordnung<br />
einen ökumenischen Brückenschlag<br />
zu erreichen, wenn sie Maria als das<br />
lehrt, was jeder in der Kirche sein<br />
möchte und in der Vollendung sein<br />
wird, und befürchtete, durch eine<br />
christologische Einordnung bekäme<br />
Maria eine Sonderstellung. Die<br />
knappe Minderheit dachte dagegen<br />
weniger ökumenisch – oder besser:<br />
anders ökumenisch – und mehr marianisch<br />
im traditionellen Sinn. Die<br />
Wirkung dieser Pattsituation war, dass<br />
die Gruppe der marianisch geprägten<br />
„Hälfte“ gleichsam frustriert war.<br />
Papst Paul VI. suchte die Schwächung<br />
des Marianischen durch die<br />
Proklamation Mariens als „Mutter der<br />
Kirche“ am 21. November 1964 auszugleichen<br />
10 , Maria, so wird der Titel<br />
begründet, ist Mutter des Hauptes<br />
und deshalb seit der Inkarnation auch<br />
Mutter der Glieder. Dieser Titel meint<br />
Schluss<br />
nicht nur, dass Maria Mutter der einzelnen<br />
Glieder ist (wie der Kranken,<br />
Sünder usw.), sondern vor allem der<br />
Kirche in ihrer Verfasstheit. Aufgrund<br />
ihrer besonderen Einheit mit Christus<br />
als Haupt ist Maria Mutter der Kirche<br />
und transzendiert diese. <strong>Der</strong> Papst<br />
verspricht sich von dieser Proklamation<br />
eine einigende Wirkung in Bezug<br />
auf die Einheit von Haupt und Gliedern<br />
– die Marienverehrung solle also<br />
mehr zum Haupt hinführen – und die<br />
Einheit der christlichen Konfessionen.<br />
Auch der Papst sieht das ökumenische<br />
Anliegen. Während die eine Seite<br />
fürchtet, eine Hervorhebung Mariens<br />
könnte das katholisch-protestantische<br />
Gespräch erschweren, zitiert Paul VI.<br />
Man soll nicht alles, weil es<br />
gerade neu ist, sofort als<br />
Fortschritt und Errungenschaft<br />
für die Frau ausgeben. Geht<br />
doch einmal in die Kirchen und<br />
Museen und schaut euch die<br />
verschiedenen Darstellungen<br />
der Gottesmutter und der Heiligen<br />
an. Und dann vergleicht<br />
sie mit den Frauen auf den öffentlichen<br />
Plakatwänden. Dort<br />
alt, hier modern. Die Frau, wie<br />
sie früher dargestellt wurde und<br />
wie sie jetzt präsentiert wird.<br />
Ich zweifle sehr daran, ob dieser<br />
Vergleich, was die Wertschätzung<br />
der Frau betrifft, zugunsten<br />
der heutigen Zeit ausgeht!<br />
Die erhabene Größe, in der die<br />
Religion Maria und die Heiligen<br />
sieht, hat auf die Frau überhaupt<br />
abgefärbt und trotz allem<br />
die Männer beeindruckt!<br />
Albino Luciani (Johannes Paul I.),<br />
in der Predigt zum Fest Maria<br />
Himmelfahrt 1975.<br />
in „Marialis Cultus“ (Nr. 33) Leo<br />
XIII., der sagt: „Das Anliegen der<br />
Einheit der Christen gehört eigentlich<br />
zu ihrer (Mariens) geistig mütterlichen<br />
Aufgabe.“ Wenn die Einheit<br />
der Christen nicht das Ergebnis vieler<br />
Kommissionssitzungen theologischer<br />
Fachexperten oder ökumenischer<br />
Grillfeste ist, sondern Geschenk der<br />
Gnade, die erbetet werden muss, dann<br />
darf Maria, die Mutter der Kirche,<br />
nicht ausgeblendet werden. Sie muss<br />
als stärkste Hilfe zur Einheit erkannt<br />
werden. Die Mutter der Kirche ist<br />
Mutter der Einheit.<br />
Christotypischer und ekklesiotypischer<br />
Ansatz sind letztlich keine<br />
Gegensätze, wie die knappe Mehrheit<br />
und Minderheit meinten, auch nicht<br />
Mutter der Kirche und Urbild der<br />
Kirche, sondern bilden eine Einheit;<br />
denn in dem Augenblick, in dem der<br />
Heilige Geist das menschliche Leben<br />
Jesu in Maria schöpferisch (nicht<br />
zeugend!) hervorruft und sie Mutter<br />
wird, empfängt sie als Braut das ewige<br />
Wort.<br />
Eine Formulierung im Dekret über<br />
den Ökumenismus (VR Nr. 11) wird<br />
öfter zur Begründung der marianischen<br />
Leisetreterei im ökumenischen<br />
Gespräch herangezogen, nämlich die<br />
Rede von der Rangordnung oder Hierarchie<br />
der Wahrheiten. Eine solche<br />
Rangordnung gibt es zweifellos; z.B.<br />
sind Taufe oder Eucharistie gewichtiger<br />
als die Krankensalbung. Aber<br />
dieses Wort von der Rangordnung<br />
der Wahrheiten wird auf die Mariengestalt<br />
angewandt: Die Fragen nach<br />
Gott, Jesus Christus oder das Wesen<br />
des Menschen sei wichtiger als die<br />
Mariologie, weshalb an nicht wenigen<br />
theologischen Fakultäten die Studenten<br />
nie etwas über Maria hören.<br />
Wer jedoch beachtet, dass das Konzil<br />
selbst die Hierarchie der Wahrheiten<br />
bestimmt „je nach der verschiedenen<br />
168 DER FELS 6/<strong>2005</strong>