DER HAUPTSTADTBRIEF
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<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong><br />
Januar 2004 Hintergrund-Dienst aus Berlin für Entscheider und Multiplikatoren<br />
50. Ausgabe<br />
FOTO: © MOMA, VG BILD-KUNST, BONN 2003<br />
„The False Mirror“ (Der falsche Spiegel) nannte René Magritte sein hier abgebildetes, 1928 entstandenes Ölgemälde<br />
auf Leinwand (54 x 80,9 cm), das in der Ausstellung „MoMA in Berlin“ zu sehen sein wird – neben rund 200 weiteren<br />
Top-Werken der Modernen Kunst aus dem New Yorker Museum of Modern Art (MoMA). Mehr über das Großereignis<br />
„MoMA in Berlin“ (20. Februar bis 19. September 2004 in der Neuen Nationalgalerie) lesen Sie ab Blatt 19.<br />
Dies ist die 50. Ausgabe des <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong>: Ein kleines Jubiläum, das uns stolz<br />
macht. Und das Neuigkeiten mit sich bringt: Ab sofort gibt’s in jedem Heft auf Seite 2 eine<br />
Inhaltsübersicht. Und dazu die Rubrik „Auf den Punkt“. Blättern Sie um, bitte …<br />
FOTO: MARCO URBAN<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 1 Januar 2004<br />
FOTO: ……………<br />
Weshalb Gerster wirklich gehen musste<br />
Viel wurde geredet im Fall Gerster, nicht alles war richtig. Oft wurden<br />
Randaspekte in den Vordergrund gespielt, vom entscheidenden<br />
Grund für Gersters Ablösung war nur eher selten die Rede. Im<br />
<strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> beleuchtet Klaus Wirtgen alle Hintergründe<br />
der causa Florian Gerster. Und zudem beschreibt er, wie Kanzler<br />
Gerhard Schröder im fernen Afrika, auf dem Flughafen von Accra,<br />
mit␣ der Ablösung befasst war. Mehr ab Blatt 23
<strong>DER</strong> 50. <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong><br />
EINE INHALTS-ÜBERSICHT<br />
3 Innovation – das Wort oder das Unwort<br />
des Jahres 2004? Und: Die bereits vergebenen<br />
Chancen bei der Fußball-WM<br />
7 Das Metropol ist verkauft.<br />
Und das ist auch gut so.<br />
„Don’t cry for money, Sarrazin“<br />
12 Prof. Manfred Güllner: 2004 ist ein<br />
Superwahljahr – mit insgesamt 14␣ Wahlen.<br />
Darunter wichtige Vorentscheidungen<br />
für die Bundestagswahl 2006<br />
19 MoMA heißt der Superstar<br />
am␣ Kunsthimmel über Berlin<br />
23 Klug, kompetent, aber extrem selbstherrlich.<br />
Weshalb Florian Gerster gehen musste<br />
26 Die Künstlergruppe „Brücke“ und ihre<br />
Geschichte. Eine große Graphik-Ausstellung<br />
30 Ab Herbst 2004 auch im Land Brandenburg<br />
eine Regierung SPD/PDS?<br />
33 Das sanierte Zeughaus strahlt von innen und<br />
außen in aufgefrischter barocker Pracht<br />
35 Aktuelle Fotokunst aus Japan –<br />
Miwa Yanagi im Guggenheim<br />
37 Über die Standortvorteile Berlins. Und wie sie<br />
sich gewinnbringend nutzen lassen…<br />
42 Das Musikinstrumenten-Museum:<br />
1000 wertvolle Anschauungsobjekte<br />
direkt neben der Philharmonie<br />
44 Rafael Seligmann: Die Zeit ist reif<br />
für␣ grundlegende Reformen – Handelt rasch,<br />
großzügig, klug und vorausschauend!<br />
47 Hofmaler Antoine Pesne: 47 Jahre lang<br />
diente er drei Preußen-Königen<br />
49 BND-Neubauten: CDU und PDS gemeinsam<br />
gegen „Weltjugend“-Pläne der SPD?<br />
Auf den Punkt<br />
Im Herbst 1999 zogen Bundestag und Bundesregierung<br />
von Bonn nach Berlin. Und im Oktober<br />
1999 erschien – eben deshalb – die erste Ausgabe<br />
des <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong>. Jeden Monat<br />
folgte seither eine weitere. Und jetzt, im Januar<br />
2004, sind wir bei Nummer 50 angelangt.<br />
Da sei ein kurzer Rückblick gestattet: Die Idee<br />
zu einem Hintergrunddienst aus Berlin hatten wir<br />
schon 1993. Zwei meiner Freunde – der<br />
Fernsehjournalist Ernst-Dieter Lueg und der<br />
Jurist Prof. Diether Huhn, der sich auch als Autor<br />
der „Berliner Spaziergänge“ einen Namen machte<br />
– gehörten zu jenen, die diese Idee mitgebaren.<br />
Und die halfen, sie fortzuentwickeln. Wir erinnern<br />
uns ihrer heute in<br />
Dankbarkeit.<br />
Detlef Prinz<br />
Herausgeber<br />
Die Freundesrunde<br />
war sich im übrigen<br />
einig: Erscheinen<br />
sollte der Dienst erst,<br />
wenn Parlament und<br />
Regierung um-<br />
gezogen sind. Und so geschah es dann auch.<br />
Heute, beim Erscheinen der 50. Ausgabe, sind wir<br />
stolz darauf, dass wir Monat für Monat viele<br />
hoch- und höchstprominente Leser erreichen,<br />
dominant in Politik und Wirtschaft.<br />
Das redaktionelle Konzept – von Bruno Waltert,<br />
unserem Chefredakteur von der ersten Nummer<br />
an – konsequent durchgehalten, kommt bei den<br />
Lesern des <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> offenbar gut an.<br />
Zum Schluss: Als Neuerungen ab Heft 50 gibt es<br />
künftig auf Seite 2 immer eine – hoffentlich<br />
hilfreiche – Inhalts-Übersicht. Und die Kolumne<br />
„Auf den Punkt“. Ich werde sie im Wechsel mit<br />
unserem Chefredakteur schreiben.<br />
Herzlichst<br />
FOTO: MARCO URBAN<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 2 Januar 2004<br />
Ihr
Innovation – das Wort oder<br />
das Unwort des Jahres 2004?<br />
Und: Die bereits vergebenen<br />
Chancen bei der Fußball-WM<br />
Von KLAUS WIRTGEN<br />
Noch ist der erste Monat des Jahres nicht vorüber – und schon<br />
steht vermutlich das Wort des Jahres fest. Es heißt „Innovation“.<br />
Wo auch immer in diesen Tagen Politiker und Bürger aufeinandertreffen<br />
– „Innovation“ ist in fast aller Munde. Bleibt die bange Frage: Wird<br />
der häufige Gebrauch die Vokabel so inflationieren, dass „Innovation“<br />
bis Ende 2004 zum Unwort des Jahres verkommen sein wird?<br />
Spätestens seit Jürgen Kluge, Chef der Unternehmensberatung<br />
Mc␣ Kinsey & Company, Bundeskanzler Gerhard Schröder und seinem<br />
SPD-Vorstand auf einer Klausur in Weimar eine herbe Analyse der<br />
deutschen Defizite bei „Forschung und Innovation im internationalen<br />
Vergleich“ präsentiert hatte, war das I-Wort in aller Munde.<br />
In der Bibliothek des Berliner Hotels „Adlon“ versammelte Bundeskanzler<br />
Gerhard Schröder am 13. Januar einen handverlesenen Kreis<br />
von deutschen Energiemanagern zum vertraulichen Gespräch.<br />
Bei köstlichen chinesischen Spezialitäten parlierten die Stromherren<br />
Roels (RWE), Bernotat und Hartmann (Veba), Schulz (Thyssen-<br />
Krupp), RWE-Aufsichtsrat Friedel Neuber, Hubertus Schmoldt von<br />
der IG Bergbau und Chemie nebst Stellvertreter Südhofer natürlich<br />
auch über Innovation – neben Reformagenda 2010 und speziellen<br />
Energiefragen.<br />
Und am 16. Januar empfing Schröder vor laufenden Kameras eine<br />
große Runde aus Wirtschaft und Wissenschaft im Kanzleramt.<br />
Thema? Naive Frage! Innovation, was denn sonst. Sogar ein<br />
„Innovationsrat“ wurde verabredet. Ein „Reformkongress“ des<br />
Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) soll folgen.<br />
Und in der SPD-Parteizentrale wird ein „Forum Wirtschaft“<br />
unter der Leitung von Wirtschafts- und Arbeitsminister Wolfgang<br />
Clement, zudem für den Wonnemonat Mai ein Kongress<br />
„Forschungsstandort Deutschland – Innovation für die Zukunft“<br />
vorbereitet.<br />
Abgesehen davon, dass es schwer vorstellbar ist „Innovation für<br />
die Vergangenheit“ vorzubereiten, so wird doch deutlich, dass sich<br />
Schröders sieche Partei von dem progressiven Etikett sogar noch<br />
Strahlkraft verspricht, wenn die bis dahin anstehenden Wahlen in<br />
Hamburg und Europa neue Niederlagen und weitere Ansehensverluste<br />
bringen.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 3 Januar 2004
Bedenklich stimmt allerdings eines: Wenn plötzlich soviel von<br />
Innovation die Rede ist, liegt die Vermutung nahe, dass die Berliner<br />
Republik und darüber hinaus der ganze europäische Kontinent ganz<br />
schön alt aussehen müssen.<br />
Wie alt, das gab Mc Kinsey-Consultant Kluge, der regelmäßig auch<br />
CDU-Chefin Angela Merkel berät, in einigen Thesen zu Protokoll.<br />
Hier einige Auszüge:<br />
Seit 1989 ist der Anteil der Nobelpreisträger, die in Europa<br />
arbeiten, erneut um mehr als ein Viertel zurückgegangen.<br />
Jeder 7. Nachwuchsforscher geht in die USA, 43 Prozent der Exilforscher<br />
wollen nicht zurück.<br />
• Fast 70 Prozent der deutschen Wissenschaftler finden in den<br />
USA die attraktiveren Arbeitsbedingungen und Karriereaussichten.<br />
• Von 201 Nobelpreisträgern in Naturwissenschaften seit 1980<br />
arbeiten gerade mal 10 in Deutschland, also fünf Prozent. Das<br />
war mal mehr als ein Drittel zu Beginn des 20. Jahrhunderts.<br />
• Deutschland wendet durch öffentliche Hand und Wirtschaft<br />
prozentual weniger für Forschung und Entwicklung auf als die<br />
USA und Japan. Um das relative Niveau beider Staaten zu erreichen,<br />
wäre eine Erhöhung dieser Ausgaben um fünf bzw. um zehn<br />
Milliarden Euro jährlich erforderlich.<br />
• Deutschlands Anteil am weltweiten Handel mit Hightech-<br />
Gütern ist von 16,7 Prozent im Jahre 1991 auf 11,5 Prozent im<br />
Jahre 2000 geschrumpft.<br />
• Erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg vergrößert sich der<br />
Produktivitätsrückstand Deutschlands gegenüber Amerika.<br />
• Während Finnland und Schweden Weltklasseleistungen bei Wahrung<br />
sozialer Gerechtigkeit erreichen, schneidet Deutschland<br />
– trotz sozialdemokratischer Regierung – noch schlechter ab als<br />
die USA und Großbritannien, deren Bildungssysteme gemeinhin als<br />
wenig sozial gelten.<br />
• In Deutschland schaffen zwar 72 Prozent aller Kinder höherer<br />
sozialer Herkunft den Hochschulzugang, aber nur acht Prozent<br />
aus schwierigeren sozialen Verhältnissen.<br />
• Nur in Bulgarien ist der Leistungsvorsprung von Kindern, die aus<br />
einheimischen Familien stammen, gegenüber Kindern, deren Eltern<br />
beide im Ausland geboren sind, größer als in Deutschland – eine<br />
wahrhaft miserable Integrationsleistung bei uns.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 4 Januar 2004
Ein „Deutsches Harvard“, ein „Deutsches MIT“, Einladungen<br />
an deutsche und ausländische Wissenschaftler, mehr Geld für Forschung<br />
und Entwicklung, eine Bundesuniversität … Kluges Rezepte<br />
klangen in den Ohren seiner Zuhörer einerseits naheliegend und<br />
nachvollziehbar, anderseits wohlfeil.<br />
Die Aufforderung, Schröder möge gefälligst aus den vielen Kluge-<br />
Bausteinen eine „Großtat, ein Kanzlerprojekt“ formen, war<br />
ebenso reizvoll wie riskant – angesichts leerer Kassen und übervoller<br />
Schuldenbücher.<br />
Das von dem Mc Kinsey-Mann gewünschte „Ministerium für Zukunft<br />
und Innovation“ als Sammelstelle bislang zersplitterter Kompetenzen<br />
von Wirtschafts-, Finanz-, Umwelt- und Forschungsministerium<br />
bietet sich zwar für einen professionellen (Um-)Organisationsguru,<br />
der sich nicht um politische Machtbalancen scheren muss, als höchst<br />
plausibel an.<br />
Angesichts des tatsächlichen Proporzes in einem Kabinett jedweder<br />
politischer Couleur ist der Vorschlag – andererseits – reichlich<br />
unrealistisch. Als ob sich – beispielsweise – ein Finanzminister mit<br />
seiner durch das Grundgesetz herausgehobenen Stellung von einem<br />
Innovationsminister die Korrektur seines Haushaltsentwurfs<br />
befehlen ließe.<br />
Die Spielregeln dieses Geschäftes, das möchte auch ein Unternehmensberater<br />
beachten, beherrscht niemand besser als Gerhard<br />
Schröder. Der Kanzler bedankte sich freundlich lächelnd für die<br />
kostenlosen Ratschläge, vor allem wohl für den therapeutischen<br />
Insidertip an den gestressten Regierungschef: „Besuchen Sie jeden<br />
Tag eine Chipfabrik und ein Chemielabor“.<br />
So sehr derzeit die Regierung und die sie tragenden Parteien auch<br />
die Propaganda-Trommel rühren, so sehr sie die Bürger mit<br />
Aktionismus und großen Worten zu motivieren versuchen, so<br />
deutlich klafft auch – das belegen interne amtliche Planungen – die<br />
große Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit.<br />
Staatliche Innovationspolitik ist letztlich ein umfassendes<br />
Politikkonzept. Es ist abhängig von den Rahmendaten, die auch<br />
für Wachstum und Abbau der Arbeitslosigkeit verantwortlich sind. Es<br />
sind vorrangig die steuer- und arbeitsmarktpolitischen Bedingungen –<br />
also das, was auch den Kern der „Agenda 2010“ ausmacht.<br />
Für die Unternehmen entscheiden zusätzlich Finanzierung und<br />
Ausbildung ihrer Mitarbeiter darüber, ob Investitionen – die mit<br />
Chancen, aber auch mit Risiken verbunden sind – in Angriff<br />
genommen werden. Und letztlich zahlt eine klare politische<br />
Entscheidung über den Umgang mit neuen Technologien wie Biound<br />
Gentechnik mehr aus als zehn Propaganda-Kampagnen für<br />
Innovation.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 5 Januar 2004
In Deutschland werden immerhin 70 Prozent der Aufwendungen<br />
für Forschung und Entwicklung von privaten Unternehmen erbracht.<br />
Ob Automobilbau, Chemie oder Maschinenbau – alle diese<br />
exportintensiven Branchen investieren ihren Innovationsaufwand in<br />
Deutschland nur zu einem geringen Teil aus staatlicher Unterstützung.<br />
Ganz anders als in den USA, wo die größten Innovationsanstöße aus<br />
den Aufträgen des Pentagon kommen. Daraus entstehen Verfahren<br />
und Produkte, die sehr rasch auch Eingang in den zivilen Sektor<br />
finden.<br />
Die Bundesregierung wird traditionell aktiv durch Förderung der<br />
Grundlagenforschung durch das Forschungsressort von Edelgard<br />
Bulmahn.<br />
Daneben konzentriert sich das Clement-Ministerium vorrangig<br />
auf die Förderung von Gründer-Initiativen und auf den Abbau der<br />
Nachteile, unter denen kleine und mittlere Unternehmen gegenüber<br />
Großkonzernen wie Siemens bei der Nutzung wissenschaftlicher<br />
Netzwerke leiden.<br />
Wichtig in diesem Zusammenhang: Staatliche Ausgaben für<br />
Forschung und Entwicklung sollen nicht wie Subventionen behandelt<br />
werden, die ja bekanntlich in allen derzeit diskutierten Steuerreform-Modellen<br />
zugunsten niedrigerer Steuersätze gekürzt oder gar<br />
gestrichen werden sollen. Darin waren sich auch die beiden Ministerpräsidenten<br />
von NRW und Hessen, Peer Steinbrück (SPD) und<br />
Roland Koch (CDU), einig.<br />
Deutschland hat das Glück, seine Innovationspotenz demnächst<br />
weltweit zur Schau stellen zu können – bei der Fußball-Weltmeisterschaft<br />
2006. So viele Milliarden Menschen werden so schnell<br />
nicht wieder nach Deutschland blicken.<br />
Eine einmalige Gelegenheit, beispielsweise Flotten hochmoderner<br />
deutscher Automobile mit alternativen Antrieben (endlich!)<br />
öffentlichkeitswirksam und energiesparend über die Bildschirme<br />
in aller Welt zu schicken!<br />
Und den Kranich der Lufthansa beim Transport der Ronaldos,<br />
Zidanes und Beckhams als Symbol deutscher Transportkompetenz<br />
vorzuführen. Schöne Aussichten, doch es kommt – so muss man<br />
fürchten – anders.<br />
Gerade mal zwei deutsche Konzerne, Telekom und Conti, gehören<br />
zu den 14 Hauptsponsoren der WM. Offizieller Carrier der WM<br />
ist die Golf-Fluglinie „The Emirates“ und für den terrestrischen<br />
Transport hat der südkoreanische Automobilkonzern „Hyundai“<br />
gebucht. Der Stern von Untertürkheim, so sieht es aus, leuchtet nur,<br />
wenn die Kameras ausgeschaltet sind …<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 6 Januar 2004
Das Metropol ist verkauft.<br />
Und das ist auch gut so. „Don’t<br />
cry for money, Sarrazin“<br />
Von CHRISTIAN DAUGS<br />
Man sollte meinen, dass der Finanzsenator einer finanziell so klammen<br />
Stadt wie Berlin, dass Thilo Sarrazin, sich freut, wenn ihm ein<br />
warmer Geldregen von immerhin einer Million Euro ins Haus steht.<br />
Das ist die Summe, die die Investorengruppe um den Betreiber der<br />
Arena Treptow, Falk Walter, an Berlin für das Metropol Theater an<br />
der Friedrichstraße zahlt.<br />
Zusätzlich verpflichtet sich der neue Besitzer, Sanierungsarbeiten<br />
in Höhe von 10 Millionen Euro an dem maroden Gebäude vorzunehmen.<br />
Grundlage für den Verkauf des seit Sommer 1997 ungenutzten<br />
Musentempels ist die kulturelle Nutzung in den kommenden<br />
10 Jahren.<br />
Angeboten werden soll eine Mischung aus modernem populärem<br />
Theater, Konzerten und Clubkultur, wie es sie schon an den anderen<br />
von Falk Walter betriebenen Standorten, in der Arena Treptow und<br />
in der Diskothek Big Eden am Kurfürstendamm gibt. Das Programm<br />
wird sich also an die Zielgruppe der jüngeren Nachtschwärmer<br />
richten, nicht unbedingt an das alte Metropol-Publikum.<br />
Von 1923 an<br />
waren sie<br />
sechs Jahre lang<br />
die Hauptattraktion<br />
des „Metropol“:<br />
Die Haller-Girls.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 7 Januar 2004<br />
FOTO: ARCHIV FRANS DIKMANNS / F101
Von 1873 bis 1910<br />
hieß das „Metropol“<br />
Admirals-Gartenbad.<br />
Seine aus einer<br />
Solequelle gespeisten<br />
Badebecken<br />
galten damals als<br />
riesige Attraktion.<br />
Bei allem<br />
Badespaß war<br />
selbstverständlich:<br />
Frauen benutzen<br />
das Frauenbad<br />
(Foto links),<br />
Männer plantschten<br />
anderswo unter<br />
ihresgleichen<br />
(Foto rechts).<br />
Unzufrieden mit dem Verkaufsergebnis ist allein Finanzsenator Thilo<br />
Sarrazin (SPD). In seinen Augen wurde die Immobilie, deren Wert von<br />
Experten auf 15 bis 20 Millionen Euro taxiert wird, viel zu billig<br />
verkauft. Dem Senator wäre es sogar am liebsten gewesen, wenn<br />
der Denkmalschutz aufgehoben worden wäre.<br />
Im vergangenen Frühjahr bereits hatte der radikale Sparer einen<br />
Abriss vorgeschlagen, um das Filetstück in der Innenstadt – zu dem<br />
auch noch ein großes, unbebautes Nachbargrundstück gehört –<br />
meistbietend als Bauland veräußern zu können, sollte sich ein<br />
potenter Investor finden.<br />
Angesichts der Berliner Haushaltslage wollte sich der Finanzsenator<br />
in vorauseilendem Gehorsam nicht irgendwann vorwerfen lassen<br />
müssen, leichtfertig Geld verschleudert zu haben, konnte sich mit<br />
seinen Initiativen jedoch nie durchsetzen.<br />
Die Verhandlungen mit Arena-Betreiber Falk Walter zogen sich<br />
schon über einen längeren Zeitraum hin. Bereits im vergangenen<br />
Juli hatte der landeseigene Liegenschaftsfonds ihm den Zuschlag<br />
erteilt, doch Sarrazin mauerte in seiner Funktion als oberster Kassenwart<br />
noch einmal angesichts des für ihn „unzulänglichen Ergebnisses“.<br />
Jetzt aber hat es Frank Walter doch geschafft.<br />
Nun wird also künftig in veränderter Form das stattfinden, was es<br />
an diesem Ort schon immer gab: Kultur und Unterhaltung. Diese<br />
haben hier eine lange Tradition.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 8 Januar 2004<br />
FOTOS: ARCHIV FRANS DIKMANNS / F101
1873 wurde auf einer Solequelle das Admirals-Gartenbad eröffnet,<br />
das sich in den folgenden Jahren großen Zuspruchs erfreute.<br />
1910 wurde aus dem Bad der Berliner Eispalast mit Eislauf- und<br />
Kegelbahnen, einem Kino und Baderäumen. Ein Vorläufer heutiger<br />
Erlebnisparks und -bäder. Angesichts der Größe kam nur noch der<br />
angemessene Name Admiralspalast in Frage.<br />
Doch die Zeiten in Berlin waren schon immer schnelllebig.<br />
1923␣ wurde der vielgesichtige Betrieb des Admiralspalast beendet<br />
und Hermann Haller eröffnete sein berühmtes Revuetheater mit<br />
den legendären Haller-Girls. 1930 begann die große Operettenzeit.<br />
Stars wie Theo Lingen, Fritzi Massary oder Käthe Dorsch feierten<br />
hier ihre Triumphe. Diese Glanzzeit dauerte bis 1944.<br />
Zu DDR-Zeiten wurde das Genre Operette ab 1955 intensiv<br />
weitergepflegt. Ein eigens aufgebautes Ensemble brachte bis zu 12␣ Inszenierungen<br />
pro Spielzeit heraus.<br />
Das Programm war bunt gemischt.<br />
Neben klassischen Operetten,<br />
die aufgrund ihres „bourgeoisen“<br />
Charakters von der<br />
DDR-Kulturpolitik nicht unbedingt<br />
für sozialismustauglich gehalten<br />
wurden, gab es eigene Uraufführungen,<br />
mit denen die Fortschrittlichkeit<br />
der Institution<br />
bewiesen werden sollte.<br />
Der Komponist Gerd<br />
Natschinski errang hier internationale<br />
Erfolge mit seinen<br />
Werken „Messeschlager Gisela“<br />
(1960) und „Mein Freund<br />
Bunbury“ (1964). Der Drang<br />
nach Weltgeltung ließ es später<br />
zu, dass auch Broadway-Hits<br />
wie „West Side Story“, „Cabaret“<br />
und „My fair Lady“ auf dem<br />
Spielplan standen.<br />
Nach der Wende litt das<br />
Metropol Theater unter massivem<br />
Zuschauerschwund. Die<br />
Ernennung des Startenors René<br />
Kollo zum Intendanten erschien<br />
vielen 1996 als Rettung. Eine<br />
trügerische Vorstellung – so<br />
schön wie eine Operette.<br />
Ein Bild aus der „Operettenzeit“:<br />
Von 1936 bis 1938 spielte das<br />
„Theater im Admiralspalast“<br />
im Metropol-Komplex<br />
das Erfolgsstück „Frau Luna“.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 9 Januar 2004<br />
FOTO: ARCHIV FRANS DIKMANNS / F101
Durch die Verpflichtung teurer Stargäste wollte Kollo, der selbst<br />
gerne in erster Reihe auf der Bühne stand, wohl als Primus inter<br />
pares wirken, zog sich jedoch bloß den Unmut im hochkarätig<br />
besetzten Ensemble zu.<br />
Die Auslastung des Theaters sank innerhalb eines Jahres von 55,5<br />
auf 45,7 Prozent. Von Misswirtschaft war die Rede. Bereits nach<br />
einem Jahr trat der Heldentenor ganz unheldenhaft zurück. Ein<br />
mediales Scharmützel mit dem Berliner Senat zog sich noch über<br />
Monate hin.<br />
Seitdem war das Metropol Theater im wahrsten Sinne des Wortes<br />
leergespielt und stand entsprechend leer. Daran änderte sich auch<br />
im September 1998 nichts. Das Metropol Theater wurde 100 Jahre<br />
alt, doch lediglich das Ensemble der unweit gelegenen Staatsoper<br />
Unter den Linden nutzte inzwischen die Räumlichkeiten – als<br />
Probebühne. Von Feierlichkeiten war keine Spur auszumachen.<br />
Ein verzweifelter Wiederbelebungsversuch in Form einer Vereinigung<br />
mit dem Theater des Westens an der Charlottenburger Kantstraße<br />
scheiterte an den unterschiedlichen Gesellschaftsformen, die<br />
nicht unter einen Hut zu bringen waren. Hier die landeseigene<br />
GmbH im Westen der Stadt, auf der anderen Seite die mittlerweile<br />
private GmbH im Osten.<br />
Im Juni 2000 zeigte die holländische Stage Holding ernsthaftes<br />
Interesse an dem Theater, konnte sich aber letztlich mit dem Berliner<br />
Senat nicht über das endgültige Investitionsvolumen einigen. Der<br />
Leerstand schien zum Dauerzustand zu werden, das 1993 geschlossene<br />
Schiller Theater winkte aus dem Westen der Stadt wie ein<br />
Menetekel herüber.<br />
Den neuen Betreiber Falk Walter zeichnet nun vor allem eines<br />
aus: Für alles, was er bislang auf die Beine gestellt hat, brauchte er<br />
nie öffentliche Zuschüsse. Die 7000 Quadratmeter große<br />
Arena␣ Treptow, ein ehemaliges Busdepot, erweckte er Mitte<br />
der␣ neunziger Jahre mit Freunden und eigenem Engagement zu<br />
neuem Leben.<br />
Inzwischen wurde aus der großen Halle ein gefragter Ort für<br />
Konzerte, Modenschauen oder andere größere Events. Eine<br />
Affinität zum Theater besitzt Walter gleichfalls, ist er doch selbst<br />
ausgebildeter Schauspieler. Überdies gastierte bis zum Sommer 2001<br />
Regisseur Peter Stein mit seiner monumentalen Jahrhundert-Inszenierung<br />
von Goethes „Faust“ ein Jahr lang vor Ort.<br />
Das Broadway-Erfolgsstück „Caveman“, von Regisseurin Esther<br />
Schweins vor über 3 Jahren im kleineren Glashaus inszeniert, trat<br />
von hier aus seinen Siegeszug durch Deutschland an und wird<br />
mittlerweile bundesweit nachgespielt.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 10 Januar 2004
Fassade des „Metropol“<br />
zur Friedrichstraße hin –<br />
um 1923.<br />
Sogar die Diskothek „Big Eden“ am Kurfürstendamm, die in den<br />
letzten Jahren unter dem abgehalfterten Playboy-Charme ihres<br />
Vorbesitzers mehr litt als reüssierte, hat Walter für ein junges<br />
Publikum wieder szenetauglich gemacht. Ein wenig mag ihm also<br />
das Image eines König Midas anhaften. Ein glückliches Händchen für<br />
das Metropol Theater wird er in jedem Fall brauchen.<br />
Unterstützung<br />
erfährt er hierin vom<br />
zuständigen Architekten<br />
Frans Dikmans.<br />
Der Holländer, 45 Jahre<br />
alt, glaubt fest an eine<br />
„Revitalisierung“ des<br />
gesamten Areals. Ein<br />
„Grand Café“ wie zu<br />
den Hochzeiten<br />
schwebt ihm vor, der<br />
Innenhof soll als<br />
Veranstaltungsort in<br />
das Ensemble mit<br />
einbezogen werden,<br />
das Theater mit seinem<br />
großen Saal und den<br />
kleineren Räumen, je<br />
nach Veranstaltung,<br />
bespielt werden.<br />
Sogar an ein luxuriöses<br />
Solebad in den<br />
Räumlichkeiten des<br />
früheren Damenbades<br />
haben Walter und sein Architekt schon gedacht. Die beiden<br />
Quellen unter dem Grundstück sind derzeit noch versiegelt, sprudeln<br />
aber nach wie vor.<br />
Auf jeden Fall besitzt Falk Walter ein außergewöhnliches Gespür<br />
für die Möglichkeiten, die ihm die jeweiligen Standorte bisher<br />
geboten haben. Die Entscheidung, ihm das Metropol Theater zu verkaufen,<br />
war sicher mutig, könnte aber auch ein positives Zeichen<br />
für künftige Investoren in Berlin sein.<br />
Angesichts immenser Schulden sind für eine Stadt wie Berlin<br />
eine Million Euro nur der berühmte Tropfen, der bereits verdunstet ist<br />
bevor er überhaupt auf dem noch berühmteren heißen Stein landet.<br />
Bemerkenswert ist allerdings, dass hier seit langer Zeit mal wieder<br />
eine politische Entscheidung mit Umsicht gefällt wurde.<br />
Man könnte sogar weiter gehen und sagen: Mit Stil und Verstand.<br />
Und der Finanzsenator wird sich demnächst bestimmt daran erinnern,<br />
dass in Berlins Mitte noch 800 weitere Grundstücke auf Investoren<br />
warten …<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 11 Januar 2004<br />
FOTO: ARCHIV FRANS DIKMANNS / F101
Schreibt für den<br />
<strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong>:<br />
forsa-Chef<br />
Manfred Güllner, Berlin.<br />
Er wurde im Januar<br />
von der Freien<br />
Universität Berlin<br />
zum Honorarprofessor<br />
im Fach Publizistik<br />
und Kommunikationswissenschaft<br />
berufen.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 12 Januar 2004<br />
FOTO: BRUNO WALTERT<br />
2004 ist ein Superwahljahr –<br />
mit insgesamt 14 Wahlen:<br />
Wichtige Vorentscheidungen<br />
für die Bundestagswahl 2006<br />
Von Prof. MANFRED GÜLLNER<br />
Das Jahr 2004 kann – von der Zahl der anstehenden Wahlen her<br />
gesehen – als ein „Superwahljahr“ bezeichnet werden. Insgesamt<br />
finden 14 Wahlen statt: bundesweit die Europawahl, 5 Landtagswahlen<br />
und 8 Kommunalwahlen.<br />
Durch die Koppelung einiger Wahlen (am 13. Juni finden neben der<br />
Europawahl 6 Kommunalwahlen und die Landtagswahlen in Thüringen<br />
statt; am 19. September wählen die Wahlbürger in Brandenburg und<br />
Sachsen am gleichen Tag ihren Landtag neu) gibt es 6 Wahlsonntage,<br />
an denen die Wahlberechtigten in 10 Bundesländern – zusätzlich zur<br />
bundesweit laufenden Europawahl – ihre Stimme bei einer Kommunal-<br />
oder Landtagswahl oder – wie im Saarland, in Thüringen und in<br />
Sachsen – bei einer Kommunal- und Landtagswahl abgeben können.<br />
Wie stellt sich die Ausgangslage der Parteien zu Beginn dieses<br />
Superwahljahres dar und welche Rückwirkungen auf die politische<br />
Großwetterlage könnte der Ausgang der einzelnen Wahlen haben?<br />
1. Bürgerschaftswahl in Hamburg am 29. Februar<br />
Hamburg, wo die Bürgerschaft nach dem Bruch der Koalition aus<br />
CDU, FDP und Schill-Partei erneut vorzeitig neu gewählt werden<br />
muss, eröffnet den Reigen der Wahlen 2004.<br />
In der Hansestadt an der Elbe verfügt die SPD traditionell über eine<br />
strukturelle Mehrheit. Noch im September 2002 gaben bei der<br />
letzten Bundestagswahl 33 von 100 Wahlberechtigten der SPD, nur<br />
22 von 100 Wahlberechtigten der CDU ihre Stimme. Die CDU hatte<br />
somit weniger Stimmen erhalten als die kleineren Parteien zusammen,<br />
die von 24 von 100 Wahlberechtigten gewählt wurden<br />
(21␣ von 100 Wahlberechtigten gingen im September 2002 nicht zur<br />
Wahl).<br />
Sortiert man die Hamburger Wähler von 2002 nach Lagern, dann<br />
wurde das rot-grüne Lager fast von der Hälfte aller Wahlberechtigten<br />
(46 Prozent) gewählt, während das bürgerliche Lager (einschließlich<br />
der Schill-Partei) noch nicht einmal von einem Drittel aller Wahlberechtigten<br />
(31 Prozent) gewählt wurde.
Aufgrund dieser strukturellen Rahmenbedingungen könnten SPD<br />
und GAL bei der bevorstehenden Bürgerschaftswahl eine komfortable<br />
Mehrheit erringen – wäre da nicht die Schwäche der SPD.<br />
Das bezieht sich nicht nur auf die aktuelle schlechte politische Stimmung<br />
für die SPD auf Bundesebene, sondern vor allem auf den<br />
kontinuierlichen Vertrauensverlust der SPD vor Ort.<br />
Auf Bundesebene verlor die SPD in Hamburg zwischen der letzten<br />
„Helmut-Schmidt-Wahl“ 1980 und der Bundestagswahl 2002 mehr als<br />
ein Viertel (28 Prozent) ihrer Wähler. Ein ähnlich hoher Wählerschwund<br />
in diesem Zeitraum war bei der SPD nur in Bayern, aber<br />
sonst in keinem anderen Bundesland zu verzeichnen.<br />
Hinzu kommt, dass die SPD in Hamburg – wie auch bei anderen<br />
regionalen Wahlen der letzten Jahre (im übrigen nicht erst seit dem<br />
Regierungswechsel auf Bundesebene 1998!) – bei Bürgerschaftswahlen<br />
Schwierigkeiten hatte, das ihr verbliebene Wählerpotential auch<br />
nur annähernd zu mobilisieren. Bei der letzten Bürgerschaftswahl<br />
im September 2001 betrug das Mobilisierungsdefizit der<br />
SPD 30 Prozent, d.h. fast ein Drittel der Wähler, die die SPD bei der<br />
vorausgegangenen Bundestagswahl noch gewählt hatten, gingen bei<br />
der Bürgerschaftswahl nicht zur Wahl.<br />
Und 2004 hat sich die Ausgangslage der SPD im Vergleich zur letzten<br />
Bürgerschaftswahl 2001 nochmals deutlich verschlechtert: Die<br />
Kompetenz der Hamburger SPD wird noch viel schlechter, die der<br />
Hamburger CDU jedoch klar besser als 2001 eingeschätzt. Außerdem<br />
ist Ole von Beust, dem 2001 noch keine sonderlich großen<br />
Sympathien entgegengebracht wurden, heute als Bürgermeister voll<br />
akzeptiert. Bei einer Direktwahl des Bürgermeisters könnte er mit<br />
zwei Dritteln der Stimmen rechnen.<br />
Trotz der für die CDU an sich ungünstigen strukturellen Rahmenbedingungen<br />
in der Freien und Hansestadt ist am 29. Februar eine<br />
absolute Mehrheit der Mandate für die CDU wegen der Bewertung<br />
der Hamburger Parteien und ihrer Spitzenrepräsentanten nicht<br />
undenkbar. Allerdings ist eine absolute Mandatsmehrheit für die<br />
CDU nur dann möglich, wenn weder die FDP noch die alte oder<br />
die neue „Schill-Partei“ mehr als 5 Prozent der abgegebenen gültigen<br />
Stimmen erreichen.<br />
Da die Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse der Hamburger<br />
Wahlbürger derzeit durch relativ große Unsicherheiten<br />
geprägt sind, ist der Ausgang der Wahlen in Hamburg noch nicht<br />
eindeutig vorhersagbar. Eine absolute Mehrheit der CDU ist durchaus<br />
möglich. Aber eine knappe Mehrheit für rot-grün ist ebenfalls<br />
vorstellbar, wenn die SPD neben ihrem Spitzenkandidaten noch eine<br />
überzeugende Mannschaft präsentieren kann und einige auf Hamburg<br />
bezogene Themen findet, mit denen sie ihr Wählerpotential<br />
mobilisieren könnte.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 13 Januar 2004
Falls Ole von Beust Bürgermeister bleibt, dürfte der Ausgang der<br />
Hamburger Bürgerschaftswahl wenig Auswirkungen auf die bundesweite<br />
politische Stimmung haben: Die Schwäche der SPD würde<br />
anhalten und das Anhängerlager der Union weiter stabilisiert<br />
werden. Sollte es dagegen zu einem Regierungswechsel in Hamburg<br />
kommen, dann dürfte sich die Stimmung für die SPD auch bundesweit<br />
etwas aufhellen.<br />
2. Die Europawahl am 13. Juni<br />
Die Europawahl ist in den Augen der Bürger die unwichtigste aller<br />
Wahlen dieses Jahres: Nur 23 Prozent aller Bundesbürger halten sie<br />
für wichtig. Europa nehmen die meisten Bundesbürger als touristische<br />
oder kulturelle Größe wahr. Doch politische Konturen hat<br />
Europa kaum gewonnen.<br />
Insofern interessiert die Bürger in den sieben Bundesländern, in<br />
denen die Europawahl mit anderen Wahlen gekoppelt ist, die jeweilige<br />
Kommunal- bzw. Landtagswahl eher als die Europawahl. Und in<br />
den übrigen Ländern, in denen die Europawahl nicht mit anderen<br />
Wahlen gekoppelt ist, dürfte die Wahlbeteiligung wieder extrem<br />
niedrig sein. Schon bei der letzten Europawahl 1999 gab es in den<br />
Bundesländern, in denen nur die Europawahl stattfand, mehr Nichtwähler<br />
(58 Prozent) als Wähler (42 Prozent).<br />
Am Desinteresse an der Europawahl wird in den wenigen Monaten<br />
bis zum Wahltermin auch mit großem personellen (die den Wahlkampf<br />
steuernde „Europawahl-Kampa“ der SPD soll aus 45 Mitarbeitern<br />
bestehen!) oder werblichen Aufwand wenig zu ändern sein.<br />
Statt im Wahlkampf für die Europawahl eine generelle Einstellungsänderung<br />
zu Europa (was nicht gelingen kann) herbeiführen<br />
zu wollen, sollten die Parteien deshalb besser versuchen, den Bürgern<br />
die einzelnen Facetten der Europapolitik kontinuierlich außerhalb<br />
von Wahlkampfzeiten nahe zu bringen.<br />
Aufgrund der zu erwartenden extrem geringen Wahlbeteiligung<br />
in den Bundesländern, in denen die Europawahl nicht mit anderen<br />
Wahlen gekoppelt ist, und aufgrund der Überlagerungseffekte<br />
durch andere Wahlen dort, wo die Europawahl gleichzeitig mit<br />
Kommunal- oder Landtagswahlen stattfindet, ist das Ergebnis der<br />
Europawahl jetzt, zu Beginn des Jahres also, nicht zu prognostizieren.<br />
Jedenfalls aber dürfte die Strategie der SPD, durch eine<br />
Konzentration ihrer Aktivitäten auf die Europawahl so etwas wie<br />
eine „Trendwende“ der politischen Stimmung im Lande zu<br />
erreichen, wieder einmal völlig verfehlt und ohne Erfolg sein.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 14 Januar 2004
3. Die Kommunalwahlen in Baden-Württemberg,<br />
Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, im<br />
Saarland, in Sachsen und Sachsen-Anhalt am 13. Juni;<br />
die Kommunalwahl in Thüringen am 27. Juni<br />
Bei Kommunalwahlen gibt es – wie bei jeder regionalen Wahl –<br />
immer auch gewisse Überlagerungseffekte durch die politische<br />
Großwetterlage. Doch wichtiger als die bundesweite politische<br />
Stimmung ist für den Wahlausgang vor Ort das Urteil der Bürger über<br />
die lokalen Parteien und deren Repräsentanten.<br />
Daher gibt es bei kommunalen Wahlen selten einen einheitlichen<br />
Trend im gesamten Land, sondern sehr unterschiedliche Ergebnisse<br />
von Gemeinde zu Gemeinde. Das gilt für die Höhe der Wahlbeteiligung<br />
ebenso wie für die Anteile der einzelnen Parteien. Freie Wählervereinigungen<br />
komplizieren das Bild zusätzlich.<br />
Wie die Kommunalwahlen in den sieben Bundesländern, in denen<br />
am 13. bzw. 27. Juni gewählt wird, ausgehen, hängt also im wesentlichen<br />
von der Bewertung der jeweiligen Parteien vor Ort durch die<br />
Bürger ab. Diese Einschätzung entscheidet darüber, ob die Bürger<br />
überhaupt zur Wahl gehen bzw. wem sie ihre Stimme geben. Die<br />
bundesweiten Auswirkungen der Ergebnisse der Kommunalwahlen am<br />
13. bzw. 27. Juni dürften sich in Grenzen halten.<br />
4. Die Landtagswahlen in Thüringen am 13. Juni und<br />
in Sachsen am 19. September<br />
Das SPD-Wählerpotential ist – anders als in den alten Bundesländern<br />
– in den letzten Jahren in beiden Ländern größer, das der<br />
CDU kleiner geworden.<br />
SPD- und CDU-Wählerpotentiale *) in Thüringen und Sachsen<br />
Thüringen Sachsen<br />
SPD CDU SPD CDU<br />
% % % %<br />
Bundestagswahl 1998 27,9 23,4 23,4 26,2<br />
Landtagswahl 1999 10,9 30,1 6,5 34,3<br />
Bundestagswahl 2002 29,4 21,7 24,1 24,3<br />
*) in Prozent aller Wahlberechtigten<br />
1999 waren die Landtagswahlen stark dominiert von den beiden<br />
überaus populären Ministerpräsidenten Vogel und Biedenkopf. Viele<br />
potentielle SPD-Wähler gingen seinerzeit gar nicht zur Wahl, weil sie<br />
mit Vogel und Biedenkopf zufrieden waren und keine personelle<br />
Alternative wollten.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 15 Januar 2004
Nachdem beide aber die politische Bühne verlassen haben, hätte<br />
die SPD recht gute Chancen, ihren extrem niedrigen Stimmenanteil<br />
bei der letzten Landtagswahl 1999 zu verbessern. Gelingt der SPD<br />
eine ausreichende Mobilisierung ihrer Wählerpotentiale, könnte<br />
sogar die absolute Mehrheit der Union in Thüringen und vielleicht<br />
auch in Sachsen gefährdet sein.<br />
Sollte beispielsweise die SPD in Thüringen ihren Stimmenanteil<br />
verbessern können und würde die CDU ihre absolute Mehrheit<br />
dort verlieren, wäre das ein auch bundesweit beachtetes Signal, das<br />
– anders als der Ausgang der Europawahl und der Kommunalwahlen<br />
am 13. Juni – durchaus Einfluss auf die politische Großwetterlage<br />
haben könnte.<br />
5. Die Landtagswahl im Saarland am 5. September<br />
Im Saarland war der Wählerschwund der SPD zwischen den<br />
Bundestagswahlen 1998 und 2002 fast doppelt so hoch wie in der<br />
Bundesrepublik insgesamt. Hier ist nicht damit zu rechnen, dass die<br />
Mehrheit der CDU zu brechen sein wird. Irgendwelche Auswirkungen<br />
auf die bundesweite politische Stimmung sind daher kaum zu erwarten.<br />
6. Die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen<br />
am 19. September<br />
Zur Landtagswahl in Sachsen wurden bereits einige Anmerkungen<br />
gemacht. In Brandenburg ist die CDU eine immer noch eher<br />
schwach verankerte Partei. Hinzu kommt, dass der Brandenburger<br />
CDU-Vorsitzende Schönbohm bei den Bürgern des Landes wenig<br />
Sympathien genießt. Die SPD verfügt hier über ein Wählerpotential<br />
von 34 Prozent, die CDU über ein Potential von 16 Prozent (bezogen<br />
auf alle Wahlberechtigten). Bei einer ähnlichen Mobilisierung der<br />
SPD-Anhänger wie bei der Landtagswahl 1999 könnte die SPD stärkste<br />
Partei bleiben und hätte dann zwei Koalitionsoptionen: Wie<br />
bisher mit der CDU oder wie im Nachbarland Berlin mit der PDS.<br />
(Siehe dazu auch den Beitrag „Ab Herbst 2004 …“ in dieser Ausgabe<br />
– ab Seite 37).<br />
7. Die NRW-Kommunalwahl am 26. September<br />
Die Schlüsselwahl des Superwahljahres 2004 dürfte die Kommunalwahl<br />
in Nordrhein-Westfalen sein. Gelingt es der SPD hier nicht,<br />
ein besseres Ergebnis als bei der letzten, für sie verheerenden<br />
Kommunalwahl im September 1999 zu erzielen, kann sie zudem nicht<br />
einige verlorene Städte zurückgewinnen, dürfte die Lethargie in<br />
der SPD-Gefolgschaft ein solches Maß erreichen, dass auch die<br />
NRW-Landtagswahl 2005 wohl nicht mehr zu gewinnen ist.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 16 Januar 2004
Der Verlust von Nordrhein-Westfalen aber wäre für die<br />
SPD␣ ein höchst gravierendes Negativ-Symbol, das auch durch<br />
konjunkturelle Aufschwünge nicht wettzumachen wäre.<br />
Die Bundestagswahl 2006 wäre für die SPD dann wohl<br />
kaum noch zu gewinnen.<br />
Um in Nordrhein-Westfalen ein besseres Ergebnis als 1999 zu<br />
erzielen, müsste die SPD ganz besondere Anstrengungen unternehmen.<br />
Denn käme es zu ähnlichen Mobilisierungsmustern wie<br />
1999, dürfte die SPD nur noch in der Stadt Oberhausen stärkste<br />
Partei bleiben. Sie würde bei dem inzwischen zu registrierenden<br />
Wählerschwund auch noch jene Städte verlieren, in denen sie<br />
1999 vor der CDU lag. Andererseits zeigt ein Blick auf die strukturellen<br />
Wählerpotentiale, dass die SPD bei entsprechender Mobilisierung<br />
ihrer Anhänger durchaus in einigen Städten Chancen hätte,<br />
wieder stärkste Partei im Rat zu werden und/oder den Oberbürgermeister<br />
zu stellen.<br />
Die NRW-Kommunalwahl dürfte insofern erhebliche Auswirkungen<br />
auf die politische Großwetterlage und auf die Chancen<br />
der Parteien bei den nachfolgenden Landtagswahlen des Jahres 2005<br />
(Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen) haben.<br />
Fazit<br />
Der Ausgang der Hamburger Bürgerschaftswahl könnte die<br />
bundesweite politische Stimmung für weitere Wochen und Monate<br />
zementieren oder aber – bei einem rot-grünen Sieg – zugunsten<br />
der SPD beeinflussen.<br />
Der Ausgang der Europawahl und der Kommunalwahlen am<br />
13. Juni dürfte keine nennenswerten Auswirkungen auf die Großwetterlage<br />
haben. Ein Zuwachs der SPD und ein Verlust der absoluten<br />
Mehrheit der CDU bei der Landtagswahl in Thüringen (ebenfalls<br />
am 13. Juni) könnte allerdings die politische Stimmung zugunsten<br />
der SPD verändern.<br />
Die Landtagswahl im Saarland dürfte nur geringe Auswirkungen auf<br />
die politische Großwetterlage haben. Bei der Brandenburg-Wahl<br />
könnte ein Koalitionswechsel der SPD politische Wirkungen mit sich<br />
bringen. Der Ausgang der Landtagswahl in Sachsen könnte vorhandene<br />
Trends stabilisieren oder verstärken.<br />
Der Ausgang der Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen aber<br />
dürfte eine entscheidende Weichenstellung bilden für die Chancen<br />
der Parteien bei den für den Ausgang der Bundestagswahl 2006 so<br />
wichtigen Landtagswahlen des Jahres 2005 in Schleswig-Holstein<br />
und Nordrhein-Westfalen.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 17 Januar 2004
2003<br />
2004<br />
Die Parteipräferenzen im Bund<br />
SPD zuletzt dramatisch schlecht,<br />
Union gut doppelt so stark<br />
SPD CDU/CSU FDP Grüne PDS<br />
Alle Angaben in Prozent<br />
Bundestagswahl* 38,5 38,5 7,4 8,6 4,0<br />
Umfragewerte in Woche …<br />
21. (19.5.-23.5.) 25 49 7 12 4<br />
22. (26.5.-30.5.) 28 46 8 12 3<br />
23. (2.6.-6.6.) 30 45 7 11 4<br />
24. (9.6.-13.6.) 30 46 6 12 3<br />
25. (16.6.-20.6.) 31 45 6 12 3<br />
26. (23.6.-27.6.) 31 45 6 11 4<br />
27. (30.6.-4.7.) 32 44 7 10 4<br />
28. (7.7.-11.7.) 32 45 6 11 3<br />
29. (14.7.-18.7.) 32 44 7 10 4<br />
30. (21.7.-25.7.) 31 45 7 11 3<br />
31. (28.7.-1.8.) 31 46 6 10 4<br />
32. (4.8.-8.8.) 30 45 7 11 4<br />
33. (11.8.-15.8.) 30 43 8 11 4<br />
34. (18.8.-22.8.) 30 44 7 11 4<br />
35. (25.8.-29.8.) 30 44 7 11 4<br />
36. (1.9.-5.9.) 30 45 7 12 3<br />
37. (8.9.-12.9.) 30 46 7 11 3<br />
38. (15.9.-19.9.) 28 47 7 11 3<br />
39. (22.9.-26.9.) 26 50 6 12 3<br />
40. (29.9.-3.10.) 26 50 6 11 4<br />
41. (6.10.-10.10.) 25 51 6 11 4<br />
42. (13.10.-17.10.) 25 51 6 11 4<br />
43. (20.10.-24.10.) 24 51 7 11 4<br />
44. (27.10.-31.10.) 23 51 6 11 5<br />
45. (3.11.-7.11.) 25 49 6 11 5<br />
46. (10.11.-14.11.) 25 48 7 11 5<br />
47. (17.11.-21.11.) 26 47 7 11 5<br />
48. (24.11.-28.11.) 26 48 7 11 4<br />
49. (1.12.-5.12.) 26 48 6 11 5<br />
50. (8.12.-12.12.) 27 47 7 11 5<br />
51. (15.12.-19.12.) 28 49 6 10 4<br />
52. (22.12.-26.12.) 27 49 6 11 4<br />
1. (29.12.-2.1.) 28 48 6 10 5<br />
2. (5.1.-9.1.) 27 48 6 11 5<br />
3. (12.1.-16.1.) 26 49 7 10 4<br />
4. (19.1.-23.1.) 24 50 8 9 5<br />
* Amtliches Endergebnis der Bundestagswahl vom 22. September 2002 Quelle: forsa<br />
Das forsa-Institut<br />
ermittelte diese Werte<br />
durch wöchentliche<br />
Befragung von in der Regel<br />
rund 2500 wahlberechtigten<br />
Deutschen.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 18 Januar 2004
MoMA heißt der Superstar<br />
am␣ Kunsthimmel über Berlin<br />
Ab 20. Februar in der Nationalgalerie<br />
Von DIETER STRUNZ<br />
Eine Stadt rollt den Roten Teppich aus. Nicht allein für die Superstars<br />
und Flimmersternchen von Film und Fernsehen, die sich im<br />
Februar wieder in den Kinoburgen und den neuen Luxushotels am<br />
Potsdamer Platz zur Berlinale ein Stelldichein geben. Nein: Erst recht<br />
wird den wesentlich langlebigeren Fixsternen zeitloser Kunst ein<br />
beifallumrauschter Empfang bereitet.<br />
MoMA heißt das Zauberwort, das die Museumsleute und die<br />
Kunstinteressierten elektrisiert, wobei die vier magischen Buchstaben<br />
keinen Künstlernamen bezeichnen, sondern eine Abkürzung für<br />
„Museum of Modern Art“ sind.<br />
Sieben Monate lang<br />
in Berlin zu sehen:<br />
Paul Cézanne,<br />
Der Badende,<br />
ca. 1885, Öl auf Leinwand,<br />
127 x 96,8 cm,<br />
aus den Beständen<br />
des MoMA in New York.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 19 Januar 2004<br />
FOTO: © MOMA, VG BILD-KUNST, BONN 2003
Eben diese weltbekannte New Yorker Institution befindet sich im<br />
Anflug auf Berlin, wo in der Nationalgalerie an der Potsdamer<br />
Straße „MoMA in Berlin“ präsentiert wird. Vom 20. Februar bis<br />
19.␣ September. Mit 200 Meisterwerken von der Jahrhundertwende<br />
bis zur Gegenwart.<br />
Gegen starke Konkurrenz<br />
wurden die Exponate aus New<br />
York nach Berlin ausgeliehen;<br />
nirgendwo sonst in Europa<br />
werden sie gezeigt. Dass sie<br />
überhaupt die USA vorübergehend<br />
verlassen, ist dem glücklichen<br />
Umstand zu verdanken,<br />
dass daheim in New York umfangreiche<br />
Umbaumaßnahmen<br />
eine zeitweise Schließung des<br />
Museums notwendig machten.<br />
Im Mies-van-der-Rohe-Bau<br />
wird man der modernen Kunst<br />
in acht chronologisch gestaffelten<br />
Abteilungen begegnen. „Modern<br />
starts“ beginnt mit<br />
Cézanne, van Gogh, Seurat und<br />
Gauguin, mit Symbolismus und<br />
Fauvismus. Cézannes Jüngling<br />
„Der Badende“ wird von van<br />
Goghs „Sternennacht“ und<br />
Rousseaus „Traum“ begleitet.<br />
Den Giganten Matisse und<br />
Picasso gilt die zweite Station.<br />
Es folgen Kubismus und Abstrakte<br />
Kunst (mit Russland, dem<br />
Bauhaus und amerikanischen<br />
Modernisten).<br />
„Fantastische Kunst, Dada und<br />
Surrealismus“ sowie „Neue<br />
Bilder des Menschen“ (in Plastik und figurativer Malerei) heißen die<br />
nächsten Abschnitte. Die Surrealisten stellen mit Dalis „Beständigkeit<br />
der Erinnerung“, mit „Readymades“ von Marcel Duchamp und<br />
der „Phantastischen Pelztasse“ von Meret Oppenheim einen Höhepunkt<br />
dar.<br />
Danach der große Auftritt „Neue amerikanische Malerei“.<br />
Die Abteilung „Die Kunst des Realen“ mit Lichtenstein, Oldenburg,<br />
Warhol führt hinüber ins Heute mit dem Titel „Offenes Ende“.<br />
Vor der Nationalgalerie wird Barnett Newmans monumentale<br />
Stahlplastik „Der gebrochene Obelisk“ die Besucher begrüßen.<br />
Ebenfalls in „MoMA<br />
in Berlin“ zu sehen:<br />
Marcel Duchamp,<br />
„Bicycle Wheel“<br />
(Fahrrad-Rad) –<br />
dritte Version<br />
aus dem Jahr 1951.<br />
Gesamtgröße<br />
des Exponats:<br />
128,3 x 63,8 x 42 cm.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 20 Januar 2004<br />
FOTO: © MOMA, VG BILD-KUNST, BONN 2003
„Die Staatlichen Museen zu Berlin machen das Jahr 2004 zu einem<br />
grandiosen Berliner Jahr der Kunst“, schwärmt schon vorab<br />
Generaldirektor Peter-Klaus Schuster in einem Kommentar, und er<br />
bezieht sich dabei auch auf die kommende Ausstellung „Französische<br />
Genremalerei des 18. Jahrhunderts“, den skandinavischen<br />
Kunstbesuch „Berlin North“, die Präsentation der Flick-Collection<br />
im Hamburger Bahnhof und die Eröffnung der Helmut Newton<br />
Stiftung in der ehemaligen Kunstbibliothek am Bahnhof Zoo.<br />
Für die sieben Monate MoMA versprechen Glenn Lowry vom<br />
Museum of Modern Art und sein deutscher Kollege Schuster nicht<br />
weniger als „einen leuchtenden Überblick über die Moderne<br />
Kunst seit 1880“.<br />
Ein weiteres „MoMA<br />
in Berlin“-Exponat:<br />
Roy Lichtenstein,<br />
Ertrinkendes Mädchen,<br />
Öl und Acrylfarbe<br />
auf Leinwand,<br />
171,6 x 169,5 cm.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 21 Januar 2004<br />
FOTO: © MOMA, VG BILD-KUNST, BONN 2003
Monet, van Gogh und Rodin, Dali und Magritte, Hopper und Warhol<br />
und die anderen Kunst-Majestäten kommen standesgemäß mit<br />
großem Gefolge und passendem Gepränge nach Berlin.<br />
Denn dem Schwergewicht der Schau entsprechend gibt es ein<br />
umfängliches Begleitprogramm, das die Verbindungen zwischen<br />
Deutschland und den USA mit ihrer wechselseitigen künstlerischen<br />
Inspiration auch in den Bereichen Film, Theater, Musik und Wissenschaft<br />
ausleuchtet.<br />
Auf Anregung der Kulturstaatsministerin Christina Weiss und unter<br />
ihrer Schirmherrschaft wird es parallel zu MoMA ein spezifisches<br />
Kulturprogramm „american season 2004“ in der deutschen<br />
Hauptstadt geben.<br />
Schaubühne, Volksbühne, Maxim-Gorki-Theater steuern Bühnenereignisse<br />
bei. Deutsche Oper Berlin und Neuköllner Oper bieten<br />
deutsch-amerikanische Begegnungen nach Noten. Akademie der<br />
Künste, das Deutsche Guggenheim, das Literaturfestival Berlin und die<br />
Universität der Künste klinken sich ein.<br />
Die 54. Berliner Filmfestspiele vom 5. bis 15. Februar präsentieren<br />
kurz vor Beginn von „MoMA in Berlin“ in ihrer beliebten Retrospektive<br />
das Schaffen der rebellischen Regisseure, die in den späten<br />
sechziger und frühen siebziger Jahren Hollywood mit Filmen wie<br />
„Easy Rider“, „Bonnie und Clyde“ oder „Taxidriver“ gegen den<br />
Strich bügelten.<br />
„New Hollywood 1967 – 1976 Trouble in Wonderland“ bietet 66<br />
Filme, deren Bildersprache und Ausdruckskraft nicht selten mit jener<br />
von in MoMA vertretener US-Maler aus jener Zeit korrespondiert.<br />
Als Partner für die exklusive MoMA-Schau sind die Berliner<br />
Festspiele dabei; ermöglicht wurde der Kunstbesuch vom Verein<br />
der Freunde der Nationalgalerie, unterstützend tritt die Deutsche<br />
Bank AG in Erscheinung.<br />
Ein solches kulturpolitisches Gesamtkunstwerk ist in der<br />
überbordenden, aber auch zerklüfteten Berliner Kunstszene keine<br />
Selbstverständlichkeit: Viele Kräfte ziehen am gleichen Strang, viele<br />
Anstrengungen werden in den kommenden Monaten gebündelt, um<br />
die Kunstbegegnung New York – Berlin zu einem Ereignis der besonderen<br />
Art zu machen.<br />
Der Anspruch ist groß, denn schon jetzt verspricht die Werbung:<br />
Das MoMA ist der Star! Und die Messlatte liegt hoch. Bei den<br />
Staatlichen Museen und Peter Raues Freunden der Nationalgalerie<br />
hofft man auf 100␣ 000 Besucher pro Monat. Die Gesamtzahl von<br />
einer dreiviertel Million scheint nicht unerreichbar. Auch in der<br />
Kultur muss man bisweilen nach den Sternen greifen.<br />
MoMA in Berlin.<br />
Neue Nationalgalerie,<br />
Potsdamer Straße 50,<br />
10785 Berlin.<br />
Dienstags, mittwochs, sonntags<br />
10 bis 18 Uhr, donnerstags bis<br />
sonnabends 10 bis 22 Uhr,<br />
montags geschlossen.<br />
U- und S-Bahnhof Potsdamer Platz.<br />
U 1 Kurfürstenstraße,<br />
U 2 Mendelssohn-Bartholdy-Platz.<br />
Bus 129, 148, 200, 248, 348.<br />
Eintritt dienstags bis freitags 10,<br />
ermäßigt 5 Euro, am Wochenende<br />
12, ermäßigt 6 Euro.<br />
Ermäßigungen für Schüler,<br />
Studenten, Grundwehr- und<br />
Zivildienstleistende, Arbeitslose,<br />
Schwerbehinderte und Besitzer<br />
einer Jahreskarte Plus.<br />
Schulklassen 1 Euro pro Schüler.<br />
Informationen im Internet unter<br />
www.das-moma-in-berlin.de.<br />
Dort ist auch die Bestellung<br />
von VIP-Karten für den<br />
Ausstellungsbesuch zu einem<br />
bestimmten Zeitpunkt möglich.<br />
Für dienstags und mittwochs<br />
nach 18 Uhr können individuelle<br />
Führungs- und Veranstaltungswünsche<br />
verabredet werden.<br />
Tel: 26␣ 55␣ 76␣ 93, Fax: 26␣ 55␣ 76␣ 94,<br />
exklusiv@das-moma-in-berlin.de<br />
Informationen zum Amerika-<br />
Programm: info@kulturbetrieb.com<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 22 Januar 2004
Klug, kompetent, aber extrem<br />
selbstherrlich. Weshalb<br />
Florian Gerster gehen musste<br />
Von KLAUS WIRTGEN<br />
Das Schicksal von Florian Gerster entschied sich im westafrikanischen<br />
Ghana. Auf dem Flughafen der Hauptstadt Accra, der letzten<br />
Station seiner ersten Afrikareise, erreichte Bundeskanzler Gerhard<br />
Schröder ein Anruf seines Wirtschafts- und Arbeitsministers Wolfgang<br />
Clement. Der war gerade vom Weltwirtschaftsforum in␣ Davos<br />
in Düsseldorf eingeflogen.<br />
Von dort unterrichtete er den Regierungschef,<br />
dass der Verwaltungsrat der Nürnberger<br />
Bundesagentur für Arbeit wahrscheinlich<br />
in Kürze den Daumen über der Personalie<br />
des obersten Arbeitsvermittlers senken<br />
werde. Dann bleibe der Regierung nur noch<br />
der Vollzug, die Entlassung des vor knapp<br />
zwei Jahren vom Kanzler nominierten<br />
früheren rheinland-pfälzischen Sozialministers.<br />
Einen Vorbehalt machte Clement allerdings:<br />
Falls der Verwaltungsrat wider Erwarten<br />
Gerster das Vertrauen ausspreche,<br />
werde er, Clement, an Gerster festhalten. Der Kanzler gab seinem<br />
Superminister freie Hand und sagte Unterstützung für jedwede<br />
Entscheidung zu.<br />
Wenig später war der Fall da. In Nürnberg sprach sich der mit je<br />
sieben Mitgliedern von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Politik<br />
besetzte Verwaltungsrat in geheimer Abstimmung bei nur einer<br />
Gegenstimme gegen Florian Gerster aus. Begründung: „Störung des<br />
Vertrauensverhältnisses“. Clement musste handeln und handelte<br />
schnell. Die brisanteste Personalentscheidung in den fast sechs<br />
Jahren rot-grüner Regentschaft war gefallen. Die Folgen sind nicht<br />
absehbar.<br />
Gerster war von Schröder am 22. Februar des Wahljahres 2002<br />
als Nachfolger des zum Rücktritt getriebenen Christdemokraten<br />
Bernhard Jagoda an die Spitze der Nürnberger BA berufen worden.<br />
Er sollte die wichtigste Baustelle der Republik betreuen, den<br />
Umbau des Arbeitsmarktes – präzise die Rückführung der immer<br />
bedrohlicher ansteigenden Massenarbeitslosigkeit.<br />
Warnungen aus seiner Partei, dieser Florian Gerster sei zwar ein<br />
unbestritten gescheiter Kopf mit reichlich sozialpolitischer<br />
Kompetenz, aber gleichzeitig ein nur schwer teamfähiger,<br />
selbstverliebter, zu spontanen Alleingängen und extrem<br />
Florian Gerster,<br />
dem manche extreme<br />
Arroganz vorwerfen.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 23 Januar 2004<br />
FOTO: INA FASSBEN<strong>DER</strong>
selbstherrlichen Entscheidungen neigender Individualist, prallten an<br />
Schröder ab. Zur Erinnerung: Der hatte damals nicht mehr viel zu<br />
verlieren, ein Bundestagswahlsieg schien recht unwahrscheinlich.<br />
Kaum im Amt, immerhin an der Spitze eines Molochs von Behörde<br />
mit rund 90␣ 000 bis ins hinterste Arbeitsamt der Republik verteilten<br />
Mitarbeitern, machte Gerster den über ihn gestreuten Vor-Urteilen<br />
alle Ehre. Noch bevor ihm der damalige Arbeitsminister Walter<br />
Riester die Ernennungsurkunde aushändigte, hatte Gerster bereits die<br />
Revolution ausgerufen.<br />
Die Beschäftigtenzahl in Nürnberg wolle er halbieren, die Landesarbeitsämter<br />
abschaffen und die Leistungen für Arbeitslose kräftig<br />
kürzen. Halbwahrheiten machten die Runde: Üppige Dienstwagen,<br />
aufwendig renovierte Vorstandsetagen, Solonutzung von Geschäftsaufzügen.<br />
Nichts hielt strenger Nachprüfung stand. Schröder sah in<br />
Gerster den idealen Exekutor der von VW-Vorstand Peter Hartz<br />
mit großem Getöse angekündigten Arbeitsmarktreformen.<br />
Beim Wechsel von Riester zu Clement nach der wider Erwarten<br />
von Rot-Grün knapp gewonnenen Bundestagswahl krachte es bald<br />
zwischen dem BA-Chef und dem neuen Superminister, der als<br />
Autodidakt in Gersters sozialpolitische Hegemonie eingedrungen<br />
war. Der ebenso lernfähige wie machtbewusste Doppelminister<br />
stand damals bereits kurz davor, Gerster zu feuern.<br />
Letztlich ließ er sich aber von der Einsicht leiten, dass Gersters Ziele<br />
im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit auch die seinen waren. Clement<br />
begnügte sich damit, die Kräfteverhältnisse zurecht zu rücken. Fortan<br />
funktionierte die Zusammenarbeit mit Gerster. Clement wurde zur<br />
politischen Stütze des immer wieder vor allem bei den Gewerkschaften<br />
und den Sozialdemokraten aneckenden Rheinland-Pfälzers.<br />
Diese Deckung funktionierte auch noch, als im November Empörung<br />
über einen nicht öffentlich ausgeschriebenen Beratervertrag<br />
mit dem Berliner Unternehmen WMP laut wurde – einem Unternehmen,<br />
in dem allerlei aktive und ehemalige Mandatsträger, darunter die<br />
FDP-Politiker Günter Rexroth und Hans-Dietrich Genscher, aber<br />
auch ehemalige Boulevardjournalisten wie Hans-Hermann Tietje und<br />
Hans-Erich Bilges politische Lobby betreiben.<br />
Im Verwaltungsrat der BA machte sich der Ärger gegen Gerster<br />
– und das galt auch für die später noch bekannt gewordenen<br />
weiteren Beraterverträge im Umfang von 70 Millionen Euro –<br />
weniger an der Tatsache fest, dass hier extrem aufwendige externe<br />
Expertise gekauft wurde.<br />
Eine Behörde, die dabei war, von der „Anstalt“ in eine „Agentur“ mit<br />
einem Vorstandsvorsitzenden an der Spitze zu mutieren, kann nicht<br />
allein mit der Bordmannschaft erfolgreich umgebaut werden. Das<br />
akzeptierten auch die Vertreter von Gewerkschaften, Arbeitgebern<br />
und Politik im Verwaltungsrat.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 24 Januar 2004
Was sie aber unisono nicht akzeptierten, war Gersters Attitüde,<br />
permanent die Bundesregierung als einzige für ihn relevante<br />
Schutzmacht darzustellen, in völliger Missachtung der Rechte des<br />
Verwaltungsrates, der dem Vorsitzenden allein das Vertrauen aussprechen<br />
oder entziehen kann. Zudem: Dass Gerster den Verwaltungsräten<br />
zunächst auch noch den Blick in die Verträge verweigerte, war<br />
ebenfalls nicht gerade eine vertrauensbildende Maßnahme.<br />
Je mehr sich die causa Gerster hochschaukelte, desto klarer<br />
wurden sowohl Arbeitgebern als auch Gewerkschaftern, dass man mit<br />
einem im Amt verharrenden Gerster an einem parlamentarischen<br />
Untersuchungsausschuss nicht vorkommen würde.<br />
Die Folgen, das sahen alle Seiten übereinstimmend, wären<br />
verheerend: Die Arbeit der Agentur wäre für lange Zeit gelähmt,<br />
die ersten Erfolge bei der effizienteren Vermittlung von Arbeitslosen<br />
würden verpuffen und die zarten Aufschwungsignale verstummen.<br />
Jetzt ist der Verwaltungsrat am Zug, möglichst rasch einen neuen<br />
Vorstandsvorsitzenden zu finden. Der Gerster-Nachfolgekandidat<br />
muss dann von der Bundesregierung abgenickt werden. Wenn der<br />
erste Name in Berlin nicht gefällt, haben die Repräsentanten der<br />
Selbstverwaltung weitere vier Wochen Zeit.<br />
Zunächst, das machte Wolfgang Clement am Sonntag klar, wird<br />
Gersters bisheriger Stellvertreter Frank-Jürgen Weise kommissarisch<br />
die Geschäfte führen. Clement hat klare Prioritäten gesetzt: Er will<br />
keinen Politiker, sondern einen erfahrenen Manager aus der<br />
Wirtschaft an der Spitze der Agentur sehen.<br />
Er erwartet von den Unternehmern, dass sie einen Top-Mann oder<br />
eine Top-Frau freistellen, der/die sich mit 250␣ 000 Euro Jahressalär<br />
zufrieden gibt. Einen Kandidaten hat Clement schon: Frank-Jürgen<br />
Weise. Er war ein erfolgreicher Logistik-Unternehmer und hat sich<br />
beim Umzug in die Nürnberger Chefetage bereits mit dem finanziellen<br />
Abstieg abgefunden.<br />
Einer der möglichen<br />
Gerster-Nachfolger:<br />
Dessen bisheriger<br />
Stellvertreter<br />
Frank-Jürgen Weise.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 25 Januar 2004<br />
FOTO: CARO / JANDKE
Die Künstlergruppe „Brücke“<br />
und ihre Geschichte. Eine<br />
große Graphik-Ausstellung<br />
Von JUDITH MEISNER<br />
Kein Museum besitzt eine größere graphische Sammlung der<br />
Künstlergruppe „Brücke“ als das gleichnamige Museum in Berlin-<br />
Dahlem. Grund genug mit einer großen Graphik-Ausstellung auf<br />
das kommende Jubiläumsjahr hinzuweisen – in Zusammenarbeit mit<br />
dem Kunstforum der Berliner Volksbank. Vor bald 100 Jahren, 1905<br />
hatte eine Handvoll junger Architekturstudenten in Dresden die<br />
Malervereinigung ins Leben gerufen.<br />
Die am 29. Januar begonnene Ausstellung „unmittelbar und unverfälscht“<br />
zeigt einen repräsentativen Querschnitt von 140␣ Hauptwerken<br />
der sieben maßgeblichen Künstlerpersönlichkeiten aus der Zeit<br />
von 1905 bis 1914 im Kunstforum an der Budapester Straße. Der Titel<br />
stammt aus dem programmatischen Gründungsmanifest der<br />
Künstlergruppe, das Ernst Ludwig Kirchner 1906 in Holz schnitt:<br />
Im Berliner<br />
„Brücke“-Museum<br />
zu sehen:<br />
Ernst Ludwig<br />
Kirchner,<br />
Baumgruppe<br />
auf Fehmarn,<br />
1913, Aquarell und<br />
schwarze Kreide,<br />
38 x 46 cm.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 26 Januar 2004<br />
FOTO: BRÜCKE-MUSEUM
„Mit dem Glauben an Entwicklung, an eine neue Generation der<br />
Schaffenden wie der Genießenden rufen wir alle Jugend zusammen.<br />
Und als Jugend, die die Zukunft trägt, wollen wir uns Arm- und<br />
Lebensfreiheit verschaffen gegenüber den wohlangesessenen, älteren<br />
Kräften. Jeder gehört zu uns, der unmittelbar und unverfälscht<br />
wiedergibt, was ihn zum Schaffen drängt.“<br />
In der Aufbruchstimmung der Reformzeit nach 1900 las man<br />
auch in Deutschland den französischen Philosophen Henri Bergson,<br />
dessen Lehre Materie und Leben, Verstand und Gefühl polarisierte.<br />
Nach Bergson ist das Gefühl die Basis der Kreativität.<br />
Gefühle zum Ausdruck zu bringen war ihre Maxime, einem bestimmten<br />
Stil folgten sie nicht. Dennoch entwickelte sich ein kollektiver<br />
„Brücke-Stil“, denn die jungen Maler teilten sich ein Atelier,<br />
lebten auch sonst gemeinsam mit ihren Freundinnen und Aktmodellen.<br />
Selbst Kunsthistoriker hatten lange Zeit Schwierigkeiten,<br />
die Werke den jeweiligen Autoren zuzuordnen, weil der gegenseitige<br />
Einfluss so groß war.<br />
Großen Eindruck auf die jungen Maler machte Vincent van<br />
Goghs Werk. Jeder verarbeitete den Einfluss des großen Postimpressionisten<br />
anders. Kirchners Interesse an der Farbe wuchs<br />
und er benutzte sie verschwenderisch auf den leuchtenden<br />
Pastellzeichungen.<br />
Karl Schmidt-Rottluff lernte durch den Holländer japanische<br />
Malerei und Holzschnitt zu schätzen. Pechstein dagegen reiste nach<br />
Paris und lernte die Fauves kennen und vor allen Henri Matisse, der<br />
ihn über alle Maßen beeindruckte: Der Tanz (Tanzende und Badende<br />
am Waldteich) von 1912 zeigt den direkten Einfluss.<br />
Dem Schneiden in Holz, damals als Technik des Altmeisters<br />
Albrecht Dürer in Tradition erstarrt, gaben die sieben Brücke-<br />
Künstler neue Impulse.<br />
Kirchner hatte im Dresdner Völkerkunde-Museum den<br />
Palaubalken aus der Südsee entdeckt, der mit einem Figurenfries<br />
geschmückt war. Die Erfahrung der exotischen Kunst verbanden<br />
die Maler mit dem Holzschnitt und machten ihn so zu einem der<br />
populärsten und wirkungsvollsten Ausdrucksmittel des deutschen<br />
Expressionismus.<br />
Kirchner selber gestaltete nach dem Balken den Farbholzschnitt<br />
„Mit Schilf werfende Badende“ von 1909. In der Wandervogelund<br />
Reformzeit des jungen 20. Jahrhunderts waren auch unsere<br />
Dresdner Maler der Zivilisation überdrüssig und frönten im Sommer<br />
dem freien Leben mit ihren Freundinnen an den Moritzburger<br />
Teichen. Hier entstand eine Reihe idyllischer Arbeiten.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 27 Januar 2004
Aber schon bald suchten sich einige Künstler ein neues Refugium:<br />
Kirchner malte im Sommer auf Fehmarn, wo die imposante Baumgruppe<br />
des Ausstellungsplakats entstand. Schmidt-Rottluff trieb es<br />
an die Nordsee nach Dangast (bei Varel). Später arbeitete er einen<br />
Sommer lang gemeinsam mit dem Einzelgänger und nur zeitweiligen<br />
Mitglied Emil Nolde auf der Insel Alsen in der Ostsee.<br />
Pechstein war ein radikaler Bewunderer des einfachen Lebens<br />
und ging noch weiter: Zunächst finden wir ihn in Nidden an der<br />
kurischen Nehrung in Ostpreußen, wo er mit Fischern zusammenlebte.<br />
1914 machte er sich auf nach Palau in der Südsee, den<br />
Balken im Museum nicht vergessend. Auch Nolde reiste in die Südsee,<br />
um das ursprüngliche Leben kennenzulernen. Für Pechstein<br />
endete der Trip dramatisch. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />
wurde er interniert und auf der abenteuerlichen Rückreise nach<br />
Europa verlor er beinahe seine gesamten Arbeiten.<br />
Ebenfalls im Berliner<br />
„Brücke“-Museum<br />
präsentiert:<br />
Karl Schmidt-Rottluff,<br />
Akt auf Teppich, 1911,<br />
Farblithographie in<br />
Schwarz, Gelb, Blau<br />
und Grün, 33,5 x 40 cm.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 28 Januar 2004<br />
FOTO: BRÜCKE-MUSEUM
1911 siedelten die Künstler nach Berlin um. Emil Nolde war mittlerweile<br />
wieder ausgetreten, die Gruppensituation lief seinem<br />
Einzelgängertum und seinem grüblerischen Wesen zuwider. Der<br />
Naturbursche Max Pechstein entwickelte hingegen in der Großstadt<br />
ganz neue Züge: Er knüpfte Kontakte mit Kunsthändlern, organisierte<br />
Ausstellungen für seine Freunde und wurde selber eingeladen,<br />
seine Bilder zu präsentieren. Das gab böses Blut mit den übrigen<br />
Brücke-Künstlern, denn man wollte nur gemeinsam ausstellen.<br />
Mittlerweile war der kollektive Stil Vergangenheit, die Maler<br />
waren älter geworden und setzten sich bewusst mit dem Phänomen<br />
Großstadt auseinander. Vor allem Kirchner prägte das Bild der Halbwelt<br />
in der Metropole Berlin mit seiner Serie „Großstadtbilder“.<br />
Er␣ malte Kokotten und ihre Freier auf dem Potsdamer Platz mit<br />
spitzwinklig-nervösen Strichen in giftigen und düsteren Farben.<br />
Schmidt-Rottluff dagegen nutzte das kulturelle Angebot der Museen,<br />
um seine Studien der afrikanischen Stammeskunst weiter zu<br />
treiben. Die Vorliebe für Tuschezeichnungen ließ seine Maskendarstellungen<br />
erstaunlich lebendig wirken.<br />
Erst in Berlin stieß Otto Müller zu den Brücke-Malern. Wie sie<br />
stellte er in der Ausstellung der von der Secession „Zurückgewiesenen“<br />
aus. Hier sammelten sich alle neuen Impulse. Müllers bevorzugtes<br />
Sujet waren exotische junge Frauen und androgyn wirkende<br />
Mädchen in paradiesischer Atmosphäre, die ihm den Spitznamen<br />
„Zigeunermüller“ eingebracht hatten.<br />
Im Gegensatz zu den spontan arbeitenden Gruppenmalern überarbeitete<br />
Müller seine Werke vielfach, daran mochte auch seine Ausbildung<br />
als Lithograph einen Anteil haben. Sein selbst gestecktes Ziel<br />
hieß „größtmögliche Vereinfachung“. So verbannte er alles Zufällige<br />
zu Gunsten einer durchkomponierten Stilisierung: Sein großes<br />
Vorbild war die altägyptische Kunst.<br />
1913 verfasste Kirchner die „Chronik KG Brücke“. Über deren<br />
Inhalt zerstritten sich die verbliebenen Maler unversöhnlich und<br />
man gab die gemeinsame Arbeit endgültig auf. Die Maler verfolgten<br />
nun jeder für sich ihren individuellen Stil weiter bis zur großen<br />
Zäsur des Ersten Weltkrieges 1914.<br />
IMPRESSUM <strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong><br />
Herausgeber Detlef Prinz<br />
Redaktionelle Konzeption und Chefredaktion Bruno Waltert<br />
Gestaltung Schmidt & Kern.Design am Ufer<br />
Satz und Bildbearbeitung Mike Zastrow, <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Berlin<br />
Verlag <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Berlin Verlagsgesellschaft mbH<br />
Tempelhofer Ufer 23/24, 10963 Berlin<br />
Telefon 030 - 21 50 54 00, Fax 030 - 21 50 54 47<br />
info@derhauptstadtbrief.de<br />
Druck druckpunkt Druckerei Repro GmbH,<br />
Potsdamer Straße 85, 10785 Berlin-Tiergarten<br />
Redaktionsschluss 26. Januar 2004<br />
Zur Ausstellung erscheint ein<br />
Katalog zum Preis von 22 Euro.<br />
Unmittelbar und unverfälscht<br />
Aquarelle, Zeichnungen und<br />
Druckgraphik der Brücke.<br />
Ort der Ausstellung:<br />
Kunstforum der Berliner Volksbank,<br />
Budapester Straße 35,<br />
10787 Berlin-Tiergarten,<br />
Tel. 030-30␣ 63␣ 17␣ 17<br />
www.bruecke-museum.de<br />
Führungen für Gruppen:<br />
Tel: 030-831␣ 20␣ 29<br />
Fax: 030-831␣ 59␣ 61<br />
29. Januar bis 2. Mai täglich außer<br />
montags von 10 bis 18 Uhr<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 29 Januar 2004
Ab Herbst 2004 auch<br />
im Land Brandenburg eine<br />
Regierung SPD/PDS?<br />
CDU-Chef Jörg Schönbohm: „Das wäre<br />
ein␣ Torpedoschuss in den Maschinenraum<br />
der␣ deutschen Einheit“<br />
Von JOACHIM RIECKER<br />
Jörg Schönbohm, ehemals General der<br />
Bundeswehr, kann es einfach nicht lassen:<br />
Obwohl er weiß, dass seinen noch immer<br />
von der DDR-Friedensbewegung geprägten<br />
Koalitionspartner SPD kaum etwas so in<br />
Rage versetzt wie seine ständigen militärischen<br />
Vergleiche, ließ der Brandenburger<br />
CDU-Chef Mitte Januar schon wieder eine<br />
rhetorische Breitseite ab:<br />
Wenn die SPD nach der Landtagswahl im<br />
September mit der PDS koaliere, wäre<br />
dies „ein Torpedoschuss in den Maschinenraum<br />
der deutschen Einheit“, donnerte<br />
der Ex-General und jetzige Potsdamer<br />
Innenminister in einem Zeitungsinterview.<br />
Wie in vier anderen Bundesländern –<br />
Hamburg im Februar, Thüringen im Juni,<br />
Sachsen und Saarland im September –<br />
wird auch in Berlins Nachbarland Brandenburg<br />
in diesem Jahr der Landtag neu<br />
gewählt, und zwar am 19. September. Die<br />
CDU schneidet derzeit in Umfragen mit<br />
rund 30 Prozent zwar recht gut ab (Ergebnis 1999: 26,5 Prozent)<br />
und liegt Kopf an Kopf mit der SPD, ist aber trotzdem verunsichert.<br />
Denn SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck verweigert ihr<br />
konsequent eine Koalitionsaussage für die Zeit nach der Wahl.<br />
Allenfalls lässt sich Platzeck die vage Andeutung entlocken, wenn man<br />
in den nächsten Monaten vernünftig miteinander umginge, „könnte<br />
das als Präferenz zum Weitermachen angesehen werden“.<br />
Könnte, muss aber nicht – politische Treueschwüre sehen anders aus.<br />
Die brandenburgische CDU steht vor einem ähnlichen Problem<br />
wie zuletzt die CDU in Bremen, wo sie ebenfalls Juniorpartner<br />
einer großen Koalition ist: Wird sie zu stark, verliert sie ihren<br />
Koalitionspartner und landet in der Opposition, weil sich die SPD<br />
dann zum Machterhalt einen neuen Partner sucht.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 30 Januar 2004<br />
FOTO: ARIS<br />
Jörg Schönbohm,<br />
Ex-General der Bundeswehr,<br />
brandenburgischer CDU-<br />
Chef, stellvertretender<br />
Ministerpräsident<br />
und Innenminister<br />
in Potsdam: „Ich will<br />
Ministerpräsident werden.“
Matthias Platzeck,<br />
brandenburgischer<br />
SPD-Chef und<br />
Ministerpräsident<br />
in Potsdam: Keine<br />
Koalitionsaussage für die<br />
Zeit nach der Wahl.<br />
Schröder-Protegée<br />
Platzeck fürchtet für<br />
September das Image<br />
des Wahlverlierers.<br />
Um dennoch –<br />
gegebenenfalls –<br />
Regierungschef zu bleiben,<br />
wird er vermutlich<br />
mit der in Brandenburg<br />
starken PDS koalieren.<br />
In Potsdam würde die SPD wohl mit der PDS zusammengehen,<br />
damit Platzeck Regierungschef bleiben kann. (Dass in Brandenburg<br />
die Grünen oder die FDP im September die Fünf-Prozent-<br />
Hürde nehmen, erscheint zumindest aus heutiger Sicht als höchst<br />
unwahrscheinlich.)<br />
Ein Schmusewahlkampf, wie ihn im<br />
vergangenen Jahr die Union in Bremen<br />
betrieb, bietet – so sieht man es bei der<br />
CDU in Potsdam – allerdings keinen<br />
Ausweg aus dem Dilemma; denn die CDU<br />
musste an der Weser mit der Schmusetaktik<br />
herbe Verluste hinnehmen. Allerdings<br />
würde eine „weiche Welle“ auch gar nicht<br />
zu Schönbohm passen.<br />
Er setzt von seinem ganzen Naturell her<br />
lieber auf Offensive und verkündete kürzlich<br />
keck: „Ich will Ministerpräsident<br />
werden“ – was wiederum Platzeck nicht<br />
unter der Rubrik „vernünftiger Umgang“<br />
abbuchen mochte. So angespannt<br />
ist das Verhältnis zwischen den beiden<br />
Parteivorsitzenden, dass sogar ein gemeinsamer<br />
Gang über den Potsdamer Weihnachtsmarkt<br />
von der brandenburgischen<br />
Staatskanzlei zum politischen Großereignis<br />
hochstilisiert wurde.<br />
Käme es in diesem Herbst auch in Brandenburg<br />
zu einer rot-roten Koalition wie<br />
in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, hätte dies fraglos für<br />
ganz Ostdeutschland Bedeutung. Vorausgesetzt, die CDU kann in<br />
Sachsen und Thüringen ihre absoluten Mehrheiten verteidigen, wären<br />
die neuen Länder dann politisch zweigeteilt: Der Norden und<br />
der Osten Rot, der Süden und der Westen schwarz.<br />
Für die Brandenburger SPD ist die Lage allerdings kaum komfortabler<br />
als für ihren Juniorpartner; leidet sie doch ganz besonders<br />
unter dem anhaltend schlechten Trend der Bundespartei.<br />
Selbst wenn die märkischen Sozialdemokraten nach der Wahl mit<br />
hoher Wahrscheinlichkeit weiterregieren können, befürchtet<br />
Platzeck, am Abend des 19. September als Wahlverlierer<br />
dazustehen. Nach Sigmar Gabriel in Niedersachsen wäre er dann<br />
der zweite Hoffnungsträger der SPD für die Nach-Schröder-<br />
Zeit, der bereits seine erste Wahl verlor.<br />
Platzecks Vorgänger, der heutige Verkehrs- und Bauminister<br />
Manfred Stolpe, hatte bei der letzten Landtagswahl 1999 noch<br />
39,3 Prozent geholt, was allerdings schon ein Minus von 15 Punkten<br />
gegenüber der Wahl von 1994 bedeutete, als man stolze 54 Prozent<br />
errang. So mancher in der Partei fragt sich, warum es in den<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 31 Januar 2004<br />
FOTO: ARIS
vergangenen zehn Jahren nicht gelungen ist, die SPD ähnlich tief<br />
in␣ Brandenburg zu verankern wie es die CDU in Sachsen und<br />
zumindest teilweise auch in Thüringen schaffte.<br />
Wenige Tage übrigens, nachdem in der Dezember-Ausgabe des<br />
<strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> zu lesen stand, die unsichere politische Situation<br />
in Brandenburg lasse die für 2009 geplante Fusion mit Berlin immer<br />
unwahrscheinlicher werden, stellte Platzeck tatsächlich die für<br />
2006 geplante Volksabstimmung zu diesem Thema in Frage.<br />
So lange Berlins finanzielle Situation so ungeklärt sei wie gegenwärtig,<br />
könne er den Brandenburgern nicht zum Zusammenschluss<br />
mit Berlin raten, verkündete der Ministerpräsident. Zwar ergänzte er<br />
kürzlich, die Fusion bleibe „perspektivisch auf der politischen<br />
Tagesordnung“, doch forderte er zugleich eine „klare Darstellung,<br />
wie sich das Zusammengehen von Berlin und Brandenburg finanziell<br />
gestalten lässt“.<br />
Dies dürfte allerdings kaum möglich sein, denn die Finanzsituation<br />
Berlins bleibt weiterhin katastrophal – und zwar auf unübersehbare<br />
Zeit. Ist der Landeshaushalt ohnehin schon völlig überschuldet,<br />
so muss der Senat in diesem Jahr wohl erstmals direkte<br />
Zahlungen an die Inhaber der dubiosen Immobilienfonds der<br />
Berliner Bankgesellschaft leisten.<br />
Die Fondseigner bekamen von dem Kreditinstitut schließlich hohe<br />
Mieteinnahmen garantiert, für die das Land Berlin die Haftung<br />
übernommen hat, um die Schließung der Bank und den Verlust<br />
von␣ mehr als 16 000 Arbeitsplätzen zu verhindern.<br />
Die Berliner Finanzverwaltung rechnet damit, 2004 rund 145 Millionen<br />
Euro aus dem Landeshaushalt an die Fondseigentümer zahlen<br />
zu müssen – mit steigender Tendenz in den Jahren darauf. Noch<br />
problematischer als die laufenden Zahlungen („Erfüllungsübernahmen“)<br />
sind jedoch die Garantiesummen, die nach der<br />
Schlussabrechnung der einzelnen Fonds vom Landeshaushalt<br />
übernommen werden müssen („Buchwertgarantien“).<br />
Sobald die wirklich riskanten Immobilienfonds der Bankgesellschaft<br />
in den Jahren nach 2020 auslaufen, könnten dem Land Berlin also<br />
noch mehrere Milliarden Euro abverlangt werden. Schon bis<br />
Ende 2005 summieren sich die Garantien für die Buchwerte<br />
der␣ Immobilien, die erst nach Abrechnung der einzelnen Fonds fällig<br />
werden, auf eine Gesamtforderung von 797 Millionen Euro.<br />
Waren die Brandenburger in ihrer Mehrheit ohnehin nie vom<br />
Sinn der Länder-Fusion überzeugt, so hat die Berliner Bankenkrise<br />
die Stimmung wohl endgültig kippen lassen. Selbst ein Ministerpräsident,<br />
der weit stärker wäre als gegenwärtig Platzeck, könnte<br />
unter diesen Bedingungen wohl kaum erfolgreich für einen<br />
Zusammenschluss der beiden Nachbarländer werben.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 32 Januar 2004
Das sanierte Zeughaus strahlt<br />
von innen und außen in<br />
aufgefrischter barocker Pracht<br />
Das Zeughaus Unter den Linden, einer der ältesten und prachtvollsten<br />
Berliner Barockbauten, ist am 9. Januar 2004 nach Abschluss der<br />
knapp fünfjährigen Sanierungsarbeiten für kurze Zeit wiedereröffnet<br />
worden. Neun Tage lang hatten Berliner und Touristen anschließend<br />
Gelegenheit, die beeindruckenden, aber noch leeren Innenräume<br />
des Gebäudes in Augenschein zu nehmen.<br />
Das zwischen 1695 und 1730 von den Baumeistern Johann Arnold<br />
Nering, Andreas Schlüter und Jean de Bodt erbaute Zeughaus<br />
wurde für 25 Millionen Euro Gesamtprojektkosten seit Mitte 1999<br />
im Inneren von Grund auf saniert und modernisiert.<br />
Es galt, die Räumlichkeiten technisch auf einen Museumsstand des<br />
21. Jahrhunderts zu bringen. Auf einer Fläche von 7500 Quadratmeter<br />
entstand dabei ein hochmoderner Museumsbau, in dem ab<br />
Februar 2004 schrittweise die zukünftige Dauerausstellung des<br />
DHM (Deutsches Historisches Museum) eingerichtet wird.<br />
Die Eröffnung der Ausstellung ist für Ende 2004 geplant. Dann<br />
wird sie dem Publikum eine Fülle hochkarätiger Zeugnisse aus 2000<br />
Jahren deutscher Geschichte präsentieren und, auch unter Einsatz<br />
modernster Multimedia-Technik, in ihrem jeweiligen historischen<br />
Kontext erläutern.<br />
Ab Ende 2004 werden die Besucher des Deutschen Historischen<br />
Museums im Zeughaus bestimmt „eine Menge Zeug“ sehen, aber<br />
die ursprüngliche Funktion des Barockbaus war nicht die eines<br />
Museums. Hier lagerte vielmehr das Waffenzeug, mit dem im Kriegsfall<br />
die preußischen Soldaten ausgerüstet wurden: die Geschütze,<br />
Handwaffen, Uniformen und anderes Rüstzeug.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 33 Januar 2004<br />
FOTO: DHM<br />
Zeughaus,<br />
überdachter<br />
Innenhof.<br />
In ihm finden<br />
schon heute<br />
Veranstaltungen<br />
statt. Ab Ende<br />
des␣ Jahres<br />
sollen es<br />
noch deutlich<br />
mehr sein.
Aus Sicherheitsgründen waren die Pistolen, die Gewehre und die<br />
dazugehörige Munition schwer zugänglich in der ersten Etage untergebracht<br />
– und wenn der König zu den Waffen rief, wurden Leitern<br />
am Zeughaus angelegt, um die Waffen unter strenger Aufsicht an<br />
die Soldaten zu verteilen.<br />
Aus Bequemlichkeitsgründen ließ Friedrich Wilhelm IV. Treppen<br />
im Zeughaus einbauen, und prompt hatte er 1848 die Revolution<br />
im Haus, weil die Bürger das Arsenal leicht stürmen konnten.<br />
Vielleicht waren die Preußen ursprünglich, obwohl ihnen heute oft<br />
anderes nachgesagt wird, wesentlich vorsichtiger und ehrfürchtiger<br />
bei der Erwägung einer kriegerischen Auseinandersetzung mit einem<br />
anderen Land.<br />
Immerhin gibt es immer noch die Redensart: „So schnell schießen<br />
die Preußen nicht!“ Auch das Innere des Gebäudes zeugt von einer<br />
tiefen Furcht – jener des Baumeisters Andreas Schlüter vor einem<br />
Krieg.<br />
Denn er setzte die grausamen Schrecken eines Krieges in deutliche<br />
Bilder um. Im Lichthof des Zeughauses sind ringsum an den<br />
Wänden die Masken von zweiundzwanzig sterbenden Kriegern zu<br />
sehen. Auf drastische Weise demonstrieren sie dem Betrachter, was<br />
es heißt, auf dem Schlachtfeld unter höllischen Schmerzen dahingerafft<br />
zu werden.<br />
Schlüter konnte die sterbenden Kriegerköpfe so ausdrucksstark<br />
modellieren, weil er während einer Italienreise selbst Zeuge des<br />
Endes einer Schlacht zwischen Italienern und Franzosen in der<br />
Poebene wurde.<br />
Nach der Niederlage der Franzosen ging er über das Feld, sah den<br />
Sterbenden ins Gesicht und hielt seine Eindrücke unmittelbar<br />
anschließend im Tonmodell fest. Die Erschütterung Schlüters ist den<br />
Masken anzusehen.<br />
Bemerkenswert ist, dass diese Kriegerköpfe überhaupt an diesen<br />
Ort gelangt sind. Kurfürst Friedrich III, ab 1701 König Friedrich I. in<br />
Preußen, muss die Anbringung im Lichthof des Zeughauses gegen<br />
den Widerstand der preußischen Generäle durchgesetzt haben.<br />
Sie sollen mit einem Trick des Ministers Wartenberg beruhigt<br />
worden sein: Er ließ die Köpfe mit einigen kleinen Schriftzeichen<br />
aus dem Koran versehen, so dass sie als Köpfe sterbender Türken<br />
vorgestellt werden konnten.<br />
Der preußische Generalfeldmarschall Barfuß, der sich am<br />
vehementesten gegen die Installation der Schlüter’schen Masken<br />
ereiferte, hatte gerade ein türkisches Heer bei Ofen besiegt …<br />
Tobias v. Schoenebeck<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 34 Januar 2004<br />
FOTOS: ARIS<br />
Zwei der 22 Masken<br />
sterbender Krieger<br />
aus dem Innenhof<br />
des Zeughauses,<br />
geschaffen von<br />
Andreas Schlüter.
Aktuelle Fotokunst aus Japan –<br />
Miwa Yanagi im Guggenheim<br />
Gleich zwei Hauptwerke der Japanerin Miwa Yanagi zeigt das<br />
Guggenheim-Museum in der Ausstellung „Miwa Yanagi – Sammlung<br />
Deutsche Bank“: Die Serie „Elevator Girls“, 1998 fertig<br />
gestellt und „Großmütter“ aus dem Jahr 2001 stehen im Mittelpunkt<br />
der Schau. Die 21 großformatigen Fotografien der 1967 in<br />
Kobe geborenen Fotografin setzen die Reihe fort, in der das<br />
Guggenheim Bestände aus der Sammlung der Deutschen Bank<br />
präsentiert. Die Künstlerin entwarf das Ausstellungsdesign<br />
selbst.<br />
Miwa Yanagi wirft einen kritischen Blick auf die Konsumwelt. Sie<br />
porträtiert Japanerinnen in ihrem wechselvollen Leben zwischen<br />
Tradition und Moderne; beobachtet die Wirklichkeit und die<br />
Etikette, die die Gesellschaft regeln. Ihre Bilder zeigen Gruppen,<br />
thematisieren die Zugehörigkeit einzelner dazu. So setzt sie konsequent<br />
Uniformen ein.<br />
Die Fotografin bedient sich einer makellosen Werbeästhetik auf<br />
Hochglanzfotografien. Mit der Digitalkamera fotografiert sie reale<br />
Figuren, die sie mit computer-generierten Bildbestandteilen verbindet.<br />
Aus diesem teils realen teils virtuellen Rohmaterial entwickelt sie<br />
täuschend echt wirkende Kompositionen.<br />
Die Reihe „Elevator Girls“ zeigt perfekt geschminkte, junge Frauen<br />
in den typischen Uniformen der Liftmädchen japanischer Kaufhäuser.<br />
Miwa Yanagi fotografierte sie in einer ebenfalls perfekten,<br />
fiktiven urbanen Umwelt, die genauso anonym und austauschbar<br />
erscheint wie die Frauen selbst. Die Künstlerin überlässt nichts<br />
dem Zufall und stylt die Interieurs mit genauso viel Aufwand wie<br />
die Models.<br />
Miwa Yanagi dazu: „Die Fotos dieser Serie handeln ebenso von mir<br />
wie von anderen Japanerinnen. Nach dem Universitätsabschluss habe<br />
ich als Lehrerin gearbeitet und in dieser Zeit die Serie angefangen.<br />
Damals hatte ich das starke Gefühl, ich würde nur eine Rolle in<br />
einer standardisierten Gesellschaft spielen. Ich ging einer bestimmten<br />
Arbeit in einer bestimmten Umgebung nach. Ich arbeitete<br />
nicht tatsächlich als Aufzugsmädchen, aber es kam mir so vor. Sie<br />
waren für mich ein Symbol. Sie stellten mich und meine Situation<br />
dar.“ Mit diesen Bildern machte die Fotografin erstmals international<br />
auf sich aufmerksam.<br />
Für die Serie „Großmütter“ befragte die Künstlerin junge Modelle,<br />
wie sie sich ihr Leben in 50 Jahren als Großmutter vorstellen.<br />
Nach diesen Vorlagen gestaltete sie die Bilder, die Einblick in die<br />
Persönlichkeit der jungen Frauen gewähren.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 35 Januar 2004
Aus der Serie „My Grandmothers“ stammt beispielsweise die Fotografie<br />
„Hiroko“. In einem modern eingerichteten, vollgestopften<br />
Appartment, in dem zusätzlich ein gepackter Koffer steht, befinden<br />
sich zwei Frauen: Ein junges Mädchen im Mini räkelt sich auf einem<br />
Bett, eine Weißhaarige steht würdevoll im Kimono vor einer Fensterwand.<br />
Moderne und Tradition stoßen aufeinander.<br />
Die junge Frau wendet dem Betrachter den Rücken zu: Wir<br />
schauen mit ihren Augen und nehmen den Kontrast wahr zwischen<br />
Einrichtung und Kimono. An der klassischen Kleidung im<br />
Zentrum des Zimmers kulminiert die Herausforderung durch<br />
die westliche Kultur.<br />
Die Wirkung der Werbefotografie ist genau kalkuliert. Miwa Yanagi<br />
benutzt diese international bekannte und anerkannte Ästhetik, um<br />
sie zu bekämpfen, sie zu entlarven und hinter ihre allzu glatte<br />
Oberfläche zu schauen. Sie macht sich dabei das uralte Prinzip der<br />
asiatischen Kampfkünste zu eigen: Die Energie des Gegners umzukehren<br />
und für die eigenen Ziele einzusetzen.<br />
Zur Ausstellung erschien ein Katalog in Deutsch und Englisch mit<br />
einem Interview der Künstlerin zum Preis von 29 Euro. Judith Meisner<br />
Die Schau läuft vom 31. Januar<br />
bis 28. März und ist täglich<br />
geöffnet von 11 bis 20 Uhr,<br />
donnerstags bis 22 Uhr.<br />
Informationen zum<br />
Begleitprogramm unter<br />
www.deutsche-guggenheim.de<br />
Eintritt: 3 / 2 Euro, montags frei<br />
Deutsche Guggenheim,<br />
Unter den Linden 13/15,<br />
10117 Berlin<br />
Tel. 030-20␣ 20␣ 93-0,<br />
Fax 030-20␣ 20␣ 93-20<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 36 Januar 2004<br />
FOTO: SAMMLUNG DEUTSCHE BANK<br />
„Yoko & Regine“,<br />
eines der Bilder<br />
aus der Serie<br />
„Großmütter“.
Über die Standortvorteile<br />
Berlins. Und wie sie sich<br />
gewinnbringend nutzen lassen…<br />
Berlin braucht dringend potente Investoren – wie die in der Hauptstadt<br />
besonders aktive Hamburger „Deutsche Immobilien Fonds AG“<br />
(DIFA), eine der größten deutschen Fondsgesellschaften. <strong>DER</strong><br />
<strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> sprach mit deren Vorstand Dr. Frank Billand.<br />
Frage: Herr Dr. Billand, alle Welt redet von Immobilienkrise, Sie<br />
nicht. Was macht die DIFA anders?<br />
Billand: Zunächst einmal halten wir Jammern und Klagen nicht für<br />
geeignete Marketinginstrumente. Schwierige Marktsituationen sind,<br />
übrigens in jedem Geschäft, nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die<br />
Herausforderung besteht darin, Lösungen zu finden, mit denen man sich<br />
von seinen Mitbewerbern positiv absetzen kann.<br />
DIFA war im vergangenen Jahr mit über 900 Millionen Euro<br />
Deutschlands bedeutendster institutioneller Investor in Gewerbeimmobilien.<br />
Auch in solch schwierigen Zeiten gibt es hier noch<br />
exzellente Investitionschancen in rentable Einzelhandels-, Hotel- und<br />
Büroimmobilien.<br />
Unser Ansatz besteht darin, Objekte nicht nach kurzfristigen Trends<br />
zu planen, zu erwerben und zu organisieren, sondern unter langfristigen<br />
Aspekten. Ein gutes Beispiel hierfür ist unsere Eigenentwicklung<br />
CityQuartier Neues Kranzler Eck am Kurfürstendamm: Als noch alle<br />
Welt die Zukunft ausschließlich in Berlin-Mitte gesehen hat, setzte<br />
unsere Fondsgesellschaft im vermeintlich abgehängten Westen der<br />
Stadt ein Zeichen.<br />
Die Entwicklung seither gibt uns recht: Weitere Bauvorhaben rund<br />
um unser CityQuartier sind bereits realisiert oder im Planungs- bzw.<br />
Baustadium und das Pendel, das zu Beginn der 90er Jahre ausschließlich<br />
nach Mitte ausschlug, schwingt wieder zurück – beide<br />
Citybereiche stehen mittlerweile gleichrangig nebeneinander.<br />
Natürlich ist auch die Qualität unserer Objekte ein entscheidendes<br />
Kriterium: Unsere CityQuartiere sind keine sterilen Bürobunker,<br />
sondern menschliche Immobilien – Synergie spendende Gebäudeensembles,<br />
die durch ihre Vielfalt ein reichhaltiges Nutzungsspektrum<br />
aus Arbeit, Wohnen und Freizeit bieten.<br />
Das macht sie attraktiv für Besucher und Passanten, aber natürlich<br />
in erster Linie auch für die Mieter. Im Bürobereich haben wir zudem<br />
in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer Institut innovative<br />
Gestaltungskonzepte entwickelt, die wir erstmals im CityQuartier<br />
DomAquarée umsetzen. Damit gewährleisten wir, dass unsere Mieter<br />
auf Dauer optimale Bedingungen für ihre Arbeit vorfinden.<br />
Spricht im<br />
<strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong>-<br />
Interview sehr offen<br />
und mit klaren Worten:<br />
DIFA-Vorstand<br />
Dr. Frank Billand.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 37 Januar 2004<br />
FOTO: DIFA
Frage: Welchen Stellenwert hat Berlin für DIFA?<br />
Billand: Berlin ist für uns ein erstrangiger Investitionsschwerpunkt.<br />
Wir haben uns schon in der Stadt engagiert, als die Mauer erst wenige<br />
Jahre stand und ihr Fall eine Frage von Generationen zu sein<br />
schien: Das erste Objekt in Berlin haben wir bereits 1968, zwei Jahre<br />
nach Gründung des ältesten DIFA-Fonds, erworben.<br />
Mittlerweile hat sich das Portfolio auf 19 Objekte mit einer<br />
Gesamtinvestitionssumme von 1,8 Milliarden Euro vergrößert. Damit<br />
liegt Berlin bereits an zweiter Stelle unserer Standorte, nur noch<br />
knapp hinter Frankfurt/Main. Am Rande erwähnt: Weitere drei Objekte<br />
der DIFA befinden sich vor den Toren Berlins, in Potsdam.<br />
Das CityQuartier DomAquarée ist mit einem Gesamt-Investitionsvolumen<br />
von rund 450 Millionen Euro zudem die zweitgrößte Projektentwicklung<br />
der DIFA überhaupt.<br />
Frage: Welche Objekte errichtet DIFA in Berlin?<br />
Billand: Im Entstehen begriffen ist derzeit das bereits erwähnte<br />
CityQuartier DomAquarée in unmittelbarer Nachbarschaft des<br />
Berliner Doms, das wir im Mai eröffnen. Bereits ab 1. März wird das<br />
darin befindliche Vier-Sterne-Plus Radisson SAS Hotel die ersten<br />
Gäste empfangen.<br />
Und die Haupt-Besucherattraktionen des Ensembles, „Sea Life<br />
Center“ und „AquaDom“, locken bereits seit Anfang Dezember 2003<br />
Tausende von Berlinern und Touristen an. Zusammen mit den Bürobereichen<br />
bieten wir im DomAquarée künftig Arbeitsplätze für mehr<br />
als 2000 Menschen.<br />
Zu unseren weiteren Objekten in der Hauptstadt zählen das<br />
CityQuartier Neues Kranzler Eck, das StadtQuartier Spandau<br />
Arcaden, die Hallen „Am Borsigturm“, der „Focus Teleport“ in Tiergarten<br />
und die Hotels „Intercontinental“ und „Dorint Schweizerhof“.<br />
Frage: Wo sehen Sie die Vorzüge Berlins als Standort für Wirtschaftsunternehmen?<br />
Billand: Berlin als die mit Abstand einwohnerstärkste deutsche<br />
Stadt mit ihrer wieder gewonnenen Lage im Zentrum Europas bietet<br />
größtenteils noch ungehobene Chancen für Unternehmer und<br />
Existenzgründer.<br />
Allein die Nähe zu den politischen Entscheidungszentren ist ein<br />
gewaltiger Standortvorteil, dem auch neue Kommunikationstechnologien<br />
kaum etwas anhaben können. Wirklich wichtige Gespräche<br />
werden auch in Zukunft Auge in Auge und nicht per Videokonferenz<br />
geführt.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 38 Januar 2004
Berlin muss in den nächsten Jahren alle Kräfte mobilisieren, um die<br />
bisherige Abhängigkeit von Dienstleistung und hier insbesondere<br />
Touristik zu reduzieren. Potenzial sehe ich hier insbesondere in der<br />
Biotechnologie, der Informations- und Kommunikationstechnologie<br />
sowie der Produktionstechnik.<br />
Gleichzeitig ist Berlin, was oft nicht ausreichend wahrgenommen<br />
wird, mit vier Universitäten und mehr als 250 Forschungseinrichtungen<br />
der mit Abstand bedeutendste Standort von Forschung,<br />
Wissenschaft und Hochschulen in Deutschland und wird als solcher<br />
auch in Zukunft innovative Unternehmen anlocken.<br />
Aber es gibt auch noch gewaltigen Handlungsbedarf im Infrastruktursektor:<br />
Allein der Flughafen Berlin Brandenburg International würde<br />
direkt und indirekt über 50␣ 000 Arbeitsplätze entstehen lassen und<br />
weitere in Berlin sichern.<br />
Wir sind mit modernsten Immobilien in Vorleistung gegangen, um<br />
auch internationale Unternehmen in die Stadt zu bringen. Die fragen<br />
aber aus eigener Erfahrung mit als erstes nach einem Airport mit<br />
Direktverbindungen zu den wichtigsten internationalen Metropolen.<br />
Da muss bald etwas geschehen.<br />
Frage: Welche Probleme muss Berlin aus Ihrer Sicht vorrangig<br />
überwinden?<br />
Billand: In Berlin glaubt man zu wenig an die eigenen Stärken und<br />
Vorzüge, man geht vieles zu verzagt an und sieht nahezu alles nur<br />
unter dem Aspekt der Finanznot. Die Stadt hat, dieser Stimmung zum<br />
Trotz, bereits eine hohe Anziehungskraft entwickelt, teilweise gar<br />
einen regelrechten Sog.<br />
Denken Sie nur daran, wie viele Interessenvertretungen und Institutionen<br />
nach dem Hauptstadtbeschluss 1991 eigentlich an ihrem angestammten<br />
Sitz bleiben wollten, bis hin zum Bundesrat. Die meisten<br />
von ihnen haben mittlerweile in Berlin Quartier bezogen und die, die<br />
es noch nicht getan haben, denken darüber nach. In sehr vielen Bereichen<br />
gilt Berlin bereits als „The Place to be“ – übrigens auch und<br />
gerade im Ausland.<br />
Anstatt jedoch diese Entwicklung selbstbewusst zu begrüßen und<br />
offensiv zu begleiten, anstatt dazu zu stehen, dass diese Einrichtungen<br />
naturgemäß in die Hauptstadt gehören, neigt man in Berlin dazu, ein<br />
schlechtes Gewissen zu haben und sich geradezu dafür zu entschuldigen,<br />
dass die Stadt Menschen und Institutionen anzieht.<br />
Das mag damit zusammenhängen, dass Berlin auf absehbare Zeit am<br />
Finanztropf des Bundes hängen wird, so dass sich so mancher sagt:<br />
„Wir bekommen eh schon so viel, lasst uns nur keine Ansprüche<br />
stellen“.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 39 Januar 2004
Aber das ist der falsche Weg, denn nur wenn Berlin seine Hauptstadtfunktion<br />
voll ausüben kann, wenn es seine Attraktivität und seine Wirtschaftskraft<br />
steigert, besteht Aussicht, die Haushaltsprobleme eines Tages<br />
in den Griff zu bekommen. Entscheidend ist, dass Berlin an seine eigene<br />
Zukunft glaubt, wenn es Andere von dieser Zukunft überzeugen will.<br />
Frage: Die Eröffnung Ihres Vorzeigeobjektes DomAquarée erfolgt<br />
unmittelbar nach der glanzvollen Premiere der beiden Luxushotels im<br />
Beisheim Center am Potsdamer Platz. Wie wollen Sie sich gegen die<br />
Konkurrenz behaupten?<br />
Billand: Zunächst: Wir investieren in alle unsere Objekte viel<br />
Energie und Engagement, um für jeden Bedarf ein erstklassiges<br />
Angebot machen zu können. Insofern verfügt jedes einzelne unserer<br />
CityQuartiere über einzigartige Attraktionen und Eigenschaften.<br />
Das CityQuartier DomAquarée bietet seinen Nutzern, also Mietern<br />
und Besuchern, eine Vielzahl von Vorteilen. Zu nennen sind der Standort<br />
unmittelbar am geographischen Zentrum der Stadt, sozusagen in<br />
der „Mitte der Mitte“, die Öffentlichkeit des Quartiers, das sich nicht<br />
abschottet, sondern zum Besuch und zum Rundgang einlädt. Und<br />
natürlich unser Konzept der „organisierten Immobilie“, das den<br />
Mietern hohe Flexibilität, angepasst an ihre jeweiligen Wünsche und<br />
Bedürfnisse und den Büronutzern ein Management bietet, wie man es<br />
von erstklassigen Hotels kennt.<br />
Frage: Viele Ihrer Projekte, wie das „Neues Kranzler Eck“, konnten<br />
nur gegen große Widerstände realisiert werden, weil Teile der Verantwortlichen<br />
in Berlin mehr an der Erhaltung traditioneller Architekturstile<br />
und städtebaulicher Strukturen, ja an der Bewahrung des kleinstädtischen<br />
Charakters einzelner Citybereiche interessiert waren, als<br />
am Einzug moderner Architekturstile und Bauweisen. Hält diese<br />
konservative Haltung aus Ihrer Sicht an oder setzen sich in Berlin<br />
allmählich doch moderne Architekturkonzepte durch?<br />
Billand: Hier sollte man Meinungsverschiedenheiten nicht überbewerten.<br />
Als DIFA ihre Pläne für das CityQuartier Neues Kranzler Eck<br />
vorgestellt hat, waren einige Reaktionen zunächst sehr heftig, weil<br />
dieses als erstes Gebäude direkt am Kurfürstendamm die „Berliner<br />
Traufhöhe“ überschritt.<br />
In den darauffolgenden Verhandlungen konnte man die Entscheider<br />
und Betroffenen jedoch davon überzeugen, dass eine vorteilhafte<br />
Stadtgestaltung auch in unserem Interesse liegt. In schlecht gestalteten<br />
Gebäuden oder unattraktiven Stadtteilen will niemand wohnen<br />
und arbeiten; es liegt daher in unserem ureigenen Interesse, unsere<br />
Standorte ansprechend zu gestalten und zu erhalten.<br />
Architektur hat sich immer auch in die Umgebung einzufügen. Deswegen<br />
kam für das DomAquarée neben dem Berliner Dom und der<br />
Museumsinsel keine moderne Glasfassade infrage sondern eine hochwertige<br />
Natursteinfassade.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 40 Januar 2004
In allen diesen Fällen, wo in Stadtzentren gebaut wird, kommt es<br />
darauf an, dass im Dialog Lösungen gefunden werden müssen, mit<br />
denen alle gut leben können. Voraussetzung ist, dass bei allen Beteiligten<br />
und Betroffenen die Bereitschaft gegeben ist, die Erfordernisse,<br />
denen der jeweils Andere unterliegt, zu respektieren. Gerade beim<br />
CityQuartier Neues Kranzler Eck ist uns dies beispielhaft gelungen.<br />
Im übrigen macht sich moderne Architektur nicht ausschließlich an<br />
der Gestaltung der Fassade oder der Gebäudehöhe fest. Modern ist<br />
ein Gebäude vor allem dann, wenn es dauerhaft den Wünschen und<br />
Bedürfnissen seiner Nutzer angepasst ist und sich mit diesen verändert<br />
und weiter entwickelt.<br />
Modern ist nach unserem Verständnis etwas anderes als modisch.<br />
Viele Gebäude, deren Architektur noch vor zehn Jahren als supermodern<br />
galt, stehen heute ziemlich alt da, während andere, die nicht dem<br />
Zeitgeist hinterherliefen, auch nach Jahrzehnten noch modern sind.<br />
Moderne Architektur<br />
am Kurfürstendamm:<br />
DIFA-CityQuartier<br />
Neues Kranzler Eck.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 41 Januar 2004<br />
FOTO: STEFAN DOBLINGER
Das Musikinstrumenten-<br />
Museum: 1000 wertvolle<br />
Anschauungsobjekte direkt<br />
neben der Philharmonie<br />
Seit 1984, also genau seit zwanzig Jahren, existiert das Musikinstrumenten-Museum<br />
in seiner aktuellen Unterkunft, einem Neubau<br />
direkt neben der Philharmonie. Der Bau, der in seinen Vorentwürfen<br />
auf den berühmten Berliner Architekten Hans Scharoun zurückgeht,<br />
besteht im Inneren aus einem weitläufigen Bereich mit umlaufender<br />
Galerie.<br />
Eine Gliederung des Museumsraumes erfolgt nur durch unterschiedlich<br />
hohes Niveau oder durch Pfeiler, auf trennende Wände<br />
wurde verzichtet.<br />
Im Haus werden Kunstinstrumente vom 16. bis zum 20. Jahrhundert,<br />
seltene Holzblasinstrumente, barocke Geigen, Celli und Kontrabässe<br />
sowie eine wertvolle Sammlung an Tasteninstrumenten,<br />
Kirchen- und Kinoorgeln gezeigt – insgesamt etwa 800 Instrumente<br />
und 200 weitere<br />
Einzelstücke.<br />
Das ist leider nur noch<br />
ein Bruchteil des Bestands,<br />
den das Museum bis<br />
zum Ausbruch des Zweiten<br />
Weltkriegs aufgewiesen<br />
hatte. Aus eher bescheidenen<br />
Anfängen hatte sich<br />
bis 1939 eine beachtliche<br />
Sammlung von rund 4000<br />
Stücken entwickelt. Viele<br />
von ihnen gingen in den<br />
Kriegs- und Nachkriegswirren<br />
verloren.<br />
Die Geschichte des<br />
Musikinstrumenten-Museums<br />
geht in das Jahr 1888<br />
zurück, als an der Königlichen<br />
Akademischen Hochschule<br />
für Musik in Berlin<br />
eine Sammlung alter Instrumente<br />
gegründet wurde.<br />
Im Musikinstrumenten-Museum<br />
zu sehen: Bassetthorn in F<br />
aus St. Petersburg,<br />
2. Viertel des 19. Jahrhunderts.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 42 Januar 2004<br />
FOTO: MIM
Der Besuch des Musikinstrumenten-Museums, das wie die meisten<br />
Berliner Museen montags geschlossen hat, lohnt sich vor allem am<br />
Samstagvormittag. Denn: Regelmäßig um 11 Uhr findet dann eine<br />
einstündige Führung durch die Sammlung statt, die in einer Vorführung<br />
der klanggewaltigen Wurlitzer-Kinoorgel gipfelt.<br />
Außerdem ist noch bis zum 13. Februar 2004 eine Sonderausstellung<br />
mit dem Titel „Im Aufnahmesalon Hupfeld“ zu sehen. Die<br />
Ludwig Hupfeld A.-G. Leipzig gehörte zu Beginn des 20. Jahrhunderts<br />
zu den führenden Unternehmen der Musikbranche.<br />
Die 15 historischen Fotografien aus den Jahren 1907 und 1910, die<br />
in dieser Ausstellung gezeigt werden, waren ursprünglich für einen<br />
Werbekatalog der Firma Hupfeld gedacht. Der Fotograf Paul<br />
Kabisch porträtierte die Künstler während des Spiels und dokumentierte<br />
die Verkaufsräume und die Produktion von Künstlerrollen und<br />
Abspielgeräten.<br />
Zusätzlich zu der Fotopräsentation werden täglich um 15 Uhr<br />
historische Pianola-Klavierrollen auf einem Hupfeld-Rönisch-Pianola-<br />
Flügel dargeboten. TvS<br />
Eine Attraktion:<br />
Die klanggewaltige<br />
Wurlitzer-Kinoorgel<br />
(New York 1929).<br />
Sie wird im Museum<br />
jeden Samstagvormittag<br />
vorgeführt.<br />
Musikinstrumenten-Museum,<br />
Tiergartenstraße 1, 10785 Berlin<br />
Öffnungszeiten:<br />
Di. bis Fr. 9-17 Uhr,<br />
Sa. und So. 10-17 Uhr<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 43 Januar 2004<br />
FOTO: MIM
Die Zeit ist reif für<br />
grundlegende Reformen:<br />
Handelt rasch, großzügig, klug<br />
und vorausschauend!<br />
Von RAFAEL SELIGMANN<br />
„Nach der Reform ist vor der Reform“ – also sprach Edmund<br />
Stoiber. Der bayerische Ministerpräsident und Chef der Staatspartei<br />
CSU bezog sich auf die jüngst um ein Jahr vorgezogene Steuerreform.<br />
Dabei hatte die Regierung zunächst eine Steuerentlastung von<br />
30␣ Milliarden Euro angestrebt.<br />
Die Bedenkenträger der Opposition, unter ihnen die Ministerpräsidenten<br />
Koch und Stoiber, erklärten sich im Prinzip mit Abgabenkürzungen<br />
einverstanden. Die Witzkundigen fühlten sich da an Radio<br />
Eriwan erinnert: „Im Prinzip lebt man ohne Steuern am besten. In<br />
der Realität aber sollen die anderen zahlen“. So verlangten sie eine<br />
Deckung der Steuermindereinnahmen. Sie wussten, dass dies in<br />
der gegenwärtigen Wirtschaftssituation nicht machbar sei. Auf<br />
diese Weise sollte die Regierung paralysiert werden, um ihr sogleich<br />
Untätigkeit vorwerfen zu können.<br />
Bundeskanzler Gerhard Schröder durchschaute das Spiel der<br />
Unionsministerpräsidenten und hielt an seinen Steuerentlastungsplänen<br />
fest. Der Kanzler hatte keine Wahl: Nicht zuletzt wegen der<br />
wirtschaftlichen Stagnation und der damit verbundenen Rekordarbeitslosigkeit<br />
sanken die Popularitätswerte der Regierungskoalition<br />
in den Keller.<br />
Schröder und Eichel mussten handeln, also die Abgabenlast herunterschrauben.<br />
Da Steuersenkungen in der Öffentlichkeit populär<br />
sind, gewannen die Pläne der Regierung zunehmend Unterstützung in<br />
den Medien. Selbst die „Bild“-Zeitung, ansonsten nicht gerade für<br />
ihre Nähe zur rot-grünen Koalition bekannt, machte sich zum Anwalt<br />
der Steuerzahler und trieb die Union vor sich her.<br />
Am Ende mussten CDU und CSU nachgeben. „Ihre“ Länder ließen<br />
im Bundesrat die vorgezogene Steuerreform passieren – nachdem sie<br />
diese „kastriert“, also auf die Hälfte – sprich 15 Milliarden Euro –<br />
reduziert hatten.<br />
Die Auswirkungen des halbherzigen Beschlusses – 15 Milliarden<br />
weniger Abgaben bei einem Bruttoinlandsprodukt in Höhe von<br />
2,1␣ Billionen Euro, also weniger als 1 Promille – können nur einen<br />
begrenzten Impuls zur Ankurbelung unserer Volkswirtschaft leisten.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 44 Januar 2004
Alle Fachleute und alle verantwortlichen Politiker sind sich einig,<br />
dass eine grundlegende Steuerreform überfällig ist, um Deutschlands<br />
Volkswirtschaft wieder in Schwung zu bringen.<br />
Daher stimmten die Worte Stoibers über neue, notwendige Strukturveränderungen<br />
optimistisch. Doch dann, als es galt Farbe für ein<br />
in die Zukunft weisendes Konzept zu bekennen, blieb der Bayer<br />
bemerkenswert blass. Statt Reformen das Wort zu reden, bestand er<br />
auf eine ausgeglichene Fiskalpolitik.<br />
Stoiber will eine solide Gegenfinanzierung sehen, die bei einer<br />
Gesamt-Verschuldung der öffentlichen Hand von 1,3 Billionen nur<br />
verhältnismäßig möglich sein kann. Saarlands Ministerpräsident<br />
Peter Müller wiederum bringt bereits eine Erhöhung der Mehrwertsteuer<br />
ins Spiel. Ein probates Mittel, um eine Steigerung<br />
des␣ privaten Konsums als Motor einer Konjunkturerholung<br />
abzuwürgen.<br />
Die Regierung Schröder hat durchaus die Voraussetzungen zum<br />
Aufschwung geschaffen. So senkte sie den Spitzensteuersatz von 53<br />
auf 42 Prozent und selbst die Eingangssteuerquote fiel auf 15 Prozent.<br />
Warum gewinnt Deutschlands Volkswirtschaft nicht an Fahrt? Die<br />
Antwort kennt jeder Psychologe, Stratege, Börsianer: Wirtschaft<br />
wird von den Menschen gesteuert. Daher ist die Psychologie<br />
ein entscheidender ökonomischer Faktor.<br />
Nun ist die rot-grüne Koalition nicht mit einem fest umrissenen<br />
Steuersenkungsprogramm angetreten, das sie konsequent in die Tat<br />
umsetzte. Vielmehr sah sich die Regierung erst nach dem Abgang des<br />
Alles-Besser-Wissers Oskar Lafontaine in der Lage und vor der<br />
Notwendigkeit, durch konkrete Schritte die Steuerbelastung der<br />
Wirtschaft zu senken.<br />
Dies geschah, peu à peu. Es wurde also gekleckert, statt geklotzt.<br />
Auf diese Weise wurde die Schaffung einer Aufbruchsstimmung bei<br />
klaren volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen versäumt. Bei den<br />
Unternehmern und beim Gros der Bevölkerung.<br />
Alle Meinungsumfragen erweisen, dass die Menschen heute der<br />
Regierung nicht für die Steuererleichterungen dankbar sind,<br />
die sich in der Summe auf 56 Milliarden Euro belaufen. Die Bevölkerung<br />
wird heute vielmehr von Zukunftsängsten, besonders über die<br />
Ausgaben und die Leistungen im Gesundheitswesen und bei den<br />
Renten geplagt. Diese Furcht lässt sich nicht schlagartig abbauen.<br />
Die Bundesregierung, aber auch die Oppositionsparteien besitzen<br />
allerdings die Möglichkeit, erneut das Vertrauen der Bevölkerung zu<br />
gewinnen, wenn sie von der Klecker-Taktik der Vergangenheit<br />
Abschied nehmen und sich zu großzügigen, allgemein verständlichen<br />
Prinzipien entschließen.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 45 Januar 2004
Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Paul Kirchhof, heute<br />
Professor für Finanz- und Steuerrecht an der Universität Heidelberg,<br />
hat ein 15-, 20-, 25-Prozent-Stufen-Besteuerungs-Modell entworfen,<br />
das kostenneutral sogleich umgesetzt werden könnte. Jeder wäre<br />
in der Lage, seine Abgaben auszurechnen. Durch den niedrigen<br />
Spitzensteuersatz von 25 Prozent wäre Deutschland im europäischen<br />
Vergleich wieder ein gefragtes Investitionsland.<br />
Doch Bundesfinanzminister Eichel weiß zu Kirchhofs Plan nur einzuwenden:<br />
„Gerecht ist es noch lange nicht. Kirchhofs Formel<br />
berücksichtigt zu wenig die Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit…“.<br />
Hier pflegt einer eine alte deutsche Untugend: Dass<br />
nämlich das Prinzip wichtiger sei als der Erfolg.<br />
Die Bundesregierung und die Oppositionsparteien müssen<br />
sich schleunigst von ihren parteipolitischen Scheuklappen trennen.<br />
Deutschlands Menschen und ihre Wirtschaft benötigen Konzepte,<br />
die die ökonomische Entwicklung befördern.<br />
Um diesem Zweck gerecht zu werden, dürfen – so sehe ich es –<br />
gelegentlich auch temporär höhere Staatsschulden in Kauf<br />
genommen werden. Das 3-Prozent-Kriterium von Maastricht ist<br />
entgegen anderslautenden Kassandra-Rufen durchaus ein flexibles<br />
Instrument.<br />
Schließlich darf auch die durch Präsident Reagan popularisierte<br />
Theorie von Milton Friedman nicht außer Acht gelassen werden.<br />
Bundesregierung und Länder haben stillschweigend einsehen müssen,<br />
dass der Staat keine Allheilmedizin besitzt. Im Gegenteil, je<br />
schlanker der Staat ist, je weniger Aufgaben ihm aufgebürdet werden,<br />
desto mehr Kraft bleibt der Volkswirtschaft erhalten.<br />
Und: Je weiter die Steuersätze zurückgefahren werden, desto<br />
mehr Geld haben die Unternehmen für Neuinvestitionen und die<br />
Bürger zum Konsum zur Verfügung. Boomt aber die Volkswirtschaft,<br />
dann steigen die Staatseinnahmen und die Verschuldung der öffentlichen<br />
Hand sinkt.<br />
Kurz und gut: Regierung und Opposition sind dazu aufgerufen, sich<br />
auf die Grundzüge eines umfassenden Steuerprogramms zu<br />
einigen und es schleunigst durchzusetzen. Zögern sie aus wahltaktischen<br />
Erwägungen, nehmen alle gleichermaßen Schaden:<br />
Bevölkerung, Wirtschaft und Parteien.<br />
Die Politiker sollten von der Tatsache, dass von Wahl zu Wahl immer<br />
weniger Bürger von ihrem Stimmrecht Gebrauch machen, alarmiert<br />
sein. Hier wächst ein Potenzial für politische Scharlatane, Heilsverkünder<br />
und Extremisten heran. Deshalb nochmals die Mahnung an<br />
die Politik: Handelt. Handelt rasch, großzügig, klug und vorausschauend<br />
– solange noch Zeit dafür ist.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 46 Januar 2004
Hofmaler Antoine Pesne:<br />
Er diente drei Königen<br />
Das Ölgemälde spiegelt noch so gar nichts von harten, strengen,<br />
asketischen Zügen des alten Königs, des großen Friedrich, des<br />
Fridericus Rex. Eher wohlgenährt, rund und rosig saß der preußische<br />
Kronprinz ein Jahr vor seinem Regierungsantritt dem bei<br />
Hof angestellten französischen Kunstmaler Modell.<br />
Antoine Pesne (1683–1757) hieß der Meister aus Paris, der im<br />
Antlitz des Thronfolgers Selbstbewusstsein und Offenheit entdeckte<br />
und ihm mit dem hermelingefütterten Krönungsmantel Würde<br />
und Gewicht verlieh.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 47 Januar 2004<br />
FOTO: GEMÄLDEGALERIE SMB<br />
Wohlgenährt,<br />
rund und rosig:<br />
Der preußische<br />
Kronprinz,<br />
der später<br />
Friedrich der<br />
Große werden<br />
sollte – ein Jahr<br />
vor seinem<br />
Regierungsantritt.<br />
Ölgemälde des<br />
Antoine Pesne<br />
aus Paris,<br />
der in Berlin<br />
drei Königen<br />
als Hofmaler<br />
diente –<br />
47 Jahre lang.
Das berühmte Bild, als eine der bedeutendsten Leistungen des<br />
friderizianischen Rokoko gefeiert, steht im Mittelpunkt einer kleinen,<br />
aber hochfeinen Salonausstellung, die einem Besuch in der<br />
Gemäldegalerie am Tiergarten zusätzlichen Reiz verleiht.<br />
Hier bietet sich, konzentriert auf einen großen Saal, die Begegnung<br />
mit einem Künstler, dem manche Kunstwissenschaftler vielleicht<br />
nicht den Rang seines Landsmannes Watteau beimessen, der aber<br />
durch Fleiß und Produktivität in 47jähriger Tätigkeit unter drei<br />
Königen in den Schlössern zu Berlin, Potsdam und Rheinsberg<br />
prächtige Zeugnisse seiner Kunst, darunter Altar- und Deckengemälde,<br />
hinterlassen hat.<br />
Die in der Galerie am Tiergarten versammelten, von Pesne gestalteten<br />
Bildnisse des Malers und Ingenieurs Johann Sigismund Ebert,<br />
des Kommandeurs der Schweizer Garde Sigismund von Erlach, des<br />
Pesne-Enkels George Vollrath de Rège (gemalt mit einem Kanarienvogel),<br />
des Londoner Kaufmanns Henry Voguell, des gelehrten<br />
Orientalisten La␣ Croze, des Generalfeldmarschalls von Keith<br />
oder der Prinzessin Luise Ulrike vereinen französische Eleganz<br />
mit preußischer Repräsentanz.<br />
Bildwerke wie „Die Anbetung der Hirten“ oder „Lautenspieler mit<br />
Gesellschaft in einem Park“ sowie weiteres aus dem Besitz der Staatlichen<br />
Museen runden die Ausstellung ab.<br />
Hervorragend auch das große Selbstbildnis mit den Töchtern<br />
Henriette und Marie, das Pesne 1754, drei Jahre vor seinem Tod, als<br />
71jähriger malte. Es zeigt einen Künstler auf der Höhe seines<br />
Könnens und Ruhms, einen Maler, der die enge Verbindung Paris –<br />
Berlin in seiner Person und seiner Biographie vereinte.<br />
Ganz folgerichtig dient die Ausstellung denn auch dem Auftakt der<br />
Veranstaltungen zur Feier des 40jährigen Bestehens des deutschfranzösischen<br />
Kulturvertrages, die mit einer großen Rokoko-<br />
Ausstellung auf der Museumsinsel ihren Höhepunkt finden sollen.<br />
Noch ein Tip, nicht nur im Vorübergehen: Der Shop „Wasmuth<br />
im Museum“ im Erdgeschoss des Kulturforums ist eine erste Adresse<br />
für Berlin-Erinnerungen von Qualität und Geschenke von Niveau.<br />
Groß die große Auswahl an Büchern, Bildbänden, Monographien,<br />
Postern, Kalendern, Karten, an Tüchern und Abgüssen, alles über den<br />
Tag und Anlass hinaus sehens- und behaltenswert. Dieter Strunz<br />
Antoine Pesne – bis zum 31. Mai<br />
Gemäldegalerie,<br />
Matthäikirchplatz 8,<br />
10785 Berlin-Tiergarten.<br />
Dienstags bis sonntags 10 bis 18,<br />
donnerstags bis 22 Uhr,<br />
Tel: 266␣ 21␣ 01.<br />
www.smpk.de<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 48 Januar 2004
Dieser Komplex an der Dahlemer Clayallee<br />
war zunächst als Berliner BND-Sitz<br />
vorgesehen. Der Plan wurde aufgegeben,<br />
jetzt soll ein Neubau her.<br />
BND-Neubauten: CDU und<br />
PDS gemeinsam gegen<br />
„Weltjugend“-Pläne der SPD?<br />
Der Bundesnachrichtendienst (BND) soll, so will es die Bundesregierung,<br />
mit rund 5000 Mitarbeitern schnellstmöglich vom idyllischen<br />
Pullach an der Isar (südlich von München) nach Berlin umziehen.<br />
<strong>DER</strong>␣ <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> hatte – vor vielen anderen Medien – in seiner<br />
Nummer 41 (April 2003) ausführlich darüber berichtet. Und die aus<br />
Berlin verordneten Umzugspläne prinzipiell als richtig qualifiziert.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 49 Januar 2004<br />
GRAFIK: KARL-HEINZ DÖRING
Zuerst sollte der Dienst im Gebäude-Komplex des ehemaligen<br />
US-amerikanischen Hauptquartiers in der Dahlemer Clayallee,<br />
also im Süden Berlins, untergebracht werden.<br />
Bei diesem Komplex handelt es sich vorwiegend um Gebäude,<br />
die schon vor 1930 errichtet wurden. Die USA haben sie in den<br />
50er und 60er Jahren teilweise abhörsicher ausgebaut. Dem aktuellen<br />
Stand der Technik entspricht diese Absicherung aber weitgehend<br />
nicht. Die Gebäude jedoch für heutige Verhältnisse abhörsicher<br />
herzurichten, wäre extrem teuer gewesen. Ein Neubau<br />
sollte also her – zudem möglichst nahe beim Kanzleramt. Schließlich<br />
ist der Chef des Bundeskanzleramtes (derzeit also Staatssekretär<br />
Frank-Walter Steinmeier, SPD) Dienstherr des Auslands-Geheimdienstes<br />
BND.<br />
Arm in Arm mit Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus<br />
Wowereit und Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (beide<br />
SPD) entschied sich der Bund für ein Areal an der Chausseestraße<br />
im Bezirk Mitte; in relativer Nähe zum Kanzleramt. Dort<br />
sollten die BND-Neubauten auf dem Gelände des ehemaligen<br />
Stadions der Weltjugend errichtet werden.<br />
Die Entscheidung für dieses Gelände fiel auf Berliner Senatsseite<br />
ohne Abstimmung mit dem Koalitionspartner PDS. Der aber ist<br />
sehr nachdrücklich für einen anderen Geländekomplex – für das<br />
ehemalige Bahngelände an der Heidestraße, gegenüber dem künftigen<br />
Groß-Hauptbahnhof Lehrter Straße; ebenfalls also im Bezirk<br />
Mitte. Und vor allem: Noch näher beim Kanzleramt. Dass die SPD<br />
sich in dieser städtebaulich „heißen“ Frage nicht mit ihr abgestimmt<br />
hat, verärgerte die PDS sehr.<br />
In der von der PDS favorisierten Heidestraße übrigens möchte,<br />
politisch besonders pikant, auch der Bezirksbürgermeister von<br />
Mitte, Joachim Zeller (CDU), die künftigen BND-Neubauten sehen.<br />
Zeller regiert in dem Bezirk in einer Art Quasi-Koalition mit<br />
der PDS, die seine Wahl zum Bezirksbürgermeister erst möglich<br />
machte. (Das sind Berliner Realitäten, die sich im Westen mancher<br />
nicht vorzustellen vermag.) Zeller ist im übrigen auch Landesvorsitzender<br />
der Berliner CDU.<br />
CDU und PDS gemeinsam könnten das SPD-Projekt „BND in die<br />
Chausseestraße“ verhindern: Denn in einem Bebauungsplan ist<br />
festgelegt, an der Chausseestraße auf dem Gelände des ehemaligen<br />
Stadions der Weltjugend Wohnbauten zu errichten. Dieser Bebauungsplan<br />
könnte zwar vom Berliner Abgeordnetenhaus geändert<br />
werden. Dafür aber müsste – ohne die Stimmen von CDU und<br />
PDS – dort erst einmal eine Mehrheit gefunden werden … Wt.<br />
<strong>DER</strong> <strong>HAUPTSTADTBRIEF</strong> Nr. 50 Blatt 50 Januar 2004