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Symbole der Hoffnung, Boten der Angst - Deutsches Museum

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Abbildungen: Kraftwerk Union AG; istockphoto; wikipedia<br />

heraus, dass beispielsweise in Län<strong>der</strong>n wie Brasilien, Kenia<br />

o<strong>der</strong> Indien nur 6 Prozent <strong>der</strong> Bevölkerung etwas mit dem<br />

dreiblättrigen Symbol anfangen konnten. Das war beson<strong>der</strong>s<br />

dort fatal, wo sich ärmere Bevölkerungsschichten ihren Lebensunterhalt<br />

mit dem Sammeln von Schrott verdienten. So<br />

starben im Jahr 2000 drei thailändische Arbeiter, nachdem<br />

sie ein illegal in Bangkok deponiertes Kobalt-60-Strahlungsgerät,<br />

das in <strong>der</strong> Krebstherapie zum Einsatz gekommen<br />

war, ausschlachten wollten. Es stellte sich heraus, dass die auf<br />

dem Gerät angebrachten Warnhinweise, einschließlich des<br />

»Trefoils«, nicht erkannt o<strong>der</strong> beachtet worden waren. Das<br />

Ereignis machte als »Unfall von Samut Prakan« Schlagzeilen.<br />

Die internationale Atomenergiebehörde schickte daraufhin<br />

Experten nach Bangkok, die erkannten, dass es für »verwaiste«<br />

Strahlenquellen keine ausreichende Regulierung gegeben<br />

hatte.<br />

Diesen und ähnliche Vorfälle nahmen die Mitgliedstaaten<br />

<strong>der</strong> IAEA im Jahr 2001 zum Anlass, den Entwurf eines neuen<br />

Warnsymbols in Auftrag zu geben. Experten aus verschiedenen<br />

Fachgebieten machten sich darüber Gedanken, wie man<br />

Menschen ohne ausreichende Vorkenntnisse, die zudem häufig<br />

nicht lesen konnten, vor den Gefahren <strong>der</strong> Strahlung warnen<br />

konnte. Das bisherige Symbol war dafür zu abstrakt. Das<br />

bekannte Meinungsforschungsinstitut Gallup führte im Jahr<br />

2004 zusammen mit <strong>der</strong> Internationalen Organisation für<br />

Normung (ISO) eine Untersuchung durch, mit <strong>der</strong> man die<br />

Wirksamkeit eines neuen Symbols testen wollte. Elf Län<strong>der</strong><br />

waren beteiligt: Brasilien, Mexiko, Marokko, Kenia, Saudi-<br />

Arabien, China, Indien, Thailand, Polen, die Ukraine und die<br />

Vereinigten Staaten. Damit war ein breites Spektrum von verschiedenen<br />

Sprachen und Kulturkreisen abgedeckt. Bei den<br />

über 1500 Teilnehmern achtete man auch darauf, dass sie aus<br />

verschiedenen Bevölkerungsschichten stammten und verschiedene<br />

Bildungsgrade aufwiesen. Auch Kin<strong>der</strong> im Vorschulalter<br />

waren miteinbezogen worden. Nach Experimenten<br />

mit verschiedensten Farben und Formen einigte man sich<br />

auf ein rotes Dreieck, in dem das bekannte »Trefoil« mit zusätzlichen<br />

Strahlensymbolen, ein Totenkopf sowie eine laufende<br />

Figur zu sehen waren.<br />

Der Totenkopf hatte sich über die Jahrhun<strong>der</strong>te zu einem<br />

allgegenwärtigen Schreckbild entwickelt, ob nun in <strong>der</strong> Seefahrt,<br />

<strong>der</strong> Industrie o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Populärkultur. Die Kombination<br />

2001 wurde dieses<br />

neue Warnsymbol<br />

entwickelt, das<br />

international<br />

funktionieren soll.<br />

Das schwarz-gelbe Symbol<br />

ist nicht so bekannt, wie<br />

man zunächst angenommen<br />

hatte. In Schwellenlän<strong>der</strong>n<br />

wissen nur sechs Prozent<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung, was das<br />

Zeichen bedeutet.<br />

DER AUTOR<br />

Dr. Michael Schüring<br />

arbeitet am Forschungsinstitut<br />

des Deutschen<br />

<strong>Museum</strong>s zur Geschichte<br />

<strong>der</strong> Anti-Atomkraftbewegung.<br />

Bohrs Modell 39<br />

<strong>der</strong> drei <strong>Symbole</strong> bildete fast so etwas wie eine kleine Geschichte,<br />

kombiniert mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung, sich rasch von<br />

<strong>der</strong> Gefahrenquelle zu entfernen. Die Nuklearindustrie zeigte<br />

sich zunächst wenig begeistert von dem neuen Symbol. Sie<br />

fürchtete einen weiteren Akzeptanzverlust ihrer Technologie.<br />

Allerdings sollte das Warnzeichen nur als Ergänzung des früheren<br />

Symbols dienen und unter normalen Umständen auch<br />

nur dann sichtbar werden, wenn jemand versuchte, das entsprechende<br />

Gerät zu demontieren. Doch zeugt die Neuerung<br />

von <strong>der</strong> zunehmenden Verbreitung radioaktiver Gefahrenquellen<br />

in Bereiche, in denen ein sorgfältiger und informierter<br />

Umgang mit ihnen nicht mehr gewährleistet ist. Im<br />

Bemühen um eine universelle Kommunikation von Gefahren<br />

spiegelt sich die Universalität <strong>der</strong> Gefahr.<br />

Das gilt nicht nur für entfernte Kulturräume, son<strong>der</strong>n<br />

auch für die zeitlich fernen Menschen, für diejenigen, die<br />

auch noch in Tausenden von Jahren die Gefahrenquellen erkennen<br />

müssen. Werden die von <strong>der</strong> Atomenergiebehörde<br />

entworfenen Zeichen dann noch verstanden? Wie soll man<br />

Endlagerstätten, die auch noch in weit entfernter Zukunft<br />

eine Bedrohung darstellen könnten, kennzeichnen? Eine<br />

Möglichkeit bestünde darin, weiterhin nach <strong>Symbole</strong>n zu suchen,<br />

die jenseits kultureller und historischer Grenzen <strong>der</strong><br />

Einzigartigkeit <strong>der</strong> radioaktiven Gefahr gerecht werden. Eine<br />

zuverlässigere Methode wäre aber wohl die sorgfältige Archivierung<br />

und Überlieferung unserer Kenntnisse und Erfahrungen,<br />

auf dass man <strong>der</strong>einst vor den warnenden Botschaften<br />

aus <strong>der</strong> Vergangenheit nicht genauso ratlos steht wie<br />

früher die Philologen vor den Hieroglyphen.<br />

Damit hätte die Ikonografie des Atoms neben <strong>der</strong> globalen<br />

auch eine metahistorische Dimension erhalten. Die Fähigkeit,<br />

so weit in das Innere <strong>der</strong> Materie vorzudringen, schafft<br />

<strong>Symbole</strong> <strong>der</strong> <strong>Hoffnung</strong> und <strong>Boten</strong> <strong>der</strong> <strong>Angst</strong>, die weit über<br />

unseren kulturellen und geschichtlichen Horizont hinausweisen.<br />

Dieser Sachverhalt erlangte am Ende sogar eine kosmische<br />

Dimension: Eine vereinfachte Darstellung <strong>der</strong><br />

Struktur des Wasserstoffatoms wurde auf jener berühmten<br />

Plakette verewigt, die die Sonde »Pioneer 10« über die Grenzen<br />

unseres Sonnensystems hinaus in die Weite des Weltraums<br />

trägt. ❘❙❚

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