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Von Hütekindern und Schwabengängerinnen in Lindau Stadt un–

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4<br />

Bauch derart stark verletzt, dass „ime das Innegewaid aussgangen“ <strong>und</strong> der Junge 24<br />

St<strong>und</strong>en später daran verstarb.<br />

Vom mehrheitlich katholischen Dorf Oberreitnau, heute e<strong>in</strong> <strong>Stadt</strong>teil L<strong>in</strong>daus, berichtet<br />

der 1908 <strong>in</strong> Sibratsgfäll im Bregenzer Wald geborene Otto Kolb, wie er bereits als<br />

schmächtiger Achtjähriger ebenso wie se<strong>in</strong> Bruder Anton nach dem Tode se<strong>in</strong>es Vaters<br />

„weg vom Tisch“ musste, um gegen Lohn „verhausiert“ zu werden. Begleitet von se<strong>in</strong>er<br />

Mutter kam er nach Oberreitnau: „Aber ke<strong>in</strong>er der Bauern auf den Höfen, auf denen sie<br />

um e<strong>in</strong>en Platz vorsprachen, wollte ‚den kle<strong>in</strong>en Krüpl’ (= schmächtiges K<strong>in</strong>d)<br />

beschäftigen. Ausschlaggebend war schließlich e<strong>in</strong>e Probe, die dar<strong>in</strong> bestand, dass Otto<br />

den schweren Milchkarren über e<strong>in</strong>en ansteigenden Weg zur Sennerei <strong>und</strong> wieder zurück<br />

br<strong>in</strong>gen musste. Auf die anschließende ungläubige Frage des Bauern, ob er es denn<br />

wirklich alle<strong>in</strong>e geschafft habe <strong>und</strong> die wahrheitsgemäße Antwort ‚Ja’, wurde er<br />

e<strong>in</strong>gestellt.<br />

E<strong>in</strong>e se<strong>in</strong>er Aufgaben war das morgendliche Anschirren des großen Rosses, verb<strong>und</strong>en<br />

mit dem Anlegen des schweren Kummets. Der Knirps Otto behalf sich dazu mit e<strong>in</strong>em<br />

Melkschemel, von dem aus er dem Pferd das Jochgeschirr so lange über den Kopf warf,<br />

bis es endlich am Hals saß. Den Platz behielt er trotz der strengen Arbeit als ‚gut’ <strong>in</strong><br />

Er<strong>in</strong>nerung, ‚aber schließlich war ich ja nicht zur Sommerfrische da’.“ 7<br />

Im S<strong>in</strong>ne der beg<strong>in</strong>nenden staatlichen Kontrolle der Wanderarbeiter mussten sich bereits<br />

1828 die ausländischen Hütek<strong>in</strong>der bei ihrem Durchzug durch L<strong>in</strong>dauer Gebiet gegen die<br />

Pockenkrankheit impfen lassen. Während des Ersten Weltkrieges<br />

kümmerte sich selbst das Grenzschutzkommando L<strong>in</strong>dau-Reut<strong>in</strong><br />

Der Jugendliche Peter Amann aus Hohenems, welcher im August<br />

1914 <strong>in</strong> Hergatz um Arbeit anfragte. (Geme<strong>in</strong>dearchiv<br />

Niederwangen).<br />

um die passenden E<strong>in</strong>reisepapiere der billigen Lohnarbeitskräfte. Zu<br />

ihnen gehörte beispielsweise auch der Arbeitersohn Peter Amann<br />

aus Hohenems, welcher wenige Tage nach Beg<strong>in</strong>n des Weltkrieges<br />

im August 1914 <strong>in</strong> Hergatz Arbeit suchte.<br />

Für das Jahr 1926 er<strong>in</strong>nert sich der 1913 im vorarlbergischen<br />

Rankweil geborene Fritz Nesensohn daran, wie er bereits <strong>in</strong> der Bahnhofshalle von<br />

L<strong>in</strong>daus Hauptbahnhof zusammen mit r<strong>und</strong> 50 anderen Buben erstmals den<br />

<strong>in</strong>teressierten reicheren Bauern des Umlandes angeboten wurde. 8 Die großen<br />

Hütek<strong>in</strong>dermärkte <strong>in</strong> Friedrichshafen <strong>und</strong> Ravensburg wurden zu jener Zeit bereits nicht<br />

mehr abgehalten.<br />

G<strong>in</strong>g die Arbeitsaison zuende, meldete das L<strong>in</strong>dauer Tagblatt beispielsweise am 4.<br />

November 1893 folgendes. „Die sog. ‚Schwabenk<strong>in</strong>der’ s<strong>in</strong>d wieder auf der<br />

Rückwanderung begriffen, e<strong>in</strong> Beweis, dass des Landmannes Feldarbeiten zu Ende<br />

gehen <strong>und</strong> die Weiden verlassen werden. Letzten Samstag kamen gegen h<strong>und</strong>ert<br />

‚Schwabenk<strong>in</strong>der’ <strong>in</strong> Bregenz an. Nachdem sie im Café ‚Austria’ bewirtet worden, reisten<br />

sie <strong>in</strong> ihre Heimat, das Montafon, weiter.“ © Karl Schweizer<br />

Literatur <strong>und</strong> Fußnoten:<br />

1 Brugger, Christ<strong>in</strong>e/Zimmermann, Stefan/Bauernhaus Museum Wolfegg (Hg.): Die Schwabenk<strong>in</strong>der –<br />

Arbeit <strong>in</strong> der Fremde vom 17. bis 20. Jahrh<strong>und</strong>ert“, Ulm 2012, S. 8 <strong>und</strong> 156; vgl. auch Uhlig, Otto: „Die<br />

Schwabenk<strong>in</strong>der aus Tirol <strong>und</strong> Vorarlberg“, Innsbruck <strong>und</strong> Stuttgart 1978; Bereuter, Elmar: „Die<br />

Schwabenk<strong>in</strong>der – Die Geschichte des Kaspanaze“, München 2005.<br />

2 Vgl. Anm. 1, S. 152.<br />

3 Rühle, Otto: Das proletarische K<strong>in</strong>d – E<strong>in</strong> Monographie“, München 1922, S. 291ff.<br />

4 L<strong>in</strong>dauer Tagblatt vom 13. Januar 1864, S. 45.

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