Die Diagnose von Abhängigkeit
Die Diagnose von Abhängigkeit
Die Diagnose von Abhängigkeit
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Sucht<br />
Begriff<br />
Der "Sucht"-Begriff<br />
Wie erfolgte die erste Medizinarisierung <strong>von</strong> Drogenkonsum?<br />
Trunksucht : Beginn des 20. Jh.:<br />
Wesentliche Merkmale:<br />
Entzugserscheinungen<br />
Massives Trinken wird als Krankheit erklärt<br />
Trunksucht wird zum Modell für Sucht schlechthin<br />
Vorstellungen geprägt durch Elendsalkoholismus<br />
des "Lumpenproletariats"<br />
Persönlichkeitsveränderungen<br />
typisch für unterprivilegierte Schichten<br />
Merkmal <strong>von</strong> "sozial Unfähigen" und<br />
"psychisch Minderwertigen/Defekten"<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Trunksucht beschrieben am Elendsalkoholismus<br />
1893 Kraepelin „Lehrbuch der Psychiatrie“:<br />
„Der chronische Alkoholiker ist durch das allmähliche Schwinden<br />
jener konstanten Motive des Handelns gekennzeichnet, das man<br />
moralischen Halt, als Charakter, zusammenzufassen pflegt. Der<br />
Trinker verliert mehr und mehr die Fähigkeit, nach festen Grundsätzen<br />
zu handeln. Er wird zum Spielball zufälliger äußerer Verlockungen,<br />
der immer unbezwinglicher werdenden Neigung zum<br />
Alkohol. ... Auch wenn er immer wieder einen festen Entschluss<br />
fasst, dem Alkohol, den er als Quelle seines Untergangs erkennt,<br />
zu entsagen, so genügt die erste Gelegenheit, um dem<br />
schwachen Willen zu entsagen.“<br />
Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses 1933:<br />
Sterilisationspflicht bzw. Zwangssterilisation bei <strong>Diagnose</strong> Alkoholismus<br />
Zuweisen der Kategorie „lebensunwertes Leben“ bei Suchtkranken = ca.<br />
50 000 Alkoholiker ermordet<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Der "Sucht"-Begriff<br />
Wie wurde problematisches Trinken in der Nachkriegszeit beschrieben?<br />
Alkoholismus:<br />
Systematisierung der "Alkoholkrankheit" durch Jellinek<br />
zwischen 1952 und 1960<br />
Einteilung des Alkoholismus in:<br />
Trinkformen (Missbrauch, <strong>Abhängigkeit</strong>)<br />
Phasen (linear-progressive Entwicklung)<br />
Alkoholismustypen (Gamma-, Delta-, Epsilon-Alkoholismus)<br />
1968 sozialrechtliche Anerkennung des Alkoholismus als Krankheit<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Abhängigkeit</strong>: Physische, psychische u. soziale Aspekte<br />
Welche Dimensionen hat <strong>Abhängigkeit</strong>?<br />
Physische Aspekte Psychische Aspekte Soziale Aspekte<br />
Entzugserscheinungen<br />
Toleranzentwicklung<br />
Sind eng<br />
miteinander<br />
verflochten!<br />
Intensives<br />
Verlangen<br />
Unfähigkeit zu<br />
Abstinenzperioden<br />
Ein lustbetontes<br />
Objekt, eine<br />
Gewohnheit o. den<br />
Konsum nicht o.<br />
nur schwer u. unter<br />
hohen Kosten<br />
aufgeben können<br />
Gewohnheit erhält<br />
zentralen<br />
Stellenwert<br />
Lebensstil u.<br />
soziale<br />
Beziehungen mit<br />
u. um den Konsum<br />
organisiert<br />
Vernachlässigung<br />
Verlernen anderer<br />
Interessen,<br />
Fähigkeiten,<br />
Beziehungen u.ä.<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Körperliche Symptome <strong>von</strong> <strong>Abhängigkeit</strong><br />
Entzugserscheinungen bei Opiaten:<br />
5-8 Stunden<br />
Tränenfluss, Schweißausbrüche, Sekretion der<br />
Nasenschleimhäute, Gähnen<br />
8-12 Stunden<br />
Frösteln, erweiterte Pupillen<br />
2-3 Tage<br />
Was zeigt körperliche <strong>Abhängigkeit</strong> an?<br />
Ruhelosigkeit, Todesangst, Übelkeit u. Erbrechen, hoher Puls,<br />
Hypertonie, Muskelspasmen an Rücken u. Gliedmaßen, Diarrhö,<br />
Austrocknen<br />
Mit Abstinenz treten bei einigen Personen depressive<br />
Erscheinungen u. psychotische Desintegration auf = keine<br />
Entzugserscheinungen, sondern eher Ausdruck für<br />
Grundstörung, die durch Opiate selbstmedikamentiert wurde.<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Die</strong> Suche nach einem allgemeinen Begriff „<strong>Abhängigkeit</strong>“<br />
Wie versuchte die WHO 1952 Drogenabhängigkeit zu definieren:<br />
"Sucht (drug addiction) ist ein Zustand periodischer oder<br />
chronischer Intoxikation, der durch die wiederholte Einnahme<br />
einer (natürlichen oder synthetischen) Droge hervorgerufen<br />
wird. Ihre Charakteristika sind:<br />
Ein überwältigendes Verlangen oder Bedürfnis (zwanghafter Art),<br />
die Drogenaufnahme fortzusetzen und sich diese mit allen Mitteln<br />
zu verschaffen,<br />
Eine Tendenz zur Dosissteigerung,<br />
Eine psychische und allgemein eine physische <strong>Abhängigkeit</strong> <strong>von</strong><br />
der Drogenwirkung,<br />
Zerstörerische Wirkungen auf das Individuum und die<br />
Gesellschaft."<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Die</strong> Suche nach einem allgemeinen Begriff „<strong>Abhängigkeit</strong>“<br />
Wie definierte man zunächst <strong>Abhängigkeit</strong> allgemein?<br />
Ein intensives Verlangen nach der<br />
Droge, das als bewusstes Motiv<br />
alle Handlungen des Süchtigen<br />
durchzieht (= Craving)<br />
Toleranzentwicklung<br />
Körperliche <strong>Abhängigkeit</strong><br />
Gewöhnung /Habituation =<br />
emotionale oder psychische<br />
Fixierung auf die angenehmen und<br />
euphorischen Wirkungen der<br />
Droge<br />
Fehlende Krankheitseinsicht<br />
Trifft nicht immer<br />
u. überall zu!<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Verdeckte <strong>Abhängigkeit</strong><br />
Wird völlig unbemerkt gelebt, weil:<br />
Droge stets verfügbar<br />
Konsum unproblematisch, z.B. weil legal<br />
Mit keiner unmittelbaren Verhaltensstörungen einhergehend<br />
Substitution<br />
Kann man mit <strong>Abhängigkeit</strong> unbemerkt leben?<br />
<strong>Abhängigkeit</strong> wird deutlich bei:<br />
Versuch, Konsum einzustellen<br />
Knappheit in der Versorgung<br />
Essen<br />
Medikamente<br />
Rauchen<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Die</strong> Suche nach einem allgemeinen Begriff „<strong>Abhängigkeit</strong>“<br />
Wie versuchte die WHO 1964 „<strong>Abhängigkeit</strong>“allgemein zu fassen?<br />
"Drogenabhängigkeit ist ein Zustand, der sich aus der<br />
wiederholten Einnahme einer (natürlichen oder<br />
synthetischen) Droge ergibt, wobei die Einnahme periodisch<br />
oder kontinuierlich erfolgen kann. Ihre Charakteristika<br />
variieren in <strong>Abhängigkeit</strong> <strong>von</strong> der benutzten Droge..."<br />
Unterscheidung in diverse <strong>Abhängigkeit</strong>stypen:<br />
Opioid-, Cannabinoid-, Sedativ- o. Hypnotika-, Alkohol-,<br />
Kokain-, Sonstige Stimulanzien incl. Koffein, Halluzinogen-.<br />
Tabak-, flüchtige Lösungsmittel-Typus<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
"Sucht„ /„<strong>Abhängigkeit</strong>“ im alltäglichen Denken<br />
Welche Vorstellungen existieren in der Bevölkerung dazu<br />
Wunderlichkeit<br />
Marotte<br />
Verlangen<br />
Trieb<br />
Hang<br />
Vorliebe<br />
Leidenschaft<br />
Neigung<br />
Hingabe<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Das Problem mit der <strong>Diagnose</strong> „<strong>Abhängigkeit</strong>“<br />
Warum ist bei der <strong>Diagnose</strong> <strong>von</strong> <strong>Abhängigkeit</strong><br />
besondere Vorsicht geboten?<br />
<strong>Abhängigkeit</strong> ist verbunden mit:<br />
Vielen Zuschreibungen in bezug auf<br />
Charaktereigenschaften<br />
Lebenslangen Konsequenzen in<br />
bezug auf den Umgang mit Drogen<br />
Vielen Möglichkeiten für sozialen<br />
Ausschluss u. Verachtung<br />
Wenig Möglichkeiten, sich gegen<br />
Vorurteile wehren zu können<br />
<strong>Abhängigkeit</strong> gehört heute noch zu den<br />
schwerwiegendsten Stigmata, die<br />
unsere Gesellschaft kennt!<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Diagnose</strong> „<strong>Abhängigkeit</strong>“: Ein Stigma<br />
Welche pauschalen Urteile lassen sich für Abhängige finden?<br />
Gölz 1998 "Typische Verhaltensstile Abhängiger":<br />
"Verlagerung der Verantwortung für das eigene Handeln<br />
auf andere<br />
Regellosigkeit, Unpünktlichkeit, Versäumen <strong>von</strong> Terminen<br />
Ausweichen vor Kontakten<br />
Neigung zu Manipulation<br />
Ausweichen vor Auseinandersetzen durch schnelle Lügen<br />
leichte Verführbarkeit zu kriminellen Handlungen<br />
Ausweichen vor unangenehmen Sachverhalten<br />
Ambivalenz."<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Das Problem mit der <strong>Diagnose</strong> „<strong>Abhängigkeit</strong>“<br />
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Sozialarbeit?<br />
Mit der <strong>Diagnose</strong>stellung „<strong>Abhängigkeit</strong>“ ist sehr<br />
sorgsam umzugehen – sie hat oft lebenslange<br />
Bedeutung für den Betroffenen und ist mit vielen<br />
Einschränkungen verbunden = Sorgfaltspflicht.<br />
Vorschnelle Urteile über unangepassten<br />
Drogenkonsum auf der Grundlage eigener Gefühle<br />
und Befindlichkeiten sind zu vermeiden = Pflicht zur<br />
Reflexion.<br />
Bei der <strong>Diagnose</strong>stellung hat sich jeder streng an<br />
den vorgegebenen <strong>Diagnose</strong>standards zu orientieren<br />
= Pflicht zur Objektivität.<br />
Vor der Übernahme einer <strong>Diagnose</strong> <strong>von</strong> anderen<br />
Kollegen ist die Grundlage zu prüfen, auf der dieses<br />
Urteil gefällt wurde = Prüfpflicht.<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Diagnostik: Substanzspezifische Störungen u. <strong>Abhängigkeit</strong><br />
Welche Klassifikationssysteme definieren <strong>Abhängigkeit</strong>?<br />
ICD 10 = Internationale Klassifikation der Krankheiten<br />
(= 10. Revision)<br />
DSM IV = Diagnostisches u. Statistisches Manual Psychischer<br />
Störungen<br />
International erfolgt ein<br />
Abrücken vom allgemeinen<br />
Suchtbegriff, der historisch<br />
zu vielschichtig besetzt ist<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Der psychiatrische „<strong>Abhängigkeit</strong>s"-Begriff<br />
Wie wird <strong>Abhängigkeit</strong> durch den DSM IV definiert? (I)<br />
DSM-IV (<strong>Diagnose</strong>kriterien der Amerikanischen Psychiatrischen Organisation):<br />
1. Toleranzentwicklung definiert durch<br />
– Verlangen nach ausgeprägter Dosissteigerung für<br />
gewünschten Effekt<br />
– Deutlich verminderter Effekt bei fortgesetzter<br />
Einnahme derselben Dosis<br />
2. Entzugssymptome, die sich äußern<br />
- Charakteristische Symptome der jeweiligen Substanz<br />
- <strong>Die</strong>selbe Substanz wird eingenommen, um<br />
Entzugssymptome zu lindern<br />
3. Substanz wir häufig in größeren Mengen o. länger als<br />
beabsichtigt genommen<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Der psychiatrische Begriff „<strong>Abhängigkeit</strong>"<br />
Wie wird <strong>Abhängigkeit</strong> durch den DSM IV definiert? (II)<br />
DSM-IV (<strong>Diagnose</strong>kriterien der Amerikanischen Psychiatrischen Organisation):<br />
4. Anhaltender Wunsch o. erfolglose Versuche,<br />
den Substanzkonsum zu verringern o. zu<br />
kontrollieren<br />
5. Viel Zeit für Aktivitäten, um Substanz zu<br />
beschaffen, zu konsumieren u. sich <strong>von</strong> der<br />
Wirkung zu erholen<br />
6. Wichtige soziale, berufliche o.<br />
Freizeitaktivitäten werden aufgegeben o.<br />
eingeschränkt<br />
7. Fortgesetzter Substanzkonsum trotz Kenntnis<br />
eines anhaltenden o. wiederkehrenden<br />
körperlichen o. psychischen Problems<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Der psychiatrische Begriff „<strong>Abhängigkeit</strong>"<br />
Wie werden diese Kriterien gehandhabt?<br />
DSM-IV (<strong>Diagnose</strong>kriterien der Amerikanischen Psychiatrischen Organisation):<br />
Um die Vielfalt der Phänomenologie <strong>von</strong> <strong>Abhängigkeit</strong><br />
beschreiben zu können, bleibt offen, welche Symptome<br />
jeweils obligatorisch u. welche fakultativ sind:<br />
„Einige Symptome der Störung<br />
bestehen seit mindestens einem Monat<br />
oder sind über eine längere Zeit hinweg<br />
wiederholt aufgetreten.“<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Der psychiatrische Begriff „<strong>Abhängigkeit</strong>"<br />
Wie sehen Schweregrade <strong>von</strong> <strong>Abhängigkeit</strong> aus?<br />
DSM-IV (<strong>Diagnose</strong>kriterien der Amerikanischen Psychiatrischen Organisation):<br />
Leicht: wenn überhaupt, dann nur wenige Symptome<br />
zusätzlich zu denen, die erforderlich sind, um die <strong>Diagnose</strong> zu<br />
stellen; Symptome führen lediglich zu leichter<br />
Beeinträchtigung in Beruf, Sozialen u. Beziehungen.<br />
Mittel: Symptome oder funktionelle Beeinträchtigung<br />
zwischen „leichter“ u. „schwerer“ Ausprägung.<br />
Schwer: Viele Symptome zusätzlich, wobei diese Beruf,<br />
soziale Aktivität u. Beziehungen deutlich beeinträchtigen<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
Der medizinische Begriff „<strong>Abhängigkeit</strong>“<br />
Wie sieht das <strong>Abhängigkeit</strong>ssyndrom nach ICD-10 aus?<br />
Verminderte Kontrollfähigkeit (! nicht Verlust) bezüglich des Beginns,<br />
der Beendigung u. der Menge des Konsums<br />
Nachweis einer Toleranz durch zunehmend höhere Dosen<br />
Körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung o. Reduktion des<br />
Konsums<br />
Fortschreitende Vernachlässigung anderer Lebenstätigkeiten und<br />
Interessen<br />
Eingeengte Verhaltensmuster im Umgang mit psychotrophen<br />
Substanzen<br />
Starker Wunsch oder eine Art (!) Zwang, den Konsum trotz eindeutiger<br />
schädlicher Folgen unter allen Umständen fortzusetzen<br />
Mindestens drei Merkmale müssen im<br />
letzten Jahr vorhanden gewesen sein!<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Die</strong> <strong>Diagnose</strong> <strong>von</strong> „<strong>Abhängigkeit</strong>„<br />
Wenn man beide Inventare zur Diagnostik „<strong>Abhängigkeit</strong>“ vergleicht?<br />
<strong>Die</strong> derzeitigen diagnostischen Inventare (DSM<br />
u. ICD-10):<br />
1. Kennzeichnen das Bemühungen, das<br />
diagnostische Herangehen zu<br />
vereinheitlichen = Vergleichbarkeit<br />
herstellen<br />
2. Sind darum bemüht, das diagnostische<br />
Herangehen zu objektivieren = Willkür zu<br />
beenden<br />
3. Sind miteinander kompatibel (allerdings<br />
wird über DSM schneller diagnostiziert)<br />
4. Erfassen in vielen Dimensionen<br />
soziokulturelle Urteile<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Die</strong> <strong>Diagnose</strong> <strong>von</strong> „<strong>Abhängigkeit</strong>„<br />
Welche Kritikpunkte gibt es zu den <strong>Diagnose</strong>methoden<br />
<strong>von</strong> „<strong>Abhängigkeit</strong>“<br />
Sie bieten nach wie vor sehr viel subjektiven Spielraum:<br />
d.h. sie sind auch weiterhin sehr abhängig <strong>von</strong>:<br />
o individuellen Urteilen des Behandlers<br />
o dem kulturellem Hintergrund der Gesellschaft<br />
Insofern unterscheiden sie sich <strong>von</strong> klassischen<br />
<strong>Diagnose</strong>n somatischer Erkrankungen!<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Abhängigkeit</strong>: Anforderungen an einen Begriff (I)<br />
Was ist bei „ <strong>Abhängigkeit</strong>“ zu beachten?<br />
Verfestigung eines Handlungsmusters hervorheben =<br />
regelmäßige/sich wiederholende Aspekte der Lebenspraxis<br />
(Einbindung in andere Lebensbereiche beachten)<br />
Keine "verdinglichte" Eigenschaft der Person, sondern ein<br />
Beziehungsphänomen<br />
Phänomen = bei Aufeinandertreffen <strong>von</strong> mentalen<br />
Strukturen/Dispositionen und äußeren Strukturen/Anforderungen<br />
entsteht „abhängiges Handlungsmuster"<br />
<strong>Abhängigkeit</strong> nur in der Praxis beobachtbar (in Handlungen,<br />
Beziehungen), nicht an einzelnen objektivierbaren Merkmalen<br />
Stereotypbildung im Realitätsbezug =<br />
Generalisierung/ständige Wiederholung eines Handlungsmusters<br />
und Einschränkung der normalerweise ausgebildeten Flexibilität<br />
an verfügbaren Mustern<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Abhängigkeit</strong>: Anforderungen an einen Begriff (II)<br />
Was ist bei „ <strong>Abhängigkeit</strong>“ zu beachten?<br />
Verlassen kulturell üblicher Entfaltungsmuster, d.h. „abhängigsein"=<br />
Entwicklung individueller und kollektiver Probleme wird<br />
zentral, werden zu Behinderungen<br />
Kein überhistorisches und überstrukturelles Phänomen,<br />
sondern unterschiedlich in Kulturen, Milieus, Gruppen,<br />
Generationen<br />
Aneignungsversuch <strong>von</strong> Realität = ist für Konsument funktional,<br />
hat aber nicht gewollte Sekundäreffekte<br />
Verminderte Kontrollfähigkeit = Einschränkungen der<br />
willentlichen Steuerung, deshalb notwendig Unbewusstes<br />
reflektieren, dem Bewusstsein zugänglich werden lassen und<br />
praktische Logik des Verhaltens erfassen<br />
Interaktions- bzw. Beziehungskonflikt = Schwierigkeiten in der<br />
Adaption zwischen Akteur und näherem und weiterem Umfeld<br />
Wahrnehmung als Symptom eines Konflikts, nicht als<br />
Defizit/Eigenschaft des Individuums<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Abhängigkeit</strong>: Heilung oder Bewältigung?<br />
Wenn man Menschen mechanistisch betrachtet?<br />
Objekt, Ursache Effekt, Wirkung<br />
Wenn man Menschen systemisch betrachtet?<br />
Ursache<br />
Stimulus<br />
Verarbeitung<br />
Bewertung<br />
Wirkung<br />
Reaktion<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc
Sucht<br />
Begriff<br />
<strong>Abhängigkeit</strong>: Behandlung versus Bewältigung<br />
Nur das, was der einzelne an<br />
sich selbst als nicht gesund<br />
und änderungsbedürftig<br />
begreift, ist einer Behandlung<br />
zugänglich.<br />
Richtigerweise muss deshalb<br />
<strong>von</strong> Bewältigung, nicht <strong>von</strong><br />
Behandlung oder Heilung<br />
gesprochen werden.<br />
Prof. Dr. Gundula Barsc