Ausarbeitung - FH Wedel
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Seminar<br />
Verkehrsinformatik<br />
Simulation von<br />
Panikverhalten in Gebäuden<br />
Fachhochschule <strong>Wedel</strong><br />
Master of Computer Science<br />
Sommersemester 2006<br />
Prof. Dr. Sebastian Iwanowski<br />
Feldstraße 143<br />
22880 <strong>Wedel</strong><br />
Jörg Meister<br />
ms8295@fh-wedel.de<br />
2. Semester<br />
Hamburg, den 03. Juli 2006
Inhaltsverzeichnis<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
1 Einleitung ..................................................................................................................03<br />
2 Selbstorganisationsphänomene in Fußgängermengen ................................................04<br />
.1 Individuelle Verhaltenstendenzen in normalen Situationen ...........................05<br />
.1.1 Routenwahl und Orientierung ...........................................................05<br />
.1. Fortbewegungsgeschwindigkeit ..........................................................06<br />
.1.3 Abstands- und Platzbedarf ................................................................06<br />
. Kollektive Bewegungsmuster in normalen Situationen ..................................07<br />
. .1 Segregation ........................................................................................07<br />
. . Oszillation an Engstellen ...................................................................08<br />
.3 Individuelle Verhaltenstendenzen in Paniksituationen ..................................09<br />
.4 Kollektive Bewegungsmuster in Paniksituationen .........................................10<br />
3 Modellierungsansätze ................................................................................................11<br />
3.1 Makroskopische Modelle ................................................................................11<br />
3. Mikroskopische Modelle .................................................................................1<br />
3. .1 Kontinuierliche Modelle .....................................................................1<br />
3. . Diskrete Modelle ................................................................................14<br />
3.3 Fundamentaldiagramme ................................................................................15<br />
4 Modellkonzeption auf Basis zellularer Automaten ....................................................16<br />
4.1 Gitterstrukturen ............................................................................................16<br />
4.1.1 Darstellung von Fußgängern ..............................................................16<br />
4.1. Darstellung von Wänden und Hindernissen .......................................17<br />
4.1.3 Fazit zu Gitterstrukturen ..................................................................17<br />
4.1.4 Mapping ............................................................................................18<br />
4. Nachbarschaften ............................................................................................19<br />
4. .1 VON NEUMANN ................................................................................19<br />
4. . MOORE ............................................................................................. 0<br />
4. .3 Fazit zu Nachbarschaften .................................................................. 1<br />
4.3 Zustände ........................................................................................................ 1<br />
4.4 Regeln ............................................................................................................ 1<br />
5 Konklusion .................................................................................................................25<br />
Abbildungsverzeichnis ................................................................................................... 6<br />
Literaturverzeichnis ...................................................................................................... 7
Panikverhalten in Gebäuden<br />
1 Einleitung<br />
Der vorliegende Seminarbeitrag ist im Rahmen der Vorbereitung zu einer Master Thesis<br />
entstanden und soll einen einführenden Überblick über das Gebiet der Simulation von<br />
Fußgängern in Evakuierungssituationen geben.<br />
Das Verhalten von Menschenmengen folgt bestimmten Gesetzmäßigkeiten, die sich v.a. in<br />
Massenpaniken tragisch auswirken können. Mit steigender Zahl an Großveranstaltungen –<br />
seien es Rock-Konzerte, Sportevents, Demonstrationen o.ä. – steigt auch die Gefahr von<br />
unkontrollierbaren Reaktionen durch die Masse und die Vergangenheit hat gezeigt, wie<br />
fatal die Auswirkungen sein können. In der heutigen Zeit und nach den Erlebnissen des<br />
11. September 001 mag der ein oder andere denken, dass v.a. terroristische Anschläge<br />
Grund für solch tragische Ereignisse seien. Und ganz verkehrt ist diese Annahme sicherlich<br />
nicht, denn große Menschenmassen sind „generell ein attraktives Ziel von Terroristen (...):<br />
Die potentielle Anzahl der Opfer ist groß, die Aufmerksamkeit durch die Weltöffentlichkeit<br />
garantiert, die Sicherheitsvorkehrungen oft gering, und die Chance, unerkannt zu bleiben,<br />
gegeben.“ [8, S.6] Dabei ist jedoch oftmals nicht die Explosion, das Feuer oder das Giftgas<br />
selbst Grund für die hohen Opferzahlen, sondern die daraus resultierende Massenpanik.<br />
Aber die Realität ist noch grausamer: Wo das zuvor beschriebene Szenario das<br />
Unverständliche verständlich erscheinen lässt, ist in dem Moment jegliche Nachvoll-<br />
ziehbarkeit verloren, da sich Fans in einem Stadion niedertrampeln, um die besten Plätze zu<br />
ergattern – so geschehen 1998 in Harare, Zimbabwe. Oder wenn Tausende in eine U-Bahn-<br />
Station drängen, nur um dem Regen zu entfliehen und dabei über fünfzig Menschen ihr<br />
Leben lassen – wie 1999 in Minsk, Weißrussland. Lange Listen mit Tragödien [10] zeugen<br />
davon, dass nicht nur lebensbedrohliche Situationen Paniken auslösen können, sondern diese<br />
häufig vollkommen überraschend und unerwartet schon aus kleinsten Impulsen heraus<br />
entstehen. [9] Wenngleich ehrlicherweise gesagt werden muss, dass es auch andere Meinungen<br />
zum Thema Panik gibt, wie der Artikel von [3] exemplarisch belegt, indem es heißt: „After<br />
five decades studying scores of disasters such as floods, earthquakes and tornadoes, one of<br />
the strongest findings is that people rarely lose control.“ Die Bilder aber, die wir bspw. vom<br />
Europapokal-Endspiel zwischen Juventus Turin und dem FC Liverpool, 1985 im Heysel-<br />
Stadion, in Erinnerung haben, sprechen eine andere Sprache. Damals stürmten englische<br />
Hooligans einen mit Italienern besetzten Block und lösten dadurch eine Massenpanik aus,<br />
in deren Folge zahlreiche Menschen den Tod fanden, weil sie von anderen niedergetrampelt<br />
oder an Wänden und Zäunen zerquetscht wurden.<br />
Simulationen können eine unterstützende Funktion bei der Analyse und darauf<br />
aufbauenden Gefahrenabwehr einnehmen: Durch vorausschauende Gebäudeplanung können<br />
von vornherein Engpässe im Fußgängerfluß vermieden werden.<br />
3
1 Einleitung<br />
Das Gebiet der Erforschung der Dynamiken in Fußgängermengen ist seit vielen Jahrzehnten<br />
im Fokus ganz unterschiedlicher Fachrichtungen der Wissenschaften: Angefangen bei der<br />
Soziologie und Psychologie, die sich mit dem Verhalten von Personen auseinandersetzen, über<br />
die Physik, Mathematik und Informatik, welche versuchen, die gewonnenen Erkenntnisse in<br />
entsprechende Modelle zur Simulation umzusetzen, bis hin zur Virtual Reality-Szene, der<br />
Spiele- und Filmindustrie, welche die Ergebnisse nutzt, um realistisches Gruppenverhalten<br />
zu imitieren, oder der Architektur, für ein verbessertes Gebäudedesign.<br />
Aufgrund des begrenzt zur Verfügung stehenden Raumes muss sich diese Arbeit jedoch<br />
auf manche wenige Ausschnitte aus diesem breiten Repertoire beschränken. Angefangen<br />
bei einigen grundlegenden Charakteristika, die das Verhalten von Fußgängern ausmachen,<br />
werden daraus resultierende Bewegungsmuster in Menschenmengen vorgestellt. Im dritten<br />
Kapitel dann wird eine stark vereinfachte Einteilung bisheriger Modellierungsansätze<br />
vorgestellt, bevor im vierten Kapitel einer dieser Ansätze vertiefend aufgegriffen und einige<br />
Modellierungsdetails erläutert werden. Das fünfte und letzte Kapitel schlussendlich wird ein<br />
Fazit der in dieser <strong>Ausarbeitung</strong> vorgestellten Fakten liefern und einen Ausblick auf die noch<br />
ausstehende Master Thesis geben.<br />
2 Selbstorganisationsphänomene in Fußgängermengen<br />
Bevor wir uns der Frage widmen, wie das Verhalten von Fußgängern nachempfunden<br />
werden kann, müssen wir uns zunächst dem wieso zuwenden: Wieso nämlich ist es überhaupt<br />
möglich, das Verhalten von Fußgängermengen zu simulieren? Eben weil sich, trotz der<br />
manchmal chaotisch anmutenden Erscheinungen, gewisse Regelmäßigkeiten erkennen<br />
lassen. In [8-10] werden zahlreiche Bewegungsmuster beschrieben, auch Selbstorganisations-<br />
phänomene genannt, teilweise beobachtet während empirischer Untersuchungen und<br />
Videoauswertungen. „Self-organization means that these patterns are not externally planned,<br />
prescribed, or organized, e.g., by traffic signs, laws, or behavioral conventions. Instead, the<br />
spatiotemporal patterns emerge due to the non-linear interactions of pedestrians. These<br />
interactions are more reactive and subconscious than based on strategical considerations or<br />
communications (...).“ [9, p.4]<br />
Wieso aber kommt es zu diesen wiederkehrenden Mustern, wo doch der Einzelne<br />
individuelle Präferenzen, Absichten und Ziele hat? Nun, es gibt gewisse Verhaltensweisen,<br />
zu denen jeder unbewusst tendiert und die nahezu automatisch ausgeführt werden, so wie<br />
ein geübter Autofahrer auch nicht überlegen muss, wenn er blinkt, abbiegt oder schaltet.<br />
Diese Tendenzen und Muster zu erfassen und zu verstehen, ist ein erster Schritt, um das<br />
Flussverhalten großer Personenzahlen zu optimieren und Gefahrenpotentiale frühzeitig zu<br />
erkennen.<br />
4
Panikverhalten in Gebäuden<br />
Üblicherweise wird zwischen normalem und Panikverhalten unterschieden: „Mit wenigen<br />
Ausnahmen wird Panikverhalten in Fällen knapper und schwindender Ressourcen beobachtet,<br />
die entweder überlebensnotwendig oder extrem begehrt sind. Man unterscheidet in der<br />
Regel zwischen panischer Flucht (Massenpanik, Bank- oder Börsenpanik) oder Besitzgier<br />
(Spekulationswahn, ‚Versessenheit‘), aber in manchen Fällen ist diese Einteilung fraglich.<br />
Es wird oft behauptet, dass panische Menschen von ihren kurzfristigen Interessen besessen<br />
sind und soziale oder kulturelle Normen völlig missachten.“ [8, S.5] Dabei spielen sowohl<br />
psychologische (Herdentrieb), als auch physiologische Prozesse eine Rolle. Denn während<br />
in normalen Situationen die Großhirnrinde das Handeln bestimmt, finden Alarmsignale in<br />
Paniksituationen den direkten Weg ins Stammhirn – die Angst übermannt einen, soll kampf-<br />
oder fluchtbereit machen. [8,10,19] Es „wird Adrenalin ausgeschüttet, das Herz schlägt<br />
schneller, der Blutdruck steigt, und es entsteht der sog. Tunnelblick, der eine Fokussierung<br />
auf das Überlebenswichtige garantieren soll und zu instinktiven statt überdachten Reaktionen<br />
führt.“ [8, S.5]<br />
2.1 Individuelle Verhaltenstendenzen in normalen Situationen<br />
Die nun folgenden Ausführungen zur Routenwahl und dem Gruppenverhalten von<br />
Fußgängern, sind an [6] angelehnt, während die empirischen Daten, zur Fortbewegungs-<br />
geschwindigkeit und zum Abstand, [21] entstammen.<br />
2.1.1 Routenwahl und Orientierung<br />
Der Weg eines Fußgängers kann als Polygonzug angenähert werden, in welchem die<br />
Knoten Wegmarken repräsentieren. Dabei haben Fußgänger eine natürliche Aversion gegen<br />
Umwege und suchen deshalb in der Regel den kürzesten Weg zu ihrem Ziel. Stehen zwei<br />
Wege gleicher Länge zur Auswahl, so wird jener bevorzugt, der am längsten geradeaus führt.<br />
Es kann aber durchaus auch einmal ein längerer Weg bevorzugt werden, wenn dieser andere<br />
Vorteile zu bieten hat. So ist die Beschaffenheit/Begehbarkeit des Bodens ein ebenfalls nicht<br />
zu vernachlässigender Faktor. Auch gibt es bei Fußgängern die Tendenz, vorangelegten<br />
Wegen zu folgen. Überschreiten die dadurch entstehenden Umwege jedoch eine gewisse<br />
Toleranzstufe, bahnen sich Fußgänger kurzerhand neue Wege, was sich in Parks und auf<br />
Campussen immer wieder über die Ausbildung von Trampelpfaden beobachten lässt [13].<br />
5
.1 Individuelle Verhaltenstendenzen in normalen Situationen<br />
2.1.2 Fortbewegungsgeschwindigkeit<br />
Fußgänger bewegen sich mit einer ihnen angenehmen Geschwindigkeit fort, auch<br />
Wunschgeschwindigkeit genannt. Das entspricht in etwa der Geschwindigkeit, bei welcher der<br />
Energieverbrauch pro km minimal ist. Sie wird bestimmt von intrinsischen Gegebenheiten<br />
des Fußgängers wie Alter, Geschlecht und Größe, seinem Gesundheitszustand oder seiner<br />
Stimmungslage. Aufgrund extrinsischer Faktoren kann die Wunschgeschwindigkeit häufig<br />
nicht erreicht werden. Mögliche Gründe können sein:<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Zu hohe Verkehrsdichten,<br />
ungünstige Beschaffenheit des Bodens,<br />
Tageszeit, Witterung oder Länge des Weges.<br />
In Fußgängermengen sind die Gehgeschwindigkeiten normalverteilt um den Mittelwert<br />
1,34 m/s (4,83 km/h), mit einer Standardabweichung von 0,26 m/s. Die Geschwindigkeiten<br />
von Männern (1,41 m/s) liegen dabei um 10,9 % höher als die der Frauen (1,27 m/s).<br />
Da, bezogen auf das Körpergewicht, der Energieaufwand für alle Menschen annähernd<br />
gleich ist, lässt sich eine ideale Gehgeschwindigkeit bestimmen, bei welcher der Energie-<br />
verbrauch im Mittel minimal wäre: Sie liegt bei 1,39 m/s (5 km/h).<br />
Auf Treppen wird eine mittlere Horizontalgeschwindigkeit v h = 0,65 m/s und eine mittlere<br />
Vertikalgeschwindigkeit von v v = 0,36 m/s erreicht, das entspricht ,103 Schritten/s. Beim<br />
Aufwärtsgehen liegt die Geschwindigkeit um 6,5 % unter dem Mittel, beim Abwärtsgehen um<br />
6,5 % darüber. Allgemein kann gesagt werden, dass im Bereich einer Treppe, verglichen mit<br />
der Ebene, eine Verlangsamung um etwa 51 % eintritt, d.h. es kann mit einer Halbierung der<br />
Horizontalgeschwindigkeit gerechnet werden.<br />
2.1.3 Abstands- und Platzbedarf<br />
Fußgänger halten, solange dies möglich ist, Abstand zueinander, zu Wänden und Objekten<br />
(Territorialeffekt). Es kann dabei zwischen dem statischen und dynamischen Platzbedarf<br />
unterschieden werden. Der statische Platzbedarf bezieht sich auf den ruhenden Körper,<br />
während der dynamische den Raumbedarf in der Bewegung beschreibt.<br />
Die Projektion eines stehenden Körperumrisses beträgt im Mittel 0,15 m²/P, woraus<br />
eine maximale Dichte von 6,6 P/m² resultiert. Solche Dichten sind allerdings äußerst selten,<br />
schon bei einer Dichte von 3,0 P/m² lassen sich Körperkontakte nicht länger vermeiden.<br />
Der dynamische Platzbedarf ist wesentlich größer als der statische, weil die Pendel-<br />
bewegung der Beine, sowie ein Sicherheitsabstand – bspw. für ein plötzliches Abbremsen des<br />
Vordermanns – berücksichtigt werden müssen.<br />
6
Panikverhalten in Gebäuden<br />
0,71 m<br />
0,63 m<br />
Abb. 2-1, Platzbedarf eines Fußgängers: Der<br />
Platzbedarf in Bewegungsrichtung ist größer durch die<br />
Pendelbewegung der Beine (nach [15, S.12]).<br />
In Querrichtung kommt es zu Schwankungen im Gang des Fußgängers, woraus eine<br />
Bewegungsspur entsteht. Hierfür wird für die Ebene eine Breite von 0,71 m angegeben, auf<br />
Treppen sind diese Bewegungen kanalisiert, hier reichen 0,6 m.<br />
In Längsrichtung wächst mit der Geschwindigkeit auch der Platzbedarf. Als durch-<br />
schnittliche Schrittlänge werden 0,63 m angegeben.<br />
2.2 Kollektive Bewegungsmuster in normalen Situationen<br />
Durch die zuvor beschriebenen individuellen Verhaltenstendenzen ergeben sich im<br />
Zusammenspiel vieler Fußgänger Bewegungsmuster. Im Folgenden werden zwei Beispiele für<br />
normale Situationen angegeben.<br />
2.2.1 Segregation<br />
Das Verhalten der Bahnbildung kann sowohl innerhalb von Gebäuden als auch auf der<br />
Straße beobachtet werden. Es besteht darin, dass Fußgänger mit entgegengesetzten Lauf-<br />
richtungen normalerweise nicht gleichverteilt über den Gehweg/Korridor sind, sondern sich<br />
in Bahnen gleicher Laufrichtung auftrennen. Das Interessante dabei ist, dass dieses Verhalten<br />
nicht etwa aus der Intention der Beteiligten entsteht, ein solches Verhalten zu zeigen, oder<br />
weil sie sich vielleicht untereinander absprechen würden. Es entsteht vielmehr automatisch.<br />
Wie viele Bahnen es gibt, hängt dabei von Breite und Länge des Gehwegs/Korridors ab. [9]<br />
Dabei lässt sich eine fluktuationsinduzierte Ordnung feststellen: Mit steigender Fluktuation<br />
kommt es zu einer deutlichen Segregation, also einer geringeren Anzahl an Bahnen [10].<br />
Resultat der Segregation ist die Minimierung der Zahl der Interaktionen (Brems-/<br />
Ausweichmanöver) mit entgegenkommenden Fußgängern, wodurch die mittlere<br />
Durchschnittsgeschwindigkeit – global betrachtet – steigt. [9]<br />
7
. Kollektive Bewegungsmuster in normalen Situationen<br />
Abb. 2-2, Segregationseffekte: In Fußgängerzonen läßt sich die Ausbildung von Bahnen<br />
beobachten (links). Eine Stabilisierung dieser Bahnen kann durch Säulen oder andere<br />
Hindernisse erreicht werden (rechts) (aus [7, p.2]).<br />
In Fällen großer Dichte und/oder besonders nervöser Fußgänger können Bahnen aufgrund<br />
missratener Überholmanöver auseinanderbrechen: Ungeduldige scheren aus dem Strom aus<br />
und versuchen, vor ihnen Laufende zu überholen. Wenn diese Manöver am Rande einer<br />
Bahn passieren, stehen sich die unterschiedlichen Laufrichtungen gegenüber und behindern<br />
einander. Säulen oder Bäume können hier eine stabilisierende Funktion übernehmen: Sie<br />
wirken wie Wände und senken die Attraktivität von Überholmanövern. Gleichzeitig bieten<br />
sie aber, gesetzt den Fall, dass die Gegenrichtung weniger frequentiert ist, die Möglichkeit,<br />
auch diese mitzubenutzen. [10] „In central Europe, pedestrians have a slight tendency to<br />
walk on the right-hand side. Although cars drive on the left-hand side in Great Britain,<br />
pedestrians in London tend to stay on the right-hand side as well. In Japan, the left-hand<br />
side is preferred (...).“ [9, p.6]<br />
2.2.2 Oszillation an Engstellen<br />
Verengungen stellen ein besonderes Problem im Gebäudebau dar, weil sie bei starker<br />
Frequentierung zu Oszillationseffekten führen. Dabei zeigt sich stets eine Laufrichtung als<br />
dominant, während die Fußgänger der anderen warten müssen. Da es – wie bei der Bildung<br />
von Bahnen bereits zu sehen war – einfacher ist, mit, als entgegen einem Strom zu laufen,<br />
passieren gleich mehrere Personen die Engstelle. Bei den Wartenden baut sich eine Ungeduld,<br />
ein Druck, auf, während er auf der anderen Seite immer geringer wird. Ist die Differenz groß<br />
genug, kippt die Flußrichtung. [9]<br />
Die Oszillationsdauer steigt mit der Länge einer Engstelle, und aufgrund der schweren<br />
Einsehbarkeit auch die Gefahr unbedachter Vorstöße, die bei einem Scheitern – ähnlich wie<br />
die Überholmanöver bei der Bahnbildung – zum Stillstand führen können. Diese Situation ist<br />
besonders gefährlich, weil es zu einer Kompression der Menge kommt, in der sich gefährliche<br />
Drücke aufbauen können. [9]<br />
8
Panikverhalten in Gebäuden<br />
Abb. 2-3, Oszillation an Engstellen und Warteschlangeneffekt: Treffen an einer Engstelle<br />
Fußgänger unterschiedlicher Laufrichtung aufeinander, kommt es auf einer Seite zu einer<br />
Aufstauung (links). Getrieben vom Zeitdruck, werden von den Wartenden immer wieder<br />
vereinzelte Vorstöße unternommen, um die Flußrichtung zu kippen. Bei längeren, schlecht<br />
einsehbaren Verengungen ist die Gefahr von unüberdachten Vorstößen besonders groß. Es<br />
kann dann gar zum Stillstand der Menge kommen, wenn sich die entgegengesetzten Ströme<br />
plötzlich in der Verengung gegenüberstehen. Hier entstehen mitunter enorme Drücke, die<br />
durch das als Warteschlangeneffekt bekannte Phänomen des Aufrückens der Hintermänner<br />
begründet ist (rechts) (nach [10, p.14] und [5, p.7]).<br />
Wie kommt es zur Kompression der Menge? Ein wartender Fußgänger wird durch zwei<br />
Faktoren maßgeblich beeinflusst: Zum einen durch den Wunsch, Abstand zu anderen zu<br />
halten (Territorialeffekt), zum anderen durch den Wunsch, vorwärts zu kommen (Zeitdruck).<br />
Zu Beginn gibt es ein Gleichgewicht zwischen diesen Faktoren. [5] „However, during waiting<br />
in the queue, the pressure of time increases, whereas the territorial effect is time independent.<br />
As a consequence, the individual moves forward a little after a while.“ [5, p.8] Dieses als<br />
Warteschlangeneffekt bekannte Phänomen hat eine Kompression der Menge zur Folge.<br />
2.3 Individuelle Verhaltenstendenzen in Paniksituationen<br />
Wie schon in normalen, lassen sich auch in Paniksituationen bestimmte Charakteristika<br />
menschlichen Verhaltens identifizieren. Da es nur sehr wenige, systematische Studien von<br />
Panikverhalten gibt, lassen sich jedoch größtenteils nur qualitative Aussagen treffen [8, 10]:<br />
1.<br />
.<br />
3.<br />
Routenwahl/Orientierung: Die Nervosität des Einzelnen ist unter dem Druck<br />
der Gefahr erhöht und kann in blindem Aktionismus münden. Die Fortbewegung<br />
wird zunehmend unkoordinierter, die Neigung zum Herdentrieb, also das<br />
Verhalten anderer zu imitieren, steigt. Herdeneffekte treten Beobachtungen zufolge<br />
vermehrt dann auf, wenn die Sicht in Örtlichkeiten eingeschränkt ist, bspw. durch<br />
Rauchentwicklung. Oder aber wenn die betroffenen Personen keine Ortskenntnis<br />
besitzen – sie also bspw. nicht wissen, wo sich die nächsten Notausgänge befinden.<br />
Sie verlassen sich dann i.d.R. auf andere mit der Hoffnung, dass diese sich besser<br />
auskennen. Infolgedessen werden evtl. nicht alle vorhandenen Ausgänge optimal<br />
genutzt, in Evakuierungssituationen ein großes Problem.<br />
Geschwindigkeit: Die Wunschgeschwindigkeiten steigen deutlich an.<br />
Abstand: Die Bereitschaft zu physischen Interaktionen wächst.<br />
Personen<br />
Zeit<br />
9
.4 Kollektive Bewegungsmuster in Paniksituationen<br />
2.4 Kollektive Bewegungsmuster in Paniksituationen<br />
Die Schwierigkeit in der Analyse und Simulation von Massenpaniken ist das seltene und<br />
dazu häufig vollkommen unerwartete Auftreten, so dass insgesamt sehr wenig gesammelte<br />
Daten vorliegen. Und empirisch lassen sich solche Situationen aufgrund der erhöhten Gefahr<br />
für Leib und Leben auch nicht nachstellen. Für Paniksituationen wird hier nur ein Muster<br />
vorgestellt, auch wenn es mit freezing-by-heating mindestens ein weiteres gibt.<br />
Schneller-ist-langsamer (Pfropfenbildung), ist ein aus der Fertigungsindustrie bekanntes<br />
Problem bei Einfüllprozessen granularer Medien wie Salz, Reis, Sand o.ä. [9]<br />
Entfluchtungsdauer T (s)<br />
75<br />
70<br />
65<br />
60<br />
55<br />
50<br />
0 1 2 3 4<br />
Wunschgeschw. v0 (m/s)<br />
Abb. 2-4, Schneller-ist-langsamer: Pfropfenbildung in Paniksituationen (links) und<br />
daraus resultierende, schubweise Entfluchtungen (rechts) (nach [11, p.11]).<br />
Dabei kommt es um Engstellen herum zu Stauungen, da die Partikel sich durch Reibung<br />
gegenseitig am Durchkommen hindern. Bei aus einem geschlossenen Raum flüchtenden<br />
Menschen, mit Wunschgeschwindigkeiten jenseits der 1,5 m/s, kommt es zu bogenförmigen<br />
Blockaden am Ausgang. Brechen diese Bögen, sind schubweise Entfluchtungen das Ergebnis,<br />
wie dem Diagramm zu entnehmen ist. Je hektischer und nervöser die Personen dabei agieren,<br />
desto weniger schaffen es, über einen bestimmten Zeitraum gesehen, zu entkommen. [10]<br />
Die Kräfte, die aufgrund der physischen Kontakte zwischen den Fußgängern wirken, können<br />
bis zu 4,5 N/m und mehr erreichen, was genügt, um Stahlbarrieren wie Papier zu verbiegen.<br />
Niedergerungene, stürzende Personen werden zu Hindernissen für die Nachfolgenden. In<br />
solchen Fällen hat sich gezeigt, dass Säulen, vor dem Durchgang platziert, wahre Wunder<br />
wirken können: Sie agieren wie Wellenbrecher, absorbieren einen Teil der wirkenden Kräfte<br />
und splitten die Menge in zwei Einzelströme auf. [9,10]<br />
10
Panikverhalten in Gebäuden<br />
3 Modellierungsansätze<br />
Wie auch schon im vorangegangenen Kapitel beschrieben, muss sich die <strong>Ausarbeitung</strong><br />
auf die wesentlichen Unterschiede bisheriger Modellierungsansätze beschränken. Für eine<br />
detaillierte Darstellung fehlt der Raum.<br />
Eine erste grobe Näherung aber kann durch Unterscheidung in makroskopische und<br />
mikroskopische Modelle stattfinden.<br />
3.1 Makroskopische Modelle<br />
Die Beispiele zu den Selbstorganisationsphänomenen aus Kapitel haben vor Augen<br />
geführt, dass es Ähnlichkeiten zwischen Fußgängermengen und granularen Medien gibt,<br />
so gibt es die Segregation eins zu eins als Schichtungsphänomen in granularen Medien,<br />
die Oszillation an Engstellen erinnert an die Funktionsweise einer Sanduhr und die<br />
Pfropfenbildung in Paniksituationen ist – wie im vorangegangenen Kapitel bereits erwähnt –<br />
ein aus der Fertigungsindustrie bei Einfüllprozessen bekanntes Problem. [12]<br />
Darüber hinaus lassen sich in mittleren bis hohen Dichten aber auch Ähnlichkeiten zu<br />
Flüssigkeiten feststellen, man denke nur einmal an eine wartende Menge vor dem Kino,<br />
durch die sich einzelne Ströme von Menschen bewegen. Im Zeitraffer betrachtet, erinnert das<br />
schon sehr an ein Flussbett, durch das sich ein Wasserstrom bewegt. [12]<br />
Abb. 3-1, Analogie von Bewegungen in Fußgängermengen zu Flüssigkeiten: Bewegen sich<br />
Menschen durch eine wartende Menge, bspw. vor der Kinokasse und wird das dann im Zeitraffer<br />
betrachtet, kommen Assoziationen zu einem Flussbett auf (aus [12, p.363]).<br />
Schon in den 1970er Jahren hat sich HENDERSON mit der Darstellung von Fußgänger-<br />
mengen als fluiddynamische Systeme auseinandergesetzt. „However, his approach implicitly<br />
assumes energy and momentum to be collisional invariants which is obviously not the case<br />
for pedestrian interactions.“ [13, p.2]<br />
11
3. Mikroskopische Modelle<br />
3.2 Mikroskopische Modelle<br />
Die zweite Kategorie von Modellen findet wesentlich häufiger Anwendung in der heutigen<br />
Zeit: Die mikroskopischen Modellansätze. Während in makroskopischen Modelle der Fluss die<br />
kleinste modellierbare Einheit beschreibt, ist es in mikroskopischen Modellen das Individuum,<br />
dem Charakteristika wie Wunschgeschwindigkeit, Ziel u.ä. zugeordnet werden. [15] Dabei<br />
sei hervorgehoben, dass es dennoch weiterhin um die Vorhersage der Entfluchtungsdauer für<br />
die Gesamtheit der Fußgänger geht, auch wenn diese als Individuen dargestellt werden. Die<br />
mikroskopischen Modelle können weiter unterteilt werden in kontinuierliche und diskrete<br />
Ansätze.<br />
3.2.1 Kontinuierliche Modelle<br />
Kontinuierliche Modelle haben ihren Namen daher, dass sie in Raum und Zeit<br />
kontinuierlich sind. Was natürlich in der Praxis nicht ganz stimmt, denn eine kontinuierliche<br />
Zeitbetrachtung ist im Computer nicht möglich.<br />
Als Vertreter für die kontinuierlichen Modelle sei das Soziale-Kräfte-Modell von DIRK<br />
HELBING und ILLÉS FARKÁS erwähnt. Hierbei handelt es sich um einen Ansatz, der auf<br />
die von KURT LEWIN formulierte Feldtheorie (Vektorpsychologie) zurückgeht. Dabei findet<br />
eine Vereinfachung des komplexen menschlichen Verhaltens auf einfache Reaktionen statt,<br />
hervorgerufen durch soziale Kräfte, deren vektorielle Addition eine Handlung begründen. [15]<br />
„There are some major differences between social forces and forces in physics. First, for social<br />
forces the NEWTONian law actio = reactio does not hold. Second, energy and momentum are<br />
no collisional invariants which implies that there is no energy or momentum conservation.<br />
Third, pedestrians (or, more general, individuals) are active systems, that produce forces<br />
and perform changes themselves. Fourth, instead of by momentum transfer via virtual<br />
particles the effect of social forces comes about by information exchange via complex mental,<br />
psychological and physical processes.“ [13, p.3]<br />
Zum Modell: Ein Fußgänger i verändert über die Zeit t gesehen seine Position xi ( t),<br />
was<br />
Ausdruck findet in der folgenden Bewegungsgleichung:<br />
<br />
d xi( t)<br />
<br />
= vi( t)<br />
(3.1)<br />
d t<br />
Die Änderung dieser Geschwindigkeit wird beschrieben durch die Beschleunigungsgleichung,<br />
die auf dem zweiten Newtonschen Axiom (F = m*a) basiert:<br />
<br />
d vi( t)<br />
<br />
m * = fi( t) + ξ i(<br />
t)<br />
(3.2)<br />
d t<br />
1
Panikverhalten in Gebäuden<br />
<br />
fi ( t)<br />
stellt den Summenterm der Kräfte dar und ist wie folgt aufgebaut:<br />
(3.3)<br />
Wobei der erste Term den sogenannten Beschleunigungsterm darstellt, der die Anpassung<br />
der aktuellen Geschwindigkeit vi ( t)<br />
an das gewünschte Tempo und die gewünschte Richtung<br />
0 0<br />
vi ( t) * ei ( t)<br />
innerhalb einer sogenannten Relaxationszeit τ 0 0<br />
i beschreibt. vi ( t) * ei ( t)<br />
/ i<br />
13<br />
( ) τ<br />
kann als Antriebsterm angesehen werden, während − vi( t)/τ<br />
i eine Art dissipativer<br />
Reibungsterm ist 1 . steht hierbei für sozial repulsiv wirkende Kräfte, was den<br />
Wunsch der Fußgänger abbildet, Abstand untereinander zu halten (Territorialeffekt).<br />
beschreibt sozial attraktive Kräfte, ist also bspw. hilfreich, wenn eine Gruppen-<br />
zugehörigkeit modelliert werden soll, seien es Familien, Freunde oder Schulklassen.<br />
sind physikalische Kräfte, die ausschließlich in Paniksituationen zur Geltung kommen,<br />
wenn sich die Fußgänger so nahe kommen, dass eine der Kompression entgegenwirkende<br />
Körperkraft einsetzen muss. beschreibt wie schon bei den sozialen Kräften wieder<br />
einen Anteil repulsiver Kräfte, diesmal geht er jedoch von Objekten aus – Fußgänger<br />
halten einen gewissen Abstand zu Wänden.<br />
zu guter Letzt stellt von Objekten<br />
ausgehende attraktive Kräfte dar. Damit kann z.B. die (v.a. auf die Damenwelt) von<br />
Schaufensterauslagen ausgehende Anziehungskraft nachempfunden werden.<br />
<br />
ξi( t)<br />
„is a small amount of stochasticity added to the model to smoothen up the<br />
movement.“ [14, p.8] Es beschreibt individuelle Fluktuationen.<br />
„Die Simulation dieses Modells läuft auf die numerische Integration von gekoppelten<br />
Differentialgleichungen hinaus.“ [16, S.32] Durch die Wechselwirkung der Fußgänger<br />
untereinander und mit Objekten, ergebt sich bei n Fußgängern/Objekten ein Rechen-<br />
aufwand von O(n 2 ). Ein weiteres Problem ist, dass „die zur numerischen Behandlung<br />
erforderliche Diskretisierung der eigentlichen Natur des Modells entgegensteht und nicht<br />
wie beim zellulären Automaten integraler Bestandteil ist.“ [16, S.37] Darüber hinaus muss<br />
darauf geachtet werden, dass die zu berechnenden Kräfte nicht durch Wände hindurch<br />
wirken und dass ein weit entfernter Fußgänger in der Realität möglicherweise ja gar keinen<br />
Einfluß auf einen anderen hat.<br />
In der Thesis wird sich ein ausführliches Kapitel zu diesem Modell finden, ansonsten<br />
können weitere Informationen v.a. in [10,14] eingesehen werden.<br />
1 Ist der zweite Term größer als der erste, bremst der Fußgänger, andernfalls beschleunigt er oder<br />
behält seine jetzige Geschwindigkeit bei.<br />
Siehe hierzu bitte das folgende Kapitel 3.2.2 Diskrete Modelle.
3. Mikroskopische Modelle<br />
3.2.2 Diskrete Modelle<br />
Wie der Name schon sagt, sind diese Modelle in Raum und Zeit diskret, d.h. die<br />
Bewegungsmöglichkeiten der Akteure sind begrenzt und das Update der Situation findet in<br />
Zeitschritten statt.<br />
Die wohl bekanntesten Vertreter diskreter Modelle sind die zellularen Automaten. Sie<br />
können durch folgende Merkmale charakterisiert werden [22]:<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
•<br />
Gitterstruktur: Sie bestehen aus einem regulären 3 , diskreten Gitter an Zellen.<br />
Nachbarschaft: Die Nachbarschaft ist lokal und einheitlich.<br />
Zellzustand: Jede Zelle wird durch einen Zustand aus einer definierten, endlichen<br />
Zustandsmenge beschrieben. Über die Zeit gesehen findet eine Entwicklung im<br />
Automaten statt, innerhalb derer die Zellen ihren Zustand ändern können. Das<br />
Update geschieht in Zeitschritten.<br />
Übergangsregeln: Die vorher beschriebene Änderung der Zellzustände wird über<br />
Regeln bestimmt. Für alle Zellen kommen dabei dieselben Regeln zur Anwendung,<br />
der neue Zustand hängt lediglich vom vorherigen und denen umliegender Zellen<br />
ab.<br />
Randbedingungen: Sie bestimmen das Verhalten an den Rändern der<br />
Gitterstrukturen.<br />
Ursprünglich im Bereich der Verkehrsinformatik angewendet 4 , haben die zellularen<br />
Automaten in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch vermehrt in den Bereich der<br />
Fußgängersimulation Einzug gehalten. Aus Platzgründen können die einzelnen Ansätze hier<br />
nicht näher beschrieben werden, für Interessierte seien jedoch einige Namen genannt: GIPPS<br />
& MARKSJÖ, BLUE & ADLER, SCHADSCHNEIDER, BURSTEDDE und KIRCHNER [16],<br />
KLÜPFEL [17].<br />
Durch die Diskretisierung von Raum und Zeit kommt es zu einer Reduktion des<br />
Rechenaufwands auf O(n). Dadurch werden echtzeitfähige Simulationen möglich, mit Hilfe<br />
von Monte-Carlo-Simulationen können die kompletten statistischen Eigenschaften eines<br />
Modells quantifiziert und mit den vorliegenden empirischen Daten verglichen werden. [16]<br />
3 Ein reguläres Polygon ist eine Form mit Seiten gleicher Länge und gleichgroßen Winkeln zwischen<br />
den Seiten. Beispiele für reguläre Polygone sind Dreieck, Viereck, Fünfeck, Sechseck usw.<br />
Eine reguläre Kachelung liegt dann vor, wenn innerhalb des Gitters nur eine Art eines regulären<br />
Polygons verwendet wird und die Polygone Vertex an Vertex platziert sind, ohne Lücken oder<br />
Überlappungen [2].<br />
4 Stichwort NAGEL-SCHRECKENBERG-Modell.<br />
14
Panikverhalten in Gebäuden<br />
3.3 Fundamentaldiagramme<br />
Ganz wichtig für die Modellkonzeption sind die sogenannten Fundamentaldiagramme, in<br />
denen die grundlegenden Beziehungen zwischen den Parametern Geschwindigkeit, Fluss und<br />
Dichte Ausdruck finden.<br />
Während makroskopische Modelle diese Diagramme als Eingabeparameter zur Kalkulation<br />
der Entfluchtungszeiten erwarten, sind sie bei mikroskopischen Modellen das Ergebnis der<br />
Simulation.<br />
Geschwindigkeit (m/s)<br />
Fluss (P/ms)<br />
1.5<br />
1<br />
0.5<br />
0<br />
0 2 4 6<br />
Dichte (P/m 2 )<br />
2<br />
1.5<br />
1<br />
0.5<br />
0<br />
0 2 4 6<br />
Dichte (P/m 2 )<br />
Geschwindigkeit (m/s)<br />
1.5<br />
1<br />
0.5<br />
0<br />
0 0.5 1 1.5 2<br />
Fluss (P/ms)<br />
Fruin<br />
Weidmann<br />
Virkler<br />
Older<br />
Sarkar<br />
Tanariboon<br />
Abb. 3-2, Fundamentaldiagramme: Auf Basis unterschiedlicher empirischer Untersuchungen<br />
lassen sich Fundamentaldiagramme aufstellen, die mehr oder minder übereinstimmend die<br />
Beziehungen von Geschwindigkeit-Dichte, Geschwindigkeit-Fluss und Fluss-Dichte beschreiben<br />
(nach [4, p.2]).<br />
Die Fundamentaldiagramme können in mikroskopischen Simulationen also genutzt<br />
werden, um das eigene Modell gegen die empirischen Erkenntnisse zu validieren.<br />
15
4 Modellkonzeption auf Basis zellularer Automaten<br />
4 Modellkonzeption auf Basis zellularer Automaten<br />
Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln zunächst geklärt wurde, warum man sich mit<br />
dem Thema der Fußgängersimulation beschäftigt, weshalb das Verhalten von Fußgängern<br />
nachzuempfinden ist und welche grundlegenden Modellansätze es dafür gibt, soll nun ein<br />
vertiefender Blick in die Welt mikroskopischer Simulationen, genauer auf Basis zellularer<br />
Automaten, gegeben werden. Hier wird auch der Schwerpunkt der an diese <strong>Ausarbeitung</strong><br />
anknüpfenden Master Thesis liegen. Nachdem in Kapitel 3. . bereits beschrieben wurde,<br />
was unter einem zellularer Automaten zu verstehen ist, sollen einige 5 ihrer Eigenschaften<br />
nun im Hinblick auf die Simulation von Fußgängern untersucht werden.<br />
4.1 Gitterstrukturen<br />
Generell gesehen gibt es keine Beschränkung in der Definition n-dimensionaler zellularer<br />
Automaten, solange die entwickelte Gitterstruktur regulär ist. Was regulär in diesem<br />
Zusammenhang bedeutet, wurde bereits in Kapitel 3. . erläutert. Im zweidimensionalen<br />
Fall gibt es deshalb nur drei Grundformen, aus denen ein reguläres Gitter aufgebaut werden<br />
kann: Dreieck, Viereck und Sechseck. Fünfeck, Achteck o.ä. sind nicht möglich, wie in Abb. 4-1<br />
verdeutlicht.<br />
Abb. 4-1, (ir-)reguläre Gitterstrukturen: Aus Dreieck, Viereck und Sechseck lässt sich ein<br />
reguläres Gitter aufbauen, d.h. es wird nur eine der Grundformen verwendet, diese Shapes<br />
liegen Vertex an Vertex, ohne Zwischenräume und Überschneidungen. Für alle anderen reguläre<br />
Polygone geht dies nicht, exemplarisch am Beispiel der Achtecke gezeigt.<br />
4.1.1 Darstellung von Fußgängern<br />
In den meisten mikroskopischen Simulationen von Fußgängern, werden diese als<br />
kreisförmige Annäherungen dargestellt, wie im Soziale Kräfte-Modell gesehen. Verglichen<br />
mit der drei- und viereckigen Grundform, erreichen wir die beste Übereinstimmung in<br />
sechseckigen Zellen.<br />
5 Nicht untersucht werden bspw. die Randbedingungen von ZA.<br />
16
Panikverhalten in Gebäuden<br />
Abb. 4-2, Annäherung von Fußgängern durch Grundformen: Die Darstellung eines Fußgängers<br />
im Dreieck gelingt nur unbefriedigend, ist im Viereck schon wesentlich besser und im Sechseck<br />
nahezu perfekt (nach [15, S.43,45,47]).<br />
Bei hohen Dichten zeigen viereckige Gitter ans Militär erinnernde Muster, durch die<br />
saubere Aneinanderreihung der Fußgänger in horizontaler und vertikaler Achse. Verglichen<br />
damit wirkt die Anordnung in sechseckigen Gittern schon etwas natürlicher.<br />
Abb. 4-3, Verteilung von Fußgängern bei hohen Dichten: In viereckigen Gittern ähnelt die<br />
Verteilung der Fußgänger eher der Aufstellung von Soldaten in einer Militärparade (nach [15,<br />
S.43,45,47]).<br />
4.1.2 Darstellung von Wänden und Hindernissen<br />
Was die Darstellung von rechteckigen Objekten wie Wänden oder Hindernissen angeht, so<br />
kann die quadratische Gitterstruktur punkten, in drei- und sechseckigen Gittern entstehen<br />
teilweise Knicke.<br />
Abb. 4-4, Abbildung rechteckiger Objekte: Rechteckige Objekte können durch viereckige Gitter<br />
sehr viel besser abgebildet werden als durch drei- oder sechseckige.<br />
4.1.3 Fazit zu Gitterstrukturen<br />
Schon nach diesen ersten Untersuchungen lässt sich feststellen, dass die dreieckigen<br />
Gitterstrukturen wenig vorteilhaft für einen Einsatz auf dem Gebiet der Fußgängersimulation<br />
erscheinen.<br />
17
4.1 Gitterstrukturen<br />
4.1.4 Mapping<br />
Da natürlich die Darstellung von hexagonalen Strukturen wesentlich komplizierter<br />
ist als eine von viereckigen, lässt sie sich auf diese mappen. Nach [22] gibt es dabei zwei<br />
wesentliche Ansätze: shear und shift mapping. Der Mittelpunkt eines Sechsecks innerhalb<br />
einer hexagonalen Struktur lässt sich über<br />
⎛ j<br />
⎜i<br />
−<br />
⎜<br />
⎝<br />
% 3<br />
, *<br />
⎞<br />
j ⎟<br />
⎠<br />
(4.1)<br />
beschreiben, mit i als Spalte, j als Zeile und % als modulo-Operator. Beim shear mapping 6<br />
wird eine Zellennummer (i, j) auf<br />
j<br />
shear ( i, j) = i + , j<br />
⎢<br />
⎣⎢ ⎥ ⎛ ⎞<br />
⎜ ⎟ (4.2)<br />
⎝ ⎦⎥<br />
⎠<br />
gemappt, wobei ⎣x ⎦ die untere Grenze beschreibt. Das shift mapping ist mit<br />
shift ( i, j) = ( i, j)<br />
(4.3)<br />
recht einfach gehalten. Hierbei werden die Zeilen alternierend in entgegengesetzte Richtungen<br />
geshiftet.<br />
A B<br />
F X C<br />
E D<br />
A B<br />
F X C<br />
E D<br />
A B<br />
F X C<br />
E D<br />
j gerade<br />
A B<br />
F X C<br />
E D<br />
A B<br />
F X C<br />
E D<br />
j ungerade<br />
Abb. 4-5, Shear und shift mapping: Beim shear mapping werden in Abhängigkeit der Zeile die<br />
Spalten immer weiter eingerückt. Beim shift mapping wird in Abhängigkeit einer geraden oder<br />
ungeraden Zeile eine andere Ausrichtung der Zellen erwirkt.<br />
6 Achtung: Diese Art des Shiftings funktioniert so nur, wenn die linke untere Ecke des Gitters (0,0)<br />
entspricht!<br />
18
Panikverhalten in Gebäuden<br />
4.2 Nachbarschaften<br />
Die Nachbarschaft einer Zelle kann definiert werden als die Menge adjazenter Zellen. Es<br />
gibt zwei häufig verwendete Nachbarschaften, benannt nach ihren Erfindern: VON NEUMANN<br />
und MOORE.<br />
4.2.1 VON NEUMANN<br />
Die VON NEUMANN-Nachbarschaft betrachtet für Dreiecke die drei umliegenden Felder,<br />
für Vierecke die in den vier Himmelsrichtungen liegenden Nachbarn und für Sechsecke die<br />
sechs umliegenden Felder.<br />
Abb. 4-6, VON NEUMANN-Nachbarschaft: In dieser Nachbarschaftsrelation wird in drei- und<br />
viereckigen Gittern nur ein Teil der angrenzenden Felder untersucht (nach [15, S.27]).<br />
Bezogen auf Fußgängersimulationen bietet die VON NEUMANN-Nachbarschaft für drei-<br />
und viereckige Gitterstrukturen nicht genügend Freiheitsgrade in der Bewegung. Sowohl in<br />
dreieckigen, als auch in viereckigen Zellen entstehen unrealistische Bewegungen aufgrund<br />
der eingeschränkten Wahlmöglichkeiten. So gibt es in dreieckigen Gittern mit dieser<br />
Nachbarschaft keine Möglichkeit, die Mittelpunkte mehrerer paarweiser Dreiecke durch<br />
eine Gerade zu verbinden. Fußgänger sind gezwungen, im Zick-Zack zu laufen. Auch in<br />
sechseckigen Gittern stellt sich dieses Problem, hier lassen sich jedoch zumindest in einer<br />
Achse gerade Bewegungen ausführen. [15]<br />
Abb. 4-7, Laufwege bei VON NEUMANN-Nachbarschaft: Die eingeschränkten Wahlmöglichkeiten<br />
in drei- und viereckigen Gittern unter Nutzung der VON NEUMANN-Nachbarschaft führen zum<br />
Schwanken in der Laufbewegung eines Fußgängers (Dreiecke: nach [15, S.44]).<br />
In viereckigen Gittern besteht bei dieser Nachbarschaft hingegen eher das Problem<br />
der Modellierung von Diagonalschritten, die nicht erlaubt sind. Dadurch sind Fußgänger<br />
gezwungen, zwei Felder zu durchlaufen, um auf eine diagonal gelegene Zelle zu gelangen.<br />
19
4. Nachbarschaften<br />
4.2.2 MOORE<br />
In der MOORE-Nachbarschaft erweitert sich der Kreis untersuchter Felder: Bei Drei-<br />
ecken sind es nun zwölf, bei viereckiger Gitterstruktur acht und bei sechseckiger – das<br />
ist bemerkenswert – bleiben es sechs.<br />
Abb. 4-8, MOORE-Nachbarschaft: Die MOORE-Nachbarschaft erweitert die Zahl untersuchter<br />
Felder für dreieckige und viereckige Gitterstrukturen gegenüber der VON NEUMANN-<br />
Nachbarschaft (nach [15, S.27]).<br />
Aus dieser erweiterten Nachbarschaft ergeben sich jedoch neue Probleme: In drei- und<br />
viereckigen Gittern sind die Distanzen von der mittleren Zelle zu ihren Nachbarn ungleich.<br />
Dies müsste in der Simulation durch weitere Regeln beachtet werden, und das wäre<br />
gleichbedeutend mit erhöhter Komplexität.<br />
Abb. 4-9, Nachbarschaftdistanzen nach Grundform: Betrachtet man den Abstand der<br />
Nachbarzellen die durch die MOORE-Nachbarschaft angesprochen werden, zur mittleren, so<br />
stellt man fest, dass in dreieckigen Gitterstrukturen drei unterschiedliche Abstände zu behandeln<br />
wären, bei viereckigen wären es zwei und bei sechseckigen haben alle denselben.<br />
In viereckigen Gitterstrukturen lässt sich die erhöhte Schrittweite für Diagonal-<br />
bewegungen einfach über den Pythagoras beziffern: Er beträgt ≈ 1, 41 . Wie in [17]<br />
vorgeschlagen, kann anstelle von Gleitkommazahlen auch mit ganzen gerechnet werden,<br />
indem mit zehn multipliziert und gerundet wird. Daraus ergeben sich aber mitunter<br />
Ungenauigkeiten. In sechseckigen Automaten sind alle Nachbarzellen äquidistant zur<br />
mittleren.<br />
Ein zweites Problem ist das unerlaubter Züge, die aus der erweiterten Nachbarschaft<br />
resultieren. Sowohl in drei-, als auch in viereckigen Gitterstrukturen werden Schritte über<br />
andere Personen hinweg bzw. kreuzende Wege möglich. In sechseckigen Automaten stellt<br />
sich diese Schwierigkeit aufgrund des gleichbleibenden Abstands zwischen mittlerer und<br />
angrenzenden Nachbarzellen nicht.<br />
0
Panikverhalten in Gebäuden<br />
Abb. 4-10, Unerlaubte Schrittmöglichkeiten: Durch die Erweiterung auf eine MOORE-Nachbarschaft<br />
entstehen mehr Freiheitsgrade. Dies ist in erster Instanz positiv zu bewerten, weil<br />
somit die Bewegungsmöglichkeiten des Einzelnen steigen. Es stellt sich jedoch heraus, dass<br />
dadurch auch unerlaubte Züge möglich werden (nach [15, S.44-47]).<br />
Es ist denkbar, den Radius der Nachbarschaft zu erhöhen, oder auch vollkommen beliebige<br />
Nachbarschaften zu definieren. Für die Simulation von Fußgängern macht es jedoch keinen<br />
Sinn, Schritte auch in weit entfernte, nicht angrenzende Zellen zuzulassen, weil dies nicht<br />
den realen Bewegungsmöglichkeiten entspricht.<br />
4.2.3 Fazit zu Nachbarschaften<br />
Auch in diesem Abschnitt bestätigt sich der schlechte Eindruck triangularer Gitter-<br />
strukturen für unseren Anwendungszweck. Sie werden deshalb nicht weiter betrachtet.<br />
Zwischen vier- und sechseckigen Zellen fällt die Wahl dagegen schon schwerer, weshalb beide<br />
Gitterstrukturen in der Folge vergleichend abgehandelt werden.<br />
4.3 Zustände<br />
Die Zellen eines Gitters können im Wesentlichen drei Werte annehmen:<br />
1.<br />
.<br />
3.<br />
Die Zelle ist frei.<br />
Die Zelle ist durch einen Fußgänger belegt. Dieser kann ruhen oder mit einer<br />
Geschwindigkeit versehen sein.<br />
Die Zelle kann durch ein Hindernis/eine Wand belegt sein.<br />
4.4 Regeln<br />
Die Regeln eines zellularen Automaten zur Simulation von Fußgängerverhalten sind<br />
vielfältig und zielen auf die unter .1 und .3 beschriebenen Verhaltenstendenzen von<br />
Fußgängern ab. Da auch hier nicht sämtliche in einem kompletten Modell zu implemen-<br />
tierenden Regeln beschrieben werden können, soll exemplarisch am Beispiel der Wegwahl<br />
verdeutlicht werden, wie das Verhalten von Menschen durch (einfache) Regeln abgebildet<br />
werden kann.<br />
Um der Frage nach einer möglichen Modellierung des Wegwahlverhaltens von Fußgängern<br />
in Evakuierungssituationen nachgehen zu können, wollen wir uns zunächst die Ergebnisse<br />
eines Experiments anschauen, durchgeführt in einem großen Supermarkt in Japan. Dabei<br />
1
4.4 Regeln<br />
wurde falscher Rauch in Verbindung mit Feueralarm eingesetzt, um die Kunden zum<br />
Verlassen des Supermarkts zu bewegen. Nachdem alle 300 Personen das Gebäude verlassen<br />
hatten, wurden sie nach den Gründen für ihre Wegwahl befragt [1, zit. n. 18]:<br />
1.<br />
.<br />
3.<br />
4.<br />
5.<br />
6.<br />
7.<br />
46,7 % gaben an, dass sie Schildern und Auszeichnungen bzw. den Anweisungen der<br />
Verkäuferinnen folgten.<br />
26,3 % gaben an, dass sie, um möglichst schnell vor dem Feuer zu entfliehen, in die<br />
dem Rauch entgegengesetzte Richtung liefen.<br />
16,7 % benutzten den nächstgelegenen Ausgang.<br />
3,0 % folgten anderen Personen.<br />
3,0 % versuchten die Richtung, in welche die meisten Leute liefen, zu meiden.<br />
2,3 % gaben an, dass sie in der Nähe einer Tür ein großes Fenster sahen, durch dass<br />
sie hinausblicken konnten. Durch die Helligkeit angezogen, wählten sie ihn.<br />
1,7 % suchten den Ausgang auf, durch den sie das Gebäude betreten hatten.<br />
Viele Simulationsansätze implementieren weder Zeichen und Schilder, noch ein Gefahren-<br />
modell mit realistisch anmutendem Rauch oder Feuer. Damit ist der dritte Punkt mit 16,7 %<br />
entscheidend: Im Gegensatz zu Fußgängern in Einkaufszentren, die viele Ziele besuchen und<br />
verschiedenste Tätigkeiten ausführen, sind Fußgänger in Evakuierungssituationen darauf<br />
bedacht, möglichst schnell aus der Gefahrenzone zu entkommen. Es ist somit zulässig,<br />
eine Vereinfachung weg vom individuellen Routing, hin zu einer kollektiven Orientierung<br />
vorzunehmen, um nicht die Vorteile der Lokalität von zellularen Automaten aufzugeben.<br />
Es gibt einige Ansätze, um für einen gegebenen Raum eine Orientierung zu bestimmen,<br />
als womöglich bedeutendster Vertreter sollen hier die Potentialfelder vorgestellt werden.<br />
In [16] wird zwischen statischem und dynamischem differenziert: „Durch das statische<br />
Grundfeld werden durch die Geometrie vorgegebene Vorzugsrichtungen wie Ausgänge, oder<br />
Wände und Hindernisse realisiert. Für die Implementierung der Wechselwirkung zwischen<br />
den Fußgängern wird sich einer in Anlehnung an das biologische Phänomen der Chemotaxis<br />
konzipierte Idee bedient. Die Fußgänger hinterlassen bei ihrer Bewegung eine virtuelle Spur,<br />
die ihrerseits die Bewegung der anderen Fußgänger beeinflußt. Diese virtuellen Spuren<br />
bilden in ihrer Gesamtheit das dynamische Grundfeld und unterliegen zusätzlich Verfall und<br />
Diffusion.“ [16, S.38]<br />
Mit dem statischen Grundfeld sollen attraktiv und repulsiv wirkende Raumregionen<br />
ausgezeichnet werden, weshalb allen Zellen des Gitters Werte zugewiesen werden. Attraktoren<br />
können dabei Ausgänge sein, Repulsoren Wände. Das kalkulierte Feld ist zeitunabhängig,<br />
d.h. es wird einmalig vor Beginn der Simulation berechnet und ändert sich danach nicht<br />
mehr. [16]
Panikverhalten in Gebäuden<br />
Welchen Wert eine Zelle erhält, wird über eine Metrik bestimmt. Im Normalfall geht es<br />
hierbei um den Abstand der Zelle zum Ausgang. Beginnend mit der Zelle des Ausgangs<br />
breiten sich die Potentialwerte d der Metrik wellenförmig aus. In den meisten regelbasierten<br />
Modellen erhalten weit entfernte Zellen dabei höhere Potentiale als solche nahe zum Ausgang,<br />
in probabilistischen ist es zumeist umgekehrt. Im ersteren Fall versuchen die Fußgänger den<br />
minimalen Potentialwerten zu folgen, um so schnellstmöglich zum Ausgang zu gelangen.<br />
Zur Bestimmung der Potentialwerte gibt es verschiedene Metriken. Für einen leeren<br />
Raum mit nur einem Ausgang, kann die euklidische Metrik verwendet werden, die quasi die<br />
Luftlinie zwischen zwei Punkten widerspiegelt:<br />
x x y y<br />
d( r, r ) = ( r − r ) + ( r − r )<br />
(4.4)<br />
exit exit<br />
Für Räume mit Hindernissen ist sie jedoch ungeeignet, da sie die Luftlinie zwischen zwei<br />
Punkten beschreibt, diese aber nun durch ein Hindernis blockiert wird.<br />
Besser geeignet – zumindest für quadratische Zellen – ist da schon die Manhattan-Metrik,<br />
welche den Abstand einer Zelle zum Ausgang nicht über die direkte Verbindung berechnet,<br />
sondern nur horizontale bzw. vertikale Schritte über Kanten, keinesfalls jedoch diagonale<br />
über Ecken zulässt und somit an Straßenzüge in Manhattan erinnert.<br />
Der Vorteil der Manhattan-Metrik ist, dass mit ihr selbst komplexe Geometrien bedient<br />
werden können, da – entgegen der euklidischen – alternative Routen offenstehen, sollte sich<br />
auf dem Weg zum Ausgang ein Hindernis auftun.<br />
Bei der Manhattan-Metrik werden – in quadratischen Zellen – vier mögliche Richtungen<br />
betrachtet, was der VON NEUMANN-Nachbarschaft entspricht. Wie Bild 4-11 zu entnehmen<br />
ist, entsteht dabei jedoch ein ungünstiges Muster für das Potentialfeld, da die Fußgänger in<br />
diesem Fall durch die spitzförmige Ausrichtung in die Mitte des Raumes gedrängt werden,<br />
wo die Potentialwerte am geringsten sind. Es kommt somit zu Warteschlangeneffekten an<br />
den Ausgängen. Abhilfe kann die Erweiterung auf eine MOORE-Nachbarschaft schaffen. Es<br />
entstehen dann ovale Wellenformen, die zu besseren Fluktuationen führen. In sechseckigen<br />
zellularen Automaten entstehen breite Wellenfronten mit demselben Potential, was in langen<br />
Korridoren mit Verzweigungen von Nutzen ist.<br />
Algorithmisch gibt es verschiedene Ansätze, die Potentialfelder zu berechnen, in [20] werden<br />
mit einem rekursiven, einem Warteschlangen-Ansatz und einer Prioritätswarteschlange drei<br />
vorgestellt. Diese wurden auch im beiliegenden Demo-Programm Potential Field Calculator<br />
für viereckige und sechseckige zellulare Automaten umgesetzt. Die konkrete Implementation<br />
kann von der in [20] beschriebenen abweichen. Anhand des Programms lässt sich auch die<br />
Arbeitsweise der Algorithmen ablesen. Für hexagonale Gitterstrukturen wurde das shift<br />
mapping angewandt.<br />
exit<br />
3
4.4 Regeln<br />
6 5 4 5 6<br />
5 4 3 4 5<br />
4 3 2 3 4<br />
3 2 1 2 3<br />
2 1 0 1 2<br />
4,82 4,41 4 4,41 4,82<br />
3,82 3,41 3 3,41 3,82<br />
2,82 2,41 2 2,41 2,82<br />
2,41 1,41 1 1,41 2,41<br />
2 1 0 1 2<br />
4 4 4 4 4<br />
4 3 3 3 3<br />
3 2 2 2 3<br />
3 2 1 1 2<br />
2 1 0 1 2<br />
Abb. 4-11, Metriken zur Potentialfeldberechnung: Bei der (1) VON NEUMANN-<br />
Nachbarschaft (oben links) werden vier Nachbarzellen (gelb) der aktuellen Zelle<br />
(blau) betrachtet. Das Potentialfeld eines Raumes mit nur einem Ausgang<br />
und ohne Hindernisse hat dann die Qualität wie oben rechts gezeigt. Das<br />
spitzförmige Zusammenlaufen der Wellenfronten führt zu sehr unrealistischen<br />
Warteschlangeneffekten am Ausgang. Bei der (2) MOORE-Nachbarschaft (mitte)<br />
werden schon acht benachbarte Zellen betrachtet. So entstehen ovale Wellenfronten.<br />
Bei sechseckigen Zellen (unten) entstehen sehr breite Wellenfronten ((1) und (2) nach<br />
[17, p.48]).<br />
Eine große Stärke der Potentialfelder liegt neben der Einfachheit der Berechnung in<br />
der Möglichkeit, zusätzliche Informationen hinterlegen zu können. So wird ebenfalls in [20]<br />
vorgeschlagen, Informationen bspw. über die Begehbarkeit des Bodens in das statische Feld<br />
aufzunehmen.<br />
Über Sensitivitätsparameter kann, wie in [16] beschrieben, der Einfluss von statischem und<br />
dynamischem Grundfeld auf die Wegwahlentscheidung variiert werden. In einem verrauchten<br />
Raum bspw. wäre es denkbar, den Anteil des statischen Grundfeldes zu senken, um fehlende<br />
Informationen über die Umgebung zu simulieren. In Paniksituationen könnte zusätzlich der<br />
Einfluss des dynamischen Feldes erhöht werden, um Herdenverhalten abzubilden.<br />
4
Panikverhalten in Gebäuden<br />
5 Konklusion<br />
Beginnend mit der Einleitung zu dieser Arbeit haben wir uns mit der Frage aus-<br />
einandergesetzt, warum die Simulation von Fußgängern erstrebenswert ist und was denkbare<br />
Einsatzgebiete darstellen. Im zweiten Kapitel folgte dann die Begründung, warum die<br />
Simulation von menschlichem Verhalten überhaupt möglich ist – eben weil es gewissen<br />
Regelmäßigkeiten folgt. Wir haben die Verhaltenstendenzen jedes Einzelnen in normalen<br />
und auch in Paniksituationen kennengelernt, sowie einige daraus entstehende kollektive<br />
Bewegungsmuster. Die Charakteristika menschlichen Verhaltens, die wir betrachtet haben,<br />
fließen in der ein oder anderen Form in jedes Modell ein. Anhand der Bewegungsmuster und<br />
der Fundamentaldiagramme kann der Grad des Realismus eines Modells überprüft werden.<br />
In Kapitel 3 wurde eine Einteilung in zwei wichtige Kategorien von Simulations-<br />
modellen vorgestellt, von denen die mikroskopischen im vierten Kapitel mit Hilfe der<br />
zellularen Automaten näher beleuchtet wurden. Dabei wurde auf einige Charakteristika<br />
zellularer Automaten unter Bezugnahme auf die Simulation von Fußgängern hingewiesen und<br />
die verschiedenen Gitterstrukturen und Nachbarschaften gegenübergestellt. Als Ergebnis<br />
dieser Untersuchungen lässt sich festhalten, dass triangulare Strukturen für unsere Zwecke<br />
ungeeignet erscheinen.<br />
Insgesamt sei an dieser Stelle noch einmal hervorgehoben, dass die vorliegende<br />
Seminarausarbeitung nur eine Einführung in die Master Thesis darstellt, und aufgrund ihres<br />
Umfangs viele Bereiche nicht oder nur ungenügend abdecken konnte. Im Bereich der Regeln<br />
muss bei Entwurf eines eigenen Modellkonzepts sicherlich eine ganze Menge mehr beachtet<br />
werden, man denke da nur an das Stichwort Multi-Speed-Modelle 7 , in Folge dessen sich<br />
Fragen auftun, wie: Was ist mit den Laufwegen der Fußgänger, die mehr als eine Zelle pro<br />
Zeitschritt gehen dürfen? Sollen sie gesperrt werden oder nicht? Wie werden unterschiedliche<br />
Geschwindigkeiten in dem Updatemechanismus gehandhabt, so dass nicht ein heilloses<br />
Durcheinander entsteht? Was für Updatearten gibt es überhaupt und wie unterscheiden sie<br />
sich? Auch auf die Randbedingungen von zellularen Automaten wurde nicht eingegangen.<br />
Dies und vieles mehr wird Bestandteil einer wesentlich umfangreicheren Master Thesis sein<br />
(müssen), eine dazugehörige Implementation noch außen vor gelassen.<br />
Wie bereits in der Einleitung geschrieben und im Rahmen des Vortrags hoffentlich<br />
auch bewiesen, ist das Thema interdisziplinär, sehr ergiebig und bietet somit auch viele<br />
Einstiegsmöglichkeiten für weitere Arbeiten.<br />
7 Also Modelle in denen die Fußgänger unterschiedliche Geschwindigkeiten haben.<br />
5
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildungsverzeichnis<br />
Abb. 2-1: Platzbedarf eines Fußgängers ...................................................................07<br />
Abb. 2-2: Segregationseffekte ...................................................................................08<br />
Abb. 2-3: Oszillation an Engstellen und Warteschlangeneffekt ................................09<br />
Abb. 2-4: Schneller-ist-langsamer .............................................................................10<br />
Abb. 3-1: Analogie von Bewegungen in Fußgängermengen zu Flüssigkeiten ............11<br />
Abb. 3-2: Fundamentaldiagramme ...........................................................................15<br />
Abb. 4-1: (ir-)reguläre Gitterstrukturen ..................................................................16<br />
Abb. 4-2: Annäherung von Fußgängern durch Grundformen ...................................17<br />
Abb. 4-3: Verteilung von Fußgängern bei hohen Dichten .........................................17<br />
Abb. 4-4: Abbildung rechteckiger Objekte ...............................................................17<br />
Abb. 4-5: Shear und shift mapping ..........................................................................18<br />
Abb. 4-6: VON NEUMANN-Nachbarschaft ...............................................................19<br />
Abb. 4-7: Laufwege bei VON NEUMANN-Nachbarschaft ..........................................19<br />
Abb. 4-8: MOORE-Nachbarschaft ........................................................................... 0<br />
Abb. 4-9: Nachbarschaftsdistanzen nach Grundform ............................................... 0<br />
Abb. 4-10: Unerlaubte Schrittmöglichkeiten ............................................................ 1<br />
Abb. 4-11: Metriken zur Potentialfeldberechnung .................................................... 4<br />
6
Panikverhalten in Gebäuden<br />
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