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Alte und neue Begründungen für die Bornsche Wahrscheinlichkeit

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<strong>Alte</strong> <strong>und</strong> <strong>neue</strong> <strong>Begründungen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> <strong>Wahrscheinlichkeit</strong><br />

Lutz Polley <strong>und</strong> Jochen Pade<br />

Fachbereich Physik, Universität Oldenburg, 26111 Oldenburg<br />

Das Betragsquadrat einer Wellenfunktion gibt <strong>die</strong> <strong>Wahrscheinlichkeit</strong> an, mit der eine Observable<br />

wie der Ort eines Teilchens bei einer Messung einen bestimmten Wert annimmt. Diese <strong>Bornsche</strong> Regel<br />

wurde seit den 30er Jahren mit verschiedenen Argumenten begründet; <strong>die</strong> bekanntesten Namen<br />

in <strong>die</strong>sem Zusammenhang sind von Neumann (1932) <strong>und</strong> Gleason (1957). Zwei <strong>neue</strong> <strong>und</strong> besonders<br />

einfache <strong>Begründungen</strong> stammen von Deutsch (1999) <strong>und</strong> von Aharonov <strong>und</strong> Reznik (2001). Alle<br />

<strong>Begründungen</strong> haben ihre Stärken <strong>und</strong> Schwächen. Hier soll eine Übersicht gegeben werden.<br />

Messung als Eigenwertproblem<br />

Zu einem physikalischen Meßvorgang gehört ein Apparat,<br />

ein Objekt, <strong>und</strong> als Ergebnis eine Zahl. Bekanntlich<br />

werden <strong>die</strong>se Bausteine in der Quantentheorie<br />

zu einem linear-algebraischen Eigenwertproblem<br />

zusammengefügt,<br />

A |v〉 = λ |v〉 (1)<br />

wobei dem Apparat ein hermitischer Operator A<br />

(eine hermitische lineare Abbildung in einem komplexen<br />

linearen Raum) zugeordnet wird, dem Objekt<br />

(in einem vorher präparierten Quantenzustand)<br />

ein Vektor |v〉, <strong>und</strong> dem Meßwert der Eigenwert λ.<br />

<strong>Bornsche</strong> Regel<br />

Die <strong>Bornsche</strong> Regel [1] besagt, daß <strong>die</strong> <strong>Wahrscheinlichkeit</strong>,<br />

ein im Zustand |ψ〉 präpariertes System im<br />

Zustand |φ〉 zu finden, gleich dem Betragsquadrat<br />

des Skalarprodukts 〈φ|ψ〉 ist:<br />

wψ→φ = |〈φ|ψ〉| 2<br />

(2)<br />

Äquivalent dazu ist <strong>die</strong> allgemeine Formel, mit der<br />

man in der Quantenmechanik den mittleren Meßwert<br />

einer Observablen A in einem reinen Zustand<br />

|ψ〉 berechnet:<br />

〈A〉 = 〈ψ|A|ψ〉 (3)<br />

Wir erinnern kurz an den Beweis <strong>für</strong> <strong>die</strong>se Äquivalenz.<br />

A habe <strong>die</strong> Eigenvektoren |i〉 zu den Eigenwerten<br />

λi, so daß in Diracscher Schreibweise<br />

A = <br />

|i〉λi〈i| (4)<br />

i<br />

Die <strong>Wahrscheinlichkeit</strong> <strong>für</strong> das Auftreten des Meßwertes<br />

λi sei pi. Dann gilt <strong>für</strong> den Mittelwert<br />

〈A〉 = <br />

(5)<br />

Setzt man (2) voraus, so ist<br />

Didaktik der Physik<br />

Frühjahrstagung Leipzig 2002<br />

i<br />

λipi<br />

pi = |〈ψ|i〉| 2 = 〈ψ|i〉〈i|ψ〉 (6)<br />

<strong>und</strong> (3) folgt durch Einsetzen von (6) in (5) unter<br />

Verwendung von (4). Setzt man umgekehrt (3)<br />

voraus, so braucht man nur <strong>die</strong> <strong>Wahrscheinlichkeit</strong><br />

<strong>für</strong> das Auffinden von |φ〉 als Erwartungswert einer<br />

geeigneten Observablen auszudrücken; <strong>die</strong>se ist<br />

A = |φ〉〈φ|<br />

denn ihr Meßwert ist λ = 1 im Zustand |φ〉, <strong>und</strong><br />

λ = 0 in allen anderen Eigenzuständen. Die Behauptung<br />

folgt nun aus 〈ψ|A|ψ〉 = |〈φ|ψ〉| 2 .<br />

Zu (3) wiederum äquivalent ist <strong>die</strong> Formulierung<br />

mit Statistischem Operator ρ,<br />

〈A〉 = Spur (ρA) (7)


<strong>Alte</strong> <strong>und</strong> <strong>neue</strong> <strong>Begründungen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> <strong>Wahrscheinlichkeit</strong> 2<br />

wobei <strong>für</strong> einen reinen normierten Zustand |ψ〉<br />

ρ = |ψ〉〈ψ| (8)<br />

gesetzt werden muß. Diese Äquivalenz sieht man,<br />

indem man <strong>die</strong> Spur von ρA in einer orthonormalen<br />

Basis ausrechnet, deren einer Vektor |ψ〉 ist.<br />

Die bislang bekannten Erklärungsversuche <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

eine oder andere <strong>die</strong>ser Formulierungen unterscheiden<br />

sich nicht nur erheblich im mathematischen Anspruch,<br />

sondern vor allem auch in den physikalischmathematischen<br />

Annahmen, von denen <strong>die</strong> Autoren<br />

ausgehen möchten.<br />

Lineare Erwartungswert-Funktionale<br />

Ein mathematisch sehr befriedigender Zustandsbegriff,<br />

den von Neumann eingeführt hat [2], ist<br />

der des Erwartungswertfunktionals. Er beruht auf<br />

der mathematisch “natürlichen” Gleichsetzung (Isomorphie)<br />

von<br />

• Addition von Operatoren als lineare Abbildungen<br />

• Addition von Meßwerten wie bei Auswertung<br />

von Meßreihen<br />

Genauer lautet das Postulat: Ist 〈A〉 der arithmetische<br />

Mittelwert aller Meßwerte von A, <strong>die</strong> in einem<br />

Zustand |ψ〉 gewonnen wurden, so gelte (c = Zahl)<br />

〈A + B〉 = 〈A〉 + 〈B〉 〈cA〉 = c〈A〉 (9)<br />

<strong>für</strong> beliebige Observable A, B. Gleichungen <strong>die</strong>ser<br />

Form sind auch schon als Präzisierung des Bohrschen<br />

Komplementaritätsprinzips angesehen worden<br />

[3]. Ihr großes Problem ist, daß bei nichtkommutierenden<br />

Observablen völlig unklar sein kann,<br />

was <strong>die</strong> Operatorsumme physikalisch bedeutet (etwa<br />

im Sinne einer Bauanleitung <strong>für</strong> den Meßapparat).<br />

Betrachten wir aber nun <strong>die</strong> Vorteile <strong>die</strong>ser<br />

Auffassung.<br />

Gleichung (9) besagt, daß <strong>die</strong> Mittelwertbildung<br />

eine lineare Abbildung aus dem Raum der Operatoren<br />

in den Raum der reellen Zahlen ist. Im endlichdimensionalen<br />

Fall ist ein Operator A durch eine<br />

n × n-Matrix mit Elementen Aik gegeben, <strong>und</strong> ein<br />

in A linearer Zahlenausdruck (Linearform) hat <strong>die</strong><br />

allgemeine Form<br />

〈A〉 =<br />

n<br />

i,k=1<br />

ρikAki<br />

mit noch näher zu bestimmenden Zahlenkoeffizienten<br />

ρik. Man gelangt also bereits im ersten Schritt<br />

zu einer Darstellung der Form (7).<br />

Speziell <strong>für</strong> A = 1 = Einheitsmatrix tritt nur<br />

<strong>die</strong> 1 als Meßwert auf, also ist auch der Mittelwert<br />

〈1〉 = 1, <strong>und</strong> es folgt<br />

Spur ρ = 1 (10)<br />

Um zu zeigen, daß ρ hermitisch sein muß, wählen<br />

wir eine orthonormale Basis |1〉, . . . , |n〉, greifen zwei<br />

Basisvektoren |k〉 <strong>und</strong> |l〉 heraus, <strong>und</strong> betrachten <strong>die</strong><br />

Observablen<br />

A+ = |k〉〈l| + |l〉〈k|<br />

A− = i|k〉〈l| − i|l〉〈k|<br />

Die Mittelwerte, <strong>die</strong> reell sein müssen, sind<br />

〈A+〉 = 〈l|ρ|k〉 + 〈k|ρ|l〉<br />

〈A−〉 = i〈l|ρ|k〉 − i〈k|ρ|l〉<br />

(11)<br />

(12)<br />

Reellität heißt 〈A±〉 = 〈A±〉 ∗ . Ad<strong>die</strong>ren wir davon<br />

<strong>die</strong> obere <strong>und</strong> 1<br />

i mal <strong>die</strong> untere Gleichung, so finden<br />

wir<br />

〈k|ρ|l〉 ∗ = 〈l|ρ|k〉<br />

Also ist ρ hermitisch, hat somit eine Eigenbasis, <strong>und</strong><br />

in <strong>die</strong>ser <strong>die</strong> Form<br />

n<br />

ρ = |i〉 ρi 〈i| (13)<br />

i=1<br />

Wäre nun etwa ρk negativ, so hätte <strong>die</strong> Observable<br />

A = |k〉〈k| den Mittelwert ρk < 0 obwohl ihre Meßwerte<br />

nur 0 oder 1 sein können; folglich ist ρi ≥ 0<br />

<strong>für</strong> alle i. Zusammen mit (10) haben wir damit<br />

0 ≤ ρi ≤ 1<br />

n<br />

ρi = 1 (14)<br />

i=1<br />

Um <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> Regel herzuleiten, bestimmen wir<br />

schließlich <strong>die</strong> konkrete Form des statistischen Operators<br />

<strong>für</strong> den Fall, daß wir Messungen an einem


<strong>Alte</strong> <strong>und</strong> <strong>neue</strong> <strong>Begründungen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> <strong>Wahrscheinlichkeit</strong> 3<br />

Zustand vornehmen, der durch einen Vektor |ψ〉 im<br />

Hilbertraum dargestellt wird. Dazu ergänzen wir<br />

|ψ〉 zu einer orthonormalen Basis |ψ〉, |2〉, . . . , |n〉<br />

<strong>und</strong> betrachten wieder Observable der Form A+ <strong>und</strong><br />

A− wie in Gleichung (11), jetzt aber mit der Einschränkung<br />

k, l = 1. Zu <strong>die</strong>sen Observablen ist |ψ〉<br />

ein Eigenvektor mit Eigenwert null, daher sind <strong>die</strong><br />

Meßwerte von A± in <strong>die</strong>sem Zustand definitiv gleich<br />

null. Ausgedrückt durch den statistischen Operator<br />

bedeutet das, unter Verwendung von (12),<br />

〈l|ρ|k〉 + 〈k|ρ|l〉 = 0<br />

i〈l|ρ|k〉 − i〈k|ρ|l〉 = 0<br />

k, l = 1<br />

Es folgt 〈l|ρ|k〉 = 0 <strong>für</strong> alle k, l = 1. In der Matrixdarstellung<br />

bezüglich der gewählten Basis kann<br />

ρ also nur noch <strong>die</strong> Form<br />

⎛<br />

⎜<br />

ρ = ⎜<br />

⎝<br />

1 ρ12 · · · ρ1n<br />

ρ ∗ 12 0 · · · 0<br />

.<br />

.<br />

. ..<br />

ρ ∗ 1n 0 · · · 0<br />

.<br />

⎞<br />

⎟<br />

⎠<br />

haben, wobei <strong>die</strong> 1 aus (10) folgt. Quadrieren wir<br />

<strong>die</strong>se Matrix, so finden wir einen Widerspruch zu<br />

Spur ρ 2 ≤ 1 welches aus (13) <strong>und</strong> (14) folgt, außer<br />

wenn <strong>die</strong> Nichtdiagonalelemente ρ12, · · · , ρ1n verschwinden.<br />

In <strong>die</strong>sem Fall handelt es sich aber um<br />

<strong>die</strong> Matrixdarstellung von |ψ〉〈ψ| in der gewählten<br />

Basis, so daß ρ = |ψ〉〈ψ|. Das ist <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> Regel<br />

in der Form (8).<br />

Erwartungswert als Meßwert am Ensemble<br />

Im vergangenen Jahr haben Aharonov <strong>und</strong> Reznik<br />

[4] eine verblüffend einfache Begründung <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Formel (3) gegeben. Zunächst wird festgestellt, daß<br />

man eine Meß“reihe” mit einem Quantenzustand<br />

|ψ〉 auch in der Weise gewinnen kann, daß man eine<br />

große Zahl N von Systemen gleichzeitig in <strong>die</strong>sen<br />

Zustand bringt <strong>und</strong> an ihnen jeweils eine Messung<br />

von A vornimmt. Das Ensemble <strong>die</strong>ser gleichartigen<br />

Zustandsvektoren befindet sich dann im Produkt-<br />

Zustand<br />

|Ψ〉 = |ψ〉|ψ〉|ψ〉 · · · |ψ〉 (N Faktoren) (15)<br />

Nun überlegt man, ob es eine Ensemble-Observable<br />

M gibt, <strong>die</strong> gerade den Mittelwert aller Einzelmessungen<br />

von A darstellen würde. Aharonov <strong>und</strong><br />

Reznik machen da<strong>für</strong> den Vorschlag<br />

M = 1<br />

N<br />

N<br />

i=1<br />

Ai<br />

(16)<br />

wobei Ai <strong>die</strong> Wirkung des Operators A auf den iten<br />

Faktor im Produkt (15) bezeichnet. Aus den Formulierungen<br />

in [4] wird deutlich, daß sich <strong>die</strong> Autoren<br />

der Problematik ihrer Annahme vollkommen<br />

bewußt sind — wie schon in (9) wird ja in Gleichung<br />

(16) wieder <strong>die</strong> Addition von Meßwerten einer<br />

Zahlenkolonne mit der Addition von Operatoren<br />

gleichgesetzt. Ein gewisser Fortschritt besteht<br />

aber darin, daß in Gleichung (16) alle Operatoren<br />

miteinander vertauschen, weil sie alle auf verschiedene<br />

Teilsysteme wirken. Wenigstens läßt sich so<br />

<strong>für</strong> Eigenzustände von A nachrechnen, daß M den<br />

mittleren Meßwert richtig wiedergibt. Für Nicht-<br />

Eigenzustände verbleibt jedoch das gewohnte Unbehagen.<br />

Verblüffend ist aber, wie schnell man von der Annahme<br />

(16) zu der Formel (3) gelangt. Für jedes<br />

Einzelsystem zerlegt man A|ψ〉 in einen Anteil parallel<br />

zu |ψ〉 <strong>und</strong> einen Anteil |ψ⊥〉 senkrecht zu |ψ〉.<br />

Die parallele Komponente ist <strong>die</strong> Projektion von<br />

A|ψ〉 in Richtung von |ψ〉, also gegeben durch das<br />

Skalarprodukt 〈ψ|A|ψ〉. Somit gilt<br />

A|ψ〉 = λ|ψ〉 + |ψ⊥〉 λ = 〈ψ|A|ψ〉<br />

Beim Einsetzen in den Produktvektor (15) wirken<br />

sich nun <strong>die</strong> parallele <strong>und</strong> <strong>die</strong> senkrechte Komponente<br />

sehr unterschiedlich aus. Die parallele Komponente<br />

reproduziert das Produkt insgesamt, <strong>und</strong><br />

gibt nur einen Vorfaktor 〈ψ|A|ψ〉. Die senkrechte<br />

Komponente bei der Anwendung von A auf den iten<br />

Faktor gibt dagegen<br />

|ψ〉 · · · |ψ〉|ψ⊥〉|ψ〉 · · · |ψ〉<br />

mit |ψ⊥〉 an der iten Stelle. In der Summe über i mit<br />

anschließender Division durch N geben <strong>die</strong> parallelen<br />

Komponenten zusammen den alten Produktzustand<br />

mit einem Vorfaktor 〈ψ|A|ψ〉. Die senkrechten


<strong>Alte</strong> <strong>und</strong> <strong>neue</strong> <strong>Begründungen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> <strong>Wahrscheinlichkeit</strong> 4<br />

Komponenten sind dagegen auch zueinander senkrecht;<br />

zur Illustration etwa <strong>die</strong> ersten beiden Terme<br />

aus der Summe (16):<br />

|ψ⊥〉|ψ〉 · · · |ψ〉<br />

|ψ〉|ψ⊥〉 · · · |ψ〉<br />

Nach dem Satz des Pythagoras in N Dimensionen<br />

ad<strong>die</strong>ren sich N senkrechte Einheitsvektoren zu einem<br />

Vektor der Länge √ N; nach Division durch<br />

N gemäß (16) geht <strong>die</strong>ser Anteil somit im Limes<br />

N → ∞ gegen den Nullvektor. Damit haben wir in<br />

<strong>die</strong>sem Limes<br />

M|Ψ〉 = λ|Ψ〉 λ = 〈ψ|A|ψ〉<br />

Die Formel (3) läßt sich also damit begründen, daß<br />

〈ψ|A|ψ〉 als Meßwert im Sinne der Eigenwertgleichung<br />

(1) bei Messung der Mittelwert-Observablen<br />

M an einem sehr großen Ensemble auftritt.<br />

Das Theorem von Gleason<br />

Ein in der mathematischen Physik gefeiertes Theorem,<br />

das <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> Regel tatsächlich direkt aus<br />

(1) herleitet, wurde 1957 von Gleason [5] bewiesen.<br />

Eine elementarisierte Form des Beweises, <strong>die</strong><br />

sich allerdings über 12 Seiten erstreckt, wurde 1985<br />

von Cooke et al. [6] gegeben. Ein Beweis-Beispiel<br />

<strong>für</strong> den 3-dimensionalen anschaulichen Raum, das<br />

immerhin noch <strong>die</strong> Theorie der Kugelflächenfunktionen<br />

benötigt, findet man in dem Lehrbuch von<br />

Peres [7].<br />

Das Theorem von Gleason läßt sich folgendermaßen<br />

formulieren: Will man jedem Vektor v eines<br />

Vektorraums eine <strong>Wahrscheinlichkeit</strong> p(v) zuordnen,<br />

so daß <strong>für</strong> jede orthonormale Basis v1, . . . , vn<br />

<strong>die</strong> Summe der <strong>Wahrscheinlichkeit</strong>en p(vi) gleich 1<br />

ist, dann ist <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> Regel <strong>die</strong> einzige Möglichkeit;<br />

das heißt, es ist p(v) = |〈v|w〉| 2 <strong>für</strong> alle v mit<br />

einem festem Vektor w.<br />

Das Theorem macht eine rein geometrische Aussage,<br />

<strong>die</strong> nicht primär mit Statistik zu tun hat; statt<br />

von “<strong>Wahrscheinlichkeit</strong>en” ist in der einschlägigen<br />

Literatur von “frame functions” (Basissystem-<br />

Funktionen) <strong>die</strong> Rede. Physikalisch ist aber klar,<br />

daß das Theorem eine unmittelbare Bedeutung <strong>für</strong><br />

Übergangswahrscheinlichkeiten aus einem präparierten<br />

Zustand |w〉 in alle möglichen Detektor-<br />

Zustände |v〉 hat.<br />

Die Normierungsbedingung <br />

i p(vi) = 1 <strong>für</strong> <strong>die</strong><br />

Summe über eine beliebige Basis hat folgenden<br />

Gr<strong>und</strong>: An einem Zustandsvektor w kann man jede<br />

beliebige Observable A messen; findet man dabei<br />

den Eigenwert λi (vgl. (1)) so ist das System in den<br />

zugehörigen Eigenvektor von A übergegangen, hier<br />

vi genannt. Da immer eines der Meßergebnisse auftreten<br />

muß, ist <strong>die</strong> Summe der <strong>Wahrscheinlichkeit</strong>en<br />

p(vi) gleich 1. Auf den Zahlenwert von λi kommt es<br />

dabei nicht an, sondern nur auf <strong>die</strong> Unterscheidbarkeit<br />

der Eigenvektoren. Nun gibt es zu jedem A eine<br />

Basis aus Eigenvektoren, <strong>und</strong> umgekehrt ist jede orthonormale<br />

Basis auch Eigenbasis einer geeigneten<br />

Observablen. Daher ist im Theorem von Gleason <strong>die</strong><br />

Rede von Basen <strong>und</strong> nicht von Observablen.<br />

Herleitung aus Superposition & Symmetrie<br />

Eine Begründung der <strong>Bornsche</strong>n Regel, <strong>die</strong> nur Superpositionen<br />

von Zustandsvektoren <strong>und</strong> nicht solche<br />

von “Apparaten” benutzt, findet sich in einer<br />

Arbeit von Deutsch [8], <strong>die</strong> 1999 publiziert wurde.<br />

DeWitt [9] hat <strong>die</strong>se Begründung als (sinngemäß)<br />

“das Beste was es dazu bisher gibt” bezeichnet.<br />

Deutsch betrachtet eine Superposition von der<br />

speziellen Form<br />

|ψ〉 =<br />

m<br />

m + n<br />

<br />

n<br />

|A〉 +<br />

m + n<br />

|B〉 (17)<br />

Hierbei sind |A〉 <strong>und</strong> |B〉 zwei orthonormale Vektoren;<br />

|ψ〉 ist automatisch ebenfalls normiert. m <strong>und</strong><br />

n sind natürliche Zahlen, so daß <strong>die</strong> Koeffizienten<br />

Wurzeln aus rationalen Zahlen sind; damit lassen<br />

sich reell-positive Koeffizienten beliebig genau approximieren.<br />

Zusätzliche komplexe Phasenfaktoren<br />

in den Koeffizienten könnte man <strong>für</strong> den gegenwärtigen<br />

Zweck in |A〉 <strong>und</strong> |B〉 absorbieren.<br />

Deutsch zeigt nun, daß <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> <strong>Wahrscheinlichkeit</strong>sregel<br />

<strong>für</strong> das Vorfinden von A oder B aus<br />

dem Prinzip des fehlenden Gr<strong>und</strong>es folgt. Man<br />

kennt <strong>die</strong>ses Prinzip aus der Theorie des Würfelns:<br />

Da es keinen Gr<strong>und</strong> gibt, weshalb eine der sechs<br />

Flächen häufiger als eine andere auftreten sollte,


<strong>Alte</strong> <strong>und</strong> <strong>neue</strong> <strong>Begründungen</strong> <strong>für</strong> <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> <strong>Wahrscheinlichkeit</strong> 5<br />

müssen alle Flächen mit derselben <strong>Wahrscheinlichkeit</strong><br />

w = 1/6 auftreten.<br />

Wir denken uns nun das Quantensystem im Zustand<br />

A um ein “Hilfssystem” erweitert, das einen<br />

m-dimensionalen Zustandsraum hat; analog das System<br />

im Zustand B um ein “Hilfssystem” mit einem<br />

n-dimensionalen Zustandsraum. Konkret könnten<br />

etwa <strong>die</strong> Zustände A <strong>und</strong> B den Spin-Einstellungen<br />

eines Teilchens entsprechen, <strong>und</strong> <strong>die</strong> Zustände der<br />

Hilfssysteme gewissen Orten des Teilchens. Mit den<br />

Hilfssystemen wird eine Art von “Quantenwürfel”<br />

mit m + n Flächen eingeführt. Um, bildlich gesprochen,<br />

gleiche <strong>Wahrscheinlichkeit</strong>en <strong>für</strong> <strong>die</strong> Flächen<br />

zu erreichen, versetzen wir <strong>die</strong> Hilfssysteme in spezielle<br />

Überlagerungszustände, in denen alle Koeffizienten<br />

gleich sind. Aus Normierungsgründen muß<br />

dann der gemeinsame Koeffizient im Hilfssystem<br />

A gleich 1/m sein, <strong>und</strong> im Hilfssystem B gleich<br />

1/n. Somit bedeutet das Einführen der Hilfssy-<br />

steme <strong>die</strong> folgenden Ersetzungen:<br />

|A〉 →<br />

<br />

1<br />

|A〉|α〉 = |A〉<br />

m<br />

<br />

1<br />

|B〉 → |B〉|β〉 = |B〉<br />

n<br />

m<br />

|i〉<br />

i=1<br />

m+n <br />

i=m+1<br />

|i〉<br />

(18)<br />

Der urspüngliche Zustand (17) wird dadurch sehr<br />

wohl verändert, aber <strong>die</strong> Eigenschaften A <strong>und</strong> B<br />

werden nicht angerührt. Lediglich wird eine Strecke<br />

von z.B. der Länge √ m durch einen höherdimensionalen<br />

Polygonzug aus m gleich großen <strong>und</strong> zueinander<br />

senkrechten Streckenelementen dargestellt.<br />

Der Punkt ist nun, daß in der zunächst unsymmetrischen<br />

Superposition (17) nach den Ersetzungen<br />

(18) lauter gleiche Koeffizienten auftreten (nämlich<br />

1/ √ m + n). Damit gibt es keinen Gr<strong>und</strong> mehr, weshalb<br />

bei einer Messung an dem Gesamt-System<br />

(ursprüngliches System + Hilfs-Systeme) einer der<br />

Gesamt-Basiszustände häufiger als ein anderer auftreten<br />

sollte. Die <strong>Wahrscheinlichkeit</strong>en müssen also<br />

1<br />

alle gleich sein. Da <strong>die</strong> Eigenschaften A <strong>und</strong> B<br />

m+n<br />

in den Gesamt-Basiszuständen noch präsent sind,<br />

braucht man nur noch abzuzählen um zu finden, daß<br />

das Verhältnis der <strong>Wahrscheinlichkeit</strong>en wA : wB<br />

gleich m : n ist, wie es <strong>die</strong> <strong>Bornsche</strong> Regel verlangt.<br />

In (18) kommt es wesentlich darauf an, daß<br />

ein im üblichen Sinne normierter Überlagerungszustand<br />

des Hilfssystems verwendet wird. Diese<br />

übliche Normierung von Wellenfunktionen (mag sie<br />

auch “natürlich” [9] erscheinen) wird in der Lehrbuchliteratur<br />

stets mit der <strong>Bornsche</strong>n <strong>Wahrscheinlichkeit</strong>sregel<br />

begründet. Obwohl das Argument von<br />

Deutsch sicher zum Verständnis der <strong>Bornsche</strong>n Regel<br />

beitragen kann, enthält es in der publizierten<br />

Form möglicherweise einen logischen Zirkel.<br />

Literatur<br />

[1] M. Born, Z. Phys. 37 (1926) 863.<br />

[2] J. von Neumann, Mathematische Gr<strong>und</strong>lagen der<br />

Quantenmechanik (Springer, Berlin, 1932).<br />

[3] A. Bohr, O. Ulfbeck, Rev. Mod. Phys. 67 (1995) 1.<br />

[4] Yakir Aharonov <strong>und</strong> Benni Reznik, How macroscopic<br />

properties dictate microscopic probabilities,<br />

http://arXiv.org/abs/quant-ph/0110093.<br />

[5] A. M. Gleason, J. Math. Mech. 6 (1957) 885.<br />

[6] R. Cooke et al., Math. Proc. Camb. Phil. Soc. 98<br />

(1985) 117.<br />

[7] A. Peres, Quantum Theory: Concepts and Methods<br />

(Kluwer, Dordrecht, 1995).<br />

[8] D. Deutsch, Proc. Roy. Soc. Lond. A 455 (1999)<br />

3129.<br />

[9] B. DeWitt, Int. J. Mod. Phys. A 13 (1998) 1881.

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