3. Probleme der Anwendung des Minimalkonsens und mögli ... - GMX
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Der Beutelsbacher Konsens<br />
Referatsverschriftlichung<br />
für das Seminar:<br />
„Einführung in die politische Bildung“<br />
im Sommersemester 1998<br />
von: Martina Graiff<br />
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1. Die historische Einordnung ..........................................................................................1<br />
2. Die drei Gr<strong>und</strong>prinzipien <strong>des</strong> Beutelsbacher Konsens.................................................2<br />
<strong>3.</strong> <strong>Probleme</strong> <strong>der</strong> <strong>Anwendung</strong> <strong>des</strong> <strong>Minimalkonsens</strong> <strong>und</strong> <strong>mögli</strong>che „Lösungen“.................3<br />
4. Literaturangaben..........................................................................................................4<br />
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1. Die historische Einordnung<br />
Ende <strong>der</strong> 60er Jahre brachte die Studentenrevolte eine neue Diskussion über<br />
politische Bildung in Gang. Wissenschaftstheoretische Ansätze wie die <strong>der</strong> Frankfurter<br />
Schule waren, obwohl schon Jahrzehnte vorhanden, auf einmal aktuell.<br />
In den 70er Jahren waren die politischen Lager in <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>republik, auf <strong>der</strong> einen<br />
Seite die sozial-liberale Regierungskoalition, auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en die CDU/CSU, etwa<br />
gleich stark. Politische Bildung <strong>und</strong> <strong>der</strong>en Didaktik war ein Wahlkampfthema, über<br />
das erbittert gestritten wurde (z.B. die Auseinan<strong>der</strong>setzung über die Hessischen<br />
Rahmenrichtlinien Gesellschaftslehre, 1972).<br />
1977 lud die Lan<strong>des</strong>zentrale für politische Bildung in Baden-Württemberg Wissenschaftler<br />
unterschiedlichster Auffassungen zu einer Tagung nach Beutelsbach im<br />
Remstal ein, um über einen Konsens in Fragen <strong>der</strong> Politischen Bildung zu beraten.<br />
Gemeinsame Prämissen <strong>der</strong> Teilnehmer waren, trotz unterschiedlicher Meinungen:<br />
• <strong>der</strong> Eindruck <strong>der</strong> leidvollen Erfahrungen im Dritten Reichs<br />
• die Ablehnung einer Politik eines „real-existierenden Sozialismus“ nach Art <strong>der</strong><br />
Ostblockstaaten<br />
• die einmütige Würdigung <strong>des</strong> Gr<strong>und</strong>gesetzes<br />
Zudem ergab sich im Verständnis <strong>der</strong> Didaktiker aus <strong>der</strong> Menschenwürde das<br />
Postulat, die Mündigkeit <strong>der</strong>er ernst zu nehmen, die als Schüler o<strong>der</strong> Erwachsene<br />
politische Bildung erfahren.<br />
Außerdem bestand Einigkeit darüber politische Bildung nicht im Sinne einer bestimmten<br />
politischen Überzeugung o<strong>der</strong> Partei, son<strong>der</strong>n parteiübergreifend, zu<br />
betreiben, denn es kann nicht das Ziel politischer Bildung sein zur Stimmenmehrung<br />
<strong>der</strong> einen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en politischen Richtung beitragen zu helfen.<br />
Daher stellen Lan<strong>des</strong>zentralen für politische Bildung <strong>und</strong> das Fach Gemeinschaftsk<strong>und</strong>e<br />
so etwas wie einen „institutionalisierten“ Konsens dar, da eine parteipolitische<br />
Instrumentalisierung dieser Einrichtungen ihren Untergang bedeuten würde.
Beraten wurde über einen <strong>Minimalkonsens</strong> über politisch „Erlaubtes“ <strong>und</strong> politisch<br />
„Unerlaubtes“. Sollte man sich mit extremen Randpositionen beschäftigen o<strong>der</strong><br />
besser nicht? Ist Demokratie lediglich ein staatliches Ordnungsprinzip (so die<br />
CDU/CSU in ihrer Schrift „Politische Bildung“) o<strong>der</strong> eignet sie sich doch zur Formierung<br />
an<strong>der</strong>er Sozialbereiche, die nicht primär politische Ziele sind?<br />
Die drei im nachfolgenden Abschnitt vorgestellten Gr<strong>und</strong>prinzipien stellen nicht mehr<br />
<strong>und</strong> nicht weniger als einen <strong>Minimalkonsens</strong> dar. Dieser <strong>Minimalkonsens</strong> ist allerdings<br />
wie<strong>der</strong>um so umfassend, daß er als Vorgabe für die Lehrplankommissionen<br />
<strong>der</strong> Kultusministerien, sowie für die politische Bildungsarbeit <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>wehr dient.<br />
2. Die drei Gr<strong>und</strong>prinzipien <strong>des</strong> Beutelsbacher Konsens<br />
Die drei Gr<strong>und</strong>prinzipien („Didaktisches Dreieck“) <strong>des</strong> Beutelsbacher Konsens sind :<br />
1. Das Überwältigungsverbot, d.h., daß den Schüler von Lehrerseite nicht mit „erwünschten“<br />
Meinungen zu überrumpeln <strong>und</strong> ihn an <strong>der</strong><br />
2. Bildung eines selbständigen Urteils zu hin<strong>der</strong>n.<br />
<strong>3.</strong> Kontroverses muß auch kontrovers behandelt werden. Die Schüler sollen die politische<br />
Situation analysieren <strong>und</strong> ihre eigene Interessenlage äußern.<br />
Diese drei Gr<strong>und</strong>sätze stehen in diametralem Gegensatz zu <strong>der</strong> Schule <strong>und</strong><br />
dem Staatsbürgerk<strong>und</strong>eunterricht in <strong>der</strong> ehemaligen DDR. D.h., Schüler <strong>und</strong> auch<br />
die Lehrer in den Neuen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n müssen politische Bildung, auch fast zehn<br />
Jahre nach <strong>der</strong> politischen Wende, immer noch neu lernen, was gerade, wenn man<br />
sich das Wahlverhalten <strong>der</strong> Jungwähler in den Neuen Bun<strong>des</strong>län<strong>der</strong>n betrachtet,<br />
eine wichtige <strong>und</strong> spannende Aufgabe ist.<br />
Zum ersten Gr<strong>und</strong>satz ist zu bemerken, daß fast noch wichtiger als <strong>der</strong> Inhalt<br />
<strong>der</strong> Lehrpläne <strong>der</strong> „Geist“ ist, <strong>der</strong> dahinter steckt, sowie die Einstellung <strong>des</strong> Lehrers,<br />
<strong>der</strong> den Politik- o<strong>der</strong> Gemeinschaftsk<strong>und</strong>eunterricht erteilt, denn die „wahre Erkenntnis“<br />
ist dem Menschen auch im politischen Bereich verschlossen. In unserem gr<strong>und</strong>gesetzlich<br />
festgelegtem Rechtssystem <strong>des</strong> demokratischen Rechtsstaats, <strong>der</strong> die<br />
friedliche Auseinan<strong>der</strong>setzung über die jeweils einzuschlagenden Wege organisiert,<br />
ist das Überwältigungsverbot für den Bereich <strong>der</strong> politischen Bildung eine fast logische<br />
Konsequenz, denn da es in <strong>der</strong> Politik keine „Wahrheit“ gibt muß <strong>der</strong> Weg zur<br />
eigenen Meinungsbildung offen bleiben.<br />
Das Problem hierbei ist natürlich, daß es subtile Formen <strong>der</strong> Indoktrination gibt, die<br />
dem Lehrer o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Lehrerin selbst nicht bewußt werden, da er o<strong>der</strong> sie das in den<br />
Unterricht einfließen lassen, was er o<strong>der</strong> sie für richtig halten. Deshalb müssen Lehrer<br />
versuchen sich zurückzuhalten spontan einseitig zu reagieren, da politische Bildung<br />
nicht „Fortsetzung von Politik mit an<strong>der</strong>en Mitteln“ sein darf.<br />
Der zweite Gr<strong>und</strong>satz ist in <strong>der</strong> Praxis leichter durchzusetzen. Natürlich hängt<br />
auch das Überwältigungsverbot eng mit <strong>der</strong> These von kontroverser Diskussion zusammen.<br />
Das Problem ist allerdings die „Qualität“ <strong>der</strong> verschiedenen Stellungnahmen<br />
zu den verschiedenen Positionen zu beurteilen. Beson<strong>der</strong>e Wichtigkeit <strong>und</strong> Vorrang<br />
2
hat dabei das Meinungsspektrum, <strong>der</strong> vom Volk in beson<strong>der</strong>er Weise legitimierten,<br />
im Parlament vertretenen Parteien. Meinungen, die sonst auch noch vertretenen<br />
Meinungen sollen dabei nicht ausgeblendet o<strong>der</strong> gar herabgewürdigt werden, allerdings<br />
wäre es unangemessen ihnen in <strong>der</strong> Präsentation das gleiche Gewicht einzuräumen.<br />
Der dritte Gr<strong>und</strong>satz, daß <strong>der</strong> Schüler seine Interessenlage äußern soll, ist<br />
leichter formuliert als durchgeführt. Als Stichwort sei die vielzitierte Politikverdrossenheit<br />
genannt. Der Lehrer o<strong>der</strong> die Lehrerin kann hier in „Gr<strong>und</strong>satzschwierigkeiten“<br />
kommen. Entspricht es zum Beispiel den Interessen <strong>der</strong> Schüler sich eben nicht<br />
für Parteipolitik zu interessieren, wi<strong>der</strong>spräche es dem Überwältigungsverbot den<br />
Schülern Diskussionen über parteipolitische Standpunkte „aufzuzwingen“. Eine <strong>mögli</strong>che<br />
Lösung wäre es, einen an Fällen orientierten Politikunterricht durchzuführen,<br />
statt einem systematischen Kanon zu folgen, <strong>und</strong> so das Interesse <strong>der</strong> Schüler für<br />
den Politikunterricht zu wecken, <strong>und</strong> ihnen operationale Fähigkeiten zu vermitteln,<br />
die sie in die Lage versetzen ihre eigene Interessenlage zu bestimmen. Dabei darf<br />
natürlich die kontroverse Diskussion nicht vernachlässigt werden.<br />
Min<strong>des</strong>tens zwei Wochenst<strong>und</strong>en Politikunterricht werden von den Experten in <strong>der</strong><br />
Sek<strong>und</strong>arstufe I <strong>und</strong> II als notwendig erachtet. Politische Bildung im Rahmen <strong>des</strong><br />
Sachk<strong>und</strong>eunterrichts in <strong>der</strong> Gr<strong>und</strong>schule wurde nicht erörtert.<br />
<strong>3.</strong> <strong>Probleme</strong> <strong>der</strong> <strong>Anwendung</strong> <strong>des</strong> <strong>Minimalkonsens</strong> <strong>und</strong> <strong>mögli</strong>che<br />
„Lösungen“<br />
Die Schwierigkeit <strong>der</strong> <strong>Anwendung</strong> <strong>des</strong> <strong>Minimalkonsens</strong> ist neben <strong>der</strong> doch<br />
hohen Abstraktionsebene seine Konkretisierung.<br />
Bis Ende <strong>der</strong> 80er, Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre war es eher still um das Thema <strong>der</strong> politischen<br />
Bildung geworden, da sich auch die politischen Rahmenbedingungen geän<strong>der</strong>t<br />
hatten.<br />
Auch beinhaltet <strong>der</strong> Konsens nicht nur die politische Dimension, son<strong>der</strong>n auch<br />
Fragen <strong>des</strong> technischen Fortschritts, <strong>der</strong> Gleichberechtigung <strong>und</strong> an<strong>der</strong>er <strong>Probleme</strong>,<br />
die den Lehrer oft vor schwierige Aufgaben stellen, da es hier meist noch schwerer<br />
fällt eine kontroverse Diskussion aufrechtzuerhalten <strong>und</strong> nicht zu versuchen die eigene<br />
Vorstellung was „richtig“ o<strong>der</strong> „fair“ ist in den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong> zu stellen.<br />
Allerdings ist zu beachten, daß die drei Gr<strong>und</strong>prinzipien keine Lernziele, son<strong>der</strong>n<br />
lediglich Min<strong>des</strong>tanfor<strong>der</strong>ungen an den Unterricht sind.<br />
Politische Bildung darf keine Identitätsgebote für die Schüler erlassen, son<strong>der</strong>n<br />
sie sollte Identitätsangebote machen. Dabei muß <strong>der</strong> kontroverse Aspekt <strong>der</strong><br />
Identitätsangebote herausgestellt werden.<br />
Die Fächer, die Politik lehren, übertragen das „Magische Dreieck“ <strong>der</strong> Politik (Bürger<br />
/ Sachproblem / Politiker) auf den Bereich <strong>der</strong> politischen Bildung (Schüler / Lernfel<strong>der</strong><br />
/ Lehrer).<br />
Die kontroverse Diskussion ist nicht leicht <strong>und</strong> erfor<strong>der</strong>t Arbeit <strong>und</strong> Zeit. Sie aufrechtzuerhalten<br />
o<strong>der</strong> gar erst anzufachen ist gerade in Haupt- <strong>und</strong> Berufsschulen beson<strong>der</strong>s<br />
schwer.<br />
Deshalb treten viele Lehrer die Flucht in „Lösungen“ wie reine Institutionenk<strong>und</strong>e<br />
o<strong>der</strong>, als „eleganteren“ Ausweg, in die philosophisch-historische Abstraktionsebene<br />
an.<br />
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Die Gr<strong>und</strong>sätze <strong>des</strong> Beutelsbacher Konsenses sind also ein <strong>Minimalkonsens</strong><br />
<strong>des</strong>sen Einhaltung je<strong>der</strong> Lehrer, bei sich selbst <strong>und</strong> immer wie<strong>der</strong> aufs Neue, im<br />
Sinne einer vorurteilsfreien, kontrovers zu diskutierenden <strong>und</strong> den Schüler zur Partizipation<br />
anregenden politischen Bildung überprüfen sollte.<br />
4. Literaturangaben<br />
• Breit/Massing, Gr<strong>und</strong>fragen <strong>und</strong> Praxisprobleme <strong>der</strong> politischen Bildung; insbeson<strong>der</strong>e<br />
die Seiten 129 - 134: „Zehn Jahre Beutelsbacher Konsens - Eine Nachlese“<br />
von Hans-Georg Wehling. 1986.<br />
• Wolfgang San<strong>der</strong>, Zur Geschichte <strong>der</strong> politischen Bildung. Allgemeinbildung <strong>und</strong><br />
fächerübergreifen<strong>des</strong> Lernen in <strong>der</strong> Schule, Marburg. 1989.<br />
• Her<strong>der</strong> Lexikon „Politik“, Son<strong>der</strong>auflage für die Hessische Lan<strong>des</strong>zentrale für politische<br />
Bildung, Freiburg im Breisgau. 1994.<br />
• Fischer Kolleg „Sozialwissenschaften“, Seiten 94-96 (Politische Bildung seit<br />
1945), Frankfurt am Main. 1988.<br />
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