7. Therapie der akuten Höhenkrankheit - Franz Berghold
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<strong>7.</strong> <strong>Therapie</strong> <strong>der</strong> <strong>akuten</strong> <strong>Höhenkrankheit</strong><br />
<strong>7.</strong>1. Ruhe / Abstieg / Abtransport / Wärme<br />
<strong>7.</strong>1.1. Wie weit muss abgestiegen werden ?<br />
<strong>7.</strong>1.2. Wann darf wie<strong>der</strong> aufgestiegen werden ?<br />
<strong>7.</strong>2. Überbrückende Notfalltherapien<br />
<strong>7.</strong>3. Weitere Medikamente bei akuter <strong>Höhenkrankheit</strong><br />
<strong>7.</strong>4. Übersicht: Maßnahmen bei AMS / HACE / HAPE<br />
<strong>7.</strong>5. Der Umgang mit dem bewusstlosen Patienten<br />
<strong>7.</strong>6. Zulassung und Aufklärungspflicht<br />
<strong>7.</strong><strong>7.</strong> Selbstmedikation durch Nicht-Ärzte<br />
Die wirksamste Behandlung aller Formen <strong>der</strong> <strong>akuten</strong> <strong>Höhenkrankheit</strong> heißt immer<br />
Sauerstoff - entwe<strong>der</strong> durch Abstieg/Abtransport in tiefere Höhenlagen, mittels Fla-<br />
schensauerstoff o<strong>der</strong> mittels Überdrucksack.<br />
Die Sofortmassnahmen bei AMS, HACE und HAPE bestehen einerseits aus kör-<br />
perlicher Ruhe, Abstieg/Abtransport und Wärme sowie an<strong>der</strong>erseits aus den Notfall-<br />
therapien Sauerstoff, Überdrucksack und aus einigen höhenspezifischen Medikame-<br />
nten. Die richtige Anwendung sowie die bedarfsweise Kombination dieser Massnah-<br />
men können für das Überleben entscheidend sein.<br />
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<strong>7.</strong>1. Ruhe / Abstieg / Abtransport / Wärme<br />
→ Bereits bei AMS kein weiterer Aufstieg, son<strong>der</strong>n einen Ruhetag einlegen: Völli-<br />
ge körperliche Inaktivität und „bewusste“ Hyperventilation (s.u.). In <strong>der</strong> Regel ver-<br />
schwinden die Symptome von AMS innerhalb von 1 bis 2 Tagen. Verschlimmern<br />
sich die Symptome bis zum nächsten Morgen, muss sofort unter Begleitung abge-<br />
stiegen werden. Kein Alkohol, keine Sedativa, kein Schlafmittel. Kin<strong>der</strong> müssen<br />
bereits beim ersten Verdacht auf AMS hinunter getragen werden.<br />
„Bewusste“ Hyperventilation ist bei AMS erfahrungsgemäß eine zusätzliche<br />
Hilfe, da es zumindest vorübergehend die Sauerstoffversorgung verbessert und<br />
die gesteigerte Gehirndurchblutung sowie den Hirndruck senkt. Hyperventilation<br />
führt in <strong>der</strong> Höhe zu keinen Tetanien.<br />
→ Bei schwerer AMS sofortiger Abstieg. Ist ein Abstieg mit Anstrengungen für den<br />
Betroffenen verbunden, muss <strong>der</strong> Patient wenn irgendwie möglich abtranspor-<br />
tiert (hinunter getragen) werden, denn jede körperliche Aktivität kann das Krank-<br />
heitsbild bedrohlich verstärken. Kälteschutz !<br />
→ Bei Verdacht auf HACE und/o<strong>der</strong> HAPE sofortiger Abtransport in sitzen<strong>der</strong> Po-<br />
sition und Kälteschutz. Selbst geringe körperliche Anstrengungen erhöhen das<br />
Herzminutenvolumen und den pulmonalarteriellen Druck (PaP), wodurch das<br />
HAPE-Risiko beträchtlich zunimmt. Ähnliches gilt für Kältestress. Bei rechtzeitig<br />
erkanntem HAPE führt ein sofortiger Abtransport, wenn noch keine Komplikatio-<br />
nen aufgetreten sind, innerhalb weniger Stunden zur Besserung <strong>der</strong> Symptome<br />
des HAPE, zur Rückbildung <strong>der</strong> Gasaustauschstörungen und innerhalb von weni-<br />
gen Tagen zum Verschwinden <strong>der</strong> radiologischen Verän<strong>der</strong>ungen.<br />
→ Immer aufrechter Oberkörper: Bei allen Formen <strong>der</strong> <strong>akuten</strong> <strong>Höhenkrankheit</strong>, be-<br />
son<strong>der</strong>s aber beim HAPE, muss <strong>der</strong> Oberkörper möglichst aufrecht positioniert<br />
werden (mindestens 30° Neigung), da dies den PaP se nkt. Daher auch keinen<br />
Liegendtransport, son<strong>der</strong>n Tragen auf dem Rücken eines Trägers.<br />
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→ Ein Höhenkranker muss bei Abstieg bzw. Ruhetag immer von einem höhen-<br />
erfahrenen Gruppenmitglied begleitet bzw. betreut werden. Niemals nur mit<br />
einem Träger / Einheimischen absteigen lassen bzw. zurück lassen! Das kann zu<br />
lebensbedrohlichen Situationen bei Zustandsverschlechterung des Patienten füh-<br />
ren (sprachliche Verständigungsschwierigleiten, Unkenntnis über spezifische Ge-<br />
genmaßnahmen).<br />
Abtransport: Je<strong>der</strong> Höhenkranke, <strong>der</strong> abtransportiert wird, muss immer mit aufrech-<br />
tem Oberkörper getragen werden. Träger adaptieren dafür einen Tragkorb durch<br />
Aufschneiden von Beinschlitzen. Hat man für das Gepäck Tragtiere zur Verfügung,<br />
empfiehlt sich die vorsorgliche Mitnahme eines eigenen „Emergency Horse“.<br />
<strong>7.</strong>1.1. Wie weit muss abgestiegen bzw. abtransportiert werden ?<br />
Möglichst bis zu jener Höhe, auf welcher <strong>der</strong> Patient zuvor eine Nacht symptomfrei<br />
verbracht hat. Ist das unklar, zumindest bis zu jener Höhe hinab, auf <strong>der</strong> zwei Nächte<br />
davor geschlafen wurde. Dabei wird deutlich, wie bedeutsam die Taktik des symp-<br />
tomfreien Höhersteigens ist. Wer nämlich schon tagelang an höhenbedingten Be-<br />
schwerden gelitten hat und trotzdem weiter hochgestiegen ist, muss jetzt über oft<br />
beträchtliche Höhenunterschiede evakuiert werden.<br />
<strong>7.</strong>1.2. Wann darf wie<strong>der</strong> aufgestiegen werden ?<br />
Wenn die Symptome einer <strong>Höhenkrankheit</strong> nach Abstieg bzw. Abtransport völlig<br />
verschwinden, ist ein langsamer Wie<strong>der</strong>aufstieg meist schon nach kurzer Erholung<br />
möglich. Symptomfreiheit bedeutet ja, dass man jetzt auf dieser Höhe akklimatisiert<br />
ist. Ataxie (HACE) kann allerdings Tage, ja sogar Wochen andauern.<br />
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Folgendes Prinzip ist <strong>der</strong> Leitsatz je<strong>der</strong> <strong>Therapie</strong> <strong>der</strong> <strong>Höhenkrankheit</strong>:<br />
• Der rasche Wechsel in tiefere Höhenlagen ist stets die entscheidende<br />
<strong>Therapie</strong>maßnahme und kann durch keine an<strong>der</strong>e <strong>Therapie</strong> ersetzt werden.<br />
Im Zweifel immer hinunter !<br />
Der sofortige und rasche Abtransport in tiefere Höhenlagen ist bei den ersten Anzei-<br />
chen einer schweren <strong>Höhenkrankheit</strong> (HAPE, HACE) die kausale <strong>Therapie</strong> schlecht-<br />
hin und allen an<strong>der</strong>en <strong>Therapie</strong>massnahmen weit überlegen. Rasches Handeln und<br />
größtmögliche Geschwindigkeit beim Abtransport sind oberstes Gebot.<br />
Daher darf ein Abtransport nur bei extremer Gefährdung aufgeschoben wer-<br />
den: Ein abends ataktischer Patient kann am nächsten Morgen bereits komatös und<br />
damit rettungslos verloren sein.<br />
Nicht auf Rettung von außen warten: Bereits etliche an HACE o<strong>der</strong> HAPE erkrank-<br />
te Personen sind beim tagelangen Warten auf den angefor<strong>der</strong>ten Helikopter verstor-<br />
ben und hätten durch raschen terrestrischen Abtransport in tiefere Lagen gerettet<br />
werden können. Durch das Warten auf Besserung o<strong>der</strong> auf Rettung von außen wird<br />
meist wertvolle Zeit verschenkt, die über Leben und Tod entscheiden kann.<br />
Hubschrauberabtransport hat bei HACE und HAPE (außer in den Alpen) keine Priori-<br />
tät mehr und ist daher „out“. Während nämlich das Warten auf einen Helikopterab-<br />
transport eine stets lebensbedrohliche Zeitverzögerung darstellt, kann, wenn statt-<br />
dessen terrestrisch abtransportiert wird, wahrscheinlich das Leben des Patienten<br />
gerettet werden.<br />
<strong>7.</strong>2. Überbrückende Notfalltherapien<br />
Diese therapeutischen Möglichkeiten stellen keine Alternativen zu den Sofort-<br />
massnahmen Ruhe/Abstieg/Abtransport dar, son<strong>der</strong>n dienen zur lebensrettenden<br />
Überbrückung in einer Situation, in <strong>der</strong> ein Wechsel in tiefere Lagen wegen gelän-<br />
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de- o<strong>der</strong> witterungsbedingter Widrigkeiten vorerst nicht rasch genug erfolgen kann.<br />
Die oft dramatische Besserung des Zustandes nach Anwendung dieser Medikamen-<br />
te (z.B. Überdrucksack, Nifedipin o<strong>der</strong> Dexamethason) bedeutet aber nicht, dass<br />
damit ein ausreichen<strong>der</strong> Heilungsprozess beginnt, son<strong>der</strong>n muss vielmehr ra-<br />
schestmöglich zum Abstieg bzw. Abtransport genutzt werden.<br />
Im Folgenden die <strong>der</strong>zeit gängigen Möglichkeiten zur Notfalltherapie <strong>der</strong> verschiede-<br />
nen Formen <strong>der</strong> <strong>akuten</strong> Höhenkrankeit, wobei auch die Hinweise bezüglich Medika-<br />
mentzulassung, Aufklärungspflicht und Selbstmedikation durch Nicht-Ärzte beachtet<br />
werden sollten:<br />
Sauerstoff (schwere AMS, HAPE, HACE)<br />
Flaschensauerstoff gilt nach wie vor als das wichtigste Medikament zur Verbesse-<br />
rung <strong>der</strong> Gewebsoxygenisierung und zur Drucksenkung bei allen schweren Formen<br />
<strong>der</strong> <strong>akuten</strong> <strong>Höhenkrankheit</strong>. Ein Abstieg bzw. Abtransport unter Sauerstoffatmung<br />
gilt als die optimale <strong>Therapie</strong>.<br />
Es gibt <strong>der</strong>zeit die klassischen sog. offenen Systeme sowie das sog. Demand-<br />
System.<br />
1. Beim Höhentrekking bzw. Höhenbergsteigen sind fast ausschließlich offene<br />
Sauerstoffsysteme mit konstantem Sauerstofffluss in Verwendung. Dabei<br />
wird <strong>der</strong> Sauerstoff kontinuierlich aus <strong>der</strong> Druckflasche über einen Druckmin-<br />
<strong>der</strong>er an ein Masken-Beutel-System abgegeben. Der Patient atmet aus dem<br />
Reservoirbeutel über die Maske ein Gemisch aus Sauerstoff und Umgebungs-<br />
luft ein. Der Reservoirbeutel wird durch den konstanten Sauerstoffluss ständig<br />
mit Sauerstoff befüllt.<br />
Mit den üblichen 2 Liter-Stahlflaschen und einer standardmäßigen Befüllung von 200<br />
bar kann bei einer Flussrate von 10 Litern pro Minute (s.u.) ein Patient 40 Minuten<br />
mit Sauerstoff versorgt werden (Gesamtgewicht etwa 7,5 kg).<br />
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Sauerstoffbeatmung senkt den erhöhten PaP, normalisiert ihn aber nicht. Zink wies<br />
bereits 1985 darauf hin, dass HAPE-Patienten, die ohne Sauerstofftherapie <strong>der</strong> Hö-<br />
he ausgesetzt blieben, 15 mal häufiger verstarben als diejenigen, die sofort unter<br />
Sauerstoffatmung abtransportiert wurden.<br />
Dosierung <strong>der</strong> Sauerstoffatmung mit Maske:<br />
• Anfangs höchstmögliche Flussrate (6 bis 10 Liter pro Minute), bis sich die<br />
Zyanose bessert bzw. eine SaO2 von mehr als 90 % messbar ist.<br />
• Dann mit einer Flussrate von etwa 2 bis 4 Litern pro Minute konstant o<strong>der</strong><br />
intervallartig weiteratmen.<br />
Vor allem bei Gruppentouren mit größeren Aufstiegsraten (Höhentrekking, Flug<br />
o<strong>der</strong> Straßenauffahrt) sollte stets ausreichend Flaschensauerstoff für minde-<br />
stens 12 Stunden Sauerstoffbeatumg mitgeführt werden. Jede Flasche soll mit<br />
1.000 Liter gefüllt sein und muss neben einem Manometer auch ein Flussraten-<br />
Messgerät aufweisen. Man sollte vor Aufbruch unbedingt den Füllungszustand aller<br />
Flaschen überprüfen und wenn möglich jede einzelne Einheit unter extremen Kälte-<br />
bedingungen (Kühltruhe) testen.<br />
Festsauerstoffgeräte sowie sogenannte Sauerstoffpatronen haben zu wenig Inhalt<br />
und sind wegen <strong>der</strong> unkontrollierbaren Flussraten nicht geeignet.<br />
Sauerstoffdepots für den Notfall sollten beim Höhenbergsteigen eigentlich in jedem<br />
Hochlager bereit liegen (allerdings oft eine illusorische For<strong>der</strong>ung). Ohne diese Vor-<br />
sorge, so zeigt die Erfahrung bedauerlicherweise immer wie<strong>der</strong>, befindet sich <strong>der</strong><br />
rettende Sauerstoff oft nicht dort, wo man ihn gerade benötig.<br />
Man kann (gefüllte) Sauerstoffflaschen von zu Hause mitnehmen o<strong>der</strong> im Zielland<br />
ausleihen. Im ersteren Fall kann man wohl mit <strong>der</strong> technisch einwandfreien, also ver-<br />
läßlichen Funktionstüchtigkeit rechnen. Aber ein Flugtransport ist teuer und pro-<br />
blematisch, da <strong>der</strong> Transport von Flaschensauerstoff auf vielen (nicht allen) Linien-<br />
flugzeugen, von einem speziellen Sauerstoffset für Tauchunfälle (Wenoll-System)<br />
abgesehen, verboten ist.<br />
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An<strong>der</strong>erseits weisen auch vor Ort geliehene Sauerstoffflaschen häufig Mängel auf,<br />
weshalb es bei <strong>der</strong> Übernahme nötig ist, nicht nur <strong>der</strong>en Füllungszustand, son<strong>der</strong>n<br />
auch den einwandfreien Zustand <strong>der</strong> Ventile, <strong>der</strong> Maske und vor allem <strong>der</strong> beiden<br />
Messinstrumente sicherzustellen.<br />
Wegen <strong>der</strong> Beeinträchtigung <strong>der</strong> natürlichen Akklimatisation sollte Flaschensauer-<br />
stoff ausschließlich für den Notfall und nie als Prävention, Steig- o<strong>der</strong> Schlafhilfe ver-<br />
wendet werden.<br />
2. Das Sauerstoff-Demandsystem WS 120: 2008 wurde ein System vorge-<br />
stellt, das den Sauerstoff nicht kontinuierlich, son<strong>der</strong>n sensorgesteuert nur in<br />
<strong>der</strong> Phase <strong>der</strong> Inspiration abgibt. Sein sehr leichter Druckgasbehälter besteht<br />
aus Karbonfasermaterial (2 Liter / 300 bar / 1,4 kg) mit integriertem Druckreg-<br />
ler, einer elektronischen Steuereinheit (INSPO2) und einer Nasenbrille samt<br />
Pulsoxymeter und Transporttasche. Das WS 120 wird von <strong>der</strong> Firma EMS in<br />
Möhrendorf (D) hergestellt und findet auf Flügen zur Versorgung von sauer-<br />
stoffpflichtigen Passagieren Verwendung.<br />
Damit stünde in Abhängigkeit von <strong>der</strong> Flussrate wesentlich länger Sauerstoff zur Not-<br />
fallbehandlung zur Verfügung (10 bis 20 Stunden versus 40 Minuten) als mit den<br />
herkömmlichen Systemen. Es wiegt weniger (Gesamtgewicht 4,4 kg) und ist zum<br />
Transport in Verkehrsflugzeugen zugelassen:<br />
Anwendungszeiten und Vergleichswerte zu herkömmlichen Systemen (nach Lämmle et al, 2008)<br />
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Überdrucksack (Mobile hyperbare Kammer)<br />
Feste Überdruckkammern werden seit längerem von Militärs in den Hochgebirgen<br />
Indiens, Nepals, Tibets und Chinas zur <strong>Therapie</strong> <strong>der</strong> <strong>akuten</strong> <strong>Höhenkrankheit</strong> einge-<br />
setzt. Ein erstes Modell einer tragbaren Überdruckkammer wurde bereits 1919 in<br />
Deutschland vorgestellt. Aber erst seit 1988 gibt es transportable Überdrucksäcke,<br />
die strapazfähig und handlich genug sind - eine Erfindung von Igor Gamow (Colora-<br />
do). Dieser erste Gamow-Bag bestand aus einem zylin<strong>der</strong>förmigen Polyamid-Trag-<br />
sack mit etwas über 2 Meter Länge und etwa 65 cm Durchmesser und existiert mitt-<br />
lerweile bereits in einer wesentlich leichteren und wi<strong>der</strong>standsfähigeren Version.<br />
Ähnliche Geräte wurden mittlerweile auch in Frankreich, Australien, Kanada und<br />
Norwegen entwickelt.<br />
B.Seidl<br />
Der Überdrucksack gilt als Alternative zur therapeutischen Sauerstoffatmung. Das<br />
Funktionsprinzip ist einfach: Der Erkrankte wird in den Überdrucksack gelegt, die-<br />
ser wird luftdicht verschlossen, und daraufhin wird <strong>der</strong> Kammerinnendruck mittels<br />
Pumpe bis auf eine simulierte Höhe von - je nach Ausgangshöhe - 1650 bis 4500 m<br />
(Maximaldruck 220 mb) gesteigert. Der Patient verbleibt nun meist ein bis zwei Stun-<br />
den im Sack. Eine längere Verweildauer zeigt keine Wirkungssteigerung.<br />
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Wegen <strong>der</strong> mit zunehmen<strong>der</strong> Höhe exponentiellen Druckabnahme ist <strong>der</strong> durch den<br />
Überdruck simulierte „Abstieg" umso größer, je höher man sich mit dem Überdruck-<br />
sack befindet (Beispiel Gamow-Bag):<br />
TATSÄCHLICHE HÖHE in m SIMULIERTE HÖHE in m<br />
4000 1650<br />
5000 2450<br />
6000 3100<br />
7000 3850<br />
8000 4500<br />
In einigen Studien und in zahlreichen Fallberichten wurde festgestellt, dass eine<br />
kurzfristige Überdruckbehandlung einen raschen Rückgang <strong>der</strong> Symptome vor allem<br />
von HAPE, möglicherweise aber auch von HACE bewirkt. Der positive Effekt ist aller-<br />
dings zeitlich begrenzt und ersetzt keineswegs einen raschen Abtransport in tiefere<br />
Höhenlagen.<br />
Einige wesentliche Fragen sind noch offen, etwa bezüglich des häufigen Rebound-<br />
Effektes: Bei HAPE verschwindet <strong>der</strong> <strong>Therapie</strong>erfolg nach Verlassen des Über-<br />
drucksackes sofort, wenn <strong>der</strong> Patient sich auch nur minimal anstrengt (etwa durch<br />
die paar Schritte hinters Zelt, um zu urinieren). Das Hauptproblem liegt aber in <strong>der</strong><br />
richtigen Indikationsstellung sowie in <strong>der</strong> richtigen Handhabung, die Einschu-<br />
lung, regelmäßige Übung und Erfahrung erfor<strong>der</strong>t. Gefährlich wäre es, den Über-<br />
drucksack als vermeintliche Akklimatisationshilfe zu missbrauchen.<br />
Einschulung und Training: Die Behandlung im Überdrucksack muss ausschließlich<br />
geübten Helfern vorbehalten bleiben. Nur nach fachgerechter Schulung und bei rich-<br />
tiger Handhabung ist ein Überdrucksack auch durch Laien anwendbar. Vor Beginn<br />
einer Trekkingtour bzw. einer Höhenunternnehmung ist daher eine intensive prakti-<br />
sche Übung aller Teilnehmer erfor<strong>der</strong>lich: Je<strong>der</strong> Teilnehmer muss jede <strong>der</strong> drei<br />
Funktionen (Patient, Betätigung <strong>der</strong> Pumpe, Betreuer - s.u.) durchüben. Auch die<br />
Rolle des Patienten muss geübt werden, denn wer schon einmal übungshalber im<br />
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aufgepumpten Sack gelegen ist, dem wird es später als Höhenkranker trotz Atemnot<br />
leichter fallen, den engen Sack zu ertragen.<br />
Als überbrückendes Notfallsgerät bei HAPE und HACE dürfte sein stationärer<br />
Einsatz auf beson<strong>der</strong>s neuralgischen Punkten, etwa auf hochgelegenen Berghütten,<br />
in höhenmedizinischen Ambulatorien o<strong>der</strong> vielleicht auch im Hochlager einer Groß-<br />
expedition vorteilhaft sein. Ob es dagegen wirklich sinnvoll ist, einen Überdrucksack<br />
routinemäßig auch auf Trekkingtouren o<strong>der</strong> auf Kleinexpeditionen mitzuführen, ist<br />
umstritten. Im Zweifelsfall entscheide man sich jedenfalls eher für die Mitnahme von<br />
Flaschensauerstoff. Dieser ist immer einfach und auch von Laien risikolos anwend-<br />
bar, aber nur begrenzt verfügbar, während <strong>der</strong> Überdrucksack im Prinzip beliebig oft<br />
anwendbar ist. Eine <strong>Therapie</strong> mit Flaschensauerstoff plus Medikamenten ist vor al-<br />
lem bei schwersten Formen <strong>der</strong> <strong>Höhenkrankheit</strong> (Bewusstlosigkeit) vorteilhafter.<br />
Ein taktisch sinnvolles Vorgehen besteht darin, einen an HAPE o<strong>der</strong> HACE Erkrank-<br />
ten zusätzlich zu Nifedipin bzw. Dexamethason (s.u.) intermittierend hyperbar zu<br />
behandeln: Eine ein- bis zweistündige Überdruckbehandlung kann den Zustand des<br />
Patienten soweit bessern, dass er unmittelbar darauf unter Sauerstoffatmung von 1<br />
bis 2 Liter/Minute abtransportiert werden kann. Nach ein bis zwei Stunden bzw. wenn<br />
sich <strong>der</strong> Zustand des Patienten neuerlich verschlechtert, was üblicherweise zu er-<br />
warten ist, wird pausiert und dabei neuerlich die Überdruck-<strong>Therapie</strong> angewendet.<br />
Da eine Überdruckbehandlung nur eine kurzfristige Besserung des Beschwerde-<br />
bildes bewirkt, muss die Zeit unmittelbar danach zum sofortigen Abtransport in tiefe-<br />
re Regionen genützt werden. Eigenes Gehen des Patienten, beson<strong>der</strong>s aber weitere<br />
Aufstiege (z.B. Gegenanstiege) müssen unterbleiben.<br />
Zusätzliche Sauerstoffatmung im Überdrucksack: In einer starren Überdruckkam-<br />
mer ist die Inhalation von Flaschensauerstoff insofern problematisch, als die Sauer-<br />
stoffkonzentration in <strong>der</strong> Kammer ansteigen kann und dieser Effekt zusätzlich durch<br />
den erhöhten Partialdruck verstärkt wird. Das kann nicht nur zu toxischen Sauerstoff-<br />
konzentrationen führen, son<strong>der</strong>n erhöht auch die Brandgefahr erheblich. Aus diesen<br />
Grün-den ist die Sauerstoffatmung in starren Überdruckkammern ausdrücklich ver-<br />
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boten. Im Überdrucksack kann aber selbst auf Meereshöhe nur ein maximaler<br />
Druck von etwa 1.3 bar produziert werden. Eine Explosionsgefahr besteht aber erst<br />
ab 2 bar, und außerdem ist nicht davon auszugehen, dass ein Patient während <strong>der</strong><br />
Behandlung im Überdrucksack mit offenem Feuer hantiert. In schweren Fällen<br />
(HAPE, HACE) kann daher eine Zusatzatmung mit Sauerstoff im Überdrucksack<br />
sinnvoll sein.<br />
Wichtige Kriterien <strong>der</strong> Überdruckbehandlung:<br />
• Die Reihenfolge <strong>der</strong> Dringlichkeit von Notfallmaßnahmen bei schwerer Höhen-<br />
krankheit lautet: 1. Abstieg / Abtransport - 2. Sauerstoff / Medikamentöse Notfall-<br />
therapie - 3. Überdrucksack.<br />
• Eine Überdrucksack-Behandlung ersetzt vor allem nicht den Abstieg bzw. Ab-<br />
transport, verbessert aber den Zustand des Patienten für den im Anschluss an die<br />
Überdrucksack-Behandlung immer obligaten Abtransport in tiefere Höhenlagen.<br />
• Ein akklimatisationsgerechtes Aufstiegskonzept beim Höhenbergsteigen (langsa-<br />
mes Höhersteigen, mo<strong>der</strong>ate Schlafhöhendistanzen) bedeutet stets eine wesent-<br />
lich bessere Sicherheit als die Mitnahme eines Überdrucksackes.<br />
• Der Überdrucksack ist we<strong>der</strong> zur Vorbeugung noch zur Behandlung <strong>der</strong> milden<br />
AMS geeignet, weil die mangelhafte Akklimatisaton (sonst hätte man ja keine<br />
AMS-Beschwerden) dadurch verzögert würde.<br />
• Bei schweren Verlaufsformen <strong>der</strong> AMS und bei HAPE belegen zahlreiche erfolg-<br />
reiche Behandlungen im Überdrucksack dessen Wirksamkeit.<br />
• Im Zweifelsfall gibt es außer Atem-Herzkreislauf-Stillstand keine Kontraindikation<br />
zur Überdruckbehandlung. Auch <strong>der</strong> bewusstlose Patient kann in stabiler Seiten-<br />
lage grundsätzlich im Überdrucksack behandelt werden. Eine gleichzeitige Intuba-<br />
tionsbeatmung ist undurchführbar.<br />
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• Eine Überdruckbehandlung soll stets in Kombination mit höhenspezifischen Not-<br />
fallmedikamenten sowie mit erhöhtem Oberkörper erfolgen und muss nach spä-<br />
testens 90 – 120 Minuten zu einer deutlichen Besserung führen.<br />
• Wenn nach maximal zwei Stunden Überdrucksack-Behandlung keine Besserung<br />
eingetreten ist, kann das folgende Ursachen haben:<br />
4 Das Krankheitsbild ist zu weit fortgeschritten, es sind bereits Spätkom-<br />
plikationen (z.B. cerebrale, pulmonale Thrombembolien) aufgetreten.<br />
4 In extremen Höhen muss auch an eine schwere Deterioration mit<br />
subakuter Hypothermie und progredienter Exsikkose gedacht werden.<br />
In diesen Fällen sollte die hyperbare Notfallbehandlung über mehrere Stunden<br />
fortgesetzt werden und durch eine entsprechende Zusatztherapie ergänzt werden.<br />
• Die logistischen Probleme des Flaschensauerstoffs ebenso wie des Überdruck-<br />
sackes bestehen darin, dass beides meist nicht dort gelagert ist, wo es im Notfall<br />
benötig wird. Beides soll daher möglichst im höchsten Lager deponiert werden.<br />
• Das Mitführen eines Überdrucksackes gilt heute zumindest auf kommerziellen<br />
Unternehmungen auch als haftungsrechtliche Absicherung, obwohl dazu bislang<br />
we<strong>der</strong> entsprechende rechtliche Bestimmungen bzw. Verkehrsnormen existieren<br />
noch eine Judikatur bekannt ist.<br />
• Beson<strong>der</strong>s sinnvoll ist ein Überdrucksack in Gebieten, die einen raschen Abstieg<br />
geländebedingt weitgehend ausschließen.<br />
• Die Behandlung im Überdrucksack sollte grundsätzlich geschulten Helfern vorbe-<br />
halten bleiben. Nach fachgerechter Schulung und bei richtiger Handhabung ist ein<br />
Überdrucksack auch durch Laien anwendbar.<br />
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• Die zumutbare Obergrenze <strong>der</strong> Einsatzfähigkeit eines Überdrucksackes liegt we-<br />
gen des anstrengenden Pumpens bei etwa 7000 Meter. Oberhalb dieser Höhe<br />
sind im Notfall nur Flaschensauerstoff und Notfallmedikamente praktikabel.<br />
Gebrauchsrichtlinien:<br />
• Jede Überdruckbehandlung erfor<strong>der</strong>t zumindest zwei geschulte und trainierte Hel-<br />
fer: Eine Person beobachtet und betreut ständig den Patienten und dirigiert die<br />
Pumpfrequenz, und eine Person bedient nach Anleitung die Pumpe. Beides kann<br />
nur funktionieren, wenn die folgende Prozedur vorher ausreichend geübt wurde.<br />
• Vor <strong>der</strong> Behandlung muss geprüft werden, ob die Verbindung zwischen Mittelohr<br />
und Rachenraum nicht durch Verschleimung, etwa bei Erkältungen im Nasen-<br />
Rachenraum, verlegt ist: Man for<strong>der</strong>t den Patienten auf, Mund und Nase zu schlie-<br />
ßen und die eingeatmete Luft zu pressen (Druckausgleich). Wird dabei ein Druck<br />
auf das Trommelfell spürbar, ist die Verbindung zum Mittelohr durchgängig, und<br />
<strong>der</strong> Patient kann einer Überdruckbehandlung ausgesetzt werden.<br />
• Sind die Schleimhäute jedoch geschwollen, fühlt <strong>der</strong> Patient keinen Druck auf das<br />
Trommelfell. Ein aktiver Druckausgleich ist also nicht möglich. Solche Patienten<br />
erhalten vor <strong>der</strong> Überdruckbehandlung abschwellende Nasentropfen. Die Behand-<br />
lung darf anschließend erst begonnen werden, wenn die beschriebene Durchgän-<br />
gigkeitsprüfung erfolgreich ist. Die Nasentropfen verbleiben während <strong>der</strong> folgen-<br />
den Behandlung im Überdrucksack, damit sie bei Bedarf neuerlich verwendet wer-<br />
den können.<br />
• Vor dem Einstieg in den Überdrucksack sollte <strong>der</strong> Patient wenn irgendwie möglich<br />
urinieren bzw. seine Notdurft verrichten.<br />
• Den Überdrucksack auf einem möglichst flachen Boden - aber nicht horizontal,<br />
son<strong>der</strong>n schräg geneigt (ca. 30 Grad) - auf einer Isomatte o<strong>der</strong> auf einer an<strong>der</strong>en<br />
verlässlich wärmeisolierenden Schutzunterlage ausbreiten. Wegen Beschädi-<br />
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gungsgefahr scharfkantigen Untergrund meiden. Zweite Isomatte und Schlafsack<br />
in den Überdrucksack legen. Sack gegen ein Abrutschen sichern.<br />
• Bei direkter Sonnenbestrahlung kann die Innentemperatur im Überdrucksack<br />
schnell bis zur Unerträglichkeit steigen. Daher muss <strong>der</strong> Überdrucksack unbedingt<br />
im Schatten plaziert werden.<br />
• Sollte es unvermeidlich sein, dass die Überdruckbehandlung in einem Zelt (z.B. im<br />
Küchenzelt) erfolgen muss, muss auf eine ausreichende Belüftung geachtet wer-<br />
den, da sich verbrauchte Luft (Kocher, Gaslampen, Personen) im Sack allmählich<br />
gefährlich anreichern würde.<br />
• Mit zunehmen<strong>der</strong> Verweildauer im Sack steigt die Luftfeuchtigkeit enorm an. Dau-<br />
nenbekleidung o<strong>der</strong> Schlafsack feuchten sich dabei stark an und können meist<br />
tagelang nicht mehr getrocknet werden. Deshalb sind Goretex- o<strong>der</strong> Fleecebe-<br />
kleidung vorteilhafter.<br />
• Reißverschluß bis zum Anschlag schließen, Pumpe anschließen, Anschlusshahn<br />
öffnen und Druckablasshähne schließen. Unverdrehte Gurte schließen.<br />
• Pumpe betätigen, und zwar anfangs etwas schneller, aber bei Beginn des Druck-<br />
anstieges betont langsam (maximal zehnmal pro Minute). Verspürt <strong>der</strong> Patient da-<br />
bei Ohrenschmerzen, muss noch langsamer gepumpt werden, und <strong>der</strong> Patient<br />
muss zusätzlich einen aktiven Druckausgleich (siehe oben) durchführen.<br />
• Bis zum Maximaldruck aufpumpen, was sich auch durch deutliches Zischen an<br />
den Überdruckventilen äußert. Der Druckanstieg kann sowohl am Manometer als<br />
auch an einem im Sack plazierten Höhenmesser beobachtet werden.<br />
• Luftumwälzung: Damit <strong>der</strong> Patient in <strong>der</strong> Folge ausreichend mit Sauerstoff ver-<br />
sorgt wird und auch die abgeatmete Kohlendioxydkonzentration unter 1 Prozent<br />
bleibt, muss <strong>der</strong> Sack, nachdem <strong>der</strong> Maximaldruck erreicht wird, ständig mit 10 bis<br />
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15 Pumpvorgängen pro Minute (etwa ein Pumpstoss alle 5 Sekunden) belüftet<br />
werden. Das Zischgeräusch des Ventiles muss dabei ununterbrochen hörbar sein.<br />
• Durch das Sichtfenster hält ein erfahrener Helfer, möglichst ein Arzt, ständig opti-<br />
schen bzw. akustischen Kontakt mit dem Patienten. Dieser permanente Kontakt<br />
ist enorm wichtig. Man soll nämlich den Patienten während <strong>der</strong> gesamten Behand-<br />
lung immer wie<strong>der</strong> ansprechen, um ihn zu beruhigen und um festzustellen, ob er<br />
Druckausgleichprobleme hat bzw. ob er bei Bewusstsein ist. Dieser Helfer dirigiert<br />
auch den Pumpvorgang. Darüberhinaus sollten sich die Umstehenden leise ver-<br />
halten und nicht herumlaufen, da im Inneren des Sackes ein hoher Schallpegel<br />
herrscht und <strong>der</strong> Patient dadurch zusätzlich gestresst wird.<br />
• Nach 60- bis 90-minütiger Überdruckbehandlung wird <strong>der</strong> Druck sehr langsam,<br />
das heißt innerhalb von 5 bis 10 Minuten, abgelassen. Nach dem Ausstieg des<br />
Patienten die nasse Innenseite des Sackes trocknen.<br />
• Sollte notfallmäßig ein rascher Druckablass erfor<strong>der</strong>lich sein, muss <strong>der</strong> Behandel-<br />
te dabei langsam, aber ohne Unterbrechung ausatmen.<br />
Häufige Probleme:<br />
• Angstzustände und Klaustrophobie<br />
• Erbrechen während <strong>der</strong> Überdruckbehandlung<br />
• Eine zu geringe Frischluftzufuhr (< 40 l/min) kann zu einem toxischen CO2-Anstieg<br />
führen.<br />
• HAPE-Patienten tolerieren keine horizontale Flachlagerung.<br />
• Die anstrengende Pumptätigkeit kann vor allem in extremer Höhe die Kräfte <strong>der</strong><br />
Helfer überfor<strong>der</strong>n.<br />
• Reissverschluss und Ventile können undicht werden, wenn <strong>der</strong> Überdrucksack<br />
nicht behutsam transportiert und benützt wird (Vorsicht bei Leihgeräten !).<br />
Derzeit stehen weltweit mehrere Modelle des Überducksackes zur Verfügung: GAMOW BAG: Dieses<br />
in den USA hergestellte Modell wird mittels einer Fußpumpe aufgeblasen. Der Gamow Bag kann auch<br />
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182<br />
gemietet werden. (Kontaktadresse: CHINOOK MEDICAL GEAR Inc., P.O.Box 3300, 725 Chambers<br />
Ave. # 12, Eagle, Colorado 81631, FAX USA 970-328-4404). CERTEC: Dieses französische Produkt<br />
ist in verschiedenen Versionen erhältlich. Es simuliert einen tieferen Abstieg als <strong>der</strong> Gamow Bag (165<br />
gegenüber 104 Torr), verfügt über eine Handpumpe und ist mit einem Gewicht von 5,6 kg samt Zube-<br />
hör etwas leichter als <strong>der</strong> Gamow Bag (8 kg). Auch ist beim Certec <strong>der</strong> Einstieg in den Sack einfacher<br />
zu bewerkstelligen. (Kontaktadresse: Société CERTEC, Sour-cieux-les-Mines, F-69210 L`Arbresle,<br />
FAX 74 70 37 66.). Weitere Modelle werden in Kanada, Australien und Norwegen produziert.<br />
Die günstigste Ausführung des Certec Bag, „Trekking“, kostet EUR 1871,--, die teuerste EUR 3277,--<br />
(2012; www.boutique-certec.fr/Trekking)<br />
EPAP-Maske und PEEP-Ventil, VPPB und PLB<br />
Ein positiv-endexpiratorischer Druck mittels Atemventil verbessert kurzfristig die Sau-<br />
erstoffversorgung von HAPE-Patienten möglicherweise durch Eröffnung atelekta-<br />
tischer Areale sowie durch Verbesserung des Gasaustausches. Bereits eine zehn-<br />
minütige Atmung gegen einen positiv-endexpiratorischen Druck von 5 bis 10 cm H20<br />
ergibt eine Verbesserung <strong>der</strong> Sa02 um 10 bis 20 %.<br />
Nachteile: Eine längere Anwendung ist anstrengend, und höhere Druckwi<strong>der</strong>stände<br />
sind riskant (Barotrauma, Vermin<strong>der</strong>ung des venösen Rückflusses und <strong>der</strong> Herzlei-<br />
stung, Retinablutungen). Bei einem Fall einer längeren Anwendung wurde die Ent-<br />
wicklung eines HACE beobachtet.<br />
Der kurzfristige intermittierende Einsatz dieser Überbrückungsmassnahme bis zum<br />
Erreichen eines Überdrucksackes, bis zum Eintreffen von Sauerstoff o<strong>der</strong> bis ein<br />
Abtransport möglich ist, kann aber durchaus eine Verbesserung <strong>der</strong> Sauerstoff-<br />
sättigung bei HAPE bewirken. Der Patient atmet dabei normal ein, während die Aus-<br />
atmung durch ein Ventil gebremst wird. Die daraus resultierende leichte Druck-<br />
erhöhung soll zu einem Anstieg des Lungenvolumens zwischen den Atemphasen<br />
führen.<br />
Eine expiratorische Druckerhöhung kann mit etwas Übung und bei noch vorhandener<br />
Handlungsfähigkeit des Patienten auch ohne Atemventil durchgeführt werden. Da-<br />
zu existieren drei Methoden:<br />
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183<br />
• Gegen den Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> zugehaltenen Nase und <strong>der</strong> nahezu geschlossenen<br />
Lippen langsam ausatmen.<br />
• Voluntary positive pressure breathing (VPPB): 3 Sekunden einatmen, 3 Se-<br />
kunden die Luft anhalten, 4 Sekunden ausatmen, dann 2 Minuten Normalatmung.<br />
• Pused-lip breathing (PLB): 3 Sekunden einatmen, 7 Sekunden ausatmen.<br />
Unter Laborbedingungen erbrachten VPPB und PLB eine Erhöhung <strong>der</strong> SaO2 von 79<br />
% auf 87 %. Ob diese Methoden als <strong>Therapie</strong>standard empfohlen werden können,<br />
ist umstritten. Wir haben <strong>der</strong>en Anwendung in <strong>der</strong> Höhe noch nirgends beobachtet.<br />
IBUPROFEN, NAPROXEN (Höhenkopfschmerz, HAH)<br />
Man fand heraus, dass Ibuprofen zur Behandlung des sehr häufigen Höhen-<br />
kopfschmerzes als wirkungsvolles und nebenwirkungsarmes Medikament bevorzugt<br />
werden kann. Es wirkt rein symptomatisch. Ibuprofen darf nicht zur Vorbeugung<br />
verwendet werden: Die gastrointestinalen Nebenwirkungsrisiken von NSAR sind be-<br />
kanntlich dosisabhängig, und es wurde über vermehrte Retinablutungen unter Ibu-<br />
profen in <strong>der</strong> Höhe berichtet. Schließlich hat gerade <strong>der</strong> Höhenkopfschmerz als<br />
meist initiales Leitsymptom <strong>der</strong> <strong>Höhenkrankheit</strong> eine wichtige Warn- bzw. „Brems"-<br />
funktion inne.<br />
Ibuprofen in einer Einmaldosierung von 400 bis 600 mg ist ein sehr häufig verwende-<br />
tes höhenspezifisches Medikament. Ein weiteres NSAR, Naproxen, wirkt beim Hö-<br />
henkopfschmerz ähnlich wie Ibuprofen. Wegen einer mit dem Höhenkopfschmerz<br />
häufig verbundenen Neigung zum Erbrechen empfiehlt sich eventuell eine orale<br />
Prämedikation mit Domperidon (MOTILIUM ® ).<br />
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NIFEDIPIN (HAPE)<br />
184<br />
Der Kalzium-Antagonist Nifedipin gilt heute beim <strong>akuten</strong> HAPE als Notfalltherapeu-<br />
tikum <strong>der</strong> Wahl, auch wenn diese pharmakologische Substanz für diese Indikation<br />
offiziell nicht zugelassen ist. Nifedipin führt zu einer raschen Senkung des pulmonal-<br />
arteriellen Drucks, zu einer Verbesserung des alveolararteriellen Sauerstoffgradien-<br />
ten und ermöglicht so über eine Stabilisierung <strong>der</strong> Sauerstoffsättigung eine verbes-<br />
serte Oxygenisierung (Anstieg <strong>der</strong> pulsoxymetrisch bestimmbaren SaO2). Die Alveo-<br />
larödeme bilden sich zurück. Dass diese Substanz schon häufig mit beeindru-<br />
ckendem Erfolg bei HAPE eingesetzt werden konnte, wurde vielfach dokumentiert.<br />
Erfahrungsgemäß kann mit Nifedipin zumindest eine Verschlechterung des HAPE<br />
verhin<strong>der</strong>t werden. Bei AMS und HACE ist Nifedipin unwirksam.<br />
Wegen des nicht auszuschließenden Risikos hypotoner Reaktionen sollte auschließ-<br />
lich die Retardform Verwendung finden:<br />
Sofort und dann bei Bedarf alle 6 Stunden 1 Nifedipin retard 20mg Filmtablette<br />
Hierbei ist das Nebenwirkungsrisiko geringer, und außerdem ist ja eine sehr rasche<br />
Wirkung gar nicht unbedingt erfor<strong>der</strong>lich. Nifedipin 10 mg in <strong>der</strong> rasch resorbierbaren<br />
Kapselform soll auch nicht bei bewusstlosen Patienten verabreicht werden, da bei<br />
Applikation des Kapselinhaltes keine hinreichende Resorption gewährleistet ist.<br />
DEXAMETHASON (HACE, HAPE)<br />
Bei HACE ist Dexamethason seit Jahren das Mittel <strong>der</strong> Wahl. Es gilt als das <strong>der</strong>zeit<br />
einzige wirksame Medikament bei <strong>der</strong> Notfallbtherapie von HACE, auch wenn es<br />
dazu bis dato keine Studien gibt.<br />
Wie es wirkt, darüber tappt man im Dunkeln: Es stabilisiert vermutlich die Blut-Hirn-<br />
Schranke und verbessert damit die einschlägigen Symptome eindrucksvoll. Weiters<br />
blockiert es die Angioneogenese und die Lipidperoxydation und stabilisiert die Mast-<br />
zellen. Das übliche Nebenwirkungsrisiko von Steroiden ist in Anbetracht <strong>der</strong> vitalen<br />
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185<br />
Bedrohung vernachlässigbar, ein Rebound-Effekt nach kurzfristiger Verabreichung<br />
eher unwahrscheinlich.<br />
Es gibt überraschende Hinweise darauf, dass Dexamethason auch PaP-senkend<br />
wirkt, wozu man einige Mechanismen diskutiert: Verstärkung <strong>der</strong> alveolären Flüssig-<br />
keitsabsorption, Verringerung <strong>der</strong> hypoxischen pulmonalen Vasokonstriktion, Erhö-<br />
hung <strong>der</strong> Nitroxyd-Produktion in den Lungenendothelien, Stimulation des Surfactant-<br />
Faktors, Reduktion des hypoxischen Sympathikotonus u.a.m. Weitere Untersuchun-<br />
gen sind abzuwarten.<br />
Ein nicht selten gleichzeitig vorhandenes HACE rechtfertigt aber jedenfalls die zu-<br />
sätzliche Gabe von Dexamethason. Dexamethason ist als Zusatzmedikation mögli-<br />
cherweise auch aus an<strong>der</strong>en Gründen bei HAPE sinnvoll, und zwar wegen des an-<br />
tiinflammatorischen Effektes.<br />
Dexamethason- Dosierung: Initial oral o<strong>der</strong> besser intravenös 8 mg o<strong>der</strong> höher<br />
dosiert (loading dose), dann weiter alle 6 Stunden 4 mg.<br />
Initialdosis: In <strong>der</strong> Notfallmedizin werden bei entsprechen<strong>der</strong> Indikation üblicher-<br />
weise gerne Höchstdosen verabreicht, ohne dass es dafür gesicherte Grundlagen<br />
gibt. Dennoch spricht in vitalen Bedrohungssituation wie etwa bei HACE/HAPE wohl<br />
nichts dagegen, zumindest initial (als loading dose) mehr als die empfohlenen 8 mg<br />
zu verabreichen, sofern ausreichende Mengen dieses Medikamentes vorrätig sind.<br />
Beim Tumor-bedingten Hirnödem, das vielleicht als Vergleich herangezogen werden<br />
kann, gelten heute Tagesdosierungen von 12 bis 16 mg als Standard.<br />
Applikationsform: Der Wirkeintritt von Dexamethason wird unabhängig von <strong>der</strong> Ap-<br />
plikationsform mit etwa 20 Minuten angegeben. Gelegentlich wird daher damit argu-<br />
mentiert, dass es unerheblich sei, ob die Initialdosis oral o<strong>der</strong> parenteral verabreicht<br />
wird. Tatsächlich kann wohl davon ausgegangen werden, dass <strong>der</strong> intravenöse Weg<br />
schneller zum Ort des Geschehens führt. Ist <strong>der</strong> Helfer also befugt, intravenöse In-<br />
jektionen zu verabreichen, wird das wohl <strong>der</strong> sinnvollere Zugang sein.<br />
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186<br />
Eine HACE-<strong>Therapie</strong> mit Dexamethason muss so früh wie möglich einsetzen. Bei<br />
Bewusstlosigkeit des Patienten ist es in aller Regel bereits zu spät.<br />
Dexamthason ist bei allen schweren Formen <strong>der</strong> <strong>akuten</strong> <strong>Höhenkrankheit</strong> (vielleicht<br />
auch bei HAPE) das mit Abstand beste lebensrettende Medikament und muss daher<br />
ab <strong>der</strong> Schwellenhöhe immer mitgeführt werden.<br />
Kombinationstherapien<br />
Als sinnvolle Notfalltherapie bei HACE, wenn ein sofortiger Abtransport vorerst un-<br />
möglich ist, hat sich die Kombination von Dexamethason mit einer Überdruckbe-<br />
handlung erwiesen: Die Überdrucktherapie bringt anfangs zwar bessere Resultate<br />
als die alleinige Dexamethasontherapie, aber keinen Langzeiteffekt, während Dexa-<br />
methason anfangs zwar weniger wirksam ist als <strong>der</strong> Überdrucksack, nach einigen<br />
Stunden jedoch deutlich bessere Ergebnisse zu sehen sind.<br />
Bei unklaren schweren Formen <strong>der</strong> <strong>Höhenkrankheit</strong> wird zur Vorbereitung des<br />
Ab-transportes oft folgende Kombination („Tripeltherapie“) angewendet:<br />
DEXAMETHASON + NIFEDIPIN + SAUERSTOFF / ÜBERDRUCKSACK<br />
Acetazolamid als Bestandteil einer Kombinationstherapie ist bei HACE, wie früher<br />
gelegentlich empfohlen, nicht erfor<strong>der</strong>lich und wäre wegen einer möglichen Verstär-<br />
kung <strong>der</strong> respiratorischen Azidose bei HAPE lebensgefährlich.<br />
Beispiele für Medikamente gegen AMS, HAPE und HACE (Handelsnamen :in<br />
Österreich)<br />
NIFEDIPIN Adalat ® retard 20 mg, Nifebene ® retard 20 mg<br />
DEXAMETHASON Fortecortin ® 4 mg, Dexamethason ® Ampullen<br />
IBUPROFEN Brufen ® 600 mg, Dolgit ® 600 mg, Seractil 400 mg<br />
NAPROXEN Proxen ® 500 mg, Miranax ® 550 mg<br />
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<strong>7.</strong>3. Weitere Medikamente bei akuter <strong>Höhenkrankheit</strong><br />
187<br />
ACETAZOLAMID (DIAMOX ® ): Ist als Notfallstherapeutikum in <strong>der</strong> Höhe problema-<br />
tisch und riskant. Es gilt daher heute nicht mehr als Option bei akuter Höhenkrank-<br />
heit, und zwar aus folgenden Gründen:<br />
Bei mil<strong>der</strong> AMS ist Acetazolamid nicht wirklich notwendig. Bei HACE ist Acetazola-<br />
mid bei weitem nicht so wirksam wie Dexamethason.<br />
Bei HAPE ist Acetazolamid nicht nur wirkungslos, son<strong>der</strong>n sogar riskant: Die bei<br />
HAPE ausgeprägte Gasaustauschstörung bedingt eine respiratorische Azidose, die<br />
durch die Carboanhydrase-Hemmung (metabolische Azidose) lebensbedrohend ver-<br />
stärkt werden kann. Sollten also unter Acetazolamid HAPE-Symptome auftreten,<br />
muss das Medikament sofort abgesetzt werden.<br />
SILDENAFIL: Phosphodiesterase-5-Hemmer sind zwar bei <strong>der</strong> überbrückenden<br />
HAPE-Notfalltherapie dem Nifedipin unterlegen, und zwar wegen <strong>der</strong> Nebenwirkun-<br />
gen und aus Kostengründen.<br />
AZETYLSALIZYLSÄURE (ASS) ist umstritten, auch wenn manche Höhenbergstei-<br />
ger mit dem bekannten Hausmittel ASPIRIN ® , einem billigen und nahezu überall er-<br />
hältlichen Analgetikum, bei mil<strong>der</strong> AMS gute Erfahrungen gemacht haben wollen.<br />
Allerdings wird die mit häufiger und unkontrollierter Einnahme von ASS dosisunab-<br />
hängig verbundene erhöhte Blutungsneigung (Gastroduodenum, Schleimhäute des<br />
Respirationstraktes, Retina, Gehirn) unterschätzt. Auch hatten viele HACE-Patienten<br />
vorher über etliche Tage ASS in hohen Dosen eingenommen und sind trotzdem<br />
schwer erkrankt o<strong>der</strong> sogar gestorben. Von ASS sollte man daher in <strong>der</strong> Höhe lieber<br />
die Finger lassen.<br />
NIEDERMOLEKULARE HEPARINE: Ob <strong>der</strong> Einsatz von NMH beim fortgeschritte-<br />
nem HAPE einen Effekt auf den weiteren klinischen Verlauf hat, ist nicht geklärt.<br />
Überlegenswert erscheint die Gabe von NMH zumindest bei immobilen HAPE-<br />
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188<br />
Patienten während des Abtransportes. Dafür spricht, dass die im Gefolge eines<br />
HAPE möglicherweise auftretenden Gerinnungsstörungen das Risiko einer Thromb-<br />
embolie erhöhen dürften. Das oft plötzliche Sterben bei HAPE weist zumindest in<br />
diese Richtung. Dagegen spricht, dass die nach therapeutischen Dosen von NMH<br />
erhöhte Blutungsneigung problematisch werden kann. Es muss nämlich beachtet<br />
werden, dass oft gleichzeitig ein HACE besteht und Autopsien von HACE-Patienten<br />
disseminierte petechiale Hirnblutungen zeigen. NMH sollten überhaupt nur nach ei-<br />
ner strengen Nutzen-Risiko-Abwägung verabreicht werden, und zwar auch wegen<br />
<strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> Sensibilisierung gegen Heparin mit nachfolgen<strong>der</strong> Entwicklung einer<br />
lebensbedrohlichen Heparin-induzierten Thrombozytopenie.<br />
ANTIBIOTIKA haben keinen Einfluss auf AMS, HAPE o<strong>der</strong> HACE. Da aber HAPE<br />
nicht selten mit Fieber und Leukozytose einhergeht, ist eine zusätzliche <strong>Therapie</strong> mit<br />
einem Breitspektrumantibiotikum überlegenswert.<br />
SEDATIVA und HYPNOTIKA för<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Akklimatisationsphase das Entstehen<br />
von AMS und Höhenödemen. Allerdings: BENZODIAZEPINDERIVATE mit kurzer<br />
Halbwertszeit (z.B. MOGA-DON ® ) können als Schlafmittel verwendet werden. Auch<br />
ein niedrigdosiertes TEMAZEPAM (LEVANXOL ® 10 mg / 24 h) dürfte keinen Einfluss<br />
auf die SaO2 haben und daher als Einschlafmittel in <strong>der</strong> Höhe geeignet sein. Übri-<br />
gens: akute psychotische Zustände sind beim Höhenbergsteigen nicht selten. Mit<br />
HALOPERIDOL (im o<strong>der</strong> peroral) sind solche dramatischen Situation in <strong>der</strong> Regel<br />
gut beherrschbar.<br />
Alle zentral dämpfenden Medikamente können potenziell die Akklimatisation stören<br />
und sollen daher in großen Höhen wenn überhaupt dann nur mit kurzer HWZ und<br />
niedrig dosiert Verwendung finden.<br />
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189<br />
<strong>7.</strong>4. Übersicht: Maßnahmen bei AMS / HACE / HAPE<br />
MILDE AMS<br />
1. Rasttag, eventuell vorübergehen<strong>der</strong> Abstieg<br />
2. Ibuprofen, Naproxen<br />
HACE<br />
1. Abtransport<br />
2. Sauerstoff (anfangs hohe Flußrate, später 2 bis 4 Liter / Minute)<br />
3. Dexamethason initial mindestens 8 mg, dann alle 6 Stunden 4 mg<br />
4. Überdrucksack<br />
HAPE<br />
1. Abtransport<br />
2. Sauerstoff (anfangs hohe Flußrate, später 2 bis 4 Liter / Minute)<br />
3. Nifedipin retard 20 mg alle 6 Stunden<br />
4. Überdrucksack<br />
5. Kälteschutz<br />
<strong>7.</strong>5. Der Umgang mit dem bewusstlosen Patienten<br />
Wenn man einen Patienten bewusstlos auffindet, z.B. morgens im Zelt, stösst man<br />
verständlicherweise auf nicht unbeträchtliche diagnostische Schwierigkeiten, weil ei-<br />
ne Fremdanamnese, wenn überhaupt vorhanden, meist unergiebig ist. Man erinnere<br />
sich daran, dass HACE und HAPE sehr häufig gemeinsam auftreten. Man geht in<br />
folgen<strong>der</strong> Reihenfolge vor:<br />
1. Feststellung des respiratorischen Status<br />
2. Messung <strong>der</strong> arteriellen Sauerstoffsättigung<br />
3. Feststellung des grob-neurologischen Status<br />
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190<br />
4. Dexamethason hochdosiert intramuskulär o<strong>der</strong> intravenös<br />
5. Maskenbeatmung mit Sauerstoff (hohe Flußrate)<br />
6. Eventuell Überdruckbehandlung<br />
Daraufhin ist <strong>der</strong> Patient hoffentlich bald so weit ansprechbar, dass eine ausreichen-<br />
de Anamnese und eine neuerliche klinische Untersuchung ein besseres Bild ermög-<br />
lichen. Danach richtet sich schließlich das weitere Vorgehen.<br />
<strong>7.</strong>6. Zulassung und Aufklärungspflicht<br />
Keines <strong>der</strong> hier genannten Medikamente ist speziell für höhenmedizinische Thera-<br />
pien zugelassen, kann jedoch im Rahmen <strong>der</strong> so genannten ärztlichen <strong>Therapie</strong>frei-<br />
heit verordnet werden, soferne die Indikation dafür stimmt und auch belegbar o<strong>der</strong><br />
zumindest dokumentiert ist (sog. Off-Label-Use). Unbedingt erfor<strong>der</strong>lich ist vorher<br />
eine „beson<strong>der</strong>e Aufklärung“, wobei auf die fehlende Zulassung, vor allem aber auf<br />
mögliche Nebenwirkungen (z.B. bei Nifedipin) hingewiesen werden muss. Jede ärzt-<br />
liche Aufklärung sollte immer auch schriftlich dokumentiert werden.<br />
Unter diesen Bedingungen sind vor allem solche höhenmedizinischen Indikationen<br />
wenig problematisch, die durch entsprechende Studien belegt sind. Hier ist man<br />
nach <strong>der</strong> gängigen Rechtssprechung auch bei fehlen<strong>der</strong> Zulassung sogar gehalten,<br />
<strong>der</strong>artige Präparate einzusetzen.<br />
<strong>7.</strong><strong>7.</strong> Selbstmedikation durch Nicht-Ärzte<br />
Eine höhenmedizinische Notfallstherapie erfolgt im Regelfall ohne anwesenden Arzt,<br />
also durch einen mehr o<strong>der</strong> weniger höhenerfahrenen Laien. Dieser sollte zumindest<br />
in <strong>der</strong> Erkennung vor allem <strong>der</strong> Frühzeichen <strong>der</strong> verschiedenen Formen <strong>der</strong> <strong>akuten</strong><br />
<strong>Höhenkrankheit</strong> und in <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> einschlägigen Maßnahmen und Medika-<br />
mente ausreichend geschult sein. Vorsicht: Ein Arzt, <strong>der</strong> eine höhenmedizinische<br />
Bergreiseapotheke verschreibt, übernimmt damit eine nicht unerhebliche Verantwor-<br />
tung. Er muss seinem Klienten eine schriftliche Anleitung zur Anwendung mitgeben<br />
und ausreichend schulen. Die letalen Risiken von Fehldiagnosen, falschen Indikatio-<br />
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191<br />
nen, Dosierungsfehlern und Medikamentenverwechslungen durch nichtärztliche Hel-<br />
fer sind nämlich lei<strong>der</strong> beträchtlich, wie zahlreiche Berichte belegen.<br />
MERKE:<br />
<strong>Höhenkrankheit</strong> tritt nie schicksalshaft auf, son<strong>der</strong>n ist fast immer die Folge<br />
gravieren<strong>der</strong> höhentaktischer Fehlentscheidungen. Zahlreiche Analysen<br />
schwerer und tödlicher Höhenanpassungsstörungen zeigen mit erschüttern<strong>der</strong><br />
Regelmäßigkeit, dass zuvor gegen eine, meist sogar gegen mehrere Regeln<br />
<strong>der</strong> Höhentaktik verstossen wurde und dass außerdem die daraus resultieren-<br />
den Frühzeichen bagatellisiert, verschwiegen, missachtet<br />
und ohne rechtzeitige Konsequenzen geblieben sind.<br />
© <strong>Berghold</strong>/Schaffert 2012