2001 Jürgen Habermas - Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
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FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS<br />
entsteht eine Perspektive, aus der sich die<br />
Zeitgenossen für den aktuellen Zustand als die<br />
Vergangenheit einer zukünftigen Gegenwart zur<br />
Rechenschaft gezogen sehen. Es entsteht die<br />
Suggestion einer Verantwortlichkeit für den<br />
Anschluss 32 einer Situation an die nächste, für<br />
die Fortsetzung eines Prozesses, der seine<br />
Naturwüchsigkeit abgestreift hat und sich weigert,<br />
das Versprechen einer selbstverständlichen<br />
Kontinuität zu geben.« 33<br />
In diesem Sinne ist die Sorge um die Zukunft<br />
der modernen Rationalität und die der<br />
Bun<strong>des</strong>republik Deutschland vom selben<br />
Schlage, ohne dass man behaupten müsste, diese<br />
verkörpere jene nun in besonders, sagen wir:<br />
bestechender Form. In beiden Fällen geht es um<br />
das Problem <strong>des</strong> Substanzerhalts, das nicht konservativ<br />
zu lösen ist. Es kann nicht anders sein,<br />
als dass diese werknotwendige Haltung <strong>Habermas</strong><br />
den Vorwurf der einen Seite einträgt, er<br />
lasse nicht die altmodische Attitüde <strong>des</strong> Alarmisten,<br />
<strong>des</strong> Mahners und Warners hinter sich, und<br />
den der anderen, sein eigentliches Anliegen bestehe<br />
seit dem Linksfaschismusvorwurf an den<br />
SDS darin, wirklich radikale Kritik zu delegitimieren.<br />
Es kann nicht anders sein. Man könnte<br />
dem ironisch mit Mephistopheles begegnen:<br />
»Mein guter Herr, Ihr seht die Sachen, wie man<br />
die Sachen eben sieht« und dann darüber hinweggehen,<br />
aber ich fürchte, dass auch das den<br />
Ärger kaum mindern wird, den der mal so, mal<br />
so Etikettierte dabei empfindet.<br />
Auch das kann nicht anders sein bei jemandem,<br />
den ich mit Worten charakterisieren<br />
möchte, die er selbst auf einen ganz anderen,<br />
einen Antipoden in der Theorie, Michel Foucault<br />
nämlich, angewendet hat, und die trotzdem so<br />
gut passen, wenn er von der Spannung »zwischen<br />
einer beinahe heiter szientifischen Zurückhaltung<br />
<strong>des</strong> ernsten, um Objektivität bemühten<br />
Gelehrten einerseits, und der politischen<br />
Vitalität <strong>des</strong> verletzbaren, subjektiv reizbaren,<br />
moralisch empfindlichen Intellektuellen andererseits«<br />
spricht 34 . Für die Verklammerung dieser<br />
beiden Rollen, der <strong>des</strong> Wissenschaftlers und<br />
Gelehrten einer- und <strong>des</strong> Intellektuellen in der<br />
öffentlichen Debatte andererseits, steht die Maxime,<br />
dass »Humanität [...] die Kühnheit« ist,<br />
32 Hervorhebung J. P. R.<br />
33 Der philosophische Diskurs der Moderne, S. 73<br />
34 »Mit dem Pfeil ins Herz der Gegenwart. Zu Foucaults<br />
Vorlesung über Kants >Was ist Aufklärung