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Mitteilungen Sommer 2012 - Friedenspreis des Deutschen ...

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Nachrichten<br />

Nachrichten<br />

Autoren gegen Dumpingpreise<br />

Israelische Schriftsteller, unter ihnen<br />

Amos Oz und David Grossman, haben<br />

gemeinsam mit Verlegern gegen<br />

die Dumpingpreispolitik der Buchhandelsketten<br />

protestiert. Mit Erfolg:<br />

Ein schon längere Zeit vorliegender<br />

Gesetzentwurf ging nun an die Justizkommission<br />

<strong>des</strong> israelischen Parlaments.<br />

Der Entwurf sieht erstmals<br />

eine Preisbindung für die ersten 18<br />

Monate nach Erscheinen eines Titels<br />

vor, außerdem ein garantiertes Autorenhonorar.<br />

Eurovision für den <strong>Friedenspreis</strong><br />

FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher<br />

bedankte sich bei der Verleihung<br />

der Plakette „Dem Förderer <strong>des</strong><br />

Buches“ mit einem Lob an den Börsenverein:<br />

Der Verband setze nicht<br />

zuletzt mit dem <strong>Friedenspreis</strong> für<br />

Liao Yiwu politische und moralische<br />

Maßstäbe. „Viele, die ich kenne, sind<br />

durch die <strong>Friedenspreis</strong>übertragungen<br />

im Fernsehen sozialisiert worden.“<br />

Gerne wolle er sich dafür einsetzen,<br />

dass vor der Verleihung wie<br />

früher die Eurovisions-Hymne gespielt<br />

wird, die Verleihung also auch<br />

in andere Länder übertragen wird.<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong> 2<br />

Boualem Sansal 12<br />

Termine 17<br />

Meldungen 17<br />

Margarete Mitscherlich 20<br />

Aus den Archiven: Nelly Sachs 26<br />

Vortrag über den <strong>Friedenspreis</strong> 32<br />

Impressum<br />

Impressum<br />

<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

<strong>Mitteilungen</strong> <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Börsenverein <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels e.V.<br />

Geschäftsstelle<br />

<strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels<br />

Schiffbauerdamm 5<br />

10117 Berlin<br />

<strong>Friedenspreis</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>2012</strong><br />

1<br />

Liao Yiwu


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

Der Stiftungsrat für den <strong>Friedenspreis</strong> hat für den<br />

Börsenverein <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels und seine Mitglieder<br />

den chinesischen Schriftsteller Liao Yiwu zum neuen <strong>Friedenspreis</strong>träger gewählt.<br />

Begründung<br />

Den <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels<br />

verleiht der Börsenverein im Jahr <strong>2012</strong> an<br />

Liao Yiwu<br />

und ehrt damit den chinesischen Schriftsteller,<br />

der sprachmächtig und unerschrocken gegen die politische<br />

Unterdrückung aufbegehrt und den Entrechteten seines<br />

Lan<strong>des</strong> eine weithin hörbare Stimme verleiht.<br />

Liao Yiwu setzt in seinen Büchern und Gedichten<br />

den Menschen am Rand der chinesischen Gesellschaft<br />

ein aufrütteln<strong>des</strong> literarisches Denkmal. Der Autor, der am<br />

eigenen Leib erfahren hat, was Gefängnis, Folter und<br />

Repression bedeuten, legt als unbeirrbarer<br />

Chronist und Beobachter Zeugnis ab für<br />

die Verstoßenen <strong>des</strong> modernen China.<br />

Das Manuskript seines Werks „Für ein<br />

Lied und hundert Lieder“, in dem er von der<br />

Entmenschlichung durch rohe Gewalt in chinesischen<br />

Gefängnissen erzählt, wurde mehrfach von den Behörden<br />

beschlagnahmt; er hat es immer wieder neu geschrieben<br />

und konnte es schließlich im Exil veröffentlichen.<br />

Als Volksschriftsteller im umfassenden Sinn<br />

steht er ein für Menschenwürde,<br />

Freiheit und Demokratie.<br />

Die Verleihung findet zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse<br />

am Sonntag, 14. Oktober <strong>2012</strong>, um 11.00 Uhr in der Paulskirche statt<br />

und wird live im Ersten Programm der ARD übertragen.<br />

Der <strong>Friedenspreis</strong> ist mit 25.000 € dotiert.<br />

2


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Liao Yiwu wird am 4. August 1958 in Chengdu, der<br />

Hauptstadt der chinesischen Provinz Sichuan geboren, in<br />

der Zeit der großen Hungersnot, die durch die Kampagne<br />

„Großer Sprung nach vorne“ ausgelöst wird und bei der<br />

mehr als 15 Millionen Chinesen ums Leben kommen.<br />

Sein Vater, ein Hochschullehrer, bringt seinem Sohn<br />

bereits im Alter von drei Jahren das Lesen und Vortragen<br />

klassischer Lyrik und Prosa bei. 1966 wird der Vater<br />

während der Kulturrevolution als Revolutionsgegner<br />

angeklagt. Um die Kinder zu schützen, lassen sich die<br />

Eltern scheiden. Liao Yiwu lebt fortan mit seiner Mutter<br />

und seinen Geschwistern in großer Armut.<br />

Nach schwieriger Kindheit als Straßenkind und ohne die<br />

Möglichkeit eines regelmäßigen Schulbesuchs arbeitet<br />

Liao Yiwu anschließend zunächst als Küchenhilfe und<br />

Lastwagenfahrer. Mit der Lektüre von ins Chinesische<br />

übersetzter westlicher Literatur wächst sein Interesse an<br />

der Schriftstellerei, und er beginnt mit dem Verfassen<br />

eigener Gedichte. Nach dem Tode Mao Zedongs, dem<br />

Sturz der sogenannten Viererbande und dem damit einhergehenden<br />

Ende der chinesischen Kulturrevolution<br />

versucht er vier Jahre lang vergeblich, an der Universität<br />

aufgenommen zu werden. Er findet Arbeit bei einer Zeitschrift,<br />

wo er bald als wortgewandter Dichter auffällt und<br />

vom Kulturministerium in die Riege der Staatsschriftsteller<br />

aufgenommen wird.<br />

Während der 1980er Jahre publiziert Liao Yiwu regelmäßig<br />

Gedichte in offiziellen chinesischen Literaturzeitschriften.<br />

Zahlreiche seiner Gedichte im Stile westlicher<br />

Lyrik veröffentlicht er jedoch in Anthologien und Periodika<br />

der im Untergrund tätigen Literaturszene, da die chinesischen<br />

Behörden sie als „geistige Verschmutzung“<br />

ansehen. 1987 wird er aufgrund dieser Veröffentlichungen<br />

auf die „Schwarze Liste“ gesetzt. Als er im Frühjahr<br />

1989 mit der Veröffentlichung der Gedichte „Die gelbe<br />

Stadt“ und „Held“ das paralysierte System Chinas allegorisch<br />

als kollektive Leukämie und Mao als das Symptom<br />

dieser Krankheit bezeichnet, wird er mehrmals verhört<br />

und seine Wohnung durchsucht.<br />

Unter dem Eindruck der im ganzen Land aufkommenden<br />

Unruhen während der Massendemonstrationen auf dem<br />

„Platz <strong>des</strong> Himmlischen Friedens“, dem „Tian’anmen-<br />

Platz“, verfasst Liao Yiwu das Gedicht „Massaker“, in dem<br />

er, in der Nacht vor dem tatsächlichen Vorgehen der<br />

chinesischen Armee gegen die Protestierenden am 4. Juni<br />

1989, das Geschehen vorwegnimmt. Da er keine Möglichkeit<br />

einer Veröffentlichung sieht, nimmt er am gleichen<br />

Tag das Gedicht auf Tonband auf, Kopien werden im ganzen<br />

Land verbreitet. Unter dem Titel „Requiem“ arbeitet<br />

Liao Yiwu anschließend an einem Film über die Ereignisse.<br />

Im Februar 1990 werden er, die Filmcrew und seine<br />

schwangere Frau verhaftet. Als politischer Häftling wird<br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

Biographie von Liao Yiwu<br />

3<br />

er wegen „Verbreitung konterrevolutionärer Propaganda“<br />

zu einem vierjährigen Freiheitsentzug verurteilt.<br />

© Foto: Ali Gandtschi/S.Fischer Verlag<br />

Im Gefängnis lehnt sich Liao Yiwu immer wieder gegen<br />

die Wärter auf, widersetzt sich der Gefängnisordnung,<br />

wird von der Gefängnisleitung bestraft. In seinen verschriftlichten<br />

Erinnerungen an diese Zeit berichtet er<br />

später von den Regeln und Bestrafungsritualen der hierarchisch<br />

streng organisierten Mitgefangenen, von<br />

Krankheiten, Peinigungen und zwei Selbstmordversuchen.<br />

Aufgrund internationalen Drucks, offiziell wegen<br />

„guter Führung“, kommt Liao Yiwu 1994, knapp fünfzig<br />

Tage vor dem Ablauf seiner Gefängnisstrafe, frei. Die<br />

Inhaftierung und die Erlebnisse in den vier Gefängnissen,<br />

in denen er seine Haft verbüßt, haben Liao Yiwu aus seinem<br />

bisherigen Leben herausgerissen. Die Aufenthaltsgenehmigung<br />

an seinem Wohnort wird ihm entzogen,<br />

seine Frau hat ihn mit dem gemeinsamen Kind verlassen,<br />

die Freunde und Schriftstellerkollegen wenden sich von<br />

ihm ab. Mit seinem einzigen Besitz, einer Flöte, die er im<br />

Gefängnis zu spielen gelernt hat, verdient Liao Yiwu – der<br />

seitdem unter steter Überwachung der Polizei ist – seinen<br />

Lebensunterhalt als Straßenmusiker und verdingt sich als<br />

Gelegenheitsarbeiter in Restaurants, Teehäusern und<br />

Buchläden.


1998 stellt Liao Yiwu unter dem Titel<br />

„Der Untergang <strong>des</strong> Heiligen Tempels“<br />

eine Anthologie von im Untergrund<br />

geschriebenen Gedichten zahlreicher<br />

chinesischer Dissidenten der 1970er<br />

Jahre zusammen. Die Behörden ordnen<br />

eine Untersuchung an und bezeichnen<br />

das Buch als „vorsätzlichen<br />

Versuch, die Regierung zu stürzen“.<br />

Liao Yiwu wird erneut inhaftiert, sein<br />

Verleger bekommt ein einjähriges<br />

Publikationsverbot. Die Begegnungen<br />

mit Mitgefangenen und mit den Menschen,<br />

die er als Straßenmusiker und<br />

Gelegenheitsarbeiter kennengelernt<br />

hat, versammelt Liao Yiwu 1998 in<br />

Form von 60 Interviews. In bereinigter<br />

Form erscheinen diese 2001 bei einem<br />

chinesischen Verlag unter dem Titel<br />

„Interviews mit Menschen vom unteren<br />

Rand der Gesellschaft“. 2009 wird<br />

dieses „Panoptikum an Lebensläufen,<br />

die eigentliche Kulturgeschichte Chinas<br />

von Mao bis zum heutigen Tag“<br />

(Herta Müller), in Deutschland ungekürzt<br />

veröffentlicht („Fräulein Hallo<br />

und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft<br />

von unten“). Seine Gespräche<br />

mit einem Mörder, Totenliedersänger,<br />

Dieb, Klomann, Menschenhändler,<br />

Wahrsager, Homosexuellen, Bettler,<br />

Lehrer, Dissidenten, früheren Landadligen,<br />

Zuhälter, Feng-Shui-Meister und<br />

vielen anderen Menschen aus den<br />

unteren Gesellschaftsschichten zeichnen<br />

die Wirklichkeit der Gegenwart<br />

Chinas nach. Das Buch wird somit zu<br />

einem Porträt <strong>des</strong> Lan<strong>des</strong> jenseits der<br />

offiziellen Darstellungen.<br />

Die „bereinigte“ chinesische Version<br />

<strong>des</strong> Buches wird von den Kritikern<br />

hoch gelobt und verkauft sich gut, bis<br />

die chinesischen Behörden den Verkauf<br />

untersagen, den Verlag bestrafen<br />

und für die Entlassung von Mitarbeitern<br />

einer chinesischen Zeitung sorgen,<br />

die ein Interview mit Liao Yiwu<br />

geführt haben. Fortan darf sein Name<br />

in den Medien nicht mehr genannt<br />

werden. 2002 gelingt es, das Buch<br />

nach Taiwan zu schmuggeln, wo es<br />

ein Jahr später ungekürzt veröffentlicht<br />

wird. Auszüge daraus erscheinen<br />

auch auf Englisch und Französisch.<br />

Liao Yiwu erhält 2003 mit dem Hellman-Hammet-Grant<br />

eine Förderung<br />

der Organisation Human Rights<br />

Watch. 2007 wird er mit dem Freedom<br />

<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

To Write Award <strong>des</strong> Unabhängigen<br />

Chinesischen PEN-Zentrums ausgezeichnet.<br />

Die Verleihung wird aber<br />

verhindert. 2008 erscheinen 27 der<br />

Gespräche in den USA mit dem Titel<br />

„The Corpse Walker – Real Life Stories:<br />

China From the Bottom Up“. Für<br />

die polnische Ausgabe <strong>des</strong> Buches<br />

erhält er <strong>2012</strong> den Ryszard-<br />

Kapuscinski-Preis.<br />

Das offizielle <strong>Friedenspreis</strong>foto,<br />

aufgenommen in China von einem<br />

Freund, dem Liao Yiwu nach der<br />

Rückkehr von einer langen Reise<br />

seine Kamera gegeben hat.<br />

In „Chronik <strong>des</strong> Großen Erdbebens“,<br />

das 2009 in Hongkong erscheint,<br />

veröffentlicht Liao Yiwu die Interviews,<br />

die er 2008 mit den Menschen<br />

geführt hat, die das große Erdbeben in<br />

der Region Sichuan mit mehr als<br />

80.000 Toten überlebt haben, und die<br />

ihm über die Korruption berichten und<br />

Gerechtigkeit fordern. Nach mehreren<br />

vergeblichen Versuchen kommt Liao<br />

Yiwu in den Besitz eines Reisepasses.<br />

Trotzdem wird ihm im Oktober 2009<br />

die Reise zur Frankfurter Buchmesse,<br />

auf der China Ehrengast ist, verweigert.<br />

Auch eine Teilnahme an dem<br />

Kölner Literaturfest lit.cologne im<br />

Frühjahr 2010 wird nicht zugelassen,<br />

am Flughafen wird Liao Yiwu festgenommen<br />

und stundenlang verhört. Ein<br />

öffentlicher Appell an Bun<strong>des</strong>kanzlerin<br />

Merkel führt schließlich dazu, dass<br />

er im September erstmals aus China<br />

ausreisen und am Internationalen<br />

4<br />

Literaturfestival in Berlin teilnehmen<br />

kann. Nachdem ihm jedoch im Mai<br />

2011 abermals eine Ausreise aus<br />

China verweigert wird, setzt sich Liao<br />

Yiwu im Juli 2011 über Vietnam nach<br />

Deutschland ab.<br />

Um das Leben von Liao Yiwu nicht in<br />

Gefahr zu bringen, hält sein deutscher<br />

Verlag die Veröffentlichung seines<br />

Buches „Für ein Lied und hundert<br />

Lieder“, wofür dem Autor durch chinesischen<br />

Behörden eine erneute<br />

Gefängnisstrafe angedroht wird, bis zu<br />

seiner Flucht zurück. Es ist die Übersetzung<br />

der dritten Version seiner<br />

Erinnerungen an die vierjährige Gefängniszeit<br />

von 1990 bis 1994. Immer<br />

wieder hat er sie von vorn beginnen<br />

müssen, weil die von ihm verfassten<br />

Manuskripte 1995 und 1997 bei<br />

Hausdurchsuchungen beschlagnahmt<br />

wurden. Dem Leidensweg durch die<br />

chinesischen Gefängnisse und Arbeitslager<br />

stellt Liao Yiwu die Wucht seines<br />

Gedichtes „Massaker“, dem Grund<br />

seiner Inhaftierung, voran. Das Buch,<br />

das im November 2011 mit dem<br />

Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet<br />

wurde, wird dadurch zu einem<br />

„politischen Zeugnis erster Güte“<br />

(Neue Zürcher Zeitung), mit dem Liao<br />

Yiwu den Menschen, die das politische<br />

System zum Schweigen bringen will,<br />

eine Stimme gibt. Im gleichen Jahr<br />

erscheint in Deutschland eine Sammlung<br />

zum Teil noch nicht veröffentlichter<br />

Gedichte unter dem Titel „Massaker:<br />

Frühe Gedichte“.<br />

<strong>2012</strong> erhält Liao Yiwu ein einjähriges<br />

Stipendium <strong>des</strong> Berliner Künstlerprogramms<br />

<strong>des</strong> DAAD. Von Berlin aus<br />

setzt er sich mit einem öffentlichen<br />

Appell für seinen Freund, den chinesischen<br />

Untergrunddichter und –schriftsteller<br />

Li Bifeng ein, der seit Monaten<br />

inhaftiert ist und dem wegen sogenannter<br />

„wirtschaftlicher Straftaten“<br />

eine Verurteilung droht. Am 14. Oktober<br />

<strong>2012</strong> wird Liao Yiwu mit dem<br />

<strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels<br />

geehrt. Ende <strong>des</strong> Jahres wird<br />

in Deutschland sein neues Buch „Die<br />

Kugel und das Opium – Leben und<br />

Tod am Platz <strong>des</strong> Himmlischen Friedens“<br />

erscheinen.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

Deutschsprachige Veröffentlichungen von Liao Yiwu<br />

„Fräulein „Fräulein Hallo Hallo und und der der Bauernkaiser: Bauernkaiser: Chinas Chinas Gesel Gesell- Gesel l<br />

schaft schaft von von unten“<br />

unten“<br />

Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann und<br />

Brigitte Höhenrieder<br />

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009, 544 Seiten,<br />

broschiert, ISBN 978-3-596-18525-2, 10,99 €<br />

„Für „Für ein ein Lied Lied und und hundert hundert Lieder.<br />

Lieder.<br />

Ein Ein Zeugenbericht Zeugenbericht aus aus chinesischen chinesischen Gefängnissen“<br />

Gefängnissen“<br />

Gefängnissen“<br />

Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann<br />

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2011, 592 Seiten,<br />

gebunden, ISBN 978-3-10-044813-2, 24,95 €<br />

„Massaker: „Massaker: Frühe Frühe Ge Gedichte“ Ge dichte“<br />

Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann<br />

hochroth Verlag, Berlin <strong>2012</strong>, 28 Seiten, broschiert,<br />

ISBN 978-3-902871-00-8, 6,00 €<br />

„si „si „si cheng“ cheng“ [„Die Stadt <strong>des</strong> To<strong>des</strong>“]<br />

ren min wen xue yue kan (Nr. 1 & 2), Beijing 1987<br />

„huang huang cheng“ [„Die gelbe Stadt“]<br />

dong bei wen xue yue kan (Nr. 2), Changchun 1989<br />

„ou „ou xiang“ xiang“ [„Das Idol“]<br />

kai tuo ji kan, Beijing 1989<br />

„chen „chen lun lun de de sheng sheng dian“ dian“ [„Der Untergang <strong>des</strong> heiligen<br />

Tempels“]<br />

Jugendverlag, Xinjiang 1999<br />

“bian “bian yuan yuan ren ren cai cai fang fang lu” lu” [„Interviews mit Menschen<br />

vom unteren Rand der Gesellschaft“]<br />

China Theaterverlag, Beijing 1999<br />

“bian “bian yuan yuan yuan ren ren cai cai fang fang lu” lu” [„Interviews mit Menschen<br />

vom unteren Rand der Gesellschaft“]<br />

Rye Field Publishing Co., Taipeh 2002<br />

„L'Empire „L'Empire „L'Empire <strong>des</strong> <strong>des</strong> bas bas-fonds“ bas fonds“ fonds“ („di guo di ceng“)<br />

Éditions Bleu de Chine, Paris 2003<br />

„China's „China's Unjust Unjust Court Court Cases“ Cases“ („zhong guo yuan an lu“)<br />

Volume 1; Edited by Liao Tianqi<br />

Laogai Foundation, Washington, D.C. 2005<br />

„China's „China's Petitioner Petitioner Petitioner Villages“ Villages“ Villages“ („zhong guo shang fang<br />

cun“)<br />

Mirror Publishing Co., Milwaukee 2005<br />

„China's „China's Unjust Unjust Court Court Court Cases“ Cases“ („zhong guo yuan an lu“)<br />

Volume 2; Edited by Liao Tianqi<br />

Laogai Foundation, Washington, D.C. 2005<br />

5<br />

„Erinnerung, „Erinnerung, bleib...“<br />

bleib...“<br />

Audio-CD und DVD, deutsch-englisch-chinesisch<br />

Lieblingsbuch-Verlag, Berlin <strong>2012</strong>,<br />

ISBN 978-3-943967-00-5, 24,90 €<br />

erscheint Anfang September <strong>2012</strong><br />

Weitere Veröffentlichungen<br />

„Die „Die Kugel Kugel und und das das Opium. Opium. Leben<br />

Leben<br />

und und Tod Tod am am Platz Platz <strong>des</strong> <strong>des</strong> Himmlischen Himmlischen Friedens“ Friedens“<br />

Friedens“<br />

Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann<br />

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main <strong>2012</strong>, 592 Seiten,<br />

gebunden, ISBN 978-3-10-044815-6, 24,99 €<br />

erscheint Ende Oktober <strong>2012</strong><br />

„Poèmes „Poèmes de de prison: prison: Le Le Le grand grand massacre massacre massacre - L'âme L'âme endormie“<br />

endormie“<br />

Éditions L'Harmattan, Paris 2008<br />

„The „The Last Last of of China’s China’s Landlords“ Landlords“ („zui hou de di zhu“)<br />

The Laogai Research Foundation, Washington, D.C. 2008<br />

„The „The Corpse Corpse Walker. Walker. Real Real Life Life Stories: Stories: Stories: China China from from the the<br />

the<br />

Bottom Bottom Up“<br />

Up“<br />

Aus dem Chinesischen von Huang Wen<br />

Pantheon Books, New York 2008<br />

(gekürzte englischsprachige Ausgabe von [„Interviews<br />

mit Menschen vom unteren Rand der Gesellschaft“])<br />

[„Chronik [„Chronik <strong>des</strong> <strong>des</strong> Großen Großen Erdbebens“] Erdbebens“] (chinesisch)<br />

Hongkong 2009<br />

(Bericht über das Erdbeben in Sichuan 2008)<br />

[„Chronik [„Chronik [„Chronik <strong>des</strong> <strong>des</strong> Großen Großen Erdbebens“] Erdbebens“] (chinesisch)<br />

Asian Culture Publishing Co. Ltd., Taiwan 2009<br />

(Bericht über das Erdbeben in Sichuan 12.5.2008)<br />

„Quand „Quand la la terre terre s’est s’est s’est ouverte ouverte au au Sichuan: Sichuan: Sichuan: Journal Journal d’une<br />

d’une<br />

tragédie“<br />

tragédie“<br />

Éditions Buchet/Chastel, Paris 2010<br />

(franz. Ausgabe von [„Chronik <strong>des</strong> Großen Erdbebens“])<br />

„God „God is is red: red: The The Secret Secret Story Story of of How How Christianity Su Sur- Su<br />

r<br />

vived vived and and Flourished Flourished in in Communist Communist China“<br />

Aus dem Chinesischen von Huang Wen<br />

HarperOne, HarperCollins Publishers, New York 2011<br />

„zi „zi dan dan ya ya pian“ pian“ pian“ [„Die Kugel und das Opium“]<br />

Asian Culture Publishing Co. Ltd., Taiwan <strong>2012</strong>


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

"Es gibt keine Hoffnung für China"<br />

Ein Gespräch <strong>des</strong> „Börsenblatt-Wochenmagazin für den deutschen Buchhandel“ mit Liao Yiwu über die alltägliche<br />

Brutalität in China, die Überzeugungskraft <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong>, Überleben im Gefängnis und das bittere<br />

Glück <strong>des</strong> Exils.<br />

Sie leben im deutschen Exil, in einem Wahl scheint es für Kritiker <strong>des</strong> Re- Fühlen Sie sich fernab von Ihrem Land<br />

Land, <strong>des</strong>sen Sprache Sie nicht begimes in China nicht zu geben. und den Menschen dort abgeschnitten<br />

herrschen. Wie geht es Ihnen hier, in<br />

von den Quellen Ihrer schriftstelleri-<br />

Berlin?<br />

schen Arbeit?<br />

Ich denke nicht viel über das Exil<br />

nach. Dafür lässt mir das Leben hier,<br />

meine Arbeit auch keine Zeit. Über<br />

das Internet bin ich außerdem in Kontakt<br />

mit meinen Freunden in China.<br />

Ich habe die Gewohnheit entwickelt,<br />

jeden Tag von meiner Wohnung in der<br />

Uhlandstraße zum Wilmersdorfer<br />

Volkspark zu spazieren, in der Nähe<br />

ist ein Friedhof. Ich empfinde eine<br />

große Ruhe dort. Zum Schluss erwartet<br />

jeden das Gleiche. Das Exil ist<br />

mein Schicksal. Dass ich einer Sprache<br />

nicht mächtig bin, beeinträchtigt<br />

nicht das Gefühl von Freiheit. Ich war<br />

in China häufiger in Regionen unterwegs,<br />

deren Sprache mir fremd war,<br />

gerade dort habe ich mich sehr frei<br />

gefühlt, fern von Überwachung.<br />

In China wurden Sie verfolgt, ins Gefängnis<br />

geworfen, die Veröffentlichung<br />

Ihrer Bücher unterdrückt. In<br />

Deutschland erhalten Sie renommierte<br />

Auszeichnungen: im vergangenen Jahr<br />

den Geschwister-Scholl-Preis und –<br />

wie jetzt bekannt wurde – am 14.<br />

Oktober <strong>2012</strong> den <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Deutschen</strong> Buchhandels. Welche Empfindung<br />

weckt das, ist es eine mit<br />

Trauer vermischte Freude?<br />

Zunächst war ich für eine kurze Zeit<br />

fassungslos. Und dann wurde mir klar,<br />

dass ich ein Mensch bin, der unverschämtes<br />

Glück hat. Ich habe nicht<br />

mit Preisen gerechnet. Ich wollte lediglich<br />

vom Leben einfacher chinesischer<br />

Menschen erzählen.<br />

Als der mit Ihnen befreundete chinesische<br />

Regimekritiker Liu Xiaobo 2010<br />

den Friedensnobelpreis erhielt, blieb<br />

sein Platz in Stockholm leer. Er war<br />

zuvor zu elf Jahren Haft verurteilt und<br />

eingesperrt worden. Sie können den<br />

<strong>Friedenspreis</strong> in der Paulskirche in<br />

Frankfurt selbst entgegennehmen.<br />

Gefängnis oder Exil – eine andere<br />

© Foto: Ali Gandtschi/S.Fischer Verlag<br />

In China hat man mir damit gedroht,<br />

dass ich für lange Zeit verschwinden<br />

würde, sollte mein Buch "Für ein Lied<br />

und hundert Lieder" erscheinen. So<br />

habe ich beschlossen, ins Ausland zu<br />

gehen. Ich dachte nicht, dass sie es<br />

wagen würden, Liu Xiaobo erneut<br />

einzusperren. Beide wünschen wir uns<br />

Freiheit in China. Aber darüber hinaus<br />

sind wir sehr verschieden. Liu Xiaobo<br />

ist ein Intellektueller, für ihn sind<br />

Menschen wie Havel und Mandela<br />

Vorbilder. Er betrachtet sich als Anführer<br />

einer intellektuellen Elite. Ich<br />

selbst sehe mich als einen unpolitischen<br />

Schriftsteller, als ein Aufnahmegerät<br />

der Zeit. Ich schreibe auf, was<br />

andere Menschen mir erzählen. Die<br />

einfachen Leute sind mir näher, ich<br />

verstehe sie viel besser als die Elite.<br />

Ich sehe mich nicht auf einer Anhöhe,<br />

als kleine Ameise fühle ich mich am<br />

wohlsten. Als ich vom <strong>Friedenspreis</strong><br />

erfuhr und recherchiert habe, bin ich<br />

auf eine lange Liste von Preisträgern<br />

gestoßen, auf berühmte Intellektuelle<br />

– Václav Havel und Susan Sontag zum<br />

Beispiel. Ich dachte: Vielleicht hat sich<br />

der Börsenverein bei mir geirrt.<br />

6<br />

Ich habe viele gute und viele schlechte<br />

Dinge in China erlebt und aufgesogen.<br />

Eines Tages sagte mir die Polizei, dass<br />

ich ins Gefängnis muss. Als ich mich<br />

später auf den Weg in den Westen<br />

machte, befand sich in meinem Reisegepäck<br />

auch ausreichend Nahrung für<br />

weitere Bücher.<br />

In Ihrem Gefängnisbuch "Für ein Lied<br />

und hundert Lieder" berichten Sie von<br />

Folter und einem grausamen System<br />

von Bestrafungsritualen unter den<br />

Gefangenen selbst. Überleben kann<br />

nur, wer sich anpasst und die Regeln<br />

akzeptiert. Wie hat die Gefängniszeit<br />

Sie verändert?<br />

Vor dem Gefängnis war ich ein romantischer<br />

Dichter. Als ich mich dann in<br />

einer Zelle wiederfand, kam das einem<br />

Schock gleich. Es gab dort Menschen,<br />

wie ich sie nicht kannte, sie lebten<br />

zusammengepfercht auf wenig Raum,<br />

umgeben von Dreck und Gestank. Die<br />

haben mich am Anfang nur ausgelacht,<br />

weil ich nichts verstehen würde.<br />

Dabei hatte ich für meine Gedichte<br />

doch Preise bekommen. Mir wurde<br />

klar, dass ich gar nichts von den unteren<br />

Gesellschaftsschichten wusste. Ich<br />

habe also angefangen zu lernen, überhaupt<br />

lernen zu wollen, sonst hätte ich<br />

nicht überlebt. Als Neuling musste<br />

man zum Beispiel in der Hocke mit<br />

beiden Händen auf dem Kopf zum Klo<br />

hüpfen, ebenso zurück. Auf die Art<br />

wurde einem beigebracht, dass man<br />

ganz klein und erbärmlich ist. Man<br />

wurde zum Tier gemacht und nur so,<br />

als Tier, konnte man überleben. Es<br />

gibt viele, die entlassen werden und<br />

draußen nicht mehr leben können, die<br />

kehren schnell wieder zurück. Die<br />

chinesische KP hat einmal gesagt, das<br />

Gefängnis sei dazu da, die Knochen<br />

eines Menschen komplett durcheinanderzuschütteln.


Ihr Manuskript wurde zweimal konfisziert.<br />

Sie mussten immer wieder neu<br />

beginnen. Hat das Schreiben geholfen,<br />

um mit dem Erlebten zurande zu<br />

kommen?<br />

Ich hatte im Gefängnis meine Würde<br />

verloren. Nur durch das Schreiben<br />

konnte ich sie wiederfinden. Das war<br />

wie eine Entgiftung für mich. Dann<br />

haben sie mir mein Manuskript weggenommen.<br />

Mir blieb nichts weiter<br />

übrig, als immer wieder neu anzufangen.<br />

Ich war während dieser Zeit sehr<br />

verzweifelt und instabil, wurde oft<br />

zornig. Damals habe ich als Straßenmusiker<br />

in einer Kneipe gesungen.<br />

Einmal bekam ich mit einem anderen<br />

Streit. Da habe ich eine Flasche genommen<br />

und sie auf seinem Kopf<br />

zerschlagen, alles war voller Blut. Ich<br />

wurde erst ruhiger, als ich mit der<br />

dritten Fassung fertig war und sie in<br />

Sicherheit wusste. Manchmal dachte<br />

ich, die erste Version sei die beste,<br />

aber dann wurde mir deutlich, dass<br />

mir später immer neue Details eingefallen<br />

sind.<br />

Sie schildern auch, wie Sie sich im<br />

Gefängnis umbringen wollten. Trotzdem<br />

bleibt für mich der Eindruck von<br />

einem Menschen vorherrschend, der<br />

sich nicht unterkriegen lässt, der<br />

immer wieder aufbegehrt. Als<br />

schwach erscheinen Sie mir nicht, im<br />

Gegenteil.<br />

Ich habe das Leben im Gefängnis als<br />

mein Schicksal angesehen und versucht,<br />

mich unter den Bedingungen<br />

dort nicht völlig aufzugeben. Trotzdem<br />

habe ich oft große Hilflosigkeit und<br />

Traurigkeit empfunden. Die klassische<br />

Literatur und die Geschichte waren<br />

nützlich, weil mir durch sie verdeutlicht<br />

wurde, dass ich mich im Vergleich<br />

zu einigen meiner Landsleute,<br />

Konfuzius oder dem antiken Historiker<br />

Sima Qian, glücklich schätzen<br />

konnte. Der eine war ein Exilant, der<br />

ständig vertrieben wurde, den anderen<br />

ließ der Kaiser kastrieren.<br />

Wie haben Sie nach Ihrer Entlassung<br />

gelebt, fühlten Sie sich bedroht?<br />

Ich wurde ständig überwacht. Aber<br />

das sind auch Menschen, und sie<br />

waren nicht schlecht zu mir. Einer<br />

sagte: "Schau mal, du hast doch gar<br />

keine politischen Meinungen. Letztlich<br />

<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

geht es doch bloß darum, zu leben. Du<br />

könntest zum Beispiel Hosen verkaufen."<br />

Ich widersprach: "Warum soll ich<br />

Hosen verkaufen?" Er: "Du verdienst<br />

Geld damit, wirst vielleicht sogar<br />

reich. Und wenn du mal Ärger hast,<br />

helfen wir dir."<br />

In China gelangen immer mehr Menschen<br />

zu Wohlstand. Erkauft sich das<br />

Regime so breitere Zustimmung? Und<br />

sind Sie angesichts <strong>des</strong>sen bloß ein<br />

einsamer Rufer in der Wüste?<br />

Ich betrachte die Entwicklung in China<br />

nicht als einen Aufstieg, im Gegenteil.<br />

Es gibt sehr viele schwache Menschen<br />

dort, für die nichts besser geworden<br />

ist. Das Land wird verseucht.<br />

Die Menschen kennen überhaupt<br />

keine moralischen Grenzen. China ist<br />

die größte Müllkippe der Welt. Die<br />

Umweltverschmutzung lässt sich in<br />

100 Jahren nicht beheben.<br />

Die Gespräche, die in dem Buch "Fräulein<br />

Hallo und der Bauernkaiser" versammelt<br />

sind, zeigen, wie sich Menschen<br />

am Rande der Gesellschaft<br />

behaupten. Zugleich machen sie eine<br />

furchtbare Erziehung zu Brutalität und<br />

Unmenschlichkeit kenntlich: Da sind<br />

Eltern, die zur Zeit der gigantischen<br />

Hungerkatastrophe Ende der 50er und<br />

Anfang der 60er Jahre ihre eigenen<br />

Kinder aufessen. Wie erging es Ihnen<br />

bei solchen Treffen?<br />

Ich bin in einem Gefängnis trainiert<br />

worden. Dort habe ich einen Mörder<br />

kennengelernt. Der Mann betrachtete<br />

mich als seinen letzten Zuhörer, bevor<br />

er hingerichtet wurde. Er erzählte mir<br />

immer wieder davon, wie er seine<br />

Frau ermordet, zerstückelt und gegessen<br />

hat. Ich höre einfach nur zu.<br />

Ihre Bücher und die darin festgehaltenen<br />

Erfahrungen und Erlebnisse<br />

zeichnen das Bild eines Lan<strong>des</strong>, in<br />

dem ein einzelnes Leben nicht viel<br />

zählt und ein selbstbestimmtes Dasein<br />

illusionär scheint. Lässt Sie das<br />

manchmal resignieren?<br />

Die Brutalität gehört zu den Folgen<br />

dieser Diktatur. In meinen Augen gibt<br />

es keinerlei Hoffnung für dieses Land.<br />

Wenn die Wirtschaft weiter wächst,<br />

führt das zu einer noch gewaltigeren<br />

Verschmutzung der Natur, aber auch<br />

der menschlichen Seele. Wenn Wirt-<br />

7<br />

schaftsleute aus dem Westen zu Besuch<br />

sind, dann wird nicht über Moral<br />

geredet, sondern nur über Geld. Von<br />

China geht eine große Gefahr für die<br />

westliche Kultur aus. Das Land exportiert,<br />

wie sich auf möglichst unmoralische<br />

und seelenarme Art regieren und<br />

die Wirtschaft lenken lässt. Ich war im<br />

vergangenen Jahr in den USA, um<br />

eine Rede an der Harvard University<br />

zu halten. Traditionell werden solche<br />

Auftritte aufgenommen und auf die<br />

Homepage gestellt. Bei dieser Gelegenheit<br />

habe ich mein Gedicht "Massaker"<br />

laut vorgetragen und davon<br />

gesprochen, dass dieses Attentat von<br />

1989 einen Wendepunkt für die Chinesen<br />

markiert: Aus glühenden Patrioten<br />

wurden Menschen, die nicht mehr<br />

ihr Land, sondern nur noch das Geld<br />

lieben. Nachdem ich geendet hatte,<br />

wurde eine Sitzung anberaumt, in der<br />

die Harvard-Professoren darüber diskutiert<br />

haben, ob meine Rede überhaupt<br />

auf die Website gestellt werden<br />

soll. Man muss dazu wissen, Kinder<br />

von chinesischen KP-Kadern sind<br />

Absolventen der Universität, die zahlen<br />

viel Geld. Die Professoren haben<br />

entschieden, das Video von meinem<br />

Auftritt nicht zu zeigen. Zur Begründung<br />

wurde ausgeführt, dass mein<br />

Übersetzer auch zu sehen sei, man ihn<br />

aber nicht in der Öffentlichkeit zeigen<br />

wolle.<br />

Diese verlogene Art der Argumentation<br />

kannte ich bis dahin nur aus China.<br />

Haben Sie den Wunsch, eines Tages<br />

nach China zurückzukehren?<br />

Ich habe kein Gefühl zu diesem Land.<br />

Meine Heimat ist nicht China, sie<br />

befindet sich in der Sichuan-Provinz<br />

und dort wird sie immer bleiben. Meine<br />

Zuneigung gehört meiner Familie,<br />

meinen Freunden. Meine kulturelle<br />

Heimat ist die Literatur: Laudse, Konfuzius.<br />

Es mag eigenartig klingen,<br />

aber gerade hier in Deutschland ist ein<br />

Heimatgefühl viel spürbarer für mich.<br />

Das Interview führte Holger Heimann.<br />

Frau Yeemei Guo hat übersetzt. Wir<br />

danken den beiden und dem Börsenblatt<br />

für die Erlaubnis, das Interview<br />

hier abdrucken zu dürfen.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

Der Schrei der gequälten Kreatur<br />

Das Gefängnis nennt der chinesische Autor Liao Yiwu einen seiner Lehrmeister. Als unbeirrbarer Chronist<br />

seines Lan<strong>des</strong> wird er im Oktober mit dem <strong>Friedenspreis</strong> ausgezeichnet. Der Frankfurter Publizist Detlev<br />

Claussen hat ihn für das „Börsenblatt – Wochenmagazin für den deutschen Buchhandel“ porträtiert.<br />

Im Zentrum <strong>des</strong> Reichs der Mitte liegt der Platz <strong>des</strong><br />

Himmlischen Friedens. In der sonst unruhigen, hektischen<br />

Millionenstadt Beijing herrscht an gewöhnlichen<br />

Tagen eine majestätische Ruhe an diesem Ort, an dem im<br />

Juni 1989 ein neues Zeitalter begann – nicht nur für die<br />

Chinesen, sondern für die ganze Welt. Unter dem überlebensgroßen<br />

Porträt <strong>des</strong> Vorsitzenden Mao hatten wochenlang<br />

studentische Rebellen Demokratie gefordert, Kunststudenten<br />

bauten eine Statue of Liberty als Symbol universeller<br />

Freiheit auf. Die chinesische Volksbefreiungsarmee<br />

eröffnete den Krieg gegen das eigene Volk mit<br />

einem unbeschreiblichen Massaker.<br />

廖亦武<br />

Der Name von Liao Yiwu auf Chinesisch. In dieser Sprache wird<br />

der Nachname – Liao - vor den Vornamen – Yiwu - gestellt. Im<br />

<strong>Deutschen</strong> wird diese Schreibweise in der Regel übernommen.<br />

Unbeschreiblich? Vielleicht musste man fern vom Geschehen<br />

sein, um Worte für diesen weltgeschichtlichen<br />

Moment finden zu können. Der Szechuaner Undergroundpoet<br />

Liao Yiwu fand sie, ohne direkt dabei gewesen<br />

zu sein. Er schrieb das Gedicht „Massaker“, das sich in<br />

der Wucht <strong>des</strong> ausgedrückten Schreckens mit Paul Celans<br />

„To<strong>des</strong>fuge“ vergleichen lässt. Nachlesen lässt es sich<br />

inzwischen auf Deutsch in dem Buch „Für ein Lied und<br />

hundert Lieder. Ein Zeugenbericht aus chinesischen Gefängnissen“.<br />

Ist das überhaupt ein Gedicht? Man muss „To<strong>des</strong>fuge“<br />

einmal mit Celans Stimme gehört haben, um die Tonlage<br />

erfassen zu können – genauso geht es einem mit Liaos<br />

Poem. Von „Massaker“ kursierte gleich nach den blutigen<br />

Schreckenstagen 1989 ein Video, das durch das ganze<br />

Land geisterte. Aus dem esoterischen Avantgardekünstler<br />

war über Nacht ein gefährlicher Staatsfeind geworden.<br />

***<br />

Man muss Liao hören, um ihn besser zu verstehen – in<br />

jedem Sinne <strong>des</strong> Wortes. Das wusste Chinas Kommunistische<br />

Partei und jagte Liao, um ihn zum Verstummen zu<br />

bringen, als er nach dem Massaker am Tian’anmen durch<br />

den Untergrund geisterte. 1990 wurde er verhaftet, vier<br />

Jahre lang weggesperrt – ein Leben am Boden der Gesellschaft,<br />

in einer moralischen Kloake. Ein Ort, der den<br />

8<br />

Schrecken <strong>des</strong> sowjetischen Gulag-Systems vergleichbar<br />

ist. In einer Rede, die Liao 2007 in Hongkong halten wollte,<br />

als er einen vom unabhängigen chinesischen PEN-<br />

Zentrum gestifteten Freedom to Write Award entgegennehmen<br />

sollte, aber nicht durfte, nannte er das Gefängnis<br />

einen seiner vier Lehrmeister.<br />

„Ich bin dem Gefängnis dankbar, dass es mir die Möglichkeit<br />

eröffnete, zu begreifen, was Freiheit wirklich<br />

bedeutet, und dafür, dass ich die Manuskripte meiner<br />

Werke dort schrieb. Ich bin dem Gefängnis dafür dankbar,<br />

dass ich dort die Möglichkeit hatte, das Spiel der chinesischen<br />

Hsiao-Flöte zu erlernen, und dass ich lernte, Seelen<br />

aus weit entfernten Vergangenheiten herbeizurufen ...“<br />

Wer Liaos Flötenspiel hört, erfährt die beschwörende<br />

Kraft der Musik, die alle seine Texte durchzieht, nicht nur<br />

die lyrischen.<br />

Das Buch, das er nach der Haft und einem Leben auf den<br />

Straßen Szechuans schrieb, als er sein Geld als Straßenmusiker<br />

verdienen musste, hieß auf Englisch „The Corpse<br />

Walker“, auf Deutsch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“.<br />

Die für die englische Ausgabe titelgebende Geschichte<br />

„Die Totenrufer“ zeigt, wenn Liao sie selbst vorspielt,<br />

seine ganze Kunst. Ist es überhaupt eine Geschichte?<br />

Im Buch liest es sich wie ein Interview mit einem 90<br />

Jahre alten Feng-Shui-Meister; beim Vorlesen begleitet<br />

Liao den Text auf chinesischen Instrumenten, die den<br />

Geist der Toten herbeirufen.<br />

Die Geschichte führt in die Vergangenheit, als man mithilfe<br />

von „Corpse Walkern“ in der Fremde Verstorbene<br />

heimholte, um sie an einem geomantisch bestimmten<br />

Platz zu beerdigen. Nach der Machtübernahme der Kommunistischen<br />

Partei 1949 wurde diese Praxis <strong>des</strong> Heimholens<br />

der Toten unterdrückt; die Totenrufer galten als<br />

„Lakaien der Ausbeuterklasse“ und wurden „umerzogen“.<br />

Aus einem dramatischen Einzelfall Anfang der 50er Jahre,<br />

den der alte Feng-Shui-Meister erzählt, wird durch Liaos<br />

Gesprächsführung ein Dialog, der nicht nur den Geist der<br />

vergessenen Totenrufer heraufbeschwört, sondern auch<br />

die große Erzählung von der barbarischen Modernisierung<br />

Chinas anklingen lässt.<br />

„Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“ verdanken wir<br />

dem „Lehrmeister Gefängnis“, von dem Liao sagt: „Ich<br />

danke ihm dafür, dass ich von morgens bis abends mit so<br />

vielen zum Tode Verurteilten, Reaktionären, Menschenhändlern,<br />

Bauernkaisern, Räuberbandenchefs, Betrügern<br />

und Falschspielern zusammen sein durfte.“


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Seine Lehrjahre verbrachte Liao im Knast, seine Wanderjahre<br />

verdankt er einem anderen Lehrmeister – der „Obdachlosigkeit“,<br />

die ihn Szechuan durchstreifen ließ. Aus<br />

den zahllosen Gesprächen mit den Erniedrigten und Beleidigten<br />

der chinesischen Gesellschaft ist ein gigantischer<br />

Erinnerungspalast aus Wörtern entstanden, von<br />

dem wir im <strong>Deutschen</strong> bislang erst die Spitze zu sehen<br />

bekommen haben. Liaos Bücher zu lesen ist wie ein Eintauchen<br />

in das Meer <strong>des</strong> Vergessens, ins „Wasser der<br />

Bitternis“, wie er es nennt; aber für den Autor bedeutet<br />

das Schreiben das Überleben selbst. In seinem nächsten<br />

Buch, das im Herbst auf Deutsch erscheint, „Die Kugel<br />

und das Opium“, überlegt er sich, was wäre: „Wenn sie<br />

mich eines Tages auch noch <strong>des</strong> Schreibens berauben,<br />

dann spiele ich Flöte, dann werde ich Straßenmusiker,<br />

dann heule und brülle ich es direkt hinaus. An meiner<br />

Stimme können die Leute hören, was ich von dieser<br />

schändlichen Epoche festgehalten habe. Sie können meine<br />

Flüche hören, meinen Fluch und meine Wut und meine<br />

Empörung. Natürlich werden sie in meiner Stimme<br />

auch meine Einsamkeit, meinen Narzissmus und meine<br />

selbstlose Liebe hören – das ist die beste Ausrede, die ich<br />

für mein Weiterleben habe.“<br />

***<br />

Liaos Stimme ist der Schrei der gequälten Kreatur, der<br />

nicht zum Verstummen gebracht werden konnte. Als er<br />

aus dem Gefängnis entlassen wurde, hatte er nichts und<br />

wanderte als Straßenmusiker durch Szechuan. Als er<br />

wieder sesshaft geworden war, wurden ihm durch mehrmalige<br />

Hausdurchsuchungen seine Werke entwendet.<br />

Aber er restituierte sie.<br />

Die Schreie der Erniedrigten und Beleidigten finden in<br />

Liaos Literatur eine Form, die auch für einen außenstehenden<br />

Nicht-Chinesen ihre Sache als seine Sache erscheinen<br />

lassen. Schon Primo Levi hatte seine Erfahrungsberichte<br />

aus Auschwitz auf Deutsch veröffentlichen<br />

lassen, damit die Anderen eine Chance haben zu verstehen,<br />

Scham zu empfinden – „die Scham, die ein jeder<br />

Mensch darüber empfinden müsste, dass es Menschen<br />

waren, die Auschwitz erdacht und errichtet haben“.<br />

Das ganze Oeuvre Liaos ist ein artikulierter Schrei, den<br />

man, auch ohne Chinesisch zu können oder viel über<br />

China zu wissen, hören kann. Man muss sich nur an die<br />

vier Lehrmeister Liaos halten – neben Gefängnis und<br />

Obdachlosigkeit noch Hunger und Schande. Alle sind<br />

nicht nur in China anzutreffen. So individuell das ist, was<br />

Liao zum Ausdruck bringt, so ist es doch universal verständlich.<br />

Wir im westlichen Europa haben nur vergessen, dass der<br />

Hunger zu den einschneidensten weltweiten Erfahrungen<br />

<strong>des</strong> grausamen short century, <strong>des</strong> kurzen 20. Jahrhunderts<br />

von 1917 bis 1989, gehört. Der Hunger während der<br />

Weltwirtschaftskrise und in den letzten Kriegsjahren<br />

machte im Boom der folgenden Jahrzehnte den Wunsch<br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

9<br />

nach Vergessen weltweit populär. In Liaos Lebensgeschichte<br />

findet sich die Erfahrung <strong>des</strong> short century zusammengezogen:<br />

1958 geboren, sind seine ersten Lebensjahre<br />

von der großen chinesischen Hungerkatastrophe<br />

bestimmt – als Kind war er so geschwächt, dass er nicht<br />

einmal mehr weinen konnte. „Und wenn auch der Himmel<br />

über mir einstürzt, zuerst werde ich essen, bis ich<br />

satt bin.“<br />

***<br />

In China ist die Existenzbedrohung durch Hunger noch so<br />

präsent, dass man anstelle von „How do you do?“ noch<br />

heute fragt: „Haben Sie heute schon gegessen?“ Erst<br />

kommt das Fressen: China platzt heute aus allen Nähten<br />

... und dann kommt nicht die Moral, sondern das Vergessen.<br />

Die Amnesie soll den Lehrmeister Schande vergessen<br />

lassen, dem keiner gern zuhören mag. Ihm verdanken wir<br />

das grandiose Buch „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“,<br />

das Liao so zusammenfasst: „Man kann sagen, dass<br />

dieses Buch infam ist, weil es beschreibt, mit welcher<br />

Verwerflichkeit wir unter größter Schmach und in grenzenloser<br />

Not, im Mief von Blut und Schweiß, überlebten.<br />

Wir erlangten die Normalität einer geschäftigen Kakerlake.“<br />

Nach 1990, noch als er im Szechuaner Gefängnis saß,<br />

wurde China weltweit zum Leuchtfeuer <strong>des</strong> ökonomischen<br />

Booms. Das Opium wachsenden Lebensstandards<br />

ergriff die Massen und rettete die Parteidiktatur vor ihrem<br />

Zorn. Opium war das von England importierte zerstörerische<br />

Gift, das China im 19. Jahrhundert zum Spielball der<br />

imperialistischen Mächte machte. In Europa hielt Marx<br />

die Religion für das Opium <strong>des</strong> Volkes, China ist das größte<br />

irreligiöse Land der Erde. Die Europäer haben versucht<br />

es zu missionieren; die herrschende Klasse glaubte im<br />

traditionellen China wie im modernen nur an die Macht<br />

und fühlte sich von Gläubigen aller Art stets bedroht.<br />

Integraler Teil der Machtausübung ist die Herrschaft über<br />

die Geschichte, die Liao für die eigentliche chinesische<br />

Religion hält. In diesem Sinne arbeitet Liao als Religionskritiker;<br />

er mobilisiert in jeder literarischen Form die<br />

Erinnerung gegen die Diktatur über eine entstellte Geschichte.<br />

Liao handelt wie ein Odysseus, der als Einzelner<br />

gegen übermächtige Kräfte kämpft – aber als ein Odysseus,<br />

der sein eigener Homer ist.<br />

Dieser Homer singt nicht nur in Versen, sondern bezeugt,<br />

reflektiert und analysiert. Epos, Lyrik, Roman und Flöte<br />

werden von Liao grenzüberschreitend zu einem fragilen<br />

Netz der Menschlichkeit geknüpft, an dem auch der Leser<br />

durch Aufmerksamkeit und Empathie mitzustricken vermag.<br />

Der Artikel ist im Börsenblatt, Heft 26, <strong>2012</strong> erschienen.<br />

Wir danken dem Autor und dem Börsenblatt für die Erlaubnis,<br />

ihn hier zu veröffentlichen.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

"Was für eine gute Wahl!"<br />

Lob und Kritik zur Wahl von Liao Yiwu<br />

Während in Deutschland die am 21. Juli <strong>2012</strong> verkündete Entscheidung <strong>des</strong> Börsenvereins, Liao Yiwu mit<br />

dem <strong>Friedenspreis</strong> auszuzeichnen, auf durchweg positive Resonanz gestoßen ist, übt das offizielle China<br />

harsche Kritik an der Entscheidung. Eine Zusammenfassung der Reaktionen aus den vergangenen Tagen.<br />

Die Reaktion kam unerwartet spät, aber sie kam. Nachdem<br />

Mark Siemons in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“<br />

vom 22.6.<strong>2012</strong> über die positiven Reaktionen unter<br />

den systemkritischen chinesischen Künstlern auf Liao<br />

Yiwus Wahl zum <strong>Friedenspreis</strong>träger berichtete, vergingen<br />

drei Tage, bis China offiziell Stellung nahm. Siemons<br />

weist in seinem Artikel auf die aberwitzige Gleichzeitigkeit<br />

bei den beiden im Westen bekanntesten Opfern chinesischer<br />

Reiseverbote hin: „Am selben Tag, als der Börsenverein<br />

<strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels den Schriftsteller<br />

Liao Yiwu in Berlin als neuen <strong>Friedenspreis</strong>träger bekannt<br />

gab, wurde dem Künstler Ai Weiwei in Peking<br />

mitgeteilt, dass er trotz seiner auslaufenden Kautionszeit<br />

weiterhin nicht außer Lan<strong>des</strong> reisen darf.“ Ai Weiwei<br />

drückte in einem Telefonat seine Freude über den <strong>Friedenspreis</strong><br />

an Liao Yiwu aus, der „Einfluss <strong>des</strong> Dichters im<br />

Lande erstrecke sich allerdings vor allem auf Literatenzirkel<br />

und weniger auf die Gesellschaft als ganze“.<br />

和平獎<br />

Das Wort für „<strong>Friedenspreis</strong>“ auf Chinesisch<br />

Das könnte sich nun mit der offiziellen Stellungnahme<br />

Chinas, über die "Die Welt" berichtet, ändern. Am Montag<br />

nach der Bekanntgabe kritisierte Hong Lei, Sprecher <strong>des</strong><br />

chinesischen Außenministeriums, vor Journalisten in<br />

Peking die Wahl von Liao Yiwu zum <strong>Friedenspreis</strong>träger.<br />

Liao sei wegen „illegaler Aktivitäten“ verurteilt worden<br />

und „fabriziert Geschichten, um Sympathie und Unterstützung<br />

zu bekommen“, so Hong, der äußerte, dass er<br />

darauf hoffe, dass die „relevanten Institutionen und Personen“<br />

in Deutschland die Entwicklungen in China in<br />

„objektivem und fairem Licht“ betrachten würden. Mit<br />

dieser Reaktion ist durchaus zu rechnen gewesen, denn<br />

schließlich, so zitiert Mark Siemons den Kulturkritiker<br />

Zhu Dake aus Shanghai, seien in China „nicht nur Liaos<br />

Bücher, sondern auch die Nennung seines Namens in den<br />

Medien verboten. […] Eine Anerkennung wie der <strong>Friedenspreis</strong><br />

werde die Offiziellen gewiss ärgern. ‚Aber die<br />

inoffizielle Gesellschaft‘, so Zhu, ‚wird sich freuen‘.“<br />

„Eine gute, eine große Wahl“, findet die „Süddeutsche<br />

Zeitung“ vom vergangenen Freitag, denn wie „kaum ein<br />

10<br />

Zweiter legte er Zeugnis ab, über all die Lebensgeschichten<br />

von Dissidenten, Straftätern, Außenseitern seines<br />

Lan<strong>des</strong>, die sonst verschwunden wären. Die Stimmen der<br />

Entrechteten Chinas bleiben durch ihn erhalten.“ Denn<br />

schließlich, wie Liao Yiwu dem Autoren Alex Rühle erzählte,<br />

„sammle er die Geschichten, die sonst verloren<br />

gingen; oder wie er es bei einem Treffen in einem Hamburger<br />

Café einmal formulierte: ‚Ich bin das Tonbandgerät<br />

meiner Generation‘.“<br />

Susanne Metzner hebt in der „tageszeitung“ Liaos literarischen<br />

Fähigkeiten hervor. „Was in der Wertschätzung<br />

Liao Yiwus als mutiger Dissident oft untergeht, das ist die<br />

Wirkung seiner Sprache. Diese erwischt auch jene, die<br />

bislang wenig mit China am Hut hatten. Sie herzustellen<br />

ist eine hohe Kunst, denn selbst ein Realist wie Liao Yiwu<br />

weiß, dass man Wirklichkeit niemals abschreiben, sondern<br />

nur evozieren kann.“ Es gebe Stellen in seinem Buch<br />

über die Erlebnisse während der Gefängniszeit, bei denen<br />

den Lesern physisch übel werden könne. Weder erkläre<br />

noch rationalisiere er in seinen Schilderungen, noch will<br />

er eine „minimalistische, lakonische Sprache. Vielmehr<br />

gelingt es ihm, den Leser in die Überwältigung seiner<br />

Person, ins Anschreiben gegen Folter und seelische wie<br />

körperliche Vernichtung mitzunehmen.“<br />

Bernhard Bartsch betont in der „Frankfurter Rundschau“<br />

die Verantwortung, die Liao Yiwu für das Schicksal seines<br />

Freun<strong>des</strong> Li Bifeng empfindet, der den <strong>Friedenspreis</strong>träger<br />

vor seiner Flucht aus China finanziell unterstützt<br />

hatte und den man danach inhaftierte. „Wenn er zu 10<br />

Jahren verurteilt würde, wäre Li Bifeng nach der Entlassung<br />

ein alter Hund. Das Leben eines hochtalentierten<br />

Dichters und Schriftstellers würde somit völlig zerstört“,<br />

zitiert Bartsch aus dem öffentlichen Appell Liao Yiwus,<br />

seinen Freund zu unterstützen, und fügt selbst hinzu:<br />

„Sein Freund Liao Yiwu ist frei und kann Zeugnis ablegen.<br />

Man muss ihm nur zuhören.“<br />

„Eine gute und im Sinne <strong>des</strong> Preises ehrenwerte Wahl,<br />

aber eben auch ein Politikum“, findet Lothar Schröder in<br />

der „Rheinischen Post“, denn „erst vor drei Jahren war<br />

China das Gastland der Frankfurter Buchmesse und<br />

machte damals weidlich Werbung in eigener und staatstragender<br />

Sache. Mit Liao Yiwu ist dieses Bild einer unkritischen<br />

Annäherung an das Land der aufgehenden Sonne<br />

wieder korrigiert worden.“


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Als großer Autor und Dokumentarist, der mit seinen Interviews<br />

mit Landsleuten vom Rande der Gesellschaft<br />

auch bei uns für Furore und mit seinem jüngsten Buch für<br />

lange noch nachklingende Zeugenberichte aus chinesischen<br />

Gefängnissen gesorgt habe, sei Liao Yiwu aber<br />

„weit bedeutender als bloß der willkommene Statist in<br />

Sachen Menschenrechte“.<br />

Herta Müller im Arm von Liao Yiwu bei der Verleihung <strong>des</strong><br />

Geschwister-Scholl-Preises 2011. © Kerstin Dahnert<br />

Für eine sehr ausführliche Berichterstattung mit persönlichen<br />

Bekenntnissen haben der „Deutschlandfunk“ und<br />

die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ gesorgt. Im<br />

„Deutschlandfunk“ sorgen am Tag der Verkündung Ruth<br />

Kirchner, Hubert Winkels, Detlev Claussen und weitere<br />

Interviewpartner für einen Einblick in das Leben und<br />

Werk <strong>des</strong> Preisträgers. In einem in der FAZ am 22. Juni<br />

abgedruckten Interview mit Herta Müller, die mit Liao<br />

Yiwu befreundet ist, berichtet sie von ihrer besonderen<br />

Verbundenheit ihm gegenüber, die sie seit seinem ersten<br />

Besuch in Deutschland im Jahr 2010 hat. „Ich freue mich<br />

sehr, dass die Sympathie gegenseitig ist – das ist ja nicht<br />

selbstverständlich. Sicher verbinden uns auch Erfahrun-<br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

11<br />

gen. Aber was mir passiert ist, kann man nicht mit dem<br />

vergleichen, was er ertragen musste. Und ich kam mit<br />

meiner deutschen Muttersprache nach Deutschland. Liao<br />

Yiwu versteht hier kein Wort.“ Dies sei 2010 auch der<br />

Grund für seine Rückkehr nach China gewesen, auch<br />

wenn sie ihn schon damals Jahren davon habe abhalten<br />

wollen. Bei der Lektüre von „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser“<br />

habe sie dann begriffen, mit welch großem<br />

Autor sie zu tun habe. Besonders seine Wahrhaftigkeit,<br />

„die Mischung aus poetischer Kraft und dokumentarischer<br />

Klarheit“, würde den Wert seiner Bücher ausmachen,<br />

verbunden mit einer inneren Dringlichkeit, „diese<br />

verzweifelte Ironie und freche Melancholie, die einhergehen<br />

mit dem Willen, Zeugnis abzulegen“.<br />

„Es ist die beste Entscheidung, die man sich denken kann<br />

und zugleich die mutigste“, urteilt Andreas Platthaus in<br />

der gleichen Ausgabe. Liao Yiwu sei jemand, der mit<br />

seiner Haltung nicht nur in Peking Angst erwecke, sondern<br />

mit seiner Literatur auch bei den Lesern Furcht<br />

verbreiten könne, so dass man sich frage, „was ist das für<br />

ein Mann, der solche Demütigungen wegzustecken weiß?“<br />

Für Platthaus ist er ein Mann, der im Frieden mit sich<br />

selbst sei, aber Unfrieden stifte, der der Freiheit diene.<br />

„Man muss harsche chinesische Reaktionen auf die Auszeichnung<br />

Liao Yiwus befürchten. […] Ein Mann, der kein<br />

Staatsfeind, sondern ein Wahrheitsfreund ist - solche noch<br />

schwerer einzuschätzenden Leute sieht man in China<br />

nicht gern ausreisen. Noch weniger schätzt man symbolkräftige<br />

Auszeichnungen für sie.“ Dass Liao Yiwu in<br />

Deutschland Zuflucht gefunden habe, sei Ehre und Verpflichtung<br />

zugleich, eine Verpflichtung, die er auch durch<br />

die Veröffentlichung seines neuen Buches „Die Kugel und<br />

das Opium“ kurz nach der Preisverleihung sicher einlösen<br />

werde. „Dann spätestens ist das deutsche Publikum gefordert<br />

(die deutsche Politik sowieso).“<br />

Von politischer Seite reagierte bereits Bun<strong>des</strong>tagspräsident<br />

Norbert Lammert. „Mit Freude und Respekt“ habe er<br />

die Entscheidung <strong>des</strong> Stiftungsrats <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es<br />

zur Kenntnis genommen. „Die Wahl steht in der Tradition,<br />

mit der Preisverleihung auch ein Signal der Ermutigung<br />

an Künstler zu senden, die – oft unter Einsatz ihres Lebens<br />

und ihrer Freiheit – für Demokratie und Menschenrechte<br />

in ihren Ländern kämpfen“, so Norbert Lammert<br />

am Tage der Verkündung. Und auch die Vorsitzende <strong>des</strong><br />

Bun<strong>des</strong>tagsausschusses für Kultur und Medien, Monika<br />

Grütters, sowie der kultur- und medienpolitische Sprecher<br />

der CDU/CSU-Bun<strong>des</strong>tagsfraktion, Wolfgang Börnsen,<br />

begrüßen die Entscheidung und finden Liao Yiwu einen<br />

würdigen <strong>Friedenspreis</strong>träger.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Boualem Boualem Boualem Sansal<br />

Sansal<br />

Die Die Folgen Folgen einer einer Reise<br />

Reise<br />

In Deutschland und Frankreich, in Israel und der Arabischen Welt ist die Reise von Boualem Sansal<br />

nach Jerusalem – als der erste, offiziell von Israel eingeladene Schriftsteller aus Algerien – und die daraus<br />

folgenden Konsequenzen mit großer Aufmerksamkeit verfolgt worden. Die Chronologie der Ereignisse<br />

– beginnend mit der Kritik und dem Boykottaufruf der Hamas, den Eindrücken von Boualem<br />

Sansal aus Jerusalem, der ‚Aberkennung‘ eines Preises und wie er schließlich doch verliehen wurde –<br />

wird hier noch einmal nachgezeichnet.<br />

Dabei wird auch deutlich, wie wichtig es ist, aber auch wie gefährlich es sein kann, wenn ein Schriftsteller<br />

auf seinem Recht der freien Meinungsäußerung, seiner Reisefreiheit und dem unbedingten Willen<br />

<strong>des</strong> freien Meinungsaustauschs besteht.<br />

Hamas Hamas verurteilt verurteilt Teilnahme Teilnahme von<br />

von<br />

Boualem Boualem Sansal Sansal auf auf Jerusalemer Jerusalemer Literaturfestival<br />

Literaturfestival<br />

Die Anwesenheit <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>trägers von 2011 sei als ein „Verbrechen<br />

gegen die algerischen Freiheitskämpfer“ zu werten. (3. Mai <strong>2012</strong>)<br />

Israelische Zeitschriften und französischsprachige Internetseiten<br />

berichten, dass ein für Kultur zuständiger Vertreter<br />

der Hamas-Regierung im Gaza-Streifen die Teilnahme<br />

von Boualem Sansal am Literaturfestival von Jerusalem<br />

scharf verurteilt. In einer Pressemitteilung wird die<br />

Anwesenheit <strong>des</strong> algerischen Schriftstellers als ein „Verbrechen<br />

gegen die anderthalb Millionen algerischen Märtyrer,<br />

die ihr Leben im Kampf für die Freiheit Algeriens<br />

während der Okkupation Frankreichs geopfert haben“,<br />

bezeichnet.<br />

Boualem Sansal (© C. Hélie Gallimard)<br />

12<br />

Darüber hinaus sei der Besuch nach Ansicht der Hamas<br />

ebenfalls als ein Verbrechen gegen das palästinensische<br />

Volk zu werten, „das mit Blut, Verletzungen und Leiden<br />

den Preis für ihre Märtyrer zu zahlen“ habe. Der Autor<br />

mache sich an der Legitimierung dieser Verbrechen mitschuldig,<br />

da es hierbei um „ein offensichtliches Einverständnis<br />

mit den Verbrechen der Besatzung an dem palästinensischen<br />

Volk“ handele, zitiert Antoine Chatrier<br />

von „JSSNews“ vom 28. April <strong>2012</strong> aus der Pressemitteilung.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Eine Teilnahme arabischer Schriftsteller an dem Literaturfestival,<br />

das vom 12.-17. Mai <strong>2012</strong> stattfindet, sei laut<br />

Hamas unter allen Umständen zu verhindern. Sie fordert<br />

die algerische Regierung auf, die Teilnahme von Boualem<br />

Sansal zu verurteilen und zu verhindern. Zudem ruft die<br />

Hamas die Arabische Welt zu einem Boykott Sansals auf,<br />

sollte er tatsächlich kommen.<br />

Boualem Sansal, der dem Islam und besonders den fundamentalistischen<br />

Richtungen kritisch gegenübersteht,<br />

hat in seiner <strong>Friedenspreis</strong>rede die Hoffnung ausgedrückt,<br />

dass die Rebellionen in der arabischen Welt auch<br />

Auswirkungen auf den ältesten Konflikt der Welt haben<br />

wird, und den Antrag auf Anerkennung eines unabhängigen<br />

und souveränen palästinensischen Staates in den<br />

Grenzen von 1967, den Präsident Abbas der UNO vorgelegt<br />

hat, ausdrücklich gelobt. „Ich bin der Meinung, dass<br />

dieser kleine Schlag, selbst wenn er daneben ging, sich<br />

noch als großer Schlag erweisen wird, so entscheidend<br />

wie die Selbstverbrennung <strong>des</strong> jungen Tunesiers<br />

Bouazizi, die die arabische Welt entflammte. […] Zum<br />

ersten Mal haben Palästinenser wie Palästinenser im<br />

Dienste Palästinas agiert und nicht als Instrument im<br />

Dienste einer mythischen arabischen Nation oder einer<br />

leider sehr reellen dschihadistischen Internationale. Einen<br />

Frieden können nur freie Menschen schließen; Abbas ist<br />

Boualem Boualem Boualem Sansal<br />

Sansal<br />

13<br />

als freier Mensch gekommen, und er wird das vielleicht<br />

wie Sadat mit dem Leben bezahlen, denn es fehlt in der<br />

Region nicht an Feinden <strong>des</strong> Friedens und der Freiheit,<br />

die sich nun in die Enge gedrängt sehen.“ Zugleich betonte<br />

Sansal in der Paulskirche die Freiheit <strong>des</strong> Staates Israel,<br />

„es ist eine schöne, eine große, eine erstaunliche Demokratie,<br />

und mehr als je<strong>des</strong> andere Land braucht es<br />

Frieden; der ständige Kriegs- und Alarmzustand, in dem<br />

es seit sechzig Jahren lebt, ist nicht mehr tragbar.“<br />

Auf den französischsprachigen Internetseiten, die das<br />

Thema behandeln, kommentieren die Leser den Aufruf<br />

der Hamas äußerst kritisch und sagen Boualem Sansal<br />

ihre Unterstützung zu, gerade auch angesichts seines<br />

Eintretens für die algerische Region der Kabylei, die starken<br />

Repressionen seitens der Regierung ausgesetzt ist. In<br />

einer Solidaritätsnote (auf „primo-info.eu“ vom 30.4.<strong>2012</strong>)<br />

spricht der algerische Filmemacher Jean-Pierre Lledo von<br />

einer großen Chance, die in dieser ersten offiziellen Einladung,<br />

die Israel an einen algerischen Intellektuellen<br />

ausgesprochen hat, liegt. „Seine Teilnahme an der Messe<br />

ist mehr als eine mutige Handlung. […] Und jenen, die es<br />

stets abstreiten, möchte ich noch einmal entgegnen, dass<br />

es nur ein einziges Land im Mittleren Osten gibt, in dem<br />

sich die Moslems nicht gegenseitig umbringen und wo die<br />

Meinungsfreiheit nicht beschränkt ist, und das ist Israel.“<br />

"Ich bin nach Jerusalem gefahren ...<br />

… und reich und glücklich zurückgekommen"<br />

Ein Erlebnisbericht von Boualem Sansal, <strong>Friedenspreis</strong>träger 2011, über seine Reise zum Autorenfestival<br />

nach Jerusalem und über die Anfeindungen, denen er zuvor ausgesetzt war. (24. Mai <strong>2012</strong>)<br />

© C. Hélie Gallimard<br />

Liebe Brüder, liebe Freunde aus Algerien, Palästina, Israel<br />

und anderen Ländern,<br />

ich schreibe euch ein paar Zeilen mit Neuigkeiten über<br />

mich, denn vielleicht habt ihr euch Sorgen um mich gemacht.<br />

Ich bin ein einfacher Mensch, wie ihr wisst, ein<br />

Schriftsteller, der niemals behauptet hat, etwas anderes<br />

zu tun, als euch Geschichten zu erzählen, „Geschichten,<br />

die man nicht erzählt“, wie mein Freund, der Filmemacher<br />

Jean-Pierre Lledo, sagen würde. Aber nun hat man<br />

sich in unsere brüderlichen und freundschaftlichen Beziehungen<br />

eingemischt, um mich in euren Augen zu einem<br />

Gegenstand <strong>des</strong> Skandals zu machen.<br />

Stellt euch vor, sie haben mich nichts weniger als <strong>des</strong><br />

Hochverrats gegenüber der arabischen Nation und der<br />

muslimischen Welt im Allgemeinen beschuldigt. Das soll<br />

heißen, was es heißt, es braucht nicht einmal mehr eine<br />

Gerichtsverhandlung. Diejenigen, die das getan haben,<br />

gehören der Hamas an, es sind gefährliche und berechnende<br />

Menschen, sie haben in Gaza das arme Volk in<br />

Geiselhaft genommen und seit Jahren erpressen sie es<br />

tagtäglich, im Dunklen und hinter verschlossenen Türen,<br />

was ihnen durch die israelische Blockade ermöglicht wird.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Und jetzt wollen sie uns diktieren, was wir zu denken, zu<br />

sagen und zu tun haben – uns, die mit allen Mitteln versuchen,<br />

uns zu befreien. Und es gibt auch noch die anderen,<br />

jene anonymen, verschlossenen Individuen, angesäuert<br />

und verbittert, die den Hass im Internet verkünden.<br />

Durch sie, durch ihre Rachebekundungen und Beleidigungen<br />

habt ihr von meiner Reise erfahren und damit<br />

die Dinge zwischen uns klar sind, gebe ich es zu: Ja, ich<br />

bin nach Israel gefahren.<br />

Was für eine Reise und was für ein Empfang! Verzeiht,<br />

dass ich meine Abreise nicht selbst angekündigt habe,<br />

aber ihr müsst verstehen, es bedurfte der Diskretion,<br />

denn Israel ist kein Reiseziel für die Araber, oder doch? …<br />

Diejenigen, und es waren nicht die schlechtesten, die mir<br />

in das Land, wo Milch und Honig fließen, vorausgegangen<br />

sind, machten es im Geheimen, sogar mit falschen Namen<br />

oder Pässen, wie damals jene tapfere Frau Khalida Toumi,<br />

die sich vehement dem Polizeistaat und intriganten Regime<br />

von Algier entgegensetzt hat, heute ist sie die schillernde<br />

Kulturministerin, ein sehr konformistischer Kopf<br />

bei der hemmungslosen Jagd auf die Verräter, auf die<br />

Abtrünnigen und die anderen Harkis. Es liegt insbesondere<br />

an ihr, dass die Algerier jeden Tag mit Unannehmlichkeiten<br />

und Aggressionen in ihrem schönen Land leben<br />

müssen. Ihre Zöllner hätten mich nie heraus gelassen,<br />

wenn ich mich an ihrem Posten mit einem Flugticket für<br />

einen Direktflug von Algier nach Tel-Aviv in der einen<br />

Hand und in der anderen meinen schönen grünen Pass, in<br />

dem frisch ein israelisches Visum geklebt hätte, vorstellig<br />

geworden wäre. Ich frage mich, ob sie wirklich so weit<br />

gegangen wären und mich aus dem Weg geräumt hätten.<br />

Aber ich machte es anders, und der Trick hat funktioniert,<br />

indem ich den Weg über Frankreich genommen habe,<br />

mich in Paris mit einem israelischen Visum ausstattete,<br />

in der Rue Rabelais durch einen schnellen Sprung aus<br />

dem Taxi, und somit bin ich heute im Besitz von tausend<br />

und einer Geschichte, worüber ich euch, so Gott will, in<br />

einem nächsten Buch im Einzelnen erzählen werde. Ich<br />

werde euch dann von Israel und den Israelis erzählen, wie<br />

man sie mit eigenen Augen vor Ort ganz direkt und weit<br />

weg von jeder Doktrin sehen kann, mit der Gewissheit,<br />

diese Sicht bei der Rückkehr keinem Wahrheitstest unterziehen<br />

zu müssen. Tatsache ist, dass es in dieser Welt<br />

kein anderes Land und kein anderes Volk gibt, die sind<br />

wie sie. Was mich betrifft, bin ich beruhigt und zugleich<br />

fasziniert, dass ein jeder von uns einmalig ist – das ist oft<br />

anstrengend, aber wir neigen dazu, den einzelnen zu<br />

umsorgen, denn sein Verlust wäre unwiderruflich.Ich<br />

werde euch auch über Jerusalem, über Al-Qods erzählen.<br />

Für mich fühlte es sich an, als wäre dieser Ort nicht wirklich<br />

eine Stadt und seine Einwohner nicht wirklich Einwohner,<br />

denn es liegt dort eine Art Unwirklichkeit in der<br />

Luft und Überzeugungen am Boden, die uns fremd sind.<br />

Bei dieser Jahrtausende alten Stadt ist es einfach vergeblich,<br />

etwas verstehen zu wollen, alles ist Traum und Magie,<br />

man kommt hier mit den größten Propheten zusammen,<br />

und die majestätischsten Könige kann man befragen,<br />

man kann mit ihnen sprechen wie mit Freunden aus<br />

der Nachbarschaft, Abraham, David, Salomon, Maria,<br />

Boualem Boualem Boualem Sansal<br />

Sansal<br />

14<br />

Jesus und Mohammed, der Letzte der Linie, und Saladin,<br />

der heldenhafte Ritter, der Gruß gilt ihnen, man passiert<br />

ein Geheimnis, ein Mysterium nach dem anderen, ohne<br />

Übergang wechselt man zwischen den Jahrtausenden und<br />

dem Paradox, gleichzeitig unter einem weißen Himmel<br />

und einer immer glühenden Sonne zu sein. Die Gegenwart<br />

mit ihren Neuigkeiten scheint so vergänglich, dass<br />

man bald nicht mehr an sie denkt. Wenn es eine himmlische<br />

Reise in dieser Welt gibt, dann ist hier ihr Beginn.<br />

Denn war es nicht auch hier, wo Christus in den Himmel<br />

fuhr und Mohammed, begleitet vom Engel Gabriel, seinen<br />

Mi' râj, seine Himmelfahrt, auf seinem Pegasus-gleichem<br />

Reittier Bouraq machte?<br />

Man fragt sich, wie all das zusammengehalten wird, denn<br />

zugleich befinden wir uns hier in der modernen Zeit, in<br />

der Jerusalem ebenso eine wahre Hauptstadt ist mit sauberen<br />

Straßen, gepflasterten Bürgersteigen, befestigten<br />

Häusern, schnellen Autos, gut ausgestatteten Hotels und<br />

verlockenden Restaurants, Bäumen und so vielen Touristen<br />

aus aller Herren Länder – bis auf die arabischen Länder<br />

als die einzigen in der Welt, die nicht zu ihrer Wiege,<br />

zu diesem magischen Ort kommen oder kommen können,<br />

wo ihre Religionen entstanden sind, die christliche genauso<br />

wie die muslimische.<br />

Es sind nicht zuletzt die arabischen und jüdischen Israelis,<br />

die von den Touristen profitieren. Sie sehen sie jeden<br />

Tag, das ganze Jahr hindurch, am Morgen und am Abend,<br />

ohne dieser Passionsspiele jemals überdrüssig zu werden.<br />

Die Touristen in diesen Labyrinthen sind zu zahlreich, um<br />

sie zu zählen, zahlreicher als die Einheimischen, und die<br />

Mehrzahl verhält sich, als wären sie von weit her angereiste<br />

Pilger. Sie gehen gedrängt in dichten Gruppen, die<br />

sich, ohne sich zu mischen, kreuzen, die Engländer, die<br />

Hindus, die Japaner, die Chinesen, die Franzosen, die<br />

Holländer, die Äthiopier, die Brasilianer usw., geleitet von<br />

unermüdlichen und unter Eid stehenden Führern, die Tag<br />

um Tag und in allen Sprachen der Welt den sprachlosen<br />

Massen von den Legenden der Jahrhunderte erzählen.<br />

Wenn man hier die Ohren spitzt, begreift man wirklich,<br />

was eine himmlische und irdische Stadt zugleich sein<br />

kann, und warum ein jeder sie besitzen und für sie sterben<br />

will. Wenn man Ewigkeit will, muss man sterben, um<br />

sie zu erlangen, wie dumm und wie verständlich zugleich.<br />

Ich fühlte mich selbst ganz anders, zerquetscht vom Gewicht<br />

meiner eigenen Fragen, ich als einziger der Gruppe,<br />

der mit seinen Händen die drei heiligen Orte der Ewigen<br />

Stadt berühren durfte: die Klagemauer, das Heilige Grab<br />

und die Kuppel <strong>des</strong> Felsendoms. Als Juden oder Christen<br />

hatten meine Gefährten, die anderen Schriftsteller <strong>des</strong><br />

Festivals, keinen Zugang zum Tempelberg, dem drittheiligsten<br />

Ort <strong>des</strong> Islam, an <strong>des</strong>sen Gipfel der Felsendom<br />

steht, Qûbat as-Sakhrah, der in seinen himmelblauen<br />

Farben funkelt, mit der eindrucksvollen Al-Aqsa-Moschee<br />

Haram al-Sharif. Sie wurden ohne Zögern durch den Angestellten<br />

der Waqf, der Verwalterin dieses Ortes, zurückgedrängt.<br />

Zwei israelische Polizeibeamte unterstützten<br />

ihn dabei, sie waren angehalten, den Zugang zum<br />

Tempelberg zu sichern und es vor jedem Kontakt zu be-


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

wahren, der nicht halal ist. Ich konnte dank meines Passes<br />

hineingelangen, denn er bezeugt meine algerische<br />

Herkunft und lässt die Schlussfolgerung zu, dass auch ich<br />

muslimischen Glaubens sei. Ich habe es nicht geleugnet,<br />

im Gegenteil, ich rezitierte einen Koranvers aus meinen<br />

Kindheitserinnerungen, was den Wärter merklich verblüffte,<br />

es war das erste Mal in seinem Leben, dass er<br />

einen Algerier sah, er glaubte, dass außer Emir Abdelkader<br />

sie alle ein wenig sephardisch, etwas atheistisch, ein<br />

wenig anders wären. Es war amüsant, wie mein kleiner<br />

grüner Pass mir hier die Grenze zum heiligen Ort öffnete,<br />

während im Schengen-Raum der schlichte Anblick dieses<br />

grünen Passes eher zu Magengeschwüren bei den Zöllnern<br />

führt.<br />

Ich sage es euch ganz offen, ich bin von dieser Reise<br />

glücklich und erfüllt zurückgekommen. Immer hatte ich<br />

die Überzeugung, dass es nicht das Schwierige ist, etwas<br />

zu unternehmen, sondern dass man sich so weit bringt,<br />

den ersten Schritt dafür zu tun. Man ist bereit für die<br />

Revolution, tief in einem weiß man, dass man sich bewegen,<br />

sich selbst verändern muss, um die Welt zu ändern.<br />

Den ersten Schritt zu tun ist dabei sehr viel wichtiger als<br />

der letzte, der uns ans Ziel bringt. Ich begriff zudem, dass<br />

der Frieden hier vor allem eine Angelegenheit der Menschen<br />

ist, die zu ernst ist, um sie in den Händen der Regierungen<br />

und noch weniger in denen der Parteien zu<br />

lassen. Denn die sprechen über Territorien, über Sicherheit,<br />

über Geld, über Bedingungen, über Garantien, sie<br />

unterzeichnen Papiere, machen Zeremonien, hissen Fahnen,<br />

bereiten Plan B vor, die Menschen hingegen machen<br />

nichts von all dem, sie machen, was Menschen machen,<br />

sie gehen ins Café, ins Restaurant, sie sitzen um ein Feuer,<br />

versammeln sich im Stadion, finden sich auf einem<br />

Festival wieder, an einem Strand und teilen die schönen<br />

Momente, sie teilen ihre Emotionen und am Ende geben<br />

Besonders erwähnen möchte ich mein Treffen mit David<br />

Grossman, dieses Denkmal der israelischen Literatur, ja<br />

der Weltliteratur. Ich habe es wunderbar gefunden, dass<br />

zwei Schriftsteller wie wir, zwei Menschen, die mit demselben<br />

Preis, dem <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels,<br />

nacheinander, er im Jahr 2010 und ich 2011, geehrt wurden,<br />

sich im Jahr <strong>2012</strong> treffen, um über den Frieden in<br />

dieser Stadt, Jerusalem, Al-Qods, zu sprechen, wo Juden<br />

und Araber miteinander leben, wo die drei Schriftreligionen<br />

sich die Herzen der Menschen teilen. Könnte unser<br />

Kein Preis für Boualem Sansal<br />

15<br />

sie sich das Versprechen, sich wiederzusehen: "Bis Morgen",<br />

"Bis bald", "Bis nächstes Jahr in Jerusalem". Das ist<br />

es, was wir in Jerusalem getan haben. Männer und Frauen<br />

aus verschiedensten Ländern, alles Schriftsteller, sind bei<br />

einem Literaturfestival zusammengekommen, um über<br />

ihre Bücher, über ihre Gefühle angesichts <strong>des</strong> Weltschmerzes,<br />

über dieses und jenes zu sprechen und insbesondere<br />

über das, was den Menschen die Möglichkeit<br />

geben könnte, eines Tages Frieden zu machen, und zum<br />

Schluss haben wir uns versprochen, uns wiederzusehen,<br />

uns wenigstens zu schreiben.<br />

Ich erinnere mich nicht, dass wir während dieser fünf<br />

Tage und fünf Nächte, die wir in Jerusalem verbracht<br />

haben (mit einer schnellen Hin- und Rückfahrt nach Tel-<br />

Aviv am dritten Tag, um einen schönen Abend mit unseren<br />

Freunden vom Institut Francais zu verbringen) auch<br />

nur ein einziges Mal über den Krieg gesprochen hätten.<br />

Hatten wir ihn einfach vergessen, oder haben wir es nur<br />

vermieden über ihn zu sprechen, oder haben wir einfach<br />

so getan, als ob dieses Zeitalter beendet wäre, und dass<br />

die Stunde gekommen sei, um über Frieden und die Zukunft<br />

zu sprechen? Zweifellos kann man nicht sowohl<br />

über den Krieg als auch über den Frieden zugleich sprechen,<br />

das eine schließt das andere aus. Ich habe jedoch<br />

sehr bedauert, dass kein Palästinenser unter uns gewesen<br />

ist. Denn trotz allem ist der Frieden zwischen Israeliten<br />

und Palästinensern möglich. Ich bin nicht im Krieg, weder<br />

mit dem einen noch mit dem anderen, und ich bin es<br />

<strong>des</strong>wegen nicht, weil ich sie beide liebe, wie Brüder seit<br />

Anbeginn der Welt. Ich wäre entzückt, wenn man mich<br />

eines Tages nach Ramallah einladen würde, zusammen<br />

mit israelischen Autoren, denn das wäre ein schöner Ort,<br />

um über den Frieden und über diesen berühmten ersten<br />

Schritt zu sprechen, der es erst ermöglicht, das Ziel, den<br />

Frieden zu erreichen.<br />

Treffen der Beginn eines weiteren Treffens mit anderen<br />

Schriftstellern werden, um für den Frieden einzustehen?<br />

Könnte dieses Wunder im Jahr 2013 Wirklichkeit werden?<br />

Oft spielt uns der Zufall einen Streich, um uns auf<br />

etwas zu bringen, was eigentlich gar nicht zufällig ist.<br />

Irgendwo auf dem Rückweg zwischen Jerusalem und<br />

Algier.<br />

Der Artikel erschien auf Französisch am 24. Mai <strong>2012</strong> in<br />

der Internetzeitung „The Huffington Post“. Die deutsche<br />

Übersetzung von Martin Schult und Kristina Kramer<br />

wurde in „Die Welt“ vom 16. Juni <strong>2012</strong> veröffentlicht.<br />

Laut Veranstalter lasse die gegenwärtige Situation in den arabischen Ländern eine Auszeichnung<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>trägers von 2011 mit dem „Prix du roman arabe“ nicht zu. Ein Jury-Mitglied tritt<br />

daraufhin zurück. (12. Juni <strong>2012</strong>)<br />

Es war eine bescheidene Email, die Boualem Sansal von<br />

der jordanischen Botschaft in Paris erhalten hat, in der er<br />

über die Absage oder Verschiebung – so genau wird es<br />

nicht ersichtlich – der Verleihung <strong>des</strong> „Prix du roman<br />

arabe“ informiert wird: „Angesichts der aktuellen Ereignisse<br />

in der Arabischen Welt hat der Rat der arabischen<br />

Botschafter in Frankreich es für notwendig erachtet, einen<br />

anderen Termin für die Zeremonie <strong>des</strong> ‚Prix du roman


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

arabe‘, die für den 6. Juni im Institut du Monde Arabe<br />

vorgesehen war, zu finden. Wir werden Sie, so schnell es<br />

geht, über den neuen Termin in Kenntnis setzen.“<br />

Mit dem Preis, der 2008 vom Rat der arabischen Botschafter<br />

in Frankreich ins Leben gerufen wurde und mit<br />

15.000 € dotiert ist, wird jährlich ein Roman ausgezeichnet,<br />

der aus der Feder eines Schriftstellers arabischen<br />

Ursprungs stammt und auf Französisch geschrieben bzw.<br />

ins Französische übersetzt wurde. Elias Khoury, Gamal<br />

Ghitany, Rachid Boudjedra und Hanan el-Cheikh waren<br />

die ersten Preisträger. In diesem Jahr hat sich die Jury, zu<br />

der unter anderem auch Tahar Ben Jelloun gehört, für den<br />

Roman „Rue Darwin“ von Boualem Sansal entschieden.<br />

Ein Jurymitglied, der Direktor <strong>des</strong> Senders „France Culture“<br />

Olivier Poivre d'Arvor, hat nach Erhalt der Nach-<br />

Boualem Boualem Sansal<br />

Sansal<br />

16<br />

richt, dass die Preisverleihung ausgesetzt sei und man die<br />

Jury bittet, am 12. Juni mit der jordanischen Botschafterin<br />

und dem Botschafter der Arabischen Liga in Paris zusammen<br />

zu kommen, seinen Rücktritt erklärt. Poivre<br />

d'Arvor vermutet hinter der Absetzung der Preisverleihung<br />

politische Gründe, die mit dem Besuch Sansals <strong>des</strong><br />

Literaturfestivals in Jerusalem im Mai <strong>2012</strong> zu tun haben.<br />

Damals hatte die Hamas die Arabische Welt aufgerufen,<br />

Boualem Sansal zu boykottieren. Zudem sieht er in der<br />

Einladung die Absicht, einen neuen, genehmeren Preisträger<br />

zu bestimmen und ruft in seinem Artikel („Libération“<br />

vom 11. Juni <strong>2012</strong>) seine Jurykollegen auf, seinem<br />

Beispiel zu folgen, um sich von dieser Entscheidung <strong>des</strong><br />

Rats zu distanzieren und so das Oeuvre von Boualem<br />

Sansal zu honorieren, „einem algerischen Schriftsteller<br />

und freien Menschen, der offen für den Dialog ist“.<br />

„Prix du roman arabe“ nun doch an Boualem Sansal verliehen<br />

Jury distanzierte sich von den Stiftern <strong>des</strong> Preises und verlieh selbst mit Unterstützung von Radio<br />

France die Auszeichnung an den <strong>Friedenspreis</strong>träger von 2011. (28. Juni <strong>2012</strong>)<br />

Nachdem, wie berichtet, die 22 arabischen Botschafter in<br />

Frankreich als Stifter <strong>des</strong> Preises „Prix du roman arabe“<br />

die Verleihung an Boualem Sansal für seinen neuen Roman<br />

„Rue Darwin“ aufgrund der „momentanen Situation<br />

in der Arabischen Welt“ auf unbestimmte Zeit verschoben<br />

hatten und daraufhin Olivier Poivre d’Arvor öffentlich<br />

seinen Rücktritt aus der Jury verkündete, ist der Preis<br />

nun doch an den algerischen Schriftsteller verliehen worden.<br />

Die Juryvorsitzende Hélène Carrère d’Encausse und die<br />

anderen Jurymitglieder (Hélé Béji, Tahar Ben Jelloun,<br />

Pierre Brunel, Paule Constant, Paula Jacques, Christine<br />

Jordis, Vénus Khoury-Ghata, Alexandre Najjar, Danièle<br />

Sallenave, Elias Sanbar, Josyane Savigneau et Robert Solé)<br />

erklärten sich mit der Kritik ihres Jury-Kollegen solidarisch<br />

und trafen sich am 21. Juni <strong>2012</strong> im Haus <strong>des</strong> Verlags<br />

Gallimard, um mit Unterstützung von Radio France<br />

den Preis an Sansal zu übergeben.<br />

Der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun erklärte<br />

bei dieser Gelegenheit, dass die Jury sich bemühen<br />

werde, einen „neuen Sponsor“ für den Preis zu finden.<br />

Dafür werde man sich im September wieder treffen und<br />

fügte hinzu, dass es wohl „unvermeidlich war, dass es<br />

irgendwann zu einem Konflikt mit den arabischen Botschaftern<br />

kommen“ würde.<br />

Schwarz auf weiß: Boualem Sansals Dankesrede<br />

Der <strong>Friedenspreis</strong> verändert auch den Preisträger, sagt Boualem Sansal. Warum? Das lässt sich<br />

nun in Buchform nachlesen: Alle Reden zur <strong>Friedenspreis</strong>verleihung 2011 sind in einem schön<br />

gestalteten Band erschienen, der auch über den Buchhandel vertrieben wird.<br />

Das Buch »<strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels 2011 - Boualem Sansal« (112 Seiten,<br />

14,90 Euro) bündelt die Ansprachen von <strong>Friedenspreis</strong>träger Boualem Sansal und seinem Laudator<br />

Peter von Matt, von Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder und von Frankfurts<br />

Oberbürgermeisterin Petra Roth. Die Reden werden auch auf Englisch und zum Teil auf Französisch<br />

dokumentiert. Das neue Layout hat die Grafikerin Iris Farnschläder entwickelt, außen<br />

präsentiert sich das Büchlein mit flexiblem Kösel-Einband.<br />

Das <strong>Friedenspreis</strong>buch (ISBN 978-3-7657-3191-4) kann über die Serviceline der MVB bestellt<br />

werden (Telefon: 069 /1306-550, Fax: 069 / 1306-255, E-Mail: serviceline@mvb-online.de).


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Donnerstag, 28. Juni <strong>2012</strong><br />

100. Geburtstag von CARL FRIEDRICH VON<br />

WEIZSÄCKER (†2007), <strong>Friedenspreis</strong>träger von 1963<br />

Donnerstag, 28. Juni <strong>2012</strong><br />

ANSELM KIEFER, <strong>Friedenspreis</strong>träger von 2008<br />

Eröffnung Ausstellung "Joseph Beuys und Anselm Kiefer.<br />

Zeichnungen - Gouachen - Bücher" vom 29.6.-30.9.<strong>2012</strong><br />

19.00 Uhr im Museum Küppersmühle für Moderne Kunst,<br />

Philosophenweg 55, 47051 Duisburg<br />

Montag, 23. Juli <strong>2012</strong><br />

"Böse Jahre, gute Jahre. Ein Leben 1931 ff."<br />

Vortrag von Hans Maier, Laudator von WLADYSLAW<br />

BARTOSZEWSKI, <strong>Friedenspreis</strong>träger 1986<br />

19.30 Uhr Wolf-Ferrari-Haus, Rathausplatz 2, Ottobrunn<br />

9. August <strong>2012</strong><br />

50. To<strong>des</strong>tag von HERMANN HESSE (*1884),<br />

<strong>Friedenspreis</strong>träger von 1955<br />

Orhan Pamuk ist nicht der erste, dem<br />

das passiert ist: die Wahl zum Nobelpreisträger<br />

ein Jahr nach der Verleihung<br />

<strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es. Albert<br />

Schweitzer und Nelly Sachs ist es so<br />

ergangen, und andere wie Mario Vargas<br />

Llosa haben ebenfalls nach dem<br />

<strong>Friedenspreis</strong> den Nobelpreis erhalten.<br />

Doch natürlich sind es die Menschen<br />

selbst, die sich mit dem, was sie<br />

tun, adeln.<br />

Termine Termine und und Gedenktage<br />

Gedenktage<br />

Meldungen<br />

Meldungen<br />

17<br />

23. - 26. August <strong>2012</strong><br />

"11. Poetische Quellen" - Literaturfest Bad Oeynhausen<br />

mit BOUALEM SANSAL, <strong>Friedenspreis</strong>träger von 2011<br />

Donnerstag, 20. September <strong>2012</strong><br />

Lesung und Entretien mit BOUALEM SANSAL, <strong>Friedenspreis</strong>träger<br />

von 2011, Moderation: Alfonso de Toro<br />

20.00 Uhr im Haus <strong>des</strong> Buches,. Gerichtsweg 28, 04103<br />

Leipzig<br />

Mittwoch, 10. Oktober <strong>2012</strong><br />

"Böse Jahre, gute Jahre. Ein Leben 1931 ff."<br />

Vortrag von Hans Maier<br />

20.00 Uhr in der Stadtbücherei Grafing, Grenzstraße 5<br />

Donnerstag, 11. Oktober <strong>2012</strong><br />

80. Geburtstag von SAUL FRIEDLÄNDER,<br />

<strong>Friedenspreis</strong>träger von 2007<br />

Sonntag, 14. Oktober <strong>2012</strong><br />

FRIEDENSPREIS DES DEUTSCHEN BUCHHANDELS <strong>2012</strong><br />

11.00 Uhr in der Frankfurter Paulskirche<br />

Live-Übertragung im Ersten der ARD<br />

Die Dinge <strong>des</strong> Lebens - Orhan Pamuks Museum<br />

Vom Roman zum Museum: zum 60. Geburtstag <strong>des</strong> türkischen<br />

Schriftstellers Orhan Pamuk, <strong>Friedenspreis</strong>träger von 2005.<br />

Orhan Pamuk hat sich im April mit<br />

der Eröffnung seines „Museums der<br />

Unschuld“ einen Lebenstraum erfüllt.<br />

Es ist nach seinem 2008 erschienenen<br />

Roman benannt, in dem ein hoffnungslos<br />

verliebter Mann je<strong>des</strong> Mal<br />

kleine, wertlose Dinge entwendet,<br />

wenn er die angebetete Frau besucht.<br />

Nach ihrem Tod baut er mit ihnen ein<br />

persönliches Museum auf, das Museum<br />

der Unschuld. Auch in dem realen Orhan Pamuk. © Isolde Ohlbaum<br />

Museum in Istanbul finden sich all die<br />

Dinge wieder, die im Roman erwähnt<br />

wurden, selbst die 4213 Stummel der<br />

Zigaretten, die die Frau geraucht hat,<br />

sowie das Kleid, das sie trug, als sie<br />

zum ersten Mal am Steuer <strong>des</strong> Autos<br />

gesessen hat, in dem sie später sterben<br />

sollte.<br />

Ein Roman „eröffnet uns die Möglichkeit,<br />

sowohl unser Leben als das eines<br />

Anderen zu erzählen, als auch das<br />

Leben von anderen Menschen als das<br />

unsere zu schildern“, sagte Pamuk in<br />

seiner <strong>Friedenspreis</strong>rede. Diese Ansicht<br />

hat er auch bei der Errichtung<br />

seines Museums berücksichtigt und<br />

sich so selbst ein Denkmal gesetzt,<br />

das einen Besuch allemal wert ist. Am<br />

7. Juni feiert Orhan Pamuk seinen 60.<br />

Geburtstag. Doðum günün kutlu<br />

olsun, Orhan bey!


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Meldungen<br />

Meldungen<br />

Die gefährliche Geschichtsvergessenheit Europas<br />

Boualem Sansal zu Gast in Brüssel: Der algerische Schriftsteller diskutierte mit EU-<br />

Parlamentspräsident Martin Schulz über den arabischen Frühling. Eindrücke.<br />

In der Europäischen Hauptstadt ein Gespräch über "Europa<br />

und den arabischen Frühling" zu führen – wer könnte<br />

das wohl besser als der algerische Schriftsteller Boualem<br />

Sansal, 2011 mit dem <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> deutschen Buchhandels<br />

ausgezeichnet. Schließlich hatte er bei der <strong>Friedenspreis</strong>verleihung<br />

im vergangenen Oktober eine Verbindung<br />

hergestellt zwischen dem Arabischen Frühling<br />

und der Wende in Europa nach dem Fall der Mauer: "Alle<br />

Mauern werden fallen", kündigte er damals in der Paulskirche<br />

an.<br />

Sein Dialogpartner im Brüsseler "Bozar", dem Palais der<br />

schönen Künste, war am Dienstag Martin Schulz, der<br />

deutsche Präsident <strong>des</strong> Europäischen Parlaments, ehemaliger<br />

Buchhändler und dem <strong>Friedenspreis</strong> damit persönlich<br />

verbunden. Mit Veranstaltungen wie diesen will der<br />

Börsenverein der Auszeichnung international Wirkung<br />

verschaffen. Das machte Hauptgeschäftsführer Alexander<br />

Skipis bei der Begrüßung deutlich. Kooperationspartner<br />

waren, neben dem "Bozar", der Deutschlandfunk und das<br />

Goethe-Institut. Die Diskussion stand unter der kundigen<br />

Leitung von Stephan Detjen (Deutschlandfunk).<br />

Für Martin Schulz gibt es in Europa Länder, die in einer<br />

ähnlichen Lage sind wie heute Sansals Heimat Algerien.<br />

Europa laufe Gefahr, in der eigenen Geschichte gefangen<br />

zu sein. Gefährlich sei auch die zu beobachtende "Geschichtsvergessenheit"<br />

gegenüber dem "Faszinosum der<br />

europäischen Integration". Der Frieden sei nicht mehr ein<br />

"Wert an sich". Die größte historische Leistung <strong>des</strong> vergangenen<br />

Jahrhunderts, die Überwindung von Rassismus,<br />

Intoleranz, Mordlust und Destruktivität. werde täglich<br />

herabgewürdigt. "Unter dem Druck ökonomischer und<br />

politischer Fehlentwicklungen treten wir Europa mit<br />

Füßen".<br />

Sansal selbst ist seit der Verleihung <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es<br />

im Herbst 2011 viel auf Reisen. Er lerne, was es heißt,<br />

<strong>Friedenspreis</strong>träger zu sein, sagt er selbst. Eine Reise<br />

nach Israel hat ihm Kritik, Ärger und auch Drohungen<br />

eingebracht. Aber: "Wie will man beispielsweise den<br />

Siedlungsbau in den besetzten Gebieten stoppen, wenn<br />

man nicht mit Israelis spricht?", fragt er sich.<br />

Sein erstes Manuskript landete vor Jahren auf dem<br />

Schreibtisch von Jean-Marie La Claventine (Verlag Gallimard).<br />

Er hat den Autor "entdeckt". Die Lektüre <strong>des</strong><br />

Manuskripts beschrieb er auf dem Brüsseler Podium als<br />

"Moment <strong>des</strong> Enthusiasmus".<br />

Von Sansal erscheint demnächst ein weiteres Werk auf<br />

Deutsch. "4001 Jahre der Nostalgie - Auch eine Philoso-<br />

Von Jan Kurlemann<br />

18<br />

phie der Geschichte <strong>des</strong> Maghreb" (Berlin University<br />

Press). Nachdem er in Brüssel Auszüge daraus gelesen<br />

hatte, betonte Sansal, dass in Algerien und anderen Ländern<br />

Nordafrikas der Zugang zur eigenen Geschichte<br />

versperrt sei, weil die Archive in anderen Ländern lagern<br />

würden.<br />

Eine eigene Identität gebe es in Algerien noch nicht. Und<br />

es seien wohl Jahrzehnte notwendig, bis sich eine algerischen<br />

Identität aus arabischen, berberischen und westlichen<br />

Werten und Einflüssen herausbilden könne, meint<br />

Sansal. Die Gegenposition heiße <strong>des</strong>halb für viele: "Wir<br />

sind alle Araber, alle Moslems". Begonnen habe sie mit<br />

der Forderung nach einem "reinen" Islam, danach, ein<br />

"guter Moslem zu sein". Das Ergebnis sei Kontrolle in der<br />

Öffentlichkeit und bis in die Familien hinein, unter Anwendung<br />

von Gewalt.<br />

Der "To<strong>des</strong>magie" <strong>des</strong> Islamismus stehe die Gesellschaft<br />

ohnmächtig gegenüber, so Sansal, der "Instrumente der<br />

Wachsamkeit" vermisst. Der Arabische Frühling habe<br />

begonnen mit Jugendlichen in Tunesien, die für Beschäftigung<br />

und gegen Korruption demonstrierten. Jetzt gebe<br />

es Demonstrationen mit anderer Zielrichtung, etwa gegen<br />

die Rechte der Frauen und für Zensur.<br />

Als Präsident der Parlamentarischen Institution der Mittelmeer-Union<br />

war Martin Schulz den Entwicklungen sehr<br />

nah. Er war selbst auf dem Tahir-Platz in Kairo und spürte<br />

die Dynamik der Macht von Zigtausend Menschen. Beim<br />

"Arabischen Frühling" handelt es sich für ihn um einen<br />

Aufbruch zu einem Ziel, das noch nicht bestimmt ist.<br />

"Wir Europäer brauchen diejenigen als Partner, die als<br />

Moslems Demokratie wollen", so der Parlamentspräsident.<br />

Tragisch findet er, dass sich europäische Außenminister<br />

die Klinke in die Hand gaben und vor Ort die Revolution<br />

begrüßten, während gleichzeitig finanzielle Hilfen<br />

gekürzt würden.<br />

Schulz erinnerte an Deutschland und den Wendepunkt<br />

1945. Waren die <strong>Deutschen</strong> Demokraten nach dem "Dritten<br />

Reich" und der kurzlebigen Weimarer Republik? Konrad<br />

Adenauer habe mit Hilfe der USA (Marshall-Plan) und<br />

der Europäer Demokratie und wirtschaftlichen Aufschwung<br />

verbunden. Dasselbe brauche nun Nordafrika.<br />

Herzlichen Dank an Jan Kurlemann für die Erlaubnis,<br />

seinen Text hier veröffentlichen zu dürfen.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Meldungen<br />

Meldungen<br />

„Warum habe ich eigentlich nicht den <strong>Friedenspreis</strong> bekommen?"<br />

Erinnerungen an die am 12. Juni verstorbene Margarete Mitscherlich und die Verleihung <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es<br />

<strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels 1969<br />

Es war im Mai 2009, als ich vor einem Haus aus den<br />

1960er Jahren im Frankfurter Westend stand und klingelte.<br />

Auf die blechern klingenden Frage „Wer ist da bitte?“<br />

aus der Gegensprechanlage brüllte ich mehrmals meinen<br />

Namen. „Sie müssen laut sprechen“, hatte Margarete<br />

Mitscherlich mir zuvor am Telefon gesagt, „ich bin so gut<br />

wie taub.“<br />

Margarete Mitscherlich in der ersten Reihe bei der <strong>Friedenspreis</strong>verleihung<br />

1969 an ihren Ehemann. © Lutz Kleinhans<br />

Oben in der großzügig eingerichteten Wohnung erwartete<br />

mich eine agile alte Dame, die mich in der ersten Stunde<br />

unseres Gesprächs – „Ich hoffe, Sie mögen dieses Instant-<br />

Pulver?“ – Kaffee kochen ließ, mich zwang, die extra<br />

eingekauften Kekse aufzuessen, und mir keine Möglichkeit<br />

gab, selbst das Wort zu ergreifen. Dabei wollte ich ihr<br />

an diesem Tag nur erklären, was wir von ihr wollten:<br />

einen Artikel für unser Buch „Widerreden“ zum<br />

60jährigen Jubiläum <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es, den ihr Mann<br />

Alexander Mitscherlich 1969 erhalten hat.<br />

Als ich ihr dann endlich mein Anliegen vorbringen konnte,<br />

lachte sie und hob die Hände. „Schauen Sie sich das<br />

an, Herr Martin Schult. So wie die zittern, kann ich nicht<br />

mehr schreiben, nein, nein.“ In der folgenden zweiten<br />

Stunde erlebte ich sie in ihrem Element. Sie zog mir mit<br />

ihren Fragen förmlich die Schuhe aus, drehte mein Anliegen<br />

mehrmals um, zeigte mir die Schwächen meiner<br />

Argumentation auf und kokett, wie sie war, gab sie mir<br />

deutlich zu verstehen, dass sie gerne an dem Projekt<br />

Von Martin Schult.<br />

19<br />

mitarbeiten wolle, es müsse nur jemand kommen und<br />

alles mitschreiben.<br />

„Aber das eines klar ist, ohne mich hätte Alexander Mitscherlich<br />

nie den <strong>Friedenspreis</strong> bekommen.“ Während ich<br />

mich noch wunderte, warum sie ihren Mann auf diese<br />

Weise benannte, und nicht „mein Ehemann“ oder einfach<br />

nur „Alexander“ oder gar „Alex“, legte sie mir in der<br />

dritten Stunde die Schwächen in der Arbeit ihres Mannes<br />

dar. Sie erzählte von seiner anfänglichen Weigerung, das<br />

Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ zu schreiben. Sie beschrieb<br />

mir ausführlich die Streitgespräche mit ihrem<br />

Mann, aber auch von ihrem Fast-Boykott der <strong>Friedenspreis</strong>verleihung.<br />

„Ich sollte in der zweiten Reihe hinter<br />

Alexander Mitscherlich sitzen.“<br />

Der Börsenverein, der damals nach den Vorfällen bei der<br />

<strong>Friedenspreis</strong>verleihung an Léopold Sédar Senghor (1968)<br />

sehr in der Kritik gestanden hat, reagierte sehr erleichtert,<br />

dass Alexander Mitscherlich, ein Freund der Studentenbewegung,<br />

den Preis im Jahr 1969 annehmen wollte.<br />

Doch kurz darauf stellte er diese Zusage wieder öffentlich<br />

in Frage. Er wolle ihn nur dann annehmen, wenn der<br />

Börsenverein Entscheiden<strong>des</strong> an der Auswahl der Preisträger<br />

und der Verleihungszeremonie in der Paulskirche<br />

verändere. Der Börsenverein ging damals darauf ein, was<br />

dem <strong>Friedenspreis</strong> und seiner Bedeutung sehr gut getan<br />

hat, und beugte sich letztlich auch dem Wunsch von Frau<br />

Mitscherlich, in der ersten Reihe sitzen zu dürfen. „Aber<br />

sie setzten mich nicht neben Alexander Mitscherlich, der<br />

Vorsteher <strong>des</strong> Börsenvereins saß zwischen uns.“<br />

Ich kochte noch einmal Kaffee und wollte ihr gerade vorschlagen,<br />

dass Niels Beintker, ein Journalist <strong>des</strong> Bayerischen<br />

Rundfunks, das Gespräch aufzeichnen und einen<br />

Text daraus erstellen könnte, als sie mich wieder unterbrach.<br />

„Wissen Sie, warum ich eigentlich den <strong>Friedenspreis</strong><br />

nicht bekommen habe? Viele haben sich damals<br />

diese Frage gestellt.“ Ein einziges Mal an diesem Nachmittag<br />

bin ich schlagfertig gewesen, was mich heute noch<br />

freut. „Nein, das weiß ich nicht, aber ich weiß, dass diese<br />

Frage sicherlich dazu geführt hat, im folgenden Jahr ein<br />

Ehepaar auszuzeichnen: Alva und Gunnar Myrdal."<br />

Die Frau, die sich darüber sehr gefreut hat, ist gestern,<br />

am 12. Juni <strong>2012</strong>, kurz vor ihrem 95. Geburtstag, verstorben.<br />

2010 hatte ich es geschafft, sie zur Teilnahme an der<br />

<strong>Friedenspreis</strong>verleihung an David Grossman zu überreden,<br />

doch eine Krankheit verhinderte ihr Kommen. Der<br />

Text „Der Frieden beginnt in der Familie“, den Niels<br />

Beintker aus dem Gespräch für das Jubiläumsbuch „Widerreden“<br />

zusammengestellt hat, ist ihr kleines Vermächtnis<br />

an uns, an den <strong>Friedenspreis</strong>.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

„Widerreden „Widerreden – Der Der Frie <strong>Friedenspreis</strong> Frie<br />

denspreis <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels“<br />

„Der Frieden beginnt in der Familie“<br />

Margarete Mitscherlich über den Frieden, den <strong>Friedenspreis</strong><br />

<strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels und die Fähigkeit, zu trauern.<br />

I. Der <strong>Friedenspreis</strong> und die Fähigkeit zu trauern<br />

Der <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels, der nun<br />

zum 60. Mal vergeben wird, hat viel dazu beigetragen,<br />

über das Wort nachzudenken, das er in seinem Namen<br />

trägt: Frieden. Das sollte auch in Zukunft so bleiben. Für<br />

viele der bisherigen Preisträger – für meinen Mann Alexander<br />

Mitscherlich genauso wie etwa für Fritz Stern oder<br />

für Saul Friedländer – war dieses Nachdenken verbunden<br />

mit der Erinnerung und Aufforderung, das Leid der Vergangenheit<br />

in Deutschland weder zu vergessen noch zu<br />

begraben. Aus dem Gefühl der Trauer über die Verbrechen<br />

<strong>des</strong> Dritten Reiches erwächst die Verantwortung für<br />

den Frieden.<br />

Alexander Mitscherlich bei der <strong>Friedenspreis</strong>-<br />

verleihung 1969. © Lutz Kleinhans<br />

Wer nicht trauern kann, begibt sich in die Gefahr, die<br />

historische Schuld zu verdrängen. Aufgrund dieser Erfahrung<br />

haben Alexander Mitscherlich und ich begonnen,<br />

über die Unfähigkeit zu trauern nachzudenken. Die Ursprünge<br />

für unser daraus entstandenes Buch liegen dabei<br />

in der Auseinandersetzung mit dem Werk von Sigmund<br />

Freud sowie in vielen Gesprächen mit unseren jüdischen<br />

20<br />

Freunden und Kollegen. Wir haben immer wieder überlegt,<br />

warum Trauer Erinnerung bedeutet und warum sie,<br />

gerade in den 50er Jahren in Deutschland, so oft verdrängt<br />

wird. Und wir haben uns gefragt, warum man über<br />

verlorene Ideale anders trauert als über Menschen, die<br />

man verloren hat und denen man emotional zutiefst verbunden<br />

war.<br />

Auch über den Tod <strong>des</strong> noch vorher zum Ersatzgott erhobenen<br />

„Führers“ war Trauer nicht wahrzunehmen. Wie<br />

viele unserer Freunde standen wir der Tatsache,, dass in<br />

einem hoch zivilisierten und industrialisierten Land wie<br />

Deutschland ein so schreckliches und singuläres Verbrechen<br />

wie der Holocaust geplant und ausgeführt werden<br />

konnte, mehr oder weniger hilflos gegenüber. Daraus<br />

erwuchs eine tiefe Trauer: die Trauer um ein Land, das<br />

wir in hohem Maße idealisierten, die Trauer um eine<br />

Kultur, die in unserem Empfinden als besonders human<br />

gegolten hatte. Weder die Tradition dieses Lan<strong>des</strong> noch<br />

seine große Kultur haben es davor bewahrt, Frieden zu<br />

halten und die Würde <strong>des</strong> Menschen zu achten.<br />

Ich habe diese Enttäuschung und die mit ihr verbundene<br />

Trauer selbst erlebt: Ich wurde ein Jahr vor dem Ende <strong>des</strong><br />

Ersten Weltkriegs in Dänemark geboren, in einer binationalen<br />

Familie. Mein Vater war Däne, meine Mutter Deutsche.<br />

Meine Schulzeit habe ich bis zum 14. Lebensjahr in<br />

Dänemark verbracht, danach in Deutschland, um dort<br />

Abitur zu machen. ich war schon damals enttäuscht über<br />

die autoritäre Art <strong>des</strong> Unterrichts, auch über die Unfähigkeit<br />

mancher Lehrer, uns mit Humor und einer gewissen<br />

Leichtigkeit zu begegnen. Trotzdem war dieses Land der<br />

Dichter und Denker für mich ein großes Ideal. Ich bewunderte<br />

Deutschland und fühlte mich hier zu Hause, auch in<br />

der deutschen Sprache. Als ich später begann, die Beschränktheit,<br />

die Dummheit und die ideologische Engstirnigkeit<br />

der Nazizeit zu entdecken, wuchs meine Enttäuschung<br />

immer mehr. Mein Vater sagte mir, Hitler sei ein<br />

Verbrecher und wolle nur den Krieg. Im Übrigen sei er<br />

ein Nichts. Und nachdem Hitler den Krieg begonnen<br />

hatte, erkannten wir mehr und mehr die Unmenschlichkeit,<br />

die im Namen Deutschlands, <strong>des</strong> so geliebten Lan<strong>des</strong>,<br />

verübt wurde. Zuerst wurden die Schwachen, die<br />

Minderheiten, die sich nicht wehren konnten, verteufelt,<br />

dann wurden sie mit Füßen getreten und schließlich in<br />

Massen ermordet. Das war und ist das Widerlichste, was<br />

man sich als menschliches Tun vorstellen konnte. Wir<br />

haben uns entsprechend gewünscht, dass das nationalsozialistische<br />

Deutschland den Krieg verlieren sollte. Das<br />

war schmerzlich. Aber die Vorstellung, dass eine so falsche<br />

und menschenverachtende Ideologie für immer die<br />

Oberhand gewinnen würde, war für mich und meine<br />

Freunde unvorstellbar.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

„Widerreden „Widerreden – Der Der <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels“<br />

Nach dem Krieg haben viele Menschen in Deutschland<br />

behauptet, sie hätten von den Verbrechen gegen die<br />

Menschlichkeit, die in ihrem Land und von ihren Landsleuten<br />

verübt wurden, nichts gewusst. Ich halte das für<br />

Unsinn. Spätestens seit dem <strong>Sommer</strong> 1941, nachdem der<br />

Krieg gegen Russland begonnen hatte und die Massenerschießungen<br />

in den besetzten Gebieten stattfanden, wurde<br />

uns immer wieder davon berichtet. Ständig kamen<br />

Soldaten von der Front nach Hause und haben von den<br />

Greueltaten erzählt. An der Universität in Heidelberg, an<br />

der ich damals studierte, haben viele Kommilitonen darüber<br />

gesprochen. Zwar durfte das alles nicht laut berichtet<br />

werden, dennoch wusste jeder von uns, welche Mordtaten<br />

in Russland, Polen, der Ukraine und im Baltikum<br />

verübt wurden. Auch von der Existenz der Konzentrationslager<br />

wussten die Menschen in Deutschland. Das<br />

ganze Ausmaß der Grausamkeiten, die dort geschehen<br />

sind, haben wir zwar erst nach dem Krieg erfahren, aber<br />

dass es die Lager gab, war uns allen bekannt.<br />

Nach dem Krieg, als mein Mann und ich uns kennenlernten,<br />

haben wir immer wieder über die Verdrängung und<br />

das Vergessen gesprochen. Da Alexander neun Jahre älter<br />

war als ich, hat er das Dritte Reich von Anfang bis Ende<br />

sehr bewusst und leidend erlebt. 1937 wurde er unter<br />

dem Vorwurf der Widerstandsarbeit von der Gestapo<br />

verhaftet und saß mehrere Monate im Gefängnis, mit der<br />

Aussicht, eventuell nicht mehr in die Freiheit zurückkehren<br />

zu können. Wir beide waren uns einig in der Trauer<br />

über die fast 60 Millionen Toten <strong>des</strong> Zweiten Weltkriegs.<br />

Unsere Begeisterung für dieses Land war zerstört, die<br />

Freude, ein Deutscher zu sein, war uns nicht mehr möglich.<br />

Und weil wir spürten, dass in diesem Land, das ganz<br />

Europa verwüstet hatte und das nun selbst in Trümmern<br />

lag, die Ideologie der Nazi-Zeit einfach ad acta gelegt und<br />

verdrängt werden sollte, begannen wir, uns Gedanken<br />

über die Notwendigkeit der Trauer zu machen. Die Stimmung<br />

jener Zeit zielte bekanntlich vor allem auf den<br />

Wiederaufbau, auf die Schaffung einer neuen, unbeschwerten<br />

Realität. Durch den Marshall-Plan stieg das<br />

Lebensniveau in der Bun<strong>des</strong>republik rasch und erheblich<br />

an. Es ging den <strong>Deutschen</strong> damals wirtschaftlich sogar<br />

besser als den Briten. Von einem Gefühl der Trauer fand<br />

sich in<strong>des</strong> keine Spur. „Vergessen“ war das Motto der<br />

Stunde. Vor diesem Hintergrund ist 1967 unser Buch Die<br />

Unfähigkeit zu trauern entstanden. Und wenn eine Institution<br />

in Deutschland in all den Jahren auf die Notwendigkeit<br />

der Trauer über das Vergangene und für eine<br />

lebenswerte Zukunft hinwies, dann war das der <strong>Friedenspreis</strong>.<br />

Wie groß war die Stille in der Paulskirche, nachdem<br />

Saul Friedländer (2007) in seiner Dankesrede aus den<br />

Briefen seiner Familie vorgelesen hatte! Es waren die<br />

schrecklichen Ereignisse der deutschen Geschichte, die<br />

uns auch nach mehr als 60 Jahren die Tränen in die Augen<br />

treiben.<br />

II. <strong>Friedenspreis</strong> als ein „Trostpreis für Erfolglosigkeit“?<br />

Eine Wendung aus der <strong>Friedenspreis</strong>rede Alexander Mitscherlichs<br />

ist vielfach zitiert und kommentiert worden: Er<br />

21<br />

fragte damals, ob man, mit Blick auf den Erdball als ganzen<br />

und die vielen Kriege den <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong><br />

Buchhandels nicht eher als einen „Trostpreis für<br />

Erfolglosigkeit“ betrachten müsse; als einen Preis, mit<br />

dem nur Narren ausgezeichnet würden, die allem Augenschein<br />

zum Trotz an der Möglichkeit friedlicher Konfliktlösungen<br />

zwischen Menschen festhalten? Diese pessimistische,<br />

vielleicht ja auch realistische Einschätzung hat<br />

einen sehr persönlichen Hintergrund. Ich erinnere mich<br />

an einen Spaziergang im Jahr 1969, in dem Jahr also, in<br />

dem er den <strong>Friedenspreis</strong> bekam. Alexander Mitscherlich<br />

war damals 61 Jahre alt. Er spürte, dass sich etwas in<br />

seinem Inneren veränderte. Er hatte immer eine schnelle<br />

Auffassungsgabe, sagte mir ständig, er wolle Neues erfahren<br />

und lernen. Seine Fähigkeit, neues Wissen aufzunehmen,<br />

und seine Vitalität waren ungewöhnlich stark<br />

ausgeprägt. Damals aber hat er bemerkt, dass diese Fähigkeiten<br />

abnahmen. Er erkannte plötzlich: „Ich bleibe<br />

nicht für immer vital. Meine Kraft schwindet.“ Das hat ihn<br />

sehr verunsichert.<br />

Gespannt warten die Frankfurter Bürger vor der Paulskirche auf<br />

die Gäste der <strong>Friedenspreis</strong>verleihung 1969. © Wilhelm Knüttel<br />

Sicherlich ist in der <strong>Friedenspreis</strong>rede auch ein Hauch<br />

von Enttäuschung wegen der Entwicklung der Studentenbewegung<br />

enthalten. Sie verkündete im Grunde eine neue<br />

Ideologie. Die Studenten wollten, dass alle so denken<br />

sollten, wie sie dachten. Für mich, die ich jeden Zwang<br />

hasse, war das, ebenso wie für Alexander Mitscherlich,<br />

unerträglich. Er war von der Möglichkeit <strong>des</strong> Friedens<br />

überzeugt. Und er hoffte, dass die jungen Menschen in<br />

Deutschland sich endlich erinnern und verstehen wollten,<br />

warum ihre Eltern und Großeltern Hitler gewählt hatten<br />

und ihm so willig und begeistert gefolgt waren. Verstehen<br />

heißt nicht verzeihen, aber wer weiß schon, wann er oder<br />

sie immun ist gegen solche Verführungen.<br />

Wie viele von uns war Alexander Mitscherlich fasziniert<br />

von den Erkenntnismöglichkeiten, die die Psychoanalyse<br />

bot. Er wollte seine Erkenntnisse in Wort und Schrift<br />

veröffentlichen, in der Hoffnung, damit auch gesellschaftlich<br />

etwas zu bewirken. In dieser Situation hat ihn die<br />

Konfrontation mit der dogmatisch werdenden Studentenbewegung<br />

beschäftigt und gefordert. Wo Zwänge existieren,<br />

schwinden die Möglichkeiten der Verständigung.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

„Widerreden „Widerreden – Der Der <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels“<br />

Man muss sich die Möglichkeit zum Widerspruch bewahren,<br />

um im Fall von Meinungsverschiedenheiten, bisweilen<br />

auch nach langen Diskussionen, zu einem gemeinsamen<br />

Verständnis zu kommen oder zumin<strong>des</strong>t zu einem<br />

„let us agree to disagree“. Das aber haben die Protagonisten<br />

der Studentenbewegung weitgehend abgelehnt, sie<br />

übten und forderten Gesinnungszwang. Ich glaube, diese<br />

Erfahrung hat, zusammen mit der persönlich gefühlten<br />

Veränderung, in meinem Mann ein resignatives Gefühl<br />

ausgelöst, das dann auch in der <strong>Friedenspreis</strong>rede seinen<br />

Ausdruck fand. In den Jahren vorher war er noch zuversichtlicher<br />

und optimistischer.<br />

Unter den Gästen in der Paulskirche befanden sich auch Jürgen<br />

Habermas und seine Frau Ute Habermas-Wesselhoef.<br />

© Lutz Kleinhans<br />

In seiner Dankesrede sprach Alexander Mitscherlich auch<br />

über die Dummheit der Menschen, die zu infantiler Abhängigkeit<br />

verleitet und sie <strong>des</strong>halb nicht davor zurückhält,<br />

auf Befehl auch ungerechte Gewalt gegen die Mitmenschen<br />

zu üben. Vielleicht hat er sich die Frage der<br />

Dummheit als Ursache der Verbrechen zu einfach beantwortet.<br />

Waren es nicht auch kluge, intelligente Leute, die<br />

auf die offensichtlichen Lügen und die paranoiden Behauptungen<br />

der Nationalsozialisten hereingefallen sind<br />

oder diese willfährig, sogar jubelnd angenommen haben?<br />

Menschen wie Martin Heidegger oder Carl Schmitt hätte<br />

der eigene Verstand doch schnell eines anderen belehren<br />

müssen? Sie haben sich aber begeistert in den Dienst<br />

einer menschenverachtenden Ideologie gestellt. Intelligenz<br />

ist sektoral, wer wissenschaftlich hoch intelligent<br />

ist, muss nicht zugleich auch sozial intelligent sein. Es<br />

gibt eine sehr tief sitzende Dummheit auch bei intelligenten<br />

Menschen, die oft mit einer Unfähigkeit zu kritischdistanzierter<br />

Selbstbetrachtung verbunden ist.<br />

Ebenso diskussionswürdig ist die These Alexander Mitscherlichs,<br />

dass der Krieg, entgegen der berühmten Formulierung<br />

von Clausewitz nicht die Fortführung der Politik<br />

mit anderen Mitteln sei, sondern vielmehr der genaue<br />

Gegensatz. Ich glaube, die Frage nach dem Wesen der<br />

Politik ist nicht so einfach zu beantworten, auch sie führt<br />

zu großen Kontroversen. Politik ist eine Sphäre, in der die<br />

Interessen vieler Menschen aufeinander treffen. Politik<br />

zielt auf die Ordnung eines ganzen Lan<strong>des</strong>, an der – im<br />

22<br />

Falle eines Erfolges – alle aus freiem Willen teilnehmen<br />

müssen. Und sie steht immer wieder vor neuen Herausforderungen.<br />

Ein Beispiel dafür ist der aktuelle Konflikt<br />

zwischen der islamischen und der vielfach christlich<br />

geprägten westlichen Welt. Er lässt sich nicht leicht entschärfen<br />

oder so auflösen, wie wir uns das wünschen.<br />

Eine Feministin etwa steht vor der Frage, was sie tun<br />

kann, um die Unterdrückung von Frauen in manchen<br />

islamischen Ländern zu verhindern? Ebenso verhält es<br />

sich bei der Überlegung, was geschehen soll, wenn meine<br />

Landsleute, die Dänen, in der Tageszeitung Jyllands Posten<br />

politische Karikaturen mit der Figur <strong>des</strong> Propheten<br />

Mohammed abdrucken und dafür plötzlich mit dem Tod<br />

bedroht werden? Sie meinen doch, den Geist der Freiheit<br />

zu verteidigen. Und weil sie ohnehin die Welt und alle<br />

Ereignisse in ihr gerne ironisch betrachten, ist es für sie<br />

eine Selbstverständlichkeit, dass sie in einer freien Presse<br />

auch Witze über beengtes Denken machen dürfen. Plötzlich<br />

wird ihnen dafür der Krieg erklärt. Ich meine, dass<br />

man solchen Konflikten nicht ausweichen kann. Es gibt<br />

nur eine Konsequenz: das freie Denken, das gegen alle<br />

Gefährdungen verteidigt werden muss.<br />

III. Krieg und Frieden – Schweigen und Sprechen<br />

Für den griechischen Philosophen Heraklit war der Krieg<br />

bekanntlich der Vater aller Dinge. Man könnte mit Blick<br />

auf die Psychoanalyse nach Sigmund Freud formulieren,<br />

dass der Konflikt der Vater alle Dinge sei. Denn nach<br />

seiner Deutung liegen die inneren Triebe und das Über-<br />

Ich beständig miteinander im Streit. Die wirklichen Völkerkriege<br />

sind aber damit nicht zu vergleichen. Sie entfesseln<br />

unvorstellbares Grauen und ermöglichen die völlige<br />

Verdrehung von Recht und Unrecht. Was in Friedenszeiten<br />

das größte Verbrechen ist – die Tötung eines Menschen<br />

–, wird im Krieg zur Pflicht erhoben. Wer dieser<br />

Pflicht nicht folgt, wird selber getötet, im Feld oder als<br />

vermeintlicher Deserteur. Einen Ausweg aus diesem<br />

Kreislauf der Gewalt gibt es im Krieg der Völker nicht.<br />

Viel schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie, im<br />

Gegensatz zum Krieg, der Frieden zu bestimmen ist. Es<br />

gibt keine einfache Definition. Mit der Erfahrung meiner<br />

Biographie wie auch meiner wissenschaftlichen Arbeit<br />

meine ich sagen zu können, Frieden ließe sich als ein<br />

herrschaftsfreier Diskurs beschreiben, in Anlehnung an<br />

Jürgen Habermas‘ wichtige Überlegungen in der Theorie<br />

<strong>des</strong> kommunikativen Handelns (1981)<br />

Diese besondere Form <strong>des</strong> Miteinander-Sprechens und<br />

Einander-Zuhörens – entwickelt in der intensiven Auseinandersetzung<br />

mit Immanuel Kant – muss nicht per se<br />

Frieden bedeuten. Aber sie führt dorthin, wo Frieden<br />

entstehen kann, über die Sprache und über den freien<br />

Austausch von gegensätzlichen Positionen. Wer Frieden<br />

schaffen will, muss sich mit anderen verständigen und<br />

seine Argumente kritisch auf Plausibilität hin überprüfen.<br />

Das geschieht allein durch Sprache. Auch die Psychoanalyse<br />

als „talking cure“ klärt uns über die unbewussten<br />

Motive unseres Verhaltens auf und verhindert so ein<br />

gewalttätiges Ausagieren.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

„Widerreden „Widerreden – Der Der <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels“<br />

Alexander Mitscherlich als Sitzmöbel auf der<br />

10. Münchener Bücherschau. © <strong>Friedenspreis</strong>-Archiv<br />

Demnach ist der Krieg die Zeit <strong>des</strong> Schweigens, der Frieden<br />

die <strong>des</strong> Sprechens. Überhaupt, ohne Sprache wäre der<br />

Mensch nicht Mensch. Sie unterscheidet ihn von den<br />

Tieren. Und sie ermöglicht die Verständigung zwischen<br />

den Menschen. Sie ist die Grundlage für jeden herrschaftsfreien<br />

Diskurs. Die Sprache ist und bleibt die die<br />

einzige Möglichkeit zur Verständigung. Trotzdem können<br />

sich Menschen durch Sprache auch trennen und zu Feinden<br />

werden. Es ist eine interessante Frage, ob die Kriege<br />

zwischen Deutschland und Frankreich ausgebrochen<br />

wären, wenn die <strong>Deutschen</strong> alle gut französisch gesprochen<br />

hätten und die Franzosen alle gut deutsch? Das<br />

Verhältnis der <strong>Deutschen</strong> zur Schweiz und zu Österreich<br />

ist ein anderes als das zu Frankreich oder zu Italien. Warum<br />

hat die Menschheit so viele Sprachen erfunden? Oder<br />

anders gefragt, mit Blick auf die berühmte Geschichte aus<br />

dem Alten Testament, über den Turmbau zu Babel: Warum<br />

hat Gott, in welcher Form es ihn auch gibt, den Menschen<br />

so viele Sprachen gegeben, dass sie sich untereinander<br />

kaum noch verstehen können? Erst in der Fähigkeit,<br />

den anderen zu verstehen, seine Argumente zu bedenken<br />

und anzuerkennen, liegt der Keim <strong>des</strong> Friedens.<br />

23<br />

Die Bedeutung der Sprache in der Öffentlichkeit, aber<br />

auch in der Familie, sollten wir nicht unterschätzen. In<br />

der Familie sind es neben der Sprache auch die Gefühle,<br />

die Liebe und die Zuneigung, die den Umgang von Menschen<br />

mit Menschen bestimmen. Je weiter man dagegen<br />

in die Öffentlichkeit kommt, <strong>des</strong>to mehr gewinnt die<br />

Sprache an Bedeutung. In der öffentlichen Diskussion ist<br />

die Sprache das einzige Mittel zur Verständigung. Und<br />

trotzdem sollte man, bei aller Hoffnung, realistisch bleiben:<br />

Eine Welt ganz ohne gewalttätige Auseinandersetzungen<br />

wird es nie geben. Das scheint mir angesichts der<br />

globalen Unterschiede, etwa der großen Kluft zwischen<br />

Armut und Reichtum, unmöglich. Ein totaler Frieden –<br />

man könnte auch in Anlehnung an Immanuel Kant von<br />

einem „ewigen Frieden“ sprechen – ist eine unerfüllbare<br />

Utopie. Wir alle können immer nur kleine Schritte in die<br />

Richtung <strong>des</strong> Friedens gehen. Der herrschaftsfreie Diskurs<br />

wäre dabei ein möglicher Weg.<br />

IV. Erziehung zum Frieden –Familie als Ort <strong>des</strong> Friedens<br />

Wir sollten uns keiner Illusion hingeben: Der Mensch<br />

wird, wie zum ersten Mal von Sigmund Freud beschrieben,<br />

mit dem Trieb zur Aggression geboren. Sein Leben<br />

wird durch den Aggressionstrieb und andere Triebe bestimmt,<br />

etwa durch den Selbsterhaltungstrieb oder durch<br />

den Sexualtrieb. Dabei ist die Aggression eine lebenserhaltende<br />

Kraft, eine Grundmacht <strong>des</strong> Lebens. Wir Menschen<br />

werden geboren und sind eifersüchtig aufeinander.<br />

Wir buhlen als rivalisierende Geschwister beständig um<br />

die Gunst der Eltern. Diejenigen, die behaupten, sie liebten<br />

ihre Kinder alle gleich, irren. Die Zuneigung ist immer<br />

unterschiedlich, sie drückt sich aus durch kleine, unbewusste<br />

Gesten, und Kinder spüren das. Die Erstgeborenen<br />

zum Beispiel, die ein Geschwisterchen bekommen haben,<br />

werden eifersüchtig. Rivalität unter den Menschen wird<br />

es immer geben. Ohne sie aber wäre das Leben auch<br />

fürchterlich langweilig. Wer würde sich noch anstrengen,<br />

wenn er damit nicht gelegentlich auch in der Schule der<br />

Bessere wäre und mehr Erfolg hätte als die anderen?<br />

Es mag nun paradox klingen, wenn ich behaupte, trotz<br />

<strong>des</strong> mächtigen Triebpotentials zur Aggression ist der<br />

Mensch zum Frieden fähig. Das aber ist kein Paradox. Der<br />

einzelne Mensch, der nicht in der Masse verschwindet,<br />

sondern sich die Fähigkeit zum freien, kritischen Denken<br />

bewahrt, ist durchaus zum Frieden fähig. Entscheidend<br />

dafür ist die Prägung durch das Elternhaus und die Schule,<br />

die stete Vermittlung von ganz einfachen Verhaltensweisen<br />

wie der Zuwendung, dem Zuhören und dem Verstehen.<br />

Zuhause und in der Schule sollten Kinder vor<br />

allem lernen – und weiterlernen –, dass es unterschiedliche<br />

Meinungen und Gefühle gibt und dass andere Menschen<br />

andere Gefühle haben können als sie selbst. Es<br />

geht um das Vermögen, sich in die Situation <strong>des</strong> anderen<br />

hineinzuversetzen und seine Argumente anzunehmen.<br />

Für den israelischen Schriftsteller Amos Oz, ebenfalls ein<br />

<strong>Friedenspreis</strong>träger, ist die Fähigkeit, den Standpunkt <strong>des</strong><br />

anderen anzunehmen, ein möglicher Weg, auf dem der<br />

Fanatismus überwunden werden kann.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

„Widerreden „Widerreden – Der Der <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels“<br />

Solche Vorstellungen zur Kindererziehung sind in unserer<br />

Gesellschaft weit verbreitet. Vielleicht könnte es sogar<br />

gelingen, diese Form mitmenschlicher und psychologischer<br />

Erziehung auch als Leitbild für eine größere Gruppe<br />

von Menschen zu etablieren. Die Geschichte zeigt, dass<br />

mit der Vision der Humanität vieles möglich wird. Die<br />

Vereinigten Staaten von Amerika haben heute einen farbigen<br />

Präsidenten. Und die einst verfeindeten Nachbarländer<br />

Frankreich und Deutschland, auch Polen und<br />

Deutschland, sind heute friedliche und miteinander befreundete<br />

Partner in der Europäischen Union. Sie werden<br />

keinen Krieg mehr gegeneinander führen. In meiner<br />

Kindheit war das noch anders. Frankreich galt als Erbfeind<br />

der <strong>Deutschen</strong>, ein dunkelhäutiger Präsident in den<br />

USA war unvorstellbar. Ich möchte <strong>des</strong>halb an meinem<br />

Glauben festhalten, dass der Mensch entwicklungsfähig<br />

ist, dass er zum Frieden taugt.<br />

Die Rolle der Eltern ist dabei von besonderer Bedeutung.<br />

Eltern tragen unendlich viel zum Frieden bei. Zum Beispiel,<br />

indem sie ihren Kindern beibringen, dass es im<br />

Zusammensein mit anderen immer verschiedene Positionen<br />

gibt, dass der, der einen selbst verletzt hat, es vielleicht<br />

unabsichtlich getan hat. Wenn Eltern die Fähigkeit<br />

fördern, dass Kinder Distanz zu sich selber gewinnen und<br />

den Standpunkt <strong>des</strong> anderen mit einbeziehen können –<br />

wo immer sich das Kind aufgrund seiner Entwicklung und<br />

seiner Lebenssituation befindet –, dann verfallen Kinder<br />

nicht so schnell in Zustände der Aggression und der Gewalt.<br />

Oft geschieht eine solche Erziehung auch intuitiv,<br />

schweigend, ohne Worte. Manchmal ist es die Art, wie<br />

Eltern ihre Kinder anschauen. Oder die Geste, mit der sie<br />

ihr Kind auf den Arm nehmen und ihm sagen: „Schluss<br />

jetzt!“<br />

Börsenvereinsvorsteher Werner Stichnote und Margarete<br />

Mitscherlich in der ersten Reihe. © Lutz Kleinhans<br />

V. Trauer als möglicher Weg zum Frieden<br />

Auch in der Trauer und der Auseinandersetzung mit ihr<br />

kann der Weg zum Frieden gefunden werden. Zum einen<br />

natürlich, wenn die persönliche Trauer durch einen Krieg<br />

verursacht wurde, wenn ein nahestehender Mensch bei<br />

einem Militäreinsatz ums Leben gekommen ist. Eine<br />

24<br />

andere Form der Trauer wird verursacht durch die Erkenntnis<br />

der Unmenschlichkeit, etwa am Beispiel der<br />

nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. Auch diejenigen,<br />

die nicht persönlich daran beteiligt waren und keine<br />

persönliche Schuld auf sich geladen haben, können diese<br />

Trauer empfinden, zumal als Deutsche. Sie werden dazu<br />

aufgefordert, sich mit der Trauer und ihren Ursachen<br />

auseinanderzusetzen. Und sie empfinden das Gefühl, dass<br />

solche Verbrechen nie wieder geschehen dürfen. Wir<br />

entdecken in uns, dass wir, wenn ein solches menschenverachten<strong>des</strong><br />

System wieder an die Macht kommen sollte,<br />

alles dagegen unternehmen und bereit sein werden, unter<br />

Umständen auch unser Leben für die Verteidigung der<br />

Menschlichkeit einzusetzen.<br />

Unter Umständen kann diese moralische Verpflichtung<br />

auch zur Abkehr vom Frieden führen. Ich denke zum<br />

Beispiel an den Militäreinsatz in Afghanistan, an dem<br />

auch die Bun<strong>des</strong>wehr beteiligt ist. Es stellen sich dabei<br />

schwierige Fragen: Ist das ein Krieg? Wenn ja, müssen<br />

wir dort Krieg führen, damit die Taliban mit ihrer wahnhaften<br />

Ideologie nicht zur Herrschaft kommen? Sollen wir<br />

die Menschen in Afghanistan ihrem Schicksal überlassen<br />

oder sollen wir das nicht? Wie erreichen wir Frieden,<br />

wenn wir zuerst einen Krieg darum führen müssen? All<br />

das ist schwer zu beantworten. Wie es scheint, ist<br />

manchmal doch Krieg erforderlich, um einen Frieden zu<br />

gewinnen, der zu einer neuen und gerechteren Ordnung<br />

führt. Im Fall <strong>des</strong> Dritten Reiches war es der Krieg, der<br />

das Ende der verbrecherischen Gewalt bewirkte.<br />

Wir alle wissen, was es bedeutet, wenn ein Mensch, der<br />

uns sehr nahe steht, zu dem wir eine enge Beziehung<br />

haben, stirbt. Oder ein Kind, das unseres Schutzes bedurfte.<br />

Diese Trauer ist jedem von uns bekannt, es ist individuelle<br />

Trauer. Wir können aber nicht um Millionen Menschen<br />

trauern. Wir können jedoch um bestimmte verlorene<br />

Ideale trauern, um die verlorene Menschlichkeit zum<br />

Beispiel. Wenn sich Menschen heute mit den Konzentrationslagern<br />

und dem Mord an den europäischen Juden<br />

beschäftigen, dann geschieht das immer im Gefühl der<br />

Trauer. Es gibt Situationen, in denen wir weinen müssen.<br />

Wir weinen aus dem Gefühl, dass eine solche Unmenschlichkeit<br />

möglich ist. Doch geht uns diese Trauer anders zu<br />

Herzen als die Trauer über einen Menschen, der zu uns<br />

gehört hat. Viele sagen, man kann nur persönlich trauern.<br />

Ich halte das für einen Irrtum. Phantasie und Einfühlung<br />

sind menschliche Fähigkeiten, die weit über das nur Persönliche<br />

hinausgehen und den Menschen zu seinem sozialen<br />

Wesen machen.<br />

VI. Die Erziehung zum Frieden als künftige Aufgabe<br />

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte, zumal der<br />

<strong>des</strong> Dritten Reiches, muss auch künftig eine wichtige<br />

Rolle in der Erziehung junger Menschen spielen. Mädchen<br />

und Jungen in Deutschland wissen heute um die<br />

Verbrechen, die im vergangenen Jahrhundert verübt wurden.<br />

Dennoch gibt es einen Unterschied zu früheren Generationen:<br />

Sie können sich, nach einer so langen und<br />

guten Friedenszeit das Ausmaß der Gewalt, die damals


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

„Widerreden „Widerreden – Der Der <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels“<br />

verübt wurde, nicht mehr vorstellen. Sie können die Geschichte<br />

zur Kenntnis nehmen. Aber wissen sie tatsächlich<br />

noch etwas von der vergangenen Zeit?<br />

1968 kam es vor der Paulskirche zu einer Demonstration, die in<br />

eine Straßenschlacht überging. © Lutz Kleinhans<br />

Meine Enkelkinder fragen mich, ob wir denn alle verrückt<br />

gewesen seien. Sie sind viel im Ausland unterwegs und<br />

haben zahlreiche ausländische jüdische Freunde. Wenn<br />

man ihnen heute von den Konzentrationslagern erzählt,<br />

dann verstehen sie, wie ich glaube, deren Besonderheit<br />

nicht mehr. Sie wissen, das waren schreckliche und menschenverachtende<br />

Orte. Aber für sie ist die Geschichte<br />

voll von entsetzlichen Ereignissen. Insofern ist ihnen<br />

mehr und mehr unverständlich, was wir – die Angehörigen<br />

meiner Generation – noch am eigenen Leib erlebt<br />

haben. Ich frage mich oft, ob man den Angehörigen dieser<br />

jungen Generation noch vermitteln kann, wie widersprüchlich<br />

diese Zeit gewesen ist? In Flensburg zum Beispiel,<br />

wo ich zur Schule gegangen bin, gehörte die Hälfte<br />

meiner Klassenkameradinnen zum BDM. Die andere<br />

Hälfte nicht, da wir noch einem Jahrgang angehörten, in<br />

dem die Mitgliedschaft im nationalsozialistischen Bund<br />

Deutscher Mädel keine Pflicht war. Und wir hatten eine<br />

hervorragende Lehrerin, die nicht mit den Nazis sympathisierte.<br />

Trotzdem war es selbstverständlich, dass wir zu<br />

Beginn <strong>des</strong> Unterrichts den Arm heben und „Heil Hitler“<br />

sagen mussten. Später, bei meinen Studienfreunden,<br />

wusste ich, wer für und wer gegen den Nationalsozialismus<br />

war. Es war ja nicht so, dass von heute auf morgen<br />

viel zu viele Menschen Nazis wurden. Aber zu wenige<br />

haben gegen den Nationalsozialismus gekämpft, das ist<br />

der entscheidende Punkt. Es stimmt nicht, dass ganz<br />

Deutschland während <strong>des</strong> gesamten Krieges für Hitler<br />

gewesen ist. Allerdings haben nur relativ wenige Menschen<br />

ihr Leben im aktiven Widerstand riskiert. Diese<br />

Unterschiede kennen die jungen Menschen heute nicht<br />

mehr. Sie wissen nicht, dass die deutsche Bevölkerung im<br />

Dritten Reich tief in sich gespalten war. Sie nehmen das<br />

höchstens als Entschuldigung wahr.<br />

Was ich damit sagen möchte: Wir wurden durch das Dritte<br />

Reich politisiert. In meinem Elternhaus spielte die<br />

25<br />

Politik keine herausragende Rolle. Erst langsam habe ich<br />

begonnen, mich für Politik zu interessieren. Eigentlich<br />

habe ich erst in einer höheren Schulklasse begriffen, dass<br />

es Parlamente und Parteien gibt und dass die Nationalsozialisten<br />

in Deutschland das alles zerstört hatten. Für die<br />

Jugend von heute sind Parteien und Parlamente und eine<br />

freie Presse selbstverständlich. Sie wissen zum Glück<br />

nicht, was es heißt, in einer Diktatur zu leben. Sie wissen:<br />

So war es, das haben wir hinzunehmen, das ist unsere<br />

Geschichte. Aber für sie ist das Geschichte. Für mich ist<br />

es mein Leben. Das ist ein großer Unterschied. Trotzdem<br />

muss man auch in Zukunft weiter an die Geschichte <strong>des</strong><br />

Dritten Reiches und der Unmenschlichkeit erinnern. Wir<br />

müssen den jungen Menschen zeigen, dass wir alle zusammen<br />

dauerhaft dafür verantwortlich bleiben, dass so<br />

etwas nie wieder geschieht.<br />

1969 signierte Bun<strong>des</strong>präsident Heinemann vor der Paulskirche<br />

für einen kleinen Jungen. © Kerner(Frankfurter Stadtarchiv<br />

Dr. Margarete Mitscherlich, geboren am 17. Juli 1917 in<br />

Gravenstein in Dänemark, promovierte 1950 nach dem<br />

Studium der Medizin und Literatur in München und Heidelberg.<br />

1955 heiratete sie Alexander Mitscherlich. In den<br />

1950er Jahren erfolgte ihre psychoanalytische Ausbildung.<br />

Ab 1967 lehrte sie vorrangig am Sigmund-Freud-<br />

Institut in Frankfurt. Von 1982 an gab sie die von ihrem<br />

Mann gegründete Zeitschrift Psyche heraus, parallel leitete<br />

sie eine Praxis für Psychoanalyse in Frankfurt. Unter<br />

ihren Veröffentlichungen ragt das Buch Die friedfertige<br />

Frau (1985) über weibliches Rollenverhalten in der Politik<br />

heraus. Die neuesten Veröffentlichungen von ihr waren<br />

Autobiografie und Lebenswerk einer Psychoanalytikerin<br />

(2006) und Eine unbeugsame Frau (2007). Margarete<br />

Mitscherlich verstarb am 12. Juni <strong>2012</strong> im Alter von 94<br />

Jahren.<br />

Der Text entstand auf der Grundlage eines Interviews mit<br />

Niels Beintker. Er ist erstmals in dem Buch „Widerreden<br />

– 60 Jahre <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels“<br />

(Frankfurt am Main 2009) erschienen.


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Aus Aus den den Archiven<br />

Archiven<br />

Der König hat mich nur zu Wasser eingeladen.<br />

Hans-Heinrich Peter’s Bericht über die Verleihung <strong>des</strong><br />

Nobelpreises für Literatur an Nelly Sachs<br />

Nicht nur Nelly Sachs, sondern auch weitere <strong>Friedenspreis</strong>träger haben nach ihrer Auszeichnung<br />

in der Frankfurter Paulskirche den Nobelpreis erhalten, zum Teil für Literatur, andere<br />

für den Frieden: Albert Schweitzer, Orhan Pamuk, Alva Myrdal, Octavio Paz und Maria Vargas<br />

Llosa. Weitere Preisträger wie Assia Djebar, Amos Oz, Claudio Magris oder David Grossman<br />

werden seit Jahren als aussichtsreiche Kandidaten gehandelt.<br />

Der Nobelpreis krönt eine Lebensleistung, für die sich der oder die Auserwählte mit seinem<br />

Werk, aber auch zum Beispiel mit seiner <strong>Friedenspreis</strong>rede ‚qualifiziert‘ hat. Hat der <strong>Friedenspreis</strong><br />

ihn erst einmal in einen neuen gesellschaftlichen Status versetzt, stellt der Nobelpreis<br />

ihn nun an die Spitze. Viele wie Vargas Llosa, Pamuk oder auch Herta Müller nutzen<br />

diese Chance, um sich mit der nun gewichtigeren Stimme noch stärker in die gesellschaftliche<br />

Diskussion einzubringen. Für Nelly Sachs war es vor allem eine Bestätigung ihrer jahrzehntelangen,<br />

etwas im Verborgenen stattfindenden literarischen Betätigung in ihrer kleinen<br />

Wohnung in Stockholm.<br />

Hans-Heinrich Peters, Mitglied im Vorstand <strong>des</strong> Börsenvereins von 1962-1965, wurde im<br />

Dezember 1966, ein Jahr nach der Auszeichnung von Nelly Sachs mit dem <strong>Friedenspreis</strong>, zu<br />

ihrer Nobelverleihung nach Stockholm eingeladen. Den folgenden Bericht über seine Reise<br />

und Erfahrungen hat er seinerzeit an Friedrich Georgi, dem Vorsteher <strong>des</strong> Börsenvereins<br />

geschickt. Es ist ein Zeitdokument, das sich nicht nur mit der Verleihung und ihrer aufwendigen<br />

Zeremonie beschäftigt, sondern auch viel über die damaligen Ansichten in Skandinavien<br />

über Deutschland und Deutsche verrät.<br />

Lieber Herr Georgi!<br />

Nach einer Woche als „Edelstatist“ bei den Nobelfestlichkeiten in Stockholm fühlt man sich<br />

min<strong>des</strong>tens so erschlagen wie nach einer Buchmesse in guten alten Vorstandszeiten. Von<br />

Donnerstag, dem 8.12. 9,30 Uhr bis Mittwoch, dem 14.12. 20 Uhr war ich, von einem Tag<br />

abgesehen, ständig in Bewegung, von einem Empfang, von einem Gespräch zum anderen.<br />

Daß Alkohol in Schweden selten ist, trifft nur für das normale Leben zu. Der Konsum an<br />

Whisky in der vergangenen Woche ist wahrscheinlich größer gewesen als der von einem<br />

normalen Vierteljahr. So waren meine Frau und ich denn froh und erschlagen, als wir am<br />

Mittwochabend glücklich im Schlafwagen lagen und wieder Richtung Deutschland fuhren.<br />

Aber das soll nun beileibe nicht heißen, daß diese Tage in Stockholm kein Erfolg gewesen<br />

wären. Ich glaube, daß alles das, was ich dort mitgemacht habe, zu jenen großen Erinnerungen<br />

gehören wird, die jeder Mensch, je älter er wird, sammelt. Um Ihnen einen umfassenden<br />

Bericht geben zu können, müßte ich mit der „Schreibe“ begabter sein und auch über mehr<br />

Zeit verfügen als es jetzt nach einer Woche Abwesenheit mitten im Weihnachtsgeschäft der<br />

Fall ist. Aber Sie sollen doch in Stichworten wenigstens hören, was ich erlebt habe.<br />

8.12.<br />

Empfang bei Bonnier. Ich habe nach dem Krieg eine Reihe von Empfängen mitgemacht, nicht<br />

nur bei Verlegern, sondern auch bei anderen Gelegenheiten. Aber welch ein Unterschied! Die<br />

Villa von Bonnier im besten Wohnviertel von Stockholm am Wasser gelegen, wohl aus der<br />

Zeit vor dem 1. Weltkrieg, mit einem Anbau aus späteren Jahren, reicht ohne Schwierigkeiten<br />

für 400 Menschen und mehr. Der Eingang durch den Park, durch Fackeln erhellt,<br />

26<br />

Liao <strong>2012</strong><br />

Sansal 2011<br />

Grossman 2010<br />

Magris 2009<br />

Kiefer 2008<br />

Friedländer 2007<br />

Lepenies 2006<br />

Pamuk 2005<br />

Esterházy 2004<br />

Sontag 2003<br />

Achebe 2002<br />

Habermas 2001<br />

Djebar 2000<br />

Stern 1999<br />

Walser 1998<br />

Kemal 1997<br />

Vargas Llosa 1996<br />

Schimmel 1995<br />

Semprún 1994<br />

Schorlemmer 1993<br />

Oz 1992<br />

Konrád 1991<br />

Dedecius 1990<br />

Havel 1989<br />

Lenz 1988<br />

Jonas 1987<br />

Bartoszewski 1986<br />

Kollek 1985<br />

Paz 1984<br />

Sperber 1983<br />

Kennan 1982<br />

Kopelew 1981<br />

Cardenal 1980<br />

Menuhin 1979<br />

Lindgren 1978<br />

Kołakowski 1977<br />

Frisch 1976<br />

Grosser 1975<br />

Frère Roger 1974<br />

The Club of Rome 1973<br />

Korczak 1972<br />

Dönhoff 1971<br />

Myrdal 1970<br />

Mitscherlich 1969<br />

Senghor 1968<br />

Bloch 1967<br />

Bea/Visser 't Hooft 1966<br />

Sachs 1965<br />

Marcel 1964<br />

Weizsäcker 1963<br />

Tillich 1962<br />

Radhakrishnan 1961<br />

Gollancz 1960<br />

Heuss 1959<br />

Jaspers 1958<br />

Wilder 1957<br />

Schneider 1956<br />

Hesse 1955<br />

Burckhardt 1954<br />

Buber 1953<br />

Guardini 1952<br />

Schweitzer 1951<br />

Tau 1950


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Aus Aus den den Archiven<br />

Archiven<br />

drinnen eine Riesenhalle, wo Bonnier empfängt und die Gäste sich nach rechts und links<br />

verteilen. Die Räume – eine herrliche Bibliothek, wie man mir sagte etwa ein Viertel der<br />

Produktion <strong>des</strong> Verlags – mit weit über 200 Gemälden von jenen Schriftstellern, die dem<br />

Verlag Ruhm gebracht haben und die den Verlag groß gemacht haben. Schriftsteller, Presseleute,<br />

Vertreter der Akademie, eine große Gruppe deutscher Emigranten, die heute im geistigen<br />

Leben Schwedens immer noch eine Rolle spielen. In einem der vielen Räume auf einem<br />

Sofa Nelly Sachs und Agnon, in ihrer nächsten Umgebung Dr. Holmquist mit Frau, der sie<br />

gegenüber zu viel Neugierigen absichert und mich bereits an diesem Abend in diesen Dienst<br />

einweist.<br />

Die Verleihung <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong> 1965: Nelly Sachs nimmt die Urkunde vom<br />

Börsenvereinsvorsteher Friedrich Wittig entgegen. © Meier-Ude/<strong>Friedenspreis</strong>archiv<br />

So habe ich denn bei sämtlichen Gelegenheiten eigentlich mit meinem breiten Kreuz immer<br />

abschirmend Bittstellern, Leute, die vorgestellt werden wollten usw., ordnen müssen, um<br />

einen zu stürmischen Überfall auf Nelly Sachs zu verhindern. Was angeboten und gereicht<br />

wurde, war mit deutschen Maßstäben aller Buchmesse nicht zu messen, es war eher bescheiden.<br />

Man kam nicht nach dort, um zu essen und zu trinken, sondern um Menschen zu<br />

treffen, Gespräche zu führen, Gedanken auszutauschen. Was Reichtum heißt, wurde einem<br />

da wieder einmal vor Augen geführt. Nach Erläuterungen kundiger Schweden gilt zwar das<br />

Interesse von Bonnier, der mit Kindern und Enkeln in reichem Maß auf dem Empfang vertreten<br />

war, immer noch in erster Linie dem Verlag, aber seine wirtschaftlichen Interessen gehen<br />

weit darüber hinaus. Zwei Zeitungen – Dagens Nyheter und eine Abendzeitung – gehören<br />

ihm genauso wie Wälder, Papierfabriken und andere Industrien. Außerdem soll er in Südamerika<br />

große wirtschaftliche Interessen haben, die er 1940, als er einen Teil seiner schwedischen<br />

Besitzungen verkaufte, dort erworben hat.<br />

Auf besonderen Wunsch von Dr. Holmquist und Nelly Sachs gingen meine Frau und ich dann<br />

auch noch zum Chanucka-Fest, dem Lichterfest der jüdischen Gemeinde. Mit gewissen<br />

Hemmungen folgte ich dieser Einladung, und es war mir nicht übermäßig angenehm, in der<br />

zweiten Reihe direkt hinter den beiden Nobelpreisträgern placiert zu werden. Die Feier<br />

selbst– es ließe sich viel darüber sagen –, aber es ist vielleicht wichtiger von einem anschließenden<br />

Gespräch zu berichten. Ich stand in einer Ecke und den Empfehlungen von Holmquist<br />

folgend, sprach ich nur schwedisch bzw. englisch, bis plötzlich ein Rabbiner der<br />

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Liao <strong>2012</strong><br />

Sansal 2011<br />

Grossman 2010<br />

Magris 2009<br />

Kiefer 2008<br />

Friedländer 2007<br />

Lepenies 2006<br />

Pamuk 2005<br />

Esterházy 2004<br />

Sontag 2003<br />

Achebe 2002<br />

Habermas 2001<br />

Djebar 2000<br />

Stern 1999<br />

Walser 1998<br />

Kemal 1997<br />

Vargas Llosa 1996<br />

Schimmel 1995<br />

Semprún 1994<br />

Schorlemmer 1993<br />

Oz 1992<br />

Konrád 1991<br />

Dedecius 1990<br />

Havel 1989<br />

Lenz 1988<br />

Jonas 1987<br />

Bartoszewski 1986<br />

Kollek 1985<br />

Paz 1984<br />

Sperber 1983<br />

Kennan 1982<br />

Kopelew 1981<br />

Cardenal 1980<br />

Menuhin 1979<br />

Lindgren 1978<br />

Kołakowski 1977<br />

Frisch 1976<br />

Grosser 1975<br />

Frère Roger 1974<br />

The Club of Rome 1973<br />

Korczak 1972<br />

Dönhoff 1971<br />

Myrdal 1970<br />

Mitscherlich 1969<br />

Senghor 1968<br />

Bloch 1967<br />

Bea/Visser 't Hooft 1966<br />

Sachs 1965<br />

Marcel 1964<br />

Weizsäcker 1963<br />

Tillich 1962<br />

Radhakrishnan 1961<br />

Gollancz 1960<br />

Heuss 1959<br />

Jaspers 1958<br />

Wilder 1957<br />

Schneider 1956<br />

Hesse 1955<br />

Burckhardt 1954<br />

Buber 1953<br />

Guardini 1952<br />

Schweitzer 1951<br />

Tau 1950


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Aus Aus den den Archiven<br />

Archiven<br />

der Gemeinde zu mir kam und mich auf deutsch ansprach und dann sagte, wir könnten uns<br />

ja auch weiter auf deutsch unterhalten. Es dauerte nicht lange und eine größere Gruppe<br />

ehemaliger Berliner – Emigranten – stand mit mir zusammen und erzählten. Sie alle, heute<br />

zum Teil pensioniert, haben gespielt bzw. spielen noch jetzt im wissenschaftlichen Leben<br />

eine große Rolle als Ärzte, Physiker, Chemiker und Theologen. Ihre Einstellung zu Deutschland<br />

ist natürlich sehr unterschiedlich und hebt sich stark von jener ab, die heute von den 40<br />

und 50jährigen vertreten wird. Aber diese Gruppe Berliner im Alter von 60 Jahren und darüber<br />

hat auch heute noch erstaunlich viel Good Will für Deutschland, fühlen sich nach wie<br />

vor als Deutsche, wissen es, daß sie es im Grunde nicht mehr sein können und leiden unter<br />

diesem Zwiespalt genauso wie wir es bei Nelly Sachs festgestellt haben.<br />

Das offizielle <strong>Friedenspreis</strong>foto.<br />

© Riwkin/<strong>Friedenspreis</strong>archiv<br />

10.12.<br />

Tag <strong>des</strong> Nobel-Festes. Alle öffentlichen Gebäude geflaggt. Geschäfte, die Fracks verleihen,<br />

seit Tagen ausverkauft. Taxis für diesen Tag überhaupt nicht zu bekommen, wenn nicht bereits<br />

Tage zuvor bestellt. Sturm peitscht Regen, Matsch und Schnee durch die Straßen, so daß<br />

die Damen, die Abendkleider bis über die Kniee geschürzt, in hohen Schaftstiefeln aus den<br />

Taxis steigen, um einigermaßen trocken ins Konzerthaus zu kommen. Das Konzerthaus, ein<br />

etwas verstaubter Bau noch aus der Zeit vor dem 1. Weltkrieg, und im Hinblick auf die Monarchie<br />

mit zwei Rängen ausgestattet. Die Garderoben festlich: die Damen nicht in Abendkleidern,<br />

sondern wirklich noch in Roben. Die Herren, abgesehen von einigen Studenten im<br />

3. Rang an der Seite auf Stehplätzen, nur im Frack mit Orden wie Weihnachtsbäume behängt.<br />

Selbst die Reporter von Fernsehen, Rundfunk und Presse alle im Frack. Den Ordnungsdienst<br />

versehen Studenten, ausgesucht hübsche Jungen, im Frack mit der weißen Studentenmütze<br />

und der blaugelben Schärpe, die min<strong>des</strong>tens zwei Fremdsprachen beherrschen. In der Reihe<br />

14, also im ersten Drittel <strong>des</strong> Parketts ist eine ganze Reihe nur für Freunde von Nelly Sachs<br />

reserviert. Dort u.a. Siegfried Unseld, Prof. Berendson, der Berliner Bankier Scheuermann mit<br />

Tochter, Werner Weber mit Frau usw. Der Einzug der Nobelgäste kann einen Spötter dazu<br />

bringen, von einer nicht hundertprozentigen Oper zu sprechen, aber man kann sich doch der<br />

Wirkung dieser ungebrochenen Tradition nicht entziehen. Die Reden zum Teil hervorragend,<br />

die Laudatio auf den Physiker, von einer Professorin gehalten, die anzusehen allein eine<br />

Freude war, abgesehen davon, daß auch dem Laien ihre Ausführungen verständlich waren.<br />

Die Laudatio auf die Mediziner hält ein Professor aus Stockholm, völlig frei ohne Konzept,<br />

einschl. der letzten drei, vier Minuten, wo er in die englische Sprache hinüberwechselt. Am<br />

nichtssagendsten die Rede auf die beiden Literaturpreisträger. Aber insgesamt eine sehr<br />

eindrucksvolle Feier.<br />

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Liao <strong>2012</strong><br />

Sansal 2011<br />

Grossman 2010<br />

Magris 2009<br />

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Walser 1998<br />

Kemal 1997<br />

Vargas Llosa 1996<br />

Schimmel 1995<br />

Semprún 1994<br />

Schorlemmer 1993<br />

Oz 1992<br />

Konrád 1991<br />

Dedecius 1990<br />

Havel 1989<br />

Lenz 1988<br />

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Bartoszewski 1986<br />

Kollek 1985<br />

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Sperber 1983<br />

Kennan 1982<br />

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Lindgren 1978<br />

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Korczak 1972<br />

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Mitscherlich 1969<br />

Senghor 1968<br />

Bloch 1967<br />

Bea/Visser 't Hooft 1966<br />

Sachs 1965<br />

Marcel 1964<br />

Weizsäcker 1963<br />

Tillich 1962<br />

Radhakrishnan 1961<br />

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Heuss 1959<br />

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Wilder 1957<br />

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<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Aus Aus den den Archiven<br />

Archiven<br />

Anschließend ging es zum Bankett ins Stadthaus, wobei meine Frau und ich zu den Glücklichen<br />

gehörten, denen von der Nobelstiftung ein Taxi gestellt wurde. Wer das Stadthaus von<br />

Stockholm nicht kennt, kann sich keine Vorstellung davon machen. Es ist das erste große<br />

Gebäude von Stockholm, in einer Gotik der Jahrhundertwende, das etwa 1918 fertig wurde<br />

ohne Mithilfe ausländischer Künstler. Es dient den großen repräsentativen Veranstaltungen,<br />

und zwar sowohl <strong>des</strong> öffentlichen wie auch <strong>des</strong> gesellschaftlichen Lebens. Im Goldenen Saal<br />

war für ca. 600 Personen gedeckt. Dazu kamen noch etwa 100 Gäste im Nebensaal und ca.<br />

200 Studenten in der Blauen Halle, die den Sälen vorgelagert ist. Auch hier hatte die Nobelstiftung<br />

bei der Tischordnung gewisse Interessenkreise berücksichtigt, und an unserem<br />

Tisch, der, wenn man eine Rangordnung aufstellen will, zu dem Viertel gehörte, das dem<br />

König am nächsten war, saßen Schriftsteller, Presseleute und Freunde von Nelly Sachs. Hier<br />

sprachen dann die Preisträger selbst. Und was wir bereits in Frankfurt erlebt haben, zeigte<br />

sich auch hier, daß Nelly Sachs mit ihrer kleinen zerbrechlichen Gestalt, nicht nur, weil sie<br />

Frau ist, sondern tatsächlich dank ihrer Ausdruckskraft, den stärksten Erfolg erzielte. Im<br />

Anschluß an das Essen war dann in der Blauen Halle (die in Wirklichkeit ziegelrot ist) der<br />

Aufmarsch der Studenten mit ihren Fahnen, ein zauberhaftes Bild. Die Laudatio der Studenten<br />

auf die Nobelpreisträger, zudem von einer entzückenden Studentin gehalten, ohne Konzept,<br />

in einem, wie mir nachher ein englischer Journalist sagte, fehlerfreien englisch.<br />

Auch beim <strong>Friedenspreis</strong> wird auf das Protokoll geachtet. Nelly Sachs bei der<br />

Ankunft vor der Frankfurter Paulskirche. © Lutz Kleinhans<br />

Die Studenten rückten wieder ab, stellten ihre Fahnen etwas pietätlos in die Ecke. Die Tanzkapelle<br />

intonierte einen Wiener Walzer, und wie kein Regisseur es auch nur annähernd hätte<br />

besser arrangieren können, rannten die Studenten zu ihren Studentinnen, und die Blaue<br />

Halle, die spielend 250 Tanzpaaren Platz bietet, begann zu leben, oder, wie es lt. Zeitplan<br />

hieß: 22,20 Uhr Beginn <strong>des</strong> Balls. Die Königlichen Hoheiten verschwanden, Nelly Sachs,<br />

umgeben von Holmquist, Unseld, Werner Weber und meiner Frau und mir, verdrückten sich<br />

an einen kleinen Tisch in der Ecke der Blauen Halle, und die geehrte Nobelpreisträgerin tat<br />

den Ausspruch: „Der König hat mich nur zu Wasser eingeladen, weil er meinte, in unserem<br />

Alter wäre es das gesün<strong>des</strong>te. Jetzt möchte ich aber auch noch ein Glas Sekt“. Und so hielt sie<br />

denn von allen Nobelpreisträgern am längsten aus, und es hätte nicht viel gefehlt, daß sie mit<br />

Unseld oder mir noch mal einen Walzer getanzt hätte. Sie tat es dann nachher nicht, weil sie<br />

meinte, es gehöre sich nicht; aber noch an den nächsten Tagen war ein kleines Bedauern ob<br />

dieser nicht ausgenützten Gelegenheit zu registrieren. Meine Frau und ich sind dann noch<br />

durch diese Riesenräume gegangen, haben auch selbst noch wie in jungen Jahren getanzt.<br />

Unseld war ob der schwedischen Studentinnen (auch ich habe selten soviel bildhübsche,<br />

gutgewachsene und gutangezogene Mädchen in solchem Rahmen gesehen) hell begeistert.<br />

Was Sie vielleicht besonders interessieren wird, daß ich von verschiedenen schwedischen<br />

Journalisten und Schriftstellern auf den <strong>Friedenspreis</strong> angesprochen wurde, wobei es zunächst<br />

einmal darum ging, Begriffe zurechtzurücken und zu betonen, daß der <strong>Friedenspreis</strong><br />

kein Literaturpreis ist.<br />

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Liao <strong>2012</strong><br />

Sansal 2011<br />

Grossman 2010<br />

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<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

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Archiven<br />

Durch die Verleihung <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es an Nelly Sachs hat dieser Preis <strong>des</strong> Buchhandels in<br />

ganz Skandinavien und, was auch ein Gespräch mit einem israelischen und einem englischen<br />

Journalisten ergab, entscheidend im Ausland an Bedeutung gewonnen. Es ist heute ein<br />

Preis, der über den Rahmen der deutschen Öffentlichkeit hinauswächst, wobei nicht zuletzt<br />

die Art der Verleihungsfeier und die Übertragung durch Fernsehen und Rundfunk eine entscheidende<br />

Rolle spielen.<br />

Nelly Sachs ‚schwebt‘ aus der Paulskirche hinaus. © Lutz Kleinhans<br />

11.12.<br />

An diesem Tag war offiziell nichts für mich vorgesehen, da am Tag nach der Nobelpreisverleihung<br />

immer der König die Vertreter der schwedischen Akademie und die Nobelpreisträger<br />

zu einem Essen ins Schloß bittet. Nelly Sachs hatte am Abend vorher gezögert, und es war<br />

rührend zu hören, wie sie jetzt die Worte <strong>des</strong> Königs wiedergab, der gesagt hatte, sie solle<br />

ruhig zu ihm ins Schloß kommen; im Schloß wären sie alle sehr nett, und außerdem habe er<br />

im Schloß sehr schöne Sachen, die er ihr persönlich zeigen wolle. Dieses Versprechen hat der<br />

König dann auch am Abend vor Beginn <strong>des</strong> Banketts in die Tat umgesetzt, und Nelly Sachs<br />

so einige alte Bücher, Stiche und besondere Steine und Porzellane gezeigt. Daß er außerdem<br />

mit ihr die ganze Zeit nur deutsch sprach und sie nicht in die Verlegenheit brachte, ihr<br />

schlechtes Schwedisch zu zeigen, war eine besonders schöne Geste <strong>des</strong> alten Herrn. An diesem<br />

Abend hatten sich jedoch auf Wunsch der Nobelpreisträgerin Werner Weber, Bengt<br />

Holmquist und Amos Elon (der im Herbst bei Kindler das Buch „In einem heimgesuchten<br />

Land“ veröffentlicht hat, das in der „Zeit“ und im „Spiegel“ sehr heftig diskutiert wurde) und<br />

ich zusammengefunden. Was die Ergiebigkeit von Gesprächen anbelangt, so war dieser<br />

Abend sicherlich am fruchtbarsten, für mich jedoch oft sehr schwierig. Wir haben etwa drei<br />

Stunden zusammengesessen und sind dann ins Schloß gefahren, um in einem der Vorräume<br />

Nelly Sachs in Empfang zu nehmen. Auch im Schloß gibt es Kurzschluß, und gerade in dem<br />

Augenblick, als die Gäste das Schloß verlassen sollten, brannten auf den großen Treppen<br />

keine Lichter. So kamen denn die Gäste, von Dienern mit Taschenlampen begleitet, die Treppe<br />

herunter. Als Letzte erschien Nelly Sachs, aber ihr wurde nicht mit Taschenlampen geleuchtet,<br />

sondern ein livrierter, uralter Diener trug einen Kerzenkandelaber voraus, und dann<br />

folgte diese kleine Frau, von einem Kammerherrn geleitet, bis wir sie dann durch Schnee und<br />

Eis wieder in ihren Nobel-Wagen setzen konnten.<br />

12.12.<br />

An diesem Tag gab die israelische Botschaft einen Empfang, der ja ursprünglich später geplant<br />

war. So hatte ich keine Einladung und war eigentlich recht froh, nicht hingehen zu<br />

müssen. Aber Nelly Sachs legte auf meine Begleitung entscheidenden Wert und ließ durch<br />

Bengt Holmquist bei der israelischen Botschaft für mich eine Einladung erbitten, die auch<br />

prompt kam. An diesem Mittag hatte Unseld ein Essen gegeben, an dem u.a. außer den<br />

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Liao <strong>2012</strong><br />

Sansal 2011<br />

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Sontag 2003<br />

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Habermas 2001<br />

Djebar 2000<br />

Stern 1999<br />

Walser 1998<br />

Kemal 1997<br />

Vargas Llosa 1996<br />

Schimmel 1995<br />

Semprún 1994<br />

Schorlemmer 1993<br />

Oz 1992<br />

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Sachs 1965<br />

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Wilder 1957<br />

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Hesse 1955<br />

Burckhardt 1954<br />

Buber 1953<br />

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Schweitzer 1951<br />

Tau 1950


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Aus Aus den den Archiven<br />

Freunden von Nelly Sachs noch Lagercrantz, Herausgeber der „Dagens Nyheter“ teilnahm,<br />

und anschließend ging es dann zu dem Empfang der israelischen Botschaft. Was dort angeboten<br />

wurde an Alkohol, kalten Platten usw. entsprach dem Rahmen der Frankfurter Buchmesse.<br />

Ich wurde während dieses Empfangs, wenn ich nicht gerade meinen Wachdienst bei Nelly<br />

Sachs versah, immer wieder von einem Rabbiner in Gespräche über Deutschland verwickelt.<br />

13.12.<br />

An diesem Tag war es mir möglich, eine große Anzahl von Büchern, die ich mit nach Schweden<br />

genommen hatte, von Nelly Sachs signieren zu lassen. Ich freue mich ganz besonders,<br />

daß sie dabei, was bei ihr eine große Seltenheit ist, ein Buch für Sie persönlich signiert hat.<br />

An diesem Tag habe ich dann auch etwas Privatsekretärdienste bei Nelly Sachs verrichtet<br />

und eine Reihe von Briefen gelesen und empfohlen, was mit ihnen geschehen soll. Die Bettelbriefe<br />

und die Wünsche um Äußerungen in bestimmten Dingen reichen ja von einem Extrem<br />

bis zum anderen. Die Inhaberin eines Geschäftes für Schiffsausrüstungen schrieb, daß<br />

ihre Firma Konkursanmelden müsse, wenn Nelly Sachs ihr nicht 100.000 Kronen schicke,<br />

und ein Junge. Lt. Brief 18 Jahre, aus dem Harz, wollte wissen, ob Nelly Sachs es für seine<br />

weitere Entwicklung für gefährlich hielte, wenn er noch Karl-May-Bücher liest. Zwischen<br />

diesen beiden Polen gab es Hunderte von Varianten: Glückwünsche sowohl aus Israel wie<br />

aus Danzig, aus Moskau, aus Polen. Dazu Blumen, Orchideen und Riesenstöße von Glückwunschadressen.<br />

Als ich das sah, habe ich Ihren Brief nicht, wie ich vorhatte, mit einer Rose<br />

übergeben, sondern ihn in eine Kiste mit Sekt, die meine Frau und ich ihr persönlich zu<br />

ihrem 75. Geburtstag schenkten, hineingesteckt. Ich will nicht sagen, daß dieses Geschenk<br />

ihr am meisten Freude gemacht hat, aber, da es der einzige Sekt war, den man ihr aus Anlaß<br />

<strong>des</strong> Nobelpreises überreicht hatte, wurde dieser Karton mit großer Aufmerksamkeit registriert,<br />

und sie hat mich gebeten, Ihnen auch sehr herzlich dafür zu danken, und Weihnachten<br />

würde sie, wenn die Flaschen geöffnet werden, auf unser Wohl trinken.<br />

14.12.<br />

An diesem Tag gab der deutsche Botschafter seinen Empfang. Der Kreis der Besucher war<br />

nicht sehr groß, vielleicht 50 oder 60, darunter u.a. Max Tau, Thomas v. Vegesack, wieder<br />

Olof Lagercrantz. Die Laudatio hielt Walter Jens, sehr gut, indem er auf die politische Situation<br />

von Deutschland einging. Die Gedichte von Nelly Sachs bezeichnete er als ein großes<br />

Geschenk an das deutsche Volk und sagte u.a., man solle Hitler nicht den Triumph gönnen,<br />

eine ewige Feindschaft zwischen Juden und <strong>Deutschen</strong> geschaffen zu haben. Die Resonanz<br />

dieser Worte war sehr stark. Ich wurde von vielen angesprochen. Es hieß, warum Walter Jens<br />

bisher in Deutschland mit keinem Preis ausgezeichnet sei. Auch der Botschafter kam noch<br />

extra zu mir und bezeichnete das als einen Skandal. Doch in Stockholm die Gründe aufzuzeigen,<br />

die dazu führen, daß Jens zwischen den Fronten steht, war nicht möglich, wobei ich<br />

vielleicht auch etwas befangen bin, da ich mit Walter Jens seit 15 Jahren gut bekannt, ja fast<br />

etwas befreundet bin. Mit Max Tau konnte ich auch noch länger sprechen. Er hat mir sehr<br />

herzliche Grüße an Sie aufgetragen und mich direkt beschworen, ich solle ja nicht vergessen,<br />

Ihnen diese Gründe zu bestellen. Dieser Empfang beim deutschen Botschafter war der Abgesang<br />

der festlichen Stockholmer Tage. Gewiß habe ich, wenn ich mit dem Taxi von einem<br />

Gespräch zum anderen fuhr – ich habe ja nicht jede Verabredung und jede Unterhaltung in<br />

diesem Bericht an Sie aufgezeichnet – manchmal geseufzt und es als Strapaze empfunden,<br />

aber jetzt rückblickend kann ich nur wieder sagen: es war ein ganz großes Erlebnis. Zwar<br />

habe ich bewußt vermieden, mich irgendwie nach vorne zu drängen, aber durch viele Gespräche<br />

ist es mir wohl gelungen, den Börsenverein und besonders auch den Stiftungsrat <strong>des</strong><br />

<strong>Friedenspreis</strong>es so zu vertreten, wie es sicherlich auch Ihnen entspricht. Die Zahl der Grüße,<br />

die mir an den Börsenverein, an den Stiftungsrat und auch teilweise an Sie persönlich aufgetragen<br />

wurden, ist sehr zahlreich. Die Tatsache, daß Nelly Sachs ohne den <strong>Friedenspreis</strong> wohl<br />

kaum den Nobelpreis erhalten hätte, wurde mir wiederholt ganz offen gesagt, auch in Gegenwart<br />

von Nelly Sachs. Der deutsche Buchhandel hat mit diesem Preis eine Möglichkeit,<br />

von der die meisten Mitglieder <strong>des</strong> Börsenvereins überhaupt nichts ahnen.<br />

Ihnen möchte ich noch einmal danken, daß Sie mich mit der Aufgabe, den Börsenverein und<br />

den Stiftungsrat <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es in Stockholm zu vertreten, beauftragt haben.<br />

Ihr<br />

Hans-Heinrich Peters<br />

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Liao <strong>2012</strong><br />

Sansal 2011<br />

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Habermas 2001<br />

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Walser 1998<br />

Kemal 1997<br />

Vargas Llosa 1996<br />

Schimmel 1995<br />

Semprún 1994<br />

Schorlemmer 1993<br />

Oz 1992<br />

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Frisch 1976<br />

Grosser 1975<br />

Frère Roger 1974<br />

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Sachs 1965<br />

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Tillich 1962<br />

Radhakrishnan 1961<br />

Gollancz 1960<br />

Heuss 1959<br />

Jaspers 1958<br />

Wilder 1957<br />

Schneider 1956<br />

Hesse 1955<br />

Burckhardt 1954<br />

Buber 1953<br />

Guardini 1952<br />

Schweitzer 1951<br />

Tau 1950


<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

Vortrag Vortrag über über den den den <strong>Friedenspreis</strong><br />

<strong>Friedenspreis</strong><br />

Sonnenblumen & Wasserwerfer – Hinter den<br />

Kulissen der <strong>Friedenspreis</strong>verleihung<br />

Das Korsakow-System oder non-lineares Erzählen als Prinzip einer<br />

etwas anderen Vortrags-Form zur Geschichte <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es<br />

+ + + September 1968: Studenten demonstrieren gegen die Verleihung <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es an den senegalesischen<br />

Präsidenten Senghor. Die Demonstration endet in Gewalt. Außenminister Willy Brandt flüchtet mit dem Preisträger in<br />

einem Taxi in den Norden Frankfurts. + + + April 1995: Nach der Bekanntgabe, dass Annemarie Schimmel den <strong>Friedenspreis</strong><br />

erhält, wird lautstark Kritik an der Islamwissenschaftlerin geübt, nachdem ein Interview mit ihr im Fernsehen<br />

nicht vollständig wiedergegeben wird und so der Eindruck entsteht, sie würde die Fatwa gegen Salman Rushdie für<br />

richtig halten. + + + September 2001: Terroristen entführen Flugzeuge und verändern mit den Anschlägen auf das<br />

World Trade Center und das Pentagon das Weltgefüge. Die Menschen suchen nach Antworten auf die unfassbaren Terrorakt.<br />

Jürgen Habermas ändert seine <strong>Friedenspreis</strong>rede und versucht ein erstes Erklärungsmodell. + + + Oktober 2003:<br />

Susan Sontag erhält den <strong>Friedenspreis</strong>. Die deutschen Politiker bleiben der Verleihung fern. Liegt es an den gleichzeitigen<br />

Herbstferien oder an der Angst, die guten Beziehungen zu den USA, die bereits durch die Weigerung Deutschlands<br />

leiden, am Irak-Krieg teilzunehmen, noch weiter zu gefährden? + + + Oktober 2008: <strong>Friedenspreis</strong>träger Anselm Kiefer<br />

erläutert seine Faszination an der ästhetischen Wirkung von Gewalt und Zerstörung, von Trümmerhaufen und Völker<br />

trennenden Mauern. Frisch geschrittene Sonnenblumen hingegen sind ihm ein Graus. + + +<br />

Es ist spannend, die Geschichte <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es im<br />

Spiegel der historischen Ereignisse zu betrachten. Noch<br />

interessanter und erkenntnisreicher kann es werden,<br />

wenn die lineare Abfolge verlassen und zudem neben den<br />

historischen Ereignissen ein Blick hinter die Kulissen<br />

gewagt wird. Mit dem Prinzip <strong>des</strong> Korsakow-Systems<br />

haben wir für den <strong>Friedenspreis</strong> eine Vortragsform übernommen,<br />

bei der das Publikum entscheidet, worüber der<br />

Vortragende spricht. Mit Hilfe von Laser-Pointern wählt es<br />

die Themen aus, kann Fragen stellen oder selbst einen<br />

Beitrag abgeben. Jede Veranstaltung nimmt dadurch einen<br />

anderen Verlauf. Der Vortragende verpflichtet sich dabei,<br />

drei Grundsätze zu beachten: den Grundgedanken <strong>des</strong><br />

<strong>Friedenspreis</strong>es zu vermitteln, das Publikum hinter die<br />

Kulissen <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es blicken zu lassen und die<br />

durch das Publikum ausgewählten Themen inhaltlich<br />

miteinander zu verbinden, ohne den Weg der Wahrheit zu<br />

verlassen.<br />

Der russische Nervenarzt Sergej Sergejewitsch Korsakow<br />

(1854-1900) ist der Namensgeber <strong>des</strong> beschriebenen<br />

Korsakow-Systems. Nach Korsakow ist zudem eine Form<br />

32<br />

der von ihm diagnostizierten Amnesie benannt, die häufig<br />

bei Alkoholkranken festzustellen ist. Die Beeinträchtigungen<br />

<strong>des</strong> Gedächtnisses führen oft dazu, dass sich Patienten<br />

mit dem Korsakow-Syndrom nicht mehr in ihrer örtlichen<br />

und zeitlichen Umgebung zurechtfinden. Das Korsakow-Institut<br />

für non-lineare Erzählkultur in Berlin, das<br />

von Florian Thalhofer gegründet wurde, hat über diese Art<br />

von Amnesie und ihre Folgen einen Film gedreht und<br />

dafür das übliche Erzählmuster verlassen. Daraus wurde<br />

das Korsakow-System entwickelt, eine Software, mit der<br />

unter anderem Filme produziert werden können, bei denen<br />

die Geschichten nicht vorgegebenen Erzählsträngen<br />

folgen, sondern mit einer neuen Art der Erzählkunst experimentiert<br />

wird.<br />

Der 60-90minütige Vortrag über die Geschichte <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es<br />

mit dem Titel „Sonnenblumen & Wasserwerfer<br />

- Hinter den Kulissen <strong>des</strong> <strong>Friedenspreis</strong>es“ von Martin<br />

Schult eignet sich für Bibliotheken, Universitäts-Seminare<br />

und alle literarischen und geschichtsbewussten Kreise.<br />

Anfragen für einen Vortrag können an m.schult@boev.de<br />

gerichtet werden.<br />

Die „<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels“<br />

erscheinen mehrmals im Jahr. Die aufgeführten Meldungen und Termine sowie vieles mehr finden Sie auch unter<br />

www.friedenspreis-<strong>des</strong>-deutschen-buchhandels.de. Artikel, Terminhinweise und Anregungen sind herzlich willkommen!<br />

Mit einer Email an m.schult@boev.de können Sie sich für diese <strong>Mitteilungen</strong> an- oder abmelden.<br />

Kontakt:<br />

Börsenverein <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels<br />

Geschäftsstelle <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels – Martin Schult<br />

Schiffbauerdamm 5, 10117 Berlin<br />

Tel. 030/2800 783-44, Fax 030/2800 783-50<br />

Mail: m.schult@boev.de<br />

Internet: www.friedenspreis-<strong>des</strong>-deutschen-buchhandels.de

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