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Mitteilungen Sommer 2012 - Friedenspreis des Deutschen ...

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<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />

„Widerreden „Widerreden – Der Der <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels“<br />

Man muss sich die Möglichkeit zum Widerspruch bewahren,<br />

um im Fall von Meinungsverschiedenheiten, bisweilen<br />

auch nach langen Diskussionen, zu einem gemeinsamen<br />

Verständnis zu kommen oder zumin<strong>des</strong>t zu einem<br />

„let us agree to disagree“. Das aber haben die Protagonisten<br />

der Studentenbewegung weitgehend abgelehnt, sie<br />

übten und forderten Gesinnungszwang. Ich glaube, diese<br />

Erfahrung hat, zusammen mit der persönlich gefühlten<br />

Veränderung, in meinem Mann ein resignatives Gefühl<br />

ausgelöst, das dann auch in der <strong>Friedenspreis</strong>rede seinen<br />

Ausdruck fand. In den Jahren vorher war er noch zuversichtlicher<br />

und optimistischer.<br />

Unter den Gästen in der Paulskirche befanden sich auch Jürgen<br />

Habermas und seine Frau Ute Habermas-Wesselhoef.<br />

© Lutz Kleinhans<br />

In seiner Dankesrede sprach Alexander Mitscherlich auch<br />

über die Dummheit der Menschen, die zu infantiler Abhängigkeit<br />

verleitet und sie <strong>des</strong>halb nicht davor zurückhält,<br />

auf Befehl auch ungerechte Gewalt gegen die Mitmenschen<br />

zu üben. Vielleicht hat er sich die Frage der<br />

Dummheit als Ursache der Verbrechen zu einfach beantwortet.<br />

Waren es nicht auch kluge, intelligente Leute, die<br />

auf die offensichtlichen Lügen und die paranoiden Behauptungen<br />

der Nationalsozialisten hereingefallen sind<br />

oder diese willfährig, sogar jubelnd angenommen haben?<br />

Menschen wie Martin Heidegger oder Carl Schmitt hätte<br />

der eigene Verstand doch schnell eines anderen belehren<br />

müssen? Sie haben sich aber begeistert in den Dienst<br />

einer menschenverachtenden Ideologie gestellt. Intelligenz<br />

ist sektoral, wer wissenschaftlich hoch intelligent<br />

ist, muss nicht zugleich auch sozial intelligent sein. Es<br />

gibt eine sehr tief sitzende Dummheit auch bei intelligenten<br />

Menschen, die oft mit einer Unfähigkeit zu kritischdistanzierter<br />

Selbstbetrachtung verbunden ist.<br />

Ebenso diskussionswürdig ist die These Alexander Mitscherlichs,<br />

dass der Krieg, entgegen der berühmten Formulierung<br />

von Clausewitz nicht die Fortführung der Politik<br />

mit anderen Mitteln sei, sondern vielmehr der genaue<br />

Gegensatz. Ich glaube, die Frage nach dem Wesen der<br />

Politik ist nicht so einfach zu beantworten, auch sie führt<br />

zu großen Kontroversen. Politik ist eine Sphäre, in der die<br />

Interessen vieler Menschen aufeinander treffen. Politik<br />

zielt auf die Ordnung eines ganzen Lan<strong>des</strong>, an der – im<br />

22<br />

Falle eines Erfolges – alle aus freiem Willen teilnehmen<br />

müssen. Und sie steht immer wieder vor neuen Herausforderungen.<br />

Ein Beispiel dafür ist der aktuelle Konflikt<br />

zwischen der islamischen und der vielfach christlich<br />

geprägten westlichen Welt. Er lässt sich nicht leicht entschärfen<br />

oder so auflösen, wie wir uns das wünschen.<br />

Eine Feministin etwa steht vor der Frage, was sie tun<br />

kann, um die Unterdrückung von Frauen in manchen<br />

islamischen Ländern zu verhindern? Ebenso verhält es<br />

sich bei der Überlegung, was geschehen soll, wenn meine<br />

Landsleute, die Dänen, in der Tageszeitung Jyllands Posten<br />

politische Karikaturen mit der Figur <strong>des</strong> Propheten<br />

Mohammed abdrucken und dafür plötzlich mit dem Tod<br />

bedroht werden? Sie meinen doch, den Geist der Freiheit<br />

zu verteidigen. Und weil sie ohnehin die Welt und alle<br />

Ereignisse in ihr gerne ironisch betrachten, ist es für sie<br />

eine Selbstverständlichkeit, dass sie in einer freien Presse<br />

auch Witze über beengtes Denken machen dürfen. Plötzlich<br />

wird ihnen dafür der Krieg erklärt. Ich meine, dass<br />

man solchen Konflikten nicht ausweichen kann. Es gibt<br />

nur eine Konsequenz: das freie Denken, das gegen alle<br />

Gefährdungen verteidigt werden muss.<br />

III. Krieg und Frieden – Schweigen und Sprechen<br />

Für den griechischen Philosophen Heraklit war der Krieg<br />

bekanntlich der Vater aller Dinge. Man könnte mit Blick<br />

auf die Psychoanalyse nach Sigmund Freud formulieren,<br />

dass der Konflikt der Vater alle Dinge sei. Denn nach<br />

seiner Deutung liegen die inneren Triebe und das Über-<br />

Ich beständig miteinander im Streit. Die wirklichen Völkerkriege<br />

sind aber damit nicht zu vergleichen. Sie entfesseln<br />

unvorstellbares Grauen und ermöglichen die völlige<br />

Verdrehung von Recht und Unrecht. Was in Friedenszeiten<br />

das größte Verbrechen ist – die Tötung eines Menschen<br />

–, wird im Krieg zur Pflicht erhoben. Wer dieser<br />

Pflicht nicht folgt, wird selber getötet, im Feld oder als<br />

vermeintlicher Deserteur. Einen Ausweg aus diesem<br />

Kreislauf der Gewalt gibt es im Krieg der Völker nicht.<br />

Viel schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie, im<br />

Gegensatz zum Krieg, der Frieden zu bestimmen ist. Es<br />

gibt keine einfache Definition. Mit der Erfahrung meiner<br />

Biographie wie auch meiner wissenschaftlichen Arbeit<br />

meine ich sagen zu können, Frieden ließe sich als ein<br />

herrschaftsfreier Diskurs beschreiben, in Anlehnung an<br />

Jürgen Habermas‘ wichtige Überlegungen in der Theorie<br />

<strong>des</strong> kommunikativen Handelns (1981)<br />

Diese besondere Form <strong>des</strong> Miteinander-Sprechens und<br />

Einander-Zuhörens – entwickelt in der intensiven Auseinandersetzung<br />

mit Immanuel Kant – muss nicht per se<br />

Frieden bedeuten. Aber sie führt dorthin, wo Frieden<br />

entstehen kann, über die Sprache und über den freien<br />

Austausch von gegensätzlichen Positionen. Wer Frieden<br />

schaffen will, muss sich mit anderen verständigen und<br />

seine Argumente kritisch auf Plausibilität hin überprüfen.<br />

Das geschieht allein durch Sprache. Auch die Psychoanalyse<br />

als „talking cure“ klärt uns über die unbewussten<br />

Motive unseres Verhaltens auf und verhindert so ein<br />

gewalttätiges Ausagieren.

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