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Mitteilungen Sommer 2012 - Friedenspreis des Deutschen ...

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<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels Frühling <strong>2012</strong><br />

Thema: Thema: <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>Friedenspreis</strong> <strong>2012</strong><br />

<strong>2012</strong><br />

"Es gibt keine Hoffnung für China"<br />

Ein Gespräch <strong>des</strong> „Börsenblatt-Wochenmagazin für den deutschen Buchhandel“ mit Liao Yiwu über die alltägliche<br />

Brutalität in China, die Überzeugungskraft <strong>des</strong> Gel<strong>des</strong>, Überleben im Gefängnis und das bittere<br />

Glück <strong>des</strong> Exils.<br />

Sie leben im deutschen Exil, in einem Wahl scheint es für Kritiker <strong>des</strong> Re- Fühlen Sie sich fernab von Ihrem Land<br />

Land, <strong>des</strong>sen Sprache Sie nicht begimes in China nicht zu geben. und den Menschen dort abgeschnitten<br />

herrschen. Wie geht es Ihnen hier, in<br />

von den Quellen Ihrer schriftstelleri-<br />

Berlin?<br />

schen Arbeit?<br />

Ich denke nicht viel über das Exil<br />

nach. Dafür lässt mir das Leben hier,<br />

meine Arbeit auch keine Zeit. Über<br />

das Internet bin ich außerdem in Kontakt<br />

mit meinen Freunden in China.<br />

Ich habe die Gewohnheit entwickelt,<br />

jeden Tag von meiner Wohnung in der<br />

Uhlandstraße zum Wilmersdorfer<br />

Volkspark zu spazieren, in der Nähe<br />

ist ein Friedhof. Ich empfinde eine<br />

große Ruhe dort. Zum Schluss erwartet<br />

jeden das Gleiche. Das Exil ist<br />

mein Schicksal. Dass ich einer Sprache<br />

nicht mächtig bin, beeinträchtigt<br />

nicht das Gefühl von Freiheit. Ich war<br />

in China häufiger in Regionen unterwegs,<br />

deren Sprache mir fremd war,<br />

gerade dort habe ich mich sehr frei<br />

gefühlt, fern von Überwachung.<br />

In China wurden Sie verfolgt, ins Gefängnis<br />

geworfen, die Veröffentlichung<br />

Ihrer Bücher unterdrückt. In<br />

Deutschland erhalten Sie renommierte<br />

Auszeichnungen: im vergangenen Jahr<br />

den Geschwister-Scholl-Preis und –<br />

wie jetzt bekannt wurde – am 14.<br />

Oktober <strong>2012</strong> den <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>Deutschen</strong> Buchhandels. Welche Empfindung<br />

weckt das, ist es eine mit<br />

Trauer vermischte Freude?<br />

Zunächst war ich für eine kurze Zeit<br />

fassungslos. Und dann wurde mir klar,<br />

dass ich ein Mensch bin, der unverschämtes<br />

Glück hat. Ich habe nicht<br />

mit Preisen gerechnet. Ich wollte lediglich<br />

vom Leben einfacher chinesischer<br />

Menschen erzählen.<br />

Als der mit Ihnen befreundete chinesische<br />

Regimekritiker Liu Xiaobo 2010<br />

den Friedensnobelpreis erhielt, blieb<br />

sein Platz in Stockholm leer. Er war<br />

zuvor zu elf Jahren Haft verurteilt und<br />

eingesperrt worden. Sie können den<br />

<strong>Friedenspreis</strong> in der Paulskirche in<br />

Frankfurt selbst entgegennehmen.<br />

Gefängnis oder Exil – eine andere<br />

© Foto: Ali Gandtschi/S.Fischer Verlag<br />

In China hat man mir damit gedroht,<br />

dass ich für lange Zeit verschwinden<br />

würde, sollte mein Buch "Für ein Lied<br />

und hundert Lieder" erscheinen. So<br />

habe ich beschlossen, ins Ausland zu<br />

gehen. Ich dachte nicht, dass sie es<br />

wagen würden, Liu Xiaobo erneut<br />

einzusperren. Beide wünschen wir uns<br />

Freiheit in China. Aber darüber hinaus<br />

sind wir sehr verschieden. Liu Xiaobo<br />

ist ein Intellektueller, für ihn sind<br />

Menschen wie Havel und Mandela<br />

Vorbilder. Er betrachtet sich als Anführer<br />

einer intellektuellen Elite. Ich<br />

selbst sehe mich als einen unpolitischen<br />

Schriftsteller, als ein Aufnahmegerät<br />

der Zeit. Ich schreibe auf, was<br />

andere Menschen mir erzählen. Die<br />

einfachen Leute sind mir näher, ich<br />

verstehe sie viel besser als die Elite.<br />

Ich sehe mich nicht auf einer Anhöhe,<br />

als kleine Ameise fühle ich mich am<br />

wohlsten. Als ich vom <strong>Friedenspreis</strong><br />

erfuhr und recherchiert habe, bin ich<br />

auf eine lange Liste von Preisträgern<br />

gestoßen, auf berühmte Intellektuelle<br />

– Václav Havel und Susan Sontag zum<br />

Beispiel. Ich dachte: Vielleicht hat sich<br />

der Börsenverein bei mir geirrt.<br />

6<br />

Ich habe viele gute und viele schlechte<br />

Dinge in China erlebt und aufgesogen.<br />

Eines Tages sagte mir die Polizei, dass<br />

ich ins Gefängnis muss. Als ich mich<br />

später auf den Weg in den Westen<br />

machte, befand sich in meinem Reisegepäck<br />

auch ausreichend Nahrung für<br />

weitere Bücher.<br />

In Ihrem Gefängnisbuch "Für ein Lied<br />

und hundert Lieder" berichten Sie von<br />

Folter und einem grausamen System<br />

von Bestrafungsritualen unter den<br />

Gefangenen selbst. Überleben kann<br />

nur, wer sich anpasst und die Regeln<br />

akzeptiert. Wie hat die Gefängniszeit<br />

Sie verändert?<br />

Vor dem Gefängnis war ich ein romantischer<br />

Dichter. Als ich mich dann in<br />

einer Zelle wiederfand, kam das einem<br />

Schock gleich. Es gab dort Menschen,<br />

wie ich sie nicht kannte, sie lebten<br />

zusammengepfercht auf wenig Raum,<br />

umgeben von Dreck und Gestank. Die<br />

haben mich am Anfang nur ausgelacht,<br />

weil ich nichts verstehen würde.<br />

Dabei hatte ich für meine Gedichte<br />

doch Preise bekommen. Mir wurde<br />

klar, dass ich gar nichts von den unteren<br />

Gesellschaftsschichten wusste. Ich<br />

habe also angefangen zu lernen, überhaupt<br />

lernen zu wollen, sonst hätte ich<br />

nicht überlebt. Als Neuling musste<br />

man zum Beispiel in der Hocke mit<br />

beiden Händen auf dem Kopf zum Klo<br />

hüpfen, ebenso zurück. Auf die Art<br />

wurde einem beigebracht, dass man<br />

ganz klein und erbärmlich ist. Man<br />

wurde zum Tier gemacht und nur so,<br />

als Tier, konnte man überleben. Es<br />

gibt viele, die entlassen werden und<br />

draußen nicht mehr leben können, die<br />

kehren schnell wieder zurück. Die<br />

chinesische KP hat einmal gesagt, das<br />

Gefängnis sei dazu da, die Knochen<br />

eines Menschen komplett durcheinanderzuschütteln.

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