Mitteilungen Sommer 2012 - Friedenspreis des Deutschen ...
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<strong>Mitteilungen</strong> zum <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels <strong>Sommer</strong> <strong>2012</strong><br />
„Widerreden „Widerreden – Der Der Frie <strong>Friedenspreis</strong> Frie<br />
denspreis <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels“<br />
„Der Frieden beginnt in der Familie“<br />
Margarete Mitscherlich über den Frieden, den <strong>Friedenspreis</strong><br />
<strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels und die Fähigkeit, zu trauern.<br />
I. Der <strong>Friedenspreis</strong> und die Fähigkeit zu trauern<br />
Der <strong>Friedenspreis</strong> <strong>des</strong> <strong>Deutschen</strong> Buchhandels, der nun<br />
zum 60. Mal vergeben wird, hat viel dazu beigetragen,<br />
über das Wort nachzudenken, das er in seinem Namen<br />
trägt: Frieden. Das sollte auch in Zukunft so bleiben. Für<br />
viele der bisherigen Preisträger – für meinen Mann Alexander<br />
Mitscherlich genauso wie etwa für Fritz Stern oder<br />
für Saul Friedländer – war dieses Nachdenken verbunden<br />
mit der Erinnerung und Aufforderung, das Leid der Vergangenheit<br />
in Deutschland weder zu vergessen noch zu<br />
begraben. Aus dem Gefühl der Trauer über die Verbrechen<br />
<strong>des</strong> Dritten Reiches erwächst die Verantwortung für<br />
den Frieden.<br />
Alexander Mitscherlich bei der <strong>Friedenspreis</strong>-<br />
verleihung 1969. © Lutz Kleinhans<br />
Wer nicht trauern kann, begibt sich in die Gefahr, die<br />
historische Schuld zu verdrängen. Aufgrund dieser Erfahrung<br />
haben Alexander Mitscherlich und ich begonnen,<br />
über die Unfähigkeit zu trauern nachzudenken. Die Ursprünge<br />
für unser daraus entstandenes Buch liegen dabei<br />
in der Auseinandersetzung mit dem Werk von Sigmund<br />
Freud sowie in vielen Gesprächen mit unseren jüdischen<br />
20<br />
Freunden und Kollegen. Wir haben immer wieder überlegt,<br />
warum Trauer Erinnerung bedeutet und warum sie,<br />
gerade in den 50er Jahren in Deutschland, so oft verdrängt<br />
wird. Und wir haben uns gefragt, warum man über<br />
verlorene Ideale anders trauert als über Menschen, die<br />
man verloren hat und denen man emotional zutiefst verbunden<br />
war.<br />
Auch über den Tod <strong>des</strong> noch vorher zum Ersatzgott erhobenen<br />
„Führers“ war Trauer nicht wahrzunehmen. Wie<br />
viele unserer Freunde standen wir der Tatsache,, dass in<br />
einem hoch zivilisierten und industrialisierten Land wie<br />
Deutschland ein so schreckliches und singuläres Verbrechen<br />
wie der Holocaust geplant und ausgeführt werden<br />
konnte, mehr oder weniger hilflos gegenüber. Daraus<br />
erwuchs eine tiefe Trauer: die Trauer um ein Land, das<br />
wir in hohem Maße idealisierten, die Trauer um eine<br />
Kultur, die in unserem Empfinden als besonders human<br />
gegolten hatte. Weder die Tradition dieses Lan<strong>des</strong> noch<br />
seine große Kultur haben es davor bewahrt, Frieden zu<br />
halten und die Würde <strong>des</strong> Menschen zu achten.<br />
Ich habe diese Enttäuschung und die mit ihr verbundene<br />
Trauer selbst erlebt: Ich wurde ein Jahr vor dem Ende <strong>des</strong><br />
Ersten Weltkriegs in Dänemark geboren, in einer binationalen<br />
Familie. Mein Vater war Däne, meine Mutter Deutsche.<br />
Meine Schulzeit habe ich bis zum 14. Lebensjahr in<br />
Dänemark verbracht, danach in Deutschland, um dort<br />
Abitur zu machen. ich war schon damals enttäuscht über<br />
die autoritäre Art <strong>des</strong> Unterrichts, auch über die Unfähigkeit<br />
mancher Lehrer, uns mit Humor und einer gewissen<br />
Leichtigkeit zu begegnen. Trotzdem war dieses Land der<br />
Dichter und Denker für mich ein großes Ideal. Ich bewunderte<br />
Deutschland und fühlte mich hier zu Hause, auch in<br />
der deutschen Sprache. Als ich später begann, die Beschränktheit,<br />
die Dummheit und die ideologische Engstirnigkeit<br />
der Nazizeit zu entdecken, wuchs meine Enttäuschung<br />
immer mehr. Mein Vater sagte mir, Hitler sei ein<br />
Verbrecher und wolle nur den Krieg. Im Übrigen sei er<br />
ein Nichts. Und nachdem Hitler den Krieg begonnen<br />
hatte, erkannten wir mehr und mehr die Unmenschlichkeit,<br />
die im Namen Deutschlands, <strong>des</strong> so geliebten Lan<strong>des</strong>,<br />
verübt wurde. Zuerst wurden die Schwachen, die<br />
Minderheiten, die sich nicht wehren konnten, verteufelt,<br />
dann wurden sie mit Füßen getreten und schließlich in<br />
Massen ermordet. Das war und ist das Widerlichste, was<br />
man sich als menschliches Tun vorstellen konnte. Wir<br />
haben uns entsprechend gewünscht, dass das nationalsozialistische<br />
Deutschland den Krieg verlieren sollte. Das<br />
war schmerzlich. Aber die Vorstellung, dass eine so falsche<br />
und menschenverachtende Ideologie für immer die<br />
Oberhand gewinnen würde, war für mich und meine<br />
Freunde unvorstellbar.