Claire Fontaine: Kultur ist ein Palast der aus ... - Galerie Neu
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MD72<br />
Mehringdamm 72<br />
10961 Berlin – Kreuzberg<br />
+49 (0)30 746 840 21<br />
mail@mehringdamm72.de<br />
<strong>Claire</strong> <strong>Fontaine</strong>: <strong>Kultur</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> <strong>Palast</strong> <strong>der</strong> <strong>aus</strong> Hundescheiße gebaut <strong>ist</strong><br />
05. Oktober – 13. November 2010<br />
Der Titel von <strong>Claire</strong> <strong>Fontaine</strong>s Ausstellung bei MD72 basiert auf <strong>ein</strong>em bei Theodor W.<br />
Adorno angeführten Zitat von Bertolt Brecht, dessen genaue Quelle jedoch im Dunkeln<br />
bleibt: <strong>Kultur</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> <strong>Palast</strong> <strong>der</strong> <strong>aus</strong> Hundescheiße gebaut <strong>ist</strong>. Die Künstlerin geht von <strong>der</strong><br />
Überlegung <strong>aus</strong>, dass, unsere <strong>Kultur</strong>, wie Brecht konstatiert, unübersehbar zu <strong>ein</strong>er prekären<br />
und jämmerlichen Konstruktion geworden <strong>ist</strong>, nicht in <strong>der</strong> Lage, den Übergriffen des<br />
Liberalismus Wi<strong>der</strong>stand zu le<strong>ist</strong>en und Körper und Objekte davor zu schützen, zu Waren zu<br />
werden.<br />
Zwei große, selbstreflexiv angelegte Schwarz-Weiß-Arbeiten beziehen sich auf das<br />
Vokabular von Bedienungsanleitungen. Eine wie <strong>ein</strong>e Werbetafel aufgestellte L<strong>ein</strong>wand zeigt<br />
<strong>ein</strong> Zitat <strong>aus</strong> dem bekannten Buch The Art of Se<strong>ein</strong>g von Aldous Huxley; <strong>der</strong> Text untersucht<br />
die Grenzen von Selbstbewussts<strong>ein</strong> und verhandelt auf humorvolle Weise die Illusion, über<br />
geschriebene Sprache kommunizieren zu können. Eine zweite Skulptur, Preparing a Painting<br />
to Travel, zeigt <strong>ein</strong>e technische Zeichnung, die die Vorgehensweise bei Verpackung und<br />
Transport von zweidimensionalen Kunstwerken demonstriert. Die Arbeit selbst <strong>ist</strong> <strong>ein</strong><br />
Siebdruck auf L<strong>ein</strong>wand und wird mithin nach <strong>der</strong> Ausstellung auf eben die beschriebene<br />
Weise behandelt werden. Das Bild, das erklärt, wie s<strong>ein</strong> Träger zu verpacken und zu schützen<br />
<strong>ist</strong>, offenbart den Objektcharakter des Gemäldes als <strong>ein</strong> tragisches Schicksal.<br />
Zwei von den Joke Paintings von Richard Prince inspirierte Serien von Arbeiten stehen in<br />
<strong>ein</strong>er wi<strong>der</strong>sprüchlichen Beziehung zu<strong>ein</strong>an<strong>der</strong>. Die gerahmten Drucke mit dem Titel Studies<br />
for Joke Paintings: Fight to Save Torture Images lehnen sich in <strong>der</strong> Gestaltung deutlich an<br />
Princes Arbeiten an, zeigen jedoch das Statement <strong>ein</strong>es ehemaligen Guantanamo-Häftlings,<br />
<strong>der</strong> gefoltert, unter unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten und schließlich für<br />
unschuldig befunden wurde. Da die photographischen Beweise dieser Gräueltaten <strong>aus</strong><br />
rechtlichen Gründen vernichtet wurden, bleiben lediglich die Wörter übrig, um an die<br />
Tatsachen zu erinnern, die so gr<strong>aus</strong>am und unsinnig sind wie <strong>ein</strong> rass<strong>ist</strong>ischer Witz.<br />
Die Joke Paintings (Richard and Marc) betitelten Gemälde auf L<strong>ein</strong>wand präsentieren<br />
Auszüge <strong>aus</strong> <strong>ein</strong>em Gespräch zwischen Richard Prince und Marc Jacobs, das anlässlich von<br />
Princes Entwürfen für die 2008 Kollektion von Louis Vuitton in <strong>ein</strong>er populären<br />
Modezeitschrift erschienen <strong>ist</strong>. In diesen auf monochrome L<strong>ein</strong>wände gedruckten Zitaten<br />
zeichnet sich <strong>ein</strong> ganzes Wörterbuch, <strong>ein</strong>e Ethik, <strong>ein</strong>e Vision von Kunst und Leben ab, die<br />
zutiefst zeitgenössisch sind und <strong>der</strong>en Konsequenzen wir alle kennen.<br />
An<strong>der</strong>e Zeichnungen und Collagen kreisen um die Beziehung zwischen dem menschlichen<br />
Körper und <strong>der</strong> Möglichkeit <strong>ein</strong>es sinnvollen Lebens, wie sie sich innerhalb unseres<br />
biopolitischen Regimes darstellt.<br />
Bob und Bully Bob sind lebensgroße Marmorreproduktionen von anthropomorphen Figuren,<br />
die im Rahmen von Box- und Kampfsport-Training für Erwachsene, bzw. Kin<strong>der</strong> <strong>ein</strong>gesetzt
werden. Die Originalfiguren sind <strong>aus</strong> Latex gefertigt, um <strong>ein</strong>e weiche, wie menschliches<br />
Fleisch wirkende Beschaffenheit zu erzielen; die ‚verst<strong>ein</strong>erten’ Skulpturen demonstrieren die<br />
Metamorphose zu Kunstwerken als <strong>ein</strong>en Prozess <strong>der</strong> Stärkung. Sie fungieren als Monumente<br />
für die gemarterten Objekte, die nun unbesiegbar werden. Ihre Form verwe<strong>ist</strong> auf<br />
neoklassische Büsten ohne Arme, aber auch auf die mögliche Darstellung <strong>ein</strong>es unbekannten<br />
Soldaten (o<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>soldaten), <strong>der</strong> irgendwo auf <strong>der</strong> Welt tötet und vergewaltigt, während<br />
diese Zeilen gelesen werden.<br />
Die Skulptur Bijoux de famille (Familienjuwelen) besteht <strong>aus</strong> <strong>ein</strong>er Katzentoilette <strong>aus</strong> Plastik,<br />
die mit Swarovski-Kr<strong>ist</strong>allen angefüllt <strong>ist</strong>. Sie evoziert den Zusammenhang von Vererben und<br />
Erben als <strong>ein</strong>en neurotischen und unerwünschten Vorgang, <strong>der</strong> eng mit Defäkation verknüpft<br />
<strong>ist</strong>. Money Trap <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> Safe mit <strong>ein</strong>er runden Öffnung in <strong>der</strong> Türe, die es – ähnlich <strong>ein</strong>er<br />
Affenfalle – zwar erlaubt, mit geöffneter Hand hin<strong>ein</strong>zugreifen, es aber unmöglich macht, die<br />
geschlossene Hand mit <strong>ein</strong>em Objekt darin wie<strong>der</strong> her<strong>aus</strong>zuziehen. Bei Dildo Washer handelt<br />
es sich um <strong>ein</strong>e handelsübliche Geschirrspülmaschine, die mit Sexspielzeugen <strong>aus</strong> Latex<br />
gefüllt <strong>ist</strong>. Der Dildo, als Symbol <strong>der</strong> tiefsten Promiskuität zwischen Objekt und<br />
menschlichem Fleisch und mithin als <strong>ein</strong> sehr schematisches Beispiel für Fetischismus, wird<br />
hier zu <strong>ein</strong>em industriellen, waschbaren Werkzeug, das innerhalb <strong>ein</strong>er anonymen Kette von<br />
Befriedigung qua Konsum von an<strong>der</strong>en verwendet werden kann.