Vollversion (6.21 MB) - Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen
Vollversion (6.21 MB) - Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen
Vollversion (6.21 MB) - Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
FORSCHUNGSJOURNAL NSB 1/94 mm<br />
koppelt vom besonderen politisch-kulturellen<br />
Hintergrund in Ostdeutschland. Dieses brüchige<br />
Fundament muß jetzt mühsam neu vermessen,<br />
repariert, renoviert und umgestaltet werden. Nach<br />
dem belasteten Erbe der Blockparteien hatten<br />
die "neu" installierten vom Block entpflichteten<br />
Parteien, über Nacht grundlegend andere Aufgaben<br />
als in DDR-Zeiten zu erfüllen; ihnen wurde<br />
ein Bedeutungszuwachs zugesprochen, ohne<br />
daß sie ihn personell, strukturell und programmatisch<br />
erfüllen oder bewältigen konnten. Die<br />
Parteien suchen jetzt im Blindflug ihren Weg<br />
und bewegen sich nun im nachhinhein auf "ihre"<br />
gesellschaftlichen Unterstützergruppen und Aktivisten<br />
zu.<br />
Die Hoffnung auf eine organische Transformation<br />
war eine Illusion. Die tiefsitzende Diskreditierung<br />
des "alten" Systems und damit der<br />
Blockparteien wurden von den westlichen Führungseliten<br />
immer unterschätzt. Diese Fehleinschätzung<br />
muß bis heute mit einem Aderlaß<br />
von Spitzenpolitikern bezahlt werden. Ein Beispiel:<br />
Die Namen der zurückgetretenen Ministerpräsidenten<br />
sind kaum mehr präsent, obwohl<br />
die Rücktritte noch gar nicht lange zurückliegen.<br />
Die opportunistische, allein machttaktisch<br />
bestimmte Übernahme der Ostparteien durch die<br />
westlichen Organisationszentralen hatte einen<br />
hohen Preis: Neben der programmatischen<br />
Selbstaufgabe wurde die westliche Ankopplung<br />
als Arbeitsgrundlage vorausgesetzt. Ein weiteres<br />
Indiz für die stille, versteckte Demütigung<br />
der Ostdeutschen.<br />
Weil bei den Blockparteien anfangs eine intakte<br />
Infrastruktur, eine flächendeckende Präsenz, Ver<br />
mögen und die den Parteien zugeordnete Presse<br />
zur Verfügung standen, soziales Kapital also,<br />
hatten langsame Erneuerungskonzepte in Kon<br />
kurrenz zu einer raschen Ankopplung unter Ter<br />
mindruck keine Chance. Der Wunschglaube:<br />
"Die Säuberung kommt über Nacht von selbst"<br />
(und muß nicht verordnet werden). Diese gra<br />
vierenden Geburtsfehler sind heute kaum mehr<br />
zu reparieren. Dazu kommt, daß auf Grund der<br />
weit verbreiteten Orientierungslosigkeit, der Apathie<br />
und des Attentismus die führenden Politiker<br />
im Westen auch ohne vernünftige Lösungsansätze<br />
für den Osten "weiter so.." machen können.<br />
Es gibt im Osten (noch) keinen wirksamen<br />
Widerstand. Der Nachwuchs im sächsischen<br />
CDU-'Gesprächskreis 2000' verliert langsam die<br />
Scheu vor den großen Bonnern, und fordert sie<br />
zum Zuhören auf bei Themen, von denen sie<br />
nichts verstehen: von Ostdeutschland. Die Überraschung<br />
über den PDS-Oppositionserfolg bei<br />
der Kommunalwahl in Brandenburg ist symptomatisch<br />
für einen ausgeprägten Realitätsverlust.<br />
Die scharfe Reaktion der CSU von München<br />
aus illustriert die Sackgassen im Kopf: "Die<br />
Reps und die Rechten sind nicht so gefährlich<br />
wie die Linken und die PDS". Streibl grüßt<br />
Schönhuber.<br />
Die funktionale Plazierung von Spitzenfunktionären<br />
vom Bonner Kanzleramt aus verschärft<br />
dieses Krisenszenario noch. Die Delegation der<br />
Verantwortung nach oben, das sich Ausklinken<br />
aus dem Gemeinwesen, den Rückzug in die Nische,<br />
der Vorrang des Privaten bekommt so Auftrieb.<br />
In dieser Situation ist es eine rationale<br />
Entscheidung: 'Nein zur Politik' zu sagen.<br />
Die symbolische Plazierung von Spitzenpoliti<br />
kern Ost ohne tatsächlichen Einfluß verschärft<br />
das Loyalitätsproblem und führt zu mehr Kon<br />
flikten, als zu konstruktiven Lösungen. Die Aus<br />
schaltung des demokratischen Wettbewerbs in<br />
den Parteien höhlt auf Dauer zudem ihre Legiti<br />
mationsbasis aus. Demokratische Entwicklung<br />
braucht Zeit. Der extreme Elitenaustausch führt<br />
zu Verzögerungen und zur Abkehr von interes<br />
sierten Bürgern. Wenn ganze Kabinette zurück<br />
treten, Kritiker, wie der Präsident des Landes<br />
rechnungshofes in Sachsen-Anhalt, nicht wie<br />
der in den CDU-Landesvorstand gewählt wer<br />
den - dafür aber die Verursacher und Mitwisser