Silvia Tellenbach Ehrenmorde an Frauen in der arabischen ... - GAIR

Quelle: Homepage der Gesellschaft für Arabisches und Islamisches Recht (GAIR) e.V. (www.gair.de).
Der Beitrag ist erschienen in „Wuqûf – Beiträge zur Entwicklung von Staat und Gesellschaft in
Nordafrika“, Nr. 13, Hamburg 2003, S. 74-89. Die Zeitschrift kann unter www.wuquf.de bestellt
werden. Für den Inhalt dieses Aufsatzes ist allein die Autorin verantwortlich. Alle Rechte vorbehalten.
1. Die Verbreitung der Ehrenmorde
Silvia Tellenbach
Ehrenmorde an Frauen in der arabischen Welt
Anmerkungen zu Jordanien und anderen Ländern*
Vor etwa 20 Jahren wurde die jordanische Rechtsanwältin Asma Khader am Ausgang des
Gerichtsgebäudes von Amman von einer Frau angesprochen, die sie um ihre Hilfe bat. Die Frau
berichtete, ihr Mann hätte die gemeinsame fünfzehnjährige Tochter umgebracht, weil sie unverheiratet
schwanger geworden wäre und dadurch die Ehre der Familie verletzt hätte. Ihr Mann befände sich
deswegen jetzt für sechs Monate im Gefängnis. Asma Khader berichtet, sie sei zunächst zurückhaltend
gewesen und habe gemeint, das sei zwar schrecklich, aber das Mädchen hätte die herrschenden Regeln
der Gesellschaft verletzt. Da wäre die Frau in Tränen ausgebrochen, es wäre doch ihr Mann selbst
gewesen, der die Tochter vergewaltigt hätte und der Vater des Kindes wäre, das sie erwartete. Asma
Khader war betroffen und bat die Frau, ihr einen Tag Zeit zum Überlegen zu lassen. Aber die Frau kam
nie wieder. Asma Khader ließ dieses Geschehnis keine Ruhe mehr und veranlasste sie, sich eingehender
mit einem Phänomen zu befassen, das sie bisher eher am Rande wahrgenommen hatte. 1 Heute gehört sie
zu den Vorkämpferinnen für eine Abschaffung der gesellschaftlichen und rechtlichen Privilegierung bei
Ehrenmorden in Jordanien.
Die junge Journalistin Rana Husseini war nach einem Studienaufenthalt in den Vereinigten Staaten
nach Jordanien zurückgekehrt und als Mitarbeiterin in die englischsprachige Zeitung The Jordan Times
eingetreten, eine Zeitung, die zwar keine große Auflage, wohl aber einen einflussreichen Leserkreis hat.
Dort übernahm sie die Kriminalberichterstattung, und bald stieß sie auf den ersten Fall eines Mordes aus
Ehrengründen, der auch sie erschütterte. Sie machte es sich zur Aufgabe, bei all den Ehrenmorden, von
denen sie Kenntnis erhielt, eingehend zu recherchieren und darüber zu berichten. Zunächst stieß sie
vielfach auf Gegenwehr. Wenn sie Familien aufsuchte, in denen ein solcher Mord an einer Frau
geschehen war, wurde sie feindselig empfangen. Was sie das denn anginge? Und warum sie in
Jeanshosen käme? Und wieso sie denn nicht verheiratet wäre? Bei den Justizbehörden überwog eher die
Verwunderung, warum sie sich denn mit „so etwas“ abgäbe. Man würde ihr doch gerne Informationen
über wirklich wichtige Fälle zur Berichterstattung zukommen lassen. 2
Rana Husseini ließ sich nicht beirren. Seit mehreren Jahren schreibt sie wieder und wieder über
Ehrenmorde. Das hat dazu geführt, dass die Opfer dieser Taten eine Stimme gefunden haben. Das Tabu,
das weitgehend über diesen Verbrechen lag, ist der öffentlichen Wahrnehmung gewichen. Worum geht
*Für die Überlassung zahlreicher Materialien aus seinem privaten Zeitungsarchiv danke ich Herrn Dr. Hanspeter Mattes.
1
Le Monde, Paris, 5.4.2001 (Tuées pour l’honneur).
2
Spotlight on killing of women for ‘Family honor‘, in: The Christian Science Monitor, New York,
www.csmonitor.com/durable/1998/10/23/p6s1.htm.

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es? Etwa ein Drittel der Morde, die in Jordanien jedes Jahr begangen werden, geschieht an Frauen und
Mädchen, und die Täter sind Männer aus ihrem engsten familiären Umfeld. Es sind Brüder, Väter,
Ehemänner. Die Opfer stammen aus allen Altersgruppen, von Mädchen, die kaum die Pubertät erreicht
haben bis zu Frauen im Alter einer Großmutter. Gemeinsam ist das Motiv der Taten: Die Opfer sollen in
irgendeiner Weise in ihrem sexuellen Verhalten gegen die herrschenden Normen verstoßen und damit
die Ehre der Familie verletzt haben. Der Mord soll die Ehre der Familie wiederherstellen.
Morde aufgrund dieser Konstellation sind keineswegs nur aus Jordanien bekannt. In der arabischen
Welt werden sie auch aus Palästina, von Arabern in Israel, gelegentlich aus Syrien, aus dem Libanon
und dem Irak, 3 aus dem Jemen, aus Ägypten und sogar aus dem Maghreb berichtet. Eine Erklärung zum
Internationalen Frauentag 2000 von Carol Bellamy, Executive Director bei Unicef, nannte Zahlen.
Etwa zwei Drittel der Morde im Gaza-Streifen und auf der Westbank im Jahr 1999 seien
höchstwahrscheinlich Ehrenmorde gewesen, 4 ebenso 36 Morde im Libanon zwischen 1996 und 1998
und durchschnittlich 23 Morde jährlich in Jordanien. 5 Für den Jemen wurden für 1997 etwa 400
Ehrenmorde geschätzt, 6 für Ägypten 52. 7 Im gesamten südlichen und östlichen Mittelmeerraum
scheinen Ehrenmorde gelegentlich noch vorzukommen, insbesondere jedoch in der Türkei. Aus anderen
Weltgegenden liegen besonders aus Pakistan zahlreiche Berichte über noch weitergehende und
besonders grausame Formen von Morden aus Ehrengründen vor. 8
Nirgends aber in der arabischen Welt hat sich der Scheinwerfer der öffentlichen Aufmerksamkeit
derart stark auf dieses Phänomen gerichtet wie in Jordanien. Das Schweigen, das in anderen Ländern
noch häufig über diesen Vorgängen liegt, wurde nur hier in erheblichem Maße durchbrochen. Jordanien
ist übrigens auch das einzige Land, in dem verlässliche Kriminalstatistiken in einer Weise veröffentlicht
werden, dass sie Hinweise auf das Vorliegen von Ehrenmorden geben. 9 Kriminalstatistiken, die
erkennen lassen, wenn sie überhaupt öffentlich zugänglich sind, dass das Opfer einem bestimmten
Geschlecht angehörte und der Täter in einer bestimmten Relation zu ihm stand, fehlen in anderen
Ländern. Auch Gerichtsentscheidungen bieten wenig Informationen. Nirgends in den arabischen Staaten
werden erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen veröffentlicht, und an den Kassationshof kommen die
Verfahren selten. So bleiben als Quellen häufig nur Menschenrechtsorganisationen mit einem ganz
besonderen Augenmerk auf Menschenrechtsverletzungen gegen Frauen, Frauenorganisationen,
manchmal Zeitungsberichte und in bescheidenem Maße Gerichtsentscheidungen.
3 Honor killings in Iraqi Kurdistan (Seminar, 12. August 2000), vgl. hierzu den Text in:
www.kurdish,media2.fsnet.co.uk/r_dm_honourkillingsiniraqikurdistan_1.htm.
4 Vgl. dagegen die Angaben von Aida Tumeh von der palästinensischen Women against Violence Organisation: Zwischen 1990
und 1998 sei in Israel (Territorium in den Grenzen von 1948) über 64 Ehrenmorde berichtet worden. Im Gazastreifen hätte es
zwischen 1996 und 1998 239 Gewaltverbrechen gegen Frauen gegeben, wobei ihre Organisation vermutet, dass 177 Fälle, die als
„natürlicher Tod“ registriert worden seien, in Wahrheit Morde aus Ehrengründen seien; vgl. The Jordan Times, Amman, 2.6.1999
(Arab countries find similar legislation protects killers in honour crimes).
5 Schätzungen über die Zahl der Ehrenmorde belaufen sich auf ca. ein Viertel aller bekannt gewordenen Morde; vgl. Middle East
Times, Nikosia, 15.-21.4.1999 (Jordan’s women killed to protect tribal honor). Nach anderen Quellen sollen in Jordanien
Ehrenmorde in den letzten zehn Jahren bis zu 30 % aller Morde ausgemacht haben, bezogen auf die Mordopfer sollen zwischen
75 % und 100 % der weiblichen Mordopfer aus Ehrengründen getötet worden oder anderen Formen häuslicher oder familiärer
Gewalt zum Opfer gefallen sein. Vgl. Dieterich, Renate: Jordanien: „Blut wäscht die Schande weg“ – ein Interview mit Rana
Husseini zum Thema honour crimes, in: Inamo, Berlin, Nr. 16, Winter 1998, S. 36-37. Vgl. dort auch die Statistik über Morde in
Jordanien in den Jahren 1989-1997.
6 Für den Jemen spielen nach dem Kriminalpsychologen Ba Obeid, Direktor des Department of Women’s Studies an der
Universität Sanaa, die Stammesstrukturen für dieses häufige Vorkommen eine bedeutsame Rolle. Die „Bereinigung“ derartiger
Ehrenfragen gilt als Frage der Familie bzw. des Stammes, der auch verhindern will, dass dergleichen nach außen dringt, und die
Männer ermutigt, diese Verbrechen zu begehen; vgl. The Jordan Times, 2.6.1999 (Arab countries find similar legislation protects
killers in honour crimes).
7 The Jordan Times, 7.3.2000 (Bellamy condemns violence against women).
8 Amnesty International, Pakistan – Honour killings of girls and women, AI-Report ASA 33/18/99, September 1999, Pakistan.
9 The Jordan Times, 26.6.1999 (The price of honour: a woman’s blood).

2. Das gesellschaftliche Umfeld für Ehrenmorde
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Die Vorstellung, dass das Verhalten einer Frau, insbesondere alles Verhalten, das in irgendeiner Weise
ins Sexuelle spielt, die Ehre ihrer Familie berühren kann, ist in Europa heute fremd geworden. Selbst
wenn eine Frau ihren Mann wegen eines anderen verläßt, so mag das für ihn bitter sein, seine Ehre
tangiert es nicht. Ganz anders ist es noch in weiten Bereichen der Gebiete südlich und östlich des
Mittelmeers, die hier interessieren. Das Verhalten der Frau ist entscheidend für die Ehre des Mannes,
der für sie verantwortlich ist. Aber was ist Ehre eigentlich? Der Begriff der Ehre ist äußerst schillernd,
allein die deutsche Rechtswissenschaft hat über 60 Definitionen versucht, 10 von Definitionen, die aus
anderen Fachdisziplinen kommen, ganz zu schweigen. Eine große grundlegende Unterscheidung dürfte
darin liegen, ob man Ehre als eine innere Angelegenheit ansieht, eher mit dem Begriff der Würde
verwandt, die einem Menschen nicht durch äußere Angriffe genommen werden kann, oder ob man Ehre
als den Ruf ansieht, den eine Person in ihrer Umgebung genießt und bei dem es wesentlich auf die
Beschaffenheit dieses Rufs ankommt. Ein solcher Ruf kann durchaus unverdient gut sein.
Ehrvorstellungen, die in Gesellschaften herrschen, in denen es zu Morden aus Ehrengründen kommt,
richten sich eindeutig eher nach der zweiten Gruppe. Das hat tiefgreifende Folgen. Wo es auf den
äußeren Ruf ankommt, ist es letztlich nicht von Bedeutung, dass sich jemand tatsächlich in irgendeiner
Weise „danebenbenommen“ hat, sondern dass in seinem Umfeld die Meinung besteht, er habe es getan.
Darin liegt auch die Gefahr und die Bedeutung des vielzitierten „Geredes“. Allein, dass ein solches
Gerede entsteht und kursiert, verletzt die Ehre bereits; ob der Inhalt des Geredes stimmt, ist zweitrangig.
Dass man zu äußern wagt, dass ein Mädchen ein bestimmtes Verhalten an den Tag gelegt habe, zeigt
zumindest, was man ihm zutraut und berührt damit das Ansehen – oder eben den Mangel an Ansehen,
den das Mädchen bzw. seine Familie in der Gemeinschaft genießt.
In der arabischen Sprache gibt es ähnlich wie auch in der türkischen und persischen Sprache
verschiedene Begriffe für Ehre. „Scharaf“ (sharaf) entspricht in etwa unseren Vorstellungen von
Ansehen. „Scharaf“ kann gewonnen und gesteigert werden, aber auch verloren gehen. Daneben steht
„ird“, 11 die Geschlechtsehre einer Frau. Sie besteht oder besteht nicht, sie kann nicht gewonnen oder
gesteigert, sondern nur durch Verstoß gegen die sexuellen Verhaltensnormen ein für alle mal verloren
werden. Die Ehre (sharaf) des Mannes, ja der ganzen Familie, hängt davon ab, wie sich ihre Frauen
verhalten, ob sie ihre Geschlechtsehre wahren. 12 Dabei ist nicht präzise festgelegt, welches Verhalten zu
einer Verletzung der Familienehre führt. Wesentlich gehört dazu, dass eine Frau einen nicht
überwachten Kontakt mit einem Mann hat, den die Gesellschaft als intim interpretieren könnte, 13 wobei
allerdings bisweilen geringfügige Anlässe ausreichen. Diese Abhängigkeit der Familienehre von dem
Verhalten der Frau hat zur Folge, dass Männer eine intensive Kontrolle über Frauen erstreben, und
Frauen die Pflicht zum Gehorsam gegenüber den Männern aufgebürdet wird.
Welches Verhalten von Frauen nun als in einem Maße ehrenrührig angesehen wird, dass es Folgen
nach sich ziehen kann, die im äußersten Falle bis zum Mord gehen, ist nicht abschließend zu sagen.
Gewiss gehört der Ehebruch dazu. Er ist das gravierendste Fehlverhalten einer Frau und brachte eben
bis in die jüngste Zeit die Gefahr mit sich, dass ein Kind in eine Familie geboren wurde, das nicht in
diese Familie „gehörte“. Von großer Bedeutung ist auch die Jungfräulichkeit der Braut in der
Hochzeitsnacht. Riten der verschiedensten Art bestehen, in denen der Öffentlichkeit kundgetan wird,
10
Tenckhoff, Jörg: Grundfälle zum Beleidigungsrecht, in: Juristische Schulung, München u. a. 1988, S. 199-206, hier S. 201.
11
Im Türkischen „namus“, vom Griechischen „nomos“, Gesetz.
12
Abu-Odeh: Crimes of honour and the construction of gender in Arab societies, in: Yamani, Mai Hrsg.: Feminism and Islam –
Legal and literary perspectives, London 1996, S. 142-194, hier S. 153 f.; vgl. auch Bates, Daniel/Rassam, Amal: People and
cultures of the Middle East, Englewood Cliffs 1983, S. 217 f.
13
Feldner, Yotam: „Honor“ murders – Why the perps get off easy, in: Middle East Quarterly, Washington D.C., Dezember 2000,
S. 41-50, hier S. 42.

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dass das Mädchen die an sie gerichtete Erwartung erfüllt hat. So kann es sein, dass das Laken des
Brautbetts vorgezeigt werden muss. Wehe, wenn das Blut ausgeblieben ist! 14 Der Bräutigam wird die
Braut ihrer Familie zurückschicken – damit ist seine Ehrenpflicht erfüllt. Aber ihre Familie muss sehen,
wie sie ihre Ehre wiederherstellt, und das kann heißen, dass das Blut der Tochter oder Schwester
vergossen wird. Ehemänner sind auch bei anderen Konstellationen in Ehrenmorde deutlich weniger
häufig involviert als Väter oder gar Brüder. 15 Liegt nicht gerade ein Ehebruch vor, so können sie sich
aus der Affäre ziehen, indem sie kurzerhand die Scheidung aussprechen und die Frau ihrer Familie
zurückschicken. 16 Es ist dann das Problem der Herkunftsfamilie, ob es ihnen gelingt, die Frau noch
einmal mit einem Mann zu verheiraten, der aus welchen Gründen auch immer keine großen Ansprüche
stellen kann, oder was sie sonst tun.
Eindeutig ist der Fall auch, wenn eine Frau schwanger wird, ohne verheiratet zu sein. Die Frage, ob
die Frau für ihre Schwangerschaft verantwortlich ist, stellt sich nicht. Ob die Frau sich freiwillig mit
einem Mann eingelassen hat oder ob sie etwa vergewaltigt worden ist, ist ohne Bedeutung – so oder so
bringt sie Schande über ihre Familie. Das zeigt z.B. der folgende Fall: Eine Frau wird nach einer
Vergewaltigung schwanger. Der Gouverneur verheiratet sie mit dem Vergewaltiger. Dieser scheidet sie
einige Zeit später, dem Vernehmen nach, weil er gezwungen worden sei, die Ehe einzugehen. Die Frau
kehrt in ihr Elternhaus zurück und wird am selben Tag noch von ihrem Bruder getötet. 17 Aber es kann
durchaus auch noch weiter gehen. Eine geschiedene Frau ist schwanger. Sie wird darüber von ihrem
Bruder zur Rede gestellt und erklärt, das Kind stamme von ihrem geschiedenen Mann. Trotz dieser den
Umständen nach nicht unwahrscheinlichen Erklärung bringt der Bruder sie um. 18
Aber darüber hinaus können noch viele andere Verhaltensweisen eine Frau in Gefahr bringen. Sie
verlässt ohne Erlaubnis das Haus oder sie wird im Gespräch mit einem Mann gesehen, der nicht zu
ihren engsten Familienangehörigen zählt. Ja, sie muss unter Umständen nicht einmal selbst etwas tun:
- Ein verheirateter Mann erhält einen Brief, in dem von einer Liebesbeziehung zwischen ihm und
dem jungen Mädchen die Rede ist, dessen Namen unter dem Brief steht. Die Unterschrift ist
gefälscht und die beste Freundin des Mädchens, die in den Mann verliebt ist, hat den Brief
geschrieben. Bis sich herausstellt, dass die in dem Brief enthaltenen Behauptungen jeder
Grundlage entbehren, ist das Mädchen bereits von einem Familienmitglied getötet worden. 19
- Eine 27jährige Mutter von fünf Kindern wird von ihrem Bruder getötet, weil ihm Gerede über
unmoralisches Verhalten zu Ohren gekommen ist. Der auswärts arbeitende Ehemann ist
entsetzt. Der medizinische Befund der Leiche ergibt, dass die Frau in der fraglichen Zeit sexuell
nicht aktiv war. 20
- Ein 13jähriger Junge erwürgt seine 14jährige Schwester und beruft sich auf das Ehrenmotiv,
weil sie mit Männern telefoniert hätte. 21
14
Obwohl auch hier zahlreiche Listen bestehen, eine bereits verlorene Jungfräulichkeit vorzuspiegeln, von der Wiederherstellung
des Jungfernhäutchens durch einen städtischen
Frauenarzt bis zum Einschmieren des Lakens mit dem Blut eines Tieres. Etwa 100 Frauen sollen sich im Jordan’s National
Institute for Medicine jährlich vorstellen, um ihre Virginität überprüfen zu lassen; in: Middle East Times, 15.-21.4.1999 (Jordan’s
women killed to protect tribal honor).
15
Shahrur, Muhammad: Nahwa usul jadid lil-fiqh al-islami: fiqh al-mar’a, Damaskus 2000, S. 380, gibt an, dass nach den
jordanischen Statistiken zwischen 1995 und 1998 in 64 Ehrenmordfällen 48 mal der Bruder, neunmal der Vater und dreimal der
Ehemann als Täter aufgeführt sei.
16
Vgl. auch Abu-Odeh, a.a.O. (Anm. 12), S. 154.
17
The Jordan Times, 10.9.2000 (Woman killed in ‘honour crime‘ following divorce).
18
The Jordan Times, 2.4.2001 (Court tribunals invoke Article 98 to set three murderers
free).
19
Middle East News Online, 8.3.2001, in: MidEast Press Digest 10/2001 (6.3.-12.3.2001).
20
The Jordan Times, 18.5.2000 (Married woman killed by her brother in reported honour
crime).
21
The Jordan Times, 24.2.2000 (Boy, 13, claims honour crime in strangulation of his sister, 14).

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- Vater und Bruder prügeln ein 12jähriges Mädchen zu Tode, weil sie durch die Straßen zu gehen
pflegte. 22
- Ein 17jähriger tötet seine Schwester, weil er sie eine Woche zuvor auf dem Marktplatz mit
einem Mann zusammen gesehen habe und stellt sich dann der Polizei. 23
Nach den gerichtsmedizinischen Befunden soll bei über 90 % der Getöteten eindeutig sein, dass sie
entweder überhaupt noch nicht oder nicht in der fraglichen Zeit sexuell aktiv waren. 24
Mörder sagen häufig aus, dass sie unter dem Druck ihrer Familie, ihres Dorfes oder sonst der
nächsten Umgebung gehandelt hätten. 25 So sagt ein junger Palästinenser nach der Tötung seiner
Schwester: „Ich musste sie umbringen, weil ich das älteste (männliche) Mitglied der Familie war. Mein
einziges Motiv, sie zu töten, war (der Wunsch), dem Gerede der Leute zu entgehen. Sie haben mich
getadelt, ich hätte sie zum außerehelichen Geschlechtsverkehr ermutigt.“ 26
Allerdings ist auch damit zu rechnen, dass Morde innerhalb einer Familie aus anderen Gründen
geschehen können und Ehrenfragen nur vorgeschoben werden, z.B. aus Anlass von Erbstreitigkeiten,
bei denen die Familie verlangt, dass Frauen auf ihr Erbteil verzichten und diese sich dagegen wehren. 27
Dass es bis zum Mord kommt, sind freilich Extremfälle. Nicht zu übersehen ist aber auch, dass
durchaus nicht jedes derartige Delikt ans Tageslicht und vor Gericht kommt. Mit einer erheblichen
Dunkelziffer ist zu rechnen. 28 Ein Todesfall kann als Unfall oder Selbstmord getarnt werden, oder eine
Frau ist auf einmal verschwunden. 29 Nach Angaben ihrer Familie, wenn sie denn überhaupt gefragt
wird, ist sie davongelaufen. Gesprochen wird häufig davon nur hinter vorgehaltener Hand. Auf der
anderen Seite finden sich aber auch Täter, die sich der Polizei stellen, voll Stolz darüber, die Ehre der
Familie wiederhergestellt zu haben. 30
Häufig wird „unbotmäßiges Verhalten“ von Frauen schlicht übersehen – was man nicht weiß, darauf
braucht man auch nicht zu reagieren, oder der Bruder erklärt großzügig, er habe nichts dagegen, wenn
seine Schwester dieses oder jenes tue. 31 Eine anerkannte Möglichkeit der Konfliktlösung ist auch, ein
Mädchen mit dem Mann zu verheiraten, der ihre Ehre verletzt hat. Wo das nicht möglich ist, z.B. weil
der Bruder der Vergewaltiger ist, kann die Familie versuchen, das Mädchen mit irgendeinem anderen
Mann zu verheiraten, 32 was allerdings schwer ist.
Ehrenmorde sind auch als Armutsdelikte bezeichnet worden. Die Begründung dafür lautet
zusammengefasst, ein Mädchen sei in erster Linie für ihre Familie eine Belastung, ein zusätzlicher
Esser, der durchgefüttert werden müsste, ohne eine lohnende Gegenleistung erbringen zu können.
22 The Jordan Times, 5.10.1999 (Father, brother beat 12-year-old girl to death).
23 The Jordan Times, 9.8.2000 (Teen confesses to murdering sister to ‘cleanse family honour‘).
24 The Jordan Times, 4.2.2000 (Sunday March planners to protest honour crimes); Middle East Times, 24.2.-1.3.2000 (Honour
killings debate signals possible royal clash) spricht sogar von über 95 %. Nach Berichten in The Jordan Times, 22.2.1999 (Police
question man in crime of honour), soll eine Familie, als sie ein solches gerichtsmedizinisches Ergebnis erfuhr, auf das Grab des
getöteten Mädchens eine weiße Fahne als Zeichen ihrer Unschuld gebreitet haben.
25 Feldner, a.a.O. (Anm. 13), S. 42. Die Ermittlungen der Behörden richten sich aber nur gegen den Täter; wieweit etwa seine
Familie mitbeteiligt ist, wird nicht gefragt, vgl. Details unter www.hrw.org/press/1999/aug/honorlet.htm.
26 Al-Ayyam, 1.6.2000, zitiert bei Feldner, a.a.O. (Anm. 13), S. 43.
27 Auf derartige Fälle ist Rana Husseini bei ihren Recherchen häufig gestoßen; vgl. Dieterich, a.a.O. (Anm. 5), S. 36.
28 Die Rechtsanwältin Muna Zoughbaba von der Jordanian Women’s Union erklärte, dass die tatsächliche Zahl der Ehrenmorde in
Jordanien etwa viermal so hoch ist wie die bekannt gewordenen Fälle. Middle East News Online, 8.3.2001, MidEast Press Digest
10/2001 (6.-12.3.2001).
29 Le Monde, 4.12.1999 (Le crime d’honneur reste légalement toléré en Jordanie); vgl. auch Arabies, Paris, April 2000 (L’horreur
des crimes d’honneur) ; Middle East News Online, 8.3.2001, in: MidEast Press Digest 10/2001, 6.3.-12.3.2001. Vgl. auch den
Menschenrechtsbericht des US-Außenministeriums: „(...) and honor killings occur, but societal pressures prevent most incidents
from being reported and most cases are handled
within the families concerned, usually by male family members“, vgl. die Online-Ausgabe
www.state/gov/g/drl/rls/hrrpt/2000/nea/index.cfm?docid=882.
30 Vgl. Suzanne H. Hammad: Essay, in: Civil Society, Kairo, Dezember 1998, S. 17-20, hier S. 19; vgl. Spotlight on killing of
women for ‘Family honor‘, in: Christian Science Monitor, www.csmonitor.com/durable/1998/10/23/p6s1.htm.
31 Abu-Odeh, a.a.O. (Anm. 12), S. 152.
32 Im Falle einer Entführung oder Vergewaltigung der Frau würde sogar die Strafverfolgung eingestellt, eine Vorschrift, die sich
in mehreren Strafgesetzbüchern der hier behandelten Staaten findet, Art. 308 jord.StGB, Art. 508 syr.StGB, Art. 522 libStGB.

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Darum bestünde ein hohes Interesse daran, ein Mädchen so früh wie möglich zu verheiraten, d.h. die
Verantwortung für ihren Unterhalt abgeben zu können. Ein Mädchen, dessen Ruf auch nur im
Geringsten beschädigt sei, sei jedoch kaum noch zu verheiraten. Darum bestünde vor allem ein
wirtschaftliches Interesse daran, dass ein Mädchen jegliches Verhalten unterließe, das ihrem Ruf
schaden könnte. Letztlich seien die „Kosten“ für die Tötung eines Mädchens dann immer noch niedrig
im Verhältnis zu der verlängerten Belastung, die darin liegt, sie weiter erhalten zu müssen. 33
Festzustellen ist jedenfalls, dass Ehrenmorde häufig in armen und dicht besiedelten Gegenden
geschehen, laut Rana Husseini, weil sich dort Gerüchte am schnellsten ausbreiten und die Familien
keine andere Wahl sehen, als das Mädchen zu töten, um dem Gerede ein Ende zu machen. 34
Obwohl Ehrenmorde nicht nur, aber doch in Gebieten häufiger vorkommen, deren Bevölkerung
überwiegend Muslime sind, wäre es verfehlt, Ehrenmorde ohne weiteres als eine Folge der islamischen
Religion anzusehen, wie man es manchmal hören kann. Gewiss trifft es zu, dass z.B. die
Muslimbruderschaft in Jordanien Ehrenmorde an Frauen zumindest im Falle von Ehebrecherinnen als
im Einklang mit dem Islam ansieht. Zu bedenken ist auch das Argument, dass Ehrenmorde nun einmal
in einer Gesellschaft tief verwurzelt sind, die sie nicht als Abirrung von der Religion, ja häufig als Teil
ihrer Religion ansieht. 35 Auf der anderen Seite lassen sich aus dem Islam eine Reihe Argumente gegen
den Mord aus Ehrengründen finden. Tötungen sind grundsätzlich verboten und nur unter besonderen
Voraussetzungen zulässig. Es ist zwar richtig, dass der Islam für Ehebruch die Todesstrafe vorsieht.
Voraussetzung dafür ist aber, dass die Schuld von Täter und Täterin von einem Richter festgestellt wird
und zwar nach der Vorlage von genau vorgeschriebenen Beweisen, nämlich einem in vier
Gerichtssitzungen zu wiederholenden Geständnis oder dem Zeugnis von vier unbescholtenen
muslimischen Zeugen. 36 Erst recht sieht der Islam keine Todesstrafe für ein als sittenlos angesehenes
Benehmen unterhalb der Stufe des Ehebruchs vor. 37 Das religiöse Establishment in Jordanien sieht
Ehrenmorde als Überbleibsel vorislamischen Stammesdenkens an. Häufig findet sich die Aussage, der
Islam verbiete die Selbstjustiz; 38 Ehrenmorde seien insofern als ein Angriff auf das staatliche Monopol
zu strafen, ein Argument, das laut Feldner auch sonst in der arabischen Welt häufig sei. 39
Möglichkeiten eines Schutzes für Frauen, die von ihren Familien verstoßen werden oder aus ihren
Familien fliehen, sind in der arabischen Welt bis heute kaum gegeben. Frauenhäuser existieren in den
nahöstlichen Staaten nicht. In Jordanien sind erste Planungen für Zufluchtsstätten für Frauen im Gange.
Eine der wenigen vorübergehenden Schutzmöglichkeiten für Frauen ergeben sich durch die
Zweckentfremdung einer Institution, die ganz anderen Zwecken dient, nämlich der Haft. Ein erheblicher
Teil der Insassen von Frauengefängnissen in Jordanien sind Frauen, die in eine Art administrative
Schutzhaft genommen worden sind, um Nachstellungen ihrer Familie zu entgehen. 40 Bisweilen
verhandeln die Behörden mit den Familien und lassen sich schriftlich zusichern, dass der Tochter und
Schwester nichts geschehen werde. Aber auch das ist kein sicherer Schutz, wie z.B. jener Fall zeigt, bei
dem die junge Frau zu ihrer Familie entlassen wurde, nachdem der Vater eine derartige Verpflichtung
33
Mansur, Yusuf: Crimes of poverty (not honour), in: The Jordan Times, 5.3.2001.
34
Dieterich, a.a.O. (Anm. 5), S. 37.
35
Feldner, a.a.O. (Anm. 13), S. 47.
36
So auch Scheich Izzeddin Al Khatib Al Tamimi, der Berater des Königs in Angelegenheiten des islamischen Rechts, in: The
Jordan Times, 2.6.1999 (Arab countries find similar legislation protects killers in honour crimes); ebenda, 19.9.1999 (Sheikh
Tamimi outlines Islam’s positon on honour crimes).
37
Hier käme allenfalls eine Auspeitschung in Betracht.
38
So auch eine Fatwa des Fatwa-Rats der Kairiner Azhar-Universität; vgl. The Jordan Times, 23.2.2000 (Sabeel to publish survey
on ‘crimes of honour‘).
39
Feldner, a.a.O. (Anm. 13), S. 46 mwN. Der Mufti von Gaza, Scheich Abd al-Karim Kahlut, forderte sogar die Todesstrafe für
Ehrenmörder, weil sie nicht das Recht hätten, die Frauen zu bestrafen (vgl. Feldner).
40
Nach Angaben eines Schreibens von Human Rights Watch an den jordanischen König soll es sich hier um 50-60 Frauen jährlich
handeln; vgl. hierzu im Detail die Online-Ausgabe www.hrw.org/press/1999/aug/honorlet.htm; vgl. auch The Jordan Times,
7.7.2000 (Fear of family traps some women in prison).

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unterschrieben hatte. Doch kaum war sie zu hause, da wurde sie von ihrem Bruder getötet, und die
Familie erklärte, es habe sich ja nur der Vater, nicht aber der Bruder verpflichtet, dem Mädchen nichts
anzutun. 41
3. Die Gesetzeslage: Strafmilderung und Straflosigkeit für Ehrenmorde
Die Frage ist nun, wie die gesetzlichen Regelungen aussehen, die in den Staaten gelten, aus denen
Morde aus Ehrengründen mehr oder weniger häufig berichtet werden. Dabei sollen hier Ägypten,
Jemen, Jordanien, Syrien und Libanon eingehender behandelt und sonstige Staaten nur am Rande
gestreift werden. 42 Bei all diesen Ländern muss zunächst hervorgehoben werden, dass sie ein Strafrecht
haben, das letztlich weitgehend auf europäischen, vor allem französischen Einflüssen beruht, teilweise
auf dem Weg über das osmanische Strafgesetzbuch, das seinerseits wieder auf den Code Napoléon von
1810 zurückgeht. Das jemenitische Strafgesetzbuch von 1994 versteht sich zwar als Wiedereinführung
des islamischen Strafrechts, ist aber dennoch stark vom ägyptischen Strafgesetzbuch, stellenweise auch
von der englischen Rechtstechnik beeinflusst. 43 Das Strafrecht wurde in diesen Ländern meist nach dem
europäischen Vorbild rezipiert, und zwar häufig ohne im Detail lange Überlegungen anzustellen, ob nun
gewisse Vorschriften auf die Gesellschaft des jeweiligen Landes passen. 44 Das schließt nicht aus, dass in
Einzelfällen später Änderungen vorgenommen wurden. Diesen Hintergrund muss man präsent haben,
wenn man die gesetzlichen Regelungen verstehen will. Dann erklärt sich, was all den genannten
Gesetzen bei allen Unterschieden im Einzelnen gemeinsam ist. Die Gesetze sehen nämlich durchweg
Strafmilderungen, teilweise bis zur Straflosigkeit für den Fall vor, dass eine Frau beim Ehebruch ertappt
und samt ihrem Liebhaber getötet oder verletzt wird. Das stammt direkt oder indirekt aus dem
französischen Recht, wo es bis in die neueste Zeit im Strafgesetzbuch vorgesehen war. Dass es über alle
anderen Konstellationen, in denen verletzte Ehre einen Mann dazu veranlasst, eine Frau, für die er
verantwortlich ist, zu töten oder zu verletzen, in keinem der Gesetze eine ausdrückliche Strafvorschrift
gibt, hängt dementsprechend gleichermaßen mit dem Fehlen einer solchen Vorschrift im französischen
Recht zusammen. Diese Konstellationen sind daher nur durch verschiedene allgemeine Vorschriften zu
erfassen. Das gibt der Rechtsprechung einen weitaus größeren Spielraum, macht aber auch, wie zu
zeigen sein wird, eine Änderung schwieriger.
3.a. Ägypten und Jemen
Die einfachste Regelung hat Ägypten (Art. 237 ägStGB). 45 Täter kann nur ein Ehemann sein, der seine
Ehefrau beim Ehebruch in flagranti ertappt. Dabei muss er sie nicht beim Geschlechtsverkehr mit dem
Dritten überraschen, sondern es reicht, dass er sie in einer Situation antrifft, die keinen Zweifel daran
lässt, dass der Ehebruch gerade begangen wurde oder unmittelbar bevorstand. 46 Der Täter muss die
untreue Frau oder ihren Liebhaber oder beide getötet haben und zwar auf der Stelle. Ob ein Ehebruch
41
Dieterich, a.a.O. (Anm. 5), S. 37.
42
Auf Palästina wird nicht näher eingegangen, weil in den Westbanks das jordanische Strafgesetzbuch, Gesetz Nr. 16/1960 gilt,
und im Gazastreifen das noch stark englisch beeinflusste Gesetz Nr. 74/1936, das keine besonderen Vorschriften für Tötungen aus
Ehrengründen enthält (vgl. dazu Majmu’at qawanin al-uqubat al-mutabbaqa fi Filastin, hrsg. von Mazin Sisalim u.a., Janin 1995,
S. 11). Überdies war nicht feststellbar, wieweit etwa im Gazastreifen in der Rechtsprechung durch die Anwendung allgemeiner
Schuldmilderungsgründe oder Strafzumessungsgründe der einem Ehrenmord zugrundeliegenden Konstellation Rechnung
getragen wird.
43
Was sich durch seine Geschichte erklären lässt.
44
Dieser Tatsache misst Lama Abu-Odeh, a.a.O. (Anm. 12), S. 153 ff., m.E. zu wenig Gewicht bei, wenn sie Erwägungen darüber
anstellt, warum die jeweiligen Gesetzgeber bei den Strafrechtsnormen zwar den Ehebruch, aber nicht die sonstigen Handlungen
berücksichtigen, die als ehrverletzend angesehen werden. Ihre Gegenüberstellung von Taten aus Leidenschaft und Taten aus
verletzter Ehre ist zwar sehr bedenkenswert, ist aber den an der Gesetzgebung Beteiligten kaum bewusst gewesen.
45
Art. 237 ägStGB: „Wer seine Frau beim Ehebruch überrascht und sie und ihren Liebhaber auf der Stelle tötet, wird statt mit den
Strafen der Art. 234, 236 mit Gefängnis bestraft.“
46
Vgl. hierzu und zum Folgenden Halil, Adli : Jara’im al-qatl al-amd, Kairo 1986/1987, S. 262 ff.

– 8 –
vorliegt und welchen Zeitraum das Merkmal „auf der Stelle“ abdeckt, hängt von der jeweiligen
Situation ab. Dem Richter steht hier ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Liegen alle Voraussetzungen
vor, dann wird eine Tötung von einem Verbrechen zu einem Vergehen herabgestuft; das bedeutet, dass
die Strafe zwar nicht entfällt, aber gemildert wird. Der mögliche Strafrahmen beträgt dann zwischen 24
Stunden und drei Jahren Gefängnis (Art. 18 ägStGB). Nur ein etwaiger Versuch – wie bei allen
Vergehen, bei denen die Strafbarkeit nicht ausdrücklich vorgesehen ist – bleibt straflos.
Das jemenitische Recht ähnelt dem ägyptischen zwar im Grundtatbestand (Art. 232, S.1), erweitert
dann aber die Vorschrift in Satz 2 auf alle, die Verwandte auf- und absteigender Linie sowie Schwestern
beim Ehebruch ertappen. 47 Ferner heißt es beim Ehemann (Abs.1) nur, „wenn er tötet“, ohne
Bezugnahme auf Überraschung oder Vorbedacht, während bei der Erweiterung auf die sonstigen
Personen (Abs. 2) von Überraschung die Rede ist. Ob hiermit tatsächlich dem Mann ein weitergehender
Strafmilderungsgrund eingeräumt werden soll, oder ob es sich nur um ein Redaktionsversehen handelt,
lässt sich nicht feststellen. Als Strafe soll anstelle der Talionsstrafe (qisas) 48 eine ta’zir-Strafe von bis zu
einem Jahr Gefängnis oder Geldstrafe treten (Art. 232).
Ägypten und ihm folgend der Jemen kennen nur sehr begrenzt Strafmilderungsgründe, nämlich vor
allem wegen Alter und Geisteszustand, nicht aber z.B. den weit verbreiteten Strafmilderungsgrund der
Provokation oder allgemeine richterliche Strafmilderungsgründe. Hier kann das Gericht nur bei
Strafzumessungserwägungen (Art. 17 ägStGB, Art. 109 jemStGB ) eine Motivation innerhalb eines
vorgegebenen Strafrahmens berücksichtigen. 49
3.b. Libanon und Syrien
Komplizierter sind die Regelungen im Libanon und in Syrien. Der Kreis der möglichen Täter und
Opfer, aber auch die Tatsituation ist weiter gefasst als im ägyptischen und jemenitischen Recht.
Zunächst können sowohl eine Frau wie aber auch ein Mann Opfer der Tat sein, wenn auch in der Praxis
durchweg Frauen die Opfer zu sein scheinen. 50 Als mögliche Täter kommen nicht nur die Ehegatten in
Frage, sondern auch Verwandte auf- und absteigender Linie sowie Geschwister . 51
Die mögliche Tatsituation umfasst nicht nur das Ertappen beim Ehebruch, sondern bei jedem anderen
unerlaubten Geschlechtsverkehr, d.h. jedem Geschlechtsverkehr außerhalb einer Ehe. Kommt es bei
dieser Situation zu einem Mord oder einer Körperverletzung, so bleibt der Täter in Syrien bis heute
straffrei (Art. 548 I.) 52 Im Libanon galt bis 1999 dieselbe Regelung; seitdem aber führt das Vorliegen
dieser Situation nur noch zu einer Strafmilderung (Art. 562 I). 53
47 Art. 232 jemStGB: „Tötet ein Ehemann seine Ehefrau und deren Liebhaber beim Ehebruch oder greift er sie in einer Weise an,
die zum Tode oder zu Siechtum führt, so gibt es keine Talionsstrafe. Der Ehemann wird jedoch mit Gefängnis bis zu einem Jahr
oder mit Geldstrafe bestraft. Diese Vorschrift wird auch auf denjenigen angewendet, der eine Verwandte auf- oder absteigender
Linie oder eine seiner Schwestern bei der Straftat des Ehebruchs überrascht.“
48 Diese Formulierung ist auffallend, weil typischerweise eine Frau das Opfer und ein Mann der Täter ist, eine Situation, bei der
im islamischen Strafrecht an sich von vornherein nur Blutgeld (diya) in Betracht kommt.
49 Abu-Odeh, a.a.O. (Anm. 12), S. 163, weist mit Recht daraufhin, dass sich die Strafzumessung und damit eine etwaige
Berücksichtigung des Ehrenmotivs in der ersten Instanz abspielt, und diese Entscheidungen fast unzugänglich sind, weil sie nicht
veröffentlicht werden.
50 Das Gesetz sagt: „man faja’a zaujahu...“, nicht „zaujatahu“; das umfasst hier beide Geschlechter; vgl. dazu auch Istanbuli,
Adib: Sharh qanun al-uqabat, 2. Band, Damaskus 1990 (2. Auflage), S. 1215. Der Hinweis von Abu-Odeh, S. 145, dass
ausschließlich das algerische StGB auch weiblichen Tätern die Strafmilderung gewähre, trifft also nicht zu.
51 Und zwar sind sie hier im Gegensatz zum jemenitischen Recht gleich in den Grundtatbestand einbezogen.
52 Art. 548 syrStGB: „I. Ein Straffreistellungsgrund kommt demjenigen zugute, der seinen Ehegatten, einen seiner Verwandten
auf- oder absteigender Linie oder seine Schwester bei der Straftat des Ehebruchs in flagranti ertappt oder bei einem illegalen
Geschlechtsverkehr mit einem anderen überrascht und beide oder einen von ihnen ohne Vorbedacht tötet oder verletzt. II. Ein
Strafmilderungsgrund kommt dem Täter einer Tötung oder Körperverletzung zugute, der seinen Ehegatten, einen seiner
Verwandten auf- oder absteigender Linie oder seine Schwester in verdächtigen Umständen mit einem anderen zusammen
überrascht.“
53 Art. 562 libStGB: „I. Ein Strafmilderungsgrund kommt demjenigen zugute, der seinen Ehegatten, einen seiner Verwandten auf-
oder absteigender Linie oder seine Schwester bei der Straftat des Ehebruchs in flagranti ertappt oder bei einem unmoralischen
Geschlechtsverkehr mit einem anderen überrascht und beide oder einen von ihnen ohne Vorbedacht tötet oder verletzt. II. Ein

– 9 –
Die Situation ist eindeutig, wenn der Geschlechtsverkehr gerade in dem Augenblick stattfindet, in
dem der Dritte die beiden überrascht. Häufiger dürfte aber eine Situation sein, die darauf schließen lässt,
dass der Ehebruch gerade stattfinden sollte oder unmittelbar vorher stattgefunden hat. Der Richter hat
zu entscheiden, ob er nach den gesamten Umständen eine Situation vor oder nach einem Ehebruch für
gegeben hält und hier mögen auch durchaus problematische Grenzfälle bleiben. Während das
ägyptische und das jemenitische Recht diese Situation „davor“ oder „danach“ mit unter das Ertappen in
flagranti rechnet, differenzieren das syrische und libanesische Recht und haben eine spezielle Vorschrift
für den Fall geschaffen, dass ein Mann und eine Frau zwar nicht beim Ehebruch oder beim unerlaubten
Geschlechtsverkehr ertappt werden, sondern unter „verdächtigen Umständen mit einem anderen“ (Art.
562 II libStGB; Art. 548 II syrStGB). Während im libanesischen Recht seit 1999 die vorgesehenen
Strafen für beide Fälle gleich sind, ist in Syrien nicht die Straffreiheit wie beim Ertappen beim
Ehebruch, sondern eine Strafmilderung die Folge.
Weitere Voraussetzung ist ein Überraschungsmoment und zwar für den Mann, nicht etwa für die
ertappte Frau. 54 In einigen Gesetzen ist die Rede von „überraschen“, im libanesischen und syrischen
Recht heißt es dazu noch bestärkend, der Mann dürfe die Tötung nicht mit Vorbedacht begangen haben.
Hat der Mann also von dem Verhältnis der Frau gewusst und geplant den Augenblick abgewartet, wo er
seine Frau mit ihrem Liebhaber zusammen finden konnte, um sie dann töten zu können, so scheidet eine
Strafmilderung aus. Verschiedentlich stellte sich in der Rechtsprechung die Frage, wie es zu bewerten
ist, wenn der Mann vorher schon durch Gerede oder irgendwelche Beobachtungen zwar den Verdacht
hatte, seine Frau könnte ihn hintergehen. Hier wird jedoch noch das Überraschungsmoment bzw. das
Fehlen des Vorbedachts angenommen, wenn der Mann erst durch das Überraschen in flagranti die
Gewissheit von der Untreue seiner Frau erhält. 55
Ob die Überraschten ein Notwehrrecht gegen den Angriff des betrogenen Ehepartner ausüben können,
das zur Straflosigkeit einer Tötung oder Körperverletzung führen würde, ist nicht unumstritten. Notwehr
setzt einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff auf den Notwehrübenden voraus. Nach der einen
Auffassung ist der Angriff des Ehemanns auf seine in flagranti ertappte Ehefrau und deren Liebhaber
aber nicht rechtswidrig i.S. der Notwehrvorschriften und daher Notwehr nicht möglich. Eine
entsprechende Vorschrift findet sich in Art. 409 irakStGB. 56 Nach der Gegenmeinung, der z.B. auch der
jordanische Kassationshof folgt, ist Notwehr anzuerkennen, da selbst ein Ehebruch eine Frau nicht
vogelfrei mache, der Täter vielmehr wegen der Tat verurteilt und nicht etwa freigesprochen würde. 57
Verschiedene Strafgesetzbücher können Ehrenfragen nur über allgemeine Strafmilderungsgründe oder
Strafzumessungserwägungen berücksichtigen. Anders ist es aber dagegen in Libanon und Syrien, wo
Strafmilderungsgründe gerade im Zusammenhang mit Ehrendelikten eine große Bedeutung haben. Der
Libanon, Syrien und der Irak kennen einen besonderen Strafmilderungsgrund, wenn eine Straftat aus
ehrenhaften Motiven begangen worden ist (Art. 193 libStGB; Art. 192 syrStGB; Art. 128 irakStGB). Er
kommt nicht nur den engsten Familienangehörigen zugute, sondern allen Verwandten. 58 Es ist auch
nicht erforderlich, dass die ehrverletzende Handlung tatsächlich geschehen ist, es reicht aus, dass ein
Strafmilderungsgrund kommt dem Täter einer Tötung oder Körperverletzung zugute, der seinen Ehegatten, einen seiner
Verwandten auf- oder absteigender Linie oder seine Schwester in verdächtigen Umständen mit einem anderen zusammen
überrascht.“ (i.d.F. des Gesetzes Nr. 7/1999).
54 Najm, Muhammad Subhi: Jara’im al-waqi’a ala l-ashhas, Amman 1994, S. 81.
55 Najm, a.a.O. (Anm. 54), S. 83, S. 87 (Literatur); Sa’id, Kamil: Sharh qanun al-uqabat al-urdunni. al-jara’im al-waqi’a ala l-
ashhas, Amman 1991, S. 150.
56 Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung, welche die Anerkennung von Notwehr in diesen Fällen ausschließt, findet sich im
irakischen Strafgesetzbuch (Art. 409).
57 Vgl. dazu Sa’id, a.a.O. (Anm. 55), S. 155 f.
58 Kassationshof, Abteilung für Verbrechen AZ: A.2, Q.16 vom 11.1.1983; vgl. Istanbuli, Adib: Sharh qanun al-uqubat, 1. Band,
Damaskus 1990 (2. Auflage), S. 287.

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hinreichender Verdacht vorliegt (qana’a kafiya). 59 Er wird in Syrien bei Ehrenmorden verschiedentlich
angewendet und führt dann zu einer Strafmilderung. 60 Die Annahme der weiter unten zu behandelnden
Provokation ist dann freilich ausgeschlossen. 61 Im Libanon wurde dieser Strafmilderungsgrund früher
bei Ehrenmorden ebenfalls anerkannt. Hier ist es jedoch zu einer Änderung der Gesetzeslage und
infolge davon auch der Rechtsprechung gekommen. Seit 1983 definiert nämlich das libanesische
Strafgesetzbuch, was unter einem ehrenvollen Motiv zu verstehen ist: „Ein Motiv ist ehrenvoll, wenn es
durch Mannhaftigkeit und Anständigkeit gekennzeichnet und frei von Egoismus, persönlichen
Erwägungen und materiellen Interessen ist“ (Art. 193 II). Der libanesische Kassationshof hatte einen
Fall zu verhandeln, bei dem ein Vater seine Tochter getötet hatte, nachdem diese eine uneheliches Kind
zur Welt gebracht hatte. Das Gericht stellte fest: „Der Angeklagte wurde geboren und wuchs auf in
einer Region, deren Bevölkerung überwiegend noch nach Sitten und Gebräuchen lebt, die so sehr in die
Seelen und in die Lebensweise eingewurzelt sind, dass sie tatsächlich zwingender als die geschriebenen
Gesetze sind, dermaßen dass diese Leute ihre Verleugnung als Schande empfinden in einer Gesellschaft,
die kein Erbarmen hat und keine Abweichung von einem bestimmten Verhalten akzeptiert, von dem sie
meint, dass es die Persönlichkeit, die Würde und die besonderen Rechte im Bereich von Familie, Ehre
und Ansehen verwirklicht. Das Opfer hat nun ein uneheliches Kind geboren. Das ist ein Übertreten der
religiösen Prinzipien und der Bräuche. Die Schande haftet an der ganzen Familie und sie hört nach
diesen Bräuchen nur mit dem Tod der Tochter auf, auch wenn die Tat in den Augen des Gesetzes ein
schweres Verbrechen darstellt“. Das Gericht führte weiter aus, ein Mord aus Ehrengründen sei ein
Mord aus persönlichen Erwägungen (i’tibarat shahsiya) und falle damit nicht unter die Definition des
ehrenvollen Motivs, worin es sich von der älteren Rechtsprechung absetzt. 62 Es verwies allerdings dann
auf die Strafmilderung für Provokation. 63
Dieser ist von praktisch größter Bedeutung (Art. 252 libStGB, Art. 242 syrStGB). Gleichlautend in
den beiden genannten Staaten gewährt er eine Strafmilderung, wenn jemand eine Straftat begeht, weil er
aus Zorn über einen rechtswidrigen Angriff, der ein erhebliches Gewicht hat, auf der Stelle dazu
hingerissen wird. Diese Vorschrift gilt also zunächst bei allen Arten von Straftaten, sie hat keinen
spezifischen Bezug auf Straftaten, bei denen es um die Verletzung von Ehre geht. Die allgemein
formulierte Vorschrift gewinnt ihre Konturen erst durch die Rechtsprechung, welche die hier
vorgegebenen Merkmale konkretisieren muss.
Was ist ein rechtswidriger Angriff? Es muss sich hier nicht um einen Angriff handeln, der in sich
einen Straftatbestand erfüllt, auch nicht um einen Angriff, der zivilrechtliche Schadensersatzfolgen nach
sich zieht, Definitionen, die recht klar wären. Es reicht aus, dass der Angriff nach den Traditionen und
dem Empfinden der beteiligten Kreise ein unrechtmäßiges Verhalten darstellt. Dieses kann nach Zeit,
Ort und sozialer Schicht jedoch sehr unterschiedlich sein und ist möglicherweise laufend
Veränderungen unterworfen.
Erhebliche Strafmilderungen sind bei der Anerkennung einer Provokation die Folge. Die Strafe für
eine vorsätzliche Tötung von 15-20 Jahren Zwangsarbeit (Art. 547 libStGB; 533 syrStGB) würde im
Libanon auf sechs Monate bis fünf Jahre, in Syrien auf sechs Monate bis zwei Jahre Gefängnis
herabgesetzt (Art. 251 libStGB; Art. 241 syrStGB).
59
Kassationshof Abteilung für Verbrechen Verbrechen AZ: A.872/Q.1029 vom 9.11.1982; vgl. Istanbuli, a.a.O. (Anm. 58), S.
296.
60
Diese besteht darin, dass bei zeitig begrenzten Freiheitsstrafen die Strafdauer zwar gleich bleibt, aber leichtere Vollzugsformen
(Gefängnis statt Zuchthaus) vorgesehen werden.
61
Kassationshof Abteilung für Verbrechen Verbrechen AZ: A.657/Q. 1157 vom 29.11.1984, Istanbuli, a.a.O. (Anm. 58), S. 288.
62
Vgl. al-Auji, Mustafa: al-Qanun al-jina’i , al-juz’ al-awwal: al-nazariya al-amma lil-jarima, Beirut 1999 (3. Auflage), S. 619.
63
3. Senat des Kassationshofs, Entscheidung Nr. 164 vom 10.7.1996; Shalala, Nazih Na’im: Da’awa jara’im al-qatl. Dirasa
muqarana, Beirut 2000, S. 170 ff.

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3.c. Jordanien
Art. 340 jordStGB 64 enthält ähnlich wie das syrische und das libanesische StGB zwei Vorschriften für
die Tatsituation, die aber nicht so deutlich wie dort von einander geschieden sind und bisweilen
Abgrenzungsschwierigkeiten bieten. Abs. 1 erfasst das in flagranti Ertappen beim Ehebruch und die
folgende Tötung oder – hierin weiter als die eben genannten Gesetze – auch Körperverletzung; dabei
soll – wie etwa in Ägypten – auch die Situation mitumfasst sein, aus der zweifelsfrei hervorgeht, dass
ein Ehebruch bevorstand oder bereits erfolgt war. 65 Auf der anderen Seite erfasst Abs. 2 die Situation,
dass eine Frau mit einem anderen „in einem illegitimen Bett“ angetroffen wird, ohne dass ein Verkehr
vorliegt. Darunter fallen auch Umarmungen, ein enges Zusammensitzen in einem Schlafzimmer, kurz
„jedes verdächtige Alleinsein mit einem Geliebten, wo auch immer“. 66
Aber das ist nicht der einzige Punkt, an dem Abs. 1 und Abs. 2 nicht recht aufeinander abgestimmt zu
sein scheinen. Während gemäß Abs. 1 in der Form, in der er bis Ende 2001 galt, ein Ehemann, nicht
aber eine Ehefrau als Täter eines Ehrenmordes privilegiert war, 67 eine Ungleichbehandlung, die immer
wieder kritisiert wurde, sind nach Abs. 2 sowohl Ehemänner wie auch Ehefrauen als Täter möglich,
wenn auch letztere Möglichkeit wohl theoretisch bleibt. Schließlich sind nach Art. 340 I jordStGB außer
Ehemännern auch diejenigen Männer als Täter möglich, die eine Frau wegen der Nähe der
Verwandtschaft nicht heiraten dürften, eine Formulierung, die sich ebenso im irakischen
Strafgesetzbuch findet (Art. 409 I irakStGB). 68 Das würde eine große Zahl Verwandter und
Verschwägerter erfassen, ja eine Erweiterung bis hin zu Milchbrüdern bedeuten. In Abs. 2 wiederum
sind als mögliche Täter wie im Libanon und in Syrien die Verwandten auf- und absteigender Linie
sowie Geschwister vorgesehen. Daher wird in der jordanischen Literatur und Rechtsprechung die
Auffassung vertreten, dass der Kreis der privilegierten Täter als die Verwandten auf- und absteigender
Linie sowie Geschwister verstanden werden müsse. 69
Der seit einigen Jahren heftig umkämpfte Art. 340 jordStGB sah bis Ende 2001 die Straflosigkeit vor,
wenn eine Frau beim Ehebruch überrascht wurde (Abs.1). Eine erhebliche Strafmilderung gab es, wenn
sie in zweideutigen Situationen angetroffen wurde (Abs. 2).
In der Praxis wurde Art. 340 aber fast nie angewendet. Die erheblichen Strafmilderungen bei
Ehrenmorden erfolgen auf anderem Wege. Den in Syrien und Libanon existierenden
Strafmilderungsgrund des ehrenhaften Motivs für eine Straftat kennt das jordanische Recht von
vornherein nicht, so dass sich Debatten darüber, ob er auf Ehrenmorde anzuwenden ist, erübrigen. Von
größter Bedeutung ist aber Art. 98. Nach dieser Vorschrift wird die Strafe eines Täters gemildert, wenn
er eine Straftat aus heftigem Zorn über ein unrechtes Verhalten des Opfers von erheblichem Gewicht
begeht. Die Strafmilderung wegen Provokation führt dazu, dass für eine vorsätzliche Tötung, für welche
die gesetzliche Strafe an sich bei 15 Jahren Freiheitsstrafe liegt (Art. 326 jordStGB), Strafen von sechs
64 Art. 340 jordStGB: „ I. Ein Straffreistellungsgrund kommt demjenigen zugute, der seine Ehefrau oder eine Frau, die er wegen
der Näher der Verwandtschaft nicht heiraten dürfte (maharim), beim Ehebruch in flagranti mit einer anderen Person überrascht
und beide oder einen von ihnen tötet oder verletzt. II. Ein Strafmilderungsgrund kommt dem Täter einer Tötung oder
Körperverletzung zugute, wenn er seinen Ehegatten (!), eine seiner Verwandten auf- und absteigender Linie oder eine seiner
Schwestern mit einem andern in einem ungesetzlichen Bett überrascht.“
65 Sa’id, a.a.O. (Anm. 55), S. 150 f.; allerdings sei die Abgrenzung zum illegitimen Bett dann schwierig (S. 152).
66 Najm, a.a.O. (Anm. 54), S. 83; Sa‘id, a.a.O. (Anm. 55), S. 145, S. 160.
67 Zustimmend Najm, a.a.O. (Anm. 54), S. 81, weil Empörung, Wut und Eifersucht bei einem Mann, der eine Frau beim Ehebruch
ertappt, stärker seien als bei einer Frau im umgekehrten Fall. Vgl. aber Sa’id, a.a.O. (Anm. 55), S. 147: Der Ehebruch der Frau
würde zwar gesellschaftlich als schwerwiegender angesehen, das würde aber nicht hindern, rechtlich eine Regelung zu treffen,
dass auch Frauen von ihr profitieren können.
68 „Mit Gefängnis bis zu drei Jahren wird bestraft, wer seine Frau oder eine der Frauen, die er wegen der Nähe der Verwandtschaft
nicht heiraten dürfte (maharim), beim Ehebruch oder im gleichen Bett mit ihrem Komplizen überrascht und beide oder einen von
beiden tötet oder in einer Weise verletzt, die zum Tode oder zu dauerndem Siechtum führt.“
69 Sa’id, a.a.O. (Anm. 55), S. 148 f.; Abu-Odeh, a.a.O. (Anm. 12), S. 144 weist darauf hin, dass der Ausdruck „maharim“ aus
dem osmanischen und die Bezeichnungen Verwandte auf- und absteigender Linie direkt aus dem französischen Recht
übernommen seien.

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Monaten bis zu zwei Jahren zu verhängen sind (Art. 97 jordStGB). Beim Vorliegen weiterer
Strafmilderungsgründe können die Strafen auch noch darunter liegen.
In der Zeit von 1953-1965, möglicherweise, aber nicht feststellbar, auch vorher, war der jordanische
Kassationshof mit der Zuerkennung von Ehrengründen weitaus zurückhaltender als heute. Es ist kein
Fall der Anwendung des Art. 340 bekannt und auch bei Art. 98 argumentierte der Kassationshof häufig
gegen eine Anerkennung. 70 Heute ist nach jordanischer Rechtsprechung eine außereheliche
Schwangerschaft einer Frau geradezu selbstverständlich ein Angriff auf die Ehre ihrer Familie, 71 noch in
den 1950er Jahren wurde solch ein Fall von der Rechtsprechung nicht als Angriff auf eine Familienehre
anerkannt. 72 Das Gesetz kennt zwar eine Einschränkung, mit der Bagatellverstösse abgeschichtet
werden sollen, nämlich die Voraussetzung, dass der Angriff von erheblicher Bedeutung gewesen sein
muss. Was das aber bedeutet, ist wiederum der Rechtsprechung überlassen und ein sehr flexibler
Begriff. Zwar liegen bei der Mehrzahl der vom Kassationshof veröffentlichten Entscheidungen ein
Ehebruch oder eine außereheliche Schwangerschaft vor, aber zwingend ist das nicht. Immerhin soll der
pure Verdacht eines Ehebruchs nicht für eine Strafmilderung ausreichen. 73
Es bleibt noch das Erfordernis des Zorns, aus dem heraus der Täter auf der Stelle zur Tat hingerissen
worden sein muss. Dass eine Verletzung der Familienehre die zur Wahrung der Familienehre
verpflichteten Männer zum Zorn hinreißt, wird gewissermaßen automatisch unterstellt. 74 Allerdings
wurde der Zorn nicht als strafmildernd bei einem Mann anerkannt, der bereits vor der Eheschließung
gewusst hatte, dass die Frau einen schlechten Lebenswandel geführt hatte, auch wenn er sie jetzt nach
einem Streit über die Fortsetzung ihres schlechten Lebenswandels getötet hatte. 75 Anforderungen an den
Nachweis von Zorn bei einer Tat, die dem Entdecken der Ehrverletzung unmittelbar folgt, scheinen
kaum gestellt zu werden. Fraglich wird es erst, wenn die Tat nicht unmittelbar nach dem Entdecken der
Ehrverletzung geschieht, sondern erst in einem gewissen zeitlichen Abstand. Wie groß dieser sein kann
und welche Umstände im Einzelnen hier vorliegen (müssen), damit die Tat noch als ein Resultat des
Zorns anerkannt wird, macht einen großen Teil der Rechtsprechung aus, ohne dass es nun zu einer
eindeutigen Stellungnahme gekommen wäre. Anerkannt wurde sie bei dem Bruder, der seine Schwester
einen Tag, nachdem er erfahren hatte, dass sie durch einen außerehelichen Verkehr schwanger war,
getötet hatte. 76 Abgelehnt wurde sie bei einem Täter, der „nach langer Zeit“ seine Schwester wegen
ihres „schlechten Lebenswandels“ getötet hatte. Allerdings wurde im Urteil daraufhingewiesen, dass
immer noch der richterliche Strafmilderungsgrund des Art. 99 Anwendung finden könnte. 77 Bei
verschiedenen Entscheidungen kam es erst ein bis zwei Tage später zur Begehung der Tat, wobei die
Frage, ob der Zorn verraucht gewesen sei, unterschiedlich beurteilt wurde. 78
In der zugänglichen Rechtsprechung sind es überwiegend Brüder, welche die Schwester töten,
gelegentlich Väter, deutlich weniger Ehemänner und noch seltener Söhne. Bei den Brüdern fällt auf,
dass häufig Minderjährige die Täter sind. 79 Der Grund dafür ist einsichtig. Ehrenmorde sind durchaus
nicht nur spontane Leidenschaftsmorde, auch wenn sie aus gesetzlichen Gründen als spontane Tat
70 Abu-Odeh, a.a.O. (Anm. 12), S. 158. Bis 1964 galt auch Art. 340 als Spezialvorschrift bei Ehrendelikten, die schon die Prüfung
einer Anwendung von Art. 98 ausschloss. Eine Entscheidung des Kassationshofs bewirkte in diesem Jahr jedoch eine Änderung
der Rechtsprechung, die darauf hinauslief, dass in Ehrensachen, wenn Art. 340 nicht anwendbar war, Art. 98 herangezogen
werden konnte (Abu-Odeh S. 159; dort weitere Nachweise).
71 Madaghmish, Jamal: Sharh qanun al-uqubat al-urdunni bi-ijtihadat mahkamat al-tamyiz al-urdunniya al-kamila, Amman 2000,
5/67 S. 221 von 1967, S. 122; 88/70 S. 962 von 1970, S. 122; 11/78, S. 458 von 1978, S. 126.
72 Vgl. Cassation Criminal 53,53 p. 578, 1953, zitiert bei Abu-Odeh, a.a.O. (Anm. 12), S. 158.
73 90/81, S. 1770 von 1981, vgl. Madaghmish, a.a.O. (Anm. 71), S. 127.
74 Dieterich, a.a.O. (Anm. 5), S. 36.
75 119/84 S. 1419 von 1984, vgl. Madaghmish, a.a.O. (Anm. 71), S. 127.
76 58/73 S. 849 von 1973, vgl. Madaghmish, a.a.O. (Anm. 71), S. 123.
77 97/94 S. 421 von 1995, vgl. Madaghmish, a.a.O. (Anm. 71), S. 132, mit dem Ergebnis, dass eine zeitige Freiheitsstrafe für ein
Verbrechen halbiert würde.
78 Sa’id, a.a.O. (Anm. 55), S. 161; dort weitere Nachweise zu verschiedenen Entscheidungen des Kassationshofs.
79 Hammad, a.a.O. (Anm. 30), S. 18.

– 13 –
erscheinen sollen. Häufig steht dahinter ein Familienbeschluss, bei dem auch der Täter bestimmt wird.
Die Beteiligten wissen, dass dem Täter eine staatliche Strafverfolgung droht, wollen aber die Kosten der
Tat sozusagen minimieren. Dabei bietet es sich bisweilen an, einen Täter auszuwählen, der zwar schon
ein Messer oder eine andere Waffe führen kann, aber noch keine volle Arbeitskraft ist, die der Familie
während einer Haftzeit verloren ginge; zum anderen ist sehr wohl bekannt, dass Minderjährige schon
aus diesem Grund mit einer Strafmilderung rechnen können.
4. Die Gegenbewegung in Jordanien
Seit Anfang der 1990er Jahre hatten sich Menschenrechtsorganisationen und Frauenorganisationen
zunehmend für eine Abschaffung des Art. 340 stark gemacht. Nachdem 1998 die Jordanian National
Commission for Women zum ersten Mal einen Gesetzesentwurf zur Abschaffung des Art. 340 des
jordStGB erarbeitet und der Regierung zugeleitet hatte, 80 wurde 1999 ein Ministerialentwurf erstellt, der
die Privilegierung des Art. 340 beseitigen sollte. Dieser Entwurf wurde zwar vom Rechtsausschuss des
Senats, der zweiten Kammer, in seinen wesentlichen Zügen gebilligt, wurde aber vom Parlament
zurückgewiesen. Abgeordnete beschuldigten die Regierung, sich mit dieser Vorlage dem „Willen des
Westens“ gebeugt zu haben, der es bezwecke, obszönes Verhalten zu legalisieren und die Frauen
sittlich zu verderben. 81 Die Vorschrift des Art. 340 sei ein Mittel der Vorbeugung und der sozialen
Kontrolle. 82 Eine zweite Vorlage im Januar 2000 wurde vom Parlament gleich gar nicht debattiert,
sondern sofort abgelehnt; es gäbe seit dem Herbst 1999 nichts neues, was eine Wiederaufnahme der
Diskussion erfordere. 83
Mit dieser Haltung hatte das jordanische Parlament anscheinend in Übereinstimmung mit der
Mehrheit der Bevölkerung gestimmt, Meinungsforscher hatten nämlich ermittelt, dass 62 % der
Bevölkerung für die Beibehaltung des Art. 340 in seiner bisherigen Form wären. 84 Allerdings gab es
auch bei den Parteien andere Stimmen. So hieß es in einer Erklärung der Ajial-Partei, einer Partei der
Mitte, Art. 340 StGB sei „ein Vorwand für Mörder, alle Arten von Verbrechen gegen unschuldige
Frauen zu begehen“. 85 Für die Abschaffung des Artikels hatte sich vor allem ein breites Spektrum von
städtischen Oberschichtsangehörigen ausgesprochen, die an einer im Sommer 1999 initiierten
Unterschriftensammlung gegen Art. 340 teilgenommen hatten, die bis zum Winter 2000 über 15.000
Unterschriften erzielt hatte. 86 Auch die Königsfamilie hatte sich wiederholt und deutlich für die
Abschaffung des Art. 340 eingesetzt. 87 Gegen eine Streichung wandte sich dagegen die Islamische
Aktionsfront, politischer Arm der Muslimbruderschaft, mit einem Memorandum, in dem die
Abschaffung des Art. 340 als unislamisch bezeichnet wurde. Gewiss verbiete der Islam das
Herumspionieren und die Tötung aufgrund eines Gerüchts. In Art. 340 ginge es aber um den
nachgewiesenen Ehebruch, zu dem eine Streichung des Art. 340 ermutigen würde. Eine Streichung des
Artikels 340 würde somit darauf abzielen, islamische, soziale und familiäre Werte zu zerstören, indem
sie die Männer ihrer menschlichen Natur entkleiden wollte, wenn sie Ehefrauen oder weibliche
Familienmitglieder beim Ehebruch ertappen. Die Vorschrift würde Männer nicht zur Tötung
80
The Jordan Times, 26.1.2000 (Article 340 amendment returns to House today for debate).
81
The Jordan Times, 28.11.1999 (Senate Legal Committee introduces radical changes to Article 340 of Penal Code).
82
The Jordan Times, 18.5.2000 (Deputy accuses West, Zionists of instigating campaign against honour crimes). Der Abgeordnete
Mahmoud Kharabsheh formulierte: „Was erwarten Sie von einem Mann, der sein Haus betritt und seine Frau mit einem anderen
Mann im Bett findet? Dass er ihr eine Rose überreicht?“
83
The Jordan Times, 27.1.2000 (Lower House again rejects cancelling Article 340 of Penal Code).
84
Summary of World Broadcasts, BBC, London, 25.11.1999; The Jordan Times, 25.11.1999 (Editorial).
85
The Jordan Times, 15.2.2000 (Princes Ali, Ghazi lead protesters calling for abolition of
Art. 340 of penal Code).
86
The Jordan Times, 26.1.2000 (Article 340 amendment returns to House today for debate).
87
Vgl. statt zahlreicher anderer Meldungen The Jordan Times, 15.2.2000 (Princes Ali, Ghazi lead protesters calling for abolition
of Article 340 of Penal Code).

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veranlassen, vielmehr ermutige sie dazu, Tugend und Ehre der Familie zu erhalten. 88 Die
Rechtsanwältin und frühere Senatorin Na’ela Rashdan erklärte in einer öffentlichen Diskussion,
niemand wolle unschuldige Frauen töten, aber eine Frau, die beim Ehebruch ertappt würde, sei nicht
unschuldig. 89 Der Dekan des Sharia College’s an der Universität Zarqa, Mohammed Oweidah, äußerte
sich, die Streichung des Artikels sei ein Aufruf zur Verbreitung von verderbten Sitten und Obszönität
und würde die Gesellschaft völlig zerstören. Die Anführer der Kampagne seien von den Vereinigten
Staaten und den Zionisten geführt, deren Ziel es sei, westliche Ideen zu oktroyieren. Die Regierung
würde vom amerikanischen Kongress erpresst, der eine Finanzhilfe blockiere, wenn der Artikel 340
nicht gestrichen würde. 90
Die Diskussion beruhigte sich damit aber nicht, sondern ging weiter. Im Dezember 2001 erging ein
königliches Dekret, das eine Reihe von Verbesserungen für die rechtliche Stellung von Frauen enthielt.
In diesem Zusammenhang wurde Art. 340 zwar nicht gestrichen, aber abgeändert. Statt Straflosigkeit
wird für den Mörder seiner beim Ehebruch ertappten Ehefrau und ihres Geliebten jetzt nur eine
Strafmilderung vorgesehen. Außerdem können jetzt beide Ehepartner, auch die Frau, von diesem
Strafmilderungsgrund profitieren. 91 Damit wurde in einem vorsichtigen Schritt – immerhin handelt es
nicht um ein übliches Gesetz, sondern um ein königliches Dekret mit zeitlich begrenzter Wirkung – die
Gesetzeslage in Jordanien der Gesetzeslage im Libanon und im Irak angenähert.
Bedenkenswert bleibt jedoch, dass zwar Art. 340 in der öffentlichen Debatte in Jordanien eine große
Rolle spielt, aber in der alltäglichen Gerichtspraxis Art. 98 sehr viel häufiger vorkommt. Man könnte
fast vermuten, dass die Diskussion um Art. 340 eher einen symbolischen Wert hat. Auf der anderen
Seite ist zu bedenken, dass Art. 98 gerade weil er eine allgemein gefasste Norm ist, die sich keineswegs
nur auf Delikte aus Ehrengründen auswirkt, weit schwieriger zu ändern ist, auch wenn diesbezügliche
Forderungen ebenfalls seit längerem erhoben werden. Hier ist der Ansatzpunkt für eine Änderung
zunächst bei der Interpretation durch die Rechtsprechung zu suchen. Sie könnte den Kreis der
Handlungen enger ziehen, die als gravierende Ehrverletzung anerkannt werden. Und sie könnte auch
helfen, ein Bewusstsein dafür zu bilden, dass es nicht Sache eines Bruders ist, seine Schwester auf
Schritt und Tritt auf etwaige Verletzungen der Familienehre zu beobachten und dafür zu bestrafen.
Zur Autorin: Silvia Tellenbach, Dr. phil., Rechtsassessorin; Referentin für die Türkei, Iran und die
arabischen Staaten am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg
im Breisgau.
88 Vollständiger Text des Memorandums in: Summary of World Broadcasts, 18.2.2000, ME/3767 MED/12.
89 The Jordan Times, 10.3.2000 (Lawyers, judges, intellectuals condemn national campaign against Article 340).
90 The Jordan Times, 28.2.2000 (Opposition to Article 340 driven by ‘Zionists, Western interests‘ says Oweidah). Vgl. zur
Stellungnahme der Islamischen Aktionsfront auch Feldner, a.a.O. (Anm. 13), S. 47.
91 The Jordan Times, 14.-15.12.2001 (Penal, Civil Status Law amendments endorsed by Royal Decree).