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Erfahrungen mit dem neuen FamFG im Frauenhaus ...

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Forum 5<br />

<strong>FamFG</strong> – Praxiserfahrungen in Fällen häuslicher Gewalt<br />

Referentin Christel Schüller, Diplom-Pädagogin<br />

<strong>Erfahrungen</strong> <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> <strong>neuen</strong> <strong>FamFG</strong> <strong>im</strong> <strong>Frauenhaus</strong><br />

Einführung<br />

Der Frankfurter Verein ist ein stadtnaher Verein und betreibt aktuell ca. 45 stationäre und<br />

teilstationäre Einrichtungen sowie ambulante Dienste zur Eingliederung oder Versorgung<br />

von psychisch kranken und seelisch behinderten Menschen und von Personen <strong>mit</strong><br />

besonderen sozialen Schwierigkeiten. Der Verein arbeitet <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Sozialamt der Stadt<br />

Frankfurt, <strong>dem</strong> LWV Hessen, der Arbeitsverwaltung und anderen Trägern von Maßnahmen<br />

und Einrichtungen, die Hilfen für den genannten Personenkreis gewähren, zusammen.<br />

Vorsitzende des Vorstands ist die Sozialdezernentin der Stadt Frankfurt, Frau Dr.<br />

Birkenfeld. Der Verein existiert seit rund 100 Jahren und hat etwa 600 MitarbeiterInnen.<br />

Einen besonderen Stellenwert hat der Bereich ‚Hilfe für Frauen in Not‘, HFiN genannt. Er<br />

umfasst 2 Frauenhäuser, das <strong>Frauenhaus</strong> 'die kanne' und das Haus für Frauen und Kinder,<br />

<strong>mit</strong> insgesamt 68 Plätzen für Frauen und Kinder, die <strong>Frauenhaus</strong> Nachsorge, Begleitetes<br />

Wohnen’ <strong>mit</strong> 25 Plätzen, sowie eine angeschlossene Beratungs- und Interventionsstelle.<br />

Das finanzielle Volumen für HFiN beträgt 1.5 Millionen Euro. Die Frauenhäuser verfügen<br />

über ein Haushaltsbudget, welches <strong>mit</strong> der Stadt Frankfurt ausgehandelt wird.<br />

Die Frauenhäuser und das Begleitete Wohnen sind kontinuierlich über 100% belegt. Im<br />

Jahr 2010 suchten Frauen aus 27 Nationen unsere Häuser auf. Es gab 822 Anfragen nach<br />

einem Platz <strong>im</strong> <strong>Frauenhaus</strong>.<br />

Eine Besonderheit der Frauenhäuser des Vereins ist die Zertifizierung nach DIN ISO 9001<br />

und zwar schon seit 1999. Der Frankfurter Verein hat ein integriertes QM System, in das<br />

die Frauenhäuser eingebettet sind.<br />

Im Rahmen der Neustrukturierung des SGB VIII wurde in Zusammenarbeit <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

Jugendamt der Stadt Frankfurt ein Kinderschutzkonzept bei Kindeswohlgefährdung erstellt.<br />

In je<strong>dem</strong> <strong>Frauenhaus</strong> gibt es eine Mitarbeiterin, die zur Kinderschutzbeauftragten<br />

ausgebildet wurde.<br />

In den letzten 2 Jahren wurde parallel hierzu auch ein neues Konzept zur ‚Förderung und<br />

Entwicklung Minderjähriger in den Frauenhäusern‘, kurz FEMiF genannt, erarbeitet. Daraus<br />

ist ein eigener Arbeitsbereich entstanden und sind entsprechende Maßnahmen eingeleitet<br />

worden. Da<strong>mit</strong> soll den besonderen Bedürfnissen der Minderjährigen Rechnung getragen<br />

werden, die durchweg Verhaltensauffälligkeiten zeigen. Bis zu 155 Kinder werden jährlich<br />

gemeinsam <strong>mit</strong> ihren Müttern in den Frauenhäusern aufgenommen. Bei 40% von ihnen ist<br />

die direkte Gewalterfahrung dokumentiert, die Dunkelziffer ist wahrscheinlich viel höher.<br />

Auffälligkeiten reichen von extrem niedriger Frustrationstoleranz über Hyperaktivität zu<br />

Distanzlosigkeit oder aggressivem Verhalten. Die Mütter sind in ihrer Lebenskrise oft wenig<br />

in der Lage, auf kindliche Bedürfnisse einzugehen und ihnen die gerade in der<br />

Trennungsphase vom Mann bzw. Vater notwendige Aufmerksamkeit und Zuwendung zu<br />

geben.<br />

Die Struktur der Hilfe umfasst Angebote, die den Anforderungen der einzelnen<br />

Altersgruppen gerecht werden. Der Personalbedarf ist entsprechend größer geworden.<br />

8. Fachforum, 29. Juni – 1. Juli 2011, Erkner / Berlin<br />

www.frauenhauskoordinierung.de<br />

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<strong>FamFG</strong> – Praxiserfahrungen in Fällen häuslicher Gewalt<br />

Referentin Christel Schüller, Diplom-Pädagogin<br />

Eingestellt wurde auch ein männlicher Mitarbeiter, der sich speziell <strong>mit</strong> den Jungen befasst<br />

und sich als ein positives Rollen- und Identifikationsmodell anbietet. Es gibt Regelangebote,<br />

die wöchentlich <strong>im</strong> täglichen Wechsel stattfinden. Darüber hinaus gibt es Projekte wie<br />

Musical, Malen oder Yoga für Kinder.<br />

Gezielte Hilfen für einzelne Kinder finden in Kooperation <strong>mit</strong> z.B. Frühförderstellen statt und<br />

sollen weiter ausgebaut werden.<br />

Das <strong>FamFG</strong> und das Kindeswohl<br />

Der gesellschaftliche Blick auf Kindeswohl ist gewachsen. Das <strong>FamFG</strong> stellt ausdrücklich<br />

das Kindeswohl und die Verantwortung der Eltern für ihre Kinder in den Mittelpunkt. Das<br />

Kind hat ein Recht auf Kontakt zu Vater und Mutter. Prinzipiell ist an dieser Max<strong>im</strong>e auch<br />

nichts auszusetzen. In Fällen von häuslicher Gewalt gegen Mütter und ihre Kinder<br />

allerdings, wird genau dieses Kindeswohl in Frage gestellt, wenn das Kind auf Beschluss<br />

des Gerichtes Umgang zu seinem Misshandler haben soll. Die Mutter wird zum Kontakt <strong>mit</strong><br />

<strong>dem</strong> Vater ihres Kindes gezwungen. Ängste und Unsicherheiten sind bei den Müttern<br />

enorm.<br />

In beiden Frauenhäusern gibt es seit Inkrafttreten des <strong>neuen</strong> <strong>FamFG</strong> etliche bei<br />

Familiengerichten anhängige Verfahren, die sich insbesondere durch die <strong>neuen</strong><br />

Best<strong>im</strong>mungen zum Umgangsrecht langwierig und konfliktträchtig gestalten. Im Begleiteten<br />

Wohnen setzten sich diese Probleme weiter fort.<br />

Insgesamt lässt sich feststellen, dass sich das neue Gesetz nachteilig für die Mütter, die<br />

nach Gewalterfahrungen <strong>mit</strong> ihren Kindern <strong>im</strong> <strong>Frauenhaus</strong> leben, auswirkt.<br />

Wenn Väter umgehend nach der Trennung den Umgang <strong>mit</strong> ihren Kindern bei Gericht<br />

beantragen, bleibt Müttern wenig Zeit, ihre Argumente gegen einen Kontakt zum<br />

Kindesvater für das Gericht vorzubereiten.<br />

Kommt es in den Darstellungen der Eltern zu gegenteiligen Vorwürfen und Belastungen,<br />

werden ggf. viele Beteiligte eingesetzt:<br />

JA, Verfahrensbeistand, Ergänzungspfleger, Organisationen für Begleiteten Umgang,<br />

konfliktregulierende Beratungsstellen, Familienhilfe, Gutachter, etc.<br />

Oft sind Misshandlungen traumatisch erlebte Ereignisse, die tiefe Spuren in Müttern und<br />

Kindern hinterlassen haben. Die Erinnerung an best<strong>im</strong>mte Vorfälle ist evtl. lückenhaft.<br />

Unter Stress werden Zeit und Ort durcheinander gebracht. Die Frauen sind nach Aufnahme<br />

<strong>im</strong> <strong>Frauenhaus</strong> zunächst da<strong>mit</strong> beschäftigt, den Alltag <strong>mit</strong> ihren Kindern neu zu<br />

strukturieren und sich einzuleben. Neue Schulen, Kindertagesstätten, Ärzte, etc. müssen<br />

gefunden werden. Der Lebensunterhalt muss gesichert werden, Anträge gestellt werden.<br />

Oft haben Frauen kein eigenes Bankkonto oder nur ein gemeinsames <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Mann.<br />

Kindergeld oder Elterngeld auf das Konto des Mannes muss gestoppt werden.<br />

Notwendige Ruhe und Abstand können nicht hergestellt werden. Schlafstörungen und<br />

Albträume sind Folgen. In dieser psychischen Krisensituation muss dennoch gehandelt<br />

werden.<br />

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Referentin Christel Schüller, Diplom-Pädagogin<br />

Ein Termin bei einer Anwältin muss zeitnah erfolgen. Wurde Anzeige erstattet? War sie<br />

be<strong>im</strong> Arzt? Gibt es Atteste oder Zeugen? Welche Unterlagen können bzw. müssen<br />

beschafft werden?<br />

Eine Fülle von Terminen ist wahrzunehmen, Auflagen sind einzuhalten. All das bringt große<br />

Unruhe in das Leben der Mütter und ihrer Kinder. Mütter müssen sich ständig rechtfertigen.<br />

Sie stehen unter Beobachtung und sind <strong>dem</strong> ausgeliefert. Sie gewinnt den Eindruck, dass<br />

ihr niemand Glauben schenkt.<br />

Zu<strong>dem</strong> machen oft Familien Druck auf die Frau, zu ihrem Misshandler zurückzukehren oder<br />

ihm die Kinder zu überlassen.<br />

Einige Fallbeispiele:<br />

Beschleunigter Umgang<br />

Eine afrikanische Frau kommt <strong>mit</strong> ihrem 2 ½ Monate alten Baby nach psychischer Gewalt<br />

am 15.12. ins <strong>Frauenhaus</strong>. Sie ist erst 6 Monate in Deutschland und ist verheiratet <strong>mit</strong><br />

einem Landsmann, der die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt. Sie spricht kein Deutsch,<br />

weil ihr Mann ihr verboten hat, einen Integrationskurs zu besuchen.<br />

Der Mann beantragt am 18.12. per Einstweiliger Anordnung das<br />

Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht für das Baby. Er hat Interesse an <strong>dem</strong> Kind, weil er schon<br />

lange (ohne Wissen seiner Ehefrau) <strong>mit</strong> einer Frau zusammen ist, die keine Kinder<br />

bekommen kann. Außer<strong>dem</strong> beantragt er eine Grenzsperre bzw. macht Anzeige wegen<br />

Kindesentziehung, da<strong>mit</strong> die Frau das Baby nicht <strong>mit</strong> in ihr He<strong>im</strong>atland nehmen kann. Am<br />

22.12. beschließt das AG ohne mündliche Anhörung, die Ausreise des Kindes zu<br />

untersagen. Über die Feiertage liegt der Fall auf Eis und die Zustellung des Beschlusses<br />

erfolgt erst nach Weihnachten. Am 12.01. des folgenden Jahres soll der 1. Gerichtstermin<br />

stattfinden. Die Frau ist entsetzt und fürchtet, das Baby könne ihr weggenommen werden.<br />

Ihr Aufenthalt ist zu<strong>dem</strong> befristet und an den Ehemann gebunden, weil sie keine 2 Jahre <strong>mit</strong><br />

ihm in Deutschland gelebt hat. Da das Kind Deutsch ist, hat sie zwar nicht zu befürchten,<br />

ausgewiesen zu werden, aber die Anträge ihres Mannes und die Schnelligkeit der<br />

Entscheidungen machen ihr Angst. Ihre Anwältin ist in Urlaub. Das JA ist involviert und<br />

befragt die Mutter wenige Tage vor <strong>dem</strong> Termin <strong>mit</strong> einer Dolmetscherin. Der<br />

Gerichtstermin scheitert dann allerdings, weil keine Dolmetscherin bestellt wurde. So kann<br />

die Anwältin danach in Ruhe Anträge der Kindesmutter auf das<br />

Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht stellen. Weil das Baby erst wenige Monate alt ist, schlägt der<br />

Richter be<strong>im</strong> Termin Anfang März vor, der Mutter das Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht zu<br />

geben und die Umgangskontakte über das Jugendamt zu klären. Das Verfahren wegen<br />

Kindesentziehung wird eingestellt. Die Gespräche be<strong>im</strong> JA scheitern jedoch. Zwischen den<br />

Eltern kann keine Einigung erzielt werden. Das AG beschließt dann, die Häufigkeit des<br />

Kontaktes zum Vater soll 2x wöchentlich <strong>im</strong> Rahmen eines begleiteten Umgangs<br />

stattfinden.<br />

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Zuständigkeit des Gerichtes – Umgang am Wohnort des Vaters<br />

Die Zuständigkeit des Gerichts am Wohnort der Frau führt <strong>mit</strong>unter zu<br />

Umgangsregelungen, die sich kompliziert und vor allem zum Nachteil der Kinder auswirken.<br />

Die Frau flüchtet sich <strong>mit</strong> ihrem 3-jährigen Mädchen aus einer anderen Großstadt nach<br />

Frankfurt a.M. Das hiesige Gericht ist zuständig. Die Frau erhält ohne Probleme das<br />

Aufenthaltsbest<strong>im</strong>mungsrecht für ihre Tochter. Das Amtsgericht beschließt, den Umgang<br />

des kleinen Kindes alle 3 Wochen an den Wochenenden be<strong>im</strong> Vater an dessen Wohnort<br />

stattfinden zu lassen. Der Vater holt und bringt das Kind. Die Mutter hat große Angst. Sie<br />

weiß, dass die Eltern ihres Mannes das Kind gern ins Ausland bringen würden. Die Auflage<br />

des Gerichtes ist die, dass das Kind die ganze Zeit in der Obhut des Vaters sein soll und<br />

nicht bei dessen Eltern. Das JA in der anderen Stadt lehnt es ab, die Besuche zu<br />

kontrollieren. Das Kind kommt jedes Mal krank zurück. Vor einigen Wochen rief der Vater<br />

an und sagte, er wolle die Tochter bei sich behalten. Die Mutter versucht, die Polizei<br />

einzuschalten. Als ihr dies nicht gelingt, fährt sie <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Gerichtsbeschluss in der Tasche<br />

in die andere Stadt, geht zur Polizei und lässt das Kind aus der Familie holen. Es wurde<br />

festgestellt, dass der Vater nicht da war, der Haushalt chaotisch war und die Großeltern<br />

sowie das Kind krank <strong>im</strong> Bett lagen. Das Mädchen gab an, keine ausreichende Nahrung<br />

erhalten zu haben. Sie hatte großen Hunger.<br />

Ein Abänderungsantrag für den Umgang wurde <strong>mit</strong>tlerweile gestellt. Aber wenn es keine<br />

dramatische Zuspitzung gegeben hätte, wäre der Umgang möglicherweise auf lange Zeit so<br />

weiter gelaufen, ohne Kenntnis der tatsächlichen Verhältnisse.<br />

Umgang für gewalttätige Väter<br />

Auch in Fällen häuslicher Gewalt entscheiden Richter, dass Väter Umgang, oft genug<br />

unbegleitet, <strong>mit</strong> ihren Kindern haben können. Die Mütter werden unter Druck gesetzt, vom<br />

Gericht oder / und JA, dass die Kinder den Vater sehen sollen, weil es <strong>dem</strong> Kindeswohl<br />

entspräche. Dabei ist den Richtern <strong>mit</strong>unter von sekundärer Bedeutung, dass Kinder von<br />

den Vätern misshandelt wurden oder die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen<br />

den Eltern <strong>mit</strong> ansehen mussten. In kaum einem Fall wird der Umgang zum anderen<br />

Elternteil ausgesetzt.<br />

Durch die <strong>neuen</strong> Umgangsregelungen sind viele Frauen sehr verunsichert.<br />

Manche Frauen möchten ihren Kindern den Kontakt zum Vater erhalten und sind zu<br />

unbegleitetem Umgang bereit, obwohl der Vater in der Vergangenheit gewalttätig gegen<br />

das Kind gewesen ist. Wollen, sollen, müssen: was ist das Richtige? Diese Fragen stellen<br />

sich Mütter <strong>im</strong>mer häufiger.<br />

Es fällt manchen Frauen schwer, sich dabei konsequent zu verhalten.<br />

Fallbeispiel<br />

Selbst Drohungen seitens des Mannes und problematische Besuchswochenenden konnten<br />

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bis vor kurzem eine Mutter nicht daran hindern, <strong>mit</strong> unbegleitetem Umgang einverstanden<br />

zu sein. Ihr Argument, den Kindern den Vater erhalten zu wollen, wurde von diesem<br />

ausgenutzt. Das JA hatte zu<strong>dem</strong> von ihr verlangt, kooperativ zu sein. Sie war es - der Vater<br />

nicht. Er hält sich an keine Umgangsvereinbarung, kommt wochenlang nicht und dann<br />

wieder unangemeldet. Von der Mutter wird aber verlangt, die Besuchsregelungen<br />

einzuhalten. Die Mutter lernt jedoch jetzt, nicht alles <strong>mit</strong> sich und den Kindern machen zu<br />

lassen. Sie hat einen Abänderungsantrag bei Gericht gestellt und <strong>mit</strong> ausführlichen<br />

eidesstattlichen Erklärungen begründet. Sie hat das Gespräch <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> JA gesucht und ihre<br />

Handlungsweise erklärt. Den Umgang hat sie schon eigenmächtig ausgesetzt, woraufhin<br />

der Ehemann sie wegen Kindesentziehung angezeigt hat. Das Er<strong>mit</strong>tlungsverfahren wurde<br />

<strong>mit</strong>tlerweile von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Ein Termin für eine weitere<br />

Gerichtsverhandlung steht aus. Fortsetzung folgt…<br />

Umgang für Mütter von Kindern, die be<strong>im</strong> Vater leben<br />

Im Gegensatz dazu kommt es vor, dass Vätern, bei denen Kinder leben, mehr Freiräume in<br />

ihrer Argumentation zugestanden werden, den Umgang des Kindes <strong>mit</strong> der Mutter zu<br />

unterbinden oder zu torpedieren. Vor allem bei Vätern, die gut situiert sind und sich<br />

eloquent darstellen können, schenkt das Gericht eher den Vätern Glauben.<br />

Mit Geld, Geschenken und Reisen werden Kinder beeinflusst. Da fährt dann ein<br />

wohlhabender Vater <strong>mit</strong> seiner Tochter schnell in den Ferien in das He<strong>im</strong>atland der Mutter,<br />

so dass kein Umgang <strong>mit</strong> ihr stattfinden kann. Eine Reise, die die Mutter sich nicht leisten<br />

kann und die sie selbst gern <strong>mit</strong> ihrer Tochter gemacht hätte. So verzichtet die Mutter nach<br />

vielen Kränkungen und <strong>dem</strong>ütigenden Versuchen, ihre Tochter zu sehen, in diesem Fall auf<br />

ihr Recht auf Umgang, um ihrer Tochter, die von ihrem Vater außergewöhnlich verwöhnt<br />

wird, eine zwangsweise umgesetzte Besuchsregelung zu ersparen. Das Mädchen wurde<br />

dermaßen beeinflusst, dass sie ihre Mutter nicht mehr sehen will.<br />

Zum jetzigen Zeitpunkt entspricht die Entscheidung der Frau eher <strong>dem</strong> Kindeswohl als das<br />

Verhalten des Vaters, <strong>dem</strong> Kind die Mutter vorzuenthalten.<br />

Mütter ohne gefestigten Aufenthalt<br />

Mütter, die aus Nicht EU Staaten kommen und keinen eigenen Aufenthaltstitel haben,<br />

befürchten, dass ihnen ihre Kinder durch die <strong>neuen</strong> Umgangsregelungen weggenommen<br />

werden könnten. Sie fühlen sich rechtlos und den Vätern ausgeliefert, wenn sie sich<br />

trennen und Väter Umgang fordern.<br />

Männer nutzen das neue <strong>FamFG</strong>, um ihre vermeintlichen Rechte auszuspielen. Dabei geht<br />

es ihnen nicht um das Wohl des Kindes, sondern um Machtausübung.<br />

Bedeutung der Frauenhäuser in strittigen Verfahren<br />

Gericht und JA treffen jedoch auch ganz andere Entscheidungen und erwarten die<br />

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Kooperation der Frauenhäuser:<br />

In den letzten eineinhalb Jahren gab es mehrere Fälle, dass Frauen vom JA oder <strong>dem</strong><br />

Familiengericht zur Auflage gemacht wurde, <strong>mit</strong> den Kindern ein <strong>Frauenhaus</strong> aufzusuchen,<br />

oder die Inobhutnahme der Kinder in Kauf zu nehmen. Nach Rücksprache <strong>mit</strong> den JAs<br />

wurde beschlossen, die Frauen aufzunehmen, da eine Misshandlungsproblematik der Frau<br />

und/oder der Kinder vorlag.<br />

Den Frauenhäusern ist dabei jedoch wichtig festzuhalten, dass sie quasi als<br />

Kontrollinstanzen den Umgang der Mütter <strong>mit</strong> ihren Kindern nicht überwachen.<br />

Dies kann und darf nicht Aufgabe der Frauenhäuser sein. Die Betreuung <strong>im</strong> <strong>Frauenhaus</strong><br />

stößt bei den betroffenen Frauen oft auf Ablehnung, scheitert <strong>mit</strong>unter ganz.<br />

Fallbeispiel<br />

Die Frau hat eine kleine Tochter, ist von ihrem drogenabhängigen Ehemann bereits seit 1<br />

Jahr getrennt und lebte vor <strong>dem</strong> <strong>Frauenhaus</strong>aufenthalt bei ihrem Lebensgefährten. Das JA<br />

unterstellte ihr und ihrem Partner ebenfalls Drogen zu nehmen. Beide verweigerten<br />

Screenings. Das JA sah eine Kindeswohlgefährdung und beantragte bei Gericht den<br />

Entzug des Sorgerechts. Das Gericht beschied den Antrag positiv. Das JA verlangte dann,<br />

die Frau solle in ein <strong>Frauenhaus</strong> ziehen und andere Auflagen erfüllen, um eine<br />

Inohutnahme der Tochter zu verhindern. Die Frau erklärt sich einverstanden. Sie kann sich<br />

zunächst aber nicht einlassen. Es dauert sehr lange, ihr Vertrauen zu gewinnen. Sie ist<br />

aber dann doch kooperativ und n<strong>im</strong>mt Drogenscreenings wahr. Sie hält sich verstärkt unter<br />

der Woche <strong>im</strong> Haus auf. Das <strong>Frauenhaus</strong> setzt sich für sie ein, das Sorgerecht für ihre<br />

Tochter zurück zu erhalten. Das JA ist sehr zögerlich, <strong>dem</strong> zuzust<strong>im</strong>men, obwohl die Frau<br />

alle Auflagen erfüllt, sogar einer Familienhilfe während des <strong>Frauenhaus</strong>-Aufenthaltes (dabei<br />

gar nicht nötig aus Sicht des <strong>Frauenhaus</strong>es) zust<strong>im</strong>mt. Derweil wurde beschlossen, dass<br />

die kleine 4-Jährige begleiteten Umgang <strong>mit</strong> ihrem Vater haben soll, der nach wie vor keine<br />

Auflagen des Gerichts erfüllt. Er n<strong>im</strong>mt weder an einem Anti-Gewalt-Training teil noch liefert<br />

er die verlangten Drogenscreenings ab. Es wird festgelegt, dass der Umgang nicht in der<br />

Wohnung des Vaters stattfinden darf und eine Mitarbeiterin der durchführenden Einrichtung<br />

dafür Sorge tragen soll, dass dies auch nicht passiert. Diese Person ist eine Landsmännin<br />

des Vaters und genehmigt dennoch den Besuch des Kindes in der Wohnung des Vaters.<br />

Das Ergebnis ist ein traumatisiertes krankes Kind, welches sich über Tage nicht beruhigen<br />

kann. Die Mutter beantragt die Aussetzung des Umgangs. Das Jugendamt besteht aber auf<br />

Kontakten. In diesem Fall gibt es keine zufriedenstellende Zusammenarbeit, weder <strong>mit</strong> <strong>dem</strong><br />

JA noch <strong>mit</strong> der Einrichtung, die den Umgang kontrollieren soll.<br />

Die Unterbringung von Frau und Kindern <strong>im</strong> <strong>Frauenhaus</strong> wird bei Gericht in der Regel<br />

negativ bewertet. Es biete zwar Schutz für die Frau, aber das Kindeswohl würde dabei nicht<br />

gebührend berücksichtigt.<br />

Es wird unterstellt, die Bedingungen <strong>im</strong> <strong>Frauenhaus</strong> seien von Nachteil für das Kind. So<br />

wird in einem aktuellen Fall <strong>dem</strong> Vater Umgang an je<strong>dem</strong> Wochenende von Freitag bis<br />

Sonntag zugestanden, solange die Frau <strong>im</strong> <strong>Frauenhaus</strong> wohnt. In der eigenen Wohnung<br />

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soll der Umgang nur 14-tägig be<strong>im</strong> Vater stattfinden.<br />

Stellungnahmen seitens des <strong>Frauenhaus</strong>es wird bei Gericht wenig Bedeutung<br />

beigemessen. Dabei sind die Mitarbeiterinnen diejenigen, welche Mutter und Kind jeden<br />

Tag erleben und aussagekräftige Einschätzungen über deren Erziehungsfähigkeit und den<br />

Hilfebedarf vornehmen können. Dagegen ist die Beurteilung seitens der<br />

Verfahrensbeistände schon nach einmaligen Gesprächen <strong>mit</strong> den Beteiligten die Grundlage<br />

für einen Gerichtsbeschluss.<br />

Frauenhäuser sind Schutzzonen und die Mitarbeiterinnen arbeiten parteilich für die Frauen<br />

und Mütter.<br />

Aber: Wir sind nicht blind und verschließen unsere Augen vor Erziehungsproblemen der<br />

Mutter oder aber auch den positiven Reaktionen der Kinder auf ihre Väter. Gerichte<br />

unterstellen, dass Berichte der Frauenhäuser tendenziell gefärbt sind, um Mütter zu<br />

schützen. Es kommt aber auch vor, dass wir uns für eine Inobhutnahme aussprechen,<br />

wenn die Mutter offensichtlich <strong>mit</strong> der Erziehung ihres Kindes überfordert ist und andere<br />

Maßnahmen nicht greifen, um das Kindeswohl zu gewährleisten.<br />

Konsequenzen<br />

• Tatsache ist, dass die Unterstützung von Frauen in strittigen Familienverfahren nach<br />

<strong>dem</strong> <strong>neuen</strong> Recht komplex ist und einen hohen Beratungsaufwand erfordert.<br />

• Es ist noch wichtiger geworden, gleich bei der Aufnahme <strong>im</strong> <strong>Frauenhaus</strong> gemeinsam<br />

<strong>mit</strong> der Frau die Ausgangssituation zu klären. Fakten müssen gesammelt, die<br />

familiären Probleme benannt werden, um ggf. schnell handeln zu können.<br />

• Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern brauchen ein fundiertes Wissen über die<br />

aktuelle Rechtslage, um Frauen kompetent beraten zu können. Regelmäßige<br />

Schulungen zu Änderungen <strong>im</strong> Familienrecht sollten <strong>mit</strong> erfahrenen Anwältinnen<br />

durchgeführt werden.<br />

• Mütter sollten stärker ermutigt werden, den Umgang <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> Kindesvater<br />

auszusetzen, wenn es bei Besuchen zu Problemen kommt. Allerdings müssen<br />

Vorfälle gut dokumentiert sein, um Material für einen Abänderungsantrag bei Gericht<br />

vorlegen zu können.<br />

Forderungen<br />

• Eine Nachbesserung des <strong>FamFG</strong> in Fällen von Gewalt betroffener Frauen und<br />

Kinder ist notwendig. Ein Umgang <strong>mit</strong> <strong>dem</strong> anderen Elternteil entspricht nicht in<br />

je<strong>dem</strong> Fall <strong>dem</strong> Kindeswohl. Ausnahmen müssen ermöglicht werden.<br />

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<strong>FamFG</strong> – Praxiserfahrungen in Fällen häuslicher Gewalt<br />

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• Das Gewaltschutzgesetz darf nicht durch das neue Gesetz ausgehebelt werden.<br />

Eine erteilte Kontaktsperre gegen den Misshandler passt nicht zum geforderten<br />

Umgang des Kindes <strong>mit</strong> seinem Vater.<br />

• Die Zusammenarbeit <strong>mit</strong> den Jugendämtern ist für die Mütter und ihre Kinder<br />

einerseits und für die Mitarbeiterinnen von größerer Bedeutung geworden. Es bedarf<br />

verstärkt gemeinsamer Gespräche, Lösungen für die jeweilige Familienproblematik<br />

zu finden.<br />

• Mitarbeiterinnen in den Frauenhäusern sind fachkompetente Pädagoginnen und<br />

Sozialarbeiterinnen, deren Einschätzung einer Familienproblematik nach sachlichen<br />

Kriterien und intensiver Zusammenarbeit <strong>mit</strong> Müttern und Kindern erfolgt.<br />

Unsere Professionalität sollte von Familiengerichten und Jugendämtern stärker<br />

anerkannt werden.<br />

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