NZZ Artikel - FiZ
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Für einen unaufgeregten Umgang<br />
mit Sexarbeit<br />
Sichtbare Prostitution löst viele Widerstände aus, und der Staat gerät unter Zugzwang.<br />
Doch dringender als neue Prostitutionsgesetze wäre<br />
die Einführung von Standards für faire Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen.<br />
Von Doro Winkler<br />
Stellen Sie sich vor, der Freier fordert einen Beschrieb<br />
der Arbeitsbedingungen im Bordell statt<br />
möglichst billig ungeschützten Verkehr zu konsumieren.<br />
Er will wissen, wie viel Geld die Sexarbeiterin<br />
für das Zimmer, Bewilligungen und Infrastruktur<br />
abgeben muss. Und er geht nicht mehr hin,<br />
wenn die Sexarbeiterin nicht mindestens 70 Prozent<br />
der Einnahmen selber behalten kann. Stellen<br />
Sie sich vor, der Freier interessiert sich auch auf<br />
dem Strassenstrich dafür, wie die hygienischen Bedingungen<br />
in diesem grössten, vom Staat kontrollierten<br />
«Bordell» sind, ob Zuhälter abkassieren, ob<br />
Ausbeutung und Gewalt verhindert wird, ob die<br />
Frauen gut informiert sind über ihre Rechte und<br />
Pflichten. Obwohl es für Prostitution zwei braucht<br />
und es viel mehr Freier als Sexarbeiterinnen gibt,<br />
ist der Kunde in der Diskussion um Sexarbeit kein<br />
Thema. Tabuisiert und im Dunkeln gelassen, wie er<br />
es auch mag, wenn er von der Rolle des Familienvaters<br />
in die Rolle des Freiers schlüpft. Doch auch<br />
er müsste Verantwortung wahrnehmen, Verantwortung<br />
als Konsument der Dienstleistung Sex.<br />
Sexarbeit ist Arbeit<br />
Die Diskussionen um Sexarbeit sind aufgeheizt.<br />
Der Sihlquai in Zürich ist seit langem mediales<br />
Dauerthema, der Eindruck von hemmungslosen<br />
Frauen und gewalttätigen Zuhältern bringt das<br />
Thema immer wieder in die Schlagzeilen. Und<br />
immer mit einem Foto von halbnackten Frauen,<br />
aus der Perspektive des Freiers.<br />
In der Diskussion um Sexarbeit ist es zentral, zwischen<br />
Sexarbeit und Frauenhandel klar zu unterscheiden.<br />
Eine selbstbestimmte Sexarbeiterin<br />
braucht gute Rahmenbedingungen, damit sie die<br />
sexuelle Dienstleistung unter fairen Bedingungen<br />
anbieten kann. Ein Opfer von Frauenhandel<br />
braucht nach der traumatisierenden<br />
Ausbeutungs-Erfahrung Schutz, Sicherheit und<br />
Unterstützung.<br />
Bleiben wir bei der Sexarbeit. Ohne die Dinge<br />
verharmlosen zu wollen täte uns allen ein unaufgeregter<br />
Blick auf die Fakten gut: Sexarbeit ist<br />
Arbeit. Aber eine risikoreiche Arbeit, in welcher<br />
es Lebenserfahrung und Durchsetzungsvermögen<br />
braucht, um sich in diesem Umfeld in Freiheit und<br />
Selbstbestimmung behaupten zu können. Es ist<br />
nicht haltbar, dass sich Jugendliche bereits mit 16<br />
Jahren legal prostituieren dürfen. Gesetze sollen<br />
gesellschaftliche Normen widerspiegeln. Jugendliche<br />
dürfen erst mit 18 Jahren Auto fahren oder<br />
hochprozentigen Alkohol kaufen. Auch in der gewerblichen<br />
Sexarbeit sollten sie erst mit 18 Jahren<br />
tätig sein dürfen.<br />
Sexarbeit wird immer noch diskriminiert und<br />
stigmatisiert. So wird Sexarbeiterinnen heute noch<br />
die erleichterte Einbürgerung als Ehefrau eines<br />
Schweizers verwehrt, weil der Bund davon ausgeht,<br />
dass Sexarbeiterinnen nicht in einer intakten<br />
Ehe leben. Nebenbei bemerkt: Die Ehefähigkeit<br />
der Freier wird nie thematisiert. Sexarbeit ist zwar<br />
legal (seit 1942!) und steht unter dem Schutz der<br />
verfassungsrechtlichen Wirtschaftsfreiheit. Aber<br />
ihren Lohn kann eine Sexarbeiterin nicht einfordern,<br />
weil die Gerichte ihn bis heute als sittenwidrig<br />
einstufen. Ein alter Zopf, der längst abgeschnitten<br />
gehört.<br />
Faire Arbeitsbedingungen<br />
Der sichtbare Teil der Sexarbeit löst viele Widerstände<br />
aus. Dadurch gerät der Staat unter Zugzwang:<br />
Zur Zeit werden in verschiedenen Kantonen<br />
Prostitutionsgesetze entwickelt. Ziel ist es, die<br />
Anwohner vor «Auswüchsen» zu schützen, die Anzahl<br />
ausländischer Sexarbeiterinnen zu verringern,<br />
Sexarbeiterinnen zu kontrollieren. Und immer<br />
wird gesagt, dass mit Prostitutionsgesetzen auch<br />
der Menschenhandel bekämpft werden soll.<br />
Repressive Mittel wie Kontrollen und Bewilligungsentzug<br />
werden als Massnahmen gegen Menschenhandel<br />
und zum Schutz der Frauen verkauft.<br />
Das ist ein Etikettenschwindel. Wie soll eine Bewilligungspflicht<br />
für Sexarbeiterinnen ihre Arbeitsbedingungen<br />
verbessern? Wie soll der geforderte<br />
Businessplan, der zur Erteilung der Bewilligung<br />
verlangt wird, einen Schutz vor Ausbeutung<br />
darstellen?<br />
Längst wissen wir, dass Menschenhandel mit<br />
ganz anderen Mitteln bekämpft wird: Die bessere<br />
Zusammenarbeit zwischen Polizei, Opferschutz<br />
und Justiz mit Unterstützung der Migrationsbehörden<br />
bewirkt einen verbesserten Opferschutz und<br />
eine effiziente Täterverfolgung. Diese Kooperation<br />
wird in vielen Kantonen gelebt. Ein Prostitutionsgesetz<br />
aber dient vor allem der Eindämmung<br />
des Gewerbes. Immer und überall ist diese Doppelmoral<br />
sichtbar. Statt für das legale (und freiwillig<br />
ausgeübte) Sexgewerbe transparente, klare und<br />
faire Rahmenbedingungen zu schaffen, verheddert<br />
sich der Gesetzgeber weiter in Widersprüchen,<br />
schafft neue Hürden, Verordnungen und Stolpersteine<br />
für die Sexarbeiterinnen.<br />
Viel dringender als eine Prostitutions-Verordnung<br />
ist die Diskussion über menschenwürdige,<br />
faire und sichere Arbeitsbedingungen für Sexarbeiterinnen.<br />
Bei Bauarbeitern ist die Helmpflicht<br />
unbestritten, den Metzgerlehrlingen gibt<br />
das Seco einen Sicherheitskoffer mit, warum wird<br />
über die Arbeitsbedingungen der Sexarbeiterinnen<br />
nicht endlich laut nachgedacht?<br />
Es müssen Standards für faire Arbeitsbedingungen<br />
von Sexarbeiterinnen entwickelt werden: Welches<br />
Abgabemodell ist fair, wo beginnt die Aus-
eutung? Hilft ein staatlich geführtes Bordell,<br />
wenn daneben 200 privat geführt werden? Oder ist<br />
die Lösung das selbstverwaltete Puff? Wer kontrolliert<br />
die Arbeitsbedingungen? Gemeint ist nicht<br />
nur die Infrastruktur, sondern auch Sicherheit und<br />
Selbstbestimmung, Lohn, Sozialversicherungen,<br />
Gesundheitsversorgung, Gewaltprävention. Gibt<br />
es gar in Zukunft ein Gütesiegel für Betriebe, die<br />
fair, nachhaltig und ausbeutungsfrei funktionieren?<br />
Nicht ganz so sexy, wenn man das Thema so<br />
angeht, aber dringlich für die Betroffenen.<br />
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Doro Winkler, Öffentlichkeitsbeauftragte der FIZ Fachstelle Frauenhandel<br />
und Frauenmigration, Zürich