Megafon - Norient
Megafon - Norient
Megafon - Norient
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m … aus der Reitschule Bern<br />
mit<br />
Nr. 351 2011 Januar Preis Sfr. 6.-egafon<br />
PRO g r a m m<br />
www.megafon.ch Schwerpunkt: <strong>Norient</strong>
im Januar<br />
ImprEssum<br />
EntrEE<br />
3 CartE BlanChE pour uvm<br />
3 In dEn norIEnt rEIsEn?<br />
Editorial<br />
4 dIE rotE Wand<br />
Entree<br />
sChWErpunkt norIEnt<br />
5 vEr(W)IrrungEn zWIsChEn musIk,<br />
gEsEllsChaft und polItIk<br />
Ein multi-dimensionales phänomen<br />
7 araBEsk: von sChmErz zu kommErz<br />
12. Januar, 20.30 uhr, turnhalle progr<br />
8 muEzzInE BEIm gEsangsWEttBEWErB<br />
13. Januar, 20.00 uhr, kino in der reitschule<br />
9 taqWaCorE: dIE gEBurt dEs IslamIsChEn<br />
punk<br />
13. Januar, ca. 21.45 uhr, kino in der reitschule<br />
10 «WEm gEhört dIEsEr song?»<br />
14. Januar, 20.00 uhr, kino in der reitschule<br />
11 fokofpolIsIEkar – fuCk-off-polICE-Car<br />
14. Januar, ca. 21.45 uhr, kino in der reitschule<br />
13 full mEtal vIllagE<br />
15. Januar, 20.00 uhr, kino in der reitschule<br />
14 «WE don’t CarE aBout musIC anyWay»<br />
15. Januar, 22.00 uhr, kino in der reitschule<br />
15 zur EthnographIsChEn praxIs<br />
Im 21. JahrhundErt<br />
feldforschung<br />
16 WIssEn andErs vErmIttEln<br />
odEr EtWas andErEs vErmIttEln?<br />
medienanthropologie heute<br />
17 musIkEthonolgIsChE stImmEn<br />
aus allEr WElt<br />
22 pIss-WEllnEss, sChIzophrEnE punkEr<br />
und alkoholdEhydrogEnasE<br />
selbstversuch: global rock‘n‘roll<br />
rEdaktIon ag megafon | postfach 7611, Ch-3001 Bern<br />
megafon@reitschule.ch | fon 031 306 69 66 | pC 30-34495-5<br />
layout megafon plakat pak umsChlag peet pienaar<br />
sChWErpunkt-IllustratIonEn milena gsteiger (mfg)<br />
druCk kollektiv druckwelle, reitschule<br />
rEdaktIon dIEsEr nummEr natalia funariu (nafu), milena gsteiger<br />
(mfg), ursula häni (ush), agnes hofmann (ans), patrick kuhn (pak), rahel la<br />
Bey (rel), leena schmitter (lsc), urslé von mathilde (uvm).<br />
rEdaktIonssChluss 15. dezember 2010; näxter 9. Januar 2011<br />
ErsChEInt monatlich, auflage unter 1000 Ex.; JahrEsaBo (mind. 72 franken<br />
auf pC 30-34495-5 einzahlen, abo bei obenstehender adresse).<br />
die in den Beiträgen wiedergegebene meinung muss sich nicht mit der<br />
meinung der redaktion decken. die schwerpunkt-Beiträge dokumentieren die<br />
Entwicklung von kunst- und Jugend- und politszenen.<br />
Weder mit bildlichen noch textlichen Inhalten sollen die leserInnen dazu<br />
aufgerufen werden, straftaten zu begehen.<br />
die artikel dieser zeitung unterstehen einer CreativeCommons lizenz. für<br />
nicht-kommerzielle zwecke können sie mit quellenangabe frei verwendet<br />
werden.<br />
Inhalt<br />
2<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
InnEnland<br />
24 für rEIChE – gEgEn armE<br />
nach der abstimmung zur ausschaffungsinitiative<br />
IntErnatIonalIstIsChE<br />
28 dIE dEfInItIon dEs WahnsInns –<br />
Irland In dEr krIsE<br />
den gurt enger schnallen<br />
sChönEr WohnEn?<br />
30 offEnsIvEs WohnEn?<br />
schöner Wohnen – die neue rubrik<br />
kultur Et all<br />
25 guItarhEads Wäut<br />
26 gEmEIngütEr BEfrEIEn<br />
tour de lorraine 11<br />
32 konzEptIon dEr grausamkEIt<br />
Buchtipp Januar 2011<br />
programm<br />
kIno<br />
daChstoCk<br />
rösslI<br />
souslEpont<br />
toJo thEatEr<br />
frauEnraum<br />
46 story of hEll<br />
abonniert das megafon!<br />
» talon ganz hinten!
editorial<br />
in den norient reisen?<br />
norient.com<br />
tourdelorraine.ch<br />
CartE BlanChE pour uvm<br />
liebe megafon-leser_innen<br />
das erste Jahrzehnt des neuen<br />
Jahrtausend ist vorbei. ui, die<br />
nuller-Jahre: Ist es da ausser<br />
technologisch betrachtet, irgendwo<br />
krass vorwärts gegangen?<br />
Was nehmen wir mit ins zweite<br />
Jahrzehnt ausser socialmedia,<br />
nanopartikel und ein handtelefon<br />
für alle (in der schweiz). Wann<br />
wird eine andere Welt möglich?<br />
Wann kommt der markante schritt<br />
bei den menschenrechten? Wann<br />
der klimawandel?<br />
In der reitschule gelingt es uns<br />
ab und an, wenn schon nicht als<br />
Insel mitsamt Burg davon zu<br />
schwimmen, mindestens aber<br />
einen Blick aus einer anderen<br />
perspektive auf probleme zu werfen,<br />
mindestens im alltag neue<br />
Wirtschafts- und arbeits-modelle<br />
erfolgreich auszutesten; 2011 bereits<br />
im vierundzwanzigsten Jahr.<br />
Erst das zweite Jahr im programm<br />
und doch schon liebgewonnen:<br />
das norient musikfilm<br />
festival kommt mitte Januar<br />
wieder in die reitschule. nach<br />
«global gettotech» im 2010<br />
dieses mal mit filmen, die ver-<br />
(w)irrungen zwischen musik, politik<br />
und gesellschaft zum thema<br />
machen. und wiederum gibts dazu<br />
eine megafon-sondernummer;<br />
einerseits zu den gezeigten<br />
filmen, andererseits zu ethnographischer<br />
feldforschung. also<br />
ungefähr zur frage, ob Bilder<br />
und töne andere Botschaften<br />
vermitteln als texte – mit vielen<br />
Beispielen aus fremdem und<br />
bekanntem alltag. Ein lebendiger,<br />
langer schwerpunkt für die vorfreude<br />
aufs festival.<br />
vielen herzlichen dank erneut an<br />
die beiden norient-Botschafter<br />
thomas Burkhalter und michi<br />
spahr, und viel Erfolg mit dem<br />
festival!<br />
das megafon fühlt sich wohl im<br />
norient und hofft, ihr leser_innen<br />
ebenso. Jetzt buchen.<br />
> ans <<br />
gleichfalls zum vormerken:<br />
am 22. Januar 2011 findet eine weitere<br />
ausgabe der tour de lorraine – unter anderem<br />
in der reitschule – statt, diesmal unter<br />
dem motto «gemeingüter befreien».<br />
EdItorIal<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 3
dIE rotE Wand<br />
Eisbären haben probleme, die-den<br />
richtige_n partner_in zu finden.<br />
In Bern haben sie auch probleme,<br />
unter anderem mit der roten Wand.<br />
In der mitte der spitalgasse,<br />
befinden sich zwei tramschienen,<br />
links und recht lauben, 4-5-stöckige<br />
sandsteinbauten, innen ausgehölt<br />
und gefüllt mit Waren vorwiegend<br />
aus dem Importgeschäft. die menschen<br />
können dort geld in Waren<br />
umtauschen.<br />
nun stehen sie hintereinander und<br />
bilden eine Wand, mauer.<br />
Eine rotE mauEr.<br />
staatlich gesponserte kommentare<br />
wollen uns weismachen, dass dies<br />
zur freien Bewegung und förderung<br />
der Benutzung von öffentlichen<br />
verkehrsmittel stimuliert. Wir<br />
müssen wieder solidarisch werden.<br />
die schweizer_innen berufen sich<br />
auf ihre Wurzeln: realismus und<br />
Bescheidenheit.<br />
das misstrauen der Bevölkerung in<br />
die direkte demokratie steigert sich.<br />
Ich stelle mich vor die rote Wand<br />
und befrage passantinnen nach ihrer<br />
meinung.<br />
Ein passant:<br />
«Jaja, i bi so eine wo sich uf<br />
sini Wurzle bezieht. realistisch,<br />
bescheide und klar nur dür<br />
d’schwiezer.<br />
EntrEE<br />
4<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
I däm binig konsequent. Bi mit mim<br />
aebi uf Bern cho, mit Biogas vo mini<br />
schwizer säu. me muess sich doch<br />
treu blibe, wo chöme mir suesch<br />
äne. schwiezer saatgut und so<br />
weiter. Bim verarbeite stosse ig a<br />
grenze. für de lohn wonnig cha zahle,<br />
schaffe chei schwiezer. aber äbe,<br />
ä roti Wand da ir houptstadt schon ä<br />
provokation. di schränkt Bewegigsfreitheit<br />
i u het eifach epidemische<br />
uswirkige. Jaja, mir wei da che roti.<br />
me söuts glich mache wi mit äm<br />
gstrüpp.»<br />
seit der annahme gegen das ausländische<br />
gestrüpp, wächst der unmut<br />
der Bevölkerung gegen ihnen unbekanntes.<br />
sie fordern mehr platz,<br />
transparenz, Bescheidenheit und<br />
sicherheit, das gäbe mehr übersicht<br />
und mehr sicherheit, die soziale<br />
kontrolle funktioniere wieder. das<br />
sind noch Werte.<br />
Eine weitere passantin:<br />
«di rote Wand, isch unbedingt notwendig.<br />
We aus usländische dusse<br />
wär, was chönnt ig no alege? ässe?<br />
Bi doch cheis heidi oder vreneli, no<br />
entspringenig emene ankerbiuld.<br />
mir müsse realistisch blibe u üs<br />
integriere. die roti Wand ist ä gute<br />
afang.»<br />
«gute tag, kann ich sie was fragen?<br />
«ma qui.»<br />
«Was halten sie von dieser roten<br />
mauer?»<br />
«rote maueer? les tram. manifique.<br />
Berne hat nicht soviel farb, das tut<br />
gut, das rot. seit der annahme der<br />
Initiative gegen alles ausländische<br />
gestrüpp, ist viel farbbe verloren<br />
gegangen. Es macht mich traurig,<br />
mais, ca c’est die demokratie. Il faut<br />
acceptez.<br />
Ein alter schweizer Wert: der röstigraben,<br />
wir haben die Initiative<br />
abgelehnt.»<br />
Ein junges menschenwesen tippt mir<br />
auf die schulter. das geschlechtlich<br />
nicht einordbare menschenwesen<br />
fragt, ob sie er oder es auch was<br />
sagen dürfe. gespannt halte ich das<br />
mikrofon hin.<br />
«das diese rote Wand soviel aufsehen<br />
erregt, liegt an der Bildung.<br />
die schweiz braucht dringend<br />
Entwicklungshilfe und förderung<br />
zur Integration in die Weltgemeinschaft..<br />
Wir sind uns doch alle fremd<br />
oder was auch immer und wir wollen<br />
alle schoggi essen… diese demokratie<br />
basiert doch auf missbrauch<br />
und ausbeutung und dem sagen sie,<br />
die guten alten schweizer Werte.<br />
punktgenau jegliche humanität zu<br />
unterdrücken. das rot ist doch mal<br />
ein anfang.»<br />
> HeidibetH tauer
ein Multi-diMensionales PHÄnoMen<br />
Ver(w)irrungen zwischen musik,<br />
gesellschaft und Politik<br />
das 2. norient MusikfilM festival<br />
scHaut Mit sieben dokuMentarfilMen<br />
(drei scHweizer PreMieren!) aus südafrika,<br />
bulgarien, der türkei, JaPan,<br />
deutscHland, den usa und Pakistan genau<br />
Hin: auf die ver(w)irrungen zwiscHen<br />
Musik, gesellscHaft und Politik. eine<br />
frage steHt iM rauM: verbindet Musik<br />
MenscHen – oder treibt sie die MenscHen<br />
auseinander? oder kann Musik gar zu<br />
konflikten und kriegen füHren?<br />
Die erste Ausgabe des norient<br />
Musik film Festivals fokussierte auf<br />
neue musikalische Strömungen<br />
aus dem Umfeld der elektronischen<br />
Musik und der Club-Kultur: Auf den<br />
«Global Ghettotech» – oder die<br />
«Weltmusik 2.0», die Weltmusik der<br />
interaktiven Medienplattformen. In<br />
diesem Jahr stehen Punkmusik,<br />
Heavy Metal, japanische Noise-<br />
Musik, ein Wettbewerb türkischer<br />
Muezzine und südosteuropäische<br />
Arabeskmusik und Schlagermelodien<br />
im Fokus.<br />
Diverse Faktoren entschieden<br />
mit, welche Filme wir für das <strong>Norient</strong><br />
Musikfilm-Festival auswählten. Erstes<br />
Kriterium war selbstverständlich<br />
die Qualität der Filme, definiert<br />
über die ästhetische Umsetzung, die<br />
Nähe zu den Protagonisten, die Tiefe<br />
der Auseinandersetzung mit dem<br />
Gegenstand. Jeder Film gewichtet<br />
diese Kriterien anders und setzt sie<br />
anders um. Ein Thema verbindet die<br />
so unterschiedlichen Dokumentarfilme<br />
aber ganz eindeutig: In jedem<br />
der Filme geht es um die komplexen<br />
Ver(w)irrungen zwischen Musik,<br />
Gesellschaft und Politik.<br />
Arabesk ist die Popmusik der<br />
Türkei schlechthin. Arabesk, die<br />
Musik der anatolischen Landflüchtlinge<br />
in den Städten der Türkei, wird<br />
seit ihrer Entstehung von den Eliten<br />
des Landes ignoriert – ja sogar verachtet;<br />
vor allem wegen ihrer als<br />
kitschig empfundenen Musik und<br />
ihren weinerlichen, schwerverherrlichenden<br />
Texte.<br />
Im Film «Arabesk – Gossensound<br />
und Massenpop» von Cem Kaya und<br />
Gökhan Bulut werden diese durchaus<br />
politisierten Geschmacksfragen<br />
ganz genau diskutiert – unter anderem<br />
von Serhat Köksal a.k.a 2/5 BZ,<br />
der am Mittwoch, 12. Januar 2011<br />
ausserdem zur Arabesk Sound und<br />
Video-Performance in der Turnhalle<br />
im PROGR Bern einlädt.<br />
Im Film «Muezzin» wirken Gesellschaft<br />
und Politik im Hintergrund:<br />
Halit Aslan, Muezzin der historischen<br />
Istanbuler Fatih-Moschee,<br />
misst sich beim nationalen Gebetsrufwettbewerb<br />
mit der türkischen<br />
Muezzin-Konkurrenz. Der Jurist am<br />
Istanbuler Auswahl-Wettbewerb<br />
ist Absolvent des Konservatoriums<br />
und bewertet nach musikalischen<br />
Kriterien – Arabesk wäre ihm wohl<br />
ein Greuel. Spüren wir da den Minderwertigkeitskonflikt,<br />
der auch in<br />
arabischen Ländern auszumachen<br />
ist? Seit Beginn des zwanzigsten<br />
Jahrhunderts wird Musik auch da<br />
nach europäischen Lehrmethoden<br />
unterrichtet, und im Konzertsaal<br />
wird nach europäischem Vorbild<br />
musiziert: Mit Orchestern statt<br />
kleinen Ensembles, mit Harmonien<br />
statt mit Heterophonie, mit vorgefertigten<br />
Kompositionen statt improvisatorischen<br />
Abläufen. Muezzin<br />
Halit Aslan ist sichtlich nervös vor<br />
seinem Auftritt beim Gesangswettbewerb:<br />
«Es ist unmöglich, beim<br />
Wettbewerb dieselbe Emotionalität<br />
zu erreichen, wie auf dem Minarett»,<br />
sagt er.<br />
Der Film «Full Metal Village»<br />
zeigt eine andere Interaktion zwischen<br />
Musik und Gesellschaft.<br />
«Lauter als die Hölle», mit diesem<br />
Slogan kündet das «Wacken Festival»<br />
2011 sein 25-jähriges Jubiläum<br />
an. «Wacken» gilt als grösstes<br />
Heavy Metal Festival der Welt, Wacken<br />
ist aber auch ein kleines Dorf<br />
in Schleswig-Holstein. Seinen Bewohnern<br />
widmet die koreanische<br />
Regisseurin Cho Sung-Hyung ihren<br />
Film. Zwei ältere Damen fürchten<br />
sich vor den Satan-Anbetern, die<br />
da anreisen sollen. Viele Wackener<br />
flüchten vor dem Festival. Ein paar<br />
wenige bleiben – erst recht. Bauer<br />
Trede etwa vermietet Parkplätze:<br />
«Man muss dem Geld entgegen<br />
gehen und ihm nicht hinterher rennen»,<br />
verkündet er schlau.<br />
Im Film «Whose is this Song?»<br />
wird die Verknüpfung von Politik und<br />
Musik überdeutlich: Bulgarische<br />
Nationalisten wollen die Filmemacherin<br />
Adela Peeva am nächstbesten<br />
Baum aufknüpfen – wenn sie<br />
noch einmal behaupte, das eben<br />
gesungene Lied stamme vielleicht<br />
doch nicht aus Bulgarien. Peeva ist<br />
für ihren Dokumentarfilm durch die<br />
Türkei, Griechenland, Mazedonien,<br />
Albanien, Serbien und Bosnien gereist,<br />
und überall behaupteten die<br />
Menschen: «Dieses Lied stammt<br />
von uns!» Überall steht dieses Lied<br />
für eine kulturelle, politische oder<br />
religiöse Gesinnung – ob nun von<br />
den Musikern, Komponisten und<br />
Produzenten so gewollt oder nicht.<br />
Musik verbindet die Menschen vielleicht<br />
also doch nicht: Wegen der<br />
Musik drohen Streit, Mord, Krieg.<br />
In den Filmen «Taqwacore: The<br />
Birth of Punk Islam» und «Fokof-<br />
›<br />
sChWErpunkt<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 5
sChWErpunkt<br />
6<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
polisiekar» (Fuck-Off-Police-Car)<br />
attackieren US-amerikanische<br />
Mus lime und weisse Südafrikaner<br />
die weltweite Islamophobie<br />
beziehungsweise die Vorurteile<br />
gegenüber Afrikaanern (weissen<br />
Südafrikanern niederländischer<br />
Abstammung) auf ihre eigene Art<br />
und Weise. Sie wollen gute Musik<br />
machen und Spass haben. Direkter<br />
Protest dringt manchmal zwar auch<br />
durch. Doch meistens wirkt dieser<br />
Protest ironisch. Für die experimentellen<br />
Musiker aus Japan sind<br />
Kritik an Politik und Gesellschaft<br />
schliesslich in Klang und Krach verborgen.<br />
In Japan sei alles genormt,<br />
beklagen sie sich im Film «We Don’t<br />
Care About Music Anyway...»:<br />
Ihre Rolle sei es, neue Möglichkeiten<br />
auszuloten. In dieser Aussage<br />
kann beides stecken: Die reine<br />
Freude am musikalischen Experiment,<br />
oder der Drang, die japanische<br />
Gesellschaft zu verändern.<br />
Sieben Filme an vier Abenden<br />
entwirren zwar nicht unbedingt<br />
die Verworrenheit von Musik, Gesellschaft<br />
und Politik. Sie laden<br />
aber ein zu einer anspruchsvollen<br />
und zugleich vergnüglichen Verirrung<br />
in die Welt des globalisierten<br />
Musizierens.<br />
> tHoMas burkHalter <<br />
thomas Burkhalter<br />
ist mitorganisator<br />
des norient musikfilm<br />
festivals. Er arbeitet<br />
als musikethnologe<br />
und freier kulturjournalist.
MittwocH, 12. Januar, 20.30 uHr,<br />
turnHalle Progr<br />
arabesk: Von schmerz zu kommerz<br />
der filM «arabesk – gossensound und<br />
MassenPoP» eröffnet die türkiscHe arabesk-nacHt<br />
in der turnHalle iM Progr.<br />
serHat köksal (2/5 bz) stellt arabesk<br />
anscHliessend in seiner sound und video<br />
PerforMance vor. iM gesPrÄcH erklÄrt<br />
er, woruM es geHt, iM arabesk.<br />
stefanie alisch<br />
ist musikwissenschaftlerin<br />
und dJ<br />
aus Berlin. sie ist<br />
Wissenschafliche<br />
mitarbeiterin am<br />
Institut für musik der<br />
uni oldenburg und<br />
arbeitet als BIgsas<br />
fellow an einer<br />
promotion zu kuduro.<br />
2009 gründete sie<br />
das groove research<br />
Institute Berlin.<br />
Arabesk entstand in den 1960er-<br />
Jahren in den Gecekondus. Diese<br />
informellen Viertel wucherten um<br />
türkische Grossstädte wie Istanbul,<br />
Ankara, Izmir oder Adana, um<br />
die aus Anatolien einströmende<br />
Landbevölkerung aufzufangen.<br />
Mit ihrem Stilmix aus arabischen<br />
Rhythmen, klassischer türkischer<br />
Musik und westlichem Pop begehrten<br />
die klagenden Arabesk-<br />
Lieder nicht nur formal gegen die<br />
osmanische Musiktradition auf. Mit<br />
Texten voller Heimweh und Fatalismus<br />
gaben sie der neuen urbanen<br />
Unterschicht auch Stimme,<br />
Projektionsfläche und Identitätsangebot<br />
und können insofern als<br />
widerständig verstanden werden.<br />
Doch dieses Potential hat Arabesk<br />
heute fast verloren. Schmerz ist zu<br />
Kommerz geworden.<br />
Der in Istanbul lebende Multimedia-Künstler<br />
Serhat Köksal<br />
arbeitet als 2/5 BZ mit Arabesk-<br />
Sounds und -Filmen. Im Gespräch<br />
mit <strong>Norient</strong> erklärt er seine Sicht<br />
auf die Entwicklung des Arabesk-<br />
Phänomens: «Heute haben sich die<br />
wirtschaftliche Ungerechtigkeit,<br />
der Schmerz und das Leiden im<br />
Leben der Menschen sogar noch<br />
verschärft. Arabesk ist aber immer<br />
weniger Ausdruck dieser schwierigen<br />
Lebensbedingungen oder<br />
Stimme der städtischen Armen.<br />
Vielmehr hat Arabesk sich ein elitäres<br />
Publikum geschaffen, für das<br />
es mehr und mehr produziert. Das<br />
heutige Arabesk ist eher ein Upgraded<br />
Class Arabesk.»<br />
Oft heisst es heute, Arabesk sei<br />
einst von der türkischen Machtelite<br />
zensiert oder verschmäht worden,<br />
und sei jetzt durch demokratische<br />
Entwicklungen gerettet worden.<br />
Diese Darstellung findet Köksal<br />
heikel: «Die meisten Arabesk-<br />
Stars haben sich mit der neuen<br />
ökonomischen Situation nach 1980<br />
gut arrangiert. Sie sind heute nicht<br />
mehr weit entfernt von den Interessen<br />
und Vorlieben der Machtelite.<br />
So lassen sie sich gut in den globalen<br />
Markt integrieren. Wenn man<br />
diese Denke weiterspinnt, lässt<br />
sich ihre Entwicklung auch als Erfolgsstory<br />
vermarkten: Sie verbreitet<br />
einen gewissen ‹Optimismus› in<br />
der städtischen Unterschicht und<br />
für kleine Unternehmen.»<br />
Den heute noch aktiven Arabesk-Sänger<br />
Hakki Bulut hebt<br />
Serhat Köksal als eine grosse<br />
Ausnahme hervor: «Im Rohschnitt<br />
des Dokumentarfilms ‹Arabesk<br />
- Massenpop und Gossensound›<br />
habe ich ihn reden hören. Er bezog<br />
sich auf einen der wichtigsten<br />
Arbeiterproteste gegen den Neo-<br />
Liberalismus in den letzten Jahren,<br />
die Widerstandsaktionen der Arbeiter<br />
der Tekel-Werke: ‹Arabesk<br />
ist Tekel-Widerstand›, sagte er.<br />
Dieses Statement veranschaulicht<br />
eine Art, wie ich mich auf Arabesk<br />
beziehe.»<br />
2/5 BZ ist fasziniert vom türkischen<br />
Pop-Kino, das parallel zum<br />
frühen Arabesk in den 1960 und<br />
1970er-Jahren ohne Copyright-<br />
Beschränkungen und mit Hilfe von<br />
Steuervergünstigungen so richtig<br />
aufblühte. In wenigen Jahren<br />
wurden Hunderte von Remakes<br />
und Adaptionen westlicher Filme<br />
und aller möglichen Sujets auf einen<br />
hungrigen Markt geworfen.<br />
2/5 BZ: «Ich war sehr beeindruckt<br />
von den Effekt-Designern und<br />
Sound-Technikern. Mit ihren Cut-<br />
Up-Techniken schufen sie Soundtracks,<br />
die traditionelle türkische<br />
Musik und westliche Avantgarde-<br />
Musik vermischten. 1993 habe ich<br />
für mein fotokopiertes Zine ‹Gözel<br />
Mecmuasi› (Gözel Zine) einige der<br />
Leute interviewt, die zuständig waren<br />
für Synchronisation, Effekte<br />
und Visuals. Ihre Namen waren<br />
Anfang der 1990er Jahre noch völlig<br />
unbekannt.»<br />
Heute erarbeitet 2/5 BZ mit<br />
diesen Sounds und Bildern eigene<br />
Live-Performances: «Mit der Zeit<br />
bin ich immer besser darin geworden,<br />
das Film-Material zu reproduzieren.<br />
Irgendwann habe ich angefangen,<br />
Video und Sound spontan<br />
live auf der Bühne zu editieren. Ich<br />
arbeite dabei ähnlich wie die Filmemacher<br />
an ihren Schnittplätzen<br />
im Studio. Nur schneide ich alles<br />
live auf der Bühne. Diese Vorstellung<br />
gefällt mir. 2000 wurde ‹NO<br />
Touristik NO Egzotik› eines meiner<br />
Konzepte. Daraus hat sich ‹No Cultural<br />
Pipeline No Energy Dialogue›<br />
entwickelt, denn mir fiel auf, dass<br />
Worte wie ‹Dialog› oder ‹Brücke›<br />
klischeehaft verwendet werden,<br />
um Städte oder Produkte in globale<br />
Märkte einzupassen. Heute arbeite<br />
ich zu Neoliberalismus in einem<br />
Palaverel- und Parallel-Universum<br />
sowie Toolerance Imperialism.»<br />
> stefanie aliscH <<br />
sChWErpunkt<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 7
sChWErpunkt<br />
8<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
donnerstag, 13. Januar, 20.00 uHr,<br />
kino in der reitscHule<br />
muezzine beim gesangswettbewerb<br />
glÄubige MusliMe folgen fünf Mal tÄglicH<br />
deM gebetsaufruf des Muezzins. ein<br />
neuzeitlicHes PHÄnoMen sind die gebetsrufwettbewerbe,<br />
bei denen sicH die Muezzine<br />
Jedes JaHr in der kunst Messen,<br />
den scHönsten gebetsruf zu rezitieren.<br />
anna trechsel ist<br />
Journalistin und Islamwissenschafterin.<br />
sie reist regelmässig<br />
in den nahen osten.<br />
Ein Löffel Honig zum Schmieren<br />
der Kehle, ein kurzes Räuspern,<br />
ein Gebet. Mikrofon einschalten,<br />
tief einatmen. Die Stimme setzt<br />
an: «Allahu akbar!» ruft Halit Aslan<br />
vom Minarett der Fatih-Moschee<br />
in die Istanbuler Nacht. Die Giga-<br />
Metropole am Bosporus erwacht<br />
zum Leben, begleitet vom Gesang<br />
von Halit Aslan – und fast 3000 weiteren<br />
Muezzinen. «Gott ist gross.<br />
Ich bezeuge, dass es keinen Gott<br />
gibt ausser Allah, und ich bezeuge,<br />
dass Muhammad sein Gesandter<br />
ist. Auf zum Gebet! Das Gebet ist<br />
besser als der Schlaf!»<br />
Ist in einem Spielfilm, einem<br />
Dokumentarfilm oder einer Radioreportage<br />
die islamische Welt<br />
oder der Nahe Osten Schauplatz,<br />
wird unweigerlich der islamische<br />
Gebetsruf, der «Azan», zur Tonspur.<br />
Ertönt das «Allahu akbar»,<br />
wissen wir sofort, wo wir uns befinden.<br />
Was jedoch hinter dem Azan<br />
steckt – beziehungsweise wer, das<br />
erfahren wir in der Regel nicht.<br />
Der österreichische Filmemacher<br />
Sebastian Brameshuber will diese<br />
Regel brechen und widmet mit<br />
«Muezzin» den Gebetsrufern gleich<br />
einen ganzen Dokumentarfilm.<br />
Halit Aslan, den wir zu Beginn<br />
des Films kennenlernen, will sich<br />
für das Finale des nationalen türkischen<br />
Gebetsrufswettbewerbs<br />
qualifizieren – die Türkei sucht<br />
nicht nur den «Postar Alaturka»,<br />
sondern auch den Super-Muezzin.<br />
Nicht Glamour und Prominenz<br />
winken dem besten Muezzin des<br />
Landes, sondern vor allem Ehre.<br />
Und, nun ja, das Materielle findet<br />
auch im Spirituellen seinen<br />
Platz. «Was passiert, wenn Du gewinnst?»,<br />
fragt Halit Aslans Sohn.<br />
Aslan antwortet, indem er Daumen<br />
und Zeigefinger aneinander reibt.<br />
«Dollars?» «Viele Dollars!»<br />
Mustafa Yaman hat den Wettbewerb<br />
im Vorjahr gewonnen und gibt<br />
sich durchwegs selbstbewusst:<br />
Anwohner hätten sich beschwert,<br />
sein Gesang dauere zu lang und<br />
lenke sie von der Arbeit ab. Als er<br />
bei den Behörden antrabte und dort<br />
vorsang, habe ihn der Chefbeamte<br />
umarmt und gedonnert, wer diesen<br />
Azan nicht zu schätzen wisse, solle<br />
gefälligst das Land verlassen.<br />
Habil Öndes, der das Konservatorium<br />
besucht hat und heute<br />
Muezzine ausbildet, beklagt, der<br />
Nachwuchs wisse viel zu wenig<br />
über Musik. Seiner Tochter hat er<br />
aber verboten, Musiklehrerin zu<br />
werden.<br />
Isa Aydin trainiert die Jungs in<br />
seiner Istanbuler Vorortgemeinde<br />
in Koran und Fussball und will mit<br />
seinem Gesang die Leute zur Religion<br />
einladen.<br />
Die vier Istanbuler Muezzine<br />
verbindet nicht nur die Religion,<br />
sondern vor allem auch die Liebe<br />
zum Gesang, zur Musik. Dass Musik<br />
im Islam keinen Platz finde oder<br />
ausschliesslich religiös geprägt<br />
sein müsse: Sebastian Brameshuber<br />
und den Protagonisten seines<br />
Films gelingt es, dieses (Vor)urteil<br />
Lügen zu strafen.<br />
> anna trecHsel
donnerstag, 13. Januar, ca. 21.45 uHr,<br />
kino in der reitscHule<br />
taqwacore: die geburt<br />
des islamischen Punk<br />
tHe koMinas sind Meister der Punk-satire.<br />
der dokuMentarfilM «taqwacore: tHe<br />
birtH of Punk islaM» verfolgt die band<br />
auf iHrer tournee durcH die usa und<br />
nacH Pakistan. Mit dabei ist der aMerikaniscHe<br />
konvertit und kult-scHriftsteller<br />
MicHael MuHaMMad knigHt.<br />
Wendy hsu schreibt<br />
ihre dissertation<br />
zu unabhängiger<br />
rockmusik von<br />
asiaten in den usa<br />
an der university of<br />
virginia.<br />
Meine persönliche Geschichte mit<br />
dem Phänomen «Taqwacore» begann<br />
im Mai 2009. Ich traf die Gruppe<br />
The Kominas in Boston an einem<br />
schmierigen Diner. Wir tranken<br />
Bier, assen Käse-Fritten und redeten<br />
darüber, wie die US-amerikanischen<br />
Medien alles für sich<br />
vereinnahmt hatten, was sie auch<br />
nur annähernd mit der Taqwacore-<br />
Bewegung assoziierten.<br />
The Kominas spielen eine wichtige<br />
Rolle in einem losen Musikernetzwerk,<br />
das sich selber den<br />
Namen «Taqwacore» gegeben hat.<br />
«Taqwa», ein arabischer Begriff<br />
aus dem Koran, kann mit «Frömmigkeit»<br />
übersetzt werden. Implizit<br />
gemeint ist die Liebe und Ehrfurcht<br />
vor dem Göttlichen. «Core» bezieht<br />
sich auf die Wurzeln dieser Szene<br />
im Punk. «Core» betont zudem die<br />
Do-it-Yourself-Ideologie, die für diese<br />
Hardcore-Musik so zentral ist.<br />
Michael Muhammad Knight, ein<br />
weisser US-amerikanischer Konvertit,<br />
hat den Begriff «Taqwacore»<br />
in einem seiner Romane erschaffen.<br />
«The Taqwacores» handelt von<br />
einer fiktiven Gruppe muslimischer<br />
Punk-Rocker, die zusammen in einer<br />
WG in Buffalo, New York wohnen.<br />
Via E-Mail kontaktierte Knight<br />
unterschiedliche Punkrocker mit<br />
muslimischem Background in Nord-<br />
amerika. So entstand rund um sein<br />
Buch allmählich ein Netzwerk von<br />
Freundinnen, Künstlern, Bloggerinnen,<br />
Filmemachern und anderen<br />
Enthusiastinnen.<br />
Die Presse legt zuviel Gewicht<br />
auf die Tatsache, dass alle Bandmitglieder<br />
von The Kominas Muslime<br />
sind: So jedenfalls empfinden<br />
wir das, im Diner in Boston. Dieser<br />
Islam-Fokus überdeckt alles andere,<br />
alles nicht-islamische an der<br />
Band: die Musik und die Bildspra-<br />
che zum Beispiel. Manchmal werden<br />
die Songtexte der Kominas aus<br />
dem Zusammenhang gerissen. Es<br />
werden die radikal klingenden Sätze<br />
genommen, die ironischen und<br />
parodistischen Brechungen hingegen<br />
werden ignoriert. Die witzigen<br />
Anti-Status-Quo-Provokationen der<br />
Band werden so falsch gedeutet.<br />
Und plötzlich wird die Band in die<br />
Nähe von islamistischen Terroristen<br />
gesetzt – den Staatsfeinden Nummer<br />
1 in den USA. Immerhin haben<br />
die liberalen Medien die Band jetzt<br />
aber als gute amerikanisch-muslimische<br />
Alternative zu den «bombigen<br />
Terroristen» entdeckt.<br />
The Kominas sind Meister der<br />
Punk-Satire. Sie fordern das Establishment<br />
heraus und nehmen<br />
sich wichtiger Themen an: Etwa<br />
ihre eigenen Erfahrungen in den<br />
Post-9/11-USA, oder dem älteren<br />
zivilisationsgeschichtlichen und orientalistischen<br />
Diskurs, der die Welt<br />
in «muslimisch» versus «westlich»<br />
teilt. Musikalisch experimentieren<br />
The Kominas mit einem Mix aus<br />
frühem britischen Punk, Bollywood-<br />
Klassikern aus den 1960ern, und<br />
Popsongs aus dem Punjab.<br />
Omar Majeeds Dokumentarfilm<br />
«Taqwacore: The Birth of Punk Islam»<br />
ist im Sommer 2007 gefilmt.<br />
Konvertit Muhammad Knight tourt<br />
zusammen mit The Kominas und<br />
vier weiteren Bands aus den USA<br />
und Kanada durch Nordamerika.<br />
Der Film folgt Knights ursprünglicher<br />
Fiktion eines Punk-inspirierten<br />
radikalen Islam und lenkt<br />
den Blick dann auf die Wirklichkeit:<br />
die persönlichen Lebensgeschichten<br />
einiger Protagonisten der<br />
erwachenden Taqwacore-Szene.<br />
Filmer Majeed begleitet Shahjehan<br />
Khan und Basim Usmani von den<br />
The Kominas dann auf ihrer Reise<br />
in die pakistanische Stadt Lahore.<br />
Dort wollen die beiden eine Punk-<br />
Szene gründen. Majeeds Film fokussiert<br />
mehr auf die intellektuellen<br />
Fragen, die zu einem Bruch<br />
zwischen Punk und Islam führen.<br />
Themen wie musikalische Innovation,<br />
ethnische Dynamiken und die<br />
Art und Weise, wie die Medien das<br />
Phänomen Taqwacore abbilden,<br />
bleiben im Hintergrund.<br />
Was unter dem Begriff «Taqwacore»<br />
letztlich verstanden wird, ist<br />
eine Art der Interpretation des Islam.<br />
Es geht auch um Fragen der<br />
Menschlichkeit rund um den Islam.<br />
Und es geht um Neu-Interpretationen<br />
des Lebens in einer Zeit, in der<br />
wir medial bombardiert werden mit<br />
Ideologien, Bildern, Sounds, Subkulturen<br />
und Spiritualität. Das Phänomen<br />
Taqwacore widersteht jedoch<br />
diskursiven Vereinfachungen und<br />
Verflachungen. Taqwacore ist keine<br />
Religion. Es ist nicht einmal eine Alternative<br />
zum «Islam». Taqwacore<br />
ist ein kultureller Raum für alternative<br />
Interpretationen, Praktiken,<br />
Identitäten und Beziehungen zu,<br />
über und mit dem Islam.<br />
> wendy Hsu <<br />
sChWErpunkt<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 9
sChWErpunkt<br />
10<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
freitag, 14. Januar, 20.00 uHr,<br />
kino in der reitscHule<br />
«wem gehört dieser song?»<br />
ein filM über Musik, über den balkan,<br />
über Politik und identitÄt. ein filM,<br />
der fasziniert und verstört, anregt und<br />
begeistert.<br />
dieter ringli ist<br />
musikethnologe und<br />
kenner der schweizer<br />
volksmusik. Er arbeitet<br />
an der universität<br />
zürich und der musikhochschul<br />
luzern.<br />
Die bulgarische Musikethnologin<br />
und Filmemacherin Adela Peeva<br />
begibt sich 2003 auf die Suche<br />
nach den Spuren eines Liedes, das<br />
sie aus ihrer Kindheit kennt. Ihre<br />
Reise führt sie in die Türkei, nach<br />
Griechenland, Albanien, Bosnien,<br />
Mazedonien, Serbien und zurück<br />
nach Bulgarien. Überall trifft sie<br />
auf diese Melodie, die in mannigfacher<br />
Gestalt erscheint: Als nostalgischer<br />
Schlager, als Liebeslied,<br />
als Militärmarsch, als islamisches<br />
Kampflied oder als nationalistisches<br />
Volkslied. Der Steinmetz<br />
aus Lesbos singt es, die Opernsängerin<br />
aus Tirana, der bosnische<br />
Chorleiter, der Schlagersänger aus<br />
Mazedonien oder der serbische<br />
Priester. Alle haben sie ihre eigene<br />
Fassung und alle sind überzeugt<br />
davon, dass das Lied aus ihrer<br />
Gegend stamme und ein typischer<br />
Teil ihrer ureigenen Kultur sei.<br />
«Wer hat’s erfunden?» Die Frage,<br />
die bei uns im Zusammenhang<br />
mit Werbung für ein Schweizer<br />
Kräuterbonbon bekannt geworden<br />
ist, ist auf dem Balkan nicht bloss<br />
ein witziger Werbegag, sondern<br />
eine zentrale Frage der nationalen<br />
und persönlichen Identität. Und<br />
genau diese Fragen werden in den<br />
zahlreichen Alltagsgesprächen im<br />
Film immer wieder diskutiert. Die<br />
eigene Identität scheint zentral mit<br />
der Frage von der Herkunft und<br />
den Ursprüngen von kultureller<br />
Erscheinungen verknüpft. Wir wollen<br />
es hören: Unsere eigene Kultur<br />
hat das höchste Alter. Adela Peeva<br />
macht in ihrem unterhaltsamen<br />
und beeindruckenden Film deutlich,<br />
wie erbittert diese Diskussionen<br />
geführt werden und wie grotesk<br />
sie gleichzeitig sind. Der Mythos<br />
einer echten, unverfälschten, reinen<br />
Kultur wird auf witzige und<br />
kurzweilige Weise ad absurdum<br />
geführt, denn die Frage, woher<br />
dieses Lied ursprünglich stammt,<br />
lässt sich schon lange nicht mehr<br />
beantworten. Zu vielfältig sind die<br />
gegenseitigen Beeinflussungen der<br />
verschiedenen Kulturen. Zwar wird<br />
der Besitzanspruch zunehmend<br />
heftig verteidigt, aber mit jedem<br />
neuen Beispiel wird es klar: Die<br />
verschiedenen Kulturen weisen viel<br />
mehr Gemeinsamkeiten auf, als es<br />
ihre Vertreter wahrhaben wollen.<br />
Es zeigt sich aber auch, dass eine<br />
historisch korrekte Antwort gar<br />
keine Rolle spielt, da die ideologischen<br />
Positionen stärker sind als<br />
alle Fakten.<br />
Der erfrischende, tragikomische<br />
Film präsentiert faszinierende Musik<br />
und stellt skurrile Gestalten<br />
und beeindruckende Landschaften<br />
vor. Er beweist aber auch ernüchternd,<br />
dass die völkerverbindende<br />
Kraft der Musik auch nur ein Mythos<br />
ist, der nicht in jedem Fall zutrifft.<br />
Damit weist er weit über die<br />
Balkan-Problematik hinaus und<br />
stellt grundsätzliche Fragen nach<br />
kultureller Identität, nach Entstehung<br />
und Vermischung von Kulturen<br />
und nach der Bedeutung von<br />
Musik in sozialen und politischen<br />
Kontexten. Der Film hat darum<br />
auch sieben Jahre nach seiner Entstehung<br />
nichts von seiner Aktualität<br />
und Brisanz eingebüsst.<br />
> dieter ringli
fokofPolisiekar –<br />
fuck-off-Police-car<br />
der filM trÄgt den woHl treffendsten<br />
titel für ein festival in der berner<br />
reitscHule. auf den ersten blick Hat<br />
der südafrikaniscHe regisseur bryan<br />
little einen rockuMentarfilM über die<br />
band fokofPolisiekar («verPiss dicH,<br />
Polizeiauto») gescHaffen. beiM nÄHeren<br />
betracHten zeicHnet der filM ein<br />
seHr tief geHendes PortrÄt der weissen<br />
Post-aPartHeid-gesellscHaft iM neuen<br />
südafrika.<br />
Am Anfang des Films sagt eines der<br />
Bandmitglieder: «Wir waren 1994<br />
zwölf Jahre alt, als die Apartheid<br />
abgeschafft und die Regenbogennation<br />
gegründet wurde. Als Zwölfjähriger<br />
verstehst du die politische<br />
Atmosphäre nicht wirklich. Wir<br />
waren irgendwo zwischen drin. Wir<br />
waren zu jung, um zu verstehen,<br />
was Apartheid wirklich bedeutet<br />
hatte, aber zu alt, um nichts davon<br />
zu wissen.» Die eigene kulturelle<br />
Identität als Weisser in Südafrika<br />
ist ein wiederkehrendes Thema im<br />
Film.<br />
Einerseits ist da die Last der<br />
Geschichte, die auf den Schultern<br />
der jungen Generation liegt. So ist<br />
die Sprache Afrikaans stigmatisiert<br />
als Sprache der Buren, der ehemals<br />
weissen Unterdrücker. «Vielleicht<br />
täusche ich mich», sagt der Künstler<br />
Peet Pienaar – der übrigens das<br />
Plakat des diesjährigen <strong>Norient</strong><br />
Musikfilm Festivals entworfen hat<br />
– im Film, «aber es ist im Moment<br />
total politisch unkorrekt, Afrikaans<br />
zu zelebrieren. Es ist sehr, sehr<br />
politisch korrekt, Afrikaans zu kritisieren.»<br />
Dass die Band Fokofpolisiekar<br />
in Afrikaans singt, löst aber<br />
gerade bei ihren jungen Fans eine<br />
wahnsinnige Euphorie aus. Einer<br />
behauptet sogar, dank Fokofpolisiekar<br />
würden viele Weisse in Südafrika<br />
bleiben, statt nach England<br />
abzuhauen. In einem entfernten<br />
Sinn ist das Phänomen vergleichbar<br />
mit Mundartrock. Wenn eine<br />
Schweizer Band statt Englisch in<br />
Berndeutsch singt, heisst das noch<br />
lange nicht, dass sie nationalistisch<br />
und rückständig ist. Der Filmregisseur<br />
Bryan Little erklärt, vor ein<br />
paar Jahren sei sogar darüber ge-<br />
freitag, 14. Januar, ca. 21.45 uHr,<br />
kino in der reitscHule<br />
sprochen worden, dass die relativ<br />
«junge» Sprache Afrikaans schon<br />
wieder vor dem Aussterben bedroht<br />
sei, doch inzwischen sehe es völlig<br />
anders aus: «Dank Fokofpolisiekar<br />
gibt es heute Hunderte von jungen<br />
Bands, die in Afrikaans einerseits<br />
wunderbare, andererseits aber<br />
auch schreckliche Musik heraus<br />
posaunen... Afrikaans gesungene<br />
Musik ist heute eine Realität in Südafrika,<br />
und ich würde soweit gehen,<br />
zu sagen, dass sie sogar andere<br />
Sparten wie Design, Literatur etc.<br />
beeinflusst. Ich behaupte sogar,<br />
der explosionsartige internationale<br />
Erfolg von Die Antwoord [eine südafrikanische<br />
Fun-Trash-Elektro-<br />
Rap-Gruppe, die im Moment auf der<br />
ganzen Welt durch Clubs tourt] kam<br />
dank Fokofpolisiekar zustande. Ich<br />
weiss, Waddy/The Ninja [Rapper<br />
von Die Antwoord] wird mich umbringen,<br />
wenn ich das jetzt sage,<br />
aber ich frage mich, ob er in diesem<br />
‚White Trash‘ Afrikaans rappen<br />
würde, hätte ihm Fokofpolisiekar<br />
nicht den Weg dazu geebnet.» Und<br />
in Afrikaans singen eben nicht nur<br />
Weisse. Inzwischen ist nämlich nur<br />
noch eine Minderheit von Afrikaans<br />
sprechenden Südafrikanern weiss.<br />
Gerade in der Rap-Szene gibt es<br />
unzählige farbige Rapper, wie zum<br />
Beispiel im Umfeld des Pioneer Unit<br />
Labels (Terror MC, Jaak, Driemanskap),<br />
die entdeckt haben, wie «lekker»<br />
es sich in Afrikaans rappt.<br />
Andererseits ist da der persönliche<br />
Hintergrund, mit dem sich die<br />
Band anlegt.<br />
«Alle diese Anweisungen, die ihr<br />
uns gabt – arbeite, heirate und kriege<br />
Kinder – und leide dann möglicherweise<br />
an Depressionen – jemand<br />
muss fragen, Warum?», singt Fokofpolisiekar.<br />
Schon der Bandname<br />
birgt viel Konfliktpotential und wird<br />
dauernd in den Medien zensiert. In<br />
gewissen Fernsehanstalten werden<br />
sie deshalb einfach «Polisiekar»,<br />
Polizeiauto, genannt. Die grössten<br />
Probleme kriegen sie jedoch bei der<br />
weissen Bevölkerung, wenn sie sich<br />
mit der Religion anlegen. Die grosse<br />
Mehrheit der weissen Bevölkerung<br />
gehört zur niederländischreformierten<br />
Kirche, die traditionell<br />
sehr calvinistisch-konservativ ist.<br />
Ziemlich betrunken schreibt einer<br />
der Musiker einem Fan die Worte<br />
«Fok God» («Ficke Gott») auf das<br />
Portemonnaie. Danach bricht ein<br />
heftiger Sturm der Entrüstung über<br />
die Band herein, der zuweilen mit<br />
harten Worten in der südafrikanischen<br />
Boulevard-Presse ausgetragen<br />
wird. Die Bandmitglieder,<br />
überrascht von der Reaktion, stürzen<br />
in eine tiefe Krise. Sie erhalten<br />
sogar Morddrohungen. Der Film<br />
zeigt auf, dass die Band dann doch<br />
sehr eng in ihrer eigenen Kultur<br />
verwurzelt ist, obwohl sie sich mit<br />
ihren Texten polemisch und provokativ<br />
mit ihr anlegt.<br />
Der Film «Fokofpolisiekar» ist<br />
aber auch einfach ein Rockumentarfilm.<br />
«Das ist das ultimative<br />
Party-Paket: Ganja, Joint, pornografisches<br />
Material, Geld… ein Kondom,<br />
falls jemand Glück hat… und<br />
Freikarten, Fokofpolisiekar-Freikarten<br />
für eine bessere Zukunft»,<br />
erzählt einer der Musiker und zeigt<br />
einen kleinen Aktenkoffer, der die<br />
Band auf ihrer Tour begleitet. Mit<br />
Freikarten werden möglichst viele<br />
Leute an die Konzerte gelockt.<br />
›<br />
sChWErpunkt<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 11
link zu rap in afrikaans:http://norient.com/de/tracks/jaak-afrikaans-hiphop<br />
link zum White<br />
trash Wahnsinn «die<br />
antwoord»: http://<br />
norient.com/de/<br />
blog/dieantwoord<br />
michael spahr ist<br />
mitorganisator des<br />
norient musikfilm<br />
festivals und redaktor<br />
von norient.com.<br />
daneben ist er Inforedaktor<br />
von radio<br />
raBe und freischaffender<br />
künstler und<br />
filmemacher.<br />
sChWErpunkt<br />
12<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
Der Filmregisseur Bryan Little<br />
führt aus: «Sie begannen Monate<br />
bevor sie überhaupt spielten, diese<br />
kleinen Flyer mit einem frischen<br />
Design und diesem verrückten Namen<br />
‚Fokofpolisiekar‘ zu verteilen.<br />
Das schuf eine gewisse Aufregung<br />
in einer Zeit, in welcher niemand<br />
coole Musik mit Texten in Afrikaans<br />
machte. Sie versprachen etwas,<br />
bevor sie überhaupt einen Ton<br />
spielten.» Es funktionierte: Bald<br />
wurde die unbekannte Punkband<br />
zu einer der wichtigsten südafrikanischen<br />
Rockbands überhaupt.<br />
Auch die musikalische Entwicklung<br />
ist im Film nachvollziehbar. Am Anfang<br />
noch einfacher Drei-Gitarren-<br />
Griffe-Punk wird die Musik stets<br />
komplexer, aber auch spannender<br />
und virtuoser. Bryan Little, der Regisseur,<br />
schafft eine sehr starke<br />
Nähe zur Band. Das Porträt ist<br />
sehr ehrlich und direkt. Ein Freund<br />
von ihm hatte viele Videoclips der<br />
Band produziert. Little hatte zuweilen<br />
als Statist mitgespielt oder auf<br />
dem Set mitgeholfen. «Der Zugang<br />
war ziemlich einfach», erzählt er,<br />
«wir kannten die Jungs. Obwohl<br />
sie überrascht waren, fanden sie<br />
die Idee für einen Dokumentarfilm<br />
gut. Ich musste sie allerdings zäh-<br />
men. Wie wilde Tiere musste ich<br />
sie an die Kamera gewöhnen. In<br />
den ersten Tagen hielten wir mit<br />
der Linse eine gewisse Distanz und<br />
hielten sie ihnen nicht gleich vors<br />
Gesicht. Langsam kamen wir ihnen<br />
näher, bis zum Punkt, an dem sie<br />
vergassen, was wir am Tun waren.<br />
Insgesamt filmten wir während drei<br />
Jahren. Zum Glück stand die Produzentin<br />
Filipa Domingues voll hinter<br />
mir und wir konnten einfach weitermachen.<br />
Je länger wir daran arbeiteten,<br />
desto vielschichtiger wurde<br />
die Geschichte. Leute im ganzen<br />
Land unterstützten die Dokumentation,<br />
und ich wollte der Geschichte<br />
wirklich gerecht werden. Also reisten<br />
wir und filmten und machten<br />
verrückte Entscheidungen... ohne<br />
Geld. Fokofpolisiekar als Band ist<br />
heute ziemlich am Ende. Aber die<br />
Geschichte lebt weiter. Ich denke,<br />
an die Idee müssen sie sich noch<br />
gewöhnen, dass ein Film, der von<br />
Aussenstehenden gemacht wurde,<br />
ein grosser Teil des Vermächtnisses<br />
der Band ausmacht.»<br />
Der längste Film am <strong>Norient</strong> Musikfilm<br />
Festival hat etwas Hypnotisierendes.<br />
Am Schluss bleibt das<br />
Gefühl, dabei gewesen zu sein, ohne<br />
je wirklich ein Konzert von Fokofpolisiekar<br />
gesehen zu haben.<br />
> MicHael sPaHr
full metal Village<br />
ein bauerndorf in deutscHland wird<br />
überscHweMMt von «wocHenend-Metallern»!<br />
ein HeiMatfilM von cHo sung-Hyung<br />
(korea/deutscHland)<br />
sarah Chaker, musikwissenschaftlerin<br />
mit einem faible u.a.<br />
für harte rockmusik,<br />
arbeitet derzeit als<br />
universitätsassistentin<br />
am Institut für<br />
musiksoziologie der<br />
universität für musik<br />
und darstellende<br />
kunst Wien.<br />
Wacken – für Freunde harter Gitarrenmusik<br />
ist dieser Ort untrennbar<br />
mit dem Wacken Open Air verbunden,<br />
dem grössten Heavy Metal<br />
Festival der Welt. Seit 1990 findet<br />
es jährlich am ersten Wochenende<br />
im August statt, mehr als 80 000<br />
Menschen besuchten die Veranstaltung<br />
im Jahr 2010.<br />
Wacken – das ist aber auch und<br />
vor allem ein 1800-Seelen-Dorf in<br />
Schleswig-Holstein, hoch oben im<br />
Norden Deutschlands, dort, wo das<br />
Land flach und der Himmel weit ist,<br />
wo das Gras saftig grün hervorspriesst,<br />
die Häuser rot geklinkert<br />
sind und die Rinder schwarz-weisse<br />
Flecken tragen, wo der Wind stürmisch<br />
durch Wald und Wiesen fegt<br />
und durch Dorfstrassen, die auch<br />
am Tag leer und unbelebt erscheinen.<br />
Von den Bewohnerinnen und<br />
Bewohnern des kleinen Örtchens<br />
Wacken handelt dieser Film.<br />
Full Metal Village ist also kein<br />
Musikfilm, keine Heavy Metal-<br />
Dokumentation und auch keine<br />
Making-Off-Produktion des<br />
Wacken-Festivals, sondern ein<br />
«Heimatfilm» – so jedenfalls der<br />
mit einem kleinen Augenzwickern<br />
versehene Untertitel, der dennoch<br />
durchaus programmatischen Charakter<br />
hat. Mit instinktiv-sicherem<br />
Blick für interessante Charaktere<br />
und Geschichten gewährt Regisseurin<br />
Cho Sung-Hyung einen intimen<br />
Einblick in die bäuerliche<br />
Kultur Norddeutschlands nach<br />
der Jahrtausendwende und damit<br />
in eine Welt, die weiten Bevölkerungsschichten<br />
in Deutschland<br />
inzwischen kaum weniger fremd<br />
erscheinen dürfte als so manche<br />
juvenile Subkultur.<br />
Während das Festival lediglich<br />
den Anlass für das Dorfporträt<br />
darstellt, gilt Sung-Hyungs eigentliches<br />
Interesse den Einwohnern<br />
von Wacken – eine kluge Entschei-<br />
saMstag, 15. Januar, 20.00 uHr,<br />
kino in der reitscHule<br />
dung, würde sich doch das Wacken<br />
Open Air als eine inzwischen<br />
hochgradig kommerzialisierte Veranstaltung<br />
für eine authentische<br />
filmische Studie über die Heavy<br />
Metal Szene ohnehin nicht eignen.<br />
Zu gross sind inzwischen die Anteile<br />
an sogenannten «Wochenend-<br />
Metallern», die weniger der Musik<br />
wegen zum Wacken fahren als deshalb,<br />
um sich dort einmal so richtig<br />
gehen lassen zu können. Mittlerweile<br />
als «Ballermann des Nordens»<br />
(SpiegelOnline) verschrien,<br />
haben sich weite Teile der Heavy<br />
Metal Szene längst von diesem Festival<br />
abgewandt.<br />
Was sind das nun für Menschen,<br />
die in Wacken leben? Wie sieht ihr<br />
Alltag aus? Und wie gehen sie mit<br />
der alljährlichen «Invasion» ihres<br />
Zuhauses durch Tausende von Festivalbesucher<br />
um? Da ist zum Beispiel<br />
der geschäftstüchtige Bauer<br />
Trede, der den Veranstaltern des<br />
Open Airs seine Wiesen verpachtet:<br />
Schon morgens checkt er den<br />
aktuellen Stand der Aktien und rät<br />
Männern ab 65 zu mindestens einer<br />
Freundin neben der Ehepartnerin,<br />
um letztere zu «entlasten».<br />
Die 16-jährige Kathrin träumt von<br />
einer Model-Karriere in der Stadt<br />
und freut sich über das Festival<br />
in unmittelbarer Nachbarschaft,<br />
bedeutet es für junge Menschen<br />
wie sie doch eine echte Abwechslung<br />
vom ansonsten eher ereignisarmen<br />
Alltag. Bauer Plähn, den<br />
das Event eher weniger zu interessieren<br />
scheint, erklärt auf rührend<br />
geduldige Art die Unterschiede<br />
zwischen Kühen, Kälbern, Bullen<br />
und Ochsen. Und Oma Irmchen,<br />
die nach wie vor nicht recht weiss,<br />
was von den jährlich in Wacken<br />
einfallenden schwarzen Horden zu<br />
halten ist und deshalb vorsorglich<br />
in dieser Zeit verreist, präsentiert<br />
ebenso stolz wie ehrfürchtig ihre<br />
selbstgezogenen Kartoffeln.<br />
Dem «entschleunigten» Leben<br />
in Wacken und der norddeutschen<br />
Mentalität entsprechend verzichtet<br />
Sung-Hyung in ihrem Film auf<br />
schnelle Schnitte und lässt die<br />
häufig von einer unfreiwilligen Situationskomik<br />
geprägten Sequenzen<br />
in voller Länge auf den Zuschauer<br />
wirken. Genau beobachtend, neugierig<br />
fragend, aber nie wertend<br />
gelingt es der Filmemacherin, das<br />
Vertrauen der interviewten Menschen<br />
zu gewinnen, die sich in<br />
diesem Film so frei und natürlich<br />
äussern, als würde keine Kamera<br />
zwischen ihnen und Sung-Hyung<br />
stehen. Ein tiefsinniger, liebenswerter<br />
Film, und auch wenn der<br />
«Clash der Kulturen», den die Regisseurin<br />
nach eigener Aussage eigentlich<br />
ursprünglich hatte zeigen<br />
wollen, ausbleibt: eine hochinteressante<br />
Studie über kulturell geprägte<br />
Mentalitäten und Identitäten<br />
im heutigen Deutschland – wirklich<br />
sehenswert.<br />
> saraH cHaker <<br />
sChWErpunkt<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 13
saMstag, 15. Januar, 22.00 uHr,<br />
kino in der reitscHule<br />
«we don’t care<br />
about music anyway»<br />
JaPaniscHe Multi-instruMentalist_innen,<br />
laPtoP-Musiker und free-Jazzer sucHen<br />
nacH verbindungen zwiscHen iHren exPeriMentellen<br />
sounds und der JaPaniscHen<br />
konsuMgesellscHaft. ein filM von cédric<br />
duPire, gasPard kuentz und noa garciakisanuki.<br />
paed Conca,<br />
musiker, komponist,<br />
Improvisator und<br />
denkender mensch.<br />
War seit dem Jahr<br />
2000 regelmässig mit<br />
dem Blast4tEt, mit<br />
tsukI, mit praEd,<br />
mit porta Chiusa und<br />
solo in Japan auf<br />
tournee.<br />
sChWErpunkt<br />
14<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
Cédric Dupire, Noa Garcia-Kisanuki<br />
und Gaspard Kuentz realisieren<br />
«We don‘t care about music<br />
anyway...» als eine Mischung aus<br />
Dokumentarfilm und Selbstinszenierung<br />
der im Film portraitieren<br />
experimentellen Musikerinnen<br />
und Musiker aus Japan: Sakamoto<br />
Hiromichi (Cello), Otomo Yoshihide<br />
(Gitarre, Turntables), Takehisa Ken<br />
(Gitarre), Yamakawa Fuyuki (Multi-<br />
Instrumentalist), Numb (Laptop),<br />
Saidrum (Laptop), L?K?O? (Turntables),<br />
Goth-Trad (Selbstgebaute<br />
Instrumente). «We don‘t care<br />
about music anyway...» ist in seiner<br />
Machart angelehnt an den Kultfilm<br />
«Step Across the Border» über<br />
den Musiker Fred Frith, gedreht<br />
von Nicolas Humbert und Werner<br />
Penzel. Die drei Regisseure zeigen<br />
japanische Musikerinnen und Musiker,<br />
die gängige Definitionen in<br />
Frage stellen: Was ist Musik? Was<br />
darf sie sein? Oder: Wie muss Musik<br />
klingen, um als Musik wahrgenommen<br />
zu werden? Der Filmtitel<br />
«We don‘t care about music anyway...»<br />
ist denn auch an diese Diskussionen<br />
angelehnt: Klang steht<br />
im Zentrum. Klang – oder Sound –<br />
soll in seiner endlosen und reichen<br />
Vielfalt erlebbar werden. Musik<br />
besteht aus Klängen. Klang darf<br />
alles. Klang ist alles.<br />
Dieser starke Fokus auf den<br />
Klang ist wunderbar – und leider<br />
oft unüblich. Der Film profitiert<br />
auch von den portraitierten Musikern,<br />
die allesamt wichtige Exponenten<br />
der Musikszene in Japan<br />
sind. Sie decken einen kleinen,<br />
aber äusserst wichtigen Bereich<br />
des Musikschaffens dieses Landes<br />
ab. Sie sind international bekannt<br />
und touren weltweit in ihren jeweils<br />
spezialisierten Nischenszenen.<br />
Das sind beste Voraussetzungen<br />
für einen tollen Dokumentarfilm.<br />
Zwei Fragen bleiben für mich allerdings<br />
offen: Vielleicht überlassen<br />
die Filmemacher den Musikern<br />
zu sehr das Feld, wenn sie sie in<br />
wiederkehrenden Sequenzen an<br />
einem runden Tisch zusammen<br />
diskutieren und philosophieren.<br />
Das ist zwar ein interessanter<br />
Kunstgriff, vielleicht aber wäre die<br />
eine oder andere – durchaus auch<br />
kritische – Rückfrage gut gewesen.<br />
Die Musiker diskutieren darüber,<br />
wie Japan ist und funktioniert. Hier<br />
stellt sich für mich die eigentliche<br />
Frage: Lässt sich Japan so auf eine<br />
Einheit reduzieren? Ich bin selber<br />
als Musiker durch Japan getourt.<br />
Und aus meiner Sicht sind die Unterschiede<br />
zwischen den Städten<br />
Tokio, Osaka und Sapporo genau so<br />
gross wie zwischen Belgrad, Bern<br />
und Paris. Ist es wirklich nötig, den<br />
Mythos des ach so fremden Japan<br />
immer wieder zu bemühen – und<br />
das Land für aussenstehende Zuschauer<br />
so schwer begreifbar darzustellen?<br />
Aus meiner Sicht ist es<br />
nicht so, dass Japan nicht zu verstehen<br />
wäre. Als Ganzes allerdings<br />
ist der Film ein interessantes Ton-<br />
und Zeitdokument. Alleine schon<br />
diesen Künstler_innen bei ihren<br />
Klangtüfteleien zuzuhören und zuzuschauen,<br />
ist wunderbar.<br />
> Paed conca
feldforscHung<br />
zur ethnograPhischen Praxis<br />
im 21. Jahrhundert<br />
Wenn Menschen, Ideen und Güter<br />
über Grenzen hinweg reisen<br />
und interagieren, wird es für die<br />
Sozialanthropologin und den Musikethnologen<br />
immer schwieriger,<br />
soziale Wirklichkeiten an lokalen<br />
Forschungsstandorten empirisch<br />
und wissenschaftlich zu erfassen.<br />
Diese Unsicherheit führt mit dazu,<br />
dass die Legitimation des Sozialanthropologen<br />
über eine andere<br />
Gesellschaft zu sprechen, öfters<br />
in Frage gestellt wird. Die Interaktionen<br />
der Menschen in lokalen<br />
und transnationalen Räumen führt<br />
zu einer stetig wachsenden und<br />
äusserst komplexen Flut an Daten,<br />
die der Forscher alleine kaum<br />
mehr bewältigen kann.<br />
Wir wollen in diesem Teil des<br />
megafon-Schwerpunkts Feld forscherinnen<br />
und Feldforschern auf<br />
die Finger schauen. Die Berner Medienanthropologin<br />
Kathrin Oester<br />
weist in ihrem Artikel auf neuere<br />
Tendenzen in der Medienanthropologie<br />
und der Performance Ethnographie<br />
hin. Frank Wittmann, Autor<br />
des Buches «Medienkultur und<br />
Ethnographie» (Transcript Verlag),<br />
stellt den methodischen Ansatz<br />
der «Multi-Sited Ethnography» vor<br />
und zeigt seine Möglichkeiten und<br />
Grenzen. Schliesslich berichten<br />
Studentinnen, Doktoranden und<br />
Professorinnen in kurzen Anekdoten<br />
über ihre Erfahrungen und<br />
Einsichten im Feld: mal kritisch,<br />
mal traurig, mal skurril. Viel Vergnügen!<br />
> norient <<br />
sChWErpunkt<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 15
MedienantHroPologie Heute<br />
wissen anders Vermitteln –<br />
oder etwas anderes Vermitteln?<br />
kathrin oester ist<br />
sozialanthropologin<br />
und filmemacherin.<br />
sie forscht und lehrt<br />
zu den themen<br />
medienanthropologie,<br />
migration und<br />
Bildung.<br />
sChWErpunkt<br />
16<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
Vermitteln audio-visuelle Dokumente<br />
eine andere Botschaft als<br />
ein Text – oder vermitteln sie die<br />
Botschaft anders? Tatsächlich<br />
spricht die wachsende audio-visuelle<br />
Kommunikation dafür, dass<br />
Bild und Ton die Sinne direkter<br />
ansprechen als ein Text: Statt sich<br />
allein an unsere kognitiven Fähigkeiten<br />
zu wenden, löst etwa das<br />
Bild eines Kriegsverletzten Gefühle<br />
von Mitleid, Angst oder Ekel<br />
aus. Oder das Bild einer einsamen<br />
Landschaft ruft Sehnsucht und Erinnerungen<br />
wach. Allerdings kann<br />
auch die Sprache affektive und poetische<br />
Funktionen übernehmen<br />
und mit bildhaften Metaphern direkt<br />
die Sinne ansprechen. Es ist<br />
also nicht so, dass Sprache allein<br />
unsere kognitiven Fähigkeiten, Bild<br />
und Ton dagegen unsere Sinne ansprechen.<br />
Das Verhältnis von Wort,<br />
Bild und Ton im Wahrnehmungs-<br />
und Erkenntnisprozess ist komplexer:<br />
Um etwas zu erkennen und<br />
einzuordnen, vervollständigen wir<br />
vielmehr rein visuelle Wahrnehmungen<br />
mit Begriffen und rein<br />
verbale Botschaften mit bildhaften<br />
Assoziationen.<br />
Dies wussten Heiler und Schamaninnen<br />
längst vor modernen<br />
Werbefachleuten und setzten in<br />
stark performativen Kulten Wort,<br />
Bild und Ton auf raffinierte Weise<br />
für ihre Ziele ein. Die nepalesischen<br />
Heiler etwa, die wir im Film Schamanen<br />
im Blinden Land (1980) von<br />
Michael Oppitz sehen, arbeiten mit<br />
Musik und Tanz, Liedern und Sprüchen,<br />
Kostümen und Ritualgegenständen<br />
– viele Schamanen setzen<br />
auch Gerüche und psychogene<br />
Substanzen ein. Mit dem Ziel der<br />
Heilung vor Augen, gibt es im schamanistischen<br />
Ritual keine Sinne,<br />
die nicht angesprochen würden.<br />
Und es werden sämtliche medialen<br />
Register gezogen, um die durch die<br />
Krankheit bedrohte Gemeinschaft<br />
wieder zusammen zu schweissen.<br />
Kurz – je raffinierter die Abstimmung<br />
der Ausdrucksmittel und je<br />
besser ihre je spezifische Wirkung<br />
erkannt wird, desto dichter und<br />
wirkungsvoller ist das Ritual.<br />
Seit ihrer Entstehung hatte die<br />
Anthropologie einen privilegierten<br />
Zugang zu diesem Wissen. Doch<br />
hat eine bilderstürmerische Wissenschaft<br />
– entstanden am Ende<br />
des 19. Jahrhunderts – dieses Wissen<br />
lange Zeit brach liegen lassen<br />
und kaum für die eigenen Zwecke<br />
genutzt. Als Teil einer wortfixierten<br />
Wissenschaftskultur – der Philosophie,<br />
der Geschichte, der Sprachwissenschaft<br />
– war es vielmehr<br />
bevorzugtes Ziel einer aufklärerischen<br />
Anthropologie, die Bilder<br />
des Fremden von allem falschen<br />
Schein zu befreien. Die richtigen<br />
Medien dazu waren die Sprache,<br />
das Diagramm oder statistische<br />
Messwerte. Diese Mittel sollten<br />
dazu dienen, fremde Kulturen<br />
hinfort mit nüchternem Blick zu<br />
betrachten und ihre Institutionen<br />
einer logischen Analyse zu unterziehen.<br />
Dabei standen die Abstraktion<br />
und Distanz des Forschenden<br />
zum Gegenstand im Vordergrund<br />
und nicht die Orientierung am vielschichtigen,<br />
sinnlich Konkreten.<br />
Im Zeichen der empirischen<br />
Forschung in der ersten Hälfte<br />
des 20. Jahrhunderts änderte sich<br />
jedoch die Art und Weise, wie anthropologisches<br />
Wissen erworben<br />
wurde. Die Feldforschung entstand<br />
und mit ihr die Überzeugung, dass<br />
nur die teilnehmende Beobachtung,<br />
beruhend auf Erfahrungswissen<br />
und der Nähe zum Gegenstand verlässliches<br />
Wissen über fremde Kulturen<br />
generieren konnte. Eines der<br />
wichtigsten Aufzeichnungsmittel,<br />
um jene Erfahrungen festzuhalten,<br />
war von Beginn weg die Fotografie<br />
und später der ethnografische<br />
Film. Beide Medien dienten dazu,<br />
der fragmentarischen Wahrnehmung<br />
und lückenhaften Erinnerung<br />
der Forschenden Herr zu werden<br />
mit dem Ziel, die wissenschaftliche<br />
Objektivität zu steigern. Dabei galt<br />
es die Dinge so festzuhalten, wie<br />
sie sich im Feld tatsächlich zeigten,<br />
unbeeinflusst von den Verzerrungen<br />
eines voreingenommenen<br />
Wissenschaftlers.<br />
Die Kritik postkolonialer und<br />
feministischer Anthropolog_innen<br />
stellte die Objektivität dokumentarischer<br />
Fotografien und Filme, aber<br />
auch von Texten, ab den 1960er-<br />
und 1970er-Jahren radikal infrage.<br />
Die Repräsentationen des Fremden<br />
erwies sich bei näherem Hinsehen<br />
als gefärbt von kolonialen und patriarchalen<br />
Machtbeziehungen.<br />
Bis heute haben Film und Fotografie<br />
als didaktisches Unterrichtsmittel<br />
eine wichtige Funktion<br />
in Lehre und Museen, – hier geht es<br />
um die Vermittlung einer Botschaft,<br />
also um das Wie. Geht es allerdings<br />
um das Was, also um die Generierung<br />
wissenschaftlicher Erkenntnis<br />
selbst, stossen audio-visuelle<br />
Medien bis heute nur bedingt auf<br />
Akzeptanz. Denn nach wie vor erscheint<br />
die Frage ungelöst, was<br />
sie denn eigentlich vermitteln und<br />
insbesondere, welchen Stellenwert<br />
das Evokative, Imaginative für die<br />
wissenschaftliche Erkenntnis hat.<br />
Kurz, dem bildhaft Anschaulichen<br />
und Imaginativen – so nützlich es<br />
für die Wissensvermittlung ist –<br />
wird im Masse seiner unkontrollierbaren<br />
Effekte die Beteiligung an<br />
der Wissensgenerierung von vielen<br />
abgesprochen.<br />
Ein neuer Zweig der Anthropologie,<br />
die Performance Ethnografie,<br />
nimmt sich genau dieser Frage an.<br />
Ihr geht es allerdings nicht darum,<br />
die alte Botschaft über den Fremden<br />
anders zu vermitteln. Vielmehr<br />
möchte sie – zusammen mit ihren<br />
ForschungspartnerInnen – etwas<br />
Anderes vermitteln. Dabei stehen<br />
nicht die fixen Strukturen einer<br />
fremden Gesellschaft zur Debatte,<br />
sondern die kulturelle Produktion,<br />
wie sie sich zu einem spezifischen<br />
historischen Zeitpunkt manifestiert<br />
– mittels Filmen, Bildern, Texten,<br />
mittels Theater oder Musik – in der<br />
Metaworld oder im Cyberspace.
Wie die Schaman_innen gibt sich<br />
die Performance Ethnografie nicht<br />
damit zufrieden, zu wissen wie etwas<br />
heilt oder wirkt, sie möchte<br />
vielmehr das Wissen selbst wirksam<br />
machen. Und dazu braucht sie alle<br />
Sinne. In dieser Beziehung nähert<br />
sich die neue Medienanthropologie<br />
dem experimentellen Arbeiten der<br />
Naturwissenschaften an: um Wissen<br />
zu generieren, fabriziert sie ein<br />
Modell – mittels Bildern, Begriffen<br />
und Sound. Je vielschichtiger und<br />
multisensorieller das Modell, desto<br />
näher kommt es der Wirklichkeit,<br />
die es nicht nur beschreibt, sondern<br />
selbst mit hervorbringt.<br />
Bereits in den 1950er-Jahren<br />
hatte der bekannte französische<br />
Ethnologe und Filmemacher Jean<br />
Rouch mit Arbeitsmigranten an der<br />
Elfenbeinküste einen Film im Sinne<br />
der Performance Ethnografie realisiert.<br />
Das Team erfand Szenen und<br />
die Migrant_innen kommentierten<br />
ihr Leben vor laufender Kamera mit<br />
dem Effekt, dass durch den Einsatz<br />
szenischer, statt rein dokumentarischer<br />
Mittel, durch Tanz und Musik,<br />
ein solch lebensnahes Bild der<br />
Migration geschaffen wurde, dass<br />
wir den Film «Moi, un noir» (1958)<br />
noch heute mit grossem Erkenntnisgewinn<br />
betrachten können.<br />
Die aktuelle Medienanthropologie<br />
befasst sich also nicht bloss mit<br />
der Analyse des Mediengebrauchs<br />
unterschiedlicher sozialer Gruppen;<br />
und sie lässt sich längst nicht<br />
mehr auf den ethnografischen Film<br />
reduzieren – sei es in der Funktion<br />
von Archivmaterial oder als didaktisches<br />
Mittel. Am zukunftsträchtigsten<br />
dürfte sie gerade da sein,<br />
wo sie mittels eines multisensoriellen<br />
Modells eine andere Botschaft<br />
als der lineare Text vermittelt. Von<br />
der Kunst unterscheidet sie sich<br />
dadurch, dass sie ihr eigenes Vorgehen<br />
– die Modellbildung – für andere<br />
nachvollziehbar und damit der<br />
Kritik zugänglich macht.<br />
> katHrin oester <<br />
vom hörsaal In dIE stauBIgEn strassEn WEstafrIkas<br />
Es muss im 1997 gewesen sein. Ich studierte<br />
an der universität Bern literatur- und<br />
medienwissenschaft und belegte auch einige<br />
sprachwissenschaftliche veranstaltungen. dies<br />
hielt mich jedoch nicht davon ab, mich in eine<br />
diskussion mit einer Ethnologiestudentin zu<br />
verwickeln. Ich warf meiner kommilitonin vor,<br />
dass Ethnologen vorgeben, «das fremde» zu<br />
beschreiben und nicht erkennen wollen, dass<br />
sie nur selbstbeschreibungen liefern. Ich hatte<br />
damals weder eine ahnung von der inspirierenden<br />
Writing-Culture-debatte noch von der<br />
theorie des radikalen konstruktivismus. Im<br />
jugendlichen Eifer wollte ich nur meine geringschätzung<br />
für die Ethnologie zum ausdruck<br />
bringen.<br />
Es gehört zu den schönen Widersprüchlichkeiten<br />
des lebens, dass mich mein akademischer<br />
Weg noch in die Ethnologie führen<br />
sollte. denn im rahmen meines studiums ging<br />
ich – ob zufällig oder nicht sei dahin gestellt<br />
– an die universität dakar in senegal. dieser<br />
auslandaufenthalt sollte zum ausganspunkt<br />
für eine afrikawissenschaftliche Wende meines<br />
weiteren studiums und der anschliessenden<br />
promotion werden. In meinem promotionsprojekt<br />
zu medienkultur und Ethnographie* war<br />
auch eine fallstudie über die senegalesische<br />
medienkultur vorgesehen. Während eines<br />
einjährigen feldforschungsaufenthalts in<br />
senegal probierte ich verschiedene sozialwissenschaftliche<br />
methoden zur datenerhebung<br />
aus und stellte im laufe der zeit fest, dass<br />
ethnographische methoden nicht nur die innovativsten<br />
Ergebnisse hervorbrachten, sondern<br />
auch am spannendsten waren. das, was andere<br />
menschen im hörsaal lernen, musste ich mir<br />
im schweisstreibenden feld aneignen. Ein verdienter<br />
preis für meine frühere hochnäsigkeit.<br />
Was ich während der feldforschung entdeckte,<br />
war die relevanz der Ethnographie in zeiten<br />
der zunehmenden globalisierung. denn je<br />
wichtiger globale zusammenhänge werden,<br />
desto wichtiger ist ein verständnis von lokalen<br />
gegebenheiten. medien und damit auch massenmedien<br />
haben sich als ein unermüdlicher<br />
treiber der globalisierung herausgestellt und<br />
damit ein lange zeit vernachlässigtes thema<br />
wieder vermehrt auf die agenda der Ethnologie<br />
gesetzt. Ethnographische methoden schienen<br />
mir daher von grossem Wert für das verständnis<br />
des medienhandelns von fremden gesellschaften<br />
– gerade in afrikanischen ländern, in<br />
denen sich die schattenseiten der globalisierung<br />
anschaulich betrachten lassen.<br />
Erst später und in zusammenhang mit einem<br />
kleinen forschungsprojekt in Burkina faso<br />
wurde ich auf das konzept der «multi-sited<br />
ethnography» aufmerksam. Bereits 1998<br />
stellte george marcus seinen ansatz vor, die<br />
konventionelle, monographisch orientierte und<br />
an einem festen ort durchgeführte Ethnographie<br />
in eine mobile und kontext-variable<br />
Ethnographie zu überführen, um damit die zirkulation<br />
von symbolen, Ideologien, kulturellen<br />
Bedeutungen, objekten und Identitäten über<br />
zeit und raum zu untersuchen. die «multi-sited<br />
ethnography»hebt die komparative dimension<br />
eines zu untersuchenden phänomens hervor,<br />
dessen konturen und Beziehungen zunächst<br />
noch unbestimmt sind. dieser ansatz fokussiert<br />
den Impact, den die globalisierung auf lokale<br />
räume ausübt. Es geht also darum, ethnographische<br />
forschung an mehreren orten vergleichend<br />
durchzuführen, um globalen prozessen<br />
auf die schliche zu kommen.<br />
Einige Jahre später setzte sich der an der<br />
university of Chicago lehrende haitianische<br />
Ethnologe michel-rolph trouillot kritisch mit<br />
der «multi-sited ethnography»auseinander. Er<br />
war der meinung, dass es nicht um eine schiere<br />
vervielfachung der beobachteten schauplätze<br />
gehen könne, sondern dass der reiz des<br />
konzepts darin liege, sich über die Implikationen<br />
von unterschiedlichen konstruktionen des<br />
« feldes » bewusst zu werden. damit einher<br />
gehe auch unterschiedliche vorstellungen von<br />
feldarbeit und kultur. auch andere Ethnologen<br />
und Ethnologinnen beschäftigten sich mit der<br />
«multi-sited ethnography»und setzten sich für<br />
eine Weiterentwicklung des konzepts ein.<br />
auch wenn sich meine berufliche tätigkeit<br />
seither in eine andere richtung entwickelt<br />
hat und ich heute keine feldforschung mehr<br />
in den staubigen strassen von dakar und<br />
ouagadougou betreibe, fasziniert mich an der<br />
Ethnographie, wie eng praktische feldforschung<br />
und theoretischer diskurs miteinander<br />
verknüpft sind. genau genommen beneide ich<br />
die heutigen Ethnologie-studierenden über die<br />
brandaktuellen themen und diskussionen. Ich<br />
hoffe, dass sie dem, was in der Welt vorgeht<br />
und in den theoriebüchern darüber geschrieben<br />
steht, mehr aufmerksamkeit schenken und<br />
Wertschätzung entgegenbringen als ich es<br />
während meiner zeit im unitobler getan habe.<br />
* frank Wittmann: medienkultur und Ethnographie.<br />
Ein transdisziplinärer ansatz. mit einer feldstudie<br />
zu senegal. Bielefeld: transcript verlag. 1997. 422<br />
seiten.<br />
sChWErpunkt<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 17<br />
›
Schwerpunkt<br />
18<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
dEr Blog als fEldnotIz<br />
– von sydnEy hutChInson<br />
(domInIkanIsChE rEpuBlIk)<br />
... als ich angekommen war, begann ich sofort zu bloggen.<br />
Ich beschrieb meine Wohnung mit ihrer seltsamen dusche,<br />
meine vermieterin und ihre bizarre theorie über das verhalten<br />
der moskitos, und das fernsehprogramm. Ich lud<br />
Bilder hoch, wollte das ganze illustrieren. alles stand bald<br />
auf meinem Blog: was ich von meinem akkordeon-lehrer<br />
gelernt hatte; die politik des dominikanischen karnevals;<br />
die strapazen wegen der mückenstiche – kurz: alle<br />
hochs und tiefs meines alltags. Ich schrieb und schrieb,<br />
denn bloggen war viel motivierender, als feldnotizen zu<br />
schreiben. Ich schrieb pflichtbewusst – denn ich musste<br />
ja jede Woche etwas posten. schon bald hatte ich eine<br />
gefolgschaft von leserinnen und lesern, ungefähr 200<br />
pro Woche! diese motivierten mich zusätzlich. Einige<br />
kontaktierten mich: zum Beispiel leute, die eine ähnliche<br />
forschung betrieben wie ich – oder dominikanische amerikaner,<br />
die ihre kultur kennenlernen wollten.<br />
meine streifzüge ins Cyber-feld hatten aber noch eine<br />
andere, unerwartete folge. Bald wurde mein Blog auch<br />
in der gemeinschaft bekannt, in der ich forschte. als ich<br />
für meine zweite feldforschung wieder auf der dominikanischen<br />
republik ankam, nahm mich der mann zur<br />
seite, der mich vor einem Jahr in seine karnevalgruppe<br />
aufgenommen hatte. Er umarmte mich und sagte: «Ich<br />
habe deine Webseite gefunden. du schreibst, ich sei dein<br />
mentor! danke, dass du das zu schätzen weisst!» später,<br />
an einem karneval-anlass, kamen zwei freunde auf mich<br />
zu. «fotografier uns in unseren kostümen! und lade die<br />
Bilder auf deine seite!» nach der karneval-saison traf ich<br />
meinen mentor wieder. «Ich bin sauer auf dich», sagte<br />
dieser zu meiner verblüffung. «du hast kein Bild von mir in<br />
meinem neuen kostüm auf deinem Blog!»<br />
sydney hutchinson von der syracuse university, arbeitet zu performance<br />
und gender in der musik der dominikanischen republik.<br />
«untEr uns gEsagt, mEInE lIEBE...»<br />
– von stEphanIE Conn, CapE BrEton (kanada)<br />
mit etwas glück knüpfen wir während unseren feldforschungen<br />
freundschaften – quasi als nebenprodukt. und<br />
das nicht nur wegen, sondern trotz unserer arbeit im<br />
feld. für mich stellte sich immer die frage: Wieweit muss<br />
ich immer forscherin spielen, und wieweit kann ich mich<br />
einfach von meinem herzen leiten lassen. als ich auf der<br />
Insel Cape Breton arbeitete, ging ich mehrmals pro Woche<br />
bei peter vorbei, einem gälischen sänger. peter weiss alles<br />
über die lokale geschichte: die lieder, die geschichten,<br />
die sprache. aber primär ist peter eine wunderbare<br />
person – und eine grossartige gesellschaft. gegen aussen<br />
wirken peter und seine lokale gemeinschaft ziemlich<br />
konservativ, privat aber ist peter sehr offen und direkt.<br />
Wenn er sich zu dir hervorbeugt, dich intensiv anguckt und<br />
sagt: «unter uns gesagt, meine liebe...», so weisst du:<br />
Jetzt kommt was gutes. peter ist 90 Jahre alt und eine<br />
eindrucksvolle Erscheinung. Bei jedem Besuch trägt er ein<br />
frisches hemd, glatt gebügelt.<br />
stephanie Conn, musikethnologin, university of toronto.<br />
BIErIdEE<br />
– von BIrgIt allEnBaCh (BurkIna faso)<br />
In den ersten Wochen meiner feldforschung in koudougou<br />
(Burkina faso) im Jahre 1989 verbrachte ich viel zeit in<br />
der hirsebiertaverne von ariète Bationo und unterhielt<br />
mich mit den gästen oder den mitarbeiterinnen in der<br />
Brauerei. hirsebier ist bei männern und frauen sehr<br />
beliebt, wird aber ausschliesslich von frauen hergestellt<br />
und verkauft. die Brauerei von ariète Bationo entsprach<br />
für mich jenem frauenraum, der für bäuerliche gesellschaften<br />
charakteristisch und eine mögliche grundlage<br />
der macht von frauen ist. mein Interesse für Bier war<br />
für die leute in koudougou gut nachvollziehbar aber nicht<br />
meine faszination für die frauen als produzentinnen und<br />
händlerinnen. Eines tages fragte mich ein freund der<br />
familie von ariète Bationo, ob ich wirklich die Bierbrauerei<br />
erforschen wolle. als ich dies bestätigte, schlug er
die hände über dem kopf zusammen und sagte: «das<br />
ist schwierig! Wenn sie sich in den tavernen aufhalten,<br />
müssen sie mittrinken, sonst werden sie ausgeschlossen<br />
bleiben. und: die frauen werden Ihnen nicht die Wahrheit<br />
sagen, sie wissen, dass solche untersuchungen oft<br />
negative auswirkungen haben». Bei einer Besichtigung<br />
der textilfabrik begrüsste mich ein arbeiter, als ob wir<br />
alte Bekannte wären. Ich fragte ihn, woher wir uns denn<br />
kennen würden. Er antwortete: «hier in koudougou<br />
wissen alle, wer sie sind!» Ich sei doch gekommen, um zu<br />
lernen, wie man hirsebier braue, weil ich das getränk in<br />
meiner heimat industriell herstellen wolle. rückblickend<br />
denke ich manchmal: Warum nur habe ich die Bieridee<br />
nicht umgesetzt? als Industrielle müsste ich heute keine<br />
Brötli mehr verdienen und könnte mich voll und ganz der<br />
ethnologischen forschung hingeben…<br />
Brigit allenbach, dr. phil., arbeitet als lehrbeauftragte am seminar<br />
für sozialanthropologie der universität freiburg/schweiz sowie<br />
an den pädagogischen hochschulen in zürich und Bern. aktuell<br />
erforscht sie Erzählungen über zugehörigkeit von secondos/secondas<br />
aus südosteuropa in der schweiz.<br />
üBEr anErkEnnung<br />
– von marC-antoInE Camp (BrasIlIEn)<br />
der ethnographische alltag ist vielfältig, faszinierend in<br />
der Wahrnehmung des fremden, überraschungsreich bei<br />
der teilnehmenden Beobachtung, gefährlich aufgrund der<br />
beweisenden dokumentationstätigkeit. Im zentrum dieser<br />
tätigkeit steht eine verstehend-kritische anerkennung<br />
fremder kulturen und der austausch mit den lokalen<br />
forschungspartnerinnen und -partnern, für die es meist<br />
unwesentlich ist, ob der Ethnograph ihre lebenswelten<br />
ausgehend von struktur-funktionalistischen gesellschaftsmodellen,<br />
lokalspezifischen Weltbildern oder global<br />
zirkulierenden ästhetischen theoremen beschreibt. für<br />
die menschen, mit denen wir Ethnographen ins gespräch<br />
kommen, sind die Begegnung mit dem fremden forscher<br />
und seiner wunderlichen, geräteabhängigen kulturarbeit<br />
eine ausseralltägliche Erfahrung.<br />
Während meinen feldforschungen im brasilianischen<br />
Bundesstaat minas gerais hat mir die Bevölkerung viel<br />
Interesse und respekt entgegengebracht. ausdruck fand<br />
dies einmal in einem zuckerwürfelgrossen speckstück. Ich<br />
hatte einen ritualsänger in seinem kleinen, alten und daher<br />
schiefen lehmhaus einer streusiedlung abseits eines<br />
abgelegenen dorfes für ein Interview besucht. regen hatte<br />
eingesetzt. die rückkehr ins dorf hatte ein friedvoller<br />
und üblicherweise durchwatbarer, nun aber reissender<br />
fluss verwehrt. Ich erhielt im lichte des herdfeuers ein<br />
mehrschichtiges mahl: reis, Bohnen, gemüse und eine<br />
art pasta, die in der rotfärbung von urucum-samen (der<br />
orleansstrauchfrucht) die Beigabe einer tomatensauche<br />
imitierte. gekrönt wurde dies mit einem stück speck, das<br />
niemand der zugegenen achtköpfigen familie erhalten<br />
hatte. der fleischkonsum in dieser sozioökonomisch<br />
armen region war den feiertagen vorbehalten oder – wie<br />
bei mir – eine auszeichnung. die exzessive rindfleisch-<br />
Esskultur der brasilianischen mittel- und oberschicht<br />
hatte mich allerdings einige Jahre zuvor zum vegetarier<br />
gemacht. Es kostete mich überwindung, die anerkennung<br />
der gastgeber zu schlucken.<br />
marc-antoine Camp, musikethnologe, hochschule luzern – musik<br />
das proBlEm mIt dEn musIk-<br />
InstItutIonEn In kasaChstan<br />
– von mEgan ranCIEr (kasaChstan)<br />
natürlich, wir musikethnologen sollten ein phänomen<br />
objektiv, analytisch und auch relativistisch untersuchen.<br />
das kann ich aber nicht mehr: nachdem ich die x-te kasachische<br />
oper aus der ära der sowjetunion und den x-ten<br />
mit synthesizern aufgemotzten popsong über mich habe<br />
ergehen lassen. der status quo der musik in kasachstan<br />
deprimiert mich einfach bloss noch. die lokalen Experten,<br />
mit denen ich spreche, sind womöglich genauso deprimiert<br />
wie ich. nur beschützen sie das «nationale» Erbe, und all<br />
diese sponsoren, festivals, kompositionen und musiker.<br />
die Entwicklung der musik sei sache der regierung, sagen<br />
viele hier. die leute haben nichts zu sagen, sie können<br />
das kulturelle leben in ihrer stadt weder prägen noch<br />
beeinflussen.<br />
dr. megan rancier, musikethnologie, uCla los angeles.<br />
mEdIEn-EthnographIE<br />
– von matt sakakEEny (nEW orlEans)<br />
Während meiner feldforschung in new orleans produzier<br />
te ich radiosendungen über Brassband-musiker. sie<br />
kämpfen für höhere löhne, bessere institutionelle unterstützung<br />
und mehr respekt für ihre kreative arbeit. Ich<br />
nenne das medien-Ethnographie. viele musikethnologen<br />
kennen die medien-Ethnographie nicht, aber für meine Informanten<br />
ist sie keineswegs sonderbar. die meisten sind<br />
sich den austausch mit reportern vom fernsehen, radio<br />
oder den printmedien gewöhnt. Ich bewege mich<br />
›<br />
sChWErpunkt<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 19
sChWErpunkt<br />
20<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
also gleichzeitig als unabhängiger medienproduzent und<br />
als akademischer forscher. Ich kann so eine rolle einnehmen,<br />
die die musiker akzeptieren – sie nehmen sich ja<br />
schliesslich die zeit, um mit mir zu reden. und mir erlaubt<br />
das, ihnen etwas zurückzugeben: Ich veröffentliche ihre<br />
Botschaft und bezahle damit indirekt für unsere gemeinsamen<br />
anstrengungen.<br />
matt sakakeeny phd kandidat, musikethnologie,<br />
Columbia university.<br />
«dElhI By nIght» –<br />
zWIsChEn frEIhEIt, rausCh<br />
und dEm rohEn lEBEn<br />
– von rohIt JaIn (IndIEn)<br />
02.07 uhr: nach einem Bollywood-streifen im trendigen<br />
vasant vihar nehmen mich eine freundin meines Informanten<br />
und ihr Cousin aus london mit. die stewardess,<br />
weibliche Ikone des neuen, urbanen Indiens, berserkert<br />
mit 80 km/h durch die strassen. Bollywood-sound dröhnt,<br />
das mädchen tankt Whisky soda, «delhi by night» fliegt an<br />
uns vorbei. die stadt pumpt!<br />
02.43 uhr: plötzlich stecken wir im stau des nächtlichen<br />
lastwagenverkehrs und kommen keinen meter mehr weiter.<br />
Wir haben keinen blassen schimmer, wo wir stecken.<br />
das mädchen säuft weiter, schreit noch lauter ins telefon,<br />
raucht, flucht und hupt. der rauch der «gold flakes» vermischt<br />
sich mit dieselgeruch und motorengeheul. mir wird<br />
übel, ich rauche auch und schütte zur Beruhigung Whisky<br />
soda rein. der Cousin grinst.<br />
03.56 uhr: nach zwei stunden Irrfahrt erkenne ich in den<br />
nächtlichen Eingeweiden delhis die leuchtschrift des «national<br />
Institute of desaster management». zuhause!<br />
die Wege in delhi sind roh und unergründlich...<br />
rohit Jain hat für seine dissertation an der uni zürich indische<br />
second@s aus der schweiz auf ihren Wegen durch das urbane,<br />
spirituelle und familiäre Indien begeleitet.<br />
musIkpsyChologIE Im<br />
hoChsIChErhEItstrakt<br />
– von BEn harBErt (los angElEs)<br />
meine vorliebe für genaue transkriptionen und analysen<br />
macht die gespräche mit meinen Informanten nicht gerade<br />
einfach. dem gespräch kaum förderlich ist aber auch,<br />
wenn dir ein unbekannter erzählt, er sei als kind sexuell<br />
missbraucht worden. Ich sitze im blitzblank geputzten und<br />
aufgeräumten musikraum das new folsom staatsgefängnis.<br />
die gitarren, schlagzeuge und Blasinstrumente sind in<br />
einem gitterschranke weggesperrt. Ein altes Jimi-hendrixposter<br />
schmückt die Wand. Bill martin (name geändert) ist<br />
ein zu lebenslanger haft verurteilter mörder. am vorabend<br />
hat mir Jim Carlson, der kunstvermittler des gefängnisses,<br />
die aufnahme von Bills «little Boy Blue» vorgespielt.<br />
das stück handelt von kindsmissbrauch. selbst in der<br />
musik schien das thema mitzuschwingen, irgendwie.<br />
Ich werde Bill nicht fragen, was er genau mit seinem<br />
song aussagen will. Ich hüte mich davor, seinen song<br />
meiner akademischen analyse zu unterziehen. Ich werde<br />
nie vergessen, wie mich ein Insasse in der California<br />
men’s Colony rundheraus anschuldigte: «für dich sind wir<br />
einfach laborratten, oder?».<br />
Ben harbert, assistenzprofessor musik, georgetown university.<br />
vErpasstE ChanCE<br />
– von BrIgIttE BaChmann-gEIsEr (appEnzEll)<br />
Im Juni 1974 wollte ich bei der alpauffahrt nicht einfach<br />
zuschauen, sondern hirten und herde auf der potersalp<br />
am säntis erwarten, um das von weit her vernehmbare<br />
geläute der senntomsschölle aufzunehmen. Im appenzellerland<br />
werden die drei grossen, kostbaren schellen<br />
der vordersten kühe bei ansteigendem Weg zum schutz<br />
vor schaden von zwei männern an einem Jochstecken<br />
getragen. aus diesem unwillkürlichen schellenschütteln<br />
hat sich das schölleschötte als Bordunbegleitung zum<br />
mehrstimmigen naturjodel, eine einzigartige musizierweise,<br />
entwickelt.<br />
am nachmitag vor der alpbestossung nahm mich eine<br />
Bäuerin, die das frühstück für die männer im rucksack<br />
trug, mit. Ich musste ihr aber helfen, die schweine auf<br />
die alp zu treiben. mit dem laster fuhren wir auf der<br />
fahrstrasse so weit als möglich und mussten danach den<br />
aufstieg unter die füsse nehmen. aus den angezeigten anderthalb<br />
Wegstunden wurden drei, weil sich die schweine<br />
im feuchten Waldboden und auf der Weide lustvoll suhlten.<br />
der für schweine übliche lockruf, ein immer gleich hohes<br />
zischen auf sch sch sch, und ein stock bewährte sich.<br />
als wir endlich bei der seit monaten nicht mehr bewohnten
hütte unterhalb eines ansteigenden schneefeldes<br />
angekommen waren, tranken wir heissen tee aus der<br />
thermosflasche und machten uns vor dem Einnachten an<br />
allerlei arbeiten. Ich musste beim Brunnen Wasser holen,<br />
für die männer, die um mitternacht mit treiben beginnen<br />
sollten, fleischplatten richten, den küchentisch für acht<br />
personen decken und die Betten mit eiskalten leintüchern<br />
und kissenanzügen beziehen.<br />
die Bäuerin empfahl mir, in allen kleidern zu schlafen. Weil<br />
auch sie vor lauter kälte keinen schlaf finden konnte, plauderten<br />
wir übers älplerleben, bis es um drei uhr höchste<br />
zeit war, feuer zu machen, Wasser zu kochen, und kaffee<br />
aufzugiessen. mit dem ersten schluck musste ich aber auf<br />
die herannahenden männer warten.<br />
Ich trat in den silbrigen morgen und machte mit klammen<br />
händen das tonbandgerät bereit: der senne. die hirten,<br />
zuhirten und der Bub sollten eigentlich schon da sein.<br />
und plötzlich leuchteten weit unten in einer blumigen Weide<br />
drei rote tupfer auf. hundegebell und ein muhen waren<br />
die ersten geräusche. aber dann erklangen die drei aufeinander<br />
abgestimmten schellen. das leise gebimmel wurde<br />
lauter und lauter und schwoll schliesslich zum vollen ehernen<br />
klang an: männer und vieh waren heil angekommen.<br />
man begrüsste sich, als hätte man sich seit langem nicht<br />
mehr gesehen. die alpgemeinschaft stand zum gradhebe<br />
zusammen. die schellen wurden während des ruggusse<br />
hin- und herbewegt. danach gab jeder jedem die hand und<br />
wünschte einen guten sommer. Ich bediente die männer<br />
bei tisch und durfte mich schliesslich an den resten<br />
erlaben. Weil die kühe nach der alpauffahrt weiden, ohne<br />
gemolken zu werden, suchten die jungen männer die ruhe.<br />
der Bauer blieb in der küche zurück. Beim Blumenpflücken<br />
rund ums haus hörte ich ihn fragen:<br />
«ond?» die Bäuerin antwortete: «s i ischt e gschaffigi, e<br />
fliissigi, aber e reformierti ond erscht no e gstudierti.»<br />
Ich verabschiedete mich und stieg frohgemut, dem<br />
schicksal einer Bergbäuerin an der seite des ledigen<br />
sohnes meiner gastgeber entronnen zu sein, abwärts<br />
nach appenzell.<br />
hon. prof. dr. Brigitte Bachmann-geiser erforscht seit 40 Jahren<br />
die volksmusik der schweiz. am 13. Januar 2011 legt sie die Cd<br />
«heut tanzt der Bär. der sound der Berner fasnacht» vor, zyt<br />
4323, vor.<br />
BlIndE stadt<br />
– von angEla EIsEnmEngEr<br />
Wie beschreibt und erforscht man den klang einer stadt?<br />
Welche methode benutzt man am besten, wenn man der<br />
fragestellung: Wie klingt münchen an bestimmten orten?<br />
nachgehen möchte? da ich mir selbst als datenlieferant<br />
nur hinreichend genügte, beschloss ich, mir menschen als<br />
forschungspartner zu erwählen, die ihre orientierung im<br />
stadtraum besonders auf ihren hörsinn stützen. und wer<br />
könnte hier besser geeignet sein, als Blinde? gerade die<br />
Ergebnisse, aber auch der forschungsprozess öffneten<br />
mir sprichwörtlich auf eine besondere art und Weise die<br />
augen- nämlich indem ich sie schloss und mich auf einen<br />
eigenen Wahrnehmungsstil einliess, der sich von visuellen<br />
Wahrnehmung grundsätzlich unterscheidet und ganz neue<br />
aspekte und wertvolle Erkenntnisse liefern kann. so konnte<br />
ich meine eigene forschungsfrage als Ergebnis meiner<br />
arbeit «Blinde stadt- ein akustisches Bild münchens«,<br />
das im rahmen des zweisemestrigen lernforschungsprojekts<br />
«sounds like munich- vom klang der stadt» im fach<br />
Europäische Ethnologie/ volkskunde an der lmu münchen<br />
stattfand beantworten. schliesst man die augen, entsteht<br />
eine andere Wahrnehmung der umwelt, die gerade für<br />
die stadtplanung und die stadtanthropologie interessante<br />
daten liefern kann.<br />
angela Eisenmenger magisterstudentin der Europäischen Ethnologie/<br />
volkskunde; ludwigs maximilians universität münchen.<br />
sChWErpunkt<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 21
selbstversucH: global rock‘n‘roll<br />
Piss-wellness, schizoPhrene<br />
Punker und alkoholdehydrogenase<br />
Professor lö trösenbeck ist entzückt:<br />
das PrograMM voM diesJÄHrigen norient<br />
MusikfilM festival versPricHt besonders<br />
viel rock und roll. tÄglicH werden<br />
Punk und MetallMusik auf die wunderbare<br />
leinwand des kinos in der reitscHule<br />
ProJiziert. «taqwacore» zeigt die bösen<br />
buben der MusliMiscHen Punk-bewegung in<br />
den u.s. of a., «fokofPolisiekar» die<br />
nicHt Minder bösen buben der südafrikaniscHen<br />
rock-szene und zu guter letzt<br />
treffen in «full Metal village» die<br />
allerbösesten Metall-MÄdels auf bÄuerlicHe<br />
buben. ein grund, feldforscHung<br />
iM globalen rock‘n‘roll zu betreiben.<br />
sChWErpunkt<br />
22<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
Dass Rock‘n‘Roll nicht von der<br />
westlichen Welt gepachtet ist,<br />
musste Lö Trösenbeck schmerzvoll<br />
in der thailändischen Hauptstadt<br />
Bangkok erfahren. Es war<br />
etwa 2000 Grad warm, feucht und<br />
stickig, als Trösenbeck durch die<br />
Gassen der asiatischen Metropole<br />
zog. Er wollte nur eines: Bier. Und<br />
wo fliesst Bier in grossen Bechern<br />
am Besten? Dort wo es die Hauptdroge<br />
des Genres ist: im Rockclub.<br />
Lö Trösenbeck befand sich<br />
in Schwedischer Gesellschaft. Im<br />
hohen Norden wird das Trinken<br />
von Bier mit dreisten Zöllen belegt.<br />
Starköl, wie es dort heisst,<br />
wird in der nordischen Rock-Szene<br />
oft aus preislichen Gründen durch<br />
billiges After Shave ersetzt. Kein<br />
Wunder tönt die erfolgreichste<br />
schwedische Rockband, Europe,<br />
so frisch rasiert. Im Sündenbabel<br />
Ostasiens sass Trösenbeck also<br />
mit zwei dieser rasierwassergeschädigten<br />
Schweden. Sie bestellten<br />
das Bier im Pitcher, in einer<br />
Bierkanne zum Nachschenken<br />
«à discretion». Da sich beim Bestellvorgang<br />
Schweizerisches mit<br />
Schwedischem vermengte, wurde<br />
der Kellner verwirrt und brachte<br />
statt einem Pitcher für drei Männer,<br />
drei Pitcher für einen Mann.<br />
Und da Schweden und Schweizer<br />
in solchen Sachen meist diskret<br />
die Faust im Sack machen und den<br />
Irrtum ignorieren, floss bald liter-<br />
weise Bier in die Schlünde der versammelten<br />
Runde. Auf der Bühne<br />
stand eine thailändische Rockband<br />
und spielte Coverversionen der<br />
Gruppe Nirvana.<br />
Das Bier zeigte bald Wirkung, Lö<br />
Trösenbeck begab sich zur Toilette.<br />
Er stellte sich breitbeinig vor ein<br />
Urinoir, öffnete den Hosenschlitz<br />
und wollte gerade Platz für mehr<br />
Bier schaffen, als er auf einmal etwas<br />
Warmes auf seinen Schultern<br />
spürte. Ein junger Mann hatte sich<br />
hinter ihn gestellt und begann ihm<br />
die Schultern mit einem warmen<br />
Tuch zu massieren. Trösenbeck war<br />
ob solcher unerwarteter Wellness<br />
so schockiert, dass er nicht pinkeln<br />
konnte. Beschämt packte er seinen<br />
Hosenstall zu und schlich mit voller<br />
Blase zurück zu den Schweden.<br />
Der Sänger sang gerade: «A denial,<br />
a denial. A denial, a denial.<br />
A denial, a denial.» Lö Trösenbeck<br />
setzte sich an den Tisch und<br />
bestellte, um das peinliche Erlebnis<br />
zu überspielen, noch drei<br />
weitere Pitcher. Verstohlen und<br />
an einer vollen Blase leidend, beobachtete<br />
er den Wellness-Mann,<br />
der neben der Toilettentüre auf<br />
neue Kundschaft wartete. Niemand<br />
schien in diesem Rockclub das Pissoir<br />
aufzusuchen. Endlich machte<br />
der Mann ein paar Schritte zur Bar<br />
und begann mit dem Barkeeper zu<br />
schwatzen. Schnell sprang Trösenbeck<br />
auf und rannte auf die Toilette.<br />
Mit grosser Erleichterung liess<br />
er es sprudeln. Doch schon stand<br />
der Wellness-Mann wieder hinter<br />
ihm. Der Fluss floss flott weiter<br />
und Trösenbeck konnte sich voll<br />
auf den Genuss der Massage konzentrieren.<br />
Er zahlte dem Masseur<br />
ein grosszügiges Trinkgeld zum<br />
Dank für die Erkenntnis, dass der<br />
«Rock‘n‘Roll Way of Life» fernab<br />
vom Abendland wunderbare Nebenstrassen<br />
gebaut hatte.<br />
Zur Hauptstrasse ist der<br />
Rock‘n‘Roll schon lange in China<br />
geworden. Im Reich der Mitte traf<br />
Lö Trösenbeck zum Beispiel auf<br />
die schizophrenen Punk-Rocker.<br />
Am Samstag stehen sie auf der<br />
Bühne eines rauchigen – ja, in China<br />
stinken die Kleider nach einem<br />
Rockkonzert immer noch nach<br />
Rauch! – Rockclubs und schreien<br />
sich zu heftigen Rhythmen und<br />
quietschenden Gitarren die Lungen<br />
aus dem Leib. Am Mittwoch sitzen<br />
sie mit der akustischen Gitarre in<br />
einer winzigen Bar beim Singer-<br />
Songwriter-Treff und tönen eher<br />
wie Bob Dylan. Offenbar ist China<br />
tatsächlich das neue Land der unbegrenzten<br />
Möglichkeiten. Wenigstens<br />
im Rock‘n‘Roll hat dort die<br />
neue Kulturrevolution schon angefangen.<br />
Eine der schrillsten Strassen<br />
des Rocks befindet sich in<br />
Japan. Alles, was selbst die abgebrühtesten<br />
Rock‘n‘Roller des<br />
Abendlandes nicht zu tun wagen,<br />
ist im Land der aufgehenden Sonne<br />
Alltag. Zum Glück liegt die Reithölle<br />
im Herzen von Bern in der<br />
Anflugsschneise der sich auf Tour<br />
befindenden japanischen Rockmu-
sikanten. Lö Trösenbecks Jugend<br />
wurde durch die Klänge von Gruppen<br />
wie den Boredoms, Zeni Geva,<br />
Melt Banana und Acid Mothers<br />
Temple and the Melting Paraiso<br />
U.F.O verzerrt. So barmherzig laut<br />
verzerrt, dass Trösenbeck seine<br />
Jugend «eine gute Jugend» nennen<br />
würde. Natürlich musste er<br />
eines Tages selber aufbrechen, um<br />
die Ortschaften, wo diese schrecklich<br />
schönen Klänge fabriziert wurden,<br />
zu besuchen. In einem Vorort<br />
von Tokio wurde er fündig. In einer<br />
kleinen Galerie spielte die Gruppe,<br />
die «keinen Namen hatte oder noch<br />
nicht den richtigen Namen gefunden<br />
hatte» hiess, rockigen Bluegrass.<br />
Auch hier floss der goldgelbe<br />
Saft in Strömen. Eine beliebte<br />
Marke heisst Bisu. Alkoholdehydrogenase<br />
heisst das Enzym, das<br />
in der Leber dafür zuständig ist,<br />
dass Alkohol abgebaut wird. Bekanntlich<br />
haben Menschen in Asien<br />
ein paar Alkoholdehydrogenasen<br />
weniger. Die Kombination viel Bisu<br />
und wenig Alkoholdehydrogenasen<br />
schuf alsbald eine psychedelische<br />
Atmosphäre. Auf einmal tauschten<br />
Gäste und Musikanten Instrumente.<br />
Ein gigantisches Zupfen<br />
und betrunkenes Lallen begann.<br />
Lö Trösenbeck schnappte sich so<br />
viele Bisus, bis auch seine Alkoholdehydrogenasen<br />
nicht mehr funktionierten.<br />
In Kürze wurde er mit<br />
einer Art Mini-Vuvuzela ausgestattet<br />
und trötete bald überglücklich<br />
mit. Wie viele, die in Ostasien Zen<br />
und Buddhismus oder Zen-Buddhismus<br />
entdecken, entdeckte Lö<br />
Trösenbeck ebenfalls eine Türe zu<br />
seinem wahren spirituellen Ich: er<br />
wollte ein Rockstar werden.<br />
Zurück aus Japan suchte er<br />
sich eine Band, die ihn als Mini-<br />
Vuvuzela-Spieler in ihren Kreis<br />
aufnehmen würde. Es war einfach,<br />
war doch gerade eine extraterrestrische<br />
Rockgruppe in Bümpliz gelandet.<br />
Die Ausserirdischen nannten<br />
sich Blues Horror Brigade und<br />
behaupteten, sie hätten sich in einer<br />
therapeutischen Musikgruppe<br />
in einer Irrenanstalt am Rande der<br />
Galaxie kennen gelernt. Sie galten<br />
als völlig unheilbar und irren seither<br />
durchs Universum. Lö Trösenbeck<br />
fühlte sich sofort geborgen.<br />
Nun darf er zuweilen mittröten,<br />
wenn die Gruppe durchs Weltall<br />
reist.<br />
Der «Rock‘n‘Roll Way of Life»<br />
hat also nicht nur das Morgenland<br />
erobert, sondern das ganze Universum<br />
und den <strong>Norient</strong>. Höchste Zeit<br />
also, ein paar Rockumentarfilme in<br />
die Hauptstadt im Land der Berge<br />
zu locken.<br />
> lö trösenbeck <<br />
lö trösenbeck ist ein<br />
schreibender satellit<br />
vom megafon und<br />
übersetzt hauptberuflich<br />
die texte<br />
der ausserirdischen<br />
rockgruppe Blues<br />
horror Brigade in<br />
irdische sprachen.<br />
sChWErpunkt<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 23
InnEnland<br />
24<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
nacH der abstiMMung<br />
zur ausscHaffungsinitiative<br />
für reiche – gegen arme<br />
das scHweizer stiMMvolk verabscHiedet<br />
sicH ganz deMokratiscH von den MenscHenrecHten.<br />
falscH! das scHweizer<br />
stiMMvolk MacHt nur das, was «die<br />
scHweiz» scHon iMMer getan Hat.<br />
sie ist für die reicHen und gegen<br />
MenscHenrecHte.<br />
Dies und das entspreche nicht der<br />
humanitären Tradition der Schweiz<br />
oder widerspreche gar «urschweizerischen<br />
Werten» wie Demokratie<br />
und «den Menschenrechten»<br />
sagen manche, wenn ihnen die<br />
Argumente gegen die volksnahe<br />
SVP-Propagandamaschine ausgehen.<br />
Doch was sagen wir jetzt?<br />
Jetzt, wo die Mehrheit der in den<br />
letzten Jahren vor lauter Reichtum<br />
verblödeten und mit akutem Realitätsverlust<br />
geschlagenen Schweizer_innen<br />
glaubt, Schweizer zu<br />
sein, sei nicht etwa unverdientes<br />
Glück, sondern das Resultat von<br />
Fleiss und moralischer Überlegenheit?<br />
Jetzt, wo es in der Verfassung<br />
steht, dass ein Folteropfer an<br />
seine Folterer ausgeliefert werden<br />
muss, wenn es dem hiesigen Gesetz<br />
nicht entsprach.<br />
Es ist schlimm, doch ist es neu?<br />
Gibt es «humanitäre Tradition» der<br />
Schweiz und haben Menschenrechte<br />
hier eine «lange Geschichte»?<br />
Sie haben keine und wenn,<br />
dann nur eine ihrer Verhöhnung<br />
und Unterdrückung.<br />
«Landjegi» hiessen die systematischen<br />
Jagden bewaffneter<br />
Horden von (verhältnismässig) Reichen<br />
auf Arme, Landlose, Fremde<br />
und «Vagabunden» im 16. und 17.<br />
Jahrhundert im Bern- und Züribiet,<br />
in Baselland, Glarus, Zentral-,<br />
West- und Ostschweiz. Die Herren<br />
verkauften die gefangenen Opfer<br />
an die Todesgaleeren von Venedig,<br />
Spanien und Frankeich oder unterhielten<br />
eigene Galeeren auf dem<br />
Vierwaldstätter- und Genfersee.<br />
Wer an die Ruderbank gekettet<br />
wurde, überlebte nicht lange.<br />
Dass Folter in der guten alten<br />
Zeit zum normalen Gerichtsverfah-<br />
ren gehörte, ist bekannt. Weniger<br />
bekannt ist, dass es ein bisschen<br />
rohe Gewalt brauchte, bis die alten<br />
Herren der Schweiz auf ihr<br />
probates Mittel verzichteten. Erst<br />
der recht unhöfliche Auftritt französischer<br />
Truppen ermöglichte<br />
es, dass die helvetische Republik<br />
am 28. Mai 1798 die Folter verbot.<br />
Schon damals: Menschenrechte<br />
mussten von «fremden Richtern»<br />
durchgesetzt werden.<br />
In der Schweiz sind sie Rechte<br />
für die Richtigen und Reichen<br />
– sie gelten heute nicht für «Illegale»<br />
und «Kriminelle», sie galten<br />
damals nicht für «Fahrende». Ab<br />
1926 wurden Kinder von als «Fahrende»<br />
definierten Paaren mit Gewalt<br />
aus ihren Familien gerissen<br />
und in Anstalten, «Heime» und Gefängnisse<br />
gesteckt oder auch als<br />
Sklavenarbeiter_innen an Bauern<br />
verschenkt. Oh nein – es war nicht<br />
etwa ein irregeführter Hilfewillen,<br />
der zu den Verbrechen der «Aktion<br />
Kinder der Langstrasse» geführt<br />
hat. Es war offener Rassismus:<br />
Die Kinder bildeten «einen dunklen<br />
Fleck in unserm auf seine Kulturordnung<br />
so stolzen Schweizerlande...»<br />
sagte damals ein Bundesrat.<br />
Doch frau braucht nicht rassistisch<br />
einem «dunklen Fleck» zugeordnet<br />
zu sein, um bar jeder Rechte in<br />
irgendeinem Loch in diesem Land<br />
zu landen. Zwischen 1942 und 1981<br />
wurden tausende von (oft jungen,<br />
oft weiblichen) Menschen in der<br />
Schweiz «administrativ versorgt»,<br />
sprich ohne Anklage und Urteil<br />
in Anstalten, etwa das Frauengefängnis<br />
Hindelbank, gesteckt. Am<br />
10. September 2010 entschuldigten<br />
sich die Vertreter_innen des<br />
Staates, eine Bundesrätin und ein<br />
Regierungsrat, bei ihren Opfern.<br />
«Landjegi», Folter, die Verschleppung<br />
von Kindern und die<br />
systematische Versenkung von potentiell<br />
rebellischen Jugendlichen<br />
(Frauen) in Gefängnissen sind<br />
nur Blitzlicher auf die Geschichte<br />
der Schweiz. Zur Geschichte<br />
der Schweiz als Land der Herren<br />
gehören ebenso die (auch antisemitisch<br />
motivierte) Kollaboration<br />
mit Hitlerdeutschland oder die gewaltsame<br />
Vertreibung von Armen<br />
in die Emigration nach Amerika.<br />
Oder der Umgang mit den Saisoniers.<br />
Und wer in den 1960er-Jahren<br />
in diesem Land aufgwachsen ist,<br />
kann sich vielleicht noch an das<br />
kleine Holz-Negerli im Eingang der<br />
Kirche erinnern, das nickte, wenn<br />
man ihm ein Zwänzgerli in den<br />
Kopf steckte.<br />
Die Vergangenheit wäre erträglicher<br />
wenn sie nicht so sehr<br />
die Gegenwart wäre. Der Vertreter<br />
der Kantonsregierungen, der<br />
sich diesen September vor den<br />
«administrativ Versorgten» an einer<br />
Veranstaltung im Frauenknast<br />
Hindelbank mit dürren Worten<br />
entschuldigte, heisst Hans Hollenstein.<br />
Das ist der Zürcher Vorsteher<br />
der Sicherheitsdirektion, der dafür<br />
gesorgt hat, dass Sans-Papiers<br />
im Kanton Zürich statt Geld nur<br />
Migros-Gutscheine (8.50 Franken<br />
pro Tag) als «Nothilfe» erhalten.<br />
Der Mann, der dafür sorgt, dass die<br />
Armen verschwinden. Wie gehabt.<br />
> alois HinterfuHren
guItarhEads Wäut<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 25<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 25
InnEnland<br />
26<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
tour de lorraine 11<br />
gemeingüter befreien<br />
bereits zuM elften Mal steigt aM 22.<br />
Januar die tour de lorraine, das grosse<br />
solidaritÄtsfest der ausserParlaMentariscHen<br />
linken in bern. neben den traditionellen<br />
lokalen auf beiden seiten<br />
der lorrainebrücke, beteiligen sicH<br />
verMeHrt aucH kleinere, HalböffentlicHe<br />
rÄuMe in der lorraine und lassen die<br />
tour scHon fast zu eineM winterlicHen<br />
quartierfest werden.<br />
Nur einmal Eintritt bezahlen und<br />
die ganze Nacht in über einem<br />
Dutzend Lokalen Konzerte, Dj‘s,<br />
Filme, Theater und Performances<br />
sehen, das Ganze abgerundet mit<br />
dem traditionellen Katerfrühstück<br />
im Restaurant Sous le Pont; so<br />
funktioniert das Rezept der Tour<br />
de Lorraine. Entstanden ist das<br />
Projekt aus der «Antiglobalisierungsbewegung»<br />
vor mehr als 10<br />
Jahren, als die massiven Proteste<br />
gegen die Treffen der Reichen und<br />
Mächtigen in Davos, Genua und<br />
anderswo für Aufsehen sorgten<br />
und die Bewegung Geld generieren<br />
musste, um die vielen Aktivitäten<br />
zu finanzieren.<br />
Nach dem Abflauen der Protestbewegung<br />
– zurückzuführen auf das<br />
brutale Vorgehen der Polizei gegen<br />
DemonstrantInnen, sowie Spaltungen<br />
innerhalb der Bewegung<br />
– gründeten die OrganisatorInnen<br />
der Tour de Lorraine vor einigen<br />
Jahren einen eigenen Verein, um<br />
die Grundidee der TdL aufrechtzuerhalten.<br />
Die Inhalte und Anliegen<br />
der Bewegung sollen an der Tour<br />
de Lorraine möglichst sichtbar und<br />
erfahrbar gemacht werden, und<br />
der Gewinn wird vollumfänglich an<br />
linke Projekte und Organisationen<br />
gespendet (siehe Kasten). Weil alle<br />
Vereinsmitglieder unentgeltlich ar-<br />
beiten, bleibt trotz den niedrigen<br />
Eintrittspreisen jedes Jahr ein ansehnlicher<br />
Gewinn übrig.<br />
Das Motto der diesjährigen Tour<br />
de Lorraine lautet «Gemeingüter<br />
befreien» und knüpft an das letztjährige<br />
«Alternativen säen» an.<br />
Doch was ist ein Gemeingut und<br />
wieso soll es befreit werden? Solche<br />
Fragen werden an der Tour de<br />
Lorraine im Kino in der Reitschule<br />
und in einer speziell für die TdL geschriebenen<br />
Performance im Tojo<br />
Theater, diskutiert. Aber auch an<br />
den Stammtischen der an der TdL<br />
beteilitgten Beizen soll eine Auseinandersetzung<br />
über Gemeingüter<br />
stattfinden. Zu den Getränken werden<br />
dort Bierdeckel aufgetischt,<br />
auf deren Rückseite Fragen zum<br />
Thema gestellt werden, die von<br />
den Gästen diskutiert und beantwortet<br />
werden können.<br />
renaissance der gemeingüter<br />
Spätestens seit der Verleihung<br />
des Nobelpreises vor zwei Jahren<br />
an Elinor Ostrom, eine amerikanischen<br />
Politikwissenschaftlerin<br />
und Umweltökonomin, die seit<br />
den 1960er-Jahren über Gemeingüter<br />
forscht, kann von einer Renaissance<br />
der Gemeingüter<br />
gesprochen werden. Auch<br />
viele soziale Bewegungen<br />
aus dem Süden und<br />
Norden, die sich für<br />
eine Wirtschaft jenseits<br />
von Markt und<br />
Staat einsetzen,<br />
haben das Thema<br />
in den letzten Jahren<br />
aufgegriffen<br />
und die Diskussion<br />
weiterentwickelt.<br />
Und nicht zuletzt die<br />
Bewegung für freie<br />
Software, welche auf der<br />
«digitalen Allmend» entwickelt<br />
wird und für alle zugänglich ist,<br />
oder Projekte wie Wikipedia, die<br />
freie Wissensplattform, die durch<br />
die NutzerInnen entsteht, machen<br />
die Aktualität und den Nutzen von<br />
Gemeingütern deutlich.<br />
Ihren begrifflichen Ursprung haben<br />
die Gemeingüter –oder englisch<br />
«commons» – in der mittelalterlichen<br />
Allmend, einem für alle<br />
zugänglichen Stück Land einer Gemeinde.<br />
Mit Gemeingut ist mittlerweile<br />
aber nicht mehr nur gemeinsam<br />
genutztes Weideland oder das<br />
Nutzungsrecht für Wald und Wasser<br />
gemeint, ebenso wichtig ist<br />
heute der freie Zugang zu Software<br />
oder zu immateriellen Gütern wie<br />
Wissen oder Kultur.<br />
Ein Gemeingut ist also nicht einfach<br />
ein starres Konzept, nicht<br />
einfach ein Gut, an dem sich alle<br />
bedienen können ohne Auflagen,<br />
ein Gemeingut muss immer auch<br />
gepflegt werden von einer Gemein-
schaft, die das Gut nutzt, sonst besteht<br />
die Gefahr, dass die Quelle<br />
versiegt. Gemeingüter exisitieren<br />
also nur durch die Bindung an Gemeinschaften<br />
und durch kollektives<br />
Handeln. Das ist die Herausforderung<br />
und die Chance, die sich uns<br />
bietet, wenn Gemeingüter gefördert<br />
und genutzt werden.<br />
Gemeingüter bieten die Möglichkeit,<br />
dass das «gute Leben» nicht<br />
auf dem wirtschaftlichen Erfolg<br />
eines Individuums beruht, sondern<br />
dank kollektiv erarbeiteten Errungenschaften<br />
erreicht werden kann.<br />
Wer seine/ihre Grundbedürfnisse<br />
durch den Zugang zu Gemeingütern<br />
befriedigen kann, ist nicht<br />
mehr erpressbar durch die kapitalistische<br />
Wirtschaftslogik und kann<br />
ein freies Leben führen. So kann<br />
dem krisengeschüttelten System<br />
seine ausbeuterische Grundlage<br />
entzogen werden. Bis es so weit<br />
ist, müssen allerdings noch einige<br />
Gemeingüter befreit, erfunden und<br />
entwickelt werden.<br />
> david böHner <<br />
Mehr Infos: www.tourdelorraine.ch oder in der Zeitung antidot<br />
inclu zur TdL, die ab Mitte Januar in den TdL-Lokalen aufliegt<br />
und am 20. Januar der WOZ beiliegen wird.<br />
dIE tour dE lorraInE untErstützt lInkE proJEktE und gruppEn<br />
der verein tour de lorraine verteilt den gewinn der tour de lorraine an linke projekte und organisationen im<br />
In- und ausland. an den vierteljährlichen vorstandssitzungen wird über die eingetroffenen unterstützungsanträge<br />
entschieden. dabei werden in der regel Beträge zwischen einigen hundert bis ca. 5000 franken gesprochen. vorstandsmitglieder<br />
des vereins tour de lorraine sind personen aus folgenden gruppen beteiligt: attac Bern, augenauf<br />
Bern, oeme-kommission der stadt Bern, Brasserie lorraine, restaurant sous le pont.<br />
unErstützungsBEIträgE 2009<br />
• Verein «immerda» (linker Computerserver und<br />
It-projekt)<br />
• Dance Out Moneymania 2009 & Dance Out WEF<br />
• Internationale Konferenz «Das andere Davos 09»<br />
• Velokarawane gegen Gentechversuche<br />
• Radio RaBe - Inforedaktion<br />
• IFIR – International Federation of Iraqi Refugees<br />
• Anti-Folter Kampagne in Guerrero (Bundesstaat in<br />
mexiko), via medico international<br />
• Walal – Schwester, Kultur- und Informationsanlass<br />
zu mädchen- und frauenbeschneidung anlässlich<br />
des internationalen tags gegen gewalt an frauen<br />
• Autonome Schule Denk-Mal<br />
• Attac-Sommeruni<br />
• Antifaschistischer Abendspaziergang 2009 in Bern<br />
• Kampagne gegen die WTO-Ministerkonferenz in<br />
genf vom dezember 09<br />
• Potpourri Anatoilien (Aktivitäten der Gruppe im<br />
rahmen des festivals «50 Jahre quartierverein im<br />
tscharnergut»)<br />
• dafne – das feministische Netz<br />
• Fiche 2.0 – Demo gegen Überwachungsstaat und<br />
dna- fichierung vom 5.12.09 in Bern<br />
• Dokumentarfilm «Amarillo» über Menschenrechtsverletzungen<br />
und vertreibungen in<br />
kolumbien<br />
untErstützungsBEIträgE 2010<br />
• Protestcamp Bleiberecht für alle Bern<br />
• Vision 2035, Veranstaltungsreihe in Biel<br />
• Antifaschistischer Abendspaziergang 2010 in Bern<br />
• Edition Entremonde. Publikationsbeitrag für «Les<br />
autoréductions» von yann Collonges und pierre<br />
georges randal<br />
• Velokarawane gegen Gentechversuche<br />
• Saatgutbörse Longo Maï<br />
• Plakatkampagne der action autonome<br />
• Internetplattform «www.chefduzen.ch»<br />
• Ekta Parishad in Indien, Beitrag für ein Jugendcamp<br />
zur vorbereitung eines grossen protestmarsch im<br />
Jahr 2012<br />
• La Blatt, Anarcho-Zeitung aus Biel<br />
• Vertragslandwirtschaftsprojekt Bern (daraus<br />
hervorgegangen ist der verein soliterre)<br />
• Landwirtschaftsprojekt «Les Pommerats» bei<br />
saignelégier<br />
• Veranstaltungsreihe «Theorie um Tierbefreiung» in<br />
verschiedenen schweizer städten.<br />
• Bildungsprojekt Bats‘il Kop in San Cristòbal de las<br />
Casas, mexiko<br />
InnEnland<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 27
den gurt enger scHnallen<br />
die definition des wahnsinns –<br />
irland in der krise<br />
waHnsinn versteHt sicH in der zwang-<br />
Haften ausfüHrung der iMMer gleicHen,<br />
sicH stÄndig wiederHolenden Handlung,<br />
Mit der erwartung eines neuen resultats:<br />
irland übt sicH zur zeit in dieseM<br />
gedanken. eine weitere rezession,<br />
das HÄrteste budget seit eH und Je<br />
und das einscHreiten des iwf. –<br />
ein stiMMungsbericHt.<br />
IntErnatIonalIstIsChE<br />
28 megafon nr. 351, Januar 2011<br />
Am 27. November 2010 haben<br />
sich etliche Demonstrant_innen<br />
friedlich in der Hautpstadt zusammengefunden.<br />
Der Grund ist<br />
die zunehmende Unzufriedenheit<br />
in der Bevölkerung und auch das<br />
Einschreiten des IWF. Seit dem<br />
Start der Rezession vor ungefähr<br />
zwei Jahren wurde der Gürtel bei<br />
den meisten Bürger_innen bereits<br />
etliche Male enger geschnallt:<br />
Zum Beispiel im Dezember 2009<br />
als das letzte Budget verabschiedet<br />
worden ist, da wurde von heute<br />
auf morgen eine zweiprozentige<br />
Steuererhöhung für alle Steuerzahler_innen<br />
beschlossen und der<br />
Weihnachtsbonus für Arbeitslose<br />
und Pensionierte wurde zwei Wochen<br />
vor Weihnachten gestrichen.<br />
Gleichzeitig wurde die NAMA (National<br />
Asset Management Agency)<br />
gebildet; wie in den meisten europäischen<br />
Staaten kaufte die Regierung<br />
die faulen Kredite der Banken,<br />
welche die Immobilienblase<br />
verursacht hatten. Die irische Bevölkerung<br />
war plötzlich Besitzerin<br />
der grössten Banken des Landes.<br />
Aber es schwieg, die Demonstrationen<br />
beschränkten sich auf ein<br />
paar verloren aussehende Menschenknäuel,<br />
die mit Plakaten<br />
und Transparenten vor Gebäuden<br />
herumstanden. Nicht so ein Jahr<br />
später: Etwa 100 000 Menschen<br />
marschieren an einem kalten Wintertag<br />
durch die Innenstadt, der<br />
Umzug erinnert aber eher an ein<br />
Begräbnis. Im Hinterkopf kommt<br />
der Gedanke auf, es sei «das Begräbnis<br />
der Republik».<br />
Die Unabhängigkeit von Grossbritannien<br />
hat Irland Anfang des<br />
20. Jahrhundert erlangt, im 21.<br />
Jahrhundert hat sie diese wieder<br />
verloren, so sehen zum Beispiel<br />
Intellektuelle aber auch Politiker_<br />
innen der nationalistischen Partei<br />
«Sein Fein» das Einschreiten des<br />
IWF.<br />
wie eng geht es?<br />
enger schnallen bis<br />
die luft ausgeht<br />
Die irische Regierung sieht sich<br />
gezwungen, einen Kredit von 85<br />
Milliarden Euro mit einem Zinssatz<br />
von 5,8 Prozent aufzunehmen<br />
um das Schuldenloch, entstanden<br />
durch die Rettungsaktion für die<br />
Banken, im Staatshaushalt annähernd<br />
stopfen zu könnnen. Diese<br />
5,8 Prozent entsprechen 1/5 des<br />
jährlichen Steuereinkommens.<br />
Weitere Gelder will die Regierung<br />
mit dem härtesten Budget der<br />
irischen Geschichte, das Anfang<br />
Dezember verabschiedet worden<br />
ist, einholen. Der Vierjahresplan<br />
bedeutet, Luft anhalten, wenn man<br />
nicht zur Oberschicht des Landes<br />
gehört. In neo-liberaler Art wird<br />
drastisch gekürzt bei Kinderzulagen,<br />
Arbeitslosengeld, Unterstützung<br />
der Alten und Schwachen,<br />
in Schulen, im Service Public und<br />
mit einer so genannten neuen universellen<br />
Sozialsteuer und einer<br />
Unmenge an weiteren Abgaben<br />
und Steuern. Was an dem Ganzen<br />
sozial sein soll, versteht auch hier<br />
kein Mensch. Wie kommt es, dass<br />
ein Arbeiter mit dem Mindestlohn<br />
von jährlich 17 000 Euro nun pro<br />
Jahr zum Einkommen jährlich etwa<br />
2600 Euro mehr Steuern und Abgaben<br />
bezahlen muss, eine Familie<br />
mit einem Jahreseinkommen von<br />
über 100 000 Euro pro Jahr aber<br />
nur rund 3000 Euro Mehrabgaben<br />
zu berappen hat?<br />
Fragen wie diese beschäftigen<br />
die Republik und die Medien zur<br />
Zeit, Antworten werden aber vergeblich<br />
gesucht. Die Regierung<br />
spricht von einem fairen Entscheid,<br />
von einem Budget, das zwar alle<br />
mehr belastet, jedoch gerecht sei.<br />
Als Konsequenz der miesen<br />
Wirtschaftslage emigrieren immer<br />
mehr junge Menschen wie in<br />
den 1980er-Jahren nach Kanada,<br />
Australien, England – überall<br />
ist besser als in Irland. Sogar das<br />
Äquivalent zu RAV-Berater-innen<br />
zuckt nur noch mit den Schultern<br />
und schiebt Uni-Absolvent_innen<br />
den Antrag für ein Visum unter die<br />
Nase. Irgendwie fühlt man sich wie<br />
auf der Titanic, die gerade den Eisberg<br />
gerammt hat.<br />
demokratie & ignoranz<br />
Das Vertrauen in die Regierung<br />
ist und war auch in der Vergangenheit,<br />
nicht sehr gross bei der<br />
Bevölkerung. Der Taoiseach 1 Brian<br />
Cowen (liebevoll BIFFO «Big<br />
ignorance fat fucker from Offaly»<br />
genannt) wurde in sein Amt nicht<br />
gewählt, sondern übernahm die<br />
Nachfolge von Bertie Ahern, unter<br />
dem er der Finanzminister war.<br />
Beide gehören zur konservativen<br />
Partei «Fianna Fail». Ist er also für<br />
diesen ganzen Schlamassel verantwortlich<br />
zu machen? Antworten<br />
hierzu sind in Tageszeitungen und<br />
auch Politikprogrammen am Fernsehen<br />
schwerlich zu finden. Es finden<br />
sich schnell Widersprüche und<br />
Lügen, es ist nicht einfach, sich<br />
ein umfassendes Bild zu machen.<br />
Sozialer Sprengstoff gibt es in der<br />
politischen Diskussion und im Budget<br />
aber genug; die gut bezahlten<br />
Politiker_innen müssen nicht um<br />
ihren Lohn fürchten. Erstaunlich<br />
in meinen Augen jedoch ist, dass<br />
die Politiker_innen und die Regierenden<br />
die Macht so offensichtlich
missbrauchen, dass es schon fast<br />
weh tut. Wie kann man als Bürger_in<br />
die Regierung noch ernst<br />
nehmen, wenn zum Beispiel die<br />
Gesundheits-Ministerin Mary Harney<br />
mit ihrem Privatjet in die USA<br />
fliegen kann, um sich ihre Nägel<br />
machen zu lassen, die Reise dann<br />
als Spesen abbucht, und selbst,<br />
nachdem dies öffentlich wird, nicht<br />
zur Rechenschaft gezogen wird?<br />
Oder wie kann das Jahresgehalt<br />
Brian Cowens gerechtfertigt werden?<br />
Dieses soll angeblich höher<br />
sein als dasjenige von Barak Obama.<br />
Beispiele wie diese gibt es<br />
haufenweise, und bestärken die<br />
Einstellung vieler Ir_innen, dass<br />
sich die Regierung überhaupt nicht<br />
um das Volk schere.<br />
Politikwissenschaftlerin Elaine<br />
Byrne vom Trinity College in Dublin<br />
spricht gar von einem Demokratieverlust:<br />
Sie argumentiert, dass<br />
man aufhört sich zu kümmern,<br />
wenn Integrität und klare Kommunikation<br />
nicht mehr gegeben ist.<br />
Die Machthabenden schützen sich<br />
zuerst selbst und identifizieren ihr<br />
Interesse mit dem der Öffentlichkeit,<br />
gestützt von der Überzeugung,<br />
dass das Volk zu dumm ist, die<br />
Sachverhalte zu verstehen. Somit<br />
rechtfertigen sich die Entscheide<br />
selbst. Durch diesen Nicht-Transfer<br />
von Informationen sei die Demokratie<br />
gescheitert. Diesen Ge-<br />
danken unterstützend, hat sich die<br />
Ministerin für Tourismus von der<br />
Partei «Finna Fail» in einer Fernsehdebatte<br />
geäussert, dass das<br />
Einschreiten des IMF und deren<br />
Vorteil zu kompliziert sei, um vom<br />
Volk verstanden zu werden, solche<br />
Entscheide sollen von Leuten mit<br />
den richtigen Kompetenzen gefällt<br />
werden. Eine solche Politik der<br />
Bevormundung stösst vielen auf.<br />
Wie ein Gewerkschaftsmitarbeiter<br />
treffend formulierte: «It is a situation<br />
of mind over matter. They don‘t<br />
mind and we don‘t matter.»<br />
der Postkoloniale kater<br />
Irland ist jedoch nicht das einzige<br />
Land, welches zur Zeit mit Herausforderungen<br />
kämpft; Portugal,<br />
Griechenland und wer weiss wer<br />
noch, wird folgen. Einsparungen<br />
und Kürzungen werden überall<br />
gemacht, «Rezession» wurde zum<br />
Trendwort. Anders die Reaktion der<br />
Ir_innen und der Regierung. Ich ertappe<br />
mich manchmal dabei, wie<br />
ich durch die Stadt gehe und, nach<br />
Zeichen der Wut, der Frustration<br />
oder des sich-kümmerns suche.<br />
Die meisten Europäer_innen des<br />
Kontinents finden es befremdend,<br />
dass nur schwache Reaktionen<br />
der Ir_innen zu verspüren sind, es<br />
scheint als gehe für sie das Leben<br />
weiter – Kopf runter und warten<br />
bis es vorbei ist. Wenn die Banlieus<br />
von Paris brennen oder in Athen<br />
von Anarchismus gesprochen wird,<br />
gehen hier alle lieber ins Pub oder<br />
schauen die Fernsehtalentshow<br />
The X-Factor.<br />
Die Demo nach der Verabschiedung<br />
des Budget mobilisierte ein<br />
paar hundert Student_innen, welche<br />
auf alte Töpfe einschlugen.<br />
Ist der Inselstaat bereits in einem<br />
Status der Apathie? Rezession und<br />
Armut ist nichts Neues, bereits<br />
in den 1980ern war Irland als das<br />
Armenhaus von Europa bekannt.<br />
Sekundarschulabsolventen blieb<br />
damals oftmals nur das Arbeitslosengeld<br />
als Einkommensquelle,<br />
wenn überhaupt. Wiederholt sich<br />
die Geschichte? Oder wird es Irland<br />
schaffen, sich durch die Krise neu<br />
zu definieren wie es Elaine Byrne<br />
hofft: Jetzt sei die Zeit der Veränderung<br />
und der Ablösung, die Chance<br />
einer eigenen, unabhängigen Identität.<br />
In der Zwischenzeit geniesse ich<br />
die unschlagbare irische Offenheit,<br />
Freundlichkeit und Sinn für Humor:<br />
Hoffen wir das Beste.<br />
> seraina vogel <<br />
1 der taoiseach ist<br />
das höchste amt der<br />
regierenden partei,<br />
er und seine partei<br />
entscheiden die<br />
regierungsangelegenheiten.<br />
IntErnatIonalIstIsChE<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 29
offensiVes wohnen?<br />
die rubrik «scHöner woHnen» stellt ab<br />
Januar Jeden Monat eine woHnforM vor,<br />
die sicH ausserHalb der norM der 2-3-4…<br />
ziMMerwoHnungen und einfaMilienHÄuser<br />
Positioniert. docH was ist woHnen über-<br />
HauPt. eine einleitung von P.M.<br />
vgl.<br />
neustartschweiz.ch<br />
sChönEr WohnEn<br />
30<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
«Wohnen» gibt es erst seit etwa<br />
200 Jahren, als eine grosse Zahl<br />
von Fabrikarbeiter_innen zwischen<br />
Arbeitseinsätzen möglichst effizient<br />
gelagert werden musste. Anfangs<br />
waren das Schlafsäle in der<br />
Fabrik selbst (wie zum Beispiel in<br />
der Spinnerei Hard in Winterthur),<br />
dann «Mietskasernen» oder Arbeitersiedlungen<br />
möglichst nahe am<br />
Arbeitsplatz. Mit der Intensivierung<br />
der Arbeit und der dadurch<br />
bedingten Aufwertung des Humankapitals<br />
wurde die Lagerung<br />
und Erholung der Lohnarbeiter_<br />
innen immer wichtiger. Der grosse<br />
Wendepunkt war die Erfindung der<br />
Gartenstadt ( Howard 1902, Unwin<br />
1903, Le Corbusier 1926), die möglichst<br />
weit weg vom Arbeitsplatz,<br />
im Grüngürtel der Städte, eine Art<br />
Gegenwelt zur garstigen Arbeitswelt<br />
bilden und die Arbeiter_innen<br />
sowohl regenerieren als auch mit<br />
kompensatorischem Komfort belohnen<br />
und ablenken sollte. Zugleich<br />
wurde damit die Kommunikation<br />
unter den Arbeiter_innen<br />
behindert und konnten revolutionäre<br />
Situationen (Aufstand im<br />
Schlafsaal!) vermieden werden.<br />
Diese Art von Wohnen – in Reihenhäuschen<br />
in der Agglo, in mehr oder<br />
weniger schönen Blöcken, in Suburbs<br />
à la Lewittown (USA) – ist eng<br />
mit der Konsumgesellschaft, dem<br />
Fordo-Sozialdemokratismus und<br />
dem Automobilismus verwoben.<br />
Seit den 1990er-Jahren des<br />
letzten Jahrhunderts hat sich der<br />
Arbeitsdruck noch einmal erhöht,<br />
vor allem die nervliche Belastung<br />
hat zugenommen; Phänomene wie<br />
Burnout, Depressionen, Selbstmorde,<br />
aber auch Existenzängste<br />
wegen der zunehmenden Preka-<br />
scHöner woHnen – die neue rubrik<br />
risierung, prägen diese Periode.<br />
Die Abspaltung der Arbeitswelt von<br />
der Konsumwelt hat in dieser Zeit<br />
sowohl geographisch (weg damit<br />
nach China) als auch kulturell extreme<br />
Formen angenommen. Ein<br />
gutes Beispiel ist der S-Bahnraum<br />
Zürich, wo Arbeits- Vergnügungs-<br />
und Wohnzonen sich weitgehend<br />
entflochten haben (mit Ausnahme<br />
von Zürich West, wo die Arbeitszone<br />
am Wochenende zu einer grossen<br />
Partyzone wird, mit völlig verschiedenem<br />
Personal).<br />
Die Funktion des Wohnens als<br />
Flucht- und Gegenwelt zur Arbeitswelt<br />
macht jegliche Vorstellungen<br />
von kommunikativem, interaktivem<br />
oder gar kooperativem Wohnen<br />
illusorisch. Wohnen wird heute<br />
gebraucht zur Wiederherstellung<br />
der Arbeitskraft, zur Entspannung,<br />
zur Beziehungspflege, für Meditation,<br />
Yoga, Kochen, Kultur, Sport,<br />
Wellness usw. Dazu kommen noch<br />
familiäre Pflichten, wie Kindererziehung,<br />
Verwandtenbesuche,<br />
Paartherapien – alles muss noch<br />
hineingequetscht werden. Die Lage<br />
der Wohnung ist so gewählt, dass<br />
sie in einem vernünftigen Schwerpunkt<br />
von Arbeit, Einkaufen, Erholen<br />
liegt. Die Wohnung selbst soll<br />
vor allem isolieren, von Nachbar_<br />
innen, von Lärm, Gerüchen, unerwünschten<br />
Kontakten aller Art.<br />
Wer auch noch dort wohnt, ist egal,<br />
solange es nicht stört. Der private<br />
Aussenraum ist immer wichtiger<br />
geworden: ein grosser Balkon soll<br />
einen Zugang zur Natur bieten<br />
ohne für Nachbar_innen einsehbar<br />
zu sein. All diese Anforderungen an<br />
die erweiterte Reproduktionszone<br />
«Wohnen» haben zu einem immensen<br />
Flächenbedarf geführt – er ist<br />
in Zürich von 20 m2/Person in den<br />
fünfziger Jahren auf 52,1 m2 (2008)<br />
gestiegen. Der «Wohnpanzer» um<br />
das erschöpfte, entnervte und nicht<br />
mehr ansprechbare Arbeitssubjekt<br />
herum ist immer dicker geworden.<br />
Zugleich ist der Energie- und Ressourcenbedarf<br />
explodiert – von der<br />
2000-Watt-Gesellschaft der fünfziger<br />
Jahre zu einer 6000-Watt (oder<br />
9000-Watt, wenn man die graue<br />
Energie einrechnet) Gesellschaft.<br />
Das «Grüne» ist zersiedelt worden<br />
vom «Wohnen in Grünen» zu einem<br />
«Wohnen im Graugrünen».<br />
Das Wohnen ist heute eine defensive<br />
Zone; die Rechten fordern<br />
mehr Eigentumswohnungen, die<br />
Linken mehr günstige Mietwohnungen.<br />
Beide sehen das Wohnen<br />
nur komplementär zu einer Arbeitswelt,<br />
wo gerade die neuste<br />
globalisierte ökonomische Offensive<br />
ausgefochten wird.<br />
Doch beides geht nicht mehr<br />
lange gut: die Globalisierung ist<br />
in Krise, unsere Lebensweise (inklusive<br />
Wohnen) ist nicht haltbar,<br />
weder ökologisch und sozial, noch<br />
nervlich. Wir müssen da raus.<br />
wo findet der<br />
ausbruch statt?<br />
Wie gesagt: Die Vorstellung von<br />
kooperativen Nachbarschaften, wo<br />
Bewohner_innen gemeinsam die<br />
Lebensmittelversorgung, ein Restaurant,<br />
Kinderkrippen, Billardsalons,<br />
Badeanlagen, Tauschzentren,<br />
usw. betreiben, Dachgärten,<br />
Spielplätze, Aussenräume, pflegen,<br />
ist äusserst schwierig.<br />
Wir haben praktisch keine<br />
Chance gegen Arbeit, Familie,<br />
Gesundheitspflege, usw. Ein heil
samer Ausbruch aus der weltweiten<br />
Selbstbehinderungs-Gesellschaft<br />
muss daher sowohl in der Arbeits-<br />
wie in der Wohnwelt geschehen.<br />
In der Wohnwelt haben wir keine<br />
Chance – höchstens vielleicht<br />
20 Minuten pro Tag, zwischen dem<br />
Nachhausekommen und dem Verschwinden<br />
in der Selbstheilungszelle<br />
namens Wohnung. Mit diesen<br />
20 Minuten lässt sich etwas anfangen:<br />
vielleicht ein Lebensmitteldepot<br />
mit Direktbelieferung, vielleicht<br />
eine kleine Bar, vielleicht ein Mittagstisch<br />
oder gemeinsames Kochen<br />
am Abend, vielleicht mal ein<br />
DVD-Abend. Kommunikationskerne<br />
im defensiven Umfeld können Kooperations-<br />
und Ausbruchschancen<br />
bieten. Vielleicht haben sie sogar<br />
Rückwirkungen auf die Arbeitssituation:<br />
Nachbar_innen sind vielleicht<br />
in ähnlichen Situationen, sie sind<br />
vielleicht Gewerkschaftsmitglieder,<br />
vielleicht sogar Anwälte, vielleicht<br />
kennen sie Politiker_innen.<br />
Offensives Wohnen heisst also<br />
(für die meisten Wohnenden): aus<br />
20 Minuten etwas machen.<br />
Was, wie und wo kann nur im<br />
Einzelfall entschieden werden. Wir<br />
sind alle schon am richtigen Ort:<br />
Wir «wohnen» dort.<br />
> P.M.<<br />
ab februar stellen wir monatlich ein Wohnprojekt<br />
vor. soll deines dabei sein? dann<br />
melde dich bei megafon@reitschule.ch<br />
sChönEr WohnEn<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 31
kultur Et all<br />
32<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
bucHtiPP Januar 2011<br />
konzePtion der grausamkeit<br />
antonin artaud war ein französiscHer<br />
scHriftsteller, scHausPieler und büHnentHeoretiker.<br />
Mit seineM tHeater der<br />
grausaMkeit beeinflusste er die entwicklung<br />
des Modernen tHeaters entscHeidend.<br />
der kunstscHaffende JoHannes<br />
l. lÄdt aM 29. Januar 2011 ab 18 uHr<br />
zur vernissage in den kulturHof scHloss<br />
köniz ein zu seiner ersten ausstellung<br />
zu uMsetzungen der ideen- und bilderwelt<br />
anton artauds.<br />
grausamkeit als selbstentblössungsprozess<br />
und rückführung<br />
zu den quellen der konflikte:<br />
Johannes, was ist die<br />
bedeutung der grausamkeit?<br />
Johannes: Die Konzeption der<br />
Grausamkeit lässt sich bei Artaud<br />
nicht auf die gängige Vorstellung<br />
des Grausamen zurückführen, wie<br />
man sie etwa bei Marquis de Sade<br />
oder beim Nationalsozialismus vor<br />
Augen hat. Artaud entwickelt eine<br />
Theorie der Grausamkeit, um als<br />
Opfer zu überleben. Als Artaud aufgrund<br />
seinen Opiumkonsums fast<br />
zehn Jahre in die Psychiatrie gesteckt<br />
und dort mit Elektroschocks<br />
bis zur Unkenntlichkeit malträtiert<br />
wird, beginnt Artaud Briefe<br />
zu schreiben, die er mit glühenden<br />
Zigaretten durchlöchert. Für mich<br />
sind diese Briefe Artauds eine Art<br />
Flaschenpost, welche die gesamte<br />
grausame Intensität der Kulturgeschichte<br />
verkörpern. Der Artaud-<br />
Interpret Deleuze meinte, dass<br />
der Körper keine Organe, sondern<br />
bloss aus Fleisch und Nerven beschaffenen<br />
Ebenen in sich trüge.<br />
Genau diese Ebenen wurden bei<br />
Artaud mit Elektroschocks durchlöchert.<br />
Ähnlich wie bei Franziskus,<br />
der von einer äusseren Macht stigmatisiert<br />
wurde, ist auch Artaud<br />
zu einem durchlöcherten Körper<br />
gemacht worden. Im Gegensatz<br />
zu Franziskus wurde Artaud aber<br />
nie von der Katholischen Kirche<br />
heilig gesprochen. Und selbst die<br />
allgemeine Kulturgeschichte der<br />
Geisteswissenschaften anerkennt<br />
Artaud nicht als Figur, die wie zum<br />
Beispiel Kant oder Max Weber zi-<br />
tiert werden darf. Fällt der Name<br />
Artaud, lachen alle. Dieses Lachen<br />
verkörpert nichts Humorvolles,<br />
sondern eine Grausamkeit, die<br />
Artaud zugrunde gerichtet hat. Artauds<br />
letzte Bitte «Schluss mit dem<br />
Gericht» und sein gesamtes Werk<br />
beschwören ein Lachen, eine Lust<br />
ohne Marter, Sadismus, Gericht,<br />
etc. herauf. Solange das Lachen<br />
aber grausame Züge trägt, bleiben<br />
Artauds durchlöcherten Klagebriefe<br />
aktuell.<br />
wie hast du die konzep tion<br />
von grausamkeit in deinem<br />
werk umgesetzt?<br />
Artauds durchlöcherte Briefe<br />
sind Kulturdokumente der Grausamkeit,<br />
die er ja in der Zeit<br />
«schrieb», in der er mit Elektroschocks<br />
malträtiert wurde. Durchlöchert<br />
hat Artaud seine Briefe mit<br />
glühenden Zigaretten. Zwar greife<br />
ich nicht zur glühenden Zigarette,<br />
wenn ich Bilder produziere, ein<br />
Feuerzeug reicht für mich aus.<br />
Während der Gestaltung ist es für<br />
mich aber sehr wichtig, nicht die<br />
vor mir liegende Skizze zu verbrennen<br />
oder zu durchlöchern.<br />
Deshalb stecke ich die Zeichnung<br />
in eine Schutzfolie, beziehungsweise<br />
in eine Laminierfolie. In der<br />
Laminierfolie ist die Zeichnung<br />
abgeschirmt vor dem Feuer. Nun<br />
beginnt die Malphase mit dem Feuerzeug.<br />
Auf die Laminierfolie klebe<br />
ich durchsichtiges Klebeband und<br />
verbrenne dieses manchmal leicht,<br />
manchmal stark. Hinzu kommt nun<br />
die weisse Ölfarbe, die ich mit der<br />
Asche auf der Laminierfolie vermische<br />
und dadurch eine hell-dunkel<br />
Wirkung auf der Laminierfolie erreichen<br />
kann. Manchmal ziehe ich<br />
die Konturen der Zeichnung in der<br />
Laminierfolie mit Ölkreide nach.<br />
Die Motive der Bilder, die ich produziere,<br />
stehen meistens im Kontext<br />
der Geschichte. Ein wichtiges<br />
Motiv, das ich gewählt habe, hat<br />
mit dem Spanischen Bürgerkrieg<br />
zu tun. Die Anarchist_innen hatten<br />
surrealistische Künstler_innen<br />
angefragt, ob sie Motive schaffen<br />
könnten, mit denen man Gefangene<br />
foltern könnten. Für mich sind<br />
nicht die Anarchist_innen im Spanischen<br />
Bürgerkrieg die eigentlichen<br />
Bösen, die mit Kunst Menschen<br />
gefoltert haben. Vielmehr<br />
sind für mich die Surrealist_innen<br />
grausam. Artaud war der erste, der<br />
in den 1920er-Jahren vom surrealistischen<br />
Kollektiv André Bretons<br />
ausgeschlossen wurde.<br />
Betrachtet man die Motive der<br />
Surrealisten nicht träumerisch,<br />
sondern realistisch, dann sehen<br />
wir, dass wir es hier mit Tätern zu<br />
tun haben, die nicht zufällig Artaud<br />
ausschlossen und später nach<br />
dem Zweiten Weltkriege auch Bilder<br />
von Francis Bacon ablehnten.<br />
Aus diesen Gründen habe ich beispielsweise<br />
ein surrealistisches<br />
Motiv aus dem Film «Der andalusische<br />
Hund» für ein Bild gewählt,<br />
welches ich dann neu in Szene zu<br />
bringen versuchte. In der Grossaufnahme<br />
wird einer Frau mit einer<br />
Rasierklinge ein Auge aufgeschlitzt.<br />
Diese Szene malte ich, um<br />
die reale Grausamkeit der Surrealisten<br />
im Dienste der Folter während<br />
dem Spanischen Bürgerkrieg<br />
vor Augen zu haben. Es ist für mich<br />
zudem auch ein Anklagebild gegen<br />
die gesamte Moderne, die Artaud<br />
mit Elektroschock malträtierte und<br />
die in Auschwitz ihr Urbild fand.
welche aussagen kannst du<br />
zu artauds definition der<br />
«mythen des modernen menschen<br />
und des modernen lebens»<br />
machen?<br />
Schwierige Frage. Arthur Rimbaud<br />
hat einmal gesagt, dass der<br />
Mensch möglichst modern sein<br />
soll. Zur Zeit Rimbauds war diese<br />
Aussage mehr als berechtigt.<br />
Heute wäre es aber cool, wenn<br />
wir möglichst postmodern werden<br />
könnten. Obwohl Artaud in der<br />
Moderne lebte, verkörpert er die<br />
Postmoderne. Stefan Zweifel hat<br />
darauf aufmerksam gemacht, dass<br />
der Name ARThur rimbAUD den<br />
Namen ARTAUD in sich trägt. Vielleicht<br />
war bereits ARThur rimbAUD<br />
eine postmoderne Person. Auf alle<br />
Fälle sind ARThur rimbAUD und<br />
ARTAUD selbst zu postmodernen<br />
Mythen geworden. Was diese Mythen<br />
jedoch auszeichnen, ist ihre<br />
Entstehung in einer realen Welt.<br />
> sat <<br />
lektüretipps zu antonin artaud?<br />
«van gogh, der selbstmörder durch die<br />
gesellschaft» artaud schrieb dieses Werk<br />
kurz vor seinem selbstmord.<br />
alle zitate vom artaud-Interpreten gilles<br />
deleuze.<br />
PrograMM seiten<br />
kino 1-3<br />
dacHstock 4-6<br />
rössli 7-8<br />
sous le Pont 8<br />
toJo tHeater 9-11<br />
frauenrauM 12<br />
kultur Et all<br />
megafon nr. 351, Januar 2011 33
abschnitt<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />
KINO<br />
PROGRAMM<br />
megafon 10.12<br />
ein paar wenige sind beim Festival mit eingebunden.<br />
Ein liebevoller «Clash der innereuropäischen Kulturen»,<br />
dokumentiert aus der Sicht einer Koreanerin. Der Dokumentarfilm<br />
trägt den Untertitel «Heimatfilm» – nicht zu<br />
Unrecht.<br />
«Man muss dem Geld entgegen gehen und ihm nicht<br />
hinterher rennen».<br />
> Bauer Trede im Film «Full Metal Village»<br />
Freitag, 14. Januar, 20.00 uhr<br />
WhoSe iS thiS Song?<br />
Kinderfilm am flohmi<br />
Sonntag, 2. Januar, 13.30 uhr<br />
michel in der SuppenSchüSSel<br />
Kinderfilm am flohmi<br />
Sonntag, 2. Januar, 13.30 uhr<br />
michel in der SuppenSchüSSel<br />
olle hellborn, Schweden/deutSchland 1971,<br />
95 Min, 35MM, d<br />
adela PeeVa, bulgarien 2003, 70 Min., OV/e<br />
in anweSenHeit der regiSSeurin<br />
Die Filmemacherin Adela Peeva wundert sich: Woher<br />
stammt diese Melodie, die ihr schon als Kind so gefallen<br />
hat? Sie reist durch die Türkei, Griechenland, Mazedonien,<br />
Albanien, Bosnien, Serbien und Bulgarien und<br />
fragt nach. Überall behaupten die Menschen: «Dieses<br />
Lied stammt von uns!» Ein sehr bewegender und auch<br />
tragischer Film über die starke Bedeutung von Musik und<br />
Identität in sozialen und politischen Kontexten. Der Film<br />
entstand bereits 2003, hat aber von seiner Aktualität und<br />
Brisanz nichts eingebüsst.<br />
«Wer hat’s erfunden?» Die Frage, die bei uns im Zusammenhang<br />
mit Werbung für ein Schweizer Kräuterbonbon<br />
bekannt geworden ist, ist auf dem Balkan nicht bloss<br />
ein witziger Werbegag, sondern eine zentrale Frage der<br />
nationalen und persönlichen Identität, die in zahlreichen<br />
Alltagsgesprächen immer wieder diskutiert wird. Die<br />
eigene Identität scheint zentral mit der Frage von Herkunft<br />
und Ursprung kultureller Erscheinungen und dem<br />
Nachweis des jeweils hohen Alters der eigenen Kultur<br />
verknüpft zu sein.<br />
> Dieter Ringli, Musikethnologe,<br />
über «Whose is this Song?»<br />
uncut-Warme filme<br />
dienStag, 11. Januar, 20.30 uhr<br />
daKan √ SchicKSal<br />
MohaMed caMara, guinea 1997, 89‘, ov/d,<br />
2. norient muSiKfilm feStival<br />
donnerStag, 13. Januar, 20.00 uhr<br />
muezzin<br />
SebaStian braMeShuber, türkei/ÖSterreich 2009,<br />
85 Min., ov/d<br />
Schweizer PreMiere, in anweSenheit deS regiSSeurS<br />
WE DON'T CARE ABOUT MUSIC ANYWAY...<br />
SamStag, 15. Januar, ca. 22.00 uhr<br />
We don't care aBout muSic<br />
anyWay...<br />
Olle HellbOrn, ScHweden/deutScHland 1971,<br />
95 Min, 35MM, d<br />
Der kleine Michel Svennson lebt mit seiner Familie auf<br />
einem Bauernhof im schwedischen Dörfchen Lönneberga.<br />
Eigentlich ist Michel ein lieber Kerl und immer hilfsbereit<br />
– aber eine Sache ist wie verhext: Was immer Michel<br />
auch tut, es kommt immer ein Streich dabei heraus.<br />
Zur Strafe wird er jedes Mal in den Tischlerschuppen<br />
gesperrt, wo er sich die Zeit mit dem Schnitzen kleiner<br />
Holzfiguren vertreibt. Inzwischen ist auf diese Weise<br />
eine beachtliche Sammlung von Holzmännchen entstanden,<br />
und es sieht ganz so aus, als würden noch viele<br />
dazukommen: Da ist zum Beispiel die Geschichte mit<br />
der Ratte, die Michel in der Küche fangen will. Kaum hat<br />
er die Falle aufgestellt, da gerät auch schon sein Vater<br />
Anton mit dem Zeh hinein. Oder der Tag, an dem Michel<br />
den Rest Fleischbrühe auszuschlürfen versucht – und mit<br />
dem Kopf in der Schüssel stecken bleibt...<br />
donnerStag, 13. Januar, ca. 22.00 uhr<br />
taqWacore: the Birth of punK iSlam<br />
oMar MaJeed uSa/PakiStan 2009, 80 Min., ov/e<br />
Schweizer PreMiere<br />
cédric duPire und gaSPard kuentz, frankreicH/JaPan<br />
2009, 80 Min., OV/e<br />
«We don’t Care about Music Anyway…» beleuchtet das<br />
Geräuschmusikschaffen in Japan. Wie die Ritter der<br />
Tafelrunde trifft sich die japanische Noise-Szene am<br />
quadratischen Tisch und diskutiert. Wie in einem langen<br />
Videoclip erscheint dann auch der Sound von Otomo<br />
Yoshihide, Sakamoto Hiromichi, Takehisha Ken, Yamakawa<br />
Fuyuki, Numb, Saidrum, L?K? und Goth-Trad. Ein<br />
schönes Porträt der so wunderschön unschönen Klänge<br />
des japanischen Untergrunds. Der Film erinnert in seiner<br />
poetischen Radikalität an den Musikfilmklassiker «Step<br />
Across the Border» von Nicolas Humbert und Werner<br />
Penzel.<br />
Was ist Musik? Was darf sie sein? Oder: Wie muss Musik<br />
klingen, um als Musik wahrgenommen zu werden? Der<br />
Freitag, 14. Januar, 20.00 uhr<br />
WhoSe iS thiS Song?<br />
adela Peeva, bulgarien 2003, 70 Min., ov/e<br />
in anweSenheit der regiSSeurin<br />
2. norient muSiKfilmfeStival<br />
DonnerStag, 13. Januar, 20.00 uhr<br />
muezzin<br />
Freitag, 14. Januar, ca. 21.45 uhr<br />
foKofpoliSieKar (fucK-off-police-car)<br />
bryan little, SüdaFrika 2009, 105 Min., ov/e<br />
Schweizer PreMiere<br />
Freitag, 14. Januar, ca. 21.45 uhr uhr<br />
foKofpoliSieKar<br />
(fucK-off-police-car)<br />
SebaStian braMeSHuber, türkei/ÖSterreicH<br />
2009, 85 Min., OV/d / ScHweizer PreMiere,<br />
in anweSenHeit deS regiSSeurS<br />
Seit den Tagen des Propheten Mohammed folgen<br />
gläubige Muslime dem Gebetsaufruf des Muezzins. Ein<br />
neuzeitliches Phänomen sind die türkischen Gebetsrufwettbewerbe,<br />
bei denen sich die Muezzine des Landes<br />
in der Kunst messen, den schönsten Gebetsruf zu rezi-<br />
SaMStag, 15. Januar, 20.00 uhr<br />
full metal village<br />
cho Sung-hyung, deutSchland 2006, 90 Min. d<br />
bryan little, Südafrika 2009, 105 Min., OV/e<br />
ScHweizer PreMiere<br />
«Fokofpolisiekar» ist der Name einer südafrikanischen<br />
Punkband. Dieser Rockumentary-Film begleitet die Band<br />
während ihres Aufstiegs von einer unbekannten Punkband<br />
zu einer der wichtigsten Rockbands der jüngsten<br />
SaMStag, 15. Januar, ca. 22.00 uhr<br />
We don't care aBout muSic anyWay ...<br />
cédric duPire und gaSPard kuentz, Frankreich/<br />
JaPan 2009, 80 Min., ov/e
Filmtitel «We don't Care about Music Anyway...» ist denn<br />
auch an diese Diskussionen angelehnt: Klang steht im<br />
Zentrum. Klang – oder Sound – soll in seiner endlosen<br />
und reichen Vielfalt erlebbar werden. Musik besteht aus<br />
Klängen. Klang darf alles. Klang ist alles.<br />
> Paed Conca, Musiker, über<br />
«We don't Care about Music Anyway...»<br />
MeHr beiträge zu den filMen und zuM<br />
feStiVal weiter VOrne in dieSeM MegafOn!<br />
südafrikanischen Geschichte. Die Gruppe bricht laufend<br />
Tabus (in mehrfacher Hinsicht) und lotet Grenzen aus.<br />
Der Name allein ist eine Provokation: Die Bandmitglieder<br />
erhalten Morddrohungen wegen blasphemischen<br />
Bagatellen und die südafrikanischen Medien drohen mit<br />
Zensur. Dass diese weisse Rockband zudem in Afrikaans<br />
singt, kratzt an der «Political Correctness» der Post-<br />
Apartheid-Gesellschaft. Bryan Little kreiert mit dem Film<br />
eine grosse Nähe zu den Rockstars. Er begleitet sie fast<br />
voyeuristisch auf ihrem Trip durch den «Rock’n'Roll Way<br />
of Life».<br />
The instructions they gave us<br />
Work, wed and have children<br />
And possibly suffer from depression<br />
Someone has to ask why...<br />
> Songtext von Fokofpolisiekar<br />
tour de lorraine<br />
Mittwoch, 19. Januar, 19.00 uhr<br />
Wem gehört die erde?<br />
geMeinSchaFten gegen rohStoFF-konzerne.<br />
inFoabend über die ProbleMe Mit Schweizer rohStoFFkonzernen<br />
und die käMPFe der betroFFenen geMein-<br />
SchaFten vor ort.<br />
Mit yvonne ziMMerMann (SoliFondS) und StePhan<br />
Suhner (arbeitSgruPPe Schweiz-koluMbien). organiSiert<br />
von attac bern und Multiwatch.<br />
SaMStag, 22. Januar, 20.00 uhr<br />
Water maKeS money √ Wie private Konzerne<br />
auS WaSSer geld machen<br />
leSlie Franke und herdolor lorenz, d 2010, 90 Min.<br />
tour de lorraine<br />
mittwoch, 19. Januar, 19.00 uhr<br />
Wem gehört die erde?<br />
tieren. Ihre kraftvollen und expressiven Darbietungen<br />
beweisen es: Muezzine sind grosse Künstler – oder sind<br />
sie doch «nur» Instrumente Gottes? Halit Aslan, Muezzin<br />
der historischen Istanbuler Fatih- Moschee, äussert sich<br />
skeptisch: «Es ist unmöglich, beim Wettbewerb dieselbe<br />
Emotionalität zu erreichen wie auf dem Minarett.» Mitmachen<br />
tut er aber doch. Und seine Chancen zu gewinnen<br />
stehen gut – wäre da nicht Isa Aydin, ein frommer<br />
Imam aus einer kleinen Vorstadtmoschee. Der Film «Muezzin»<br />
folgt dem dramatischen Verlauf des Wettbewerbs<br />
und diskutiert dabei über die Möglichkeiten und Grenzen<br />
von Individualität in diesem islamisch geprägten Umfeld.<br />
Die Türkei sucht nicht nur den «Popstar Alaturka»,<br />
sondern auch den Super-Muezzin. Nicht Glamour und<br />
Prominenz winken dem besten Muezzin des Landes, sondern<br />
vor allem Ehre. Und, nun ja, das Materielle findet<br />
auch im Spirituellen seinen Platz. «Was passiert, wenn<br />
du gewinnst?», fragt Halit Aslans Sohn. Aslan antwortet,<br />
indem er Daumen und Zeigefinger aneinander reibt.<br />
«Dollars?» – «Viele Dollars.»<br />
> Anna Trechsel, Journalistin<br />
und Islamwissenschafterin, über «Muezzin»<br />
SaMStag, 22. Januar, 22.00 uhr<br />
voiceS of tranSition<br />
nilS aguilar, d 2011, 65Min. e,SP,F/d<br />
geMeinScHaften gegen rOHStOff-kOnzerne.<br />
infOabend über die PrObleMe Mit ScHweizer<br />
rOHStOff-kOnzernen und die käMPfe der<br />
betrOffenen geMeinScHaften VOr Ort.<br />
Mit yVOnne ziMMerMann (SOlifOndS) und<br />
StePHan SuHner (arbeitSgruPPe ScHweizkOluMbien).<br />
OrganiSiert VOn attac bern und MultiwatcH.<br />
In der kapitalistischen Realität gehört die Erde jenen,<br />
die genug Geld haben, sie zu kaufen, um damit noch<br />
mehr Geld zu machen. Das ist auch das Interesse des<br />
Weltwirtschaftsforums (WEF), dem Lobbyclub der 1000<br />
grössten globalen Konzerne.<br />
Mit Erde und den darin enthaltenen Rohstoffen lässt sich<br />
tatsächlich viel Geld verdienen. Und wo Geld ist, sind<br />
auch Schweizer Multis. Der WEF-Industriepartner Glencore<br />
mit Sitz im Zuger Steuerparadies ist der grösste<br />
Rohstoffhändler der Welt und mit einem Umsatz von über<br />
100 Milliarden auch der umsatzstärkste «Schweizer»<br />
Konzern. Ausserdem hält Glencore ein Drittel der Aktien<br />
von Xstrata. Dieser Bergbaukonzern, der Kupfer und<br />
Kohle, aber auch Gold und Silber fördert, hat in nur fünf<br />
Jahren seit dem Börsengang 2002 seinen Umsatz verfünfzehnfacht<br />
(Rekordwert 2007: 28,5 Mia. US-Dollar).<br />
SaMStag, 22. Januar, 23.30 uhr<br />
picK Wien an<br />
david Paede und barbara SaS, Ö 2008, 22Min<br />
helMut SeethalerS<br />
DonnerStag, 13. Januar, ca. 22.00 uhr<br />
taqWacore:<br />
the Birth of punK iSlam<br />
SaMStag, 22. Januar, 24.00 uhr<br />
Street art compilation<br />
diverSe kurzFilMe zuM theMa<br />
FULL METAL VILLAGE<br />
SamStag, 15. Januar, 20.00 uhr<br />
full metal village<br />
OMar MaJeed uSa/PakiStan 2009, 80 Min.,<br />
OV/e / ScHweizer PreMiere<br />
«I am an Islamist! I am the anti-Christ!», singt der<br />
Sänger von The Kominas aus Boston. Vor sieben Jahren<br />
publizierte der zum Islam konvertierte amerikanische<br />
Schriftsteller Michael Muhammad Knight das Buch «The<br />
Taqwacores», eine Geschichte von Punks, die sich zum<br />
radikalen Islam bekennen. Aus der Fiktion wird Realität.<br />
Inzwischen gibt es mehrere muslimische Punkbands in<br />
den USA. Der Film begleitet die Bands auf ihrer USA-Tour<br />
und schliesslich nach Pakistan. Ein Roadmovie, der sich<br />
humorvoll und kritisch mit Fundamentalismus, aber auch<br />
mit Vorurteilen gegenüber dem Islam auseinandersetzt.<br />
I don't want assimilation – I just want to blow shit up<br />
I don't want assimilation – I just want to blow shit up<br />
> Songtext von The Kominas<br />
uncut-Warme filme<br />
dienStag, 25. Januar, 20.30 uhr<br />
elena undone<br />
nicole conn, uSa 2010, 107 Min., ov/d<br />
cHO Sung-Hyung, d 2006, 90 Min. d<br />
«Full Metal Village» ist ein Dokumentarfilm der koreanischen<br />
Regisseurin Cho Sung-Hyung, gedreht im Schleswig-Holsteinischen<br />
Dorf Wacken, dem Veranstaltungsort<br />
des Wacken-Open-Air-Festivals. Im Mittelpunkt des Films<br />
stehen die Einwohner des kleinen Ortes, der jährlich<br />
zum Open-Air-Festival von Fans der Heavy-Metal-Szene<br />
überschwemmt wird. Am ersten Augustwochenende<br />
treffen sich zirka 60 000 Fans aus aller Welt in Wacken<br />
– das Dorf selber zählt aber bloss 1800 Einwohner! Der<br />
Film zeigt die Wackener in ihrem Alltag und fragt nach,<br />
wie sie die Zeit des Festivals erleben: Einige verreisen,<br />
TAqWACORE<br />
abschnitt
abschnitt<br />
uncut<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />
KINO<br />
PROGRAMM<br />
megafon 10.12<br />
warme<br />
filme<br />
am dienstag<br />
uncut √ Warme filme<br />
Gleichgewicht und zu mehr Lebensqualität… Die<br />
Lösungswege des Films «Voices of the Transition» sind<br />
simpel, kosten wenig oder nichts, haben einen enormen<br />
ökologischen Nutzen und setzen ungeahnte zwischenmenschliche<br />
Synergien frei. Angewandt auf das eigene<br />
Hausdach, den nächstgelegenen Parkplatz oder auf die<br />
Landwirtschaft, tragen sie zur Vertiefung nachbarschaftlicher<br />
Beziehungen bei, zur freien Wissensvermittlung<br />
sowie zur Stärkung einer lokal funktionierenden, ethisch<br />
integreren Wirtschaft. Unter dem neuen Licht dieses<br />
kulturellen Wandels erscheint Landwirtschaft wieder als<br />
die tragende Säule unserer Kultur.<br />
SamStag, 22. Januar, 20.00 uhr<br />
Water maKeS money ˛<br />
Wie private Konzerne<br />
auS WaSSer geld machen<br />
DienStag, 11. Januar, 20.30 uhr<br />
daKan √ SchicKSal<br />
MOHaMed caMara, guinea 1997, 89‘, OV/d,<br />
DAKAN – SCHICKSAL ist der erste in Westafrika gedrehte<br />
Film über eine schwule Liebe. In wunderschönen<br />
Bildern, mit der Musik des legendären Sory Kouyaté und<br />
mit einem unmissverständlichen Happy-End für die Liebe<br />
von Manga und Sori widerspricht Regisseur Camara den<br />
Vorurteilen vieler schwarz-afrikanischer Politiker und<br />
Kirchenmänner, dass Schwulsein «unafrikanisch» sei.<br />
SamStag, 22. Januar, 23.30 uhr<br />
picK Wien an<br />
leSlie franke & HerdOlOr lOrenz, d 2010, 90‘<br />
Wasser ist neben der Luft, die wir atmen, das wichtigste<br />
Element für uns. Und doch wird das Wasser zunehmend<br />
den Geschäftsinteressen privater Konzerne unterworfen.<br />
Überall, wo finanzschwache Kommunen nach Entlastung<br />
suchen, klopfen die zwei weltgrössten Wasserkonzerne<br />
Veolia oder Suez an die Tür. Gemeinsam bilden sie ein<br />
undurchsichtiges Duopol, das zum Beispiel in Frankreich<br />
mittlerweile etwa 80 Prozent der Bevölkerung mit Wasser<br />
versorgt. Die Folgen: rasant steigende Verbraucherpreise,<br />
Intransparenz und oft auch Korruption. Seit viele<br />
Menschen die Konsequenz des Verkaufs öffentlichen<br />
Eigentums am eigenen Leib verspüren, ist es nicht mehr<br />
opportun, von Privatisierung zu sprechen. Die Geschäftsmodelle<br />
haben klangvolle Namen wie Public Private<br />
Partnership oder Cross Border Leasing. Aber der Effekt<br />
ist der gleiche. Water Makes Money dokumentiert, mit<br />
welchen Methoden sich Städte und Gemeinden die Kontrolle<br />
über ihr Wasser abhandeln lassen. Der Film zeigt,<br />
dass die unternehmerischen Risiken den Steuerzahlenden<br />
aufgebürdet werden, der Gewinn aber privatisiert<br />
wird. Und er zeigt, wie es in etlichen Regionen gelungen<br />
ist, die Selbstbestimmung über das Lebenselixier Wasser<br />
zurück zu holen.<br />
Aber wer bezahlt für diese Gewinne? Es sind die lokalen<br />
Gemeinschaften in Lateinamerika, Afrika, Asien, Australien.<br />
Ihr Landwirtschaftsland wird zerstört, ihr Wasser für<br />
die Minen verbraucht und verseucht, mit oft gravierenden<br />
Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung. In<br />
gewissen Ländern werden die Gebiete um die Minen<br />
(para)militarisiert, es kommt zu Menschenrechtsverletzungen<br />
und Vertreibungen. Kein Wunder, das sich viele<br />
von Minenprojekten betroffene Gemeinschaften wehren.<br />
Darunter sind auch indigene Gemeinschaften, deren<br />
Vorfahren schon seit Jahrhunderten vor Ort lebten, bevor<br />
sie von europäischen Kolonialisten «entdeckt» wurden.<br />
Ihre Vision ist dem Kapitalismus völlig entgegengesetzt:<br />
Mutter Erde gehört niemandem, und nur der schonende<br />
und respektvolle Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen<br />
hat Zukunft!<br />
DienStag, 25. Januar, 20.30 uhr<br />
elena undone<br />
daVid Paede und barbara SaS, Ö 2008, 22Min<br />
Helmut Seethalers Arbeitsplatz ist die Strasse und der<br />
Wiener Untergrund, wo er seine Texte für alle sichtbar<br />
und zur freien Entnahme an Wände und Säulen klebt.<br />
«Pflück ein Gedicht», steht da. Fast jeder in Wien kennt<br />
ihn oder sah schon einmal seine Zettel irgendwo an einer<br />
Säule kleben. David Paede und Barbara Sas haben den<br />
Zettelpoeten 2008 mit der Kamera begleitet. «Pick Wien<br />
an» gewann bei dem studentischen Filmfestival film:riss<br />
08 den Publikumspreis für die beste Doku.<br />
WATER MAKES MONEY<br />
nicOle cOnn, uSa 2010, 107 Min., OV/d<br />
Elena ist seit 15 Jahren mit einem konservativen,<br />
homophoben Pastor verheiratet und Mutter eines Sohns.<br />
Still und geduldig fügt sie sich in ihre Rolle. Auf einer<br />
Informationsveranstaltung des örtlichen Adoptionszentrums<br />
trifft sie die offen lesbisch lebende Autorin Peyton.<br />
Die beiden verstehen sich auf Anhieb und eine tiefe<br />
Freundschaft voller Vertrauen entsteht.<br />
DAKAN – SCHICKSAL<br />
SamStag 22. Januar, 24.00 uhr<br />
Street art compilation<br />
diVerSe kurzfilMe zuM tHeMa<br />
SamStag, 22. Januar, 22.00 uhr<br />
voiceS of tranSition<br />
nilS aguilar, d 2011, 65Min. e,SP,f/d<br />
In England, auf Kuba und in Frankreich mehren sich Zeichen<br />
eines kulturellen Wandels: Vielfältige Alternativen<br />
künden von einer Zukunft jenseits von Nahrungsmittelunsicherheit<br />
und hin zu einem verbesserten ökologischen
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />
DACHSTOCK<br />
PROGRAMM<br />
megafon 10.12<br />
Freitag, 14. Januar, 22.00 uhr<br />
the faranaS (be)<br />
plattentaufe! & Support<br />
Freitag, 14. Januar, 22.00 uhr<br />
the faranaS (Be) plattentaufe!<br />
& SuPPort -- aFrobeat,<br />
SaMStag, 15. Januar, 23.00 uhr<br />
local darKSide: optiv (cauSe4concern),<br />
vca (Biotic rec), deeJaymf (utB), oliv<br />
(loccomotion), andre (loccomotion),<br />
SuBmerge (BeatSandpicS)<br />
--druMnbaSS<br />
Freitag, 21. Januar, 22.00 uhr<br />
Wild Wild eaSt: rudovouS (cz) &<br />
duSa orcheStra (ch), dJ rane<br />
-- eaStern chanSon, orient ekSPreS<br />
SaMStag, 22. Januar, 22.00 uhr<br />
tour de lorraine:<br />
dieSler (tru thoughtS/uK), dJ'S Studer tm<br />
& giggS (BonzzaJ.ch)<br />
-- Soul, electronica,<br />
THE FARANAS<br />
Einige Faranas, welche die Welt mit offenen Ohren<br />
bereisten, haben im Schmelztiegel ihrer Ideen eine neue<br />
musikalische Heimat gefunden. Sie interpretieren den<br />
Afrobeat auf ihre eigene Art und treten nun als kraftvolle<br />
Band und mit neuer CD auf die Bühne.<br />
The Faranas entspringen dem dreckigen Funk, dem swingenden<br />
Jazz, dem Soul und Elektro. Sie mischen diese<br />
Einflüsse mit traditionellen Griot-Gesängen und den<br />
treibenden perkussiven Patterns und erdigen Grooves<br />
des Afrobeat. Ihr Sound tönt archaisch und trotzdem<br />
modern, vor allem aber authentisch. Die ungeschliffenen<br />
Grooves der Rhythm Section sind der Herzschlag der<br />
Faranas. Das perkussive Schlagzeug und der erdig-virtuose<br />
Bass legen mit Perkussion, Gitarre und Vibraphon<br />
einen soliden Teppich für die kraftvollen Bläsersätze,<br />
den souligen Gesang in Englisch und die Griotgesänge<br />
in Wolof. The Faranas massieren das Herz, spülen die<br />
Ohren und setzen die Beine unter Strom.<br />
OPTIV<br />
Freitag, 28. Januar, 23.00 uhr<br />
Wat (We are terroriStS/fra) live!, We love<br />
machineS (Be) live!, dJ KidKutS (ger)<br />
-- electro, indie, techno, rock<br />
SamStag, 15. Januar, 23.00 uhr<br />
local darKSide: optiv (Cause<br />
4ConCern) vca (biotiC reC)<br />
deeJaymf (utb) oliv (LoCComotion)<br />
andre (LoCComotion)<br />
SaMStag, 29. Januar, 23.00 uhr<br />
liquid SeSSion: total Science (c.i.a./uK),<br />
cyantific (hoSpital/uK), locKee (raBaSS<br />
95.6), tS zodiac (liquid SeSSionS), mc fava<br />
(deepSoulmuSic), BadBoy mc (fmi)<br />
-- druMnbaSS<br />
SuBmerge (beatsandpiCs)<br />
Im Januar startet die Dachstock Darkside mit einer Local<br />
Darkside ins Jahr 2011. Edward Holmes aka DJ Optiv von<br />
cause4concern wird mit von der Partie sein. Ed kommt<br />
ursprünglich von der Insel, wie der Drumandbass, lebt<br />
jedoch seit einigen Jahren in Bern. Für uns ist er mittlerweile<br />
ein Berner!<br />
vorSchau<br />
Freitag, 4. Februar, 23.00 uhr<br />
c'eSt Berne: Jay SanderS (Jagged), Bertel<br />
gee (hlm/raumrauSch), BoriS Why (audiotheque),<br />
Bud clyde (feStmacher)<br />
-- MiniMal, techno, houSe<br />
abschnitt
abschnitt<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />
DACHSTOCK<br />
PROGRAMM<br />
megafon 10.12<br />
dancefloorhits, wie zum beispiel auf seiner debut eP<br />
«ghetto blaster», bis hin zu sehr minimalen Sounds<br />
wie «empty Streets».<br />
am Mikrofon werden uns die Mcs Fava und badboy<br />
durch den abend begleiten. anfang und ende des<br />
abends gehören einmal mehr unseren lokalen dJgrössen<br />
lockee und tS zodiac.<br />
Freitag, 28. Januar, 23.00 uhr<br />
Wat (We are terrorists/Fra) live!<br />
We love machineS (be) live!<br />
dJ KidKutS (Ger)<br />
Freitag, 21. Januar, 22.00 uhr<br />
Wild Wild eaSt: rudovouS (CZ)<br />
& duSa orcheStra (CH)<br />
dJ rane<br />
SaMStag, 5. Februar, 22.00 uhr<br />
cool & deadly: tippa irie (uK) lS. peter<br />
hunningale (uK) live/SoundSyStem ShoW,<br />
moya (morefire, Be) & BoSS hi-fi (zh)<br />
-- reggae, dancehall, dub<br />
Freitag, 11. Februar, 23.00 uhr<br />
doom (mfdoom/uK) dJ-Set & Support<br />
-- hiPhoP<br />
SaMStag, 12. Februar, 22.00 uhr<br />
marteria (ger), Support: dJ'S Kermit<br />
& Kid Silly<br />
-- hiPhoP, electro<br />
CYANTIFIC<br />
zweimal elektro, zweimal live und zweimal frischer<br />
gehts nicht mehr: die französischen Sound- terroristen<br />
sind zurück: neu nennen sich «we are terrorists» noch<br />
wat und im gepäck haben sie ihren ersten longplayer<br />
«wonder». damit sind sie durch Frankreich und<br />
england getourt und haben einen zwischenstopp in<br />
Marokko eingelegt. ende Januar stehen die vier Franzosen<br />
zum zweiten Mal auf der dachstockbühne.<br />
im neuen wat-album wird wild zusammengewürfelt:<br />
da gibts 1980ies beats, rockgitarren, hip-hop-akzente<br />
und new wave-Sounds. wat tönen mondän, souverän,<br />
laut und tanzbar und lassen sich perfekt in den Stil der<br />
2010-er Jahre einordnen. wat perfomen ihre tanzmusik<br />
live mit gerätschaften, instrumenten und Stimme.<br />
kurz vor dem release ihres ersten albums steht das<br />
berner duo «we love Machines». die beiden herren<br />
können anscheinend nicht tanzen, und weil die<br />
aussicht von der bühne in den club besser ist, haben<br />
sie kurzerhand die Seite gewechselt. Statt tanzschuhe<br />
montiert das duo gerätschaften, spielt mit knöpfen<br />
und reglern und lässt das Publikum raven.<br />
nach nur einem Jahr on stage haben «we love Machines»<br />
bereits remixes für den Franzosen «housse de<br />
racket» oder die berner indie-hoffnung «choo choo»<br />
gemacht. burn bern because we love machines!<br />
der dritte im bunde des heissen disco-abends ist der<br />
Mannheimer dJ kidkuts. er besucht den dachstock<br />
zum wiederholten Male, denn er hat bewiesen: wenn<br />
er hinter den decks steht, bleibt kein bein still. das<br />
scheint auch in deutschland so zu sein, denn schaut<br />
man auf dJ kidkuts kalender, ist der voll ausgebucht.<br />
in bern hat er ebenfalls schon laute anhängerinnen<br />
und anhänger gefunden, die den dJ kaum mehr von<br />
Die erste Wild Wild East-Session im 2011 startet mit<br />
Rudovous aus Tschechien, die mit wilden Säuferballaden<br />
und Prager Chansons am Start sind. Seit 1994 existiert<br />
die Band, welche mit Tom Waits artigem Jazzblues und<br />
Trinkerballaden mit der dazu gehörigen Portion Ostrock<br />
bereits mehrere Male in der Reitschule gespielt hat.<br />
Dusa Orchestra aus dem wilden Osten der Schweiz<br />
verschmelzen die musikalische Vielfalt Europas zu einer<br />
tanzbaren, lebendigen Melange mit einem Schuss Balkan.<br />
Freitag, 18. Februar, 20.00 uhr<br />
2 Jahre Wild Wild eaSt: the gypSy queenS<br />
& KingS! feat. ezma redzepova, Jony iliev,<br />
mahala rai Banda, KaloomÉ, florentina<br />
Sandu, aurelia & tantzica!<br />
-- gyPSy SuPer grouP! 2 hourS oF gyPSy MadneSS<br />
with the StarS oF gyPSy MuSic!<br />
DUSA ORCHESTRA<br />
SaMStag, 19. Februar, 23.00 uhr<br />
dachStocK darKSide: Klute (commercial<br />
Suicide rec/uK), deeJamf (utB/Be), Silent<br />
extent (full force/Be), rycK (raBaSS)<br />
-- druMnbaSS<br />
donnerStag, 24. Februar<br />
gza (the geniouS / Wu-tang clan / uSa)<br />
-- hiP hoP<br />
Freitag, 25. Februar, 23.00 uhr<br />
SaMStag, 26. Februar, 22.00 uhr<br />
raBe-feSt 2011
der bühne lassen wollen wenn das licht an geht. und<br />
wer weiss, vielleicht hat dJ kidkuts ja auch diesmal<br />
ein paar seiner beliebten Mixtapes dabei, die er ins<br />
Publikum schmeisst.<br />
SamStag, 22. Januar, 22.00 uhr<br />
tour De Lorraine:<br />
(tru tHouGHts/uK)<br />
dieSler<br />
dJ«S Studer tm & giggS<br />
SamStag, 29. Januar, 23.00 uhr<br />
liquid SeSSion:<br />
total Science (C.i.a./uK)<br />
cyantific (HospitaL/uK)<br />
(bonZZaj.CH)<br />
WAT<br />
(Liquid sessions)<br />
locKee (rabass 95.6)<br />
tS zodiac<br />
mc fava (deepsouLmusiC)<br />
BadBoy mc (Fmi)<br />
TOTAL SCIENCE<br />
die erste liquid Session im 2011, und die 13. ausgabe<br />
insgesamt, ist einmal mehr erstklassig bestückt.<br />
unter dem namen «total Science» produzieren<br />
die zwei künstler Paul Smith (Spinback) und Jason<br />
greenhalgh (Q Project) seit nunmehr 20 Jahren Musik.<br />
ihre werke erschienen auf praktisch allen namhaften<br />
labels, sowie natürlich auf ihrem eigenen. ihr label<br />
c.i.a. lancierten sie im Jahr 1997. auf c.i.a. veröffentlichten<br />
beispielsweise künstler wie zero t, bungle und<br />
State of Mind ihre alben und Singles. total Science<br />
wird an der liquid Session durch Paul Smith vertreten,<br />
der uns ein dJ-Set spielen wird.<br />
cyantific startete ursprünglich im Jahr 1995 als<br />
Produzenten-duo. Mittlerweile ist der brite Jon Stanley<br />
alleine unter diesem künstlernamen unterwegs. Seine<br />
dJ-Sets gelten als erstklassig. während üblicherweise<br />
zwei Plattenteller für eine Show bereit stehen, dürfen<br />
es bei ihm gerne deren drei sein. Seine Produktionen<br />
erschienen bis anhin fast ausschliesslich auf den label<br />
hospital. erst ganz frisch beziehungsweise einen<br />
release alt, ist sein eigenes label. Jons werke können<br />
sich sehr unterschiedlich anhören – von poppigen<br />
abschnitt
abschnitt<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />
RöSSLI<br />
PROGRAMM<br />
megafon 10.12<br />
zu suchen ist, nimmt sich die Band auf «UFO» bisweilen<br />
bis nahezu zur Implosion zusammen und schafft so eine<br />
Spannung, die die Oberfläche erzittern lässt und die sich<br />
an genau jenen Stellen eben nicht entlädt, an denen<br />
man es zunächst erwarten würde. Dieses Umschiffen<br />
von Erwartungshaltungen an die musikalische Struktur<br />
des Albums bewerkstelligen 1000 Robota auch auf<br />
textlicher Ebene. Es gibt zwar das «Ihr» und das «Wir»,<br />
das «Du» und das unvermeidliche «Ich» in zahllosen<br />
Ausformungen, und doch geht es um die Verdichtung, die<br />
Bündelung vielfältiger persönlicher Erfahrungen der vergangenen<br />
Zeit, die nicht unbedingt auf einer direkten, affirmativen<br />
Ebene herumschlittern. Dies bedeutet jedoch<br />
nicht, dass auf «UFO» nicht auch abgerechnet würde –<br />
nur eben mit einer abstrakteren Herangehensweise, mit<br />
dem eigenen Weg, der Rezeption, den Fans und Feinden,<br />
den Wänden, gegen die man rannte und rennen muss,<br />
damit es überhaupt eine Richtung geben kann.<br />
Boogie» die letzten Jahre mit herzblutendem Rock’n’Roll,<br />
beatlesken Pop-Perlen zum schnoddrigen Blues und<br />
wieder zurück durch die Clubs dieses und anderer Dörfer<br />
gepielt, als ob sie nie etwas anderes getan hätten.<br />
Hinterlassen haben die vier Jungs jeweils schweissnasse<br />
(und biergeschwängerte) Crowds.<br />
Da wir ja wissen, dass Pablo Echagüe (guit), David<br />
Steiner (voc), Martin Chramosta (bass) und Jean-Pyerre<br />
Toscano (drums) ganz eindeutig über «A licence to party»<br />
verfügen – freuen wir uns umso mehr, dass sie auf<br />
ihrer CH/GER-Tour und nach den Berlin-Konzerten, bei<br />
uns im Rössli aufspielen. Suportet werden sie dabei von<br />
One Sentence. Supervisor aus Baden.<br />
mittwoch, 12. Januar, 20.00 uhr<br />
capital Slam<br />
Mittwoch, 12. Januar, 20.00 uhr<br />
capital Slam<br />
In Zeiten des stetigen Zerfalls des gesunden Menschenverstandes,<br />
welcher durch die Programmgestaltung<br />
der privaten Fernsehlandschaft drastisch beschleunigt<br />
wird, gibt es eine letzte Bastion, die für die geistige<br />
Erquickung des Freidenkenden keinen Doktortitel in<br />
Philosophie oder Literaturwissenschaften voraussetzt:<br />
Poetry Slam! Hier treten acht Dichterinnen und Dichter<br />
mit ihren Worttiraden gegeneinander an, wobei ihr Erfolg<br />
einzig und alleine von der Lust und Laune des Publikums<br />
abhängt. Geistreiche Gedichte und billige Wortspiele<br />
werden also auch im Jahr 2011 am Capital Slam Bern zu<br />
hören sein. Wer sich selbst als Slammer versuchen will,<br />
kann sich an der Abendkasse in die offene Liste eintragen<br />
und so einen aktiven Beitrag gegen die Verdummung<br />
der Menschheit leisten.<br />
donnerStag, 13. Januar, 21.00 uhr<br />
youcoco (SvK), dee diglerS<br />
-- Punk/rock<br />
donnerStag, 20. Januar, 21.00 uhr<br />
the Big Bang Boogie,<br />
one Sentence. SuperviSor<br />
-- rock’n’roll<br />
Mittwoch, 26. Januar, 20.00 uhr<br />
imaginary citieS<br />
Support: greg macpherSon<br />
-- indie<br />
mittwoch, 26. Januar, 20.00 uhr<br />
imaginary citieS<br />
Support: greg macpherSon<br />
donnerStag, 27. Januar, 21.00 uhr<br />
1000 roBota<br />
-- neue haMburger Schule<br />
In Winnipeg, dem so genannten «Herz des Kontinents»<br />
(John K. Samson Referenz!), entsteht an allen Ecken<br />
neue Musik: In Kellern, bei der Arbeit, im Alltag und in<br />
den vielen Clubs der Stadt.<br />
In einem dieser Clubs, The Cave, wurden Imaginary<br />
Cities geboren. Das Debutalbum 'Temporary Resident' erscheint<br />
im Frühjahr 2011, und ganz Kanada redet schon<br />
über den souligen Indiepop der Band, der neben Gitarre<br />
und Klavier vorallem von einer einzigartigen Frauenstimme<br />
getragen wird.<br />
Imaginary Cities, das sind Marti Sarbit, die der Band ihre<br />
Stimme verleiht, sowie Klavier spielt, und Rusty Matyas,<br />
der eigentlich jedes weitere erdenkliche Instrument<br />
spielt und die Backgroundvocals singt. Matyas ist in der<br />
kanadischen Musikszene kein Unbekannter, ist er doch<br />
als Multi-Instrumentalist mit den Weakerthans auf Tour.<br />
GREG MACPHERSON<br />
SOUS LE PONT<br />
SamStag, 8. Januar, 18.00 uhr<br />
Seit SilVeSter Haben wir geScHlafen,<br />
ab Heute gilt:<br />
Wir haBen Wieder offen!<br />
mittwoch, 12. Januar, 19.00<br />
elSäSSer Spezialitäten<br />
mittwoch, 19. Januar, 19.00 uhr<br />
KantoneSiSche Spezialitäten<br />
Es gibt eine handvoll guter, kanadischer Songwriter und<br />
Lyriker. Allerdings wenige, die jünger als 50 Jahre sind.<br />
Und noch weniger davon bringen ihre Songs so lebhaft
SamStag, 22. Januar, 22.15 uhr<br />
clan ediSon (F)<br />
herr Bitter (CH)<br />
auf die Bühne wie GREG MACPHERSON, aus Winnipeg,<br />
Kanada.<br />
In seiner Musik schwingt eine gewisse Authenzität mit.<br />
Vielleicht ist es das leichte Zittern in seiner Stimme<br />
oder seine vorsichtig zusammengetragenen Texte oder<br />
seine einnehmende Bühnenpräsenz oder vielleicht doch<br />
etwas ganz anderes, dass Greg von anderen Songwritern<br />
abhebt. Vergleiche mit Songschreibern wie Cohen oder<br />
Cave sind keine Seltenheit – sein aktuelles Album «Mr.<br />
Invitation» steht in der Tradition solcher Musiker.<br />
DonnerStag, 13. Januar, 21.00 uhr<br />
youcoco (sVK) &<br />
dee diglerS (ne)<br />
Clan Edison, drei Männer aus Nimes, gibts seit 2003.<br />
Obwohl das Personal und auch der Name gewechselt<br />
haben, die Musik ist unverkennbar. Sie kreieren einen<br />
Musik-Mix aus energievollen und harten, bluesigen Rock.<br />
Du kannst Einflüsse von Fugazi hören, aber auch einen<br />
Geist von Nick Cave. Stoner Rock mit einem Sänger, dessen<br />
Stimme unter die Haut geht. Und die Texte, egal ob in<br />
Englisch oder Französisch vorgetragen, sind hinreissend.<br />
Nun haben Clan Edison ein neues Album am Start, das<br />
hohes Lob einheimst. Damit dürfen sie auch auf die Bühne<br />
des SousLePont, im Rahmen der Tour de Lorraine.<br />
http://www.myspace.com/leclanedison<br />
Die DEE DIGLERS aus Neuchatel spielen das, was wir<br />
gerne klassischen Garagenpunk nennen. Das beinhaltet<br />
demnach voll aufgedrehte Amps, mitreissende Riffs und<br />
eine dazu passende, wilde Liveshow.<br />
Und das an einem Donnerstag. Es gibt nichts Besseres<br />
um die Mitte der Woche zu feiern und dem Januarloch<br />
entgegen zu wirken.<br />
DonnerStag, 27. Januar, 21.00 uhr<br />
1000 roBota<br />
Es ist ziemlich einfach, gewisse Punkte betreffend<br />
1000 Robota zum zentralen Thema zu machen, weil man<br />
dann, aus Bequemlichkeit, den Blick vom Wesentlichen<br />
ablenken kann. Die Geburtsjahre der Bandmitglieder,<br />
die Dringlichkeit ihrer Aussagen und ihrer Musik, jene<br />
verletzliche Aggressivität – all das sind die primär<br />
erwähnten Eckpunkte in nahezu jeder Berichterstattung<br />
über Jonas Hinnerkort (Schlagzeug und Gesang),<br />
Sebastian Muxfeldt (Bass) und Anton Spielmann (Gitarre<br />
und Gesang). Hier ist die Presse in die Falle der eigenen<br />
Bequemlichkeit getappt – und hat die Band direkt<br />
mitgenommen. Es rumpelte und knackte im Musik- und<br />
Medienwald, als 2008 auf dem Hamburger Label Tapete<br />
Records die EP mit dem überaus shirtkompatiblen Titel<br />
«Hamburg brennt» erschien; und das nur wenig später<br />
auf die Menschheit losgelassene Album «Du nicht er<br />
nicht sie nicht» sollte schnell den Nimbus des genialen<br />
Debuts erhalten, an dem sich so viele Bands bei der<br />
Produktion des Zweitwerkes die Zähne ausbeissen.<br />
Mit «UFO» liegt nun ebenjenes vor und stellt unter<br />
Beweis, dass die Band offenbar keine Sekunde daran<br />
dachte, die gleiche Erfolgssuppe erneut aufzuwärmen.<br />
Die zehn Stücke besitzen eine eigentümliche Kohärenz,<br />
die der Logik der Tatsache geschuldet ist, dass die<br />
Reduktion aufs Wesentliche, aufs Repetitive, sowohl<br />
charakteristisch ist für Krautrock, als auch für das, was<br />
gemeinhin unter Postpunk einsortiert wird. 1000 Robota<br />
bedienen sich Elemente beider Genres, ohne lediglich<br />
ein Konglomerat zu erschaffen. War das Vorgängerwerk<br />
noch ein wüster Rundumschlag, dessen Grundlage zweifelsohne<br />
auch in einer gewissen Form von Kontrollverlust<br />
YOUCOCO eroberten die Slovakische Szene, zu der Zeit<br />
(und bis heute) dominiert von elektronischer Musik, wie<br />
die frische Brise einer simplen und direkten Gitarrenband.<br />
Ihre Lo-Fi-Songs sind in einfache Arrangements<br />
verpackt, welche umso mehr ihre Wirkung entfalten.<br />
Die rohe Gitarre, sehr passende, minimale Rhythmen,<br />
brillanter, oft frecher Gesang und eingängige Melodien<br />
erinnern an PJ Harvey, Beat Happening, Liz Phair, The<br />
Kills, oder gar an die Magik Markers, während die Band<br />
ihre Musik selbst gerne humorvoll als «authentischen<br />
melodischen Lärm» bezeichnet. Die beiden Freundinnen<br />
Radka (Gitarre und Stimme) und Ria (Schlagzeug) begannen<br />
ihr Projekt als «Freizeit-Aktivität», erhielten aber mit<br />
ihrer originellen, mitreissenden Musik bald einige Aufmerksamkeit.<br />
Youcoco veröffentlichten ihr Debut-Album<br />
«Big Now» im Juni 2010 auf dem renommierten Label<br />
Deadred/Starcastic Records, und haben damit bisher bei<br />
Fans und Presse gleichermassen positive Reaktionen und<br />
Kritiken erhalten.<br />
1000 ROBOTA<br />
Die vierköpfige Band HERR BITTER spielt wilde, elektrisierende<br />
Musik – und hat sich mit ihren Konzerten einen<br />
Namen gemacht. Energie, Originalität und Wut im Bauch<br />
sind die Zutaten zur tanzbaren Mischung, die sich am<br />
ehesten als Discorock umschreiben lässt. Mit ekstatischen<br />
Beats, pumpenden Bässen, funky Gitarrenriffen<br />
und Synthies nicht zu knapp bedient sich HERR BITTER<br />
an den Sounds der 1980er-Jahre bis ins neue Jahrtausend<br />
und komponiert überraschende, aber eingängige<br />
Tanzmelodien, die kein Publikum kalt lassen.<br />
http://www.myspace.com/herrbitter<br />
YOUCOCO<br />
mittwoch, 26. Januar, 19.00 uhr<br />
KäSe Spezialitäten<br />
mittwoch, 26. Januar, 22.00 uhr<br />
offene Bühne<br />
DonnerStag, 20. Januar, 21.00 uhr<br />
the Big Bang Boogie (bL)<br />
one Sentence. SuperviSor (CH)<br />
Unglaubliche Momente, nie Gehörtes, kaum zu stoppende<br />
Improvisationen, auf- und abstellender Humor, kräuselnde<br />
Nacken, schreiendes Publikum, erste Lektionen,<br />
zweite Lektionen etc., sprechende Puppen, BlueFunked-<br />
Freaks, ab motzendes Gemotze, selbst gebastelte<br />
Gedichte und die nie zu ende gehenden fünfzehn Minuten<br />
eurer Offenen Bühne, die wirklich für alle offen ist!<br />
Künstler_innen melden sich unter souslepont.ch an.<br />
Ihre Einflüsse reichen gemäss Myspace von «Smoke,<br />
to Loneliness, Alcohol, Women, Trips, Freedom, Excess,<br />
Sweat, Noise, Romance, High Heels, Guitar Stallion, Egobooster,<br />
Springtimelove, Silicon Tits, to Hangover, Speed,<br />
Art, Destruction, Rebirth and Breakthrough»: Inbrünstig,<br />
lautstark, eigenwillig und in höchstem Mass überzeugend<br />
hat sich das Laufentaler quartett «The Big Bang<br />
abschnitt
abschnitt<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />
TOJO THEATER<br />
PROGRAMM<br />
megafon 10.12<br />
von Begriffen Bilder entstehen, die dann<br />
durch Texte erweitert und ergänzt werden.<br />
Der Tanz wird begleitet den vier MusikerInnen Anna von<br />
Grünigen, Bernhard Schneider, Paed Conca und Severin<br />
Zoll die jeweils mit ihrem Soloinstrument in den einzelnen<br />
Szenen improvisieren.<br />
Am Ende jeder Szene wird ein Text vorgelesen. Diese<br />
sind kollektiv entstanden. Die Autorin Marina Bolzli<br />
stellte drei Fragen: 1. Welches Privatgut soll deiner<br />
Meinung nach privat bleiben? 2. Bei welchem von deinen<br />
Besitztümern hättest du kein Problem, es zum Gemeingut<br />
zu erklären? Und 3. Welches Gemeingut würdest<br />
du gerne in Besitz nehmen? Die sehr unterschiedlich<br />
ausgefallenen Antworten wurden für vier Dialoge verwendet,<br />
die sich um Heim&Haus, Körper&Privatsphäre,<br />
Wissen&Ideen und Hab&Gut drehen.<br />
Jede der vier Szenen steht für sich und doch besteht<br />
ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen. Jede<br />
Sequenz dauert ca. 15 Minuten. Das Publikum kann die<br />
ganze Stunde bleiben oder zwischen den Sequenzen<br />
kommen und gehen.<br />
Weisse Darsteller, die Schwarze spielten, schwärzten ihr<br />
Gesicht und malten sich ein weisses Oval um den Mund.<br />
So (über)schminkten sich auch Schwarze. Schwarze,<br />
die Weisse spielen, die Schwarze spielen. Es lässt sich<br />
endlos weitertreiben und ins Absurde führen. Natürlich<br />
wurde der «Neger» immer als faul, dümmlich, naiv und<br />
triebhaft dargestellt.<br />
Interpretiert werden Lieder wie The Entertainer (1902),<br />
St. Louis Blues (1912), Black and Blue (1929), Willow<br />
wheep for me (1932) oder Blitzkrieg Baby (1940) u.a.,<br />
von einer Combo, die aus professionellen MusikerInnen,<br />
aber bewusst nicht aus Profi-Jazzern besteht: Mit Regula<br />
Frei (Kontrabass, Gesang), Margrit Rieben (Schlagzeug,<br />
Rhythmus) und Herwig Ursin (Piano, Trompete, Gesang)<br />
sind InstrumentalistInnen am Werk, deren Verspieltheit<br />
und Energie an sich «Jazz» ist.<br />
Im Anschluss an die Aufführungen finden kleinere oder<br />
grössere Jamsessions mit geladenen und spontanen<br />
Gästen statt!<br />
DonnerStag, 13. Januar, 20.30 uhr<br />
Freitag, 14. Januar, 20.30 uhr<br />
SamStag, 15. Januar, 20.30 uhr<br />
Sonntag, 16. Januar, 19.00 uhr<br />
Jazzy ˛ SWing im StüBli<br />
donnerStag, 13. Januar, 20.30 uhr<br />
Freitag, 14. Januar, 20.30 uhr<br />
SaMStag, 15. Januar, 20.30 uhr<br />
Sonntag, 16. Januar, 19.00 uhr<br />
Jazzy ˛ SwiNg im STübli<br />
idee/recHercHe: Sandra künzi. text: Sandra<br />
künzi und crew. regie: dOMinique Müller.<br />
neger/MuSiker: Herwig urSin. wirtin: lilian<br />
naef. SerViertOcHter 1/MuSikerin: Margrit<br />
rieben. SerViertOcHter 2/MuSikerin: regula<br />
frei. PHilOSaufin: Sandra künzi. dOrfPOliziSt:<br />
dOMinique Müller. büHne: Heidy-JO wenger.<br />
licHt: editH SzabO. grafik/fOtOS: yVeS tHOMi.<br />
kOPrOduktiOn: tOJO tHeater. reSerVatiOn:<br />
tOJO@reitScHule.cH<br />
donnerStag, 20. Januar, 20.30 uhr<br />
Freitag, 21. Januar, 20.30 uhr<br />
Therapie ˛ Nur idioTeN<br />
BegrüSSen den tag mit einem lächeln<br />
tour de lorraine: coMMonS ˛ geMeingüter<br />
SaMStag, 22. Januar, 20.00 uhr<br />
alleS iSt nichtS iSt alleS<br />
PerForMance in vier Szenen.<br />
SaMStag, 22. Januar, 23.00 uhr<br />
diSKo & dJ Battle Jane vayne (tanzmuSiK)<br />
vS. mc anliKer (loveSongS)<br />
SamStag, 22. Januar, 23.00 uhr<br />
diSKo & dJ Battle<br />
Jane vayne (tanZmusiK)<br />
vS. mc anliKer (LoVesonGs)<br />
DonnerStag, 20. Januar, 20.30 uhr<br />
Freitag, 21. Januar, 20.30 uhr<br />
Therapie ˛ Nur idioTeN<br />
BegrüSSen den tag mit<br />
einem lächeln<br />
In dunklen Ecken und zwischen Tür und Angel wurde<br />
schon lange gemunkelt – aber nun ist es definitiv: In<br />
einem DJ Battle der Superlative treffen an der Tour de<br />
Lorraine im Tojo Theater zwei legendäre Livemusik- und<br />
Kulturfabrikanten aufeinander: Die im Dachstock der<br />
Reitschule Bern bookend beheimatete DJ Jane Vayne<br />
trifft auf MC ANLIKER, den Kopf des Cafe Mokka, Thun.<br />
Wer die beiden kennt weiss, dass sie mit allen Wassern<br />
und Seifen gewaschen sind und sich garantiert Saures<br />
und Süsses, Scharfes und Fades, Liebes und Fieses<br />
geben werden!<br />
VOM enSeMble eS Huere cabaret.<br />
www.eSHuerecabaret.cH. regie: Pernilla<br />
dePPeler küHni. Mit: celia Hirt, rOMan badertScHer,<br />
MicHael wyder.<br />
aSSiStenz: nina Streit. MuSik: MattHiaS raue.<br />
tecHnik: daVid glauS. fOtOS: Malu barben.<br />
büHne/grafik: OliVier rOSSel. reSerVatiOn:<br />
kOntakt@eSHuerecabaret.cH<br />
In seinem ersten abendfüllenden Stück, «Therapie –<br />
Nur Idioten begrüssen den Tag mit einem Lächeln»,<br />
beschäftigt sich «Es Huere Cabaret» aus Biel mit den<br />
fliessenden Grenzen zwischen Melancholie und Tragik-<br />
Ein musikalisches Theaterstück über alten Jazz, Überfremdungsangst<br />
und die Schweiz in den 1930er Jahren.<br />
Die Grundidee zu «Jazzy» liegt in der Begeisterung für<br />
alten Jazz (1900 bis 1940) und dem damit verbundenen<br />
Lebensgefühl. Es gibt viele verschiedene Erklärungen zur<br />
Frage, woher der Name Jazz stammt. Vielleicht nur eine<br />
Legende, vielleicht aber auch wahr ist diese: Um 1900<br />
habe in den Etablissements in New Orleans der Duft von<br />
Jasmin vorgeherrscht, das Parfum der dort arbeitenden<br />
Damen. Die Abkürzung von Jasmin, also Jass, soll der<br />
Musik, die in ebendiesen Clubs gespielt wurde, den Namen<br />
gegeben haben. Auch «Jazzy» spielt in einem Lokal,<br />
allerdings nicht in einem einschlägigen, sondern in einer<br />
verstaubten Schweizer Beiz in einer ländlichen Region<br />
nahe der Grenze.<br />
Die stramme Wirtin wurstelt sich mehr schlecht als recht<br />
durch die Krise der 1930er Jahre: Ein bisschen Absinth,<br />
ein bisschen Selbstversorgung und praktisch keine<br />
Kundschaft. Als ein fremder Gast ankommt, werden ihr<br />
Misstrauen, aber auch ihre Neugier geweckt. Sie vermutet,<br />
dass es sich um einen «Neger» handelt. In ihrem<br />
Zwiespalt von humanitärer Tradition und Überfremdungs-<br />
Freitag, 28. Januar, 20.30 uhr<br />
SaMStag, 29. Januar, 20.30 uhr<br />
4. Secondo* theatertournÉe<br />
dienStag, 25. Januar, 20.30 uhr<br />
luStiger dienStag 51<br />
JAZZY – SWING IM STÜBLI
Als erstes betritt MC ANLIKER die Turntables, wärmt<br />
die Tanzgemeinde mit heissen Liebesliedern auf und<br />
erwartet dann Miss Jane Vayne zum Duell. Ab 2.00 Uhr<br />
heizt DJ Jane Vayne den Tanzwütigen auf dem gutgeölten<br />
Tojanischen Parkett bis in die frühen Morgenstunden ein.<br />
Ein theatralisches Feuerwerk mit schweisstreibender<br />
Inszenierung. Wem gehört der Tanz?<br />
Freitag, 28. Januar, 20.30 uhr<br />
SamStag, 29. Januar, 20.30 uhr<br />
4. Secondo theatertournÉe<br />
die Vier beiM 4. natiOnalen SecOndO tHeaterfeStiVal<br />
auSgezeicHneten kurzStücke<br />
befaSSen SicH Mit deM tHeMa «HeiMat».<br />
www.SecOndOfeStiVal.cH.<br />
reSerVatiOn: 079 604 11 89 (SMS),<br />
reSerVatiOn@SecOndOfeStiVal.cH<br />
Das Secondo Festival ist eine interkulturelle Plattform<br />
für Theaterschaffende mit schweizerischer und ausländischer<br />
Herkunft. Vor fünf Jahren wurde das Festival von<br />
einer Projektgruppe initiiert und mit fachlicher Unterstützung<br />
der Zürcher Hochschule der Künste und finanzieller<br />
Unterstützung der Eidgenössischen Kommission für<br />
Ausländerfragen bzw. dem Bundesamt für Migration,<br />
im Jahre 2004 ins Leben gerufen. Seither wurden<br />
Theaterschaffende, Autoren und Autorinnen eingeladen,<br />
zu bestimmten Themen von Secondas und Secondos eine<br />
Bühnenproduktion zu erarbeiten. Zum Abschluss des<br />
Festivals werden vier Produktionen ausgezeichnet, die<br />
auf eine Tournée durch verschiedene Orte in der Schweiz<br />
gehen.<br />
komik. Sie erobern die Theaterwelt mit einem stimmigen<br />
Mix aus poetischem Theater, schwarzem Humor, Groteske<br />
und Musik. Die drei Figuren in schwarz. Vornehm und<br />
klassisch gekleidet, mit Melone und Schirm, vom Leben<br />
gezeichnet, passen äusserlich irgendwie nicht in die<br />
heutige Zeit. Die ehemals erfolgreiche, inzwischen gealterte,<br />
nach Liebe und Wärme dürstende Sängerin; der<br />
überforderte, gutbürgerliche Geschäftsmann, der an den<br />
Ansprüchen seines privaten und beruflichen Umfeldes<br />
zu zerbrechen droht; und der introvertierte Bibliothekar,<br />
der nie über den Tod seines einzigen Sohnes hinweggekommen<br />
ist: Sie bewegen sich in leisen, optisch schönen<br />
und zugleich abgründigen, zupackenden Bildern. Sie<br />
kommen aus verschiedenen Vergangenheiten und haben<br />
prägnante Lebensträume und Sehnsüchte entwickelt. Nur<br />
das Leiden am Leben verbindet sie. Gefangen in ihrer<br />
beengten Welt, kreuzen sich ihre Wege in den variantenreichen<br />
Musik-, Mal-, Tanz- und anderen Therapien.<br />
Diese kommen schräg und komisch daher und fügen<br />
sich trotzdem in die latente Morbitität des Stückes ein.<br />
Da wird in manchmal grotesker Verfremdung gemalt,<br />
gesungen, getanzt, gespielt und musiziert. Die Therapien<br />
wirken, aber wirken sie so, wie sie sollen? Oder öffnen<br />
auch sie Abgründe?<br />
Ein poetisches Stück mit viel Witz und einem gewagten<br />
Spiel mit dem Absurden und Grotesken, untermalt durch<br />
gehaltvolle musikalische Eigenkompositionen.<br />
Es Huere Cabaret zuletzt im Tojo beim Lustigen Dienstag<br />
49 im November 2010 (Siehe megafon 11/10).<br />
die Stücke:<br />
finalmente dihei!<br />
VOn i Pelati delicati, baSel. Mit: andrea<br />
bettini und baSSO SalernO aM akkOrdeOn.<br />
regie: cHriStian VetScH.<br />
«I pelati delicati» begeben sich mit ihrer roten «Vespa<br />
Primavera» auf eine lange Reise, die sie schliesslich an<br />
ihr Ziel, «es Dihei», führen soll. Wird ihnen der Spagat<br />
zwischen «Assimilierungsarschchrüücher» und «Machoprinzen»<br />
gelingen?<br />
SamStag, 22. Januar, 20.00 uhr<br />
alleS iSt nichtS iSt alleS<br />
PerfOrMance in Vier Szenen. leitung: katJa<br />
bOller. kOnzePt: Marina bOlzli, katJa bOller.<br />
eine auSeinanderSetzung Mit «cOMMOnS –<br />
geMeingüter» Mit den Mitteln VOn kOntaktiMPrOViSatiOnStanz,<br />
MuSik und text.<br />
Die vier TänzerInnen Katharina Amrein, Lea Weber,<br />
Susanne Zoll von der Compagnie Frauletten und Michael<br />
Amrein lassen mit Kontaktimprovisationstanz anhand<br />
paranoia gewährt sie ihm schliesslich vorübergehend<br />
eine Toleranzbewilligung.<br />
Die Geschichte des Jazz ist untrennbar mit jener<br />
der Schwarzen verbunden: Der Rassismus im Süden<br />
Amerikas löste in den Jahren von 1910 bis 1930 einen<br />
Massenexodus aus. Hunderttausende wanderten in den<br />
liberaleren Norden, in der Hoffnung dort leichter Arbeit<br />
und grössere Akzeptanz zu finden. Die Musik wanderte<br />
mit. Im faschistischen Europa wurde Jazz als entartete<br />
Kunst verpönt und geahndet. Dies wurde durch den grossen<br />
Anteil von jüdischen Jazzmusikern noch verstärkt.<br />
Als im März 1938 österreich dem deutschen Reich<br />
einverleibt wurde, flohen über 100 000 Juden aus<br />
österreich, rund 6000 davon in die Schweiz. Im August<br />
1938 verbot die Schweiz jegliche Einreise von jüdischen<br />
Flüchtlingen. Die Grenzstellen wurden angewiesen,<br />
jüdische Flüchtlinge zurückzuweisen. Danach konnten<br />
die Flüchtlinge nur noch auf illegalen Wegen über die<br />
Grenze gelangen. Am 5. Oktober 1938 erklärten die Nazis<br />
die Reisepässe deutscher und österreichischer Juden<br />
für ungültig, und verordneten auf Initiative der Schweiz<br />
deren Kennzeichnung (Judenstempel).<br />
Ein Schweizer Radiokritiker beschimpfte Jazz als «Negerund<br />
Schwachsinnigenmusik». Der schweizerische Bauernverband<br />
beantragte beim Schweizer Radio, Jazzmusik<br />
soll doch erst ab 21 Uhr ausgestrahlt werden, wenn die<br />
Bauern nicht mehr Radio hörten.<br />
In Ihrem Schlussbericht von 2002, S. 521, stellt die<br />
unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter<br />
Weltkrieg fest: Der «Zeitgeist» nährte diese Krisen und<br />
schuf bei vielen ein tiefes Misstrauen gegenüber allem,<br />
was den Kulturen des Landes als fremd erschien. ....<br />
Viele misstrauten Lebens-, Denk- und Glaubensformen,<br />
die aus der Ferne, aus Übersee kamen – der Jazz ist ein<br />
Beispiel dafür.<br />
Der Fremde in unserem Stück ist ein Flüchtling, ein Jude,<br />
ein Zigeuner, ein Künstler, ein Bolschewik, vielleicht<br />
schwul, kurz eben der «Neger». Die Vorlage für die Figur<br />
des «Negers» findet sich in den Minstrel Shows und<br />
der Tradition der «Blackfaces»: «If black performers<br />
wanted to play in mixed theaters, they had to black up,<br />
the audience than persumed that they were white». Was<br />
Josephine Baker hier beschreibt, ist die absurde Szenerie,<br />
dass Schwarze, die in gemischten Theatern auftreten<br />
wollten, Weisse spielen mussten, die Schwarze spielen.<br />
THERAPIE<br />
4. SECONDO THEATERTOURNéE – FINALMENTE DIHEI!<br />
abschnitt
abschnitt<br />
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />
TOJO THEATER<br />
PROGRAMM<br />
megafon 10.12<br />
mein leBen ˛ mein film<br />
sei dahingestellt. Jedenfalls hat sich seine allgemeine<br />
Einstellung dank Angelika (siehe drittens) merklich<br />
verändert. Er sieht die Welt nicht mehr so realistisch,<br />
er verspürt nun auch Hoffnung für die Menschheit. Doch<br />
Gefühlslagen sind labil und wandeln hurtig der Liebe<br />
Gewalt in trunkene Nüchternheit.<br />
Drittens auf Angelika, die neue Pianistin. Sie ist<br />
talentiert, hat ein neues Klavier, bringt neuen Wind in<br />
die Crew und ein Glänzen in deren Augen. Dem Nägeli<br />
hat sie, wenn sie so weitermacht, auch schon bald den<br />
Hals verdreht. Eigentlich sind schon sämtliche Hälse der<br />
männlichen Crew verdreht. Und endlich jemand, die ein<br />
Instrument spielt und es auch kann.<br />
Und last viertens and least ist da noch JP. (sprich:<br />
dschei-pii), der Tüpp von der Gasse, der eigentlich nur<br />
rein zufällig in die Crew gerutscht ist. Seine abgehalfterte<br />
Leningrad Cowboy Frisur hilft auch nicht weiter,<br />
seine Funktion im Team bleibt ungeklärt, seine liebsten<br />
beiden Äusserungen (Rock’n Roll! und Uapapaluba!) sind<br />
das geistreichste, was er von sich gibt.<br />
So startet also der 51. Lustige Dienstag in das Uno-Jahr<br />
der Wälder, das, symptomatisch mit dem chinesischen<br />
Jahr des Feldhasen zusammenfällt. Habt keine Angst und<br />
kommt sehen, vor lauter Bäumen. Die Gäste sind bei Redaktionsschluss<br />
erst noch auf der Warteliste. Gestrichen<br />
sind bereits Francine Jordi, Peter Räpper und Ulrichs<br />
schier lustige Lappen.<br />
VOn Szenart aarau. regie: HanneS leO Meier.<br />
filMregie: SeVerin kuHn. regieaSSiStenz: JÖrg<br />
raMel. PrOduktiOn: OliVer HOfer. kOStüMe/<br />
rauM: SuSanne bOner. aSSiStenz: katJa<br />
kOller. tecHnik: lukaS kOller. SPielerinnen:<br />
daVide tuliPanO, eliane bertScHi, flOrian<br />
Hett, Meral kÖSeOglu, MOritz PraxMarer,<br />
SaraH blickenStOrfer, SeliM yilMaz, SilViO<br />
bruder, SOPHia baSler, tibOr blattner.<br />
«Szenart» lässt in «Mein Leben – Mein Film» zehn<br />
Jugendliche ihr Leben beobachten, als wäre es ein Film.<br />
Und sie beobachten Filme, als wären diese ihr Leben.<br />
Sind sie die Regisseure ihrer Lebensfilme? Leben sie in<br />
einer Tragödie oder in einer Komödie? Oder vielleicht<br />
sogar im falschen Film?<br />
4. SECONDO THEATERTOURNéE – GALAXY WORLD<br />
DienStag, 25. Januar, 20.30 uhr<br />
luStiger dienStag # 51<br />
Lustiger Dienstag zuletzt im Tojo mit dem Jubiläum<br />
«Lustiger Dienstag 50» im Dezember 2010 ( Siehe<br />
megafon 12/10).<br />
MeHr alS Variété! Mit der ludi-crew: JuditH<br />
bacH, rObert StOfer, MarkuS ScHrag, tHO-<br />
MaS laube und gäSten. regie: JOSt krauer.<br />
Nach dem legendären dreitägigen 50. Jubiläum des<br />
Lustigen Dienstags ist die Crew nun wieder echt gefordert.<br />
Und wieder auf sich selbst gestellt. Das heisst:<br />
Erstens auf Will Lee, dem ehemaligen Art Director, der<br />
nun zum Requisiteur und Bühnenputzer aufgestiegen<br />
ist. In seiner früheren Funktion nötigte er das Publikum<br />
mit der Präsentation verschiedenster Klassiker, von<br />
Star Wars bis Goethes Däumling. Nun beschränkt er<br />
sich zum Glück aufs Putzen und den Publikumswettbewerb.<br />
Da kommen so sinnige Fragen wie: Was ist hier<br />
eigentlich lustig? Was würde ich besser sein lassen?<br />
Warum findet der Lustige am Dienstag statt? Wie lautet<br />
die Wettbewerbsfrage? Und verblüffenderweise findet<br />
das Publikum stets Antworten, und, noch verblüffender,<br />
kriegt dafür auch noch schöne Preise. Zweitens auf Hans<br />
Franz Nägeli, der Moderator. Ob er wirklich moderat ist,<br />
galaxy World<br />
VOn cOMPagnia i balOSS, luganO. regie:<br />
Vania luraScHi. tecHnik: cinzia MOrandi.<br />
SPiel: aMaral lOPeS flaVia, iVana barukcic,<br />
bOrella giulia, garObbiO debOra, gianOra<br />
antHea, giudicetti nicOle, nerO arMandO,<br />
PaSta eliSa, rOManSki SOraya, SalgadO<br />
MariSa, SiMunOVic’ dOriS, weitHaler<br />
anaStaSia, zufOlO giOnata.<br />
«Compagnia i Baloss» präsentiert unter dem Titel<br />
«Galaxy World» die Resultate der zahlreichen experimentellen<br />
Sitzungen im Theatersaal ihrer Schule.<br />
geKämpft Wie löWen<br />
VOn tHeaterkidS der Stadt luzern. kOnzePt/<br />
regie: walti MatHiS. regieaSSiStenz: leOnie<br />
HüSler. SPiel: lucien delacrOix, xenia<br />
bertScHMann, nOel gwerder, nicOle Sauter,<br />
SiMOna bauMgartner, Marina gMür, SiMOna<br />
bauMgartner, Valena frey, lukaS ScHwander,<br />
nOaH auf der Maur, raMOna luMinati,<br />
katHrin ScHürMann, lOrena brücker, Serge<br />
nOtter, till ScHuSter, MaryaM MaSSaaf,<br />
ariana bucHMann.<br />
Die «Theaterkids der Stadt Luzern» erzählen ein Stück<br />
Schweizergeschichte: In «Gekämpft wie Löwen» fliehen<br />
Jugendliche 1789 vor einer brutalen Bettlerjagd nach<br />
Frankreich, wo sie in die Wirren der Revolution geraten<br />
und sich als Kindersoldaten anwerben lassen. Begleitet<br />
wird die Haupthandlung von satirischen Szenen über<br />
Secondos, die sich in der heutigen Schweiz auf Heimatsuche<br />
befinden.
1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />
FRAUENRAUM<br />
PROGRAMM<br />
megafon 10.12<br />
Freitag, 28. Januar, 21.00 uhr<br />
tanzBar mit dJ zardaS<br />
Freitag, 7. Januar, 22.00 uhr<br />
popShop mit dJ anouK amoK<br />
Standard und lateinaMerikaniScHe tänze<br />
und diScO für frau und frau, Mann und<br />
Mann und friendS.<br />
SamStag, 22. Januar, 21.30 uhr<br />
auStra (Can) candelilla (d)<br />
dJS not_Betty & fernWeh<br />
indieroCKneWWaVepopaCHtZiGerpunKoLdsCHooLneWsCHooLdisCo<br />
SamStag, 29. Januar, 22.00 uhr<br />
normal love (berLin)<br />
fred hyStere & ginger<br />
dropS doWnStairS (Züri)<br />
party we say die). «Wir flirten mit dem sexy, sexy Beat»,<br />
verkünden sie, die sich zuletzt über ihre vielen ausflippenden<br />
Konzertbesucher_innen wunderten: «Boah,<br />
die tanzen ja!» Den Beat haben sie importiert aus dem<br />
Technoland der geraden Zahlen in ihr Rockreich voller<br />
Brecht/Weillscher Theatralik, Störaktionen und gelegentlichen<br />
Schönklangs («Da muss der Hörer jetzt durch»).<br />
So auch in der Single «13»: Sandra Hilpold treibt an den<br />
Drums alles voran, Mira Manns Bass hält hart Schritt,<br />
Lina Seybolds Gitarre hat Drive, selbst Rita Argauers<br />
Piano und der (Sprech-) Gesang aus drei Kehlen tanzen<br />
auf den Schlägen.<br />
<br />
Poppiger ins Jahr starten als mit Berns Popkönigin<br />
schlechthin geht kaum! Drum lasset uns die Plastikblumen<br />
über den Wolken erblühen und die Eiswürfeli schmelzen,<br />
drum kommet und tanzet, denn sonst müsst ihr gar nichts<br />
ausser schlafen, trinken, atmen… und… Na ja, ihr wisst<br />
schon. Frauen, belebt diese Freitag Nacht!<br />
Willkommen in Bern-lin! Normal Love (queer-progressive<br />
berlin underground neo pop) ist eine Gang bestehend<br />
aus der Sängerin pauline p-love, der Drummerin ink<br />
r. nation (beide ex rhythm king & her friends) und der<br />
Gitarristin ben kaan (kat frankie). Feine Melodien treffen<br />
auf klassische Discobeats und dies nicht ohne den<br />
Beigeschmack der 80er Jahre und dem Einbezug queerer<br />
Politik.<br />
Vor und nach der Bühnenshow knicken uns zu unser aller<br />
Entzücken die drei Zürcherinnen «Fred Hystère & Ginger<br />
Drops Downstairs» die Beine.<br />
CANDELILLA<br />
auStra – ein PrOJekt VOn katie StelManiS<br />
und Maya POStePSki: Hin- und hergerissen zwischen<br />
klassischer Musik und der Popwelt, beeinflusst durch<br />
Bands wie Nine Inch Nails oder The Knife und die Ausflüge<br />
in die RiotGirls-Bewegung (Galaxy) haben zu Katie<br />
Stelmanis Sound geführt. Getragen durch ihre starke<br />
und intensive Stimme trat sie mit ihrem eigenwilligen<br />
Sound in den letzten Jahren als Solokünstlerin auf. Für<br />
ihr neues Projekt Austra hat sie ihre Freundin Maya<br />
Postepski mit ins Boot geholt, eine Percussionistin mit<br />
langjähriger Erfahrung. Beide haben bei Galaxy zusammen<br />
mitgewirkt. Während Live-Performances werden<br />
sie dabei durch den Bassisten Dorian Wolf unterstützt.<br />
Austra repräsentiert die musikalische Weiterentwicklung<br />
von Katie Stelmanis als Soloartistin über 10 Jahre<br />
hinweg, vervollständigt durch ihre Band. Oder ganz<br />
einfach gesagt: «More settled and dominant than ever,<br />
the AUSTRA sound represents all of Katie's influences<br />
tightened into a shiny metal ball – pianos give way to<br />
keyboards as songs build and pull, their urgent dark<br />
melodies arpeggiating and multiplying through an army<br />
of synthesizers, wrapping themselves around Katie's<br />
astounding voice.»<br />
DonnerStag, 13. Januar, 20.00 uhr<br />
Barometer mit dJ xylophee,<br />
dJ dunch, dJ fratz, Bruno,<br />
iSaBelle, miKe & dJ elferich<br />
elektrOniScHe leckerbiSSen zu leSbiScH-<br />
ScHwuleM cHillen<br />
KATIE STELMANIS / AUSTRA<br />
WinterpauSe!<br />
Vom 30. Januar bis am 25. Februar gehen wir schlafen,<br />
einzig BarOmeter wird durchmachen.<br />
Am Wochenende des 25./26. Februars wirds mit dem<br />
RaBe-Fest dann wieder kräftig musikalisch und fein<br />
konzertig!<br />
candelilla – «reasonreasonreasonreason» haben<br />
die famosen Vier in aller Dringlichkeit Album eins<br />
genannt (dessen Hüllen sie kunst- und liebevoll von Hand<br />
gesiebdruckt, gestanzt, gefaltet und geklebt haben).<br />
«Mussmussmussmuss» hätte auch gepasst. Oder ein<br />
bisschen «Oléoloéoléolé» – im Bauch fühlt es sich wie<br />
eine Partyplatte an. Candelilla haben das «Disko»-Schild<br />
über sich angeknipst (im Sinne von Gossip oder You say<br />
abschnitt
story of hEll<br />
46<br />
megafon nr. 351, Januar 2011<br />
«the largest living land mammal is<br />
the absent mind.»<br />
«Be kind, man – don‘t be mankind.»<br />
In memoriam Captain Beefheart<br />
(1941 - 2010)<br />
stets auf das schlimmste gefasst,<br />
schränken wir uns ein, alles,<br />
was unzuträglich sein könnte zu<br />
vermeiden. Wir verdrängen jeden<br />
schaden, den wir einmal erlitten<br />
haben mögen, bis wir von ihm<br />
eingeholt werden. dann drehen wir<br />
durch, ab oder auf, den rücken der<br />
Wand zu- oder abgewandt, oder wir<br />
drehen zu, nehmen alles in uns auf<br />
und behalten es da. Wir heben alles<br />
ab, was wir haben, wenn wir noch<br />
etwas haben, gehen unter, wenn wir<br />
nichts mehr haben, so ist das. aber<br />
so muss das nicht sein. das ist der<br />
ausgangspunkt.<br />
so bald stellt sich die frage: «Wo<br />
denken wir hin?!» – und sogleich<br />
folgt die frage: «denken wir denn,<br />
überhaupt, irgendwann, und wo, worüber<br />
– nach oder vor?» – auf dem<br />
fuss: «Wozu? Es kommt eh anders<br />
als wir denken». soweit kommen wir<br />
jeweils, dann lassen wir es bleiben.<br />
am punkt, wo die realität überhand<br />
nimmt, fragen nicht gefragt sind,<br />
was da ist fraglos hier ist um zu<br />
bleiben. darüber nachzudenken<br />
lohnt nicht, sich darüber aufzuhalten<br />
gilt als verkehrsstörung, die aus<br />
dem Weg geschafft werden muss.<br />
sonst kommen wir nirgendwo hin.<br />
schliesslich wollen wir freie Bahn<br />
für freie gedanken, alles andere ist<br />
uns egal. Wohin die reise führen<br />
wird wissen wir noch lange nicht.<br />
aber wir sind angekommen, in<br />
dieser realität, eingefahren in<br />
einen grossen Bahnhof, eine riesige<br />
Baustelle, genau betrachtet, eine<br />
vielschichtige angelegenheit von<br />
komplexer natur. Wir sind da und<br />
steigen aus. Wir steigen aus und<br />
sind da, genauer gesagt. und da<br />
story of hEll – Ca. vom WIndE vErWEhtEstE folgE<br />
präsEntIErt von dEr spartEnüBErgrEIfEndEn proJEktgruppE für nano-sozIalIsatIon<br />
ausgestiegen, landen wir schnell<br />
in der Burg, diesem hafen für<br />
schiffbrüchige aus aller Welt,<br />
diesem allerwelts schutzschirm in<br />
allen Währungen für Banken, die<br />
nicht wetten, deren kurs folglich<br />
am sinken ist, denn nur wer wagt<br />
gewinnt auch. und wer gewinnt und<br />
Erfolg hat ist angekommen in dieser<br />
guten gesellschaft, in welcher<br />
der Wagemut weiter verbreitet<br />
sein muss als auf den ersten Blick<br />
ersichtlich. In Wirklichkeit hängen<br />
alle an alten zöpfen und versuchen<br />
hinaufzuklettern, als handle es sich<br />
um eine leiter.<br />
Wir haben jetzt einen Bausatz geschaffen,<br />
einen satz Würfel, beliebig<br />
aufzutischen, mehr oder weniger<br />
dem gang der dinge entsprechend,<br />
immer darauf vorbereitet, zu fallen,<br />
denn alles geht runter, die schwerkraft<br />
wirkt abwärts. aber so ein<br />
Würfel, der zeigt dann auch was<br />
an, wenn einmal gefallen, ganz im<br />
gegensatz zu einer murmel, die<br />
einfach rollt, dabei allerhand unvorhergesehenes<br />
auslöst, um sich am<br />
Ende am ausgangspunkt wiederzufinden.<br />
Wieder eingelegt in die Bahn,<br />
herunterrollend entsprechend den<br />
gesetzmässigkeiten der schwerkraft,<br />
aber mit grosser sicherheit<br />
am tiefsten punkt landend.<br />
mit grosser voraussicht haben wir<br />
deshalb auf der hochlobpreisinsel,<br />
hoch oben auf dem plateau, verschiedene<br />
ausgangspunkte für verschiedene<br />
Bahnen vorbereitet, durch<br />
welche die murmeln rollen, allerlei<br />
unvorhergesehenes auslösend,<br />
das ganze theater, das kann alles<br />
bedeuten, so absurd es erscheinen<br />
mag. Wir alle kennen die geschichte<br />
vom umfallenden reissack irgendwo<br />
in China, auch diejenige vom flügelschlag<br />
des schmetterlings, alle<br />
führen letztendlich an den selben<br />
ort: nirgendwo, überallhin.<br />
Bis weit hinaus ins all reicht die<br />
seuche der in aller Bescheidenheit<br />
«globalisierung» genannten krank-<br />
heit, welche die menschheit befallen<br />
hat, kurz nach der postmodernen<br />
revolution, in deren verlauf die<br />
gesamten Werte von grund auf auf<br />
den kopf gestellt geworden waren.<br />
Etwas, was wohl den meisten<br />
entgangen sein wird, denn niemand<br />
schert sich darum. nicht genug, den<br />
planeten zuzumüllen, scheint es<br />
sich die menschheit aufs fähnlein<br />
geschrieben zu haben, gleich ein<br />
ganzes universum mit in den untergang<br />
zu nehmen.<br />
um missverständnissen vorzubeugen,<br />
es geht hier keineswegs<br />
darum, schwarz zu malen, oder<br />
etwas zu beschönigen, untergänge<br />
können bekannterweise eine<br />
gewisse faszination bewirken,<br />
keine frage. Es ist einfach klar, dass<br />
eine künftige Bevölkerung des alls,<br />
gehandelt als eine zukünftige genesis<br />
der menschheit, wenn sie den<br />
heimischen planeten vollständig an<br />
die Wand gefahren haben und nach<br />
neuen siedlungs-gründen ausschau<br />
halten müssen wird, im voraus zum<br />
scheitern verurteilt sein wird. da<br />
schwebt schon so viel müll in der<br />
schwerelosigkeit herum, das mag<br />
sämtliche alpträume, wie wir sie uns<br />
bisweilen machen, übertreffen.<br />
und so erwachen wir mit einem<br />
schrecken im hier und Jetzt, schütteln<br />
uns die träume aus dem fell<br />
und schnüffeln begierig weiter. Es<br />
nimmt uns Wunder was noch kommen<br />
wird. Wir sind auf das schlimmste<br />
gefasst, deshalb kann uns auch<br />
nichts mehr überraschen. darauf<br />
vorbereitet zu sein erweist sich als<br />
das einzige mittel, gegen all die<br />
unbill die da wartet anzukommen.<br />
und wenn das dann eintritt, sagen<br />
wir, es wird zur Wirklichkeit, es ist<br />
da, sind wir darauf vorbereitet: Wir<br />
haben nichts anderes erwartet.<br />
so einen haufen scheisse.<br />
In der nächsten folge: Wir schauen<br />
heiter weiter.
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