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Megafon - Norient

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m … aus der Reitschule Bern<br />

mit<br />

Nr. 351 2011 Januar Preis Sfr. 6.-egafon<br />

PRO g r a m m<br />

www.megafon.ch Schwerpunkt: <strong>Norient</strong>


im Januar<br />

ImprEssum<br />

EntrEE<br />

3 CartE BlanChE pour uvm<br />

3 In dEn norIEnt rEIsEn?<br />

Editorial<br />

4 dIE rotE Wand<br />

Entree<br />

sChWErpunkt norIEnt<br />

5 vEr(W)IrrungEn zWIsChEn musIk,<br />

gEsEllsChaft und polItIk<br />

Ein multi-dimensionales phänomen<br />

7 araBEsk: von sChmErz zu kommErz<br />

12. Januar, 20.30 uhr, turnhalle progr<br />

8 muEzzInE BEIm gEsangsWEttBEWErB<br />

13. Januar, 20.00 uhr, kino in der reitschule<br />

9 taqWaCorE: dIE gEBurt dEs IslamIsChEn<br />

punk<br />

13. Januar, ca. 21.45 uhr, kino in der reitschule<br />

10 «WEm gEhört dIEsEr song?»<br />

14. Januar, 20.00 uhr, kino in der reitschule<br />

11 fokofpolIsIEkar – fuCk-off-polICE-Car<br />

14. Januar, ca. 21.45 uhr, kino in der reitschule<br />

13 full mEtal vIllagE<br />

15. Januar, 20.00 uhr, kino in der reitschule<br />

14 «WE don’t CarE aBout musIC anyWay»<br />

15. Januar, 22.00 uhr, kino in der reitschule<br />

15 zur EthnographIsChEn praxIs<br />

Im 21. JahrhundErt<br />

feldforschung<br />

16 WIssEn andErs vErmIttEln<br />

odEr EtWas andErEs vErmIttEln?<br />

medienanthropologie heute<br />

17 musIkEthonolgIsChE stImmEn<br />

aus allEr WElt<br />

22 pIss-WEllnEss, sChIzophrEnE punkEr<br />

und alkoholdEhydrogEnasE<br />

selbstversuch: global rock‘n‘roll<br />

rEdaktIon ag megafon | postfach 7611, Ch-3001 Bern<br />

megafon@reitschule.ch | fon 031 306 69 66 | pC 30-34495-5<br />

layout megafon plakat pak umsChlag peet pienaar<br />

sChWErpunkt-IllustratIonEn milena gsteiger (mfg)<br />

druCk kollektiv druckwelle, reitschule<br />

rEdaktIon dIEsEr nummEr natalia funariu (nafu), milena gsteiger<br />

(mfg), ursula häni (ush), agnes hofmann (ans), patrick kuhn (pak), rahel la<br />

Bey (rel), leena schmitter (lsc), urslé von mathilde (uvm).<br />

rEdaktIonssChluss 15. dezember 2010; näxter 9. Januar 2011<br />

ErsChEInt monatlich, auflage unter 1000 Ex.; JahrEsaBo (mind. 72 franken<br />

auf pC 30-34495-5 einzahlen, abo bei obenstehender adresse).<br />

die in den Beiträgen wiedergegebene meinung muss sich nicht mit der<br />

meinung der redaktion decken. die schwerpunkt-Beiträge dokumentieren die<br />

Entwicklung von kunst- und Jugend- und politszenen.<br />

Weder mit bildlichen noch textlichen Inhalten sollen die leserInnen dazu<br />

aufgerufen werden, straftaten zu begehen.<br />

die artikel dieser zeitung unterstehen einer CreativeCommons lizenz. für<br />

nicht-kommerzielle zwecke können sie mit quellenangabe frei verwendet<br />

werden.<br />

Inhalt<br />

2<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

InnEnland<br />

24 für rEIChE – gEgEn armE<br />

nach der abstimmung zur ausschaffungsinitiative<br />

IntErnatIonalIstIsChE<br />

28 dIE dEfInItIon dEs WahnsInns –<br />

Irland In dEr krIsE<br />

den gurt enger schnallen<br />

sChönEr WohnEn?<br />

30 offEnsIvEs WohnEn?<br />

schöner Wohnen – die neue rubrik<br />

kultur Et all<br />

25 guItarhEads Wäut<br />

26 gEmEIngütEr BEfrEIEn<br />

tour de lorraine 11<br />

32 konzEptIon dEr grausamkEIt<br />

Buchtipp Januar 2011<br />

programm<br />

kIno<br />

daChstoCk<br />

rösslI<br />

souslEpont<br />

toJo thEatEr<br />

frauEnraum<br />

46 story of hEll<br />

abonniert das megafon!<br />

» talon ganz hinten!


editorial<br />

in den norient reisen?<br />

norient.com<br />

tourdelorraine.ch<br />

CartE BlanChE pour uvm<br />

liebe megafon-leser_innen<br />

das erste Jahrzehnt des neuen<br />

Jahrtausend ist vorbei. ui, die<br />

nuller-Jahre: Ist es da ausser<br />

technologisch betrachtet, irgendwo<br />

krass vorwärts gegangen?<br />

Was nehmen wir mit ins zweite<br />

Jahrzehnt ausser socialmedia,<br />

nanopartikel und ein handtelefon<br />

für alle (in der schweiz). Wann<br />

wird eine andere Welt möglich?<br />

Wann kommt der markante schritt<br />

bei den menschenrechten? Wann<br />

der klimawandel?<br />

In der reitschule gelingt es uns<br />

ab und an, wenn schon nicht als<br />

Insel mitsamt Burg davon zu<br />

schwimmen, mindestens aber<br />

einen Blick aus einer anderen<br />

perspektive auf probleme zu werfen,<br />

mindestens im alltag neue<br />

Wirtschafts- und arbeits-modelle<br />

erfolgreich auszutesten; 2011 bereits<br />

im vierundzwanzigsten Jahr.<br />

Erst das zweite Jahr im programm<br />

und doch schon liebgewonnen:<br />

das norient musikfilm<br />

festival kommt mitte Januar<br />

wieder in die reitschule. nach<br />

«global gettotech» im 2010<br />

dieses mal mit filmen, die ver-<br />

(w)irrungen zwischen musik, politik<br />

und gesellschaft zum thema<br />

machen. und wiederum gibts dazu<br />

eine megafon-sondernummer;<br />

einerseits zu den gezeigten<br />

filmen, andererseits zu ethnographischer<br />

feldforschung. also<br />

ungefähr zur frage, ob Bilder<br />

und töne andere Botschaften<br />

vermitteln als texte – mit vielen<br />

Beispielen aus fremdem und<br />

bekanntem alltag. Ein lebendiger,<br />

langer schwerpunkt für die vorfreude<br />

aufs festival.<br />

vielen herzlichen dank erneut an<br />

die beiden norient-Botschafter<br />

thomas Burkhalter und michi<br />

spahr, und viel Erfolg mit dem<br />

festival!<br />

das megafon fühlt sich wohl im<br />

norient und hofft, ihr leser_innen<br />

ebenso. Jetzt buchen.<br />

> ans <<br />

gleichfalls zum vormerken:<br />

am 22. Januar 2011 findet eine weitere<br />

ausgabe der tour de lorraine – unter anderem<br />

in der reitschule – statt, diesmal unter<br />

dem motto «gemeingüter befreien».<br />

EdItorIal<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 3


dIE rotE Wand<br />

Eisbären haben probleme, die-den<br />

richtige_n partner_in zu finden.<br />

In Bern haben sie auch probleme,<br />

unter anderem mit der roten Wand.<br />

In der mitte der spitalgasse,<br />

befinden sich zwei tramschienen,<br />

links und recht lauben, 4-5-stöckige<br />

sandsteinbauten, innen ausgehölt<br />

und gefüllt mit Waren vorwiegend<br />

aus dem Importgeschäft. die menschen<br />

können dort geld in Waren<br />

umtauschen.<br />

nun stehen sie hintereinander und<br />

bilden eine Wand, mauer.<br />

Eine rotE mauEr.<br />

staatlich gesponserte kommentare<br />

wollen uns weismachen, dass dies<br />

zur freien Bewegung und förderung<br />

der Benutzung von öffentlichen<br />

verkehrsmittel stimuliert. Wir<br />

müssen wieder solidarisch werden.<br />

die schweizer_innen berufen sich<br />

auf ihre Wurzeln: realismus und<br />

Bescheidenheit.<br />

das misstrauen der Bevölkerung in<br />

die direkte demokratie steigert sich.<br />

Ich stelle mich vor die rote Wand<br />

und befrage passantinnen nach ihrer<br />

meinung.<br />

Ein passant:<br />

«Jaja, i bi so eine wo sich uf<br />

sini Wurzle bezieht. realistisch,<br />

bescheide und klar nur dür<br />

d’schwiezer.<br />

EntrEE<br />

4<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

I däm binig konsequent. Bi mit mim<br />

aebi uf Bern cho, mit Biogas vo mini<br />

schwizer säu. me muess sich doch<br />

treu blibe, wo chöme mir suesch<br />

äne. schwiezer saatgut und so<br />

weiter. Bim verarbeite stosse ig a<br />

grenze. für de lohn wonnig cha zahle,<br />

schaffe chei schwiezer. aber äbe,<br />

ä roti Wand da ir houptstadt schon ä<br />

provokation. di schränkt Bewegigsfreitheit<br />

i u het eifach epidemische<br />

uswirkige. Jaja, mir wei da che roti.<br />

me söuts glich mache wi mit äm<br />

gstrüpp.»<br />

seit der annahme gegen das ausländische<br />

gestrüpp, wächst der unmut<br />

der Bevölkerung gegen ihnen unbekanntes.<br />

sie fordern mehr platz,<br />

transparenz, Bescheidenheit und<br />

sicherheit, das gäbe mehr übersicht<br />

und mehr sicherheit, die soziale<br />

kontrolle funktioniere wieder. das<br />

sind noch Werte.<br />

Eine weitere passantin:<br />

«di rote Wand, isch unbedingt notwendig.<br />

We aus usländische dusse<br />

wär, was chönnt ig no alege? ässe?<br />

Bi doch cheis heidi oder vreneli, no<br />

entspringenig emene ankerbiuld.<br />

mir müsse realistisch blibe u üs<br />

integriere. die roti Wand ist ä gute<br />

afang.»<br />

«gute tag, kann ich sie was fragen?<br />

«ma qui.»<br />

«Was halten sie von dieser roten<br />

mauer?»<br />

«rote maueer? les tram. manifique.<br />

Berne hat nicht soviel farb, das tut<br />

gut, das rot. seit der annahme der<br />

Initiative gegen alles ausländische<br />

gestrüpp, ist viel farbbe verloren<br />

gegangen. Es macht mich traurig,<br />

mais, ca c’est die demokratie. Il faut<br />

acceptez.<br />

Ein alter schweizer Wert: der röstigraben,<br />

wir haben die Initiative<br />

abgelehnt.»<br />

Ein junges menschenwesen tippt mir<br />

auf die schulter. das geschlechtlich<br />

nicht einordbare menschenwesen<br />

fragt, ob sie er oder es auch was<br />

sagen dürfe. gespannt halte ich das<br />

mikrofon hin.<br />

«das diese rote Wand soviel aufsehen<br />

erregt, liegt an der Bildung.<br />

die schweiz braucht dringend<br />

Entwicklungshilfe und förderung<br />

zur Integration in die Weltgemeinschaft..<br />

Wir sind uns doch alle fremd<br />

oder was auch immer und wir wollen<br />

alle schoggi essen… diese demokratie<br />

basiert doch auf missbrauch<br />

und ausbeutung und dem sagen sie,<br />

die guten alten schweizer Werte.<br />

punktgenau jegliche humanität zu<br />

unterdrücken. das rot ist doch mal<br />

ein anfang.»<br />

> HeidibetH tauer


ein Multi-diMensionales PHÄnoMen<br />

Ver(w)irrungen zwischen musik,<br />

gesellschaft und Politik<br />

das 2. norient MusikfilM festival<br />

scHaut Mit sieben dokuMentarfilMen<br />

(drei scHweizer PreMieren!) aus südafrika,<br />

bulgarien, der türkei, JaPan,<br />

deutscHland, den usa und Pakistan genau<br />

Hin: auf die ver(w)irrungen zwiscHen<br />

Musik, gesellscHaft und Politik. eine<br />

frage steHt iM rauM: verbindet Musik<br />

MenscHen – oder treibt sie die MenscHen<br />

auseinander? oder kann Musik gar zu<br />

konflikten und kriegen füHren?<br />

Die erste Ausgabe des norient<br />

Musik film Festivals fokussierte auf<br />

neue musikalische Strömungen<br />

aus dem Umfeld der elektronischen<br />

Musik und der Club-Kultur: Auf den<br />

«Global Ghettotech» – oder die<br />

«Weltmusik 2.0», die Weltmusik der<br />

interaktiven Medienplattformen. In<br />

diesem Jahr stehen Punkmusik,<br />

Heavy Metal, japanische Noise-<br />

Musik, ein Wettbewerb türkischer<br />

Muezzine und südosteuropäische<br />

Arabeskmusik und Schlagermelodien<br />

im Fokus.<br />

Diverse Faktoren entschieden<br />

mit, welche Filme wir für das <strong>Norient</strong><br />

Musikfilm-Festival auswählten. Erstes<br />

Kriterium war selbstverständlich<br />

die Qualität der Filme, definiert<br />

über die ästhetische Umsetzung, die<br />

Nähe zu den Protagonisten, die Tiefe<br />

der Auseinandersetzung mit dem<br />

Gegenstand. Jeder Film gewichtet<br />

diese Kriterien anders und setzt sie<br />

anders um. Ein Thema verbindet die<br />

so unterschiedlichen Dokumentarfilme<br />

aber ganz eindeutig: In jedem<br />

der Filme geht es um die komplexen<br />

Ver(w)irrungen zwischen Musik,<br />

Gesellschaft und Politik.<br />

Arabesk ist die Popmusik der<br />

Türkei schlechthin. Arabesk, die<br />

Musik der anatolischen Landflüchtlinge<br />

in den Städten der Türkei, wird<br />

seit ihrer Entstehung von den Eliten<br />

des Landes ignoriert – ja sogar verachtet;<br />

vor allem wegen ihrer als<br />

kitschig empfundenen Musik und<br />

ihren weinerlichen, schwerverherrlichenden<br />

Texte.<br />

Im Film «Arabesk – Gossensound<br />

und Massenpop» von Cem Kaya und<br />

Gökhan Bulut werden diese durchaus<br />

politisierten Geschmacksfragen<br />

ganz genau diskutiert – unter anderem<br />

von Serhat Köksal a.k.a 2/5 BZ,<br />

der am Mittwoch, 12. Januar 2011<br />

ausserdem zur Arabesk Sound und<br />

Video-Performance in der Turnhalle<br />

im PROGR Bern einlädt.<br />

Im Film «Muezzin» wirken Gesellschaft<br />

und Politik im Hintergrund:<br />

Halit Aslan, Muezzin der historischen<br />

Istanbuler Fatih-Moschee,<br />

misst sich beim nationalen Gebetsrufwettbewerb<br />

mit der türkischen<br />

Muezzin-Konkurrenz. Der Jurist am<br />

Istanbuler Auswahl-Wettbewerb<br />

ist Absolvent des Konservatoriums<br />

und bewertet nach musikalischen<br />

Kriterien – Arabesk wäre ihm wohl<br />

ein Greuel. Spüren wir da den Minderwertigkeitskonflikt,<br />

der auch in<br />

arabischen Ländern auszumachen<br />

ist? Seit Beginn des zwanzigsten<br />

Jahrhunderts wird Musik auch da<br />

nach europäischen Lehrmethoden<br />

unterrichtet, und im Konzertsaal<br />

wird nach europäischem Vorbild<br />

musiziert: Mit Orchestern statt<br />

kleinen Ensembles, mit Harmonien<br />

statt mit Heterophonie, mit vorgefertigten<br />

Kompositionen statt improvisatorischen<br />

Abläufen. Muezzin<br />

Halit Aslan ist sichtlich nervös vor<br />

seinem Auftritt beim Gesangswettbewerb:<br />

«Es ist unmöglich, beim<br />

Wettbewerb dieselbe Emotionalität<br />

zu erreichen, wie auf dem Minarett»,<br />

sagt er.<br />

Der Film «Full Metal Village»<br />

zeigt eine andere Interaktion zwischen<br />

Musik und Gesellschaft.<br />

«Lauter als die Hölle», mit diesem<br />

Slogan kündet das «Wacken Festival»<br />

2011 sein 25-jähriges Jubiläum<br />

an. «Wacken» gilt als grösstes<br />

Heavy Metal Festival der Welt, Wacken<br />

ist aber auch ein kleines Dorf<br />

in Schleswig-Holstein. Seinen Bewohnern<br />

widmet die koreanische<br />

Regisseurin Cho Sung-Hyung ihren<br />

Film. Zwei ältere Damen fürchten<br />

sich vor den Satan-Anbetern, die<br />

da anreisen sollen. Viele Wackener<br />

flüchten vor dem Festival. Ein paar<br />

wenige bleiben – erst recht. Bauer<br />

Trede etwa vermietet Parkplätze:<br />

«Man muss dem Geld entgegen<br />

gehen und ihm nicht hinterher rennen»,<br />

verkündet er schlau.<br />

Im Film «Whose is this Song?»<br />

wird die Verknüpfung von Politik und<br />

Musik überdeutlich: Bulgarische<br />

Nationalisten wollen die Filmemacherin<br />

Adela Peeva am nächstbesten<br />

Baum aufknüpfen – wenn sie<br />

noch einmal behaupte, das eben<br />

gesungene Lied stamme vielleicht<br />

doch nicht aus Bulgarien. Peeva ist<br />

für ihren Dokumentarfilm durch die<br />

Türkei, Griechenland, Mazedonien,<br />

Albanien, Serbien und Bosnien gereist,<br />

und überall behaupteten die<br />

Menschen: «Dieses Lied stammt<br />

von uns!» Überall steht dieses Lied<br />

für eine kulturelle, politische oder<br />

religiöse Gesinnung – ob nun von<br />

den Musikern, Komponisten und<br />

Produzenten so gewollt oder nicht.<br />

Musik verbindet die Menschen vielleicht<br />

also doch nicht: Wegen der<br />

Musik drohen Streit, Mord, Krieg.<br />

In den Filmen «Taqwacore: The<br />

Birth of Punk Islam» und «Fokof-<br />

›<br />

sChWErpunkt<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 5


sChWErpunkt<br />

6<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

polisiekar» (Fuck-Off-Police-Car)<br />

attackieren US-amerikanische<br />

Mus lime und weisse Südafrikaner<br />

die weltweite Islamophobie<br />

beziehungsweise die Vorurteile<br />

gegenüber Afrikaanern (weissen<br />

Südafrikanern niederländischer<br />

Abstammung) auf ihre eigene Art<br />

und Weise. Sie wollen gute Musik<br />

machen und Spass haben. Direkter<br />

Protest dringt manchmal zwar auch<br />

durch. Doch meistens wirkt dieser<br />

Protest ironisch. Für die experimentellen<br />

Musiker aus Japan sind<br />

Kritik an Politik und Gesellschaft<br />

schliesslich in Klang und Krach verborgen.<br />

In Japan sei alles genormt,<br />

beklagen sie sich im Film «We Don’t<br />

Care About Music Anyway...»:<br />

Ihre Rolle sei es, neue Möglichkeiten<br />

auszuloten. In dieser Aussage<br />

kann beides stecken: Die reine<br />

Freude am musikalischen Experiment,<br />

oder der Drang, die japanische<br />

Gesellschaft zu verändern.<br />

Sieben Filme an vier Abenden<br />

entwirren zwar nicht unbedingt<br />

die Verworrenheit von Musik, Gesellschaft<br />

und Politik. Sie laden<br />

aber ein zu einer anspruchsvollen<br />

und zugleich vergnüglichen Verirrung<br />

in die Welt des globalisierten<br />

Musizierens.<br />

> tHoMas burkHalter <<br />

thomas Burkhalter<br />

ist mitorganisator<br />

des norient musikfilm<br />

festivals. Er arbeitet<br />

als musikethnologe<br />

und freier kulturjournalist.


MittwocH, 12. Januar, 20.30 uHr,<br />

turnHalle Progr<br />

arabesk: Von schmerz zu kommerz<br />

der filM «arabesk – gossensound und<br />

MassenPoP» eröffnet die türkiscHe arabesk-nacHt<br />

in der turnHalle iM Progr.<br />

serHat köksal (2/5 bz) stellt arabesk<br />

anscHliessend in seiner sound und video<br />

PerforMance vor. iM gesPrÄcH erklÄrt<br />

er, woruM es geHt, iM arabesk.<br />

stefanie alisch<br />

ist musikwissenschaftlerin<br />

und dJ<br />

aus Berlin. sie ist<br />

Wissenschafliche<br />

mitarbeiterin am<br />

Institut für musik der<br />

uni oldenburg und<br />

arbeitet als BIgsas<br />

fellow an einer<br />

promotion zu kuduro.<br />

2009 gründete sie<br />

das groove research<br />

Institute Berlin.<br />

Arabesk entstand in den 1960er-<br />

Jahren in den Gecekondus. Diese<br />

informellen Viertel wucherten um<br />

türkische Grossstädte wie Istanbul,<br />

Ankara, Izmir oder Adana, um<br />

die aus Anatolien einströmende<br />

Landbevölkerung aufzufangen.<br />

Mit ihrem Stilmix aus arabischen<br />

Rhythmen, klassischer türkischer<br />

Musik und westlichem Pop begehrten<br />

die klagenden Arabesk-<br />

Lieder nicht nur formal gegen die<br />

osmanische Musiktradition auf. Mit<br />

Texten voller Heimweh und Fatalismus<br />

gaben sie der neuen urbanen<br />

Unterschicht auch Stimme,<br />

Projektionsfläche und Identitätsangebot<br />

und können insofern als<br />

widerständig verstanden werden.<br />

Doch dieses Potential hat Arabesk<br />

heute fast verloren. Schmerz ist zu<br />

Kommerz geworden.<br />

Der in Istanbul lebende Multimedia-Künstler<br />

Serhat Köksal<br />

arbeitet als 2/5 BZ mit Arabesk-<br />

Sounds und -Filmen. Im Gespräch<br />

mit <strong>Norient</strong> erklärt er seine Sicht<br />

auf die Entwicklung des Arabesk-<br />

Phänomens: «Heute haben sich die<br />

wirtschaftliche Ungerechtigkeit,<br />

der Schmerz und das Leiden im<br />

Leben der Menschen sogar noch<br />

verschärft. Arabesk ist aber immer<br />

weniger Ausdruck dieser schwierigen<br />

Lebensbedingungen oder<br />

Stimme der städtischen Armen.<br />

Vielmehr hat Arabesk sich ein elitäres<br />

Publikum geschaffen, für das<br />

es mehr und mehr produziert. Das<br />

heutige Arabesk ist eher ein Upgraded<br />

Class Arabesk.»<br />

Oft heisst es heute, Arabesk sei<br />

einst von der türkischen Machtelite<br />

zensiert oder verschmäht worden,<br />

und sei jetzt durch demokratische<br />

Entwicklungen gerettet worden.<br />

Diese Darstellung findet Köksal<br />

heikel: «Die meisten Arabesk-<br />

Stars haben sich mit der neuen<br />

ökonomischen Situation nach 1980<br />

gut arrangiert. Sie sind heute nicht<br />

mehr weit entfernt von den Interessen<br />

und Vorlieben der Machtelite.<br />

So lassen sie sich gut in den globalen<br />

Markt integrieren. Wenn man<br />

diese Denke weiterspinnt, lässt<br />

sich ihre Entwicklung auch als Erfolgsstory<br />

vermarkten: Sie verbreitet<br />

einen gewissen ‹Optimismus› in<br />

der städtischen Unterschicht und<br />

für kleine Unternehmen.»<br />

Den heute noch aktiven Arabesk-Sänger<br />

Hakki Bulut hebt<br />

Serhat Köksal als eine grosse<br />

Ausnahme hervor: «Im Rohschnitt<br />

des Dokumentarfilms ‹Arabesk<br />

- Massenpop und Gossensound›<br />

habe ich ihn reden hören. Er bezog<br />

sich auf einen der wichtigsten<br />

Arbeiterproteste gegen den Neo-<br />

Liberalismus in den letzten Jahren,<br />

die Widerstandsaktionen der Arbeiter<br />

der Tekel-Werke: ‹Arabesk<br />

ist Tekel-Widerstand›, sagte er.<br />

Dieses Statement veranschaulicht<br />

eine Art, wie ich mich auf Arabesk<br />

beziehe.»<br />

2/5 BZ ist fasziniert vom türkischen<br />

Pop-Kino, das parallel zum<br />

frühen Arabesk in den 1960 und<br />

1970er-Jahren ohne Copyright-<br />

Beschränkungen und mit Hilfe von<br />

Steuervergünstigungen so richtig<br />

aufblühte. In wenigen Jahren<br />

wurden Hunderte von Remakes<br />

und Adaptionen westlicher Filme<br />

und aller möglichen Sujets auf einen<br />

hungrigen Markt geworfen.<br />

2/5 BZ: «Ich war sehr beeindruckt<br />

von den Effekt-Designern und<br />

Sound-Technikern. Mit ihren Cut-<br />

Up-Techniken schufen sie Soundtracks,<br />

die traditionelle türkische<br />

Musik und westliche Avantgarde-<br />

Musik vermischten. 1993 habe ich<br />

für mein fotokopiertes Zine ‹Gözel<br />

Mecmuasi› (Gözel Zine) einige der<br />

Leute interviewt, die zuständig waren<br />

für Synchronisation, Effekte<br />

und Visuals. Ihre Namen waren<br />

Anfang der 1990er Jahre noch völlig<br />

unbekannt.»<br />

Heute erarbeitet 2/5 BZ mit<br />

diesen Sounds und Bildern eigene<br />

Live-Performances: «Mit der Zeit<br />

bin ich immer besser darin geworden,<br />

das Film-Material zu reproduzieren.<br />

Irgendwann habe ich angefangen,<br />

Video und Sound spontan<br />

live auf der Bühne zu editieren. Ich<br />

arbeite dabei ähnlich wie die Filmemacher<br />

an ihren Schnittplätzen<br />

im Studio. Nur schneide ich alles<br />

live auf der Bühne. Diese Vorstellung<br />

gefällt mir. 2000 wurde ‹NO<br />

Touristik NO Egzotik› eines meiner<br />

Konzepte. Daraus hat sich ‹No Cultural<br />

Pipeline No Energy Dialogue›<br />

entwickelt, denn mir fiel auf, dass<br />

Worte wie ‹Dialog› oder ‹Brücke›<br />

klischeehaft verwendet werden,<br />

um Städte oder Produkte in globale<br />

Märkte einzupassen. Heute arbeite<br />

ich zu Neoliberalismus in einem<br />

Palaverel- und Parallel-Universum<br />

sowie Toolerance Imperialism.»<br />

> stefanie aliscH <<br />

sChWErpunkt<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 7


sChWErpunkt<br />

8<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

donnerstag, 13. Januar, 20.00 uHr,<br />

kino in der reitscHule<br />

muezzine beim gesangswettbewerb<br />

glÄubige MusliMe folgen fünf Mal tÄglicH<br />

deM gebetsaufruf des Muezzins. ein<br />

neuzeitlicHes PHÄnoMen sind die gebetsrufwettbewerbe,<br />

bei denen sicH die Muezzine<br />

Jedes JaHr in der kunst Messen,<br />

den scHönsten gebetsruf zu rezitieren.<br />

anna trechsel ist<br />

Journalistin und Islamwissenschafterin.<br />

sie reist regelmässig<br />

in den nahen osten.<br />

Ein Löffel Honig zum Schmieren<br />

der Kehle, ein kurzes Räuspern,<br />

ein Gebet. Mikrofon einschalten,<br />

tief einatmen. Die Stimme setzt<br />

an: «Allahu akbar!» ruft Halit Aslan<br />

vom Minarett der Fatih-Moschee<br />

in die Istanbuler Nacht. Die Giga-<br />

Metropole am Bosporus erwacht<br />

zum Leben, begleitet vom Gesang<br />

von Halit Aslan – und fast 3000 weiteren<br />

Muezzinen. «Gott ist gross.<br />

Ich bezeuge, dass es keinen Gott<br />

gibt ausser Allah, und ich bezeuge,<br />

dass Muhammad sein Gesandter<br />

ist. Auf zum Gebet! Das Gebet ist<br />

besser als der Schlaf!»<br />

Ist in einem Spielfilm, einem<br />

Dokumentarfilm oder einer Radioreportage<br />

die islamische Welt<br />

oder der Nahe Osten Schauplatz,<br />

wird unweigerlich der islamische<br />

Gebetsruf, der «Azan», zur Tonspur.<br />

Ertönt das «Allahu akbar»,<br />

wissen wir sofort, wo wir uns befinden.<br />

Was jedoch hinter dem Azan<br />

steckt – beziehungsweise wer, das<br />

erfahren wir in der Regel nicht.<br />

Der österreichische Filmemacher<br />

Sebastian Brameshuber will diese<br />

Regel brechen und widmet mit<br />

«Muezzin» den Gebetsrufern gleich<br />

einen ganzen Dokumentarfilm.<br />

Halit Aslan, den wir zu Beginn<br />

des Films kennenlernen, will sich<br />

für das Finale des nationalen türkischen<br />

Gebetsrufswettbewerbs<br />

qualifizieren – die Türkei sucht<br />

nicht nur den «Postar Alaturka»,<br />

sondern auch den Super-Muezzin.<br />

Nicht Glamour und Prominenz<br />

winken dem besten Muezzin des<br />

Landes, sondern vor allem Ehre.<br />

Und, nun ja, das Materielle findet<br />

auch im Spirituellen seinen<br />

Platz. «Was passiert, wenn Du gewinnst?»,<br />

fragt Halit Aslans Sohn.<br />

Aslan antwortet, indem er Daumen<br />

und Zeigefinger aneinander reibt.<br />

«Dollars?» «Viele Dollars!»<br />

Mustafa Yaman hat den Wettbewerb<br />

im Vorjahr gewonnen und gibt<br />

sich durchwegs selbstbewusst:<br />

Anwohner hätten sich beschwert,<br />

sein Gesang dauere zu lang und<br />

lenke sie von der Arbeit ab. Als er<br />

bei den Behörden antrabte und dort<br />

vorsang, habe ihn der Chefbeamte<br />

umarmt und gedonnert, wer diesen<br />

Azan nicht zu schätzen wisse, solle<br />

gefälligst das Land verlassen.<br />

Habil Öndes, der das Konservatorium<br />

besucht hat und heute<br />

Muezzine ausbildet, beklagt, der<br />

Nachwuchs wisse viel zu wenig<br />

über Musik. Seiner Tochter hat er<br />

aber verboten, Musiklehrerin zu<br />

werden.<br />

Isa Aydin trainiert die Jungs in<br />

seiner Istanbuler Vorortgemeinde<br />

in Koran und Fussball und will mit<br />

seinem Gesang die Leute zur Religion<br />

einladen.<br />

Die vier Istanbuler Muezzine<br />

verbindet nicht nur die Religion,<br />

sondern vor allem auch die Liebe<br />

zum Gesang, zur Musik. Dass Musik<br />

im Islam keinen Platz finde oder<br />

ausschliesslich religiös geprägt<br />

sein müsse: Sebastian Brameshuber<br />

und den Protagonisten seines<br />

Films gelingt es, dieses (Vor)urteil<br />

Lügen zu strafen.<br />

> anna trecHsel


donnerstag, 13. Januar, ca. 21.45 uHr,<br />

kino in der reitscHule<br />

taqwacore: die geburt<br />

des islamischen Punk<br />

tHe koMinas sind Meister der Punk-satire.<br />

der dokuMentarfilM «taqwacore: tHe<br />

birtH of Punk islaM» verfolgt die band<br />

auf iHrer tournee durcH die usa und<br />

nacH Pakistan. Mit dabei ist der aMerikaniscHe<br />

konvertit und kult-scHriftsteller<br />

MicHael MuHaMMad knigHt.<br />

Wendy hsu schreibt<br />

ihre dissertation<br />

zu unabhängiger<br />

rockmusik von<br />

asiaten in den usa<br />

an der university of<br />

virginia.<br />

Meine persönliche Geschichte mit<br />

dem Phänomen «Taqwacore» begann<br />

im Mai 2009. Ich traf die Gruppe<br />

The Kominas in Boston an einem<br />

schmierigen Diner. Wir tranken<br />

Bier, assen Käse-Fritten und redeten<br />

darüber, wie die US-amerikanischen<br />

Medien alles für sich<br />

vereinnahmt hatten, was sie auch<br />

nur annähernd mit der Taqwacore-<br />

Bewegung assoziierten.<br />

The Kominas spielen eine wichtige<br />

Rolle in einem losen Musikernetzwerk,<br />

das sich selber den<br />

Namen «Taqwacore» gegeben hat.<br />

«Taqwa», ein arabischer Begriff<br />

aus dem Koran, kann mit «Frömmigkeit»<br />

übersetzt werden. Implizit<br />

gemeint ist die Liebe und Ehrfurcht<br />

vor dem Göttlichen. «Core» bezieht<br />

sich auf die Wurzeln dieser Szene<br />

im Punk. «Core» betont zudem die<br />

Do-it-Yourself-Ideologie, die für diese<br />

Hardcore-Musik so zentral ist.<br />

Michael Muhammad Knight, ein<br />

weisser US-amerikanischer Konvertit,<br />

hat den Begriff «Taqwacore»<br />

in einem seiner Romane erschaffen.<br />

«The Taqwacores» handelt von<br />

einer fiktiven Gruppe muslimischer<br />

Punk-Rocker, die zusammen in einer<br />

WG in Buffalo, New York wohnen.<br />

Via E-Mail kontaktierte Knight<br />

unterschiedliche Punkrocker mit<br />

muslimischem Background in Nord-<br />

amerika. So entstand rund um sein<br />

Buch allmählich ein Netzwerk von<br />

Freundinnen, Künstlern, Bloggerinnen,<br />

Filmemachern und anderen<br />

Enthusiastinnen.<br />

Die Presse legt zuviel Gewicht<br />

auf die Tatsache, dass alle Bandmitglieder<br />

von The Kominas Muslime<br />

sind: So jedenfalls empfinden<br />

wir das, im Diner in Boston. Dieser<br />

Islam-Fokus überdeckt alles andere,<br />

alles nicht-islamische an der<br />

Band: die Musik und die Bildspra-<br />

che zum Beispiel. Manchmal werden<br />

die Songtexte der Kominas aus<br />

dem Zusammenhang gerissen. Es<br />

werden die radikal klingenden Sätze<br />

genommen, die ironischen und<br />

parodistischen Brechungen hingegen<br />

werden ignoriert. Die witzigen<br />

Anti-Status-Quo-Provokationen der<br />

Band werden so falsch gedeutet.<br />

Und plötzlich wird die Band in die<br />

Nähe von islamistischen Terroristen<br />

gesetzt – den Staatsfeinden Nummer<br />

1 in den USA. Immerhin haben<br />

die liberalen Medien die Band jetzt<br />

aber als gute amerikanisch-muslimische<br />

Alternative zu den «bombigen<br />

Terroristen» entdeckt.<br />

The Kominas sind Meister der<br />

Punk-Satire. Sie fordern das Establishment<br />

heraus und nehmen<br />

sich wichtiger Themen an: Etwa<br />

ihre eigenen Erfahrungen in den<br />

Post-9/11-USA, oder dem älteren<br />

zivilisationsgeschichtlichen und orientalistischen<br />

Diskurs, der die Welt<br />

in «muslimisch» versus «westlich»<br />

teilt. Musikalisch experimentieren<br />

The Kominas mit einem Mix aus<br />

frühem britischen Punk, Bollywood-<br />

Klassikern aus den 1960ern, und<br />

Popsongs aus dem Punjab.<br />

Omar Majeeds Dokumentarfilm<br />

«Taqwacore: The Birth of Punk Islam»<br />

ist im Sommer 2007 gefilmt.<br />

Konvertit Muhammad Knight tourt<br />

zusammen mit The Kominas und<br />

vier weiteren Bands aus den USA<br />

und Kanada durch Nordamerika.<br />

Der Film folgt Knights ursprünglicher<br />

Fiktion eines Punk-inspirierten<br />

radikalen Islam und lenkt<br />

den Blick dann auf die Wirklichkeit:<br />

die persönlichen Lebensgeschichten<br />

einiger Protagonisten der<br />

erwachenden Taqwacore-Szene.<br />

Filmer Majeed begleitet Shahjehan<br />

Khan und Basim Usmani von den<br />

The Kominas dann auf ihrer Reise<br />

in die pakistanische Stadt Lahore.<br />

Dort wollen die beiden eine Punk-<br />

Szene gründen. Majeeds Film fokussiert<br />

mehr auf die intellektuellen<br />

Fragen, die zu einem Bruch<br />

zwischen Punk und Islam führen.<br />

Themen wie musikalische Innovation,<br />

ethnische Dynamiken und die<br />

Art und Weise, wie die Medien das<br />

Phänomen Taqwacore abbilden,<br />

bleiben im Hintergrund.<br />

Was unter dem Begriff «Taqwacore»<br />

letztlich verstanden wird, ist<br />

eine Art der Interpretation des Islam.<br />

Es geht auch um Fragen der<br />

Menschlichkeit rund um den Islam.<br />

Und es geht um Neu-Interpretationen<br />

des Lebens in einer Zeit, in der<br />

wir medial bombardiert werden mit<br />

Ideologien, Bildern, Sounds, Subkulturen<br />

und Spiritualität. Das Phänomen<br />

Taqwacore widersteht jedoch<br />

diskursiven Vereinfachungen und<br />

Verflachungen. Taqwacore ist keine<br />

Religion. Es ist nicht einmal eine Alternative<br />

zum «Islam». Taqwacore<br />

ist ein kultureller Raum für alternative<br />

Interpretationen, Praktiken,<br />

Identitäten und Beziehungen zu,<br />

über und mit dem Islam.<br />

> wendy Hsu <<br />

sChWErpunkt<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 9


sChWErpunkt<br />

10<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

freitag, 14. Januar, 20.00 uHr,<br />

kino in der reitscHule<br />

«wem gehört dieser song?»<br />

ein filM über Musik, über den balkan,<br />

über Politik und identitÄt. ein filM,<br />

der fasziniert und verstört, anregt und<br />

begeistert.<br />

dieter ringli ist<br />

musikethnologe und<br />

kenner der schweizer<br />

volksmusik. Er arbeitet<br />

an der universität<br />

zürich und der musikhochschul<br />

luzern.<br />

Die bulgarische Musikethnologin<br />

und Filmemacherin Adela Peeva<br />

begibt sich 2003 auf die Suche<br />

nach den Spuren eines Liedes, das<br />

sie aus ihrer Kindheit kennt. Ihre<br />

Reise führt sie in die Türkei, nach<br />

Griechenland, Albanien, Bosnien,<br />

Mazedonien, Serbien und zurück<br />

nach Bulgarien. Überall trifft sie<br />

auf diese Melodie, die in mannigfacher<br />

Gestalt erscheint: Als nostalgischer<br />

Schlager, als Liebeslied,<br />

als Militärmarsch, als islamisches<br />

Kampflied oder als nationalistisches<br />

Volkslied. Der Steinmetz<br />

aus Lesbos singt es, die Opernsängerin<br />

aus Tirana, der bosnische<br />

Chorleiter, der Schlagersänger aus<br />

Mazedonien oder der serbische<br />

Priester. Alle haben sie ihre eigene<br />

Fassung und alle sind überzeugt<br />

davon, dass das Lied aus ihrer<br />

Gegend stamme und ein typischer<br />

Teil ihrer ureigenen Kultur sei.<br />

«Wer hat’s erfunden?» Die Frage,<br />

die bei uns im Zusammenhang<br />

mit Werbung für ein Schweizer<br />

Kräuterbonbon bekannt geworden<br />

ist, ist auf dem Balkan nicht bloss<br />

ein witziger Werbegag, sondern<br />

eine zentrale Frage der nationalen<br />

und persönlichen Identität. Und<br />

genau diese Fragen werden in den<br />

zahlreichen Alltagsgesprächen im<br />

Film immer wieder diskutiert. Die<br />

eigene Identität scheint zentral mit<br />

der Frage von der Herkunft und<br />

den Ursprüngen von kultureller<br />

Erscheinungen verknüpft. Wir wollen<br />

es hören: Unsere eigene Kultur<br />

hat das höchste Alter. Adela Peeva<br />

macht in ihrem unterhaltsamen<br />

und beeindruckenden Film deutlich,<br />

wie erbittert diese Diskussionen<br />

geführt werden und wie grotesk<br />

sie gleichzeitig sind. Der Mythos<br />

einer echten, unverfälschten, reinen<br />

Kultur wird auf witzige und<br />

kurzweilige Weise ad absurdum<br />

geführt, denn die Frage, woher<br />

dieses Lied ursprünglich stammt,<br />

lässt sich schon lange nicht mehr<br />

beantworten. Zu vielfältig sind die<br />

gegenseitigen Beeinflussungen der<br />

verschiedenen Kulturen. Zwar wird<br />

der Besitzanspruch zunehmend<br />

heftig verteidigt, aber mit jedem<br />

neuen Beispiel wird es klar: Die<br />

verschiedenen Kulturen weisen viel<br />

mehr Gemeinsamkeiten auf, als es<br />

ihre Vertreter wahrhaben wollen.<br />

Es zeigt sich aber auch, dass eine<br />

historisch korrekte Antwort gar<br />

keine Rolle spielt, da die ideologischen<br />

Positionen stärker sind als<br />

alle Fakten.<br />

Der erfrischende, tragikomische<br />

Film präsentiert faszinierende Musik<br />

und stellt skurrile Gestalten<br />

und beeindruckende Landschaften<br />

vor. Er beweist aber auch ernüchternd,<br />

dass die völkerverbindende<br />

Kraft der Musik auch nur ein Mythos<br />

ist, der nicht in jedem Fall zutrifft.<br />

Damit weist er weit über die<br />

Balkan-Problematik hinaus und<br />

stellt grundsätzliche Fragen nach<br />

kultureller Identität, nach Entstehung<br />

und Vermischung von Kulturen<br />

und nach der Bedeutung von<br />

Musik in sozialen und politischen<br />

Kontexten. Der Film hat darum<br />

auch sieben Jahre nach seiner Entstehung<br />

nichts von seiner Aktualität<br />

und Brisanz eingebüsst.<br />

> dieter ringli


fokofPolisiekar –<br />

fuck-off-Police-car<br />

der filM trÄgt den woHl treffendsten<br />

titel für ein festival in der berner<br />

reitscHule. auf den ersten blick Hat<br />

der südafrikaniscHe regisseur bryan<br />

little einen rockuMentarfilM über die<br />

band fokofPolisiekar («verPiss dicH,<br />

Polizeiauto») gescHaffen. beiM nÄHeren<br />

betracHten zeicHnet der filM ein<br />

seHr tief geHendes PortrÄt der weissen<br />

Post-aPartHeid-gesellscHaft iM neuen<br />

südafrika.<br />

Am Anfang des Films sagt eines der<br />

Bandmitglieder: «Wir waren 1994<br />

zwölf Jahre alt, als die Apartheid<br />

abgeschafft und die Regenbogennation<br />

gegründet wurde. Als Zwölfjähriger<br />

verstehst du die politische<br />

Atmosphäre nicht wirklich. Wir<br />

waren irgendwo zwischen drin. Wir<br />

waren zu jung, um zu verstehen,<br />

was Apartheid wirklich bedeutet<br />

hatte, aber zu alt, um nichts davon<br />

zu wissen.» Die eigene kulturelle<br />

Identität als Weisser in Südafrika<br />

ist ein wiederkehrendes Thema im<br />

Film.<br />

Einerseits ist da die Last der<br />

Geschichte, die auf den Schultern<br />

der jungen Generation liegt. So ist<br />

die Sprache Afrikaans stigmatisiert<br />

als Sprache der Buren, der ehemals<br />

weissen Unterdrücker. «Vielleicht<br />

täusche ich mich», sagt der Künstler<br />

Peet Pienaar – der übrigens das<br />

Plakat des diesjährigen <strong>Norient</strong><br />

Musikfilm Festivals entworfen hat<br />

– im Film, «aber es ist im Moment<br />

total politisch unkorrekt, Afrikaans<br />

zu zelebrieren. Es ist sehr, sehr<br />

politisch korrekt, Afrikaans zu kritisieren.»<br />

Dass die Band Fokofpolisiekar<br />

in Afrikaans singt, löst aber<br />

gerade bei ihren jungen Fans eine<br />

wahnsinnige Euphorie aus. Einer<br />

behauptet sogar, dank Fokofpolisiekar<br />

würden viele Weisse in Südafrika<br />

bleiben, statt nach England<br />

abzuhauen. In einem entfernten<br />

Sinn ist das Phänomen vergleichbar<br />

mit Mundartrock. Wenn eine<br />

Schweizer Band statt Englisch in<br />

Berndeutsch singt, heisst das noch<br />

lange nicht, dass sie nationalistisch<br />

und rückständig ist. Der Filmregisseur<br />

Bryan Little erklärt, vor ein<br />

paar Jahren sei sogar darüber ge-<br />

freitag, 14. Januar, ca. 21.45 uHr,<br />

kino in der reitscHule<br />

sprochen worden, dass die relativ<br />

«junge» Sprache Afrikaans schon<br />

wieder vor dem Aussterben bedroht<br />

sei, doch inzwischen sehe es völlig<br />

anders aus: «Dank Fokofpolisiekar<br />

gibt es heute Hunderte von jungen<br />

Bands, die in Afrikaans einerseits<br />

wunderbare, andererseits aber<br />

auch schreckliche Musik heraus<br />

posaunen... Afrikaans gesungene<br />

Musik ist heute eine Realität in Südafrika,<br />

und ich würde soweit gehen,<br />

zu sagen, dass sie sogar andere<br />

Sparten wie Design, Literatur etc.<br />

beeinflusst. Ich behaupte sogar,<br />

der explosionsartige internationale<br />

Erfolg von Die Antwoord [eine südafrikanische<br />

Fun-Trash-Elektro-<br />

Rap-Gruppe, die im Moment auf der<br />

ganzen Welt durch Clubs tourt] kam<br />

dank Fokofpolisiekar zustande. Ich<br />

weiss, Waddy/The Ninja [Rapper<br />

von Die Antwoord] wird mich umbringen,<br />

wenn ich das jetzt sage,<br />

aber ich frage mich, ob er in diesem<br />

‚White Trash‘ Afrikaans rappen<br />

würde, hätte ihm Fokofpolisiekar<br />

nicht den Weg dazu geebnet.» Und<br />

in Afrikaans singen eben nicht nur<br />

Weisse. Inzwischen ist nämlich nur<br />

noch eine Minderheit von Afrikaans<br />

sprechenden Südafrikanern weiss.<br />

Gerade in der Rap-Szene gibt es<br />

unzählige farbige Rapper, wie zum<br />

Beispiel im Umfeld des Pioneer Unit<br />

Labels (Terror MC, Jaak, Driemanskap),<br />

die entdeckt haben, wie «lekker»<br />

es sich in Afrikaans rappt.<br />

Andererseits ist da der persönliche<br />

Hintergrund, mit dem sich die<br />

Band anlegt.<br />

«Alle diese Anweisungen, die ihr<br />

uns gabt – arbeite, heirate und kriege<br />

Kinder – und leide dann möglicherweise<br />

an Depressionen – jemand<br />

muss fragen, Warum?», singt Fokofpolisiekar.<br />

Schon der Bandname<br />

birgt viel Konfliktpotential und wird<br />

dauernd in den Medien zensiert. In<br />

gewissen Fernsehanstalten werden<br />

sie deshalb einfach «Polisiekar»,<br />

Polizeiauto, genannt. Die grössten<br />

Probleme kriegen sie jedoch bei der<br />

weissen Bevölkerung, wenn sie sich<br />

mit der Religion anlegen. Die grosse<br />

Mehrheit der weissen Bevölkerung<br />

gehört zur niederländischreformierten<br />

Kirche, die traditionell<br />

sehr calvinistisch-konservativ ist.<br />

Ziemlich betrunken schreibt einer<br />

der Musiker einem Fan die Worte<br />

«Fok God» («Ficke Gott») auf das<br />

Portemonnaie. Danach bricht ein<br />

heftiger Sturm der Entrüstung über<br />

die Band herein, der zuweilen mit<br />

harten Worten in der südafrikanischen<br />

Boulevard-Presse ausgetragen<br />

wird. Die Bandmitglieder,<br />

überrascht von der Reaktion, stürzen<br />

in eine tiefe Krise. Sie erhalten<br />

sogar Morddrohungen. Der Film<br />

zeigt auf, dass die Band dann doch<br />

sehr eng in ihrer eigenen Kultur<br />

verwurzelt ist, obwohl sie sich mit<br />

ihren Texten polemisch und provokativ<br />

mit ihr anlegt.<br />

Der Film «Fokofpolisiekar» ist<br />

aber auch einfach ein Rockumentarfilm.<br />

«Das ist das ultimative<br />

Party-Paket: Ganja, Joint, pornografisches<br />

Material, Geld… ein Kondom,<br />

falls jemand Glück hat… und<br />

Freikarten, Fokofpolisiekar-Freikarten<br />

für eine bessere Zukunft»,<br />

erzählt einer der Musiker und zeigt<br />

einen kleinen Aktenkoffer, der die<br />

Band auf ihrer Tour begleitet. Mit<br />

Freikarten werden möglichst viele<br />

Leute an die Konzerte gelockt.<br />

›<br />

sChWErpunkt<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 11


link zu rap in afrikaans:http://norient.com/de/tracks/jaak-afrikaans-hiphop<br />

link zum White<br />

trash Wahnsinn «die<br />

antwoord»: http://<br />

norient.com/de/<br />

blog/dieantwoord<br />

michael spahr ist<br />

mitorganisator des<br />

norient musikfilm<br />

festivals und redaktor<br />

von norient.com.<br />

daneben ist er Inforedaktor<br />

von radio<br />

raBe und freischaffender<br />

künstler und<br />

filmemacher.<br />

sChWErpunkt<br />

12<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

Der Filmregisseur Bryan Little<br />

führt aus: «Sie begannen Monate<br />

bevor sie überhaupt spielten, diese<br />

kleinen Flyer mit einem frischen<br />

Design und diesem verrückten Namen<br />

‚Fokofpolisiekar‘ zu verteilen.<br />

Das schuf eine gewisse Aufregung<br />

in einer Zeit, in welcher niemand<br />

coole Musik mit Texten in Afrikaans<br />

machte. Sie versprachen etwas,<br />

bevor sie überhaupt einen Ton<br />

spielten.» Es funktionierte: Bald<br />

wurde die unbekannte Punkband<br />

zu einer der wichtigsten südafrikanischen<br />

Rockbands überhaupt.<br />

Auch die musikalische Entwicklung<br />

ist im Film nachvollziehbar. Am Anfang<br />

noch einfacher Drei-Gitarren-<br />

Griffe-Punk wird die Musik stets<br />

komplexer, aber auch spannender<br />

und virtuoser. Bryan Little, der Regisseur,<br />

schafft eine sehr starke<br />

Nähe zur Band. Das Porträt ist<br />

sehr ehrlich und direkt. Ein Freund<br />

von ihm hatte viele Videoclips der<br />

Band produziert. Little hatte zuweilen<br />

als Statist mitgespielt oder auf<br />

dem Set mitgeholfen. «Der Zugang<br />

war ziemlich einfach», erzählt er,<br />

«wir kannten die Jungs. Obwohl<br />

sie überrascht waren, fanden sie<br />

die Idee für einen Dokumentarfilm<br />

gut. Ich musste sie allerdings zäh-<br />

men. Wie wilde Tiere musste ich<br />

sie an die Kamera gewöhnen. In<br />

den ersten Tagen hielten wir mit<br />

der Linse eine gewisse Distanz und<br />

hielten sie ihnen nicht gleich vors<br />

Gesicht. Langsam kamen wir ihnen<br />

näher, bis zum Punkt, an dem sie<br />

vergassen, was wir am Tun waren.<br />

Insgesamt filmten wir während drei<br />

Jahren. Zum Glück stand die Produzentin<br />

Filipa Domingues voll hinter<br />

mir und wir konnten einfach weitermachen.<br />

Je länger wir daran arbeiteten,<br />

desto vielschichtiger wurde<br />

die Geschichte. Leute im ganzen<br />

Land unterstützten die Dokumentation,<br />

und ich wollte der Geschichte<br />

wirklich gerecht werden. Also reisten<br />

wir und filmten und machten<br />

verrückte Entscheidungen... ohne<br />

Geld. Fokofpolisiekar als Band ist<br />

heute ziemlich am Ende. Aber die<br />

Geschichte lebt weiter. Ich denke,<br />

an die Idee müssen sie sich noch<br />

gewöhnen, dass ein Film, der von<br />

Aussenstehenden gemacht wurde,<br />

ein grosser Teil des Vermächtnisses<br />

der Band ausmacht.»<br />

Der längste Film am <strong>Norient</strong> Musikfilm<br />

Festival hat etwas Hypnotisierendes.<br />

Am Schluss bleibt das<br />

Gefühl, dabei gewesen zu sein, ohne<br />

je wirklich ein Konzert von Fokofpolisiekar<br />

gesehen zu haben.<br />

> MicHael sPaHr


full metal Village<br />

ein bauerndorf in deutscHland wird<br />

überscHweMMt von «wocHenend-Metallern»!<br />

ein HeiMatfilM von cHo sung-Hyung<br />

(korea/deutscHland)<br />

sarah Chaker, musikwissenschaftlerin<br />

mit einem faible u.a.<br />

für harte rockmusik,<br />

arbeitet derzeit als<br />

universitätsassistentin<br />

am Institut für<br />

musiksoziologie der<br />

universität für musik<br />

und darstellende<br />

kunst Wien.<br />

Wacken – für Freunde harter Gitarrenmusik<br />

ist dieser Ort untrennbar<br />

mit dem Wacken Open Air verbunden,<br />

dem grössten Heavy Metal<br />

Festival der Welt. Seit 1990 findet<br />

es jährlich am ersten Wochenende<br />

im August statt, mehr als 80 000<br />

Menschen besuchten die Veranstaltung<br />

im Jahr 2010.<br />

Wacken – das ist aber auch und<br />

vor allem ein 1800-Seelen-Dorf in<br />

Schleswig-Holstein, hoch oben im<br />

Norden Deutschlands, dort, wo das<br />

Land flach und der Himmel weit ist,<br />

wo das Gras saftig grün hervorspriesst,<br />

die Häuser rot geklinkert<br />

sind und die Rinder schwarz-weisse<br />

Flecken tragen, wo der Wind stürmisch<br />

durch Wald und Wiesen fegt<br />

und durch Dorfstrassen, die auch<br />

am Tag leer und unbelebt erscheinen.<br />

Von den Bewohnerinnen und<br />

Bewohnern des kleinen Örtchens<br />

Wacken handelt dieser Film.<br />

Full Metal Village ist also kein<br />

Musikfilm, keine Heavy Metal-<br />

Dokumentation und auch keine<br />

Making-Off-Produktion des<br />

Wacken-Festivals, sondern ein<br />

«Heimatfilm» – so jedenfalls der<br />

mit einem kleinen Augenzwickern<br />

versehene Untertitel, der dennoch<br />

durchaus programmatischen Charakter<br />

hat. Mit instinktiv-sicherem<br />

Blick für interessante Charaktere<br />

und Geschichten gewährt Regisseurin<br />

Cho Sung-Hyung einen intimen<br />

Einblick in die bäuerliche<br />

Kultur Norddeutschlands nach<br />

der Jahrtausendwende und damit<br />

in eine Welt, die weiten Bevölkerungsschichten<br />

in Deutschland<br />

inzwischen kaum weniger fremd<br />

erscheinen dürfte als so manche<br />

juvenile Subkultur.<br />

Während das Festival lediglich<br />

den Anlass für das Dorfporträt<br />

darstellt, gilt Sung-Hyungs eigentliches<br />

Interesse den Einwohnern<br />

von Wacken – eine kluge Entschei-<br />

saMstag, 15. Januar, 20.00 uHr,<br />

kino in der reitscHule<br />

dung, würde sich doch das Wacken<br />

Open Air als eine inzwischen<br />

hochgradig kommerzialisierte Veranstaltung<br />

für eine authentische<br />

filmische Studie über die Heavy<br />

Metal Szene ohnehin nicht eignen.<br />

Zu gross sind inzwischen die Anteile<br />

an sogenannten «Wochenend-<br />

Metallern», die weniger der Musik<br />

wegen zum Wacken fahren als deshalb,<br />

um sich dort einmal so richtig<br />

gehen lassen zu können. Mittlerweile<br />

als «Ballermann des Nordens»<br />

(SpiegelOnline) verschrien,<br />

haben sich weite Teile der Heavy<br />

Metal Szene längst von diesem Festival<br />

abgewandt.<br />

Was sind das nun für Menschen,<br />

die in Wacken leben? Wie sieht ihr<br />

Alltag aus? Und wie gehen sie mit<br />

der alljährlichen «Invasion» ihres<br />

Zuhauses durch Tausende von Festivalbesucher<br />

um? Da ist zum Beispiel<br />

der geschäftstüchtige Bauer<br />

Trede, der den Veranstaltern des<br />

Open Airs seine Wiesen verpachtet:<br />

Schon morgens checkt er den<br />

aktuellen Stand der Aktien und rät<br />

Männern ab 65 zu mindestens einer<br />

Freundin neben der Ehepartnerin,<br />

um letztere zu «entlasten».<br />

Die 16-jährige Kathrin träumt von<br />

einer Model-Karriere in der Stadt<br />

und freut sich über das Festival<br />

in unmittelbarer Nachbarschaft,<br />

bedeutet es für junge Menschen<br />

wie sie doch eine echte Abwechslung<br />

vom ansonsten eher ereignisarmen<br />

Alltag. Bauer Plähn, den<br />

das Event eher weniger zu interessieren<br />

scheint, erklärt auf rührend<br />

geduldige Art die Unterschiede<br />

zwischen Kühen, Kälbern, Bullen<br />

und Ochsen. Und Oma Irmchen,<br />

die nach wie vor nicht recht weiss,<br />

was von den jährlich in Wacken<br />

einfallenden schwarzen Horden zu<br />

halten ist und deshalb vorsorglich<br />

in dieser Zeit verreist, präsentiert<br />

ebenso stolz wie ehrfürchtig ihre<br />

selbstgezogenen Kartoffeln.<br />

Dem «entschleunigten» Leben<br />

in Wacken und der norddeutschen<br />

Mentalität entsprechend verzichtet<br />

Sung-Hyung in ihrem Film auf<br />

schnelle Schnitte und lässt die<br />

häufig von einer unfreiwilligen Situationskomik<br />

geprägten Sequenzen<br />

in voller Länge auf den Zuschauer<br />

wirken. Genau beobachtend, neugierig<br />

fragend, aber nie wertend<br />

gelingt es der Filmemacherin, das<br />

Vertrauen der interviewten Menschen<br />

zu gewinnen, die sich in<br />

diesem Film so frei und natürlich<br />

äussern, als würde keine Kamera<br />

zwischen ihnen und Sung-Hyung<br />

stehen. Ein tiefsinniger, liebenswerter<br />

Film, und auch wenn der<br />

«Clash der Kulturen», den die Regisseurin<br />

nach eigener Aussage eigentlich<br />

ursprünglich hatte zeigen<br />

wollen, ausbleibt: eine hochinteressante<br />

Studie über kulturell geprägte<br />

Mentalitäten und Identitäten<br />

im heutigen Deutschland – wirklich<br />

sehenswert.<br />

> saraH cHaker <<br />

sChWErpunkt<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 13


saMstag, 15. Januar, 22.00 uHr,<br />

kino in der reitscHule<br />

«we don’t care<br />

about music anyway»<br />

JaPaniscHe Multi-instruMentalist_innen,<br />

laPtoP-Musiker und free-Jazzer sucHen<br />

nacH verbindungen zwiscHen iHren exPeriMentellen<br />

sounds und der JaPaniscHen<br />

konsuMgesellscHaft. ein filM von cédric<br />

duPire, gasPard kuentz und noa garciakisanuki.<br />

paed Conca,<br />

musiker, komponist,<br />

Improvisator und<br />

denkender mensch.<br />

War seit dem Jahr<br />

2000 regelmässig mit<br />

dem Blast4tEt, mit<br />

tsukI, mit praEd,<br />

mit porta Chiusa und<br />

solo in Japan auf<br />

tournee.<br />

sChWErpunkt<br />

14<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

Cédric Dupire, Noa Garcia-Kisanuki<br />

und Gaspard Kuentz realisieren<br />

«We don‘t care about music<br />

anyway...» als eine Mischung aus<br />

Dokumentarfilm und Selbstinszenierung<br />

der im Film portraitieren<br />

experimentellen Musikerinnen<br />

und Musiker aus Japan: Sakamoto<br />

Hiromichi (Cello), Otomo Yoshihide<br />

(Gitarre, Turntables), Takehisa Ken<br />

(Gitarre), Yamakawa Fuyuki (Multi-<br />

Instrumentalist), Numb (Laptop),<br />

Saidrum (Laptop), L?K?O? (Turntables),<br />

Goth-Trad (Selbstgebaute<br />

Instrumente). «We don‘t care<br />

about music anyway...» ist in seiner<br />

Machart angelehnt an den Kultfilm<br />

«Step Across the Border» über<br />

den Musiker Fred Frith, gedreht<br />

von Nicolas Humbert und Werner<br />

Penzel. Die drei Regisseure zeigen<br />

japanische Musikerinnen und Musiker,<br />

die gängige Definitionen in<br />

Frage stellen: Was ist Musik? Was<br />

darf sie sein? Oder: Wie muss Musik<br />

klingen, um als Musik wahrgenommen<br />

zu werden? Der Filmtitel<br />

«We don‘t care about music anyway...»<br />

ist denn auch an diese Diskussionen<br />

angelehnt: Klang steht<br />

im Zentrum. Klang – oder Sound –<br />

soll in seiner endlosen und reichen<br />

Vielfalt erlebbar werden. Musik<br />

besteht aus Klängen. Klang darf<br />

alles. Klang ist alles.<br />

Dieser starke Fokus auf den<br />

Klang ist wunderbar – und leider<br />

oft unüblich. Der Film profitiert<br />

auch von den portraitierten Musikern,<br />

die allesamt wichtige Exponenten<br />

der Musikszene in Japan<br />

sind. Sie decken einen kleinen,<br />

aber äusserst wichtigen Bereich<br />

des Musikschaffens dieses Landes<br />

ab. Sie sind international bekannt<br />

und touren weltweit in ihren jeweils<br />

spezialisierten Nischenszenen.<br />

Das sind beste Voraussetzungen<br />

für einen tollen Dokumentarfilm.<br />

Zwei Fragen bleiben für mich allerdings<br />

offen: Vielleicht überlassen<br />

die Filmemacher den Musikern<br />

zu sehr das Feld, wenn sie sie in<br />

wiederkehrenden Sequenzen an<br />

einem runden Tisch zusammen<br />

diskutieren und philosophieren.<br />

Das ist zwar ein interessanter<br />

Kunstgriff, vielleicht aber wäre die<br />

eine oder andere – durchaus auch<br />

kritische – Rückfrage gut gewesen.<br />

Die Musiker diskutieren darüber,<br />

wie Japan ist und funktioniert. Hier<br />

stellt sich für mich die eigentliche<br />

Frage: Lässt sich Japan so auf eine<br />

Einheit reduzieren? Ich bin selber<br />

als Musiker durch Japan getourt.<br />

Und aus meiner Sicht sind die Unterschiede<br />

zwischen den Städten<br />

Tokio, Osaka und Sapporo genau so<br />

gross wie zwischen Belgrad, Bern<br />

und Paris. Ist es wirklich nötig, den<br />

Mythos des ach so fremden Japan<br />

immer wieder zu bemühen – und<br />

das Land für aussenstehende Zuschauer<br />

so schwer begreifbar darzustellen?<br />

Aus meiner Sicht ist es<br />

nicht so, dass Japan nicht zu verstehen<br />

wäre. Als Ganzes allerdings<br />

ist der Film ein interessantes Ton-<br />

und Zeitdokument. Alleine schon<br />

diesen Künstler_innen bei ihren<br />

Klangtüfteleien zuzuhören und zuzuschauen,<br />

ist wunderbar.<br />

> Paed conca


feldforscHung<br />

zur ethnograPhischen Praxis<br />

im 21. Jahrhundert<br />

Wenn Menschen, Ideen und Güter<br />

über Grenzen hinweg reisen<br />

und interagieren, wird es für die<br />

Sozialanthropologin und den Musikethnologen<br />

immer schwieriger,<br />

soziale Wirklichkeiten an lokalen<br />

Forschungsstandorten empirisch<br />

und wissenschaftlich zu erfassen.<br />

Diese Unsicherheit führt mit dazu,<br />

dass die Legitimation des Sozialanthropologen<br />

über eine andere<br />

Gesellschaft zu sprechen, öfters<br />

in Frage gestellt wird. Die Interaktionen<br />

der Menschen in lokalen<br />

und transnationalen Räumen führt<br />

zu einer stetig wachsenden und<br />

äusserst komplexen Flut an Daten,<br />

die der Forscher alleine kaum<br />

mehr bewältigen kann.<br />

Wir wollen in diesem Teil des<br />

megafon-Schwerpunkts Feld forscherinnen<br />

und Feldforschern auf<br />

die Finger schauen. Die Berner Medienanthropologin<br />

Kathrin Oester<br />

weist in ihrem Artikel auf neuere<br />

Tendenzen in der Medienanthropologie<br />

und der Performance Ethnographie<br />

hin. Frank Wittmann, Autor<br />

des Buches «Medienkultur und<br />

Ethnographie» (Transcript Verlag),<br />

stellt den methodischen Ansatz<br />

der «Multi-Sited Ethnography» vor<br />

und zeigt seine Möglichkeiten und<br />

Grenzen. Schliesslich berichten<br />

Studentinnen, Doktoranden und<br />

Professorinnen in kurzen Anekdoten<br />

über ihre Erfahrungen und<br />

Einsichten im Feld: mal kritisch,<br />

mal traurig, mal skurril. Viel Vergnügen!<br />

> norient <<br />

sChWErpunkt<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 15


MedienantHroPologie Heute<br />

wissen anders Vermitteln –<br />

oder etwas anderes Vermitteln?<br />

kathrin oester ist<br />

sozialanthropologin<br />

und filmemacherin.<br />

sie forscht und lehrt<br />

zu den themen<br />

medienanthropologie,<br />

migration und<br />

Bildung.<br />

sChWErpunkt<br />

16<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

Vermitteln audio-visuelle Dokumente<br />

eine andere Botschaft als<br />

ein Text – oder vermitteln sie die<br />

Botschaft anders? Tatsächlich<br />

spricht die wachsende audio-visuelle<br />

Kommunikation dafür, dass<br />

Bild und Ton die Sinne direkter<br />

ansprechen als ein Text: Statt sich<br />

allein an unsere kognitiven Fähigkeiten<br />

zu wenden, löst etwa das<br />

Bild eines Kriegsverletzten Gefühle<br />

von Mitleid, Angst oder Ekel<br />

aus. Oder das Bild einer einsamen<br />

Landschaft ruft Sehnsucht und Erinnerungen<br />

wach. Allerdings kann<br />

auch die Sprache affektive und poetische<br />

Funktionen übernehmen<br />

und mit bildhaften Metaphern direkt<br />

die Sinne ansprechen. Es ist<br />

also nicht so, dass Sprache allein<br />

unsere kognitiven Fähigkeiten, Bild<br />

und Ton dagegen unsere Sinne ansprechen.<br />

Das Verhältnis von Wort,<br />

Bild und Ton im Wahrnehmungs-<br />

und Erkenntnisprozess ist komplexer:<br />

Um etwas zu erkennen und<br />

einzuordnen, vervollständigen wir<br />

vielmehr rein visuelle Wahrnehmungen<br />

mit Begriffen und rein<br />

verbale Botschaften mit bildhaften<br />

Assoziationen.<br />

Dies wussten Heiler und Schamaninnen<br />

längst vor modernen<br />

Werbefachleuten und setzten in<br />

stark performativen Kulten Wort,<br />

Bild und Ton auf raffinierte Weise<br />

für ihre Ziele ein. Die nepalesischen<br />

Heiler etwa, die wir im Film Schamanen<br />

im Blinden Land (1980) von<br />

Michael Oppitz sehen, arbeiten mit<br />

Musik und Tanz, Liedern und Sprüchen,<br />

Kostümen und Ritualgegenständen<br />

– viele Schamanen setzen<br />

auch Gerüche und psychogene<br />

Substanzen ein. Mit dem Ziel der<br />

Heilung vor Augen, gibt es im schamanistischen<br />

Ritual keine Sinne,<br />

die nicht angesprochen würden.<br />

Und es werden sämtliche medialen<br />

Register gezogen, um die durch die<br />

Krankheit bedrohte Gemeinschaft<br />

wieder zusammen zu schweissen.<br />

Kurz – je raffinierter die Abstimmung<br />

der Ausdrucksmittel und je<br />

besser ihre je spezifische Wirkung<br />

erkannt wird, desto dichter und<br />

wirkungsvoller ist das Ritual.<br />

Seit ihrer Entstehung hatte die<br />

Anthropologie einen privilegierten<br />

Zugang zu diesem Wissen. Doch<br />

hat eine bilderstürmerische Wissenschaft<br />

– entstanden am Ende<br />

des 19. Jahrhunderts – dieses Wissen<br />

lange Zeit brach liegen lassen<br />

und kaum für die eigenen Zwecke<br />

genutzt. Als Teil einer wortfixierten<br />

Wissenschaftskultur – der Philosophie,<br />

der Geschichte, der Sprachwissenschaft<br />

– war es vielmehr<br />

bevorzugtes Ziel einer aufklärerischen<br />

Anthropologie, die Bilder<br />

des Fremden von allem falschen<br />

Schein zu befreien. Die richtigen<br />

Medien dazu waren die Sprache,<br />

das Diagramm oder statistische<br />

Messwerte. Diese Mittel sollten<br />

dazu dienen, fremde Kulturen<br />

hinfort mit nüchternem Blick zu<br />

betrachten und ihre Institutionen<br />

einer logischen Analyse zu unterziehen.<br />

Dabei standen die Abstraktion<br />

und Distanz des Forschenden<br />

zum Gegenstand im Vordergrund<br />

und nicht die Orientierung am vielschichtigen,<br />

sinnlich Konkreten.<br />

Im Zeichen der empirischen<br />

Forschung in der ersten Hälfte<br />

des 20. Jahrhunderts änderte sich<br />

jedoch die Art und Weise, wie anthropologisches<br />

Wissen erworben<br />

wurde. Die Feldforschung entstand<br />

und mit ihr die Überzeugung, dass<br />

nur die teilnehmende Beobachtung,<br />

beruhend auf Erfahrungswissen<br />

und der Nähe zum Gegenstand verlässliches<br />

Wissen über fremde Kulturen<br />

generieren konnte. Eines der<br />

wichtigsten Aufzeichnungsmittel,<br />

um jene Erfahrungen festzuhalten,<br />

war von Beginn weg die Fotografie<br />

und später der ethnografische<br />

Film. Beide Medien dienten dazu,<br />

der fragmentarischen Wahrnehmung<br />

und lückenhaften Erinnerung<br />

der Forschenden Herr zu werden<br />

mit dem Ziel, die wissenschaftliche<br />

Objektivität zu steigern. Dabei galt<br />

es die Dinge so festzuhalten, wie<br />

sie sich im Feld tatsächlich zeigten,<br />

unbeeinflusst von den Verzerrungen<br />

eines voreingenommenen<br />

Wissenschaftlers.<br />

Die Kritik postkolonialer und<br />

feministischer Anthropolog_innen<br />

stellte die Objektivität dokumentarischer<br />

Fotografien und Filme, aber<br />

auch von Texten, ab den 1960er-<br />

und 1970er-Jahren radikal infrage.<br />

Die Repräsentationen des Fremden<br />

erwies sich bei näherem Hinsehen<br />

als gefärbt von kolonialen und patriarchalen<br />

Machtbeziehungen.<br />

Bis heute haben Film und Fotografie<br />

als didaktisches Unterrichtsmittel<br />

eine wichtige Funktion<br />

in Lehre und Museen, – hier geht es<br />

um die Vermittlung einer Botschaft,<br />

also um das Wie. Geht es allerdings<br />

um das Was, also um die Generierung<br />

wissenschaftlicher Erkenntnis<br />

selbst, stossen audio-visuelle<br />

Medien bis heute nur bedingt auf<br />

Akzeptanz. Denn nach wie vor erscheint<br />

die Frage ungelöst, was<br />

sie denn eigentlich vermitteln und<br />

insbesondere, welchen Stellenwert<br />

das Evokative, Imaginative für die<br />

wissenschaftliche Erkenntnis hat.<br />

Kurz, dem bildhaft Anschaulichen<br />

und Imaginativen – so nützlich es<br />

für die Wissensvermittlung ist –<br />

wird im Masse seiner unkontrollierbaren<br />

Effekte die Beteiligung an<br />

der Wissensgenerierung von vielen<br />

abgesprochen.<br />

Ein neuer Zweig der Anthropologie,<br />

die Performance Ethnografie,<br />

nimmt sich genau dieser Frage an.<br />

Ihr geht es allerdings nicht darum,<br />

die alte Botschaft über den Fremden<br />

anders zu vermitteln. Vielmehr<br />

möchte sie – zusammen mit ihren<br />

ForschungspartnerInnen – etwas<br />

Anderes vermitteln. Dabei stehen<br />

nicht die fixen Strukturen einer<br />

fremden Gesellschaft zur Debatte,<br />

sondern die kulturelle Produktion,<br />

wie sie sich zu einem spezifischen<br />

historischen Zeitpunkt manifestiert<br />

– mittels Filmen, Bildern, Texten,<br />

mittels Theater oder Musik – in der<br />

Metaworld oder im Cyberspace.


Wie die Schaman_innen gibt sich<br />

die Performance Ethnografie nicht<br />

damit zufrieden, zu wissen wie etwas<br />

heilt oder wirkt, sie möchte<br />

vielmehr das Wissen selbst wirksam<br />

machen. Und dazu braucht sie alle<br />

Sinne. In dieser Beziehung nähert<br />

sich die neue Medienanthropologie<br />

dem experimentellen Arbeiten der<br />

Naturwissenschaften an: um Wissen<br />

zu generieren, fabriziert sie ein<br />

Modell – mittels Bildern, Begriffen<br />

und Sound. Je vielschichtiger und<br />

multisensorieller das Modell, desto<br />

näher kommt es der Wirklichkeit,<br />

die es nicht nur beschreibt, sondern<br />

selbst mit hervorbringt.<br />

Bereits in den 1950er-Jahren<br />

hatte der bekannte französische<br />

Ethnologe und Filmemacher Jean<br />

Rouch mit Arbeitsmigranten an der<br />

Elfenbeinküste einen Film im Sinne<br />

der Performance Ethnografie realisiert.<br />

Das Team erfand Szenen und<br />

die Migrant_innen kommentierten<br />

ihr Leben vor laufender Kamera mit<br />

dem Effekt, dass durch den Einsatz<br />

szenischer, statt rein dokumentarischer<br />

Mittel, durch Tanz und Musik,<br />

ein solch lebensnahes Bild der<br />

Migration geschaffen wurde, dass<br />

wir den Film «Moi, un noir» (1958)<br />

noch heute mit grossem Erkenntnisgewinn<br />

betrachten können.<br />

Die aktuelle Medienanthropologie<br />

befasst sich also nicht bloss mit<br />

der Analyse des Mediengebrauchs<br />

unterschiedlicher sozialer Gruppen;<br />

und sie lässt sich längst nicht<br />

mehr auf den ethnografischen Film<br />

reduzieren – sei es in der Funktion<br />

von Archivmaterial oder als didaktisches<br />

Mittel. Am zukunftsträchtigsten<br />

dürfte sie gerade da sein,<br />

wo sie mittels eines multisensoriellen<br />

Modells eine andere Botschaft<br />

als der lineare Text vermittelt. Von<br />

der Kunst unterscheidet sie sich<br />

dadurch, dass sie ihr eigenes Vorgehen<br />

– die Modellbildung – für andere<br />

nachvollziehbar und damit der<br />

Kritik zugänglich macht.<br />

> katHrin oester <<br />

vom hörsaal In dIE stauBIgEn strassEn WEstafrIkas<br />

Es muss im 1997 gewesen sein. Ich studierte<br />

an der universität Bern literatur- und<br />

medienwissenschaft und belegte auch einige<br />

sprachwissenschaftliche veranstaltungen. dies<br />

hielt mich jedoch nicht davon ab, mich in eine<br />

diskussion mit einer Ethnologiestudentin zu<br />

verwickeln. Ich warf meiner kommilitonin vor,<br />

dass Ethnologen vorgeben, «das fremde» zu<br />

beschreiben und nicht erkennen wollen, dass<br />

sie nur selbstbeschreibungen liefern. Ich hatte<br />

damals weder eine ahnung von der inspirierenden<br />

Writing-Culture-debatte noch von der<br />

theorie des radikalen konstruktivismus. Im<br />

jugendlichen Eifer wollte ich nur meine geringschätzung<br />

für die Ethnologie zum ausdruck<br />

bringen.<br />

Es gehört zu den schönen Widersprüchlichkeiten<br />

des lebens, dass mich mein akademischer<br />

Weg noch in die Ethnologie führen<br />

sollte. denn im rahmen meines studiums ging<br />

ich – ob zufällig oder nicht sei dahin gestellt<br />

– an die universität dakar in senegal. dieser<br />

auslandaufenthalt sollte zum ausganspunkt<br />

für eine afrikawissenschaftliche Wende meines<br />

weiteren studiums und der anschliessenden<br />

promotion werden. In meinem promotionsprojekt<br />

zu medienkultur und Ethnographie* war<br />

auch eine fallstudie über die senegalesische<br />

medienkultur vorgesehen. Während eines<br />

einjährigen feldforschungsaufenthalts in<br />

senegal probierte ich verschiedene sozialwissenschaftliche<br />

methoden zur datenerhebung<br />

aus und stellte im laufe der zeit fest, dass<br />

ethnographische methoden nicht nur die innovativsten<br />

Ergebnisse hervorbrachten, sondern<br />

auch am spannendsten waren. das, was andere<br />

menschen im hörsaal lernen, musste ich mir<br />

im schweisstreibenden feld aneignen. Ein verdienter<br />

preis für meine frühere hochnäsigkeit.<br />

Was ich während der feldforschung entdeckte,<br />

war die relevanz der Ethnographie in zeiten<br />

der zunehmenden globalisierung. denn je<br />

wichtiger globale zusammenhänge werden,<br />

desto wichtiger ist ein verständnis von lokalen<br />

gegebenheiten. medien und damit auch massenmedien<br />

haben sich als ein unermüdlicher<br />

treiber der globalisierung herausgestellt und<br />

damit ein lange zeit vernachlässigtes thema<br />

wieder vermehrt auf die agenda der Ethnologie<br />

gesetzt. Ethnographische methoden schienen<br />

mir daher von grossem Wert für das verständnis<br />

des medienhandelns von fremden gesellschaften<br />

– gerade in afrikanischen ländern, in<br />

denen sich die schattenseiten der globalisierung<br />

anschaulich betrachten lassen.<br />

Erst später und in zusammenhang mit einem<br />

kleinen forschungsprojekt in Burkina faso<br />

wurde ich auf das konzept der «multi-sited<br />

ethnography» aufmerksam. Bereits 1998<br />

stellte george marcus seinen ansatz vor, die<br />

konventionelle, monographisch orientierte und<br />

an einem festen ort durchgeführte Ethnographie<br />

in eine mobile und kontext-variable<br />

Ethnographie zu überführen, um damit die zirkulation<br />

von symbolen, Ideologien, kulturellen<br />

Bedeutungen, objekten und Identitäten über<br />

zeit und raum zu untersuchen. die «multi-sited<br />

ethnography»hebt die komparative dimension<br />

eines zu untersuchenden phänomens hervor,<br />

dessen konturen und Beziehungen zunächst<br />

noch unbestimmt sind. dieser ansatz fokussiert<br />

den Impact, den die globalisierung auf lokale<br />

räume ausübt. Es geht also darum, ethnographische<br />

forschung an mehreren orten vergleichend<br />

durchzuführen, um globalen prozessen<br />

auf die schliche zu kommen.<br />

Einige Jahre später setzte sich der an der<br />

university of Chicago lehrende haitianische<br />

Ethnologe michel-rolph trouillot kritisch mit<br />

der «multi-sited ethnography»auseinander. Er<br />

war der meinung, dass es nicht um eine schiere<br />

vervielfachung der beobachteten schauplätze<br />

gehen könne, sondern dass der reiz des<br />

konzepts darin liege, sich über die Implikationen<br />

von unterschiedlichen konstruktionen des<br />

« feldes » bewusst zu werden. damit einher<br />

gehe auch unterschiedliche vorstellungen von<br />

feldarbeit und kultur. auch andere Ethnologen<br />

und Ethnologinnen beschäftigten sich mit der<br />

«multi-sited ethnography»und setzten sich für<br />

eine Weiterentwicklung des konzepts ein.<br />

auch wenn sich meine berufliche tätigkeit<br />

seither in eine andere richtung entwickelt<br />

hat und ich heute keine feldforschung mehr<br />

in den staubigen strassen von dakar und<br />

ouagadougou betreibe, fasziniert mich an der<br />

Ethnographie, wie eng praktische feldforschung<br />

und theoretischer diskurs miteinander<br />

verknüpft sind. genau genommen beneide ich<br />

die heutigen Ethnologie-studierenden über die<br />

brandaktuellen themen und diskussionen. Ich<br />

hoffe, dass sie dem, was in der Welt vorgeht<br />

und in den theoriebüchern darüber geschrieben<br />

steht, mehr aufmerksamkeit schenken und<br />

Wertschätzung entgegenbringen als ich es<br />

während meiner zeit im unitobler getan habe.<br />

* frank Wittmann: medienkultur und Ethnographie.<br />

Ein transdisziplinärer ansatz. mit einer feldstudie<br />

zu senegal. Bielefeld: transcript verlag. 1997. 422<br />

seiten.<br />

sChWErpunkt<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 17<br />


Schwerpunkt<br />

18<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

dEr Blog als fEldnotIz<br />

– von sydnEy hutChInson<br />

(domInIkanIsChE rEpuBlIk)<br />

... als ich angekommen war, begann ich sofort zu bloggen.<br />

Ich beschrieb meine Wohnung mit ihrer seltsamen dusche,<br />

meine vermieterin und ihre bizarre theorie über das verhalten<br />

der moskitos, und das fernsehprogramm. Ich lud<br />

Bilder hoch, wollte das ganze illustrieren. alles stand bald<br />

auf meinem Blog: was ich von meinem akkordeon-lehrer<br />

gelernt hatte; die politik des dominikanischen karnevals;<br />

die strapazen wegen der mückenstiche – kurz: alle<br />

hochs und tiefs meines alltags. Ich schrieb und schrieb,<br />

denn bloggen war viel motivierender, als feldnotizen zu<br />

schreiben. Ich schrieb pflichtbewusst – denn ich musste<br />

ja jede Woche etwas posten. schon bald hatte ich eine<br />

gefolgschaft von leserinnen und lesern, ungefähr 200<br />

pro Woche! diese motivierten mich zusätzlich. Einige<br />

kontaktierten mich: zum Beispiel leute, die eine ähnliche<br />

forschung betrieben wie ich – oder dominikanische amerikaner,<br />

die ihre kultur kennenlernen wollten.<br />

meine streifzüge ins Cyber-feld hatten aber noch eine<br />

andere, unerwartete folge. Bald wurde mein Blog auch<br />

in der gemeinschaft bekannt, in der ich forschte. als ich<br />

für meine zweite feldforschung wieder auf der dominikanischen<br />

republik ankam, nahm mich der mann zur<br />

seite, der mich vor einem Jahr in seine karnevalgruppe<br />

aufgenommen hatte. Er umarmte mich und sagte: «Ich<br />

habe deine Webseite gefunden. du schreibst, ich sei dein<br />

mentor! danke, dass du das zu schätzen weisst!» später,<br />

an einem karneval-anlass, kamen zwei freunde auf mich<br />

zu. «fotografier uns in unseren kostümen! und lade die<br />

Bilder auf deine seite!» nach der karneval-saison traf ich<br />

meinen mentor wieder. «Ich bin sauer auf dich», sagte<br />

dieser zu meiner verblüffung. «du hast kein Bild von mir in<br />

meinem neuen kostüm auf deinem Blog!»<br />

sydney hutchinson von der syracuse university, arbeitet zu performance<br />

und gender in der musik der dominikanischen republik.<br />

«untEr uns gEsagt, mEInE lIEBE...»<br />

– von stEphanIE Conn, CapE BrEton (kanada)<br />

mit etwas glück knüpfen wir während unseren feldforschungen<br />

freundschaften – quasi als nebenprodukt. und<br />

das nicht nur wegen, sondern trotz unserer arbeit im<br />

feld. für mich stellte sich immer die frage: Wieweit muss<br />

ich immer forscherin spielen, und wieweit kann ich mich<br />

einfach von meinem herzen leiten lassen. als ich auf der<br />

Insel Cape Breton arbeitete, ging ich mehrmals pro Woche<br />

bei peter vorbei, einem gälischen sänger. peter weiss alles<br />

über die lokale geschichte: die lieder, die geschichten,<br />

die sprache. aber primär ist peter eine wunderbare<br />

person – und eine grossartige gesellschaft. gegen aussen<br />

wirken peter und seine lokale gemeinschaft ziemlich<br />

konservativ, privat aber ist peter sehr offen und direkt.<br />

Wenn er sich zu dir hervorbeugt, dich intensiv anguckt und<br />

sagt: «unter uns gesagt, meine liebe...», so weisst du:<br />

Jetzt kommt was gutes. peter ist 90 Jahre alt und eine<br />

eindrucksvolle Erscheinung. Bei jedem Besuch trägt er ein<br />

frisches hemd, glatt gebügelt.<br />

stephanie Conn, musikethnologin, university of toronto.<br />

BIErIdEE<br />

– von BIrgIt allEnBaCh (BurkIna faso)<br />

In den ersten Wochen meiner feldforschung in koudougou<br />

(Burkina faso) im Jahre 1989 verbrachte ich viel zeit in<br />

der hirsebiertaverne von ariète Bationo und unterhielt<br />

mich mit den gästen oder den mitarbeiterinnen in der<br />

Brauerei. hirsebier ist bei männern und frauen sehr<br />

beliebt, wird aber ausschliesslich von frauen hergestellt<br />

und verkauft. die Brauerei von ariète Bationo entsprach<br />

für mich jenem frauenraum, der für bäuerliche gesellschaften<br />

charakteristisch und eine mögliche grundlage<br />

der macht von frauen ist. mein Interesse für Bier war<br />

für die leute in koudougou gut nachvollziehbar aber nicht<br />

meine faszination für die frauen als produzentinnen und<br />

händlerinnen. Eines tages fragte mich ein freund der<br />

familie von ariète Bationo, ob ich wirklich die Bierbrauerei<br />

erforschen wolle. als ich dies bestätigte, schlug er


die hände über dem kopf zusammen und sagte: «das<br />

ist schwierig! Wenn sie sich in den tavernen aufhalten,<br />

müssen sie mittrinken, sonst werden sie ausgeschlossen<br />

bleiben. und: die frauen werden Ihnen nicht die Wahrheit<br />

sagen, sie wissen, dass solche untersuchungen oft<br />

negative auswirkungen haben». Bei einer Besichtigung<br />

der textilfabrik begrüsste mich ein arbeiter, als ob wir<br />

alte Bekannte wären. Ich fragte ihn, woher wir uns denn<br />

kennen würden. Er antwortete: «hier in koudougou<br />

wissen alle, wer sie sind!» Ich sei doch gekommen, um zu<br />

lernen, wie man hirsebier braue, weil ich das getränk in<br />

meiner heimat industriell herstellen wolle. rückblickend<br />

denke ich manchmal: Warum nur habe ich die Bieridee<br />

nicht umgesetzt? als Industrielle müsste ich heute keine<br />

Brötli mehr verdienen und könnte mich voll und ganz der<br />

ethnologischen forschung hingeben…<br />

Brigit allenbach, dr. phil., arbeitet als lehrbeauftragte am seminar<br />

für sozialanthropologie der universität freiburg/schweiz sowie<br />

an den pädagogischen hochschulen in zürich und Bern. aktuell<br />

erforscht sie Erzählungen über zugehörigkeit von secondos/secondas<br />

aus südosteuropa in der schweiz.<br />

üBEr anErkEnnung<br />

– von marC-antoInE Camp (BrasIlIEn)<br />

der ethnographische alltag ist vielfältig, faszinierend in<br />

der Wahrnehmung des fremden, überraschungsreich bei<br />

der teilnehmenden Beobachtung, gefährlich aufgrund der<br />

beweisenden dokumentationstätigkeit. Im zentrum dieser<br />

tätigkeit steht eine verstehend-kritische anerkennung<br />

fremder kulturen und der austausch mit den lokalen<br />

forschungspartnerinnen und -partnern, für die es meist<br />

unwesentlich ist, ob der Ethnograph ihre lebenswelten<br />

ausgehend von struktur-funktionalistischen gesellschaftsmodellen,<br />

lokalspezifischen Weltbildern oder global<br />

zirkulierenden ästhetischen theoremen beschreibt. für<br />

die menschen, mit denen wir Ethnographen ins gespräch<br />

kommen, sind die Begegnung mit dem fremden forscher<br />

und seiner wunderlichen, geräteabhängigen kulturarbeit<br />

eine ausseralltägliche Erfahrung.<br />

Während meinen feldforschungen im brasilianischen<br />

Bundesstaat minas gerais hat mir die Bevölkerung viel<br />

Interesse und respekt entgegengebracht. ausdruck fand<br />

dies einmal in einem zuckerwürfelgrossen speckstück. Ich<br />

hatte einen ritualsänger in seinem kleinen, alten und daher<br />

schiefen lehmhaus einer streusiedlung abseits eines<br />

abgelegenen dorfes für ein Interview besucht. regen hatte<br />

eingesetzt. die rückkehr ins dorf hatte ein friedvoller<br />

und üblicherweise durchwatbarer, nun aber reissender<br />

fluss verwehrt. Ich erhielt im lichte des herdfeuers ein<br />

mehrschichtiges mahl: reis, Bohnen, gemüse und eine<br />

art pasta, die in der rotfärbung von urucum-samen (der<br />

orleansstrauchfrucht) die Beigabe einer tomatensauche<br />

imitierte. gekrönt wurde dies mit einem stück speck, das<br />

niemand der zugegenen achtköpfigen familie erhalten<br />

hatte. der fleischkonsum in dieser sozioökonomisch<br />

armen region war den feiertagen vorbehalten oder – wie<br />

bei mir – eine auszeichnung. die exzessive rindfleisch-<br />

Esskultur der brasilianischen mittel- und oberschicht<br />

hatte mich allerdings einige Jahre zuvor zum vegetarier<br />

gemacht. Es kostete mich überwindung, die anerkennung<br />

der gastgeber zu schlucken.<br />

marc-antoine Camp, musikethnologe, hochschule luzern – musik<br />

das proBlEm mIt dEn musIk-<br />

InstItutIonEn In kasaChstan<br />

– von mEgan ranCIEr (kasaChstan)<br />

natürlich, wir musikethnologen sollten ein phänomen<br />

objektiv, analytisch und auch relativistisch untersuchen.<br />

das kann ich aber nicht mehr: nachdem ich die x-te kasachische<br />

oper aus der ära der sowjetunion und den x-ten<br />

mit synthesizern aufgemotzten popsong über mich habe<br />

ergehen lassen. der status quo der musik in kasachstan<br />

deprimiert mich einfach bloss noch. die lokalen Experten,<br />

mit denen ich spreche, sind womöglich genauso deprimiert<br />

wie ich. nur beschützen sie das «nationale» Erbe, und all<br />

diese sponsoren, festivals, kompositionen und musiker.<br />

die Entwicklung der musik sei sache der regierung, sagen<br />

viele hier. die leute haben nichts zu sagen, sie können<br />

das kulturelle leben in ihrer stadt weder prägen noch<br />

beeinflussen.<br />

dr. megan rancier, musikethnologie, uCla los angeles.<br />

mEdIEn-EthnographIE<br />

– von matt sakakEEny (nEW orlEans)<br />

Während meiner feldforschung in new orleans produzier<br />

te ich radiosendungen über Brassband-musiker. sie<br />

kämpfen für höhere löhne, bessere institutionelle unterstützung<br />

und mehr respekt für ihre kreative arbeit. Ich<br />

nenne das medien-Ethnographie. viele musikethnologen<br />

kennen die medien-Ethnographie nicht, aber für meine Informanten<br />

ist sie keineswegs sonderbar. die meisten sind<br />

sich den austausch mit reportern vom fernsehen, radio<br />

oder den printmedien gewöhnt. Ich bewege mich<br />

›<br />

sChWErpunkt<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 19


sChWErpunkt<br />

20<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

also gleichzeitig als unabhängiger medienproduzent und<br />

als akademischer forscher. Ich kann so eine rolle einnehmen,<br />

die die musiker akzeptieren – sie nehmen sich ja<br />

schliesslich die zeit, um mit mir zu reden. und mir erlaubt<br />

das, ihnen etwas zurückzugeben: Ich veröffentliche ihre<br />

Botschaft und bezahle damit indirekt für unsere gemeinsamen<br />

anstrengungen.<br />

matt sakakeeny phd kandidat, musikethnologie,<br />

Columbia university.<br />

«dElhI By nIght» –<br />

zWIsChEn frEIhEIt, rausCh<br />

und dEm rohEn lEBEn<br />

– von rohIt JaIn (IndIEn)<br />

02.07 uhr: nach einem Bollywood-streifen im trendigen<br />

vasant vihar nehmen mich eine freundin meines Informanten<br />

und ihr Cousin aus london mit. die stewardess,<br />

weibliche Ikone des neuen, urbanen Indiens, berserkert<br />

mit 80 km/h durch die strassen. Bollywood-sound dröhnt,<br />

das mädchen tankt Whisky soda, «delhi by night» fliegt an<br />

uns vorbei. die stadt pumpt!<br />

02.43 uhr: plötzlich stecken wir im stau des nächtlichen<br />

lastwagenverkehrs und kommen keinen meter mehr weiter.<br />

Wir haben keinen blassen schimmer, wo wir stecken.<br />

das mädchen säuft weiter, schreit noch lauter ins telefon,<br />

raucht, flucht und hupt. der rauch der «gold flakes» vermischt<br />

sich mit dieselgeruch und motorengeheul. mir wird<br />

übel, ich rauche auch und schütte zur Beruhigung Whisky<br />

soda rein. der Cousin grinst.<br />

03.56 uhr: nach zwei stunden Irrfahrt erkenne ich in den<br />

nächtlichen Eingeweiden delhis die leuchtschrift des «national<br />

Institute of desaster management». zuhause!<br />

die Wege in delhi sind roh und unergründlich...<br />

rohit Jain hat für seine dissertation an der uni zürich indische<br />

second@s aus der schweiz auf ihren Wegen durch das urbane,<br />

spirituelle und familiäre Indien begeleitet.<br />

musIkpsyChologIE Im<br />

hoChsIChErhEItstrakt<br />

– von BEn harBErt (los angElEs)<br />

meine vorliebe für genaue transkriptionen und analysen<br />

macht die gespräche mit meinen Informanten nicht gerade<br />

einfach. dem gespräch kaum förderlich ist aber auch,<br />

wenn dir ein unbekannter erzählt, er sei als kind sexuell<br />

missbraucht worden. Ich sitze im blitzblank geputzten und<br />

aufgeräumten musikraum das new folsom staatsgefängnis.<br />

die gitarren, schlagzeuge und Blasinstrumente sind in<br />

einem gitterschranke weggesperrt. Ein altes Jimi-hendrixposter<br />

schmückt die Wand. Bill martin (name geändert) ist<br />

ein zu lebenslanger haft verurteilter mörder. am vorabend<br />

hat mir Jim Carlson, der kunstvermittler des gefängnisses,<br />

die aufnahme von Bills «little Boy Blue» vorgespielt.<br />

das stück handelt von kindsmissbrauch. selbst in der<br />

musik schien das thema mitzuschwingen, irgendwie.<br />

Ich werde Bill nicht fragen, was er genau mit seinem<br />

song aussagen will. Ich hüte mich davor, seinen song<br />

meiner akademischen analyse zu unterziehen. Ich werde<br />

nie vergessen, wie mich ein Insasse in der California<br />

men’s Colony rundheraus anschuldigte: «für dich sind wir<br />

einfach laborratten, oder?».<br />

Ben harbert, assistenzprofessor musik, georgetown university.<br />

vErpasstE ChanCE<br />

– von BrIgIttE BaChmann-gEIsEr (appEnzEll)<br />

Im Juni 1974 wollte ich bei der alpauffahrt nicht einfach<br />

zuschauen, sondern hirten und herde auf der potersalp<br />

am säntis erwarten, um das von weit her vernehmbare<br />

geläute der senntomsschölle aufzunehmen. Im appenzellerland<br />

werden die drei grossen, kostbaren schellen<br />

der vordersten kühe bei ansteigendem Weg zum schutz<br />

vor schaden von zwei männern an einem Jochstecken<br />

getragen. aus diesem unwillkürlichen schellenschütteln<br />

hat sich das schölleschötte als Bordunbegleitung zum<br />

mehrstimmigen naturjodel, eine einzigartige musizierweise,<br />

entwickelt.<br />

am nachmitag vor der alpbestossung nahm mich eine<br />

Bäuerin, die das frühstück für die männer im rucksack<br />

trug, mit. Ich musste ihr aber helfen, die schweine auf<br />

die alp zu treiben. mit dem laster fuhren wir auf der<br />

fahrstrasse so weit als möglich und mussten danach den<br />

aufstieg unter die füsse nehmen. aus den angezeigten anderthalb<br />

Wegstunden wurden drei, weil sich die schweine<br />

im feuchten Waldboden und auf der Weide lustvoll suhlten.<br />

der für schweine übliche lockruf, ein immer gleich hohes<br />

zischen auf sch sch sch, und ein stock bewährte sich.<br />

als wir endlich bei der seit monaten nicht mehr bewohnten


hütte unterhalb eines ansteigenden schneefeldes<br />

angekommen waren, tranken wir heissen tee aus der<br />

thermosflasche und machten uns vor dem Einnachten an<br />

allerlei arbeiten. Ich musste beim Brunnen Wasser holen,<br />

für die männer, die um mitternacht mit treiben beginnen<br />

sollten, fleischplatten richten, den küchentisch für acht<br />

personen decken und die Betten mit eiskalten leintüchern<br />

und kissenanzügen beziehen.<br />

die Bäuerin empfahl mir, in allen kleidern zu schlafen. Weil<br />

auch sie vor lauter kälte keinen schlaf finden konnte, plauderten<br />

wir übers älplerleben, bis es um drei uhr höchste<br />

zeit war, feuer zu machen, Wasser zu kochen, und kaffee<br />

aufzugiessen. mit dem ersten schluck musste ich aber auf<br />

die herannahenden männer warten.<br />

Ich trat in den silbrigen morgen und machte mit klammen<br />

händen das tonbandgerät bereit: der senne. die hirten,<br />

zuhirten und der Bub sollten eigentlich schon da sein.<br />

und plötzlich leuchteten weit unten in einer blumigen Weide<br />

drei rote tupfer auf. hundegebell und ein muhen waren<br />

die ersten geräusche. aber dann erklangen die drei aufeinander<br />

abgestimmten schellen. das leise gebimmel wurde<br />

lauter und lauter und schwoll schliesslich zum vollen ehernen<br />

klang an: männer und vieh waren heil angekommen.<br />

man begrüsste sich, als hätte man sich seit langem nicht<br />

mehr gesehen. die alpgemeinschaft stand zum gradhebe<br />

zusammen. die schellen wurden während des ruggusse<br />

hin- und herbewegt. danach gab jeder jedem die hand und<br />

wünschte einen guten sommer. Ich bediente die männer<br />

bei tisch und durfte mich schliesslich an den resten<br />

erlaben. Weil die kühe nach der alpauffahrt weiden, ohne<br />

gemolken zu werden, suchten die jungen männer die ruhe.<br />

der Bauer blieb in der küche zurück. Beim Blumenpflücken<br />

rund ums haus hörte ich ihn fragen:<br />

«ond?» die Bäuerin antwortete: «s i ischt e gschaffigi, e<br />

fliissigi, aber e reformierti ond erscht no e gstudierti.»<br />

Ich verabschiedete mich und stieg frohgemut, dem<br />

schicksal einer Bergbäuerin an der seite des ledigen<br />

sohnes meiner gastgeber entronnen zu sein, abwärts<br />

nach appenzell.<br />

hon. prof. dr. Brigitte Bachmann-geiser erforscht seit 40 Jahren<br />

die volksmusik der schweiz. am 13. Januar 2011 legt sie die Cd<br />

«heut tanzt der Bär. der sound der Berner fasnacht» vor, zyt<br />

4323, vor.<br />

BlIndE stadt<br />

– von angEla EIsEnmEngEr<br />

Wie beschreibt und erforscht man den klang einer stadt?<br />

Welche methode benutzt man am besten, wenn man der<br />

fragestellung: Wie klingt münchen an bestimmten orten?<br />

nachgehen möchte? da ich mir selbst als datenlieferant<br />

nur hinreichend genügte, beschloss ich, mir menschen als<br />

forschungspartner zu erwählen, die ihre orientierung im<br />

stadtraum besonders auf ihren hörsinn stützen. und wer<br />

könnte hier besser geeignet sein, als Blinde? gerade die<br />

Ergebnisse, aber auch der forschungsprozess öffneten<br />

mir sprichwörtlich auf eine besondere art und Weise die<br />

augen- nämlich indem ich sie schloss und mich auf einen<br />

eigenen Wahrnehmungsstil einliess, der sich von visuellen<br />

Wahrnehmung grundsätzlich unterscheidet und ganz neue<br />

aspekte und wertvolle Erkenntnisse liefern kann. so konnte<br />

ich meine eigene forschungsfrage als Ergebnis meiner<br />

arbeit «Blinde stadt- ein akustisches Bild münchens«,<br />

das im rahmen des zweisemestrigen lernforschungsprojekts<br />

«sounds like munich- vom klang der stadt» im fach<br />

Europäische Ethnologie/ volkskunde an der lmu münchen<br />

stattfand beantworten. schliesst man die augen, entsteht<br />

eine andere Wahrnehmung der umwelt, die gerade für<br />

die stadtplanung und die stadtanthropologie interessante<br />

daten liefern kann.<br />

angela Eisenmenger magisterstudentin der Europäischen Ethnologie/<br />

volkskunde; ludwigs maximilians universität münchen.<br />

sChWErpunkt<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 21


selbstversucH: global rock‘n‘roll<br />

Piss-wellness, schizoPhrene<br />

Punker und alkoholdehydrogenase<br />

Professor lö trösenbeck ist entzückt:<br />

das PrograMM voM diesJÄHrigen norient<br />

MusikfilM festival versPricHt besonders<br />

viel rock und roll. tÄglicH werden<br />

Punk und MetallMusik auf die wunderbare<br />

leinwand des kinos in der reitscHule<br />

ProJiziert. «taqwacore» zeigt die bösen<br />

buben der MusliMiscHen Punk-bewegung in<br />

den u.s. of a., «fokofPolisiekar» die<br />

nicHt Minder bösen buben der südafrikaniscHen<br />

rock-szene und zu guter letzt<br />

treffen in «full Metal village» die<br />

allerbösesten Metall-MÄdels auf bÄuerlicHe<br />

buben. ein grund, feldforscHung<br />

iM globalen rock‘n‘roll zu betreiben.<br />

sChWErpunkt<br />

22<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

Dass Rock‘n‘Roll nicht von der<br />

westlichen Welt gepachtet ist,<br />

musste Lö Trösenbeck schmerzvoll<br />

in der thailändischen Hauptstadt<br />

Bangkok erfahren. Es war<br />

etwa 2000 Grad warm, feucht und<br />

stickig, als Trösenbeck durch die<br />

Gassen der asiatischen Metropole<br />

zog. Er wollte nur eines: Bier. Und<br />

wo fliesst Bier in grossen Bechern<br />

am Besten? Dort wo es die Hauptdroge<br />

des Genres ist: im Rockclub.<br />

Lö Trösenbeck befand sich<br />

in Schwedischer Gesellschaft. Im<br />

hohen Norden wird das Trinken<br />

von Bier mit dreisten Zöllen belegt.<br />

Starköl, wie es dort heisst,<br />

wird in der nordischen Rock-Szene<br />

oft aus preislichen Gründen durch<br />

billiges After Shave ersetzt. Kein<br />

Wunder tönt die erfolgreichste<br />

schwedische Rockband, Europe,<br />

so frisch rasiert. Im Sündenbabel<br />

Ostasiens sass Trösenbeck also<br />

mit zwei dieser rasierwassergeschädigten<br />

Schweden. Sie bestellten<br />

das Bier im Pitcher, in einer<br />

Bierkanne zum Nachschenken<br />

«à discretion». Da sich beim Bestellvorgang<br />

Schweizerisches mit<br />

Schwedischem vermengte, wurde<br />

der Kellner verwirrt und brachte<br />

statt einem Pitcher für drei Männer,<br />

drei Pitcher für einen Mann.<br />

Und da Schweden und Schweizer<br />

in solchen Sachen meist diskret<br />

die Faust im Sack machen und den<br />

Irrtum ignorieren, floss bald liter-<br />

weise Bier in die Schlünde der versammelten<br />

Runde. Auf der Bühne<br />

stand eine thailändische Rockband<br />

und spielte Coverversionen der<br />

Gruppe Nirvana.<br />

Das Bier zeigte bald Wirkung, Lö<br />

Trösenbeck begab sich zur Toilette.<br />

Er stellte sich breitbeinig vor ein<br />

Urinoir, öffnete den Hosenschlitz<br />

und wollte gerade Platz für mehr<br />

Bier schaffen, als er auf einmal etwas<br />

Warmes auf seinen Schultern<br />

spürte. Ein junger Mann hatte sich<br />

hinter ihn gestellt und begann ihm<br />

die Schultern mit einem warmen<br />

Tuch zu massieren. Trösenbeck war<br />

ob solcher unerwarteter Wellness<br />

so schockiert, dass er nicht pinkeln<br />

konnte. Beschämt packte er seinen<br />

Hosenstall zu und schlich mit voller<br />

Blase zurück zu den Schweden.<br />

Der Sänger sang gerade: «A denial,<br />

a denial. A denial, a denial.<br />

A denial, a denial.» Lö Trösenbeck<br />

setzte sich an den Tisch und<br />

bestellte, um das peinliche Erlebnis<br />

zu überspielen, noch drei<br />

weitere Pitcher. Verstohlen und<br />

an einer vollen Blase leidend, beobachtete<br />

er den Wellness-Mann,<br />

der neben der Toilettentüre auf<br />

neue Kundschaft wartete. Niemand<br />

schien in diesem Rockclub das Pissoir<br />

aufzusuchen. Endlich machte<br />

der Mann ein paar Schritte zur Bar<br />

und begann mit dem Barkeeper zu<br />

schwatzen. Schnell sprang Trösenbeck<br />

auf und rannte auf die Toilette.<br />

Mit grosser Erleichterung liess<br />

er es sprudeln. Doch schon stand<br />

der Wellness-Mann wieder hinter<br />

ihm. Der Fluss floss flott weiter<br />

und Trösenbeck konnte sich voll<br />

auf den Genuss der Massage konzentrieren.<br />

Er zahlte dem Masseur<br />

ein grosszügiges Trinkgeld zum<br />

Dank für die Erkenntnis, dass der<br />

«Rock‘n‘Roll Way of Life» fernab<br />

vom Abendland wunderbare Nebenstrassen<br />

gebaut hatte.<br />

Zur Hauptstrasse ist der<br />

Rock‘n‘Roll schon lange in China<br />

geworden. Im Reich der Mitte traf<br />

Lö Trösenbeck zum Beispiel auf<br />

die schizophrenen Punk-Rocker.<br />

Am Samstag stehen sie auf der<br />

Bühne eines rauchigen – ja, in China<br />

stinken die Kleider nach einem<br />

Rockkonzert immer noch nach<br />

Rauch! – Rockclubs und schreien<br />

sich zu heftigen Rhythmen und<br />

quietschenden Gitarren die Lungen<br />

aus dem Leib. Am Mittwoch sitzen<br />

sie mit der akustischen Gitarre in<br />

einer winzigen Bar beim Singer-<br />

Songwriter-Treff und tönen eher<br />

wie Bob Dylan. Offenbar ist China<br />

tatsächlich das neue Land der unbegrenzten<br />

Möglichkeiten. Wenigstens<br />

im Rock‘n‘Roll hat dort die<br />

neue Kulturrevolution schon angefangen.<br />

Eine der schrillsten Strassen<br />

des Rocks befindet sich in<br />

Japan. Alles, was selbst die abgebrühtesten<br />

Rock‘n‘Roller des<br />

Abendlandes nicht zu tun wagen,<br />

ist im Land der aufgehenden Sonne<br />

Alltag. Zum Glück liegt die Reithölle<br />

im Herzen von Bern in der<br />

Anflugsschneise der sich auf Tour<br />

befindenden japanischen Rockmu-


sikanten. Lö Trösenbecks Jugend<br />

wurde durch die Klänge von Gruppen<br />

wie den Boredoms, Zeni Geva,<br />

Melt Banana und Acid Mothers<br />

Temple and the Melting Paraiso<br />

U.F.O verzerrt. So barmherzig laut<br />

verzerrt, dass Trösenbeck seine<br />

Jugend «eine gute Jugend» nennen<br />

würde. Natürlich musste er<br />

eines Tages selber aufbrechen, um<br />

die Ortschaften, wo diese schrecklich<br />

schönen Klänge fabriziert wurden,<br />

zu besuchen. In einem Vorort<br />

von Tokio wurde er fündig. In einer<br />

kleinen Galerie spielte die Gruppe,<br />

die «keinen Namen hatte oder noch<br />

nicht den richtigen Namen gefunden<br />

hatte» hiess, rockigen Bluegrass.<br />

Auch hier floss der goldgelbe<br />

Saft in Strömen. Eine beliebte<br />

Marke heisst Bisu. Alkoholdehydrogenase<br />

heisst das Enzym, das<br />

in der Leber dafür zuständig ist,<br />

dass Alkohol abgebaut wird. Bekanntlich<br />

haben Menschen in Asien<br />

ein paar Alkoholdehydrogenasen<br />

weniger. Die Kombination viel Bisu<br />

und wenig Alkoholdehydrogenasen<br />

schuf alsbald eine psychedelische<br />

Atmosphäre. Auf einmal tauschten<br />

Gäste und Musikanten Instrumente.<br />

Ein gigantisches Zupfen<br />

und betrunkenes Lallen begann.<br />

Lö Trösenbeck schnappte sich so<br />

viele Bisus, bis auch seine Alkoholdehydrogenasen<br />

nicht mehr funktionierten.<br />

In Kürze wurde er mit<br />

einer Art Mini-Vuvuzela ausgestattet<br />

und trötete bald überglücklich<br />

mit. Wie viele, die in Ostasien Zen<br />

und Buddhismus oder Zen-Buddhismus<br />

entdecken, entdeckte Lö<br />

Trösenbeck ebenfalls eine Türe zu<br />

seinem wahren spirituellen Ich: er<br />

wollte ein Rockstar werden.<br />

Zurück aus Japan suchte er<br />

sich eine Band, die ihn als Mini-<br />

Vuvuzela-Spieler in ihren Kreis<br />

aufnehmen würde. Es war einfach,<br />

war doch gerade eine extraterrestrische<br />

Rockgruppe in Bümpliz gelandet.<br />

Die Ausserirdischen nannten<br />

sich Blues Horror Brigade und<br />

behaupteten, sie hätten sich in einer<br />

therapeutischen Musikgruppe<br />

in einer Irrenanstalt am Rande der<br />

Galaxie kennen gelernt. Sie galten<br />

als völlig unheilbar und irren seither<br />

durchs Universum. Lö Trösenbeck<br />

fühlte sich sofort geborgen.<br />

Nun darf er zuweilen mittröten,<br />

wenn die Gruppe durchs Weltall<br />

reist.<br />

Der «Rock‘n‘Roll Way of Life»<br />

hat also nicht nur das Morgenland<br />

erobert, sondern das ganze Universum<br />

und den <strong>Norient</strong>. Höchste Zeit<br />

also, ein paar Rockumentarfilme in<br />

die Hauptstadt im Land der Berge<br />

zu locken.<br />

> lö trösenbeck <<br />

lö trösenbeck ist ein<br />

schreibender satellit<br />

vom megafon und<br />

übersetzt hauptberuflich<br />

die texte<br />

der ausserirdischen<br />

rockgruppe Blues<br />

horror Brigade in<br />

irdische sprachen.<br />

sChWErpunkt<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 23


InnEnland<br />

24<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

nacH der abstiMMung<br />

zur ausscHaffungsinitiative<br />

für reiche – gegen arme<br />

das scHweizer stiMMvolk verabscHiedet<br />

sicH ganz deMokratiscH von den MenscHenrecHten.<br />

falscH! das scHweizer<br />

stiMMvolk MacHt nur das, was «die<br />

scHweiz» scHon iMMer getan Hat.<br />

sie ist für die reicHen und gegen<br />

MenscHenrecHte.<br />

Dies und das entspreche nicht der<br />

humanitären Tradition der Schweiz<br />

oder widerspreche gar «urschweizerischen<br />

Werten» wie Demokratie<br />

und «den Menschenrechten»<br />

sagen manche, wenn ihnen die<br />

Argumente gegen die volksnahe<br />

SVP-Propagandamaschine ausgehen.<br />

Doch was sagen wir jetzt?<br />

Jetzt, wo die Mehrheit der in den<br />

letzten Jahren vor lauter Reichtum<br />

verblödeten und mit akutem Realitätsverlust<br />

geschlagenen Schweizer_innen<br />

glaubt, Schweizer zu<br />

sein, sei nicht etwa unverdientes<br />

Glück, sondern das Resultat von<br />

Fleiss und moralischer Überlegenheit?<br />

Jetzt, wo es in der Verfassung<br />

steht, dass ein Folteropfer an<br />

seine Folterer ausgeliefert werden<br />

muss, wenn es dem hiesigen Gesetz<br />

nicht entsprach.<br />

Es ist schlimm, doch ist es neu?<br />

Gibt es «humanitäre Tradition» der<br />

Schweiz und haben Menschenrechte<br />

hier eine «lange Geschichte»?<br />

Sie haben keine und wenn,<br />

dann nur eine ihrer Verhöhnung<br />

und Unterdrückung.<br />

«Landjegi» hiessen die systematischen<br />

Jagden bewaffneter<br />

Horden von (verhältnismässig) Reichen<br />

auf Arme, Landlose, Fremde<br />

und «Vagabunden» im 16. und 17.<br />

Jahrhundert im Bern- und Züribiet,<br />

in Baselland, Glarus, Zentral-,<br />

West- und Ostschweiz. Die Herren<br />

verkauften die gefangenen Opfer<br />

an die Todesgaleeren von Venedig,<br />

Spanien und Frankeich oder unterhielten<br />

eigene Galeeren auf dem<br />

Vierwaldstätter- und Genfersee.<br />

Wer an die Ruderbank gekettet<br />

wurde, überlebte nicht lange.<br />

Dass Folter in der guten alten<br />

Zeit zum normalen Gerichtsverfah-<br />

ren gehörte, ist bekannt. Weniger<br />

bekannt ist, dass es ein bisschen<br />

rohe Gewalt brauchte, bis die alten<br />

Herren der Schweiz auf ihr<br />

probates Mittel verzichteten. Erst<br />

der recht unhöfliche Auftritt französischer<br />

Truppen ermöglichte<br />

es, dass die helvetische Republik<br />

am 28. Mai 1798 die Folter verbot.<br />

Schon damals: Menschenrechte<br />

mussten von «fremden Richtern»<br />

durchgesetzt werden.<br />

In der Schweiz sind sie Rechte<br />

für die Richtigen und Reichen<br />

– sie gelten heute nicht für «Illegale»<br />

und «Kriminelle», sie galten<br />

damals nicht für «Fahrende». Ab<br />

1926 wurden Kinder von als «Fahrende»<br />

definierten Paaren mit Gewalt<br />

aus ihren Familien gerissen<br />

und in Anstalten, «Heime» und Gefängnisse<br />

gesteckt oder auch als<br />

Sklavenarbeiter_innen an Bauern<br />

verschenkt. Oh nein – es war nicht<br />

etwa ein irregeführter Hilfewillen,<br />

der zu den Verbrechen der «Aktion<br />

Kinder der Langstrasse» geführt<br />

hat. Es war offener Rassismus:<br />

Die Kinder bildeten «einen dunklen<br />

Fleck in unserm auf seine Kulturordnung<br />

so stolzen Schweizerlande...»<br />

sagte damals ein Bundesrat.<br />

Doch frau braucht nicht rassistisch<br />

einem «dunklen Fleck» zugeordnet<br />

zu sein, um bar jeder Rechte in<br />

irgendeinem Loch in diesem Land<br />

zu landen. Zwischen 1942 und 1981<br />

wurden tausende von (oft jungen,<br />

oft weiblichen) Menschen in der<br />

Schweiz «administrativ versorgt»,<br />

sprich ohne Anklage und Urteil<br />

in Anstalten, etwa das Frauengefängnis<br />

Hindelbank, gesteckt. Am<br />

10. September 2010 entschuldigten<br />

sich die Vertreter_innen des<br />

Staates, eine Bundesrätin und ein<br />

Regierungsrat, bei ihren Opfern.<br />

«Landjegi», Folter, die Verschleppung<br />

von Kindern und die<br />

systematische Versenkung von potentiell<br />

rebellischen Jugendlichen<br />

(Frauen) in Gefängnissen sind<br />

nur Blitzlicher auf die Geschichte<br />

der Schweiz. Zur Geschichte<br />

der Schweiz als Land der Herren<br />

gehören ebenso die (auch antisemitisch<br />

motivierte) Kollaboration<br />

mit Hitlerdeutschland oder die gewaltsame<br />

Vertreibung von Armen<br />

in die Emigration nach Amerika.<br />

Oder der Umgang mit den Saisoniers.<br />

Und wer in den 1960er-Jahren<br />

in diesem Land aufgwachsen ist,<br />

kann sich vielleicht noch an das<br />

kleine Holz-Negerli im Eingang der<br />

Kirche erinnern, das nickte, wenn<br />

man ihm ein Zwänzgerli in den<br />

Kopf steckte.<br />

Die Vergangenheit wäre erträglicher<br />

wenn sie nicht so sehr<br />

die Gegenwart wäre. Der Vertreter<br />

der Kantonsregierungen, der<br />

sich diesen September vor den<br />

«administrativ Versorgten» an einer<br />

Veranstaltung im Frauenknast<br />

Hindelbank mit dürren Worten<br />

entschuldigte, heisst Hans Hollenstein.<br />

Das ist der Zürcher Vorsteher<br />

der Sicherheitsdirektion, der dafür<br />

gesorgt hat, dass Sans-Papiers<br />

im Kanton Zürich statt Geld nur<br />

Migros-Gutscheine (8.50 Franken<br />

pro Tag) als «Nothilfe» erhalten.<br />

Der Mann, der dafür sorgt, dass die<br />

Armen verschwinden. Wie gehabt.<br />

> alois HinterfuHren


guItarhEads Wäut<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 25<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 25


InnEnland<br />

26<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

tour de lorraine 11<br />

gemeingüter befreien<br />

bereits zuM elften Mal steigt aM 22.<br />

Januar die tour de lorraine, das grosse<br />

solidaritÄtsfest der ausserParlaMentariscHen<br />

linken in bern. neben den traditionellen<br />

lokalen auf beiden seiten<br />

der lorrainebrücke, beteiligen sicH<br />

verMeHrt aucH kleinere, HalböffentlicHe<br />

rÄuMe in der lorraine und lassen die<br />

tour scHon fast zu eineM winterlicHen<br />

quartierfest werden.<br />

Nur einmal Eintritt bezahlen und<br />

die ganze Nacht in über einem<br />

Dutzend Lokalen Konzerte, Dj‘s,<br />

Filme, Theater und Performances<br />

sehen, das Ganze abgerundet mit<br />

dem traditionellen Katerfrühstück<br />

im Restaurant Sous le Pont; so<br />

funktioniert das Rezept der Tour<br />

de Lorraine. Entstanden ist das<br />

Projekt aus der «Antiglobalisierungsbewegung»<br />

vor mehr als 10<br />

Jahren, als die massiven Proteste<br />

gegen die Treffen der Reichen und<br />

Mächtigen in Davos, Genua und<br />

anderswo für Aufsehen sorgten<br />

und die Bewegung Geld generieren<br />

musste, um die vielen Aktivitäten<br />

zu finanzieren.<br />

Nach dem Abflauen der Protestbewegung<br />

– zurückzuführen auf das<br />

brutale Vorgehen der Polizei gegen<br />

DemonstrantInnen, sowie Spaltungen<br />

innerhalb der Bewegung<br />

– gründeten die OrganisatorInnen<br />

der Tour de Lorraine vor einigen<br />

Jahren einen eigenen Verein, um<br />

die Grundidee der TdL aufrechtzuerhalten.<br />

Die Inhalte und Anliegen<br />

der Bewegung sollen an der Tour<br />

de Lorraine möglichst sichtbar und<br />

erfahrbar gemacht werden, und<br />

der Gewinn wird vollumfänglich an<br />

linke Projekte und Organisationen<br />

gespendet (siehe Kasten). Weil alle<br />

Vereinsmitglieder unentgeltlich ar-<br />

beiten, bleibt trotz den niedrigen<br />

Eintrittspreisen jedes Jahr ein ansehnlicher<br />

Gewinn übrig.<br />

Das Motto der diesjährigen Tour<br />

de Lorraine lautet «Gemeingüter<br />

befreien» und knüpft an das letztjährige<br />

«Alternativen säen» an.<br />

Doch was ist ein Gemeingut und<br />

wieso soll es befreit werden? Solche<br />

Fragen werden an der Tour de<br />

Lorraine im Kino in der Reitschule<br />

und in einer speziell für die TdL geschriebenen<br />

Performance im Tojo<br />

Theater, diskutiert. Aber auch an<br />

den Stammtischen der an der TdL<br />

beteilitgten Beizen soll eine Auseinandersetzung<br />

über Gemeingüter<br />

stattfinden. Zu den Getränken werden<br />

dort Bierdeckel aufgetischt,<br />

auf deren Rückseite Fragen zum<br />

Thema gestellt werden, die von<br />

den Gästen diskutiert und beantwortet<br />

werden können.<br />

renaissance der gemeingüter<br />

Spätestens seit der Verleihung<br />

des Nobelpreises vor zwei Jahren<br />

an Elinor Ostrom, eine amerikanischen<br />

Politikwissenschaftlerin<br />

und Umweltökonomin, die seit<br />

den 1960er-Jahren über Gemeingüter<br />

forscht, kann von einer Renaissance<br />

der Gemeingüter<br />

gesprochen werden. Auch<br />

viele soziale Bewegungen<br />

aus dem Süden und<br />

Norden, die sich für<br />

eine Wirtschaft jenseits<br />

von Markt und<br />

Staat einsetzen,<br />

haben das Thema<br />

in den letzten Jahren<br />

aufgegriffen<br />

und die Diskussion<br />

weiterentwickelt.<br />

Und nicht zuletzt die<br />

Bewegung für freie<br />

Software, welche auf der<br />

«digitalen Allmend» entwickelt<br />

wird und für alle zugänglich ist,<br />

oder Projekte wie Wikipedia, die<br />

freie Wissensplattform, die durch<br />

die NutzerInnen entsteht, machen<br />

die Aktualität und den Nutzen von<br />

Gemeingütern deutlich.<br />

Ihren begrifflichen Ursprung haben<br />

die Gemeingüter –oder englisch<br />

«commons» – in der mittelalterlichen<br />

Allmend, einem für alle<br />

zugänglichen Stück Land einer Gemeinde.<br />

Mit Gemeingut ist mittlerweile<br />

aber nicht mehr nur gemeinsam<br />

genutztes Weideland oder das<br />

Nutzungsrecht für Wald und Wasser<br />

gemeint, ebenso wichtig ist<br />

heute der freie Zugang zu Software<br />

oder zu immateriellen Gütern wie<br />

Wissen oder Kultur.<br />

Ein Gemeingut ist also nicht einfach<br />

ein starres Konzept, nicht<br />

einfach ein Gut, an dem sich alle<br />

bedienen können ohne Auflagen,<br />

ein Gemeingut muss immer auch<br />

gepflegt werden von einer Gemein-


schaft, die das Gut nutzt, sonst besteht<br />

die Gefahr, dass die Quelle<br />

versiegt. Gemeingüter exisitieren<br />

also nur durch die Bindung an Gemeinschaften<br />

und durch kollektives<br />

Handeln. Das ist die Herausforderung<br />

und die Chance, die sich uns<br />

bietet, wenn Gemeingüter gefördert<br />

und genutzt werden.<br />

Gemeingüter bieten die Möglichkeit,<br />

dass das «gute Leben» nicht<br />

auf dem wirtschaftlichen Erfolg<br />

eines Individuums beruht, sondern<br />

dank kollektiv erarbeiteten Errungenschaften<br />

erreicht werden kann.<br />

Wer seine/ihre Grundbedürfnisse<br />

durch den Zugang zu Gemeingütern<br />

befriedigen kann, ist nicht<br />

mehr erpressbar durch die kapitalistische<br />

Wirtschaftslogik und kann<br />

ein freies Leben führen. So kann<br />

dem krisengeschüttelten System<br />

seine ausbeuterische Grundlage<br />

entzogen werden. Bis es so weit<br />

ist, müssen allerdings noch einige<br />

Gemeingüter befreit, erfunden und<br />

entwickelt werden.<br />

> david böHner <<br />

Mehr Infos: www.tourdelorraine.ch oder in der Zeitung antidot<br />

inclu zur TdL, die ab Mitte Januar in den TdL-Lokalen aufliegt<br />

und am 20. Januar der WOZ beiliegen wird.<br />

dIE tour dE lorraInE untErstützt lInkE proJEktE und gruppEn<br />

der verein tour de lorraine verteilt den gewinn der tour de lorraine an linke projekte und organisationen im<br />

In- und ausland. an den vierteljährlichen vorstandssitzungen wird über die eingetroffenen unterstützungsanträge<br />

entschieden. dabei werden in der regel Beträge zwischen einigen hundert bis ca. 5000 franken gesprochen. vorstandsmitglieder<br />

des vereins tour de lorraine sind personen aus folgenden gruppen beteiligt: attac Bern, augenauf<br />

Bern, oeme-kommission der stadt Bern, Brasserie lorraine, restaurant sous le pont.<br />

unErstützungsBEIträgE 2009<br />

• Verein «immerda» (linker Computerserver und<br />

It-projekt)<br />

• Dance Out Moneymania 2009 & Dance Out WEF<br />

• Internationale Konferenz «Das andere Davos 09»<br />

• Velokarawane gegen Gentechversuche<br />

• Radio RaBe - Inforedaktion<br />

• IFIR – International Federation of Iraqi Refugees<br />

• Anti-Folter Kampagne in Guerrero (Bundesstaat in<br />

mexiko), via medico international<br />

• Walal – Schwester, Kultur- und Informationsanlass<br />

zu mädchen- und frauenbeschneidung anlässlich<br />

des internationalen tags gegen gewalt an frauen<br />

• Autonome Schule Denk-Mal<br />

• Attac-Sommeruni<br />

• Antifaschistischer Abendspaziergang 2009 in Bern<br />

• Kampagne gegen die WTO-Ministerkonferenz in<br />

genf vom dezember 09<br />

• Potpourri Anatoilien (Aktivitäten der Gruppe im<br />

rahmen des festivals «50 Jahre quartierverein im<br />

tscharnergut»)<br />

• dafne – das feministische Netz<br />

• Fiche 2.0 – Demo gegen Überwachungsstaat und<br />

dna- fichierung vom 5.12.09 in Bern<br />

• Dokumentarfilm «Amarillo» über Menschenrechtsverletzungen<br />

und vertreibungen in<br />

kolumbien<br />

untErstützungsBEIträgE 2010<br />

• Protestcamp Bleiberecht für alle Bern<br />

• Vision 2035, Veranstaltungsreihe in Biel<br />

• Antifaschistischer Abendspaziergang 2010 in Bern<br />

• Edition Entremonde. Publikationsbeitrag für «Les<br />

autoréductions» von yann Collonges und pierre<br />

georges randal<br />

• Velokarawane gegen Gentechversuche<br />

• Saatgutbörse Longo Maï<br />

• Plakatkampagne der action autonome<br />

• Internetplattform «www.chefduzen.ch»<br />

• Ekta Parishad in Indien, Beitrag für ein Jugendcamp<br />

zur vorbereitung eines grossen protestmarsch im<br />

Jahr 2012<br />

• La Blatt, Anarcho-Zeitung aus Biel<br />

• Vertragslandwirtschaftsprojekt Bern (daraus<br />

hervorgegangen ist der verein soliterre)<br />

• Landwirtschaftsprojekt «Les Pommerats» bei<br />

saignelégier<br />

• Veranstaltungsreihe «Theorie um Tierbefreiung» in<br />

verschiedenen schweizer städten.<br />

• Bildungsprojekt Bats‘il Kop in San Cristòbal de las<br />

Casas, mexiko<br />

InnEnland<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 27


den gurt enger scHnallen<br />

die definition des wahnsinns –<br />

irland in der krise<br />

waHnsinn versteHt sicH in der zwang-<br />

Haften ausfüHrung der iMMer gleicHen,<br />

sicH stÄndig wiederHolenden Handlung,<br />

Mit der erwartung eines neuen resultats:<br />

irland übt sicH zur zeit in dieseM<br />

gedanken. eine weitere rezession,<br />

das HÄrteste budget seit eH und Je<br />

und das einscHreiten des iwf. –<br />

ein stiMMungsbericHt.<br />

IntErnatIonalIstIsChE<br />

28 megafon nr. 351, Januar 2011<br />

Am 27. November 2010 haben<br />

sich etliche Demonstrant_innen<br />

friedlich in der Hautpstadt zusammengefunden.<br />

Der Grund ist<br />

die zunehmende Unzufriedenheit<br />

in der Bevölkerung und auch das<br />

Einschreiten des IWF. Seit dem<br />

Start der Rezession vor ungefähr<br />

zwei Jahren wurde der Gürtel bei<br />

den meisten Bürger_innen bereits<br />

etliche Male enger geschnallt:<br />

Zum Beispiel im Dezember 2009<br />

als das letzte Budget verabschiedet<br />

worden ist, da wurde von heute<br />

auf morgen eine zweiprozentige<br />

Steuererhöhung für alle Steuerzahler_innen<br />

beschlossen und der<br />

Weihnachtsbonus für Arbeitslose<br />

und Pensionierte wurde zwei Wochen<br />

vor Weihnachten gestrichen.<br />

Gleichzeitig wurde die NAMA (National<br />

Asset Management Agency)<br />

gebildet; wie in den meisten europäischen<br />

Staaten kaufte die Regierung<br />

die faulen Kredite der Banken,<br />

welche die Immobilienblase<br />

verursacht hatten. Die irische Bevölkerung<br />

war plötzlich Besitzerin<br />

der grössten Banken des Landes.<br />

Aber es schwieg, die Demonstrationen<br />

beschränkten sich auf ein<br />

paar verloren aussehende Menschenknäuel,<br />

die mit Plakaten<br />

und Transparenten vor Gebäuden<br />

herumstanden. Nicht so ein Jahr<br />

später: Etwa 100 000 Menschen<br />

marschieren an einem kalten Wintertag<br />

durch die Innenstadt, der<br />

Umzug erinnert aber eher an ein<br />

Begräbnis. Im Hinterkopf kommt<br />

der Gedanke auf, es sei «das Begräbnis<br />

der Republik».<br />

Die Unabhängigkeit von Grossbritannien<br />

hat Irland Anfang des<br />

20. Jahrhundert erlangt, im 21.<br />

Jahrhundert hat sie diese wieder<br />

verloren, so sehen zum Beispiel<br />

Intellektuelle aber auch Politiker_<br />

innen der nationalistischen Partei<br />

«Sein Fein» das Einschreiten des<br />

IWF.<br />

wie eng geht es?<br />

enger schnallen bis<br />

die luft ausgeht<br />

Die irische Regierung sieht sich<br />

gezwungen, einen Kredit von 85<br />

Milliarden Euro mit einem Zinssatz<br />

von 5,8 Prozent aufzunehmen<br />

um das Schuldenloch, entstanden<br />

durch die Rettungsaktion für die<br />

Banken, im Staatshaushalt annähernd<br />

stopfen zu könnnen. Diese<br />

5,8 Prozent entsprechen 1/5 des<br />

jährlichen Steuereinkommens.<br />

Weitere Gelder will die Regierung<br />

mit dem härtesten Budget der<br />

irischen Geschichte, das Anfang<br />

Dezember verabschiedet worden<br />

ist, einholen. Der Vierjahresplan<br />

bedeutet, Luft anhalten, wenn man<br />

nicht zur Oberschicht des Landes<br />

gehört. In neo-liberaler Art wird<br />

drastisch gekürzt bei Kinderzulagen,<br />

Arbeitslosengeld, Unterstützung<br />

der Alten und Schwachen,<br />

in Schulen, im Service Public und<br />

mit einer so genannten neuen universellen<br />

Sozialsteuer und einer<br />

Unmenge an weiteren Abgaben<br />

und Steuern. Was an dem Ganzen<br />

sozial sein soll, versteht auch hier<br />

kein Mensch. Wie kommt es, dass<br />

ein Arbeiter mit dem Mindestlohn<br />

von jährlich 17 000 Euro nun pro<br />

Jahr zum Einkommen jährlich etwa<br />

2600 Euro mehr Steuern und Abgaben<br />

bezahlen muss, eine Familie<br />

mit einem Jahreseinkommen von<br />

über 100 000 Euro pro Jahr aber<br />

nur rund 3000 Euro Mehrabgaben<br />

zu berappen hat?<br />

Fragen wie diese beschäftigen<br />

die Republik und die Medien zur<br />

Zeit, Antworten werden aber vergeblich<br />

gesucht. Die Regierung<br />

spricht von einem fairen Entscheid,<br />

von einem Budget, das zwar alle<br />

mehr belastet, jedoch gerecht sei.<br />

Als Konsequenz der miesen<br />

Wirtschaftslage emigrieren immer<br />

mehr junge Menschen wie in<br />

den 1980er-Jahren nach Kanada,<br />

Australien, England – überall<br />

ist besser als in Irland. Sogar das<br />

Äquivalent zu RAV-Berater-innen<br />

zuckt nur noch mit den Schultern<br />

und schiebt Uni-Absolvent_innen<br />

den Antrag für ein Visum unter die<br />

Nase. Irgendwie fühlt man sich wie<br />

auf der Titanic, die gerade den Eisberg<br />

gerammt hat.<br />

demokratie & ignoranz<br />

Das Vertrauen in die Regierung<br />

ist und war auch in der Vergangenheit,<br />

nicht sehr gross bei der<br />

Bevölkerung. Der Taoiseach 1 Brian<br />

Cowen (liebevoll BIFFO «Big<br />

ignorance fat fucker from Offaly»<br />

genannt) wurde in sein Amt nicht<br />

gewählt, sondern übernahm die<br />

Nachfolge von Bertie Ahern, unter<br />

dem er der Finanzminister war.<br />

Beide gehören zur konservativen<br />

Partei «Fianna Fail». Ist er also für<br />

diesen ganzen Schlamassel verantwortlich<br />

zu machen? Antworten<br />

hierzu sind in Tageszeitungen und<br />

auch Politikprogrammen am Fernsehen<br />

schwerlich zu finden. Es finden<br />

sich schnell Widersprüche und<br />

Lügen, es ist nicht einfach, sich<br />

ein umfassendes Bild zu machen.<br />

Sozialer Sprengstoff gibt es in der<br />

politischen Diskussion und im Budget<br />

aber genug; die gut bezahlten<br />

Politiker_innen müssen nicht um<br />

ihren Lohn fürchten. Erstaunlich<br />

in meinen Augen jedoch ist, dass<br />

die Politiker_innen und die Regierenden<br />

die Macht so offensichtlich


missbrauchen, dass es schon fast<br />

weh tut. Wie kann man als Bürger_in<br />

die Regierung noch ernst<br />

nehmen, wenn zum Beispiel die<br />

Gesundheits-Ministerin Mary Harney<br />

mit ihrem Privatjet in die USA<br />

fliegen kann, um sich ihre Nägel<br />

machen zu lassen, die Reise dann<br />

als Spesen abbucht, und selbst,<br />

nachdem dies öffentlich wird, nicht<br />

zur Rechenschaft gezogen wird?<br />

Oder wie kann das Jahresgehalt<br />

Brian Cowens gerechtfertigt werden?<br />

Dieses soll angeblich höher<br />

sein als dasjenige von Barak Obama.<br />

Beispiele wie diese gibt es<br />

haufenweise, und bestärken die<br />

Einstellung vieler Ir_innen, dass<br />

sich die Regierung überhaupt nicht<br />

um das Volk schere.<br />

Politikwissenschaftlerin Elaine<br />

Byrne vom Trinity College in Dublin<br />

spricht gar von einem Demokratieverlust:<br />

Sie argumentiert, dass<br />

man aufhört sich zu kümmern,<br />

wenn Integrität und klare Kommunikation<br />

nicht mehr gegeben ist.<br />

Die Machthabenden schützen sich<br />

zuerst selbst und identifizieren ihr<br />

Interesse mit dem der Öffentlichkeit,<br />

gestützt von der Überzeugung,<br />

dass das Volk zu dumm ist, die<br />

Sachverhalte zu verstehen. Somit<br />

rechtfertigen sich die Entscheide<br />

selbst. Durch diesen Nicht-Transfer<br />

von Informationen sei die Demokratie<br />

gescheitert. Diesen Ge-<br />

danken unterstützend, hat sich die<br />

Ministerin für Tourismus von der<br />

Partei «Finna Fail» in einer Fernsehdebatte<br />

geäussert, dass das<br />

Einschreiten des IMF und deren<br />

Vorteil zu kompliziert sei, um vom<br />

Volk verstanden zu werden, solche<br />

Entscheide sollen von Leuten mit<br />

den richtigen Kompetenzen gefällt<br />

werden. Eine solche Politik der<br />

Bevormundung stösst vielen auf.<br />

Wie ein Gewerkschaftsmitarbeiter<br />

treffend formulierte: «It is a situation<br />

of mind over matter. They don‘t<br />

mind and we don‘t matter.»<br />

der Postkoloniale kater<br />

Irland ist jedoch nicht das einzige<br />

Land, welches zur Zeit mit Herausforderungen<br />

kämpft; Portugal,<br />

Griechenland und wer weiss wer<br />

noch, wird folgen. Einsparungen<br />

und Kürzungen werden überall<br />

gemacht, «Rezession» wurde zum<br />

Trendwort. Anders die Reaktion der<br />

Ir_innen und der Regierung. Ich ertappe<br />

mich manchmal dabei, wie<br />

ich durch die Stadt gehe und, nach<br />

Zeichen der Wut, der Frustration<br />

oder des sich-kümmerns suche.<br />

Die meisten Europäer_innen des<br />

Kontinents finden es befremdend,<br />

dass nur schwache Reaktionen<br />

der Ir_innen zu verspüren sind, es<br />

scheint als gehe für sie das Leben<br />

weiter – Kopf runter und warten<br />

bis es vorbei ist. Wenn die Banlieus<br />

von Paris brennen oder in Athen<br />

von Anarchismus gesprochen wird,<br />

gehen hier alle lieber ins Pub oder<br />

schauen die Fernsehtalentshow<br />

The X-Factor.<br />

Die Demo nach der Verabschiedung<br />

des Budget mobilisierte ein<br />

paar hundert Student_innen, welche<br />

auf alte Töpfe einschlugen.<br />

Ist der Inselstaat bereits in einem<br />

Status der Apathie? Rezession und<br />

Armut ist nichts Neues, bereits<br />

in den 1980ern war Irland als das<br />

Armenhaus von Europa bekannt.<br />

Sekundarschulabsolventen blieb<br />

damals oftmals nur das Arbeitslosengeld<br />

als Einkommensquelle,<br />

wenn überhaupt. Wiederholt sich<br />

die Geschichte? Oder wird es Irland<br />

schaffen, sich durch die Krise neu<br />

zu definieren wie es Elaine Byrne<br />

hofft: Jetzt sei die Zeit der Veränderung<br />

und der Ablösung, die Chance<br />

einer eigenen, unabhängigen Identität.<br />

In der Zwischenzeit geniesse ich<br />

die unschlagbare irische Offenheit,<br />

Freundlichkeit und Sinn für Humor:<br />

Hoffen wir das Beste.<br />

> seraina vogel <<br />

1 der taoiseach ist<br />

das höchste amt der<br />

regierenden partei,<br />

er und seine partei<br />

entscheiden die<br />

regierungsangelegenheiten.<br />

IntErnatIonalIstIsChE<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 29


offensiVes wohnen?<br />

die rubrik «scHöner woHnen» stellt ab<br />

Januar Jeden Monat eine woHnforM vor,<br />

die sicH ausserHalb der norM der 2-3-4…<br />

ziMMerwoHnungen und einfaMilienHÄuser<br />

Positioniert. docH was ist woHnen über-<br />

HauPt. eine einleitung von P.M.<br />

vgl.<br />

neustartschweiz.ch<br />

sChönEr WohnEn<br />

30<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

«Wohnen» gibt es erst seit etwa<br />

200 Jahren, als eine grosse Zahl<br />

von Fabrikarbeiter_innen zwischen<br />

Arbeitseinsätzen möglichst effizient<br />

gelagert werden musste. Anfangs<br />

waren das Schlafsäle in der<br />

Fabrik selbst (wie zum Beispiel in<br />

der Spinnerei Hard in Winterthur),<br />

dann «Mietskasernen» oder Arbeitersiedlungen<br />

möglichst nahe am<br />

Arbeitsplatz. Mit der Intensivierung<br />

der Arbeit und der dadurch<br />

bedingten Aufwertung des Humankapitals<br />

wurde die Lagerung<br />

und Erholung der Lohnarbeiter_<br />

innen immer wichtiger. Der grosse<br />

Wendepunkt war die Erfindung der<br />

Gartenstadt ( Howard 1902, Unwin<br />

1903, Le Corbusier 1926), die möglichst<br />

weit weg vom Arbeitsplatz,<br />

im Grüngürtel der Städte, eine Art<br />

Gegenwelt zur garstigen Arbeitswelt<br />

bilden und die Arbeiter_innen<br />

sowohl regenerieren als auch mit<br />

kompensatorischem Komfort belohnen<br />

und ablenken sollte. Zugleich<br />

wurde damit die Kommunikation<br />

unter den Arbeiter_innen<br />

behindert und konnten revolutionäre<br />

Situationen (Aufstand im<br />

Schlafsaal!) vermieden werden.<br />

Diese Art von Wohnen – in Reihenhäuschen<br />

in der Agglo, in mehr oder<br />

weniger schönen Blöcken, in Suburbs<br />

à la Lewittown (USA) – ist eng<br />

mit der Konsumgesellschaft, dem<br />

Fordo-Sozialdemokratismus und<br />

dem Automobilismus verwoben.<br />

Seit den 1990er-Jahren des<br />

letzten Jahrhunderts hat sich der<br />

Arbeitsdruck noch einmal erhöht,<br />

vor allem die nervliche Belastung<br />

hat zugenommen; Phänomene wie<br />

Burnout, Depressionen, Selbstmorde,<br />

aber auch Existenzängste<br />

wegen der zunehmenden Preka-<br />

scHöner woHnen – die neue rubrik<br />

risierung, prägen diese Periode.<br />

Die Abspaltung der Arbeitswelt von<br />

der Konsumwelt hat in dieser Zeit<br />

sowohl geographisch (weg damit<br />

nach China) als auch kulturell extreme<br />

Formen angenommen. Ein<br />

gutes Beispiel ist der S-Bahnraum<br />

Zürich, wo Arbeits- Vergnügungs-<br />

und Wohnzonen sich weitgehend<br />

entflochten haben (mit Ausnahme<br />

von Zürich West, wo die Arbeitszone<br />

am Wochenende zu einer grossen<br />

Partyzone wird, mit völlig verschiedenem<br />

Personal).<br />

Die Funktion des Wohnens als<br />

Flucht- und Gegenwelt zur Arbeitswelt<br />

macht jegliche Vorstellungen<br />

von kommunikativem, interaktivem<br />

oder gar kooperativem Wohnen<br />

illusorisch. Wohnen wird heute<br />

gebraucht zur Wiederherstellung<br />

der Arbeitskraft, zur Entspannung,<br />

zur Beziehungspflege, für Meditation,<br />

Yoga, Kochen, Kultur, Sport,<br />

Wellness usw. Dazu kommen noch<br />

familiäre Pflichten, wie Kindererziehung,<br />

Verwandtenbesuche,<br />

Paartherapien – alles muss noch<br />

hineingequetscht werden. Die Lage<br />

der Wohnung ist so gewählt, dass<br />

sie in einem vernünftigen Schwerpunkt<br />

von Arbeit, Einkaufen, Erholen<br />

liegt. Die Wohnung selbst soll<br />

vor allem isolieren, von Nachbar_<br />

innen, von Lärm, Gerüchen, unerwünschten<br />

Kontakten aller Art.<br />

Wer auch noch dort wohnt, ist egal,<br />

solange es nicht stört. Der private<br />

Aussenraum ist immer wichtiger<br />

geworden: ein grosser Balkon soll<br />

einen Zugang zur Natur bieten<br />

ohne für Nachbar_innen einsehbar<br />

zu sein. All diese Anforderungen an<br />

die erweiterte Reproduktionszone<br />

«Wohnen» haben zu einem immensen<br />

Flächenbedarf geführt – er ist<br />

in Zürich von 20 m2/Person in den<br />

fünfziger Jahren auf 52,1 m2 (2008)<br />

gestiegen. Der «Wohnpanzer» um<br />

das erschöpfte, entnervte und nicht<br />

mehr ansprechbare Arbeitssubjekt<br />

herum ist immer dicker geworden.<br />

Zugleich ist der Energie- und Ressourcenbedarf<br />

explodiert – von der<br />

2000-Watt-Gesellschaft der fünfziger<br />

Jahre zu einer 6000-Watt (oder<br />

9000-Watt, wenn man die graue<br />

Energie einrechnet) Gesellschaft.<br />

Das «Grüne» ist zersiedelt worden<br />

vom «Wohnen in Grünen» zu einem<br />

«Wohnen im Graugrünen».<br />

Das Wohnen ist heute eine defensive<br />

Zone; die Rechten fordern<br />

mehr Eigentumswohnungen, die<br />

Linken mehr günstige Mietwohnungen.<br />

Beide sehen das Wohnen<br />

nur komplementär zu einer Arbeitswelt,<br />

wo gerade die neuste<br />

globalisierte ökonomische Offensive<br />

ausgefochten wird.<br />

Doch beides geht nicht mehr<br />

lange gut: die Globalisierung ist<br />

in Krise, unsere Lebensweise (inklusive<br />

Wohnen) ist nicht haltbar,<br />

weder ökologisch und sozial, noch<br />

nervlich. Wir müssen da raus.<br />

wo findet der<br />

ausbruch statt?<br />

Wie gesagt: Die Vorstellung von<br />

kooperativen Nachbarschaften, wo<br />

Bewohner_innen gemeinsam die<br />

Lebensmittelversorgung, ein Restaurant,<br />

Kinderkrippen, Billardsalons,<br />

Badeanlagen, Tauschzentren,<br />

usw. betreiben, Dachgärten,<br />

Spielplätze, Aussenräume, pflegen,<br />

ist äusserst schwierig.<br />

Wir haben praktisch keine<br />

Chance gegen Arbeit, Familie,<br />

Gesundheitspflege, usw. Ein heil


samer Ausbruch aus der weltweiten<br />

Selbstbehinderungs-Gesellschaft<br />

muss daher sowohl in der Arbeits-<br />

wie in der Wohnwelt geschehen.<br />

In der Wohnwelt haben wir keine<br />

Chance – höchstens vielleicht<br />

20 Minuten pro Tag, zwischen dem<br />

Nachhausekommen und dem Verschwinden<br />

in der Selbstheilungszelle<br />

namens Wohnung. Mit diesen<br />

20 Minuten lässt sich etwas anfangen:<br />

vielleicht ein Lebensmitteldepot<br />

mit Direktbelieferung, vielleicht<br />

eine kleine Bar, vielleicht ein Mittagstisch<br />

oder gemeinsames Kochen<br />

am Abend, vielleicht mal ein<br />

DVD-Abend. Kommunikationskerne<br />

im defensiven Umfeld können Kooperations-<br />

und Ausbruchschancen<br />

bieten. Vielleicht haben sie sogar<br />

Rückwirkungen auf die Arbeitssituation:<br />

Nachbar_innen sind vielleicht<br />

in ähnlichen Situationen, sie sind<br />

vielleicht Gewerkschaftsmitglieder,<br />

vielleicht sogar Anwälte, vielleicht<br />

kennen sie Politiker_innen.<br />

Offensives Wohnen heisst also<br />

(für die meisten Wohnenden): aus<br />

20 Minuten etwas machen.<br />

Was, wie und wo kann nur im<br />

Einzelfall entschieden werden. Wir<br />

sind alle schon am richtigen Ort:<br />

Wir «wohnen» dort.<br />

> P.M.<<br />

ab februar stellen wir monatlich ein Wohnprojekt<br />

vor. soll deines dabei sein? dann<br />

melde dich bei megafon@reitschule.ch<br />

sChönEr WohnEn<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 31


kultur Et all<br />

32<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

bucHtiPP Januar 2011<br />

konzePtion der grausamkeit<br />

antonin artaud war ein französiscHer<br />

scHriftsteller, scHausPieler und büHnentHeoretiker.<br />

Mit seineM tHeater der<br />

grausaMkeit beeinflusste er die entwicklung<br />

des Modernen tHeaters entscHeidend.<br />

der kunstscHaffende JoHannes<br />

l. lÄdt aM 29. Januar 2011 ab 18 uHr<br />

zur vernissage in den kulturHof scHloss<br />

köniz ein zu seiner ersten ausstellung<br />

zu uMsetzungen der ideen- und bilderwelt<br />

anton artauds.<br />

grausamkeit als selbstentblössungsprozess<br />

und rückführung<br />

zu den quellen der konflikte:<br />

Johannes, was ist die<br />

bedeutung der grausamkeit?<br />

Johannes: Die Konzeption der<br />

Grausamkeit lässt sich bei Artaud<br />

nicht auf die gängige Vorstellung<br />

des Grausamen zurückführen, wie<br />

man sie etwa bei Marquis de Sade<br />

oder beim Nationalsozialismus vor<br />

Augen hat. Artaud entwickelt eine<br />

Theorie der Grausamkeit, um als<br />

Opfer zu überleben. Als Artaud aufgrund<br />

seinen Opiumkonsums fast<br />

zehn Jahre in die Psychiatrie gesteckt<br />

und dort mit Elektroschocks<br />

bis zur Unkenntlichkeit malträtiert<br />

wird, beginnt Artaud Briefe<br />

zu schreiben, die er mit glühenden<br />

Zigaretten durchlöchert. Für mich<br />

sind diese Briefe Artauds eine Art<br />

Flaschenpost, welche die gesamte<br />

grausame Intensität der Kulturgeschichte<br />

verkörpern. Der Artaud-<br />

Interpret Deleuze meinte, dass<br />

der Körper keine Organe, sondern<br />

bloss aus Fleisch und Nerven beschaffenen<br />

Ebenen in sich trüge.<br />

Genau diese Ebenen wurden bei<br />

Artaud mit Elektroschocks durchlöchert.<br />

Ähnlich wie bei Franziskus,<br />

der von einer äusseren Macht stigmatisiert<br />

wurde, ist auch Artaud<br />

zu einem durchlöcherten Körper<br />

gemacht worden. Im Gegensatz<br />

zu Franziskus wurde Artaud aber<br />

nie von der Katholischen Kirche<br />

heilig gesprochen. Und selbst die<br />

allgemeine Kulturgeschichte der<br />

Geisteswissenschaften anerkennt<br />

Artaud nicht als Figur, die wie zum<br />

Beispiel Kant oder Max Weber zi-<br />

tiert werden darf. Fällt der Name<br />

Artaud, lachen alle. Dieses Lachen<br />

verkörpert nichts Humorvolles,<br />

sondern eine Grausamkeit, die<br />

Artaud zugrunde gerichtet hat. Artauds<br />

letzte Bitte «Schluss mit dem<br />

Gericht» und sein gesamtes Werk<br />

beschwören ein Lachen, eine Lust<br />

ohne Marter, Sadismus, Gericht,<br />

etc. herauf. Solange das Lachen<br />

aber grausame Züge trägt, bleiben<br />

Artauds durchlöcherten Klagebriefe<br />

aktuell.<br />

wie hast du die konzep tion<br />

von grausamkeit in deinem<br />

werk umgesetzt?<br />

Artauds durchlöcherte Briefe<br />

sind Kulturdokumente der Grausamkeit,<br />

die er ja in der Zeit<br />

«schrieb», in der er mit Elektroschocks<br />

malträtiert wurde. Durchlöchert<br />

hat Artaud seine Briefe mit<br />

glühenden Zigaretten. Zwar greife<br />

ich nicht zur glühenden Zigarette,<br />

wenn ich Bilder produziere, ein<br />

Feuerzeug reicht für mich aus.<br />

Während der Gestaltung ist es für<br />

mich aber sehr wichtig, nicht die<br />

vor mir liegende Skizze zu verbrennen<br />

oder zu durchlöchern.<br />

Deshalb stecke ich die Zeichnung<br />

in eine Schutzfolie, beziehungsweise<br />

in eine Laminierfolie. In der<br />

Laminierfolie ist die Zeichnung<br />

abgeschirmt vor dem Feuer. Nun<br />

beginnt die Malphase mit dem Feuerzeug.<br />

Auf die Laminierfolie klebe<br />

ich durchsichtiges Klebeband und<br />

verbrenne dieses manchmal leicht,<br />

manchmal stark. Hinzu kommt nun<br />

die weisse Ölfarbe, die ich mit der<br />

Asche auf der Laminierfolie vermische<br />

und dadurch eine hell-dunkel<br />

Wirkung auf der Laminierfolie erreichen<br />

kann. Manchmal ziehe ich<br />

die Konturen der Zeichnung in der<br />

Laminierfolie mit Ölkreide nach.<br />

Die Motive der Bilder, die ich produziere,<br />

stehen meistens im Kontext<br />

der Geschichte. Ein wichtiges<br />

Motiv, das ich gewählt habe, hat<br />

mit dem Spanischen Bürgerkrieg<br />

zu tun. Die Anarchist_innen hatten<br />

surrealistische Künstler_innen<br />

angefragt, ob sie Motive schaffen<br />

könnten, mit denen man Gefangene<br />

foltern könnten. Für mich sind<br />

nicht die Anarchist_innen im Spanischen<br />

Bürgerkrieg die eigentlichen<br />

Bösen, die mit Kunst Menschen<br />

gefoltert haben. Vielmehr<br />

sind für mich die Surrealist_innen<br />

grausam. Artaud war der erste, der<br />

in den 1920er-Jahren vom surrealistischen<br />

Kollektiv André Bretons<br />

ausgeschlossen wurde.<br />

Betrachtet man die Motive der<br />

Surrealisten nicht träumerisch,<br />

sondern realistisch, dann sehen<br />

wir, dass wir es hier mit Tätern zu<br />

tun haben, die nicht zufällig Artaud<br />

ausschlossen und später nach<br />

dem Zweiten Weltkriege auch Bilder<br />

von Francis Bacon ablehnten.<br />

Aus diesen Gründen habe ich beispielsweise<br />

ein surrealistisches<br />

Motiv aus dem Film «Der andalusische<br />

Hund» für ein Bild gewählt,<br />

welches ich dann neu in Szene zu<br />

bringen versuchte. In der Grossaufnahme<br />

wird einer Frau mit einer<br />

Rasierklinge ein Auge aufgeschlitzt.<br />

Diese Szene malte ich, um<br />

die reale Grausamkeit der Surrealisten<br />

im Dienste der Folter während<br />

dem Spanischen Bürgerkrieg<br />

vor Augen zu haben. Es ist für mich<br />

zudem auch ein Anklagebild gegen<br />

die gesamte Moderne, die Artaud<br />

mit Elektroschock malträtierte und<br />

die in Auschwitz ihr Urbild fand.


welche aussagen kannst du<br />

zu artauds definition der<br />

«mythen des modernen menschen<br />

und des modernen lebens»<br />

machen?<br />

Schwierige Frage. Arthur Rimbaud<br />

hat einmal gesagt, dass der<br />

Mensch möglichst modern sein<br />

soll. Zur Zeit Rimbauds war diese<br />

Aussage mehr als berechtigt.<br />

Heute wäre es aber cool, wenn<br />

wir möglichst postmodern werden<br />

könnten. Obwohl Artaud in der<br />

Moderne lebte, verkörpert er die<br />

Postmoderne. Stefan Zweifel hat<br />

darauf aufmerksam gemacht, dass<br />

der Name ARThur rimbAUD den<br />

Namen ARTAUD in sich trägt. Vielleicht<br />

war bereits ARThur rimbAUD<br />

eine postmoderne Person. Auf alle<br />

Fälle sind ARThur rimbAUD und<br />

ARTAUD selbst zu postmodernen<br />

Mythen geworden. Was diese Mythen<br />

jedoch auszeichnen, ist ihre<br />

Entstehung in einer realen Welt.<br />

> sat <<br />

lektüretipps zu antonin artaud?<br />

«van gogh, der selbstmörder durch die<br />

gesellschaft» artaud schrieb dieses Werk<br />

kurz vor seinem selbstmord.<br />

alle zitate vom artaud-Interpreten gilles<br />

deleuze.<br />

PrograMM seiten<br />

kino 1-3<br />

dacHstock 4-6<br />

rössli 7-8<br />

sous le Pont 8<br />

toJo tHeater 9-11<br />

frauenrauM 12<br />

kultur Et all<br />

megafon nr. 351, Januar 2011 33


abschnitt<br />

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />

KINO<br />

PROGRAMM<br />

megafon 10.12<br />

ein paar wenige sind beim Festival mit eingebunden.<br />

Ein liebevoller «Clash der innereuropäischen Kulturen»,<br />

dokumentiert aus der Sicht einer Koreanerin. Der Dokumentarfilm<br />

trägt den Untertitel «Heimatfilm» – nicht zu<br />

Unrecht.<br />

«Man muss dem Geld entgegen gehen und ihm nicht<br />

hinterher rennen».<br />

> Bauer Trede im Film «Full Metal Village»<br />

Freitag, 14. Januar, 20.00 uhr<br />

WhoSe iS thiS Song?<br />

Kinderfilm am flohmi<br />

Sonntag, 2. Januar, 13.30 uhr<br />

michel in der SuppenSchüSSel<br />

Kinderfilm am flohmi<br />

Sonntag, 2. Januar, 13.30 uhr<br />

michel in der SuppenSchüSSel<br />

olle hellborn, Schweden/deutSchland 1971,<br />

95 Min, 35MM, d<br />

adela PeeVa, bulgarien 2003, 70 Min., OV/e<br />

in anweSenHeit der regiSSeurin<br />

Die Filmemacherin Adela Peeva wundert sich: Woher<br />

stammt diese Melodie, die ihr schon als Kind so gefallen<br />

hat? Sie reist durch die Türkei, Griechenland, Mazedonien,<br />

Albanien, Bosnien, Serbien und Bulgarien und<br />

fragt nach. Überall behaupten die Menschen: «Dieses<br />

Lied stammt von uns!» Ein sehr bewegender und auch<br />

tragischer Film über die starke Bedeutung von Musik und<br />

Identität in sozialen und politischen Kontexten. Der Film<br />

entstand bereits 2003, hat aber von seiner Aktualität und<br />

Brisanz nichts eingebüsst.<br />

«Wer hat’s erfunden?» Die Frage, die bei uns im Zusammenhang<br />

mit Werbung für ein Schweizer Kräuterbonbon<br />

bekannt geworden ist, ist auf dem Balkan nicht bloss<br />

ein witziger Werbegag, sondern eine zentrale Frage der<br />

nationalen und persönlichen Identität, die in zahlreichen<br />

Alltagsgesprächen immer wieder diskutiert wird. Die<br />

eigene Identität scheint zentral mit der Frage von Herkunft<br />

und Ursprung kultureller Erscheinungen und dem<br />

Nachweis des jeweils hohen Alters der eigenen Kultur<br />

verknüpft zu sein.<br />

> Dieter Ringli, Musikethnologe,<br />

über «Whose is this Song?»<br />

uncut-Warme filme<br />

dienStag, 11. Januar, 20.30 uhr<br />

daKan √ SchicKSal<br />

MohaMed caMara, guinea 1997, 89‘, ov/d,<br />

2. norient muSiKfilm feStival<br />

donnerStag, 13. Januar, 20.00 uhr<br />

muezzin<br />

SebaStian braMeShuber, türkei/ÖSterreich 2009,<br />

85 Min., ov/d<br />

Schweizer PreMiere, in anweSenheit deS regiSSeurS<br />

WE DON'T CARE ABOUT MUSIC ANYWAY...<br />

SamStag, 15. Januar, ca. 22.00 uhr<br />

We don't care aBout muSic<br />

anyWay...<br />

Olle HellbOrn, ScHweden/deutScHland 1971,<br />

95 Min, 35MM, d<br />

Der kleine Michel Svennson lebt mit seiner Familie auf<br />

einem Bauernhof im schwedischen Dörfchen Lönneberga.<br />

Eigentlich ist Michel ein lieber Kerl und immer hilfsbereit<br />

– aber eine Sache ist wie verhext: Was immer Michel<br />

auch tut, es kommt immer ein Streich dabei heraus.<br />

Zur Strafe wird er jedes Mal in den Tischlerschuppen<br />

gesperrt, wo er sich die Zeit mit dem Schnitzen kleiner<br />

Holzfiguren vertreibt. Inzwischen ist auf diese Weise<br />

eine beachtliche Sammlung von Holzmännchen entstanden,<br />

und es sieht ganz so aus, als würden noch viele<br />

dazukommen: Da ist zum Beispiel die Geschichte mit<br />

der Ratte, die Michel in der Küche fangen will. Kaum hat<br />

er die Falle aufgestellt, da gerät auch schon sein Vater<br />

Anton mit dem Zeh hinein. Oder der Tag, an dem Michel<br />

den Rest Fleischbrühe auszuschlürfen versucht – und mit<br />

dem Kopf in der Schüssel stecken bleibt...<br />

donnerStag, 13. Januar, ca. 22.00 uhr<br />

taqWacore: the Birth of punK iSlam<br />

oMar MaJeed uSa/PakiStan 2009, 80 Min., ov/e<br />

Schweizer PreMiere<br />

cédric duPire und gaSPard kuentz, frankreicH/JaPan<br />

2009, 80 Min., OV/e<br />

«We don’t Care about Music Anyway…» beleuchtet das<br />

Geräuschmusikschaffen in Japan. Wie die Ritter der<br />

Tafelrunde trifft sich die japanische Noise-Szene am<br />

quadratischen Tisch und diskutiert. Wie in einem langen<br />

Videoclip erscheint dann auch der Sound von Otomo<br />

Yoshihide, Sakamoto Hiromichi, Takehisha Ken, Yamakawa<br />

Fuyuki, Numb, Saidrum, L?K? und Goth-Trad. Ein<br />

schönes Porträt der so wunderschön unschönen Klänge<br />

des japanischen Untergrunds. Der Film erinnert in seiner<br />

poetischen Radikalität an den Musikfilmklassiker «Step<br />

Across the Border» von Nicolas Humbert und Werner<br />

Penzel.<br />

Was ist Musik? Was darf sie sein? Oder: Wie muss Musik<br />

klingen, um als Musik wahrgenommen zu werden? Der<br />

Freitag, 14. Januar, 20.00 uhr<br />

WhoSe iS thiS Song?<br />

adela Peeva, bulgarien 2003, 70 Min., ov/e<br />

in anweSenheit der regiSSeurin<br />

2. norient muSiKfilmfeStival<br />

DonnerStag, 13. Januar, 20.00 uhr<br />

muezzin<br />

Freitag, 14. Januar, ca. 21.45 uhr<br />

foKofpoliSieKar (fucK-off-police-car)<br />

bryan little, SüdaFrika 2009, 105 Min., ov/e<br />

Schweizer PreMiere<br />

Freitag, 14. Januar, ca. 21.45 uhr uhr<br />

foKofpoliSieKar<br />

(fucK-off-police-car)<br />

SebaStian braMeSHuber, türkei/ÖSterreicH<br />

2009, 85 Min., OV/d / ScHweizer PreMiere,<br />

in anweSenHeit deS regiSSeurS<br />

Seit den Tagen des Propheten Mohammed folgen<br />

gläubige Muslime dem Gebetsaufruf des Muezzins. Ein<br />

neuzeitliches Phänomen sind die türkischen Gebetsrufwettbewerbe,<br />

bei denen sich die Muezzine des Landes<br />

in der Kunst messen, den schönsten Gebetsruf zu rezi-<br />

SaMStag, 15. Januar, 20.00 uhr<br />

full metal village<br />

cho Sung-hyung, deutSchland 2006, 90 Min. d<br />

bryan little, Südafrika 2009, 105 Min., OV/e<br />

ScHweizer PreMiere<br />

«Fokofpolisiekar» ist der Name einer südafrikanischen<br />

Punkband. Dieser Rockumentary-Film begleitet die Band<br />

während ihres Aufstiegs von einer unbekannten Punkband<br />

zu einer der wichtigsten Rockbands der jüngsten<br />

SaMStag, 15. Januar, ca. 22.00 uhr<br />

We don't care aBout muSic anyWay ...<br />

cédric duPire und gaSPard kuentz, Frankreich/<br />

JaPan 2009, 80 Min., ov/e


Filmtitel «We don't Care about Music Anyway...» ist denn<br />

auch an diese Diskussionen angelehnt: Klang steht im<br />

Zentrum. Klang – oder Sound – soll in seiner endlosen<br />

und reichen Vielfalt erlebbar werden. Musik besteht aus<br />

Klängen. Klang darf alles. Klang ist alles.<br />

> Paed Conca, Musiker, über<br />

«We don't Care about Music Anyway...»<br />

MeHr beiträge zu den filMen und zuM<br />

feStiVal weiter VOrne in dieSeM MegafOn!<br />

südafrikanischen Geschichte. Die Gruppe bricht laufend<br />

Tabus (in mehrfacher Hinsicht) und lotet Grenzen aus.<br />

Der Name allein ist eine Provokation: Die Bandmitglieder<br />

erhalten Morddrohungen wegen blasphemischen<br />

Bagatellen und die südafrikanischen Medien drohen mit<br />

Zensur. Dass diese weisse Rockband zudem in Afrikaans<br />

singt, kratzt an der «Political Correctness» der Post-<br />

Apartheid-Gesellschaft. Bryan Little kreiert mit dem Film<br />

eine grosse Nähe zu den Rockstars. Er begleitet sie fast<br />

voyeuristisch auf ihrem Trip durch den «Rock’n'Roll Way<br />

of Life».<br />

The instructions they gave us<br />

Work, wed and have children<br />

And possibly suffer from depression<br />

Someone has to ask why...<br />

> Songtext von Fokofpolisiekar<br />

tour de lorraine<br />

Mittwoch, 19. Januar, 19.00 uhr<br />

Wem gehört die erde?<br />

geMeinSchaFten gegen rohStoFF-konzerne.<br />

inFoabend über die ProbleMe Mit Schweizer rohStoFFkonzernen<br />

und die käMPFe der betroFFenen geMein-<br />

SchaFten vor ort.<br />

Mit yvonne ziMMerMann (SoliFondS) und StePhan<br />

Suhner (arbeitSgruPPe Schweiz-koluMbien). organiSiert<br />

von attac bern und Multiwatch.<br />

SaMStag, 22. Januar, 20.00 uhr<br />

Water maKeS money √ Wie private Konzerne<br />

auS WaSSer geld machen<br />

leSlie Franke und herdolor lorenz, d 2010, 90 Min.<br />

tour de lorraine<br />

mittwoch, 19. Januar, 19.00 uhr<br />

Wem gehört die erde?<br />

tieren. Ihre kraftvollen und expressiven Darbietungen<br />

beweisen es: Muezzine sind grosse Künstler – oder sind<br />

sie doch «nur» Instrumente Gottes? Halit Aslan, Muezzin<br />

der historischen Istanbuler Fatih- Moschee, äussert sich<br />

skeptisch: «Es ist unmöglich, beim Wettbewerb dieselbe<br />

Emotionalität zu erreichen wie auf dem Minarett.» Mitmachen<br />

tut er aber doch. Und seine Chancen zu gewinnen<br />

stehen gut – wäre da nicht Isa Aydin, ein frommer<br />

Imam aus einer kleinen Vorstadtmoschee. Der Film «Muezzin»<br />

folgt dem dramatischen Verlauf des Wettbewerbs<br />

und diskutiert dabei über die Möglichkeiten und Grenzen<br />

von Individualität in diesem islamisch geprägten Umfeld.<br />

Die Türkei sucht nicht nur den «Popstar Alaturka»,<br />

sondern auch den Super-Muezzin. Nicht Glamour und<br />

Prominenz winken dem besten Muezzin des Landes, sondern<br />

vor allem Ehre. Und, nun ja, das Materielle findet<br />

auch im Spirituellen seinen Platz. «Was passiert, wenn<br />

du gewinnst?», fragt Halit Aslans Sohn. Aslan antwortet,<br />

indem er Daumen und Zeigefinger aneinander reibt.<br />

«Dollars?» – «Viele Dollars.»<br />

> Anna Trechsel, Journalistin<br />

und Islamwissenschafterin, über «Muezzin»<br />

SaMStag, 22. Januar, 22.00 uhr<br />

voiceS of tranSition<br />

nilS aguilar, d 2011, 65Min. e,SP,F/d<br />

geMeinScHaften gegen rOHStOff-kOnzerne.<br />

infOabend über die PrObleMe Mit ScHweizer<br />

rOHStOff-kOnzernen und die käMPfe der<br />

betrOffenen geMeinScHaften VOr Ort.<br />

Mit yVOnne ziMMerMann (SOlifOndS) und<br />

StePHan SuHner (arbeitSgruPPe ScHweizkOluMbien).<br />

OrganiSiert VOn attac bern und MultiwatcH.<br />

In der kapitalistischen Realität gehört die Erde jenen,<br />

die genug Geld haben, sie zu kaufen, um damit noch<br />

mehr Geld zu machen. Das ist auch das Interesse des<br />

Weltwirtschaftsforums (WEF), dem Lobbyclub der 1000<br />

grössten globalen Konzerne.<br />

Mit Erde und den darin enthaltenen Rohstoffen lässt sich<br />

tatsächlich viel Geld verdienen. Und wo Geld ist, sind<br />

auch Schweizer Multis. Der WEF-Industriepartner Glencore<br />

mit Sitz im Zuger Steuerparadies ist der grösste<br />

Rohstoffhändler der Welt und mit einem Umsatz von über<br />

100 Milliarden auch der umsatzstärkste «Schweizer»<br />

Konzern. Ausserdem hält Glencore ein Drittel der Aktien<br />

von Xstrata. Dieser Bergbaukonzern, der Kupfer und<br />

Kohle, aber auch Gold und Silber fördert, hat in nur fünf<br />

Jahren seit dem Börsengang 2002 seinen Umsatz verfünfzehnfacht<br />

(Rekordwert 2007: 28,5 Mia. US-Dollar).<br />

SaMStag, 22. Januar, 23.30 uhr<br />

picK Wien an<br />

david Paede und barbara SaS, Ö 2008, 22Min<br />

helMut SeethalerS<br />

DonnerStag, 13. Januar, ca. 22.00 uhr<br />

taqWacore:<br />

the Birth of punK iSlam<br />

SaMStag, 22. Januar, 24.00 uhr<br />

Street art compilation<br />

diverSe kurzFilMe zuM theMa<br />

FULL METAL VILLAGE<br />

SamStag, 15. Januar, 20.00 uhr<br />

full metal village<br />

OMar MaJeed uSa/PakiStan 2009, 80 Min.,<br />

OV/e / ScHweizer PreMiere<br />

«I am an Islamist! I am the anti-Christ!», singt der<br />

Sänger von The Kominas aus Boston. Vor sieben Jahren<br />

publizierte der zum Islam konvertierte amerikanische<br />

Schriftsteller Michael Muhammad Knight das Buch «The<br />

Taqwacores», eine Geschichte von Punks, die sich zum<br />

radikalen Islam bekennen. Aus der Fiktion wird Realität.<br />

Inzwischen gibt es mehrere muslimische Punkbands in<br />

den USA. Der Film begleitet die Bands auf ihrer USA-Tour<br />

und schliesslich nach Pakistan. Ein Roadmovie, der sich<br />

humorvoll und kritisch mit Fundamentalismus, aber auch<br />

mit Vorurteilen gegenüber dem Islam auseinandersetzt.<br />

I don't want assimilation – I just want to blow shit up<br />

I don't want assimilation – I just want to blow shit up<br />

> Songtext von The Kominas<br />

uncut-Warme filme<br />

dienStag, 25. Januar, 20.30 uhr<br />

elena undone<br />

nicole conn, uSa 2010, 107 Min., ov/d<br />

cHO Sung-Hyung, d 2006, 90 Min. d<br />

«Full Metal Village» ist ein Dokumentarfilm der koreanischen<br />

Regisseurin Cho Sung-Hyung, gedreht im Schleswig-Holsteinischen<br />

Dorf Wacken, dem Veranstaltungsort<br />

des Wacken-Open-Air-Festivals. Im Mittelpunkt des Films<br />

stehen die Einwohner des kleinen Ortes, der jährlich<br />

zum Open-Air-Festival von Fans der Heavy-Metal-Szene<br />

überschwemmt wird. Am ersten Augustwochenende<br />

treffen sich zirka 60 000 Fans aus aller Welt in Wacken<br />

– das Dorf selber zählt aber bloss 1800 Einwohner! Der<br />

Film zeigt die Wackener in ihrem Alltag und fragt nach,<br />

wie sie die Zeit des Festivals erleben: Einige verreisen,<br />

TAqWACORE<br />

abschnitt


abschnitt<br />

uncut<br />

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />

KINO<br />

PROGRAMM<br />

megafon 10.12<br />

warme<br />

filme<br />

am dienstag<br />

uncut √ Warme filme<br />

Gleichgewicht und zu mehr Lebensqualität… Die<br />

Lösungswege des Films «Voices of the Transition» sind<br />

simpel, kosten wenig oder nichts, haben einen enormen<br />

ökologischen Nutzen und setzen ungeahnte zwischenmenschliche<br />

Synergien frei. Angewandt auf das eigene<br />

Hausdach, den nächstgelegenen Parkplatz oder auf die<br />

Landwirtschaft, tragen sie zur Vertiefung nachbarschaftlicher<br />

Beziehungen bei, zur freien Wissensvermittlung<br />

sowie zur Stärkung einer lokal funktionierenden, ethisch<br />

integreren Wirtschaft. Unter dem neuen Licht dieses<br />

kulturellen Wandels erscheint Landwirtschaft wieder als<br />

die tragende Säule unserer Kultur.<br />

SamStag, 22. Januar, 20.00 uhr<br />

Water maKeS money ˛<br />

Wie private Konzerne<br />

auS WaSSer geld machen<br />

DienStag, 11. Januar, 20.30 uhr<br />

daKan √ SchicKSal<br />

MOHaMed caMara, guinea 1997, 89‘, OV/d,<br />

DAKAN – SCHICKSAL ist der erste in Westafrika gedrehte<br />

Film über eine schwule Liebe. In wunderschönen<br />

Bildern, mit der Musik des legendären Sory Kouyaté und<br />

mit einem unmissverständlichen Happy-End für die Liebe<br />

von Manga und Sori widerspricht Regisseur Camara den<br />

Vorurteilen vieler schwarz-afrikanischer Politiker und<br />

Kirchenmänner, dass Schwulsein «unafrikanisch» sei.<br />

SamStag, 22. Januar, 23.30 uhr<br />

picK Wien an<br />

leSlie franke & HerdOlOr lOrenz, d 2010, 90‘<br />

Wasser ist neben der Luft, die wir atmen, das wichtigste<br />

Element für uns. Und doch wird das Wasser zunehmend<br />

den Geschäftsinteressen privater Konzerne unterworfen.<br />

Überall, wo finanzschwache Kommunen nach Entlastung<br />

suchen, klopfen die zwei weltgrössten Wasserkonzerne<br />

Veolia oder Suez an die Tür. Gemeinsam bilden sie ein<br />

undurchsichtiges Duopol, das zum Beispiel in Frankreich<br />

mittlerweile etwa 80 Prozent der Bevölkerung mit Wasser<br />

versorgt. Die Folgen: rasant steigende Verbraucherpreise,<br />

Intransparenz und oft auch Korruption. Seit viele<br />

Menschen die Konsequenz des Verkaufs öffentlichen<br />

Eigentums am eigenen Leib verspüren, ist es nicht mehr<br />

opportun, von Privatisierung zu sprechen. Die Geschäftsmodelle<br />

haben klangvolle Namen wie Public Private<br />

Partnership oder Cross Border Leasing. Aber der Effekt<br />

ist der gleiche. Water Makes Money dokumentiert, mit<br />

welchen Methoden sich Städte und Gemeinden die Kontrolle<br />

über ihr Wasser abhandeln lassen. Der Film zeigt,<br />

dass die unternehmerischen Risiken den Steuerzahlenden<br />

aufgebürdet werden, der Gewinn aber privatisiert<br />

wird. Und er zeigt, wie es in etlichen Regionen gelungen<br />

ist, die Selbstbestimmung über das Lebenselixier Wasser<br />

zurück zu holen.<br />

Aber wer bezahlt für diese Gewinne? Es sind die lokalen<br />

Gemeinschaften in Lateinamerika, Afrika, Asien, Australien.<br />

Ihr Landwirtschaftsland wird zerstört, ihr Wasser für<br />

die Minen verbraucht und verseucht, mit oft gravierenden<br />

Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung. In<br />

gewissen Ländern werden die Gebiete um die Minen<br />

(para)militarisiert, es kommt zu Menschenrechtsverletzungen<br />

und Vertreibungen. Kein Wunder, das sich viele<br />

von Minenprojekten betroffene Gemeinschaften wehren.<br />

Darunter sind auch indigene Gemeinschaften, deren<br />

Vorfahren schon seit Jahrhunderten vor Ort lebten, bevor<br />

sie von europäischen Kolonialisten «entdeckt» wurden.<br />

Ihre Vision ist dem Kapitalismus völlig entgegengesetzt:<br />

Mutter Erde gehört niemandem, und nur der schonende<br />

und respektvolle Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen<br />

hat Zukunft!<br />

DienStag, 25. Januar, 20.30 uhr<br />

elena undone<br />

daVid Paede und barbara SaS, Ö 2008, 22Min<br />

Helmut Seethalers Arbeitsplatz ist die Strasse und der<br />

Wiener Untergrund, wo er seine Texte für alle sichtbar<br />

und zur freien Entnahme an Wände und Säulen klebt.<br />

«Pflück ein Gedicht», steht da. Fast jeder in Wien kennt<br />

ihn oder sah schon einmal seine Zettel irgendwo an einer<br />

Säule kleben. David Paede und Barbara Sas haben den<br />

Zettelpoeten 2008 mit der Kamera begleitet. «Pick Wien<br />

an» gewann bei dem studentischen Filmfestival film:riss<br />

08 den Publikumspreis für die beste Doku.<br />

WATER MAKES MONEY<br />

nicOle cOnn, uSa 2010, 107 Min., OV/d<br />

Elena ist seit 15 Jahren mit einem konservativen,<br />

homophoben Pastor verheiratet und Mutter eines Sohns.<br />

Still und geduldig fügt sie sich in ihre Rolle. Auf einer<br />

Informationsveranstaltung des örtlichen Adoptionszentrums<br />

trifft sie die offen lesbisch lebende Autorin Peyton.<br />

Die beiden verstehen sich auf Anhieb und eine tiefe<br />

Freundschaft voller Vertrauen entsteht.<br />

DAKAN – SCHICKSAL<br />

SamStag 22. Januar, 24.00 uhr<br />

Street art compilation<br />

diVerSe kurzfilMe zuM tHeMa<br />

SamStag, 22. Januar, 22.00 uhr<br />

voiceS of tranSition<br />

nilS aguilar, d 2011, 65Min. e,SP,f/d<br />

In England, auf Kuba und in Frankreich mehren sich Zeichen<br />

eines kulturellen Wandels: Vielfältige Alternativen<br />

künden von einer Zukunft jenseits von Nahrungsmittelunsicherheit<br />

und hin zu einem verbesserten ökologischen


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />

DACHSTOCK<br />

PROGRAMM<br />

megafon 10.12<br />

Freitag, 14. Januar, 22.00 uhr<br />

the faranaS (be)<br />

plattentaufe! & Support<br />

Freitag, 14. Januar, 22.00 uhr<br />

the faranaS (Be) plattentaufe!<br />

& SuPPort -- aFrobeat,<br />

SaMStag, 15. Januar, 23.00 uhr<br />

local darKSide: optiv (cauSe4concern),<br />

vca (Biotic rec), deeJaymf (utB), oliv<br />

(loccomotion), andre (loccomotion),<br />

SuBmerge (BeatSandpicS)<br />

--druMnbaSS<br />

Freitag, 21. Januar, 22.00 uhr<br />

Wild Wild eaSt: rudovouS (cz) &<br />

duSa orcheStra (ch), dJ rane<br />

-- eaStern chanSon, orient ekSPreS<br />

SaMStag, 22. Januar, 22.00 uhr<br />

tour de lorraine:<br />

dieSler (tru thoughtS/uK), dJ'S Studer tm<br />

& giggS (BonzzaJ.ch)<br />

-- Soul, electronica,<br />

THE FARANAS<br />

Einige Faranas, welche die Welt mit offenen Ohren<br />

bereisten, haben im Schmelztiegel ihrer Ideen eine neue<br />

musikalische Heimat gefunden. Sie interpretieren den<br />

Afrobeat auf ihre eigene Art und treten nun als kraftvolle<br />

Band und mit neuer CD auf die Bühne.<br />

The Faranas entspringen dem dreckigen Funk, dem swingenden<br />

Jazz, dem Soul und Elektro. Sie mischen diese<br />

Einflüsse mit traditionellen Griot-Gesängen und den<br />

treibenden perkussiven Patterns und erdigen Grooves<br />

des Afrobeat. Ihr Sound tönt archaisch und trotzdem<br />

modern, vor allem aber authentisch. Die ungeschliffenen<br />

Grooves der Rhythm Section sind der Herzschlag der<br />

Faranas. Das perkussive Schlagzeug und der erdig-virtuose<br />

Bass legen mit Perkussion, Gitarre und Vibraphon<br />

einen soliden Teppich für die kraftvollen Bläsersätze,<br />

den souligen Gesang in Englisch und die Griotgesänge<br />

in Wolof. The Faranas massieren das Herz, spülen die<br />

Ohren und setzen die Beine unter Strom.<br />

OPTIV<br />

Freitag, 28. Januar, 23.00 uhr<br />

Wat (We are terroriStS/fra) live!, We love<br />

machineS (Be) live!, dJ KidKutS (ger)<br />

-- electro, indie, techno, rock<br />

SamStag, 15. Januar, 23.00 uhr<br />

local darKSide: optiv (Cause­<br />

4ConCern) vca (biotiC reC)<br />

deeJaymf (utb) oliv (LoCComotion)<br />

andre (LoCComotion)<br />

SaMStag, 29. Januar, 23.00 uhr<br />

liquid SeSSion: total Science (c.i.a./uK),<br />

cyantific (hoSpital/uK), locKee (raBaSS<br />

95.6), tS zodiac (liquid SeSSionS), mc fava<br />

(deepSoulmuSic), BadBoy mc (fmi)<br />

-- druMnbaSS<br />

SuBmerge (beatsandpiCs)<br />

Im Januar startet die Dachstock Darkside mit einer Local<br />

Darkside ins Jahr 2011. Edward Holmes aka DJ Optiv von<br />

cause4concern wird mit von der Partie sein. Ed kommt<br />

ursprünglich von der Insel, wie der Drumandbass, lebt<br />

jedoch seit einigen Jahren in Bern. Für uns ist er mittlerweile<br />

ein Berner!<br />

vorSchau<br />

Freitag, 4. Februar, 23.00 uhr<br />

c'eSt Berne: Jay SanderS (Jagged), Bertel<br />

gee (hlm/raumrauSch), BoriS Why (audiotheque),<br />

Bud clyde (feStmacher)<br />

-- MiniMal, techno, houSe<br />

abschnitt


abschnitt<br />

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />

DACHSTOCK<br />

PROGRAMM<br />

megafon 10.12<br />

dancefloorhits, wie zum beispiel auf seiner debut eP<br />

«ghetto blaster», bis hin zu sehr minimalen Sounds<br />

wie «empty Streets».<br />

am Mikrofon werden uns die Mcs Fava und badboy<br />

durch den abend begleiten. anfang und ende des<br />

abends gehören einmal mehr unseren lokalen dJgrössen<br />

lockee und tS zodiac.<br />

Freitag, 28. Januar, 23.00 uhr<br />

Wat (We are terrorists/Fra) live!<br />

We love machineS (be) live!<br />

dJ KidKutS (Ger)<br />

Freitag, 21. Januar, 22.00 uhr<br />

Wild Wild eaSt: rudovouS (CZ)<br />

& duSa orcheStra (CH)<br />

dJ rane<br />

SaMStag, 5. Februar, 22.00 uhr<br />

cool & deadly: tippa irie (uK) lS. peter<br />

hunningale (uK) live/SoundSyStem ShoW,<br />

moya (morefire, Be) & BoSS hi-fi (zh)<br />

-- reggae, dancehall, dub<br />

Freitag, 11. Februar, 23.00 uhr<br />

doom (mfdoom/uK) dJ-Set & Support<br />

-- hiPhoP<br />

SaMStag, 12. Februar, 22.00 uhr<br />

marteria (ger), Support: dJ'S Kermit<br />

& Kid Silly<br />

-- hiPhoP, electro<br />

CYANTIFIC<br />

zweimal elektro, zweimal live und zweimal frischer<br />

gehts nicht mehr: die französischen Sound- terroristen<br />

sind zurück: neu nennen sich «we are terrorists» noch<br />

wat und im gepäck haben sie ihren ersten longplayer<br />

«wonder». damit sind sie durch Frankreich und<br />

england getourt und haben einen zwischenstopp in<br />

Marokko eingelegt. ende Januar stehen die vier Franzosen<br />

zum zweiten Mal auf der dachstockbühne.<br />

im neuen wat-album wird wild zusammengewürfelt:<br />

da gibts 1980ies beats, rockgitarren, hip-hop-akzente<br />

und new wave-Sounds. wat tönen mondän, souverän,<br />

laut und tanzbar und lassen sich perfekt in den Stil der<br />

2010-er Jahre einordnen. wat perfomen ihre tanzmusik<br />

live mit gerätschaften, instrumenten und Stimme.<br />

kurz vor dem release ihres ersten albums steht das<br />

berner duo «we love Machines». die beiden herren<br />

können anscheinend nicht tanzen, und weil die<br />

aussicht von der bühne in den club besser ist, haben<br />

sie kurzerhand die Seite gewechselt. Statt tanzschuhe<br />

montiert das duo gerätschaften, spielt mit knöpfen<br />

und reglern und lässt das Publikum raven.<br />

nach nur einem Jahr on stage haben «we love Machines»<br />

bereits remixes für den Franzosen «housse de<br />

racket» oder die berner indie-hoffnung «choo choo»<br />

gemacht. burn bern because we love machines!<br />

der dritte im bunde des heissen disco-abends ist der<br />

Mannheimer dJ kidkuts. er besucht den dachstock<br />

zum wiederholten Male, denn er hat bewiesen: wenn<br />

er hinter den decks steht, bleibt kein bein still. das<br />

scheint auch in deutschland so zu sein, denn schaut<br />

man auf dJ kidkuts kalender, ist der voll ausgebucht.<br />

in bern hat er ebenfalls schon laute anhängerinnen<br />

und anhänger gefunden, die den dJ kaum mehr von<br />

Die erste Wild Wild East-Session im 2011 startet mit<br />

Rudovous aus Tschechien, die mit wilden Säuferballaden<br />

und Prager Chansons am Start sind. Seit 1994 existiert<br />

die Band, welche mit Tom Waits artigem Jazzblues und<br />

Trinkerballaden mit der dazu gehörigen Portion Ostrock<br />

bereits mehrere Male in der Reitschule gespielt hat.<br />

Dusa Orchestra aus dem wilden Osten der Schweiz<br />

verschmelzen die musikalische Vielfalt Europas zu einer<br />

tanzbaren, lebendigen Melange mit einem Schuss Balkan.<br />

Freitag, 18. Februar, 20.00 uhr<br />

2 Jahre Wild Wild eaSt: the gypSy queenS<br />

& KingS! feat. ezma redzepova, Jony iliev,<br />

mahala rai Banda, KaloomÉ, florentina<br />

Sandu, aurelia & tantzica!<br />

-- gyPSy SuPer grouP! 2 hourS oF gyPSy MadneSS<br />

with the StarS oF gyPSy MuSic!<br />

DUSA ORCHESTRA<br />

SaMStag, 19. Februar, 23.00 uhr<br />

dachStocK darKSide: Klute (commercial<br />

Suicide rec/uK), deeJamf (utB/Be), Silent<br />

extent (full force/Be), rycK (raBaSS)<br />

-- druMnbaSS<br />

donnerStag, 24. Februar<br />

gza (the geniouS / Wu-tang clan / uSa)<br />

-- hiP hoP<br />

Freitag, 25. Februar, 23.00 uhr<br />

SaMStag, 26. Februar, 22.00 uhr<br />

raBe-feSt 2011


der bühne lassen wollen wenn das licht an geht. und<br />

wer weiss, vielleicht hat dJ kidkuts ja auch diesmal<br />

ein paar seiner beliebten Mixtapes dabei, die er ins<br />

Publikum schmeisst.<br />

SamStag, 22. Januar, 22.00 uhr<br />

tour De Lorraine:<br />

(tru tHouGHts/uK)<br />

dieSler<br />

dJ«S Studer tm & giggS<br />

SamStag, 29. Januar, 23.00 uhr<br />

liquid SeSSion:<br />

total Science (C.i.a./uK)<br />

cyantific (HospitaL/uK)<br />

(bonZZaj.CH)<br />

WAT<br />

(Liquid sessions)<br />

locKee (rabass 95.6)<br />

tS zodiac<br />

mc fava (deepsouLmusiC)<br />

BadBoy mc (Fmi)<br />

TOTAL SCIENCE<br />

die erste liquid Session im 2011, und die 13. ausgabe<br />

insgesamt, ist einmal mehr erstklassig bestückt.<br />

unter dem namen «total Science» produzieren<br />

die zwei künstler Paul Smith (Spinback) und Jason<br />

greenhalgh (Q Project) seit nunmehr 20 Jahren Musik.<br />

ihre werke erschienen auf praktisch allen namhaften<br />

labels, sowie natürlich auf ihrem eigenen. ihr label<br />

c.i.a. lancierten sie im Jahr 1997. auf c.i.a. veröffentlichten<br />

beispielsweise künstler wie zero t, bungle und<br />

State of Mind ihre alben und Singles. total Science<br />

wird an der liquid Session durch Paul Smith vertreten,<br />

der uns ein dJ-Set spielen wird.<br />

cyantific startete ursprünglich im Jahr 1995 als<br />

Produzenten-duo. Mittlerweile ist der brite Jon Stanley<br />

alleine unter diesem künstlernamen unterwegs. Seine<br />

dJ-Sets gelten als erstklassig. während üblicherweise<br />

zwei Plattenteller für eine Show bereit stehen, dürfen<br />

es bei ihm gerne deren drei sein. Seine Produktionen<br />

erschienen bis anhin fast ausschliesslich auf den label<br />

hospital. erst ganz frisch beziehungsweise einen<br />

release alt, ist sein eigenes label. Jons werke können<br />

sich sehr unterschiedlich anhören – von poppigen<br />

abschnitt


abschnitt<br />

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />

RöSSLI<br />

PROGRAMM<br />

megafon 10.12<br />

zu suchen ist, nimmt sich die Band auf «UFO» bisweilen<br />

bis nahezu zur Implosion zusammen und schafft so eine<br />

Spannung, die die Oberfläche erzittern lässt und die sich<br />

an genau jenen Stellen eben nicht entlädt, an denen<br />

man es zunächst erwarten würde. Dieses Umschiffen<br />

von Erwartungshaltungen an die musikalische Struktur<br />

des Albums bewerkstelligen 1000 Robota auch auf<br />

textlicher Ebene. Es gibt zwar das «Ihr» und das «Wir»,<br />

das «Du» und das unvermeidliche «Ich» in zahllosen<br />

Ausformungen, und doch geht es um die Verdichtung, die<br />

Bündelung vielfältiger persönlicher Erfahrungen der vergangenen<br />

Zeit, die nicht unbedingt auf einer direkten, affirmativen<br />

Ebene herumschlittern. Dies bedeutet jedoch<br />

nicht, dass auf «UFO» nicht auch abgerechnet würde –<br />

nur eben mit einer abstrakteren Herangehensweise, mit<br />

dem eigenen Weg, der Rezeption, den Fans und Feinden,<br />

den Wänden, gegen die man rannte und rennen muss,<br />

damit es überhaupt eine Richtung geben kann.<br />

Boogie» die letzten Jahre mit herzblutendem Rock’n’Roll,<br />

beatlesken Pop-Perlen zum schnoddrigen Blues und<br />

wieder zurück durch die Clubs dieses und anderer Dörfer<br />

gepielt, als ob sie nie etwas anderes getan hätten.<br />

Hinterlassen haben die vier Jungs jeweils schweissnasse<br />

(und biergeschwängerte) Crowds.<br />

Da wir ja wissen, dass Pablo Echagüe (guit), David<br />

Steiner (voc), Martin Chramosta (bass) und Jean-Pyerre<br />

Toscano (drums) ganz eindeutig über «A licence to party»<br />

verfügen – freuen wir uns umso mehr, dass sie auf<br />

ihrer CH/GER-Tour und nach den Berlin-Konzerten, bei<br />

uns im Rössli aufspielen. Suportet werden sie dabei von<br />

One Sentence. Supervisor aus Baden.<br />

mittwoch, 12. Januar, 20.00 uhr<br />

capital Slam<br />

Mittwoch, 12. Januar, 20.00 uhr<br />

capital Slam<br />

In Zeiten des stetigen Zerfalls des gesunden Menschenverstandes,<br />

welcher durch die Programmgestaltung<br />

der privaten Fernsehlandschaft drastisch beschleunigt<br />

wird, gibt es eine letzte Bastion, die für die geistige<br />

Erquickung des Freidenkenden keinen Doktortitel in<br />

Philosophie oder Literaturwissenschaften voraussetzt:<br />

Poetry Slam! Hier treten acht Dichterinnen und Dichter<br />

mit ihren Worttiraden gegeneinander an, wobei ihr Erfolg<br />

einzig und alleine von der Lust und Laune des Publikums<br />

abhängt. Geistreiche Gedichte und billige Wortspiele<br />

werden also auch im Jahr 2011 am Capital Slam Bern zu<br />

hören sein. Wer sich selbst als Slammer versuchen will,<br />

kann sich an der Abendkasse in die offene Liste eintragen<br />

und so einen aktiven Beitrag gegen die Verdummung<br />

der Menschheit leisten.<br />

donnerStag, 13. Januar, 21.00 uhr<br />

youcoco (SvK), dee diglerS<br />

-- Punk/rock<br />

donnerStag, 20. Januar, 21.00 uhr<br />

the Big Bang Boogie,<br />

one Sentence. SuperviSor<br />

-- rock’n’roll<br />

Mittwoch, 26. Januar, 20.00 uhr<br />

imaginary citieS<br />

Support: greg macpherSon<br />

-- indie<br />

mittwoch, 26. Januar, 20.00 uhr<br />

imaginary citieS<br />

Support: greg macpherSon<br />

donnerStag, 27. Januar, 21.00 uhr<br />

1000 roBota<br />

-- neue haMburger Schule<br />

In Winnipeg, dem so genannten «Herz des Kontinents»<br />

(John K. Samson Referenz!), entsteht an allen Ecken<br />

neue Musik: In Kellern, bei der Arbeit, im Alltag und in<br />

den vielen Clubs der Stadt.<br />

In einem dieser Clubs, The Cave, wurden Imaginary<br />

Cities geboren. Das Debutalbum 'Temporary Resident' erscheint<br />

im Frühjahr 2011, und ganz Kanada redet schon<br />

über den souligen Indiepop der Band, der neben Gitarre<br />

und Klavier vorallem von einer einzigartigen Frauenstimme<br />

getragen wird.<br />

Imaginary Cities, das sind Marti Sarbit, die der Band ihre<br />

Stimme verleiht, sowie Klavier spielt, und Rusty Matyas,<br />

der eigentlich jedes weitere erdenkliche Instrument<br />

spielt und die Backgroundvocals singt. Matyas ist in der<br />

kanadischen Musikszene kein Unbekannter, ist er doch<br />

als Multi-Instrumentalist mit den Weakerthans auf Tour.<br />

GREG MACPHERSON<br />

SOUS LE PONT<br />

SamStag, 8. Januar, 18.00 uhr<br />

Seit SilVeSter Haben wir geScHlafen,<br />

ab Heute gilt:<br />

Wir haBen Wieder offen!<br />

mittwoch, 12. Januar, 19.00<br />

elSäSSer Spezialitäten<br />

mittwoch, 19. Januar, 19.00 uhr<br />

KantoneSiSche Spezialitäten<br />

Es gibt eine handvoll guter, kanadischer Songwriter und<br />

Lyriker. Allerdings wenige, die jünger als 50 Jahre sind.<br />

Und noch weniger davon bringen ihre Songs so lebhaft


SamStag, 22. Januar, 22.15 uhr<br />

clan ediSon (F)<br />

herr Bitter (CH)<br />

auf die Bühne wie GREG MACPHERSON, aus Winnipeg,<br />

Kanada.<br />

In seiner Musik schwingt eine gewisse Authenzität mit.<br />

Vielleicht ist es das leichte Zittern in seiner Stimme<br />

oder seine vorsichtig zusammengetragenen Texte oder<br />

seine einnehmende Bühnenpräsenz oder vielleicht doch<br />

etwas ganz anderes, dass Greg von anderen Songwritern<br />

abhebt. Vergleiche mit Songschreibern wie Cohen oder<br />

Cave sind keine Seltenheit – sein aktuelles Album «Mr.<br />

Invitation» steht in der Tradition solcher Musiker.<br />

DonnerStag, 13. Januar, 21.00 uhr<br />

youcoco (sVK) &<br />

dee diglerS (ne)<br />

Clan Edison, drei Männer aus Nimes, gibts seit 2003.<br />

Obwohl das Personal und auch der Name gewechselt<br />

haben, die Musik ist unverkennbar. Sie kreieren einen<br />

Musik-Mix aus energievollen und harten, bluesigen Rock.<br />

Du kannst Einflüsse von Fugazi hören, aber auch einen<br />

Geist von Nick Cave. Stoner Rock mit einem Sänger, dessen<br />

Stimme unter die Haut geht. Und die Texte, egal ob in<br />

Englisch oder Französisch vorgetragen, sind hinreissend.<br />

Nun haben Clan Edison ein neues Album am Start, das<br />

hohes Lob einheimst. Damit dürfen sie auch auf die Bühne<br />

des SousLePont, im Rahmen der Tour de Lorraine.<br />

http://www.myspace.com/leclanedison<br />

Die DEE DIGLERS aus Neuchatel spielen das, was wir<br />

gerne klassischen Garagenpunk nennen. Das beinhaltet<br />

demnach voll aufgedrehte Amps, mitreissende Riffs und<br />

eine dazu passende, wilde Liveshow.<br />

Und das an einem Donnerstag. Es gibt nichts Besseres<br />

um die Mitte der Woche zu feiern und dem Januarloch<br />

entgegen zu wirken.<br />

DonnerStag, 27. Januar, 21.00 uhr<br />

1000 roBota<br />

Es ist ziemlich einfach, gewisse Punkte betreffend<br />

1000 Robota zum zentralen Thema zu machen, weil man<br />

dann, aus Bequemlichkeit, den Blick vom Wesentlichen<br />

ablenken kann. Die Geburtsjahre der Bandmitglieder,<br />

die Dringlichkeit ihrer Aussagen und ihrer Musik, jene<br />

verletzliche Aggressivität – all das sind die primär<br />

erwähnten Eckpunkte in nahezu jeder Berichterstattung<br />

über Jonas Hinnerkort (Schlagzeug und Gesang),<br />

Sebastian Muxfeldt (Bass) und Anton Spielmann (Gitarre<br />

und Gesang). Hier ist die Presse in die Falle der eigenen<br />

Bequemlichkeit getappt – und hat die Band direkt<br />

mitgenommen. Es rumpelte und knackte im Musik- und<br />

Medienwald, als 2008 auf dem Hamburger Label Tapete<br />

Records die EP mit dem überaus shirtkompatiblen Titel<br />

«Hamburg brennt» erschien; und das nur wenig später<br />

auf die Menschheit losgelassene Album «Du nicht er<br />

nicht sie nicht» sollte schnell den Nimbus des genialen<br />

Debuts erhalten, an dem sich so viele Bands bei der<br />

Produktion des Zweitwerkes die Zähne ausbeissen.<br />

Mit «UFO» liegt nun ebenjenes vor und stellt unter<br />

Beweis, dass die Band offenbar keine Sekunde daran<br />

dachte, die gleiche Erfolgssuppe erneut aufzuwärmen.<br />

Die zehn Stücke besitzen eine eigentümliche Kohärenz,<br />

die der Logik der Tatsache geschuldet ist, dass die<br />

Reduktion aufs Wesentliche, aufs Repetitive, sowohl<br />

charakteristisch ist für Krautrock, als auch für das, was<br />

gemeinhin unter Postpunk einsortiert wird. 1000 Robota<br />

bedienen sich Elemente beider Genres, ohne lediglich<br />

ein Konglomerat zu erschaffen. War das Vorgängerwerk<br />

noch ein wüster Rundumschlag, dessen Grundlage zweifelsohne<br />

auch in einer gewissen Form von Kontrollverlust<br />

YOUCOCO eroberten die Slovakische Szene, zu der Zeit<br />

(und bis heute) dominiert von elektronischer Musik, wie<br />

die frische Brise einer simplen und direkten Gitarrenband.<br />

Ihre Lo-Fi-Songs sind in einfache Arrangements<br />

verpackt, welche umso mehr ihre Wirkung entfalten.<br />

Die rohe Gitarre, sehr passende, minimale Rhythmen,<br />

brillanter, oft frecher Gesang und eingängige Melodien<br />

erinnern an PJ Harvey, Beat Happening, Liz Phair, The<br />

Kills, oder gar an die Magik Markers, während die Band<br />

ihre Musik selbst gerne humorvoll als «authentischen<br />

melodischen Lärm» bezeichnet. Die beiden Freundinnen<br />

Radka (Gitarre und Stimme) und Ria (Schlagzeug) begannen<br />

ihr Projekt als «Freizeit-Aktivität», erhielten aber mit<br />

ihrer originellen, mitreissenden Musik bald einige Aufmerksamkeit.<br />

Youcoco veröffentlichten ihr Debut-Album<br />

«Big Now» im Juni 2010 auf dem renommierten Label<br />

Deadred/Starcastic Records, und haben damit bisher bei<br />

Fans und Presse gleichermassen positive Reaktionen und<br />

Kritiken erhalten.<br />

1000 ROBOTA<br />

Die vierköpfige Band HERR BITTER spielt wilde, elektrisierende<br />

Musik – und hat sich mit ihren Konzerten einen<br />

Namen gemacht. Energie, Originalität und Wut im Bauch<br />

sind die Zutaten zur tanzbaren Mischung, die sich am<br />

ehesten als Discorock umschreiben lässt. Mit ekstatischen<br />

Beats, pumpenden Bässen, funky Gitarrenriffen<br />

und Synthies nicht zu knapp bedient sich HERR BITTER<br />

an den Sounds der 1980er-Jahre bis ins neue Jahrtausend<br />

und komponiert überraschende, aber eingängige<br />

Tanzmelodien, die kein Publikum kalt lassen.<br />

http://www.myspace.com/herrbitter<br />

YOUCOCO<br />

mittwoch, 26. Januar, 19.00 uhr<br />

KäSe Spezialitäten<br />

mittwoch, 26. Januar, 22.00 uhr<br />

offene Bühne<br />

DonnerStag, 20. Januar, 21.00 uhr<br />

the Big Bang Boogie (bL)<br />

one Sentence. SuperviSor (CH)<br />

Unglaubliche Momente, nie Gehörtes, kaum zu stoppende<br />

Improvisationen, auf- und abstellender Humor, kräuselnde<br />

Nacken, schreiendes Publikum, erste Lektionen,<br />

zweite Lektionen etc., sprechende Puppen, BlueFunked-<br />

Freaks, ab motzendes Gemotze, selbst gebastelte<br />

Gedichte und die nie zu ende gehenden fünfzehn Minuten<br />

eurer Offenen Bühne, die wirklich für alle offen ist!<br />

Künstler_innen melden sich unter souslepont.ch an.<br />

Ihre Einflüsse reichen gemäss Myspace von «Smoke,<br />

to Loneliness, Alcohol, Women, Trips, Freedom, Excess,<br />

Sweat, Noise, Romance, High Heels, Guitar Stallion, Egobooster,<br />

Springtimelove, Silicon Tits, to Hangover, Speed,<br />

Art, Destruction, Rebirth and Breakthrough»: Inbrünstig,<br />

lautstark, eigenwillig und in höchstem Mass überzeugend<br />

hat sich das Laufentaler quartett «The Big Bang<br />

abschnitt


abschnitt<br />

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />

TOJO THEATER<br />

PROGRAMM<br />

megafon 10.12<br />

von Begriffen Bilder entstehen, die dann<br />

durch Texte erweitert und ergänzt werden.<br />

Der Tanz wird begleitet den vier MusikerInnen Anna von<br />

Grünigen, Bernhard Schneider, Paed Conca und Severin<br />

Zoll die jeweils mit ihrem Soloinstrument in den einzelnen<br />

Szenen improvisieren.<br />

Am Ende jeder Szene wird ein Text vorgelesen. Diese<br />

sind kollektiv entstanden. Die Autorin Marina Bolzli<br />

stellte drei Fragen: 1. Welches Privatgut soll deiner<br />

Meinung nach privat bleiben? 2. Bei welchem von deinen<br />

Besitztümern hättest du kein Problem, es zum Gemeingut<br />

zu erklären? Und 3. Welches Gemeingut würdest<br />

du gerne in Besitz nehmen? Die sehr unterschiedlich<br />

ausgefallenen Antworten wurden für vier Dialoge verwendet,<br />

die sich um Heim&Haus, Körper&Privatsphäre,<br />

Wissen&Ideen und Hab&Gut drehen.<br />

Jede der vier Szenen steht für sich und doch besteht<br />

ein Zusammenhang zwischen den einzelnen Teilen. Jede<br />

Sequenz dauert ca. 15 Minuten. Das Publikum kann die<br />

ganze Stunde bleiben oder zwischen den Sequenzen<br />

kommen und gehen.<br />

Weisse Darsteller, die Schwarze spielten, schwärzten ihr<br />

Gesicht und malten sich ein weisses Oval um den Mund.<br />

So (über)schminkten sich auch Schwarze. Schwarze,<br />

die Weisse spielen, die Schwarze spielen. Es lässt sich<br />

endlos weitertreiben und ins Absurde führen. Natürlich<br />

wurde der «Neger» immer als faul, dümmlich, naiv und<br />

triebhaft dargestellt.<br />

Interpretiert werden Lieder wie The Entertainer (1902),<br />

St. Louis Blues (1912), Black and Blue (1929), Willow<br />

wheep for me (1932) oder Blitzkrieg Baby (1940) u.a.,<br />

von einer Combo, die aus professionellen MusikerInnen,<br />

aber bewusst nicht aus Profi-Jazzern besteht: Mit Regula<br />

Frei (Kontrabass, Gesang), Margrit Rieben (Schlagzeug,<br />

Rhythmus) und Herwig Ursin (Piano, Trompete, Gesang)<br />

sind InstrumentalistInnen am Werk, deren Verspieltheit<br />

und Energie an sich «Jazz» ist.<br />

Im Anschluss an die Aufführungen finden kleinere oder<br />

grössere Jamsessions mit geladenen und spontanen<br />

Gästen statt!<br />

DonnerStag, 13. Januar, 20.30 uhr<br />

Freitag, 14. Januar, 20.30 uhr<br />

SamStag, 15. Januar, 20.30 uhr<br />

Sonntag, 16. Januar, 19.00 uhr<br />

Jazzy ˛ SWing im StüBli<br />

donnerStag, 13. Januar, 20.30 uhr<br />

Freitag, 14. Januar, 20.30 uhr<br />

SaMStag, 15. Januar, 20.30 uhr<br />

Sonntag, 16. Januar, 19.00 uhr<br />

Jazzy ˛ SwiNg im STübli<br />

idee/recHercHe: Sandra künzi. text: Sandra<br />

künzi und crew. regie: dOMinique Müller.<br />

neger/MuSiker: Herwig urSin. wirtin: lilian<br />

naef. SerViertOcHter 1/MuSikerin: Margrit<br />

rieben. SerViertOcHter 2/MuSikerin: regula<br />

frei. PHilOSaufin: Sandra künzi. dOrfPOliziSt:<br />

dOMinique Müller. büHne: Heidy-JO wenger.<br />

licHt: editH SzabO. grafik/fOtOS: yVeS tHOMi.<br />

kOPrOduktiOn: tOJO tHeater. reSerVatiOn:<br />

tOJO@reitScHule.cH<br />

donnerStag, 20. Januar, 20.30 uhr<br />

Freitag, 21. Januar, 20.30 uhr<br />

Therapie ˛ Nur idioTeN<br />

BegrüSSen den tag mit einem lächeln<br />

tour de lorraine: coMMonS ˛ geMeingüter<br />

SaMStag, 22. Januar, 20.00 uhr<br />

alleS iSt nichtS iSt alleS<br />

PerForMance in vier Szenen.<br />

SaMStag, 22. Januar, 23.00 uhr<br />

diSKo & dJ Battle Jane vayne (tanzmuSiK)<br />

vS. mc anliKer (loveSongS)<br />

SamStag, 22. Januar, 23.00 uhr<br />

diSKo & dJ Battle<br />

Jane vayne (tanZmusiK)<br />

vS. mc anliKer (LoVesonGs)<br />

DonnerStag, 20. Januar, 20.30 uhr<br />

Freitag, 21. Januar, 20.30 uhr<br />

Therapie ˛ Nur idioTeN<br />

BegrüSSen den tag mit<br />

einem lächeln<br />

In dunklen Ecken und zwischen Tür und Angel wurde<br />

schon lange gemunkelt – aber nun ist es definitiv: In<br />

einem DJ Battle der Superlative treffen an der Tour de<br />

Lorraine im Tojo Theater zwei legendäre Livemusik- und<br />

Kulturfabrikanten aufeinander: Die im Dachstock der<br />

Reitschule Bern bookend beheimatete DJ Jane Vayne<br />

trifft auf MC ANLIKER, den Kopf des Cafe Mokka, Thun.<br />

Wer die beiden kennt weiss, dass sie mit allen Wassern<br />

und Seifen gewaschen sind und sich garantiert Saures<br />

und Süsses, Scharfes und Fades, Liebes und Fieses<br />

geben werden!<br />

VOM enSeMble eS Huere cabaret.<br />

www.eSHuerecabaret.cH. regie: Pernilla<br />

dePPeler küHni. Mit: celia Hirt, rOMan badertScHer,<br />

MicHael wyder.<br />

aSSiStenz: nina Streit. MuSik: MattHiaS raue.<br />

tecHnik: daVid glauS. fOtOS: Malu barben.<br />

büHne/grafik: OliVier rOSSel. reSerVatiOn:<br />

kOntakt@eSHuerecabaret.cH<br />

In seinem ersten abendfüllenden Stück, «Therapie –<br />

Nur Idioten begrüssen den Tag mit einem Lächeln»,<br />

beschäftigt sich «Es Huere Cabaret» aus Biel mit den<br />

fliessenden Grenzen zwischen Melancholie und Tragik-<br />

Ein musikalisches Theaterstück über alten Jazz, Überfremdungsangst<br />

und die Schweiz in den 1930er Jahren.<br />

Die Grundidee zu «Jazzy» liegt in der Begeisterung für<br />

alten Jazz (1900 bis 1940) und dem damit verbundenen<br />

Lebensgefühl. Es gibt viele verschiedene Erklärungen zur<br />

Frage, woher der Name Jazz stammt. Vielleicht nur eine<br />

Legende, vielleicht aber auch wahr ist diese: Um 1900<br />

habe in den Etablissements in New Orleans der Duft von<br />

Jasmin vorgeherrscht, das Parfum der dort arbeitenden<br />

Damen. Die Abkürzung von Jasmin, also Jass, soll der<br />

Musik, die in ebendiesen Clubs gespielt wurde, den Namen<br />

gegeben haben. Auch «Jazzy» spielt in einem Lokal,<br />

allerdings nicht in einem einschlägigen, sondern in einer<br />

verstaubten Schweizer Beiz in einer ländlichen Region<br />

nahe der Grenze.<br />

Die stramme Wirtin wurstelt sich mehr schlecht als recht<br />

durch die Krise der 1930er Jahre: Ein bisschen Absinth,<br />

ein bisschen Selbstversorgung und praktisch keine<br />

Kundschaft. Als ein fremder Gast ankommt, werden ihr<br />

Misstrauen, aber auch ihre Neugier geweckt. Sie vermutet,<br />

dass es sich um einen «Neger» handelt. In ihrem<br />

Zwiespalt von humanitärer Tradition und Überfremdungs-<br />

Freitag, 28. Januar, 20.30 uhr<br />

SaMStag, 29. Januar, 20.30 uhr<br />

4. Secondo* theatertournÉe<br />

dienStag, 25. Januar, 20.30 uhr<br />

luStiger dienStag 51<br />

JAZZY – SWING IM STÜBLI


Als erstes betritt MC ANLIKER die Turntables, wärmt<br />

die Tanzgemeinde mit heissen Liebesliedern auf und<br />

erwartet dann Miss Jane Vayne zum Duell. Ab 2.00 Uhr<br />

heizt DJ Jane Vayne den Tanzwütigen auf dem gutgeölten<br />

Tojanischen Parkett bis in die frühen Morgenstunden ein.<br />

Ein theatralisches Feuerwerk mit schweisstreibender<br />

Inszenierung. Wem gehört der Tanz?<br />

Freitag, 28. Januar, 20.30 uhr<br />

SamStag, 29. Januar, 20.30 uhr<br />

4. Secondo theatertournÉe<br />

die Vier beiM 4. natiOnalen SecOndO tHeaterfeStiVal<br />

auSgezeicHneten kurzStücke<br />

befaSSen SicH Mit deM tHeMa «HeiMat».<br />

www.SecOndOfeStiVal.cH.<br />

reSerVatiOn: 079 604 11 89 (SMS),<br />

reSerVatiOn@SecOndOfeStiVal.cH<br />

Das Secondo Festival ist eine interkulturelle Plattform<br />

für Theaterschaffende mit schweizerischer und ausländischer<br />

Herkunft. Vor fünf Jahren wurde das Festival von<br />

einer Projektgruppe initiiert und mit fachlicher Unterstützung<br />

der Zürcher Hochschule der Künste und finanzieller<br />

Unterstützung der Eidgenössischen Kommission für<br />

Ausländerfragen bzw. dem Bundesamt für Migration,<br />

im Jahre 2004 ins Leben gerufen. Seither wurden<br />

Theaterschaffende, Autoren und Autorinnen eingeladen,<br />

zu bestimmten Themen von Secondas und Secondos eine<br />

Bühnenproduktion zu erarbeiten. Zum Abschluss des<br />

Festivals werden vier Produktionen ausgezeichnet, die<br />

auf eine Tournée durch verschiedene Orte in der Schweiz<br />

gehen.<br />

komik. Sie erobern die Theaterwelt mit einem stimmigen<br />

Mix aus poetischem Theater, schwarzem Humor, Groteske<br />

und Musik. Die drei Figuren in schwarz. Vornehm und<br />

klassisch gekleidet, mit Melone und Schirm, vom Leben<br />

gezeichnet, passen äusserlich irgendwie nicht in die<br />

heutige Zeit. Die ehemals erfolgreiche, inzwischen gealterte,<br />

nach Liebe und Wärme dürstende Sängerin; der<br />

überforderte, gutbürgerliche Geschäftsmann, der an den<br />

Ansprüchen seines privaten und beruflichen Umfeldes<br />

zu zerbrechen droht; und der introvertierte Bibliothekar,<br />

der nie über den Tod seines einzigen Sohnes hinweggekommen<br />

ist: Sie bewegen sich in leisen, optisch schönen<br />

und zugleich abgründigen, zupackenden Bildern. Sie<br />

kommen aus verschiedenen Vergangenheiten und haben<br />

prägnante Lebensträume und Sehnsüchte entwickelt. Nur<br />

das Leiden am Leben verbindet sie. Gefangen in ihrer<br />

beengten Welt, kreuzen sich ihre Wege in den variantenreichen<br />

Musik-, Mal-, Tanz- und anderen Therapien.<br />

Diese kommen schräg und komisch daher und fügen<br />

sich trotzdem in die latente Morbitität des Stückes ein.<br />

Da wird in manchmal grotesker Verfremdung gemalt,<br />

gesungen, getanzt, gespielt und musiziert. Die Therapien<br />

wirken, aber wirken sie so, wie sie sollen? Oder öffnen<br />

auch sie Abgründe?<br />

Ein poetisches Stück mit viel Witz und einem gewagten<br />

Spiel mit dem Absurden und Grotesken, untermalt durch<br />

gehaltvolle musikalische Eigenkompositionen.<br />

Es Huere Cabaret zuletzt im Tojo beim Lustigen Dienstag<br />

49 im November 2010 (Siehe megafon 11/10).<br />

die Stücke:<br />

finalmente dihei!<br />

VOn i Pelati delicati, baSel. Mit: andrea<br />

bettini und baSSO SalernO aM akkOrdeOn.<br />

regie: cHriStian VetScH.<br />

«I pelati delicati» begeben sich mit ihrer roten «Vespa<br />

Primavera» auf eine lange Reise, die sie schliesslich an<br />

ihr Ziel, «es Dihei», führen soll. Wird ihnen der Spagat<br />

zwischen «Assimilierungsarschchrüücher» und «Machoprinzen»<br />

gelingen?<br />

SamStag, 22. Januar, 20.00 uhr<br />

alleS iSt nichtS iSt alleS<br />

PerfOrMance in Vier Szenen. leitung: katJa<br />

bOller. kOnzePt: Marina bOlzli, katJa bOller.<br />

eine auSeinanderSetzung Mit «cOMMOnS –<br />

geMeingüter» Mit den Mitteln VOn kOntaktiMPrOViSatiOnStanz,<br />

MuSik und text.<br />

Die vier TänzerInnen Katharina Amrein, Lea Weber,<br />

Susanne Zoll von der Compagnie Frauletten und Michael<br />

Amrein lassen mit Kontaktimprovisationstanz anhand<br />

paranoia gewährt sie ihm schliesslich vorübergehend<br />

eine Toleranzbewilligung.<br />

Die Geschichte des Jazz ist untrennbar mit jener<br />

der Schwarzen verbunden: Der Rassismus im Süden<br />

Amerikas löste in den Jahren von 1910 bis 1930 einen<br />

Massenexodus aus. Hunderttausende wanderten in den<br />

liberaleren Norden, in der Hoffnung dort leichter Arbeit<br />

und grössere Akzeptanz zu finden. Die Musik wanderte<br />

mit. Im faschistischen Europa wurde Jazz als entartete<br />

Kunst verpönt und geahndet. Dies wurde durch den grossen<br />

Anteil von jüdischen Jazzmusikern noch verstärkt.<br />

Als im März 1938 österreich dem deutschen Reich<br />

einverleibt wurde, flohen über 100 000 Juden aus<br />

österreich, rund 6000 davon in die Schweiz. Im August<br />

1938 verbot die Schweiz jegliche Einreise von jüdischen<br />

Flüchtlingen. Die Grenzstellen wurden angewiesen,<br />

jüdische Flüchtlinge zurückzuweisen. Danach konnten<br />

die Flüchtlinge nur noch auf illegalen Wegen über die<br />

Grenze gelangen. Am 5. Oktober 1938 erklärten die Nazis<br />

die Reisepässe deutscher und österreichischer Juden<br />

für ungültig, und verordneten auf Initiative der Schweiz<br />

deren Kennzeichnung (Judenstempel).<br />

Ein Schweizer Radiokritiker beschimpfte Jazz als «Negerund<br />

Schwachsinnigenmusik». Der schweizerische Bauernverband<br />

beantragte beim Schweizer Radio, Jazzmusik<br />

soll doch erst ab 21 Uhr ausgestrahlt werden, wenn die<br />

Bauern nicht mehr Radio hörten.<br />

In Ihrem Schlussbericht von 2002, S. 521, stellt die<br />

unabhängige Expertenkommission Schweiz – Zweiter<br />

Weltkrieg fest: Der «Zeitgeist» nährte diese Krisen und<br />

schuf bei vielen ein tiefes Misstrauen gegenüber allem,<br />

was den Kulturen des Landes als fremd erschien. ....<br />

Viele misstrauten Lebens-, Denk- und Glaubensformen,<br />

die aus der Ferne, aus Übersee kamen – der Jazz ist ein<br />

Beispiel dafür.<br />

Der Fremde in unserem Stück ist ein Flüchtling, ein Jude,<br />

ein Zigeuner, ein Künstler, ein Bolschewik, vielleicht<br />

schwul, kurz eben der «Neger». Die Vorlage für die Figur<br />

des «Negers» findet sich in den Minstrel Shows und<br />

der Tradition der «Blackfaces»: «If black performers<br />

wanted to play in mixed theaters, they had to black up,<br />

the audience than persumed that they were white». Was<br />

Josephine Baker hier beschreibt, ist die absurde Szenerie,<br />

dass Schwarze, die in gemischten Theatern auftreten<br />

wollten, Weisse spielen mussten, die Schwarze spielen.<br />

THERAPIE<br />

4. SECONDO THEATERTOURNéE – FINALMENTE DIHEI!<br />

abschnitt


abschnitt<br />

1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />

TOJO THEATER<br />

PROGRAMM<br />

megafon 10.12<br />

mein leBen ˛ mein film<br />

sei dahingestellt. Jedenfalls hat sich seine allgemeine<br />

Einstellung dank Angelika (siehe drittens) merklich<br />

verändert. Er sieht die Welt nicht mehr so realistisch,<br />

er verspürt nun auch Hoffnung für die Menschheit. Doch<br />

Gefühlslagen sind labil und wandeln hurtig der Liebe<br />

Gewalt in trunkene Nüchternheit.<br />

Drittens auf Angelika, die neue Pianistin. Sie ist<br />

talentiert, hat ein neues Klavier, bringt neuen Wind in<br />

die Crew und ein Glänzen in deren Augen. Dem Nägeli<br />

hat sie, wenn sie so weitermacht, auch schon bald den<br />

Hals verdreht. Eigentlich sind schon sämtliche Hälse der<br />

männlichen Crew verdreht. Und endlich jemand, die ein<br />

Instrument spielt und es auch kann.<br />

Und last viertens and least ist da noch JP. (sprich:<br />

dschei-pii), der Tüpp von der Gasse, der eigentlich nur<br />

rein zufällig in die Crew gerutscht ist. Seine abgehalfterte<br />

Leningrad Cowboy Frisur hilft auch nicht weiter,<br />

seine Funktion im Team bleibt ungeklärt, seine liebsten<br />

beiden Äusserungen (Rock’n Roll! und Uapapaluba!) sind<br />

das geistreichste, was er von sich gibt.<br />

So startet also der 51. Lustige Dienstag in das Uno-Jahr<br />

der Wälder, das, symptomatisch mit dem chinesischen<br />

Jahr des Feldhasen zusammenfällt. Habt keine Angst und<br />

kommt sehen, vor lauter Bäumen. Die Gäste sind bei Redaktionsschluss<br />

erst noch auf der Warteliste. Gestrichen<br />

sind bereits Francine Jordi, Peter Räpper und Ulrichs<br />

schier lustige Lappen.<br />

VOn Szenart aarau. regie: HanneS leO Meier.<br />

filMregie: SeVerin kuHn. regieaSSiStenz: JÖrg<br />

raMel. PrOduktiOn: OliVer HOfer. kOStüMe/<br />

rauM: SuSanne bOner. aSSiStenz: katJa<br />

kOller. tecHnik: lukaS kOller. SPielerinnen:<br />

daVide tuliPanO, eliane bertScHi, flOrian<br />

Hett, Meral kÖSeOglu, MOritz PraxMarer,<br />

SaraH blickenStOrfer, SeliM yilMaz, SilViO<br />

bruder, SOPHia baSler, tibOr blattner.<br />

«Szenart» lässt in «Mein Leben – Mein Film» zehn<br />

Jugendliche ihr Leben beobachten, als wäre es ein Film.<br />

Und sie beobachten Filme, als wären diese ihr Leben.<br />

Sind sie die Regisseure ihrer Lebensfilme? Leben sie in<br />

einer Tragödie oder in einer Komödie? Oder vielleicht<br />

sogar im falschen Film?<br />

4. SECONDO THEATERTOURNéE – GALAXY WORLD<br />

DienStag, 25. Januar, 20.30 uhr<br />

luStiger dienStag # 51<br />

Lustiger Dienstag zuletzt im Tojo mit dem Jubiläum<br />

«Lustiger Dienstag 50» im Dezember 2010 ( Siehe<br />

megafon 12/10).<br />

MeHr alS Variété! Mit der ludi-crew: JuditH<br />

bacH, rObert StOfer, MarkuS ScHrag, tHO-<br />

MaS laube und gäSten. regie: JOSt krauer.<br />

Nach dem legendären dreitägigen 50. Jubiläum des<br />

Lustigen Dienstags ist die Crew nun wieder echt gefordert.<br />

Und wieder auf sich selbst gestellt. Das heisst:<br />

Erstens auf Will Lee, dem ehemaligen Art Director, der<br />

nun zum Requisiteur und Bühnenputzer aufgestiegen<br />

ist. In seiner früheren Funktion nötigte er das Publikum<br />

mit der Präsentation verschiedenster Klassiker, von<br />

Star Wars bis Goethes Däumling. Nun beschränkt er<br />

sich zum Glück aufs Putzen und den Publikumswettbewerb.<br />

Da kommen so sinnige Fragen wie: Was ist hier<br />

eigentlich lustig? Was würde ich besser sein lassen?<br />

Warum findet der Lustige am Dienstag statt? Wie lautet<br />

die Wettbewerbsfrage? Und verblüffenderweise findet<br />

das Publikum stets Antworten, und, noch verblüffender,<br />

kriegt dafür auch noch schöne Preise. Zweitens auf Hans<br />

Franz Nägeli, der Moderator. Ob er wirklich moderat ist,<br />

galaxy World<br />

VOn cOMPagnia i balOSS, luganO. regie:<br />

Vania luraScHi. tecHnik: cinzia MOrandi.<br />

SPiel: aMaral lOPeS flaVia, iVana barukcic,<br />

bOrella giulia, garObbiO debOra, gianOra<br />

antHea, giudicetti nicOle, nerO arMandO,<br />

PaSta eliSa, rOManSki SOraya, SalgadO<br />

MariSa, SiMunOVic’ dOriS, weitHaler<br />

anaStaSia, zufOlO giOnata.<br />

«Compagnia i Baloss» präsentiert unter dem Titel<br />

«Galaxy World» die Resultate der zahlreichen experimentellen<br />

Sitzungen im Theatersaal ihrer Schule.<br />

geKämpft Wie löWen<br />

VOn tHeaterkidS der Stadt luzern. kOnzePt/<br />

regie: walti MatHiS. regieaSSiStenz: leOnie<br />

HüSler. SPiel: lucien delacrOix, xenia<br />

bertScHMann, nOel gwerder, nicOle Sauter,<br />

SiMOna bauMgartner, Marina gMür, SiMOna<br />

bauMgartner, Valena frey, lukaS ScHwander,<br />

nOaH auf der Maur, raMOna luMinati,<br />

katHrin ScHürMann, lOrena brücker, Serge<br />

nOtter, till ScHuSter, MaryaM MaSSaaf,<br />

ariana bucHMann.<br />

Die «Theaterkids der Stadt Luzern» erzählen ein Stück<br />

Schweizergeschichte: In «Gekämpft wie Löwen» fliehen<br />

Jugendliche 1789 vor einer brutalen Bettlerjagd nach<br />

Frankreich, wo sie in die Wirren der Revolution geraten<br />

und sich als Kindersoldaten anwerben lassen. Begleitet<br />

wird die Haupthandlung von satirischen Szenen über<br />

Secondos, die sich in der heutigen Schweiz auf Heimatsuche<br />

befinden.


1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12<br />

FRAUENRAUM<br />

PROGRAMM<br />

megafon 10.12<br />

Freitag, 28. Januar, 21.00 uhr<br />

tanzBar mit dJ zardaS<br />

Freitag, 7. Januar, 22.00 uhr<br />

popShop mit dJ anouK amoK<br />

Standard und lateinaMerikaniScHe tänze<br />

und diScO für frau und frau, Mann und<br />

Mann und friendS.<br />

SamStag, 22. Januar, 21.30 uhr<br />

auStra (Can) candelilla (d)<br />

dJS not_Betty & fernWeh<br />

indie­roCK­neW­WaVe­pop­aCHtZiGerpunK­oLdsCHooL­neWsCHooL­disCo<br />

SamStag, 29. Januar, 22.00 uhr<br />

normal love (berLin)<br />

fred hyStere & ginger<br />

dropS doWnStairS (Züri)<br />

party we say die). «Wir flirten mit dem sexy, sexy Beat»,<br />

verkünden sie, die sich zuletzt über ihre vielen ausflippenden<br />

Konzertbesucher_innen wunderten: «Boah,<br />

die tanzen ja!» Den Beat haben sie importiert aus dem<br />

Technoland der geraden Zahlen in ihr Rockreich voller<br />

Brecht/Weillscher Theatralik, Störaktionen und gelegentlichen<br />

Schönklangs («Da muss der Hörer jetzt durch»).<br />

So auch in der Single «13»: Sandra Hilpold treibt an den<br />

Drums alles voran, Mira Manns Bass hält hart Schritt,<br />

Lina Seybolds Gitarre hat Drive, selbst Rita Argauers<br />

Piano und der (Sprech-) Gesang aus drei Kehlen tanzen<br />

auf den Schlägen.<br />

<br />

Poppiger ins Jahr starten als mit Berns Popkönigin<br />

schlechthin geht kaum! Drum lasset uns die Plastikblumen<br />

über den Wolken erblühen und die Eiswürfeli schmelzen,<br />

drum kommet und tanzet, denn sonst müsst ihr gar nichts<br />

ausser schlafen, trinken, atmen… und… Na ja, ihr wisst<br />

schon. Frauen, belebt diese Freitag Nacht!<br />

Willkommen in Bern-lin! Normal Love (queer-progressive<br />

berlin underground neo pop) ist eine Gang bestehend<br />

aus der Sängerin pauline p-love, der Drummerin ink<br />

r. nation (beide ex rhythm king & her friends) und der<br />

Gitarristin ben kaan (kat frankie). Feine Melodien treffen<br />

auf klassische Discobeats und dies nicht ohne den<br />

Beigeschmack der 80er Jahre und dem Einbezug queerer<br />

Politik.<br />

Vor und nach der Bühnenshow knicken uns zu unser aller<br />

Entzücken die drei Zürcherinnen «Fred Hystère & Ginger<br />

Drops Downstairs» die Beine.<br />

CANDELILLA<br />

auStra – ein PrOJekt VOn katie StelManiS<br />

und Maya POStePSki: Hin- und hergerissen zwischen<br />

klassischer Musik und der Popwelt, beeinflusst durch<br />

Bands wie Nine Inch Nails oder The Knife und die Ausflüge<br />

in die RiotGirls-Bewegung (Galaxy) haben zu Katie<br />

Stelmanis Sound geführt. Getragen durch ihre starke<br />

und intensive Stimme trat sie mit ihrem eigenwilligen<br />

Sound in den letzten Jahren als Solokünstlerin auf. Für<br />

ihr neues Projekt Austra hat sie ihre Freundin Maya<br />

Postepski mit ins Boot geholt, eine Percussionistin mit<br />

langjähriger Erfahrung. Beide haben bei Galaxy zusammen<br />

mitgewirkt. Während Live-Performances werden<br />

sie dabei durch den Bassisten Dorian Wolf unterstützt.<br />

Austra repräsentiert die musikalische Weiterentwicklung<br />

von Katie Stelmanis als Soloartistin über 10 Jahre<br />

hinweg, vervollständigt durch ihre Band. Oder ganz<br />

einfach gesagt: «More settled and dominant than ever,<br />

the AUSTRA sound represents all of Katie's influences<br />

tightened into a shiny metal ball – pianos give way to<br />

keyboards as songs build and pull, their urgent dark<br />

melodies arpeggiating and multiplying through an army<br />

of synthesizers, wrapping themselves around Katie's<br />

astounding voice.»<br />

DonnerStag, 13. Januar, 20.00 uhr<br />

Barometer mit dJ xylophee,<br />

dJ dunch, dJ fratz, Bruno,<br />

iSaBelle, miKe & dJ elferich<br />

elektrOniScHe leckerbiSSen zu leSbiScH-<br />

ScHwuleM cHillen<br />

KATIE STELMANIS / AUSTRA<br />

WinterpauSe!<br />

Vom 30. Januar bis am 25. Februar gehen wir schlafen,<br />

einzig BarOmeter wird durchmachen.<br />

Am Wochenende des 25./26. Februars wirds mit dem<br />

RaBe-Fest dann wieder kräftig musikalisch und fein<br />

konzertig!<br />

candelilla – «reasonreasonreasonreason» haben<br />

die famosen Vier in aller Dringlichkeit Album eins<br />

genannt (dessen Hüllen sie kunst- und liebevoll von Hand<br />

gesiebdruckt, gestanzt, gefaltet und geklebt haben).<br />

«Mussmussmussmuss» hätte auch gepasst. Oder ein<br />

bisschen «Oléoloéoléolé» – im Bauch fühlt es sich wie<br />

eine Partyplatte an. Candelilla haben das «Disko»-Schild<br />

über sich angeknipst (im Sinne von Gossip oder You say<br />

abschnitt


story of hEll<br />

46<br />

megafon nr. 351, Januar 2011<br />

«the largest living land mammal is<br />

the absent mind.»<br />

«Be kind, man – don‘t be mankind.»<br />

In memoriam Captain Beefheart<br />

(1941 - 2010)<br />

stets auf das schlimmste gefasst,<br />

schränken wir uns ein, alles,<br />

was unzuträglich sein könnte zu<br />

vermeiden. Wir verdrängen jeden<br />

schaden, den wir einmal erlitten<br />

haben mögen, bis wir von ihm<br />

eingeholt werden. dann drehen wir<br />

durch, ab oder auf, den rücken der<br />

Wand zu- oder abgewandt, oder wir<br />

drehen zu, nehmen alles in uns auf<br />

und behalten es da. Wir heben alles<br />

ab, was wir haben, wenn wir noch<br />

etwas haben, gehen unter, wenn wir<br />

nichts mehr haben, so ist das. aber<br />

so muss das nicht sein. das ist der<br />

ausgangspunkt.<br />

so bald stellt sich die frage: «Wo<br />

denken wir hin?!» – und sogleich<br />

folgt die frage: «denken wir denn,<br />

überhaupt, irgendwann, und wo, worüber<br />

– nach oder vor?» – auf dem<br />

fuss: «Wozu? Es kommt eh anders<br />

als wir denken». soweit kommen wir<br />

jeweils, dann lassen wir es bleiben.<br />

am punkt, wo die realität überhand<br />

nimmt, fragen nicht gefragt sind,<br />

was da ist fraglos hier ist um zu<br />

bleiben. darüber nachzudenken<br />

lohnt nicht, sich darüber aufzuhalten<br />

gilt als verkehrsstörung, die aus<br />

dem Weg geschafft werden muss.<br />

sonst kommen wir nirgendwo hin.<br />

schliesslich wollen wir freie Bahn<br />

für freie gedanken, alles andere ist<br />

uns egal. Wohin die reise führen<br />

wird wissen wir noch lange nicht.<br />

aber wir sind angekommen, in<br />

dieser realität, eingefahren in<br />

einen grossen Bahnhof, eine riesige<br />

Baustelle, genau betrachtet, eine<br />

vielschichtige angelegenheit von<br />

komplexer natur. Wir sind da und<br />

steigen aus. Wir steigen aus und<br />

sind da, genauer gesagt. und da<br />

story of hEll – Ca. vom WIndE vErWEhtEstE folgE<br />

präsEntIErt von dEr spartEnüBErgrEIfEndEn proJEktgruppE für nano-sozIalIsatIon<br />

ausgestiegen, landen wir schnell<br />

in der Burg, diesem hafen für<br />

schiffbrüchige aus aller Welt,<br />

diesem allerwelts schutzschirm in<br />

allen Währungen für Banken, die<br />

nicht wetten, deren kurs folglich<br />

am sinken ist, denn nur wer wagt<br />

gewinnt auch. und wer gewinnt und<br />

Erfolg hat ist angekommen in dieser<br />

guten gesellschaft, in welcher<br />

der Wagemut weiter verbreitet<br />

sein muss als auf den ersten Blick<br />

ersichtlich. In Wirklichkeit hängen<br />

alle an alten zöpfen und versuchen<br />

hinaufzuklettern, als handle es sich<br />

um eine leiter.<br />

Wir haben jetzt einen Bausatz geschaffen,<br />

einen satz Würfel, beliebig<br />

aufzutischen, mehr oder weniger<br />

dem gang der dinge entsprechend,<br />

immer darauf vorbereitet, zu fallen,<br />

denn alles geht runter, die schwerkraft<br />

wirkt abwärts. aber so ein<br />

Würfel, der zeigt dann auch was<br />

an, wenn einmal gefallen, ganz im<br />

gegensatz zu einer murmel, die<br />

einfach rollt, dabei allerhand unvorhergesehenes<br />

auslöst, um sich am<br />

Ende am ausgangspunkt wiederzufinden.<br />

Wieder eingelegt in die Bahn,<br />

herunterrollend entsprechend den<br />

gesetzmässigkeiten der schwerkraft,<br />

aber mit grosser sicherheit<br />

am tiefsten punkt landend.<br />

mit grosser voraussicht haben wir<br />

deshalb auf der hochlobpreisinsel,<br />

hoch oben auf dem plateau, verschiedene<br />

ausgangspunkte für verschiedene<br />

Bahnen vorbereitet, durch<br />

welche die murmeln rollen, allerlei<br />

unvorhergesehenes auslösend,<br />

das ganze theater, das kann alles<br />

bedeuten, so absurd es erscheinen<br />

mag. Wir alle kennen die geschichte<br />

vom umfallenden reissack irgendwo<br />

in China, auch diejenige vom flügelschlag<br />

des schmetterlings, alle<br />

führen letztendlich an den selben<br />

ort: nirgendwo, überallhin.<br />

Bis weit hinaus ins all reicht die<br />

seuche der in aller Bescheidenheit<br />

«globalisierung» genannten krank-<br />

heit, welche die menschheit befallen<br />

hat, kurz nach der postmodernen<br />

revolution, in deren verlauf die<br />

gesamten Werte von grund auf auf<br />

den kopf gestellt geworden waren.<br />

Etwas, was wohl den meisten<br />

entgangen sein wird, denn niemand<br />

schert sich darum. nicht genug, den<br />

planeten zuzumüllen, scheint es<br />

sich die menschheit aufs fähnlein<br />

geschrieben zu haben, gleich ein<br />

ganzes universum mit in den untergang<br />

zu nehmen.<br />

um missverständnissen vorzubeugen,<br />

es geht hier keineswegs<br />

darum, schwarz zu malen, oder<br />

etwas zu beschönigen, untergänge<br />

können bekannterweise eine<br />

gewisse faszination bewirken,<br />

keine frage. Es ist einfach klar, dass<br />

eine künftige Bevölkerung des alls,<br />

gehandelt als eine zukünftige genesis<br />

der menschheit, wenn sie den<br />

heimischen planeten vollständig an<br />

die Wand gefahren haben und nach<br />

neuen siedlungs-gründen ausschau<br />

halten müssen wird, im voraus zum<br />

scheitern verurteilt sein wird. da<br />

schwebt schon so viel müll in der<br />

schwerelosigkeit herum, das mag<br />

sämtliche alpträume, wie wir sie uns<br />

bisweilen machen, übertreffen.<br />

und so erwachen wir mit einem<br />

schrecken im hier und Jetzt, schütteln<br />

uns die träume aus dem fell<br />

und schnüffeln begierig weiter. Es<br />

nimmt uns Wunder was noch kommen<br />

wird. Wir sind auf das schlimmste<br />

gefasst, deshalb kann uns auch<br />

nichts mehr überraschen. darauf<br />

vorbereitet zu sein erweist sich als<br />

das einzige mittel, gegen all die<br />

unbill die da wartet anzukommen.<br />

und wenn das dann eintritt, sagen<br />

wir, es wird zur Wirklichkeit, es ist<br />

da, sind wir darauf vorbereitet: Wir<br />

haben nichts anderes erwartet.<br />

so einen haufen scheisse.<br />

In der nächsten folge: Wir schauen<br />

heiter weiter.


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postfach 5053 | 3001 Bern<br />

reitschule@reitschule.ch<br />

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t 031 306 69 69<br />

anlaufstelle gegen gewalt<br />

in der reitschule (aggr)<br />

hilfe@reitschule.ch<br />

baubuero@reitschule.ch<br />

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