Hallo, Hola, Ola - Sprachförderung in Kindertagesstätten
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Beauftragte der Bundesregierung<br />
für Ausländerfragen<br />
HALLO, HOLA, OLA<br />
<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten
HALLO, HOLA, OLA<br />
<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten<br />
Berl<strong>in</strong>, Bonn September 2000
Herausgeber:<br />
Beauftragte der Bundesregierung für<br />
Ausländerfragen<br />
11017 Berl<strong>in</strong><br />
53107 Bonn<br />
Postfach 14 02 80<br />
Internet: http://www.bundesauslaenderbeauftragte.de<br />
Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei
Vorwort<br />
Kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der kennen noch ke<strong>in</strong>e Vorurteile. Ob e<strong>in</strong> anderes K<strong>in</strong>d schwarze oder grüne Augen<br />
hat, rote oder dunkle, glatte oder krause Haare, wird e<strong>in</strong>fach als e<strong>in</strong>e von vielen Möglichkeiten<br />
des Aussehens wahrgenommen.<br />
Auch Unterschiede <strong>in</strong> der Sprache, gleichgültig ob bei deutschsprachigen oder fremdsprachigen<br />
K<strong>in</strong>dern, werden zunächst e<strong>in</strong>fach registriert. Die Verständigung klappt meistens dennoch.<br />
Die Phase des K<strong>in</strong>dergartenalters ist allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e besonders wichtige für die Entwicklung<br />
des Sprechvermögens ganz allgeme<strong>in</strong>.<br />
<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten muss deshalb <strong>Sprachförderung</strong> für alle K<strong>in</strong>der se<strong>in</strong>,<br />
unabhängig von ihrer Herkunft. Alle K<strong>in</strong>der werden von pädagogisch geleiteter Förderung <strong>in</strong>terkulturellen<br />
Lernens profitieren.<br />
Das Konzept, das <strong>in</strong> dieser Broschüre vorgestellt wird, trägt den eben genannten Umständen<br />
Rechnung. Es versucht auch nicht, isoliert von den Lebenswelten der K<strong>in</strong>der nur Sprache zu<br />
fördern, sondern tut dies im Rahmen e<strong>in</strong>es situationsorientierten Ansatzes, <strong>in</strong> dem gleichzeitig<br />
allgeme<strong>in</strong>e kommunikative Fähigkeiten und auch kognitive Fähigkeiten geschult werden.<br />
Als Ausgangspunkt für <strong>Sprachförderung</strong> wird allerd<strong>in</strong>gs immer die <strong>in</strong>dividuelle Sprachsituation<br />
des K<strong>in</strong>des verstanden.<br />
Das Handbuch ist gedacht für das Leitungspersonal von K<strong>in</strong>dertagesstätten sowie für Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
und Erzieher. Nach e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>führung zur Sprachentwicklung enthält es konkrete,<br />
stark umsetzungsbezogene Anleitungen zur <strong>Sprachförderung</strong> von ausländischen wie deutschen<br />
K<strong>in</strong>dern. Auch Arbeit mit Eltern gehört dazu.<br />
Um das Handbuch für die tägliche praktische Arbeit mit den K<strong>in</strong>dern besonders geeignet zu<br />
machen, ist es als stabiles R<strong>in</strong>gbuch gebunden und mit viel Platz für eigene Notizen versehen,<br />
so dass nach e<strong>in</strong>iger Zeit jede Erzieher<strong>in</strong>, jede Leiter<strong>in</strong> ihr ganz persönliches Exemplar<br />
besitzt.<br />
Das Konzept der <strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten wurde vor Veröffentlichung mehrfach<br />
erprobt und hat sich bereits bewährt. Es wäre s<strong>in</strong>nvoll, dass viele K<strong>in</strong>dertagesstätten <strong>in</strong><br />
der Bundesrepublik von den Erfahrungen mit diesem Ansatz profitieren. Besonders erfreulich<br />
wäre es, von solchen K<strong>in</strong>dertagesstätten e<strong>in</strong>e Rückmeldung über den Erfolg bei der Anwendung<br />
des Konzepts bzw. kritische H<strong>in</strong>weise zu weiterer Verbesserung zu bekommen. Ich<br />
hoffe, dass allen Leser<strong>in</strong>nen und Lesern die Lektüre dieses Handbuches Freude macht und<br />
Interesse weckt.<br />
Marieluise Beck
<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten<br />
Gutachten vorgelegt von:<br />
Renate Militzer<br />
Helga Demandewitz<br />
Ragnhild Fuchs<br />
Dezember 1999<br />
Sozialpädagogisches Institut NRW<br />
5
Inhalt<br />
I. Theoretische Grundlagen<br />
1. Der Spracherwerb .................................................................. 08<br />
1.1 Vorstufen des Spracherwerbs.................................................... 08<br />
1.2 Stadien des Spracherwerbs ..................................................... 09<br />
2. Zweisprachigkeit im Elementarbereich............................................... 12<br />
2.1 Erstsprache und Identitätsentwicklung ........................................... 12<br />
2.2 Erst- und Zweitsprache.......................................................... 14<br />
2.3 Erwerb der Zweitsprache Deutsch ............................................... 15<br />
3. Überlegungen zur zweisprachigen Erziehung......................................... 19<br />
II. Aspekte e<strong>in</strong>er systematischen, am K<strong>in</strong>d orientierten <strong>Sprachförderung</strong><br />
1. Die Grundlagen der <strong>Sprachförderung</strong> ................................................ 20<br />
1.1 <strong>Sprachförderung</strong> als Teil der Gesamtkonzeption im Elementarbereich .............. 20<br />
1.2 Orientierung an der Lebens-/Situation von K<strong>in</strong>dern................................ 23<br />
1.3 Analyse der familiären Sprachsituation ........................................... 24<br />
1.4 Handlungsorientierte <strong>Sprachförderung</strong> ........................................... 26<br />
2. Vier Schritte zu e<strong>in</strong>er bewuûten, situationsorientierten <strong>Sprachförderung</strong> ............... 28<br />
2.1 ¹Dass wir sprechen können, heiût noch lange nicht, dass wir auch etwas sagenª . . . 28<br />
2.2 Vier Schritte .................................................................... 30<br />
2.3 Erster Schritt: E<strong>in</strong>e Situation als geeignet für <strong>Sprachförderung</strong> erkennen............ 31<br />
2.4 Zweiter Schritt: E<strong>in</strong>en ¹öffnendenª Kontakt zum K<strong>in</strong>d herstellen .................... 32<br />
2.5 Dritter Schritt: Sprache bewuût und situationsorientiert fördern .................... 35<br />
2.6 Vierter Schritt: Die Situation tabellarisch dokumentieren ........................... 36<br />
3. Den Alltag nutzen für e<strong>in</strong>e bewuûte <strong>Sprachförderung</strong> ................................. 37<br />
3.1 Tagesablauf. .................................................................... 38<br />
3.2 Raumgestaltung ................................................................ 39<br />
3.3 Materialien und Medien.......................................................... 41<br />
3.4 Öffnung zum Stadtteil ........................................................... 47<br />
4. Das Verhalten der Erzieher<strong>in</strong> ........................................................ 49<br />
4.1 Die Erzieher<strong>in</strong> als Sprachvorbild.................................................. 49<br />
4.2 Aufgaben der muttersprachlichen Erzieher<strong>in</strong> für die <strong>Sprachförderung</strong> .............. 51<br />
5. Die Zusammenarbeit mit Eltern...................................................... 52<br />
5.1 Sprachwelten der K<strong>in</strong>der kennenlernen........................................... 52<br />
5.2 Eltern über die Arbeit <strong>in</strong>formieren. ................................................ 53<br />
5.3 Kompetenzen der Eltern nutzen .................................................. 55<br />
5.4 Wertschätzung und Anerkennung ausdrücken .................................... 56<br />
7
I. Theoretische Grundlagen<br />
Sprache ist die Grundlage der Kommunikation mit anderen Menschen, durch die Gedanken<br />
und Gefühle zum Ausdruck gebracht, Bedeutungen vermittelt, Wünsche oder Begehren kundgetan,<br />
Erlebnisse verarbeitet, Erfahrungen ausgetauscht, Zusammenhänge verstanden und<br />
Handlungen geplant werden. Sprache ist erforderlich, um sich mitzuteilen und andere zu verstehen.<br />
1. Der Spracherwerb<br />
Nach HURLOCK ist die Sprachentwicklung e<strong>in</strong> Wachstumsprozeû, <strong>in</strong> dem das K<strong>in</strong>d vom<br />
Unbestimmten, Undeutlichen und zufällig Geformten zum Klaren, Deutlichen und Kontrollierten<br />
gelangt. Sprechen besteht dar<strong>in</strong>, ¹dass e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d die Bedeutung der Wörter, die es<br />
gebraucht, auch kennen muû und sie mit den Gegenständen, die sie bezeichnen, <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />
br<strong>in</strong>gtª und ¹dass es se<strong>in</strong>e Wörter so ausspricht, dass sie für andere Mitglieder der<br />
Gesellschaft leicht verständlich s<strong>in</strong>dª. 1<br />
Obwohl das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e angeborene Bereitschaft mitbr<strong>in</strong>gt, Sprache zu erlernen, müssen<br />
Sprache und Sprechen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em jahrelangen Lernprozeû erworben werden. Der Erwerb der<br />
Erstsprache (Muttersprache) vollzieht sich <strong>in</strong> aufe<strong>in</strong>ander folgenden Phasen, die vermutlich<br />
für alle K<strong>in</strong>der gleich s<strong>in</strong>d, egal <strong>in</strong> welcher Sprache sie aufwachsen.<br />
Im Verlauf der Sprachentwicklung s<strong>in</strong>d groûe <strong>in</strong>dividuelle Unterschiede bei K<strong>in</strong>dern im H<strong>in</strong>blick<br />
auf die Geschw<strong>in</strong>digkeit der Entwicklung, des Wortschatzes, der Aussprache- und<br />
Satzbildungsfähigkeit zu beobachten.<br />
Wesentlich für die Sprachentwicklung s<strong>in</strong>d die Anregungen durch das Umfeld des K<strong>in</strong>des<br />
und die Motivation zum Sprechenlernen. Wichtig ist, dass K<strong>in</strong>der Sprache hören und<br />
anwenden können.<br />
1.1 Vorstufen des Spracherwerbs<br />
Die vorsprachliche Phase umfaût den Zeitraum von der Geburt bis zum ersten Wort im Alter<br />
von ca. e<strong>in</strong>em Jahr.<br />
Schreien<br />
Die Sprachentwicklung des K<strong>in</strong>des beg<strong>in</strong>nt mit dem Schreien. In den ersten Lebenstagen und<br />
Wochen ist Schreien e<strong>in</strong> Signal, das den Bezugspersonen die Wachzeiten ankündigt und sie<br />
zur Befriedigung der Bedürfnisse nach Nahrung und körperlichem Wohlbef<strong>in</strong>den auffordert.<br />
Schon nach wenigen Wochen s<strong>in</strong>d Unterschiede beim Schreien zu bemerken, d.h. das<br />
Schreien wird zunehmend differenzierter. Es gew<strong>in</strong>nt an Informationsgehalt, so dass die<br />
Bezugspersonen des K<strong>in</strong>des allmählich das Schreien aus Hunger von dem durch andere<br />
Störungen verursachten Schreien, wie Blähungen, Magenbeschwerden, unterscheiden<br />
können.<br />
Die Veränderung der Schreilaute und ihr E<strong>in</strong>satz wirken auf die mit der Pflege des K<strong>in</strong>des<br />
beschäftigten Personen wie e<strong>in</strong> auslösendes Signal. Somit haben diese Laute den Charakter<br />
e<strong>in</strong>er Mitteilung.<br />
Etwa ab der zehnten Woche treten auch Schreilaute lustvoller Art auf, die sog. Kreischlaute.<br />
Explosivlaute oder Gurren<br />
In den ersten Wochen und Monaten äuûert der Säugl<strong>in</strong>g noch e<strong>in</strong>e Reihe anderer e<strong>in</strong>facher<br />
Laute, z.B. Vokallaute, wie ¹a,äª, die häufig mit ¹hª verbunden werden, ¹ähä, häª oder Gurrund<br />
Explosivlaute: sog. rrr Ketten, Kehllaute, wie ¹ech, gu, gr, ngª. Diese Laute haben explosivartigen<br />
Charakter und werden oft durch re<strong>in</strong> zufällige Bewegungen des Stimmechanismus<br />
1 Hurlock, 1971, S. 157<br />
8<br />
Schreilaute haben<br />
Mitteilungscharakter<br />
Explosiv- und Gurrlaute<br />
entstehen <strong>in</strong> den ersten<br />
Wochen und Monaten eher<br />
zufällig<br />
Notizen
hervorgerufen. Das K<strong>in</strong>d stöût diese Laute nicht absichtlich aus; sie s<strong>in</strong>d lediglich Begleitersche<strong>in</strong>ungen<br />
und Reaktionen auf körperliche Bedürfnisse und Aktivitäten. Demnach s<strong>in</strong>d<br />
solche ¾uûerungen ke<strong>in</strong> Mittel der Verständigung, sondern lediglich e<strong>in</strong>e Art spielerischer<br />
Beschäftigung.<br />
Neben Schrei- und Kreischlauten treten weitere Laute auf, die als Quietschen, als Ausdruck<br />
von Fröhlichkeit, oder als Juchzen, als Ausdruck von Freude, bezeichnet werden.<br />
Ferner äuûert das K<strong>in</strong>d Blasreiblaute, wie ¹f, w oder sª, <strong>in</strong>dem es die Luft zwischen den<br />
geschlossenen Lippen durchpreût.<br />
Lallen<br />
Etwa vom zweiten bis dritten Monat s<strong>in</strong>d die ersten Behaglichkeitsäuûerungen wahrzunehmen.<br />
Damit erreicht das K<strong>in</strong>d die Phase des Lallens. Bei den Lalläuûerungen handelt es<br />
sich um rhythmische Lautketten, die unterschiedlich lang se<strong>in</strong> können, die e<strong>in</strong>fach oder<br />
mehrfach wiederholt werden und die den Charakter von Silben haben, die sich aus Vokalen<br />
und Konsonanten zusammensetzen, z.B. ¹ma-ma, da-da, ra-ra, de-de, ge-ge ¼ª.<br />
Im Laufe des ersten Lebensjahres nimmt die Anzahl der Laute, die e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d äuûert, ständig<br />
zu, wobei K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> dieser Zeit <strong>in</strong>dividuelle Vorlieben für bestimmte Lautkomplexe entwikkeln.<br />
Die <strong>in</strong> dieser Zeit gebildeten Lalläuûerungen können fremdartig kl<strong>in</strong>gen, weil sie nicht<br />
nur Laute der Erstsprache enthalten. Das Lallen ist nicht an bestimmte Gegenstände, Menschen<br />
oder Situationen gebunden. Obwohl manche Lalläuûerungen Wörtern gleichen, verb<strong>in</strong>det<br />
das K<strong>in</strong>d noch ke<strong>in</strong>erlei Bedeutung damit, ¹ma maª ± steht <strong>in</strong> dieser Phase noch<br />
nicht für Mutter. Der Wert des Lallens besteht <strong>in</strong> der Übung. Das Lallen wird vielfach als<br />
wichtiger Meilenste<strong>in</strong> auf dem Weg zum Sprechenlernen bezeichnet, da es für den später<br />
e<strong>in</strong>setzenden Spracherwerb e<strong>in</strong>e wichtige Funktion hat: ¹Das K<strong>in</strong>d hört se<strong>in</strong>e eigenen Laute<br />
und freut sich über die hörbar werdenden Fähigkeitenª. 2<br />
Das K<strong>in</strong>d übt <strong>in</strong> dieser Zeit vielfältige Lautverb<strong>in</strong>dungen e<strong>in</strong>. Es fängt an, se<strong>in</strong>e Lautäuûerungen<br />
zu wiederholen bzw. sich selbst nachzuahmen. Es stellt e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen<br />
Hören und Sprechen her, <strong>in</strong>dem es hört, wie es kl<strong>in</strong>gt, was es sagt, und spricht, was es<br />
hören möchte. Damit ist der erste Schritt von e<strong>in</strong>er spontanen Lautäuûerung h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />
gezielten Artikulation getan, und die Lautäuûerungen des K<strong>in</strong>des werden der Erstsprache<br />
zunehmend ähnlicher. Dies führt häufig dazu, ¹dass die Familie diese Lautungen aufnimmt<br />
und dem K<strong>in</strong>d wieder vorspricht, so dass sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em häufig wiederholenden Dialog e<strong>in</strong>zelne<br />
Lautgebilde verfestigen können.ª 3<br />
Mit etwa acht bis neun Monaten beg<strong>in</strong>nt das K<strong>in</strong>d, auch zu flüstern und hört sich dabei aufmerksam<br />
zu. In den letzten Monaten des ersten Lebensjahres ist e<strong>in</strong> erstes Sprachverständnis<br />
zu beobachten. Das K<strong>in</strong>d versteht den Inhalt e<strong>in</strong>iger Worte. So wendet es z.B. den<br />
Kopf dem entsprechenden Gegenstand oder der Person zu, wenn man es fragt: ¹Wo ist<br />
¼?ª Es reagiert auf Verbote, wie ¹ne<strong>in</strong>ª, <strong>in</strong>dem es se<strong>in</strong>e Tätigkeit kurz unterbricht.<br />
Schon <strong>in</strong> den ersten Monaten wirken sich E<strong>in</strong>flüsse der Umwelt auf die Art und Häufigkeit<br />
der Lautbildung aus. Wesentlich für den Spracherwerb ist, dass die Eltern mit dem K<strong>in</strong>d<br />
von Anfang an kommunizieren und dadurch e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Erfahrungswelt aufgebaut<br />
wird. Die Eltern, die den ¹Dialogª mit dem K<strong>in</strong>d zunächst alle<strong>in</strong> aufrechterhalten, leiten das<br />
K<strong>in</strong>d an, selbst solche Konzepte und Regeln zu entwickeln, die die Grundlage für den<br />
Spracherwerb darstellen, <strong>in</strong>dem sie das Verhalten des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong>terpretieren und ihm<br />
Bedeutungen zuweisen. Das K<strong>in</strong>d ist dabei aktiv an der Interaktion beteiligt.<br />
1.2 Stadien des Spracherwerbs<br />
Etwa gegen Ende des ersten Lebensjahres bildet das K<strong>in</strong>d erste s<strong>in</strong>nvolle Wörter. Wenn es <strong>in</strong><br />
der Lage ist, Lautäuûerungen mit bestimmten Inhalten zu verb<strong>in</strong>den, setzt das eigentliche<br />
2 Gipper, 1985, S. 40<br />
3 Bov<strong>in</strong>g. In: Gipper, a.a.O., S. 91<br />
9<br />
Lallen dient der E<strong>in</strong>übung<br />
von Lautverb<strong>in</strong>dungen<br />
Gegen Ende des ersten<br />
Lebensjahres beg<strong>in</strong>nt das<br />
K<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>zelne Worte zu<br />
verstehen<br />
Die Eltern sollten schon<br />
früh mit der sprachlichen<br />
Interaktion mit dem K<strong>in</strong>d<br />
beg<strong>in</strong>nen<br />
Notizen
Sprechen e<strong>in</strong>. Aus dem Lallen wird Sprache, wenn das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen Wort<br />
und Inhalt herstellen kann.<br />
Die ersten Sprachlaute werden im Vordermund artikuliert, z.B. ¹mam, ada, dadaª. Danach<br />
folgen die Laute, die im mittleren und h<strong>in</strong>teren Mund- und Rachenbereich gebildet werden.<br />
Das Erlernen der Sprachlaute sche<strong>in</strong>t also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Reihenfolge stattzuf<strong>in</strong>den.<br />
E<strong>in</strong>wortphase<br />
In der ersten Phase des Spracherwerbs spricht das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige wenige Worte ± E<strong>in</strong>wortäuûerungen<br />
± , von manchen Autoren auch als E<strong>in</strong>wortsätze bezeichnet. Diese E<strong>in</strong>wortäuûerungen<br />
beziehen sich immer auf die Gesamtsituation und können Wünsche, Gefühle,<br />
Bedürfnisse, Behagen oder Unbehagen ausdrücken oder Benennungsfunktionen (Namen)<br />
haben. Sie s<strong>in</strong>d Teile e<strong>in</strong>es komplexen Handlungsschemas. So kann ¹mamaª z.B. bedeuten;<br />
¹ich möchte etwas zu essen oder ¹Mama, komm bitte herª ¼<br />
Das K<strong>in</strong>d drückt also mit e<strong>in</strong>em Wort verschiedene Bedürfnisse aus, bei denen es oft<br />
Gesten zur Hilfe nimmt, z.B. ¹daª, verbunden mit e<strong>in</strong>er Zeigegeste. Die Bedeutung dieser<br />
E<strong>in</strong>wortäuûerungen läût sich von den Bezugspersonen des K<strong>in</strong>des aus dem unterschiedlichen<br />
Tonfall, der Modulation der Stimme und der begleitenden Gestik und Mimik erkennen.<br />
Die ersten Wörter bestehen häufig aus e<strong>in</strong>em Wechsel von Vokalen und Konsonanten, z.B.<br />
¹ma-maª. Charakteristisch für diese Phase ist, dass das K<strong>in</strong>d Substantive bevorzugt.<br />
Bei diesen ersten Wörtern s<strong>in</strong>d die Bezeichnungen für Personen, Gegenstände und Situationen<br />
des e<strong>in</strong>jährigen K<strong>in</strong>des noch beliebig.<br />
Wichtig für die sprachliche Entwicklung ist die gesamte körperliche Entwicklung des K<strong>in</strong>des,<br />
die es ihm ermöglicht, verschiedene E<strong>in</strong>drücke wahrzunehmen und zu koord<strong>in</strong>ieren.<br />
Unterstützend wirken die Reaktionen der Bezugspersonen, wenn diese die Lautäuûerungen<br />
des K<strong>in</strong>des aufgreifen, wiederholen und so <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en ¹Dialogª mit dem K<strong>in</strong>d treten. Bei<br />
diesen Dialogen passen sich die Bezugspersonen dem k<strong>in</strong>dlichen Sprachverständnis an,<br />
d.h. sie verwenden e<strong>in</strong>fache Satzstrukturen, e<strong>in</strong>e langsame Sprechweise und e<strong>in</strong>en<br />
gedehnten Tonfall. ¹Die Funktion dieser Anpassungen ist offensichtlich e<strong>in</strong>e kommunikative:<br />
Die Bezugspersonen bemühen sich darum, sich dem K<strong>in</strong>d verständlich zu machen und<br />
orientieren sich dabei am k<strong>in</strong>dlichen Sprachverständnisª. 4 Mit zunehmendem Sprachverständnis<br />
des K<strong>in</strong>des erhöht sich die Komplexität des Sprachstils.<br />
Zweiwortphase<br />
Zwischen e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb und zwei Jahren treten zunehmend Zweiwortäuûerungen auf. Bei den<br />
ersten Zweiwortäuûerungen wird jedes Wort e<strong>in</strong>zeln gesprochen und durch e<strong>in</strong>e Pause<br />
gegen das andere abgesetzt, d.h. die ersten Zweiwortäuûerungen bestehen aus e<strong>in</strong>er<br />
Ane<strong>in</strong>anderreihung zweier E<strong>in</strong>wortäuûerungen, z.B. ¹ata ± Puppeª.<br />
Charakteristisch für diese Phase ist der telegrammartige Stil der ¾uûerungen. Das K<strong>in</strong>d verwendet<br />
nun Substantive, Verben im Inf<strong>in</strong>itiv und e<strong>in</strong>zelne Adjektive. Es fehlen die unbestimmten<br />
(e<strong>in</strong>er, e<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>) und bestimmten Artikel (der, die, das), Konjunktionen (und, oder,<br />
aber), Hilfszeitwörter (se<strong>in</strong>, haben) und die Flexionsendungen bei der Pluralbildung (Ball ±<br />
Bälle) oder bei Zeitwortveränderungen.<br />
Das zweijährige K<strong>in</strong>d probiert verschiedene Verb<strong>in</strong>dungen von Lautkomplexen und Inhalten.<br />
Es wird sicherer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bezeichnungen, und se<strong>in</strong> Wortschatz wächst stark an. Im<br />
Wortschatz entwickeln sich Substantive, Verben, Adjektive und Beziehungswörter.<br />
Das erste Fragealter setzt e<strong>in</strong>: das K<strong>in</strong>d fragt nach dem Namen der D<strong>in</strong>ge: ¹Ist das?ª. Es<br />
entdeckt, dass zu jedem Gegenstand e<strong>in</strong> Lautkomplex gehört, der ihn bezeichnet. Es<br />
erwacht das Bewuûtse<strong>in</strong> von der Bedeutung der Sprache. Das K<strong>in</strong>d erfährt, dass jedes<br />
D<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en Namen hat.<br />
4 Kolonko, 1996, S. 45<br />
10<br />
E<strong>in</strong>wortäuûerungen stehen<br />
für ganze Sätze, <strong>in</strong> denen<br />
sich Gefühle und<br />
Bedürfnisse ausdrücken<br />
Die Umwelt und die<br />
gesamtkörperliche<br />
Entwicklung haben E<strong>in</strong>fluss<br />
auf die sprachliche<br />
Entwicklung<br />
Der Wortschatz wächst und<br />
das K<strong>in</strong>d beg<strong>in</strong>nt, nach Bezeichnungen<br />
zu fragen<br />
Notizen
Mit dem Übergang zu den Zweiwortäuûerungen s<strong>in</strong>d auch die ersten Flexionsversuche zu<br />
beobachten, z.B. Pluralbildungen beim Substantiv. Nun lernt das K<strong>in</strong>d die Formen der<br />
Wortabwandlungen, nämlich die Beugung des Verbs (Konjugation), des Substantivs (Dekl<strong>in</strong>ation)<br />
und die Steigerungsformen des Adjektivs (Komparation).<br />
Allgeme<strong>in</strong> werden dabei die schwächer flektierten und regelmäûigen Formen leichter<br />
erlernt als die stark flektierten und unregelmäûigen. Diese werden oftmals durch Formen<br />
der ersten Art ersetzt, z.B. ¹gut ± güterª wie ¹groû ± gröûerª statt ¹gut ± besserª, ich habe<br />
¹getr<strong>in</strong>ktª wie ich habe ¹gemaltª statt ¹getrunkenª.<br />
In dieser Zeit wird das Sprachverständnis immer differenzierter. Das K<strong>in</strong>d versteht schon<br />
sehr viel, es kann Sprache besser verstehen als produzieren, d.h. das Verstehen von Sprache<br />
geht dem eigentlichen Sprechen voraus.<br />
Mehrwortsätze<br />
Etwa im dritten Lebensjahr spricht das K<strong>in</strong>d Mehrwortsätze mit drei oder mehr Wörtern.<br />
Auch hierbei werden die für das Verstehen wichtigen Worte geäuûert, die unwichtigen fallen<br />
weg. In der Sprache des K<strong>in</strong>des überwiegen die Inhaltswörter. Funktionswörter, wie Konjunktionen,<br />
Präpositionen, Artikel fehlen weitgehend. Die Sprache ist vielfach noch immer<br />
telegrammstilartig. Die ¾uûerungen des K<strong>in</strong>des s<strong>in</strong>d oftmals nur vor dem H<strong>in</strong>tergrund der<br />
gesamten Situation zu verstehen und zu <strong>in</strong>terpretieren.<br />
Mit dem Auftreten der Mehrwortsätze kann von grammatikalischen Strukturen gesprochen<br />
werden, z.B. aus ¹Mama Ball, Mama holen, Ball holenª wird nun ¹Mama Ball holenª (Subjekt<br />
± Prädikat ± Objekt).<br />
Die Wortstellung im Satz weicht allerd<strong>in</strong>gs noch häufig von der Erwachsenensprache ab,<br />
da das K<strong>in</strong>d Wörter voranstellt, die ihm wichtig s<strong>in</strong>d ¹Ball, gib mirª.<br />
Allmählich treten Adverbien, wie ¹da, aufª, danach Possessivpronomen ¹me<strong>in</strong>, de<strong>in</strong>ª und<br />
Präpositionen (Verhältniswörter) ¹auf, <strong>in</strong>ª. Beim Erwerb der Verhältniswörter werden Ortsbestimmungen<br />
vor Zeitbestimmungen, wie ¹jetzt, heute, gesternª erlernt. Das K<strong>in</strong>d benutzt<br />
zunächst den unbestimmten, später den bestimmten Artikel.<br />
In Verb<strong>in</strong>dung mit der geistigen Entwicklung und dem Vertrautwerden mit der Umwelt ist<br />
der Erwerb von Fragewörtern zu sehen. Zunächst treten die Fragewörter ¹wo oder wasª<br />
auf, später folgen ¹wer, wie, wieviel?ª Das K<strong>in</strong>d fragt nach dem Namen, es vergewissert<br />
sich.<br />
Das K<strong>in</strong>d verwendet vorwiegend Hauptsätze, aber schon auf verschiedene Arten, z.B. als<br />
Ausrufe-, Frage- und Aussagesätze. Es entwickelt verschiedene Nebensätze und lernt<br />
durch Über- und Unterordnung Gedanken wiederzugeben. Die ersten Nebensätze werden<br />
häufig nicht erkannt, weil sie durch e<strong>in</strong>en undef<strong>in</strong>ierbaren Universallaut, wie ¹äª oder ¹mmª<br />
e<strong>in</strong>geleitet werden. Bald folgen Verknüpfungen mit ¹und, dannª. Gegen Ende des dritten<br />
Lebensjahres treten auch die ersten Relativsätze auf.<br />
Etwa ab der zweiten Hälfte des dritten Lebensjahres bezeichnet das K<strong>in</strong>d Gegenstände<br />
und Objekte se<strong>in</strong>er Umgebung richtig. Es fragt nach dem Namen unbekannter D<strong>in</strong>ge.<br />
Dadurch nimmt der Wortschatz des K<strong>in</strong>des zu.<br />
Die Aussprache verbessert sich zunehmend. Es lernt auch die schwierigen Laute, wie ¹r<br />
und sª richtig auszusprechen. K<strong>in</strong>destümliche Sprachbildungen gehen zurück, und die K<strong>in</strong>dersprache<br />
nähert sich der Erwachsenensprache an.<br />
Zu den Strukturen, die das K<strong>in</strong>d erst spät erfaût, gehören die Passivkonstruktionen. Das<br />
Verstehen und Bilden der richtigen Passivkonstruktion fällt dem K<strong>in</strong>d am leichtesten, wenn<br />
Handelnder und Leidender logisch nicht umkehrbar s<strong>in</strong>d, wie beim folgenden Beispiel: ¹Die<br />
Maus wird von der Katze gejagtª. Der eigentliche Erwerb der Passivkonstruktionen erfolgt<br />
erst im Schulalter.<br />
Mit etwa vier Jahren hat das K<strong>in</strong>d die wesentlichen Strukturen se<strong>in</strong>er Erstsprache erworben.<br />
Es spricht überwiegend <strong>in</strong> vollständigen Sätzen. In der Regel s<strong>in</strong>d alle Wortklassen<br />
vorhanden. Das K<strong>in</strong>d kann se<strong>in</strong>e Wünsche, Gedanken und Absichten mitteilen. In der<br />
11<br />
Etwa ab dem 3. Lebensjahr:<br />
Mehrwortsätze ± noch immer<br />
im Telegrammstil und<br />
mit teilweise abweichender<br />
Satzstellung<br />
Beg<strong>in</strong>n der Über-/<br />
Unterordnung von<br />
Haupt- und Nebensätzen<br />
Entwicklung bis zum<br />
Schulalter<br />
Notizen
Sprache des K<strong>in</strong>des herrschen bis zur E<strong>in</strong>schulung im allgeme<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fache und kurze<br />
Sätze vor, die vorwiegend durch ¹undª und ¹dannª verbunden werden.Der Wortschatz vergröûert<br />
sich weiterh<strong>in</strong>. Der Erwerb von Bedeutungen, der sehr eng mit der kognitiven Entwicklung<br />
verbunden ist, setzt sich bis <strong>in</strong>s Schulalter fort. Auch das Verständnis für Passivkonstruktionen<br />
verfe<strong>in</strong>ert sich zunehmend. Relativsätze werden erst im Schulalter wirklich<br />
beherrscht.<br />
2. Zweisprachigkeit imElementarbereich<br />
Mit dem Zuzug von Migrant<strong>in</strong>nen und Migranten, Aussiedler<strong>in</strong>nen und Aussiedlern sowie<br />
Flüchtl<strong>in</strong>gen hat sich <strong>in</strong> der Bundesrepublik <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten e<strong>in</strong>e multikulturelle<br />
Gesellschaft entwickelt, die zugleich auch e<strong>in</strong>e mehrsprachige Gesellschaft ist.<br />
Politische, ökonomische und soziale Aspekte haben dazu geführt, dass Menschen ihre<br />
Heimatländer verlassen und sich u.a. auch <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland niedergelassen<br />
haben. Wenn sie hier gesellschaftlich handlungsfähig se<strong>in</strong> wollen, müssen sie ihr<br />
Leben <strong>in</strong> der Bundesrepublik zweisprachig organisieren und gestalten. In diese zweisprachig<br />
organisierte Lebenswelt wachsen die K<strong>in</strong>der h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, d.h. K<strong>in</strong>der aus zugewanderten<br />
Familien s<strong>in</strong>d aufgrund ihrer Lebenssituation, <strong>in</strong> ihrer Entwicklung und Persönlichkeitsbildung<br />
auf Zweisprachigkeit angewiesen.<br />
In manchen Familien mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund ist die sprachliche Situation bereits durch mehr<br />
als zwei Sprachen geprägt, weil Dialekte oder Regionalsprachen des Herkunftslandes gesprochen<br />
werden. In anderen Familien gew<strong>in</strong>nt auch die Zweitsprache Deutsch an Bedeutung.<br />
2.1 Erstsprache und Identitätsentwicklung<br />
Die Erstsprache als Begleiter<strong>in</strong> der Eltern-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung<br />
Schon ab der Geburt bee<strong>in</strong>fluût die Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion <strong>in</strong> entscheidender Weise die<br />
Identitätsentwicklung des K<strong>in</strong>des. Neben dem Körperkontakt bieten die Eltern dem K<strong>in</strong>d<br />
mittels der Klangfarbe der gesprochenen Worte Impulse zur Verständigung an. Gleichzeitig<br />
erfährt das K<strong>in</strong>d nach und nach, dass die Zeichen se<strong>in</strong>er Bedürfnisse (z.B. Schreien oder<br />
Lächeln) verstanden (oder auch miûverstanden) werden. Die moderne Säugl<strong>in</strong>gsforschung<br />
geht davon aus, dass sich dabei erste rudimentäre Vorstellungen vom eigenen ¹auftauchenden<br />
Selbstª (STERN) entwickeln. 5 Reagieren die Eltern verläûlich und wiederholend<br />
auf die Interaktionsangebote des K<strong>in</strong>des, so helfen sie ihm, sich mehr und mehr als e<strong>in</strong><br />
Subjekt zu erfahren, das die Reaktionen se<strong>in</strong>er Bezugspersonen selbst bee<strong>in</strong>flussen kann.<br />
Nach SPITZ enthält bereits die frühe Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung Elemente, wie Aussage, Erwiderung,<br />
Streitgespräch und Zustimmung, die auch Bestandteile der späteren sprachlichen<br />
Kommunikation s<strong>in</strong>d. 6 Schon der Säugl<strong>in</strong>g erlebt sich dabei nicht nur als hilflos und abhängig<br />
von den Eltern. Indem das K<strong>in</strong>d erfährt, dass es Beziehungen mitgestalten kann, lernt<br />
es, sich selbst von den Eltern zu unterscheiden. Damit erwirbt es zugleich Grundqualifikationen<br />
für se<strong>in</strong>e Identitätsentwicklung.<br />
Bereits <strong>in</strong> diesen frühen Dialogen macht das K<strong>in</strong>d also Erfahrungen, die für den weiteren<br />
Verlauf der Identitätsentwicklung von Bedeutung s<strong>in</strong>d: In e<strong>in</strong>er verläûlichen Interaktion mit<br />
Mutter und Vater erlebt es Geborgenheit und Sicherheit und entwickelt dadurch Urvertrauen<br />
(ERIKSON) 7 . Dieses hilft ihm dabei, e<strong>in</strong> positives Selbstbild aufzubauen. Der Dialog mit<br />
der Umwelt ist damit e<strong>in</strong> Beitrag zur Entstehung, Entwicklung und schlieûlich Stabilisierung<br />
der Ich-Identität des K<strong>in</strong>des.<br />
Dabei begleitet die Sprache der Eltern schon ab der Geburt die Kommunikation mit dem<br />
K<strong>in</strong>d. Die Eltern reden mit dem K<strong>in</strong>d. Sie reagieren mit ihrer Sprache und ihrer Körperspra-<br />
5 Stern, 1992<br />
6 Spitz, 1970<br />
7 Erikson, 1991<br />
12<br />
Zwei- oder mehrsprachige<br />
Lebenswelten <strong>in</strong> der<br />
heutigen Bundesrepublik<br />
Die Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung<br />
prägt die Identitätsentwicklung<br />
Die Sprache der Eltern<br />
spielt für e<strong>in</strong> positives<br />
Selbstbild e<strong>in</strong>e wichtige<br />
Rolle<br />
Notizen
che auf die Kommunikationsangebote des K<strong>in</strong>des. Klang und Stimmführung transportieren<br />
Gefühle und Stimmungen, die das K<strong>in</strong>d versteht, schon lange bevor es selbst sprechen<br />
kann.<br />
Nicht nur die Mutter, auch der Vater oder andere wichtige Bezugspersonen erfahren im<br />
Kontakt mit dem K<strong>in</strong>d recht schnell, wie sie mit ihrer Stimme spezifische Klangfarben,<br />
Melodien und Modulationen erzeugen, die dem K<strong>in</strong>d Geborgenheit und Sicherheit vermitteln<br />
oder auch Aufmerksamkeit beim K<strong>in</strong>d hervorrufen können. ¹Die Eltern Neugeborener<br />
lernen rasch, welche Tonhöhe die Aufmerksamkeit ihres Babys zu wecken vermag. ¼ Aufmerksame<br />
Eltern werden überdies früher oder später feststellen, dass die Babys ihre Bewegungen<br />
dem Rhythmus der elterlichen Stimmen anpassen und sie selbst, umgekehrt, das<br />
Gleiche tun.ª 8 Nach e<strong>in</strong>er Untersuchung von CONDON und SANDER 9 gleichen Neugeborene<br />
bereits unmittelbar nach der Geburt ihre Bewegungen dem Rhythmus der Stimme<br />
ihrer Mutter an. ¹Dies ist e<strong>in</strong> Beispiel für die groûe, wechselseitige Anpassungsfähigkeit <strong>in</strong><br />
der frühen K<strong>in</strong>dheit. Die Bewegungen des Babys stimmen mit denen der Mutter übere<strong>in</strong>,<br />
die ihrerseits ihren Sprachrhythmus den Bewegungen des Babys anpaût.ª 10 Hieran wird<br />
deutlich, welche starke Bedeutung die Erstsprache <strong>in</strong> der Entwicklung des K<strong>in</strong>des hat. Es<br />
ist die Sprache, die mit ihrem spezifischen Rhythmus und Klang dem K<strong>in</strong>d erste Erfahrungen<br />
des geme<strong>in</strong>samen Verstehens ermöglicht und damit die B<strong>in</strong>dung zwischen den Eltern<br />
und dem K<strong>in</strong>d festigt. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass sowohl die <strong>in</strong>dividuelle<br />
Stimmführung der Eltern als auch die mit der Erstsprache verbundenen sprachspezifischen<br />
Eigenheiten (sprach- und dialektbezogene Lautbildung und Klangfarben) das K<strong>in</strong>d<br />
als vertraut wahrnimmt; andere regionalspezifische Dialekte oder Sprachen können dagegen<br />
als fremd wahrgenommen werden. Die Sprache der Eltern ist durch diese ersten B<strong>in</strong>dungserfahrungen<br />
stark emotional besetzt.<br />
Auch der Aufbau von Beziehungen zum Vater, zu den Geschwistern und Groûeltern, die dem<br />
K<strong>in</strong>d dabei helfen können, e<strong>in</strong> Selbstbild <strong>in</strong> Abgrenzung zu ihnen aufzubauen, wird durch die<br />
Erstsprache begleitet. Damit ist die Erstsprache wichtiger Bestandteil des familiären B<strong>in</strong>dungsgefüges.<br />
Wird dem K<strong>in</strong>d zu e<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt verwehrt, se<strong>in</strong>e Erstsprache zu<br />
sprechen, so kann sich dies auch auf die Beziehungen zu Familienangehörigen auswirken.<br />
Da sich die Identitätsentwicklung des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> sozialen Bezügen se<strong>in</strong>es direkten und später<br />
auch erweiterten familiären Umfeldes vollzieht, werden mit der Erstsprache zugleich<br />
spezifische soziale Regeln, Normen und Werte vermittelt, die dem K<strong>in</strong>d Orientierungspunkte<br />
für den Aufbau se<strong>in</strong>er Identität bieten. ¹In der Mutter-K<strong>in</strong>d-Dyade vermittelt, ist<br />
Sprache das Produkt geme<strong>in</strong>samer Teilnahme an gesellschaftlicher Praxis. ¼ Das K<strong>in</strong>d<br />
lernt also die Regeln der Sprache nicht isoliert, sondern sie haben ihren Ursprung <strong>in</strong> Strukturen<br />
des sozialen Handelns.ª 11 Im weiteren Verlauf se<strong>in</strong>es Spracherwerbs lernt das K<strong>in</strong>d<br />
mit den grammatikalischen Regeln ¹zugleich die ihnen zugrundeliegenden sozialen Konventionen,<br />
die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesellschaftlichen System anerkannten und def<strong>in</strong>ierten Rollen und<br />
Positionen.ª 12 Mittels der Erstsprache werden dem K<strong>in</strong>d also wichtige Orientierungspunkte<br />
für den Aufbau se<strong>in</strong>er Identität vermittelt.<br />
Die Bedeutung der Erstsprache für die Identitätsentwicklung während des Spracherwerbs<br />
Im Verlauf der Identitätsentwicklung des K<strong>in</strong>des stellt der Spracherwerb e<strong>in</strong>e wichtige Errungenschaft<br />
dar. Mittels der Erstsprache kann das K<strong>in</strong>d nun se<strong>in</strong>en Gefühlen, Bedürfnissen und<br />
Interessen e<strong>in</strong>en sprachlichen Ausdruck geben. Diese Fähigkeit unterstützt es dabei, sich<br />
deutlicher von se<strong>in</strong>en Bezugspersonen abzugrenzen und dabei se<strong>in</strong> Selbstbild zu festigen.<br />
18 Brazelton/Cramer, 1991, S. 76 f<br />
19 Condon/Sander, 1975. In: Brazelton/Cramer, 1991<br />
10 Brazelton/Cramer, 1991, S. 77 f<br />
11 Oerter/Montada, 1987, S. 599 f<br />
12 Peukert, 1985, S. 326<br />
13<br />
Die (Erst-)Sprache<br />
vermittelt auch soziale<br />
Regeln, Normen und Werte<br />
Notizen
Mit Hilfe der Sprache wird das K<strong>in</strong>d nun auch e<strong>in</strong> Stück unabhängiger von se<strong>in</strong>en Eltern: Es<br />
kann sich abwesende Gegenstände, Ereignisse und Personen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vorstellung wachrufen.<br />
Rollenspiele, <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong>der symbolisch ihre Erfahrungen und Bedürfnisse ausdrükken<br />
und verarbeiten, gew<strong>in</strong>nen immer mehr an Bedeutung.<br />
Für den Zusammenhang von Identität und Sprache ist darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong> weiterer Aspekt<br />
bedeutsam: Die Sprachentwicklung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des ist e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Wechselspiel von<br />
kognitiver und <strong>in</strong>teraktiver Entwicklung. 13<br />
Alle drei Entwicklungsstränge<br />
bee<strong>in</strong>flussen sich wechselseitig.<br />
<br />
Sie fördern gegenseitig ihre Weiter-<br />
<br />
entwicklung und s<strong>in</strong>d dabei Motor<br />
für die Identitätsentwicklung: Wenn<br />
e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d ¹merktª, dass se<strong>in</strong>e Fähig-<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
keit, sich mit Gestik und Mimik<br />
non-verbal auszudrücken (<strong>in</strong>teraktive<br />
Kompetenz), nicht mehr ausreicht,<br />
um voll und ganz verstanden<br />
zu werden, so wird es sich<br />
bemühen, se<strong>in</strong>e sprachlichen<br />
Kompetenzen voranzutreiben.<br />
¾hnlich verhält es sich mit se<strong>in</strong>en<br />
<br />
<br />
kognitiven Kompetenzen. Neue<br />
Entdeckungen und Erfahrungen<br />
will e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d meist auch se<strong>in</strong>en<br />
Eltern oder anderen Bezugspersonen<br />
mitteilen. Oft kann beobachtet<br />
werden, wie K<strong>in</strong>der um Worte r<strong>in</strong>gen,<br />
um anderen verständlich zu machen, wovon sie so begeistert s<strong>in</strong>d.<br />
Die Entwicklung sprachlicher, kognitiver und <strong>in</strong>teraktiver Kompetenzen stärken das K<strong>in</strong>d<br />
zugleich dar<strong>in</strong>, se<strong>in</strong>e Identität <strong>in</strong> Kommunikation mit anderen zu erweitern und dabei auch<br />
zu stabilisieren.<br />
Damit das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> positives Selbstbild entwickeln kann, ist es wichtig, dass die Erstsprache<br />
des K<strong>in</strong>des wertgeschätzt wird. Es ist die Sprache, mit der es erste wichtige Schritte<br />
beim Aufbau se<strong>in</strong>er Identität bereits bewältigt hat. Nicht nur die Eltern, auch das weitere<br />
Umfeld können durch ihre Haltung dazu beitragen, dass sich das K<strong>in</strong>d mit se<strong>in</strong>er Erstsprache<br />
¹<strong>in</strong> der eigenen Hautª wohl fühlen kann.<br />
2.2 Erst- und Zweitsprache<br />
Wenn K<strong>in</strong>der den K<strong>in</strong>dergarten besuchen, müssen sie oft auf der Grundlage e<strong>in</strong>er noch wenig<br />
beherrschten Erstsprache die Zweitsprache Deutsch erlernen. Unter H<strong>in</strong>weis auf die bevorstehende<br />
E<strong>in</strong>schulung fordern manche Eltern e<strong>in</strong>e ausschlieûliche Betreuung <strong>in</strong> der Zweitsprache<br />
Deutsch. Aber auch viele Erzieher<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d der Me<strong>in</strong>ung, dass Eltern im H<strong>in</strong>blick auf die<br />
Integration Gespräche mit ihren K<strong>in</strong>dern nur noch <strong>in</strong> der Zweitsprache Deutsch führen sollten,<br />
weil sie sich hierdurch Unterstützung für die eigene Arbeit <strong>in</strong> den Gruppen erhoffen.<br />
Vielfach ist zu beobachten, dass die Erstsprache der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der alltäglichen Arbeit nicht<br />
zur Kenntnis genommen oder als H<strong>in</strong>dernis beim Erwerb der Zweitsprache angesehen und<br />
als Familienangelegenheit abgetan wird.<br />
Dieses Vorgehen kann sich jedoch als äuûerst problematisch für die weitere Entwicklung<br />
der K<strong>in</strong>der erweisen, wenn man die vielfältigen Funktionen der Erstsprache berücksichtigt.<br />
13 Peukert, 1985, S. 326<br />
14<br />
Bei der Identitätsentwicklung<br />
bee<strong>in</strong>flussen sich<br />
sprachliche, kognitive und<br />
<strong>in</strong>teraktive Kompetenzen<br />
gegenseitig<br />
Im K<strong>in</strong>dergarten: Betreuung<br />
am besten nur auf<br />
deutsch?<br />
Bedeutung der Erstsprache für<br />
das Selbstwertgefühl und für<br />
das Erlernen anderer (Sprach-)<br />
Fähigkeiten<br />
Notizen
Das K<strong>in</strong>d hat se<strong>in</strong>e ersten Erfahrungen <strong>in</strong> der Sprache der Familie gemacht, es hat gelernt,<br />
se<strong>in</strong>e Gefühle auszudrücken und se<strong>in</strong>e Erfahrungen und Erlebnisse mitzuteilen. Die Erstsprache<br />
ist also Teil se<strong>in</strong>er selbst geworden. E<strong>in</strong>e Ablehnung oder Leugnung der Sprache<br />
kann beim K<strong>in</strong>d zu e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung se<strong>in</strong>es Selbstwertgefühls führen und den Aufbau<br />
e<strong>in</strong>es Selbstbewuûtse<strong>in</strong>s verh<strong>in</strong>dern ¹im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er tiefen Sicherheitª, dass es über Fähigkeiten<br />
verfügt, die von anderen Menschen anerkannt werden. Dieses Selbstbewuûtse<strong>in</strong><br />
wiederum ist Voraussetzung für Interesse an und Offenheit gegenüber Lernprozessen,<br />
auch gegenüber Sprach-Lernprozessen; es erleichtert dem K<strong>in</strong>d den Erwerb anderer<br />
Fähigkeiten und Fertigkeiten.<br />
E<strong>in</strong>e Förderung der erstsprachigen Fähigkeiten des K<strong>in</strong>des dient zudem der Kommunikation<br />
zwischen K<strong>in</strong>dern und ihren Bezugspersonen. Die Möglichkeit, Erfahrungen und Erlebnisse<br />
von auûerhalb <strong>in</strong> der Familie mitzuteilen und dadurch die Verb<strong>in</strong>dung zwischen zwei<br />
oftmals recht unterschiedlichen Erfahrungsbereichen ± hier Familie, dort K<strong>in</strong>dergarten oder<br />
Schule ± herzustellen, wird dadurch begünstigt.<br />
E<strong>in</strong>e fehlende Unterstützung führt dagegen dazu, dass das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Entwicklungsmöglichkeiten<br />
und se<strong>in</strong>en Chancen auf selbstbestimmte und gleichberechtigte<br />
Partizipation am Leben se<strong>in</strong>er ethnischen Gruppe e<strong>in</strong>geschränkt wird.<br />
Neben diesen emotionalen und sozialen Bee<strong>in</strong>trächtigungen kann e<strong>in</strong>e Vernachlässigung<br />
der Erstsprache auch Probleme im kognitiven Bereich mit sich br<strong>in</strong>gen und zu schulischem<br />
Versagen führen.<br />
Aus der Sprachforschung ist seit e<strong>in</strong>iger Zeit bekannt, dass K<strong>in</strong>der, die ihre Erstsprache<br />
beherrschen, weniger Schwierigkeiten beim Erwerb e<strong>in</strong>er zweiten Sprache haben, weil sie<br />
bereits <strong>in</strong> der Erstsprache grundlegende sprachliche, kommunikative, soziale, emotionale<br />
und kognitive Fähigkeiten erworben haben, die das Erlernen e<strong>in</strong>er zweiten Sprache begünstigen.<br />
Sie ¹wissenª z.B., dass e<strong>in</strong>e Sprache nach Regeln aufgebaut ist und dass e<strong>in</strong><br />
wesentlicher Teil der Kommunikation an Sprache geknüpft ist. Untersuchungen zur Zweisprachigkeit<br />
zeigen, dass es zu Schwierigkeiten <strong>in</strong> der Zweitsprache kommen kann, wenn<br />
nur der Zweitspracherwerb gefördert und die Erstsprache vernachlässigt wird.<br />
In Alltagssituationen ist zu beobachten, dass K<strong>in</strong>der flieûend und akzentfrei über alltägliche<br />
D<strong>in</strong>ge sprechen. Erst beim genauen Zuhören und schlieûlich <strong>in</strong> der Schule wird deutlich,<br />
wie unzureichend die sprachlichen Fähigkeiten s<strong>in</strong>d, wie ger<strong>in</strong>g der Wortschatz ist, welche<br />
Mängel beim Satzbau und auf der abstrakten Ebene der Begriffe vorliegen. Erfahrungsgemäû<br />
reicht es nicht aus, wenn die erstsprachlichen Fähigkeiten von K<strong>in</strong>dern erst <strong>in</strong> der<br />
Schule gefördert werden.<br />
Der besonderen Bedeutung, die die Erstsprache für die Entwicklung von K<strong>in</strong>dern hat, wird<br />
auch <strong>in</strong> der UN-K<strong>in</strong>derkonvention <strong>in</strong> Artikel 30 Rechnung getragen, wenn dort das Recht<br />
des K<strong>in</strong>des auf se<strong>in</strong>e eigene Sprache betont wird:<br />
¹In Staaten, <strong>in</strong> denen es ethnische, religiöse oder sprachliche M<strong>in</strong>derheiten oder Ure<strong>in</strong>wohner<br />
gibt, darf e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d, das e<strong>in</strong>er solchen M<strong>in</strong>derheit angehört oder Ure<strong>in</strong>wohner ist,<br />
nicht das Recht vorenthalten werden, <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaft mit anderen Angehörigen se<strong>in</strong>er<br />
Gruppe se<strong>in</strong>e eigene Kultur zu pflegen, sich zu se<strong>in</strong>er eigenen Religion zu bekennen und sie<br />
auszuüben oder se<strong>in</strong>e eigene Sprache zu verwenden.ª<br />
2.3 Erwerb der Zweitsprache Deutsch<br />
Beim Besuch von Tagese<strong>in</strong>richtungen oder Schulen, bei Kontakten zu Gleichaltrigen oder<br />
<strong>in</strong> Gesprächen mit älteren Geschwistern steht oft die Zweitsprache Deutsch im Vordergrund.<br />
Um sich hier zurechtf<strong>in</strong>den und wohl fühlen zu können, um deutsche Freunde<br />
gew<strong>in</strong>nen oder um den Anforderungen auûerhalb der Familie entsprechen zu können, s<strong>in</strong>d<br />
die K<strong>in</strong>der auf die Zweitsprache Deutsch angewiesen, d.h. e<strong>in</strong> wichtiger Teil ihrer Entwicklung<br />
und ihres Lebens spielt sich <strong>in</strong> dieser Sprache ab.<br />
15<br />
Vernachlässigung der<br />
Erstsprache kann zu<br />
schulischem Versagen<br />
führen<br />
UN-K<strong>in</strong>derkonvention,<br />
Art. 30<br />
Notizen
Der Besuch des K<strong>in</strong>dergartens bedeutet für viele K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e groûe Umstellung und Neuorientierung.<br />
Auffallend ist, dass viele K<strong>in</strong>der aus zugewanderten Familien zu Beg<strong>in</strong>n des<br />
K<strong>in</strong>dergartenbesuchs ¹sprachlosª werden. Sie werden mit zum Teil noch fremden Lebensgewohnheiten,<br />
anderen Erziehungsvorstellungen und Regeln konfrontiert und können sich<br />
sprachlich nicht oder nur unzureichend verständigen, weil ihre Sprache als wichtige Orientierungshilfe<br />
von der Erzieher<strong>in</strong> nicht verstanden wird. Sie können ihre Bedürfnisse, ihre<br />
Unsicherheiten und ¾ngste nicht mitteilen, fühlen sich unverstanden, fremd, der Situation<br />
nicht gewachsen und müssen zunächst immer wieder mit neuen Situationen zurechtkommen.<br />
Das <strong>in</strong> diesen Situationen Unvertraute, Fremde kann dazu führen, dass K<strong>in</strong>der ihrem<br />
Bedürfnis, sich mitzuteilen und verstanden zu werden, nicht nachgeben. K<strong>in</strong>der erforschen<br />
ihre Umwelt ± so MASLOW ± gerne ¹aus e<strong>in</strong>em sicheren Hafen heraus.ª 14 Unsicherheit<br />
und Angst können stärker se<strong>in</strong> als Neugier und damit Lernbereitschaft e<strong>in</strong>schränken.<br />
K<strong>in</strong>der aus zugewanderten Familien erwerben <strong>in</strong> der Regel die Zweitsprache Deutsch unter<br />
natürlichen Bed<strong>in</strong>gungen, d.h. sie erlernen die zweite Sprache über die Kommunikation mit<br />
anderen. Dieser Prozeû wird daher auch als natürlicher oder ungesteuerter Zweitspracherwerb<br />
bezeichnet. Voraussetzung für e<strong>in</strong>en ungesteuerten Zweitspracherwerb ist e<strong>in</strong>e sprachanregende<br />
Umwelt, <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>der Sprache anwenden können.<br />
Spracherwerb ± e<strong>in</strong> kreativer Prozeû<br />
Das Erlernen e<strong>in</strong>er zweiten Sprache ist e<strong>in</strong> kreativer Prozeû, d.h. K<strong>in</strong>der sprechen nicht nur<br />
e<strong>in</strong>fach nach, was ihnen vorgesprochen wird. Sie erlernen die Sprache nach bestimmten<br />
Grundpr<strong>in</strong>zipien.<br />
Sie greifen e<strong>in</strong>zelne Elemente aus den ¾uûerungen ihrer Umgebung auf und bilden sich<br />
daraus e<strong>in</strong> eigenständiges grammatikalisches System, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Bereichen mit dem<br />
Erwachsenenmodell übere<strong>in</strong>stimmt, <strong>in</strong> anderen Bereichen von der zu erlernenden Sprache<br />
abweicht und das sie ± entsprechend der Rückmeldung aus ihrer Umgebung ± prüfen,<br />
ergänzen und verändern. Das Aufnehmen, Überprüfen und Verarbeiten von Informationen<br />
erfolgt dabei nicht willkürlich, sondern unterliegt bestimmten Gesetzmäûigkeiten, die dem<br />
K<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs nicht bewuût s<strong>in</strong>d.¹E<strong>in</strong> entscheidendes Merkmal des natürlichen Zweitspracherwerbs<br />
sche<strong>in</strong>t (¼) zu se<strong>in</strong>, dass das K<strong>in</strong>d die Zielstrukturen nicht <strong>in</strong> der vorgegebenen<br />
14 Maslow, 1973<br />
16<br />
Unsicherheit und Angst<br />
bee<strong>in</strong>trächtigen<br />
Sprechfreude und<br />
Lernbereitschaft<br />
Grundpr<strong>in</strong>zipien des<br />
Zweitspracherwerbs<br />
Notizen
Form aufgreift und speichert, sondern sie vielmehr <strong>in</strong> ihre Bestandteile auflöst, um dann aus<br />
diesen Bestandteilen nach festen Regeln ¾uûerungen zu bilden.ª 15 Über verschiedene Zwischenstadien<br />
nähern sich K<strong>in</strong>der allmählich dem Erwachsenenmodell an.<br />
Erstsprachliche Vorkenntnisse<br />
Der Erwerb der zweiten Sprache läût sich auch als e<strong>in</strong> Prozeû beschreiben, der ähnlich verläuft<br />
wie der Erwerb der ersten Sprache. Dabei kommen das sprachliche Vorwissen und<br />
die Vorerfahrungen aus dem Erstspracherwerb auf unterschiedliche Weise bei der Lautbildung,<br />
beim Wortschatz und Satzbau als auch bei den Phasen des Zweitspracherwerbs<br />
zum Tragen. K<strong>in</strong>dergartenk<strong>in</strong>der verfügen über Erfahrungen mit der Erstsprache und haben<br />
bereits sprachliche Fertigkeiten entwickelt, auf die sie beim Erlernen der zweiten Sprache<br />
zurückgreifen können. Aufgrund der erstsprachlichen Vorkenntnisse s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der oftmals<br />
imstande, den Sprach-Lernprozess <strong>in</strong> der Zweitsprache Deutsch effektiver zu gestalten.<br />
Verstehen von Sprache geht dem eigentlichen Sprechen voran<br />
Hier s<strong>in</strong>d oftmals groûe Unterschiede bei K<strong>in</strong>dern festzustellen. So ist im K<strong>in</strong>dergarten zu<br />
beobachten, dass e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>der erst nach e<strong>in</strong>igen Monaten sprechen, wenn sie vieles<br />
verstehen und sie sich e<strong>in</strong>igermaûen sicher fühlen, dass andere K<strong>in</strong>der dagegen sich<br />
bereits nach e<strong>in</strong>igen wenigen Worten <strong>in</strong> der zweiten Sprache versuchen.<br />
Wichtig ist, das K<strong>in</strong>d anzusprechen, ihm Sprachmuster anzubieten, ohne e<strong>in</strong>e Antwort zu<br />
erwarten. Es ist davon abzuraten, ¹das K<strong>in</strong>d verfrüht zum Nachsprechen aufzufordern.<br />
Nachsprechen nützt <strong>in</strong> dieser Phase wenig, da sich das K<strong>in</strong>d die Bedeutung des Gesprochenen<br />
erst noch erschlieûen muû.ª 16<br />
Orientierung an Regeln und Strukturen<br />
E<strong>in</strong> grundlegendes Merkmal des Zweitspracherwerbs ist, dass er <strong>in</strong> bestimmten Entwicklungssequenzen,<br />
<strong>in</strong> bestimmten Abfolgen, verläuft. Bestimmte Strukturen treten erst dann<br />
auf, wenn K<strong>in</strong>der zuvor andere bestimmte Strukturen verwendet haben. So ist e<strong>in</strong>e Verne<strong>in</strong>ung<br />
im Satz, z.B. ¹ich möchte nicht malenª, erst dann möglich, wenn das K<strong>in</strong>d vorher Formen<br />
der satzexternen Verne<strong>in</strong>ung durchlaufen hat, z.B. ¹ne<strong>in</strong>, ich komm dochª. Diese<br />
Abfolgen <strong>in</strong> der sprachlichen Entwicklung können unterschiedlich lang se<strong>in</strong>. Auch e<strong>in</strong> Überspr<strong>in</strong>gen<br />
e<strong>in</strong>zelner Stadien ist nicht auszuschlieûen.<br />
Aufgrund ihrer Kenntnisse aus der Erstsprache ¹wissenª K<strong>in</strong>der auch, dass sprachliche<br />
¾uûerungen <strong>in</strong> bestimmte Satzstrukturen gekleidet werden, dass Fragen gestellt und<br />
Begründungen gegeben werden können, dass sprachliche Mitteilungen nicht durch e<strong>in</strong><br />
wahlloses Ane<strong>in</strong>anderreihen von Wörtern gebildet werden, sondern dass bestimmte<br />
Regeln und Ordnungspr<strong>in</strong>zipien angewendet werden müssen. Dazu müssen die K<strong>in</strong>der<br />
zuerst das Grundverständnis für e<strong>in</strong>e bestimmte Struktur erworben haben, bevor sie <strong>in</strong> der<br />
Lage s<strong>in</strong>d, diese ¹erkannteª Struktur anzuwenden. Dabei beg<strong>in</strong>nen sie mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>fachen<br />
Satzbau und sog. Kopulasätzen, d.h. mit Sätzen, die mit dem Hilfsverb ¹se<strong>in</strong>ª gebildet werden,<br />
z.B. ¹ich se<strong>in</strong> Jungeª. Allmählich werden die Sätze länger und enthalten Vollverben,<br />
wie ¹gehen, essenª und Modalverben, wie ¹können, sollenª. Schlieûlich wird der Satzbau<br />
komplexer, unterschiedliche Verbformen werden e<strong>in</strong>gebracht und das K<strong>in</strong>d ist imstande,<br />
schwierige Sätze zu bilden und sich zu verständigen.<br />
Das K<strong>in</strong>d baut also se<strong>in</strong>e Sätze über verschiedene Stadien nach dem Erwachsenenmodell<br />
aus, wie die folgenden Beispiele zeigen:<br />
¹du kannst blau (= du kannst den blauen Stift nehmen)<br />
ich gemacht e<strong>in</strong> Hund<br />
du kannst das sehen.ª 17<br />
15 Felix, 1982, S. 63<br />
16 Müller/Rösch, 1985, S. 68 f<br />
17 Felix, 1978, S. 108 ff<br />
17<br />
Das K<strong>in</strong>d nicht zum (Nach-)<br />
Sprechen zw<strong>in</strong>gen<br />
Stufenfolge des<br />
Zweitspracherwerbs<br />
Erlernen von Satzstrukturen<br />
auf Basis der Erstsprache<br />
Notizen
Der Erwerb von Lauten, von Aussprache<br />
und Betonung geht mit<br />
dem Erlernen anderer Bereiche der<br />
Zweitsprache e<strong>in</strong>her, wobei jüngere<br />
K<strong>in</strong>der meist wenig Ausspracheschwierigkeiten<br />
haben.<br />
K<strong>in</strong>der im K<strong>in</strong>dergartenalter verfügen<br />
bereits über bestimmte Alltagsbegriffe.<br />
Sie wissen z.B., was Tisch,<br />
Brot, essen, schlafen, warm oder<br />
kalt ist. Sie wissen jedoch vielfach<br />
nicht, wie sie dies <strong>in</strong> der Zweitsprache<br />
benennen sollen. Es ist im K<strong>in</strong>dergarten<br />
aber auch immer wieder<br />
zu beobachten, dass K<strong>in</strong>der neue<br />
Alltagsbegriffe erlernen, die ihnen<br />
von der Erstsprache her noch unbekannt<br />
s<strong>in</strong>d.<br />
Im K<strong>in</strong>dergarten werden sie nun<br />
über Spiel- und Handlungssituationen,<br />
<strong>in</strong> denen Sprache und Tun des<br />
K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit bilden, an die<br />
zweite Sprache herangeführt.<br />
Manchmal können sie dabei die Bedeutung des Gesprochenen aus dem nichtsprachlichen<br />
Teil der Situationen entnehmen, z.B. bei der Begrüûung oder bei der Verabschiedung.<br />
Das K<strong>in</strong>d nimmt zunächst e<strong>in</strong>zelne Wörter aus den gehörten ¾uûerungen auf. Hierbei handelt<br />
es sich oftmals um Alltagsbegriffe. Weiterh<strong>in</strong> nimmt es aus den ¾uûerungen aus se<strong>in</strong>er<br />
Umgebung e<strong>in</strong>zelne sprachliche Elemente auf, z.B. Regeln für die Wortstellung oder für die<br />
Verne<strong>in</strong>ung im Satz, und versucht, se<strong>in</strong>e ¾uûerungen nach den von ihm erkannten Regeln<br />
zu bilden.<br />
Beim Erwerb der Zweitsprache ist zu beobachten, dass K<strong>in</strong>der im Satz solche Wörter auslassen,<br />
die wenig Informationen enthalten und deren Bedeutung aus der Situation heraus erfaût<br />
werden kann, z.B. ¹Puppenecke spielenª, statt ¹ich möchte <strong>in</strong> der Puppenecke spielen.ª Bei<br />
den Wörtern, die das K<strong>in</strong>d oftmals ausläût ± die auch Funktionswörter genannt werden ± handelt<br />
es sich um Pronomen (z.B. Personalpronomen: ich, du), Präpositionen (mit, <strong>in</strong>), Artikel<br />
(der, die, das), Konjunktionen (und, oder), Hilfsverben (können, wollen, se<strong>in</strong>, müssen) und Flexionsendungen<br />
(z.B. der Wald ± des Waldes). Dagegen werden Inhaltswörter, wie Substantive<br />
(z.B. Puppenecke), Verben (z.B. spielen) und Adjektive (z.B. schnell, schön) beibehalten.<br />
Zudem gibt es <strong>in</strong> der deutschen Sprache e<strong>in</strong>e Vielfalt an Wortformen, die sich aufgrund von<br />
Pluralbildung (z.B. das Tier ± die Tiere), Dekl<strong>in</strong>ation (z.B. das Buch ± des Buches) und Konjugation<br />
(z.B. ich male ± ich habe gemalt) ergeben und durch Wortendungen, Vorsilben,<br />
Artikel, Präpositionen, Pronomen oder durch Wortstellung im Satz gebildet werden.<br />
Das K<strong>in</strong>d reduziert oft die Vielfalt <strong>in</strong> den Wortformen auf e<strong>in</strong>ige wenige und erleichtert sich<br />
auf diese Weise den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die neue Sprache. So verwendet es z.B. beim E<strong>in</strong>satz von<br />
Artikeln (der, die, das) nur e<strong>in</strong>en statt drei Artikel, den es dann <strong>in</strong> verschiedenen Situationen<br />
gebraucht (z.B. die Puppe, die Ball, die Buch).<br />
Auch bei der Anwendung von Regeln treten beim Erlernen der neuen Sprache Abweichungen<br />
auf, wenn das K<strong>in</strong>d z.B. sagt: ¹Der Vogel hat ges<strong>in</strong>gtª. Das K<strong>in</strong>d hat hier e<strong>in</strong> falsches<br />
Partizip gewählt. Wenn man allerd<strong>in</strong>gs bedenkt, wie regelmäûige Verben ihr Partizip bilden,<br />
hat sich das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er Form bedient, die möglich ist. Es hat z.B. gelernt, wie schwache<br />
Verben das Partizip bilden: malen ± gemalt, machen ± gemacht und überträgt diese Form<br />
auch auf alle starken Verben, wie s<strong>in</strong>gen ± ges<strong>in</strong>gt, tr<strong>in</strong>ken ± getr<strong>in</strong>kt.<br />
18<br />
H<strong>in</strong>zulernen neuer Alltagsbegriffe<br />
und Sprachregeln<br />
über Spiel- und Handlungssituationen<br />
Regelabweichungen beim<br />
Erwerb der Zweitsprache<br />
(Übergangsstadium)<br />
Notizen
Ferner s<strong>in</strong>d Abweichungen auch bei der Pluralbildung zu beobachten, nämlich dann, wenn<br />
das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e unveränderte S<strong>in</strong>gularbildung beibehält, z.B. e<strong>in</strong> Haus ± zwei Haus.<br />
Mit Hilfe dieser Strategien (Auslassen, Reduzieren der Formenvielfalt, Anwendung von<br />
Regeln) nähert sich das K<strong>in</strong>d allmählich der korrekten Sprachform.<br />
Dabei kann das K<strong>in</strong>d nur solche Sprachformen aufnehmen, die <strong>in</strong> se<strong>in</strong> momentanes<br />
Sprachsystem h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>passen. Das K<strong>in</strong>d braucht darum e<strong>in</strong>e sprachanregende Umgebung,<br />
damit es erfährt, dass und wie es se<strong>in</strong>e Sprache ändern und ausbauen muû. Direkte Korrekturen,<br />
wie ¹das ist falschª oder ¹so heiût das nichtª verbunden mit e<strong>in</strong>em Nachsprechen-lassen<br />
der korrekten ¾uûerung, können sich dagegen störend auf die Lernmotivation<br />
auswirken. Um die Sprechfreude des K<strong>in</strong>des zu erhalten, sollte die Erzieher<strong>in</strong> vielmehr die<br />
k<strong>in</strong>dlichen ¾uûerungen als Mittel der Kommunikation akzeptieren und nicht auf e<strong>in</strong>er der<br />
Erwachsenennorm entsprechenden Form bestehen.<br />
Wie wenig Korrekturen bewirken, mag das folgende Gespräch zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d<br />
verdeutlichen:<br />
¹K<strong>in</strong>d: Ke<strong>in</strong>er mögt mich nicht. Mutter: Ne<strong>in</strong>, das heiût Ke<strong>in</strong>er mag mich.<br />
K<strong>in</strong>d: Ke<strong>in</strong>er mögt mich nicht. Mutter: Ne<strong>in</strong>, das heiût Ke<strong>in</strong>er mag mich.<br />
K<strong>in</strong>d: Ke<strong>in</strong>er mögt mich nicht. Mutter: Ne<strong>in</strong>, das heiût Ke<strong>in</strong>er mag mich.<br />
(Fünf weitere Male der gleiche Wortwechsel. Dann:)<br />
Mutter: Ne<strong>in</strong>, nun hör mal genau zu ± Ke<strong>in</strong>er mag mich.<br />
K<strong>in</strong>d: Achso. Ke<strong>in</strong>er magt mich nicht.ª 18<br />
3. Überlegungen zur zweisprachigen Erziehung<br />
Damit e<strong>in</strong>e zweisprachige Erziehung gel<strong>in</strong>gen kann, ist ± wie beim Spracherwerb ± e<strong>in</strong>e<br />
ausreichend emotionale und sprachliche Zuwendung Grundvoraussetzung. E<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />
zweisprachige Erziehung macht es erforderlich, dass beide Sprachen mit e<strong>in</strong>er ähnlichen<br />
Intensität an das K<strong>in</strong>d heran getragen werden. Sonst besteht die Gefahr, dass sich<br />
e<strong>in</strong>e der beiden Sprachen schneller entwickelt und zur ¹starkenª Sprache wird.<br />
GOGOLIN bemerkt hierzu, dass K<strong>in</strong>der, die nur über e<strong>in</strong>geschränkte Ausdrucksmittel <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er der beiden Sprachen verfügen, ¹von Möglichkeiten der aktiven Partizipation an der<br />
Kommunikation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Teil ihrer Lebenswelt abgeschnitten s<strong>in</strong>dª. 19<br />
Mit dem Erwerb der Zweitsprache Deutsch können Situationen auftreten, die die Motivation<br />
des K<strong>in</strong>des und damit auch se<strong>in</strong>e Lernprozesse bee<strong>in</strong>trächtigen können.<br />
So erleben manche ausländischen K<strong>in</strong>der Konflikte <strong>in</strong> ihren Familien, weil sich Eltern und<br />
K<strong>in</strong>der aufgrund unterschiedlichen Sprachvermögens vone<strong>in</strong>ander entfremden. Die K<strong>in</strong>der<br />
erfahren, dass sie von den Eltern nicht verstanden werden und dass sie ihre Erlebnisse aus<br />
dem K<strong>in</strong>dergarten oder mit anderen K<strong>in</strong>dern nicht mitteilen können.<br />
Auch kommt es vor, dass die mit der Sprache der K<strong>in</strong>der aus der deutschen Umgebung <strong>in</strong><br />
die Familie h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> getragenen Werte und Verhaltensweisen auf den Widerstand der Eltern<br />
stoûen, die diese E<strong>in</strong>flüsse als e<strong>in</strong>e Bedrohung des eigenen Selbstverständnisses empf<strong>in</strong>den<br />
und ablehnen.<br />
Der vielfach vorhandene sprachliche ¹Vorsprungª ausländischer K<strong>in</strong>der gegenüber ihren<br />
Eltern kann dazu führen, dass die Eltern verunsichert werden. Die Verunsicherung der<br />
Eltern wiederum kann Unsicherheiten und Konflikte bei den K<strong>in</strong>dern auslösen, die sich <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Störung der Erstsprache oder beim Erlernen der Zweitsprache äuûern können.<br />
18 Zimmer, 1988, S. 21 f<br />
19 Gogol<strong>in</strong>, 1988, S. 102<br />
19<br />
Zweisprachige Erziehung:<br />
beide Sprachen gleich<br />
<strong>in</strong>tensiv fördern<br />
Mögliche Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />
von Lernprozessen<br />
Notizen
Ferner können Störungen <strong>in</strong> der Beziehung zwischen K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>en Bezugspersonen als<br />
auch der Wunsch, so zu se<strong>in</strong> wie alle anderen K<strong>in</strong>der, die Ursache dafür se<strong>in</strong>, dass das K<strong>in</strong>d<br />
se<strong>in</strong>e Erstsprache verweigert, weil es se<strong>in</strong>e Zweisprachigkeit als sozialen Makel empf<strong>in</strong>det.<br />
Wesentlich für die zweisprachige Entwicklung ist, dass die Umgebung des K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>er<br />
Zweisprachigkeit gegenüber positiv e<strong>in</strong>gestellt ist. K<strong>in</strong>der aus zugewanderten Familien<br />
erfahren vielfach, dass ihre Erstsprache von Sprechern der Zweitsprache abgewertet und<br />
ihre kulturelle Orientierung von der deutschen Umwelt abgelehnt oder als m<strong>in</strong>derwertig<br />
angesehen wird. Diese Zurückweisung kann von K<strong>in</strong>dern als persönliche Ablehnung erlebt<br />
werden und M<strong>in</strong>derwertigkeitsgefühle auslösen, deren Folge mangelhaftes Selbstvertrauen,<br />
e<strong>in</strong> überzogenes Bedürfnis nach Anpassung und Verweigerung oder Ablehnung der<br />
Sprache se<strong>in</strong> kann. Solche Diskrim<strong>in</strong>ierungen können auch e<strong>in</strong>e anfänglich hohe Bereitschaft<br />
zum sprachlichen Lernen erheblich bee<strong>in</strong>trächtigen.<br />
Dazu kommt, dass K<strong>in</strong>dern mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund von ihrer Umgebung nur selten Anerkennung<br />
und Bewunderung wegen ihrer Zweisprachigkeit entgegengebracht wird. Sie werden<br />
meist nur unter dem Aspekt gesehen, erhebliche Defizite <strong>in</strong> bezug auf ihre sprachlichen<br />
Fähigkeiten aufzuweisen, d.h. im Alltag werden diese K<strong>in</strong>der oft so wahrgenommen, dass<br />
sie die e<strong>in</strong>e Sprache ¹noch nichtª, die andere Sprache ¹nicht mehrª vollständig beherrschen.<br />
E<strong>in</strong> positives Selbstbild, e<strong>in</strong> Vertrauen <strong>in</strong> die eigenen Fähigkeiten kann sich dabei<br />
nur schwerlich entwickeln.<br />
Weiterh<strong>in</strong> ist für das Gel<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>er zweisprachigen Erziehung auch das Ansehen der beiden<br />
Sprachen von Bedeutung. So wird z.B. e<strong>in</strong>e englisch-deutsche Zweisprachigkeit <strong>in</strong> der<br />
Regel höher bewertet als e<strong>in</strong>e türkisch-deutsche. Wenn e<strong>in</strong>e der beiden Sprachen e<strong>in</strong><br />
ger<strong>in</strong>geres Ansehen genieût, so führt dies ± nach KIELHOFER/JONEKEIT ± fast zwangsläufig<br />
zu e<strong>in</strong>er negativen E<strong>in</strong>stellung gegenüber dieser Zweisprachigkeit und kann <strong>in</strong> der Folgezeit<br />
e<strong>in</strong>e Verweigerung der Sprache mit sich br<strong>in</strong>gen. 20<br />
Sowohl e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges Ansehen der Erstsprache als auch auftretende Sprachprobleme der<br />
K<strong>in</strong>der tragen dazu bei, dass ihre Bemühungen um Zweisprachigkeit und der Wert ihrer<br />
Zweisprachigkeit oft zu ger<strong>in</strong>g geachtet werden.<br />
II. Aspekte e<strong>in</strong>er systematischen, am K<strong>in</strong>d orientierten<br />
<strong>Sprachförderung</strong><br />
1. Die Grundlagen der <strong>Sprachförderung</strong><br />
1.1 <strong>Sprachförderung</strong> als Teil der Gesamtkonzeption im Elementarbereich<br />
<strong>Sprachförderung</strong>, wie sie hier vorgestellt wird, stellt e<strong>in</strong> selbstverständlich <strong>in</strong> die alltägliche<br />
pädagogische Arbeit <strong>in</strong>tegriertes Element dar und kommt allen K<strong>in</strong>dern zugute, nicht nur<br />
solchen, die noch e<strong>in</strong>er weiteren Unterstützung ihres Sprachvermögens bedürfen. Sie verlangt<br />
e<strong>in</strong>e differenzierte Vorgehensweise, die <strong>in</strong>dividuelle Unterschiede der K<strong>in</strong>der berücksichtigt<br />
und Besonderheiten des Lebensumfeldes <strong>in</strong> Rechnung stellt. Damit steht sie <strong>in</strong> der<br />
Tradition der situationsorientierten Ansätze.<br />
Die situationsorientierten Ansätze<br />
Im Zuge der Bildungsreform entwickelten sich im Verlauf der 70er und frühen 80er Jahre <strong>in</strong><br />
den verschiedenen Bundesländern neue pädagogische Konzeptionen für den Elementarbereich,<br />
die hier unter dem Begriff ¹situationsorientierte Ansätzeª zusammengefaût werden. 21<br />
20 Kielhöfer/Jonekeit, 1983<br />
21 Militzer/Demandewitz/Solbach, 1999, S. 71 ff<br />
20<br />
Zweisprachigkeit mehr<br />
Anerkennung<br />
entgegenbr<strong>in</strong>gen<br />
Gleiches Ansehen für alle<br />
Sprachen wichtig<br />
Notizen
Ihnen geme<strong>in</strong>sam ist, dass die aktuellen Lebens-Situationen der K<strong>in</strong>der den Ausgangspunkt<br />
der pädagogischen Arbeit darstellen und nicht allgeme<strong>in</strong>e Vorstellungen darüber,<br />
was (alle) K<strong>in</strong>der wann brauchen und können sollen. Das heiût, das e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>d mit se<strong>in</strong>en<br />
spezifischen Bedürfnissen kommt stärker <strong>in</strong>s Blickfeld und liefert mittelbar ± über<br />
Beobachtung ± und unmittelbar ± durch Partizipation von K<strong>in</strong>dern ± entscheidende Impulse<br />
für das pädagogische Geschehen <strong>in</strong> der Tagese<strong>in</strong>richtung.<br />
Menschenbild<br />
Den situationsorientierten Ansätzen liegt e<strong>in</strong> Menschenbild zugrunde, das an zentrale Gedanken<br />
der Reformpädagogik anknüpft: Das K<strong>in</strong>d wird nicht erst Mensch, es ist bereits e<strong>in</strong> vollständiger<br />
Mensch, dessen E<strong>in</strong>zigartigkeit und Würde es zu achten gilt. Sie nehmen ferner<br />
Abstand von der Vorstellung, dass Erwachsene bereits alles über K<strong>in</strong>der wissen, was Behutsamkeit<br />
zur Folge hat: Behutsamkeit im Umgang mit Diagnosen und Handlungskonzepten,<br />
kritische Distanz zu der eigenen Perspektive und E<strong>in</strong>schätzung e<strong>in</strong>er Situation. Diese Haltung<br />
stellt für alle Beteiligten e<strong>in</strong>en groûen Gew<strong>in</strong>n dar, denn sie be<strong>in</strong>haltet Lernchancen und kann<br />
persönliches Wachstum <strong>in</strong> Gang setzen. In Bezug auf <strong>Sprachförderung</strong> bedeutet dies, dass<br />
die Ansatzpunkte zur <strong>Sprachförderung</strong> von K<strong>in</strong>d zu K<strong>in</strong>d unterschiedlich se<strong>in</strong> können.<br />
¹Hundert K<strong>in</strong>der ± hundert Menschen, die nicht irgendwann e<strong>in</strong>mal, sondern schon jetzt,<br />
schon heute Menschen s<strong>in</strong>d. Ke<strong>in</strong>e Liliputwelt, sondern e<strong>in</strong>e richtige Welt mit ihren Werten,<br />
Tugenden, Lastern, Bestrebungen und Wünschen, die durchaus nicht kle<strong>in</strong> und ger<strong>in</strong>g, sondern<br />
wichtig s<strong>in</strong>d, und nicht unschuldig, sondern eben menschlich.ª 22 So beschreibt der<br />
polnische Pädagoge Janusz Korczak se<strong>in</strong>e Sicht vom K<strong>in</strong>d und eröffnet damit e<strong>in</strong>e neue<br />
und tiefere Dimension von K<strong>in</strong>d-Se<strong>in</strong>, die mit den gängigen, nicht selten romantisch überhöhten<br />
Vorstellungen der Erwachsenen von e<strong>in</strong>er glücklichen und unbeschwerten K<strong>in</strong>dheit<br />
nur noch wenig geme<strong>in</strong> hat. Diese Wahrhaftigkeit <strong>in</strong> der Beobachtung ist für Korczak Teil<br />
und Ausdruck se<strong>in</strong>es Respekts vor der Eigenart der K<strong>in</strong>der.<br />
Entwicklungspsychologische Erkenntnisse<br />
Neuere entwicklungspsychologische Erkenntnisse spielen <strong>in</strong> den situationsorientierten Ansätzen<br />
e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. So das Wissen darum, dass K<strong>in</strong>der ihre Entwicklung <strong>in</strong> wechselseitigen<br />
Anpassungsprozessen mit der Umwelt vorantreiben ± und nicht passiv über sich ergehen<br />
lassen. 23 Neugier und Wagemut ± im Vere<strong>in</strong> mit k<strong>in</strong>dlicher Unbekümmertheit und Unerfahrenheit<br />
± s<strong>in</strong>d die Faktoren und Energiequellen, die das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Lage versetzen, es immer und<br />
immer wieder mit neuen und unbekannten Situationen aufzunehmen, um Lernerfahrungen zu<br />
sammeln und die Welt ± nach und nach ± zu verstehen. Von daher s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der Experten für<br />
ihre Entwicklung und kompetente (Gesprächs-)Partner im pädagogischen Geschehen.<br />
In diesem Zusammenhang ist auch die Erkenntnis von Bedeutung, dass kognitive Strukturen<br />
sich im Entwicklungsverlauf verändern: Kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der lernen viel <strong>in</strong> kurzer Zeit. Der<br />
Spracherwerb, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er entscheidenden Phase e<strong>in</strong>en Zeitraum von nur 2 ± 3 Jahren<br />
umfaût, stellt hierfür e<strong>in</strong> Paradebeispiel dar. Aber sie lernen anders als ältere K<strong>in</strong>der. Kle<strong>in</strong>e<br />
K<strong>in</strong>der lernen ganzheitlich, das heiût, Lern<strong>in</strong>halte müssen e<strong>in</strong>gebunden se<strong>in</strong> <strong>in</strong> ihre Lebenssituation<br />
und verknüpft se<strong>in</strong> mit ihren aktuellen Interessen und Bedürfnissen. Sie lernen<br />
anschaulich, das heiût, alle S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d beteiligt: sie tasten, sehen, schmecken, riechen, um<br />
zu begreifen. Sie lernen handelnd, d.h. sie müssen die Gelegenheit haben, die Eigenschaften<br />
der D<strong>in</strong>ge über konkretes Tun zu erfahren. Sie lernen auf der Basis von Selbstvertrauen,<br />
d.h. sie brauchen zum Lernen die Sicherheit und Orientierung <strong>in</strong> wertschätzenden Beziehungen.<br />
(Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs-) Konzepte, die für Schulk<strong>in</strong>der konzipiert wurden, s<strong>in</strong>d also nicht ohne<br />
weiteres auf K<strong>in</strong>dergartenk<strong>in</strong>der übertragbar. Diese Erkenntnis wird gerade <strong>in</strong> Bezug auf<br />
<strong>Sprachförderung</strong> häufig auûer Acht gelassen. 24<br />
22 Korczak, 1983, S. 162<br />
23 Piaget, 1991, S. 25 f<br />
24 Fuchs, 1999<br />
21<br />
Aktuelle Lebenssituation<br />
des jeweiligen K<strong>in</strong>des als<br />
Ausgangspunkt der<br />
pädagogischen Arbeit<br />
Respekt vor E<strong>in</strong>zigartigkeit<br />
und Würde des K<strong>in</strong>des<br />
K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d kompetente<br />
(Gesprächs-)Partner<br />
Kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der lernen anders<br />
als Schulk<strong>in</strong>der<br />
Notizen
Bezug zum Lebensumfeld<br />
Schlieûlich erweitern die situationsorientierten Ansätze den Blick über die E<strong>in</strong>richtung h<strong>in</strong>aus<br />
<strong>in</strong> das Umfeld. Damit tragen sie der Tatsache Rechnung, dass Lebenswelten von K<strong>in</strong>dern<br />
sehr verschieden s<strong>in</strong>d: sowohl mit Blick auf die regionale und multikulturelle Vielfalt<br />
unserer Gesellschaft als auch mit Blick auf <strong>in</strong>dividuell unterschiedliche Familiensituationen<br />
(vgl. Kap. II 1.3). K<strong>in</strong>der entwickeln sich nicht im luftleeren Raum, sondern <strong>in</strong> komplexen<br />
sozialen Zusammenhängen. 25 Ihre Entwicklung ist eng mit den spezifischen Gegebenheiten<br />
ihres Lebensumfeldes verquickt, diese s<strong>in</strong>d Teil ihrer Person, ihrer Individualität. Als<br />
<strong>in</strong>neres Abbild br<strong>in</strong>gen sie ihren Lebensraum, die Überzeugungen, Regeln, Handlungsmuster,<br />
die dort gelten, mit <strong>in</strong> die E<strong>in</strong>richtung.<br />
Hier ist es wichtig, dass die K<strong>in</strong>der Anknüpfungspunkte f<strong>in</strong>den, e<strong>in</strong>en sicheren Ankerplatz,<br />
von dem aus sie mit der Freude des Entdeckers ¹an Land gehenª können, um den unbekannten<br />
Lebensraum zu erkunden und für neue ± auch neue sprachliche ± Erfahrungen zu<br />
erobern.Um solche Anknüpfungspunkte zu schaffen, braucht die Erzieher<strong>in</strong> Kenntnisse<br />
über die Lebenssituation der Familien vor Ort und über die Bed<strong>in</strong>gungen des Wohnumfeldes.<br />
E<strong>in</strong>e vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern ist hierbei unverzichtbar und hilfreich.<br />
Planung der pädagogischen Arbeit<br />
E<strong>in</strong>e Orientierung an der Lebens-Situation der K<strong>in</strong>der verlangt flexible, offene Planungs<strong>in</strong>strumente<br />
zur Gestaltung der pädagogischen Arbeit. Starre Rahmenpläne, Angebote, die<br />
e<strong>in</strong>seitig jahreszeitlich ausgerichtet s<strong>in</strong>d und auf Wochen und Monate im Voraus festgelegt<br />
werden, stehen im Widerspruch zur Intention der situationsorientierten Ansätze.<br />
Das berufliche Rollenverständnis der Erzieher<strong>in</strong> zeichnet sich durch professionelle Zurückhaltung<br />
aus, um den Eigenaktivitäten der K<strong>in</strong>der Raum zu geben. E<strong>in</strong> hoher Stellenwert<br />
kommen der Beobachtung, dem k<strong>in</strong>dorientierten Gespräch und den Analysemethoden<br />
zum tieferen Verständnis von K<strong>in</strong>dersituationen zu. Durch Beobachtung erfährt die Erzieher<strong>in</strong><br />
etwas darüber, was für e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>der oder K<strong>in</strong>dergruppen bedeutsam ist, welche Ideen<br />
die K<strong>in</strong>der gerade entwickeln, welche Räume sie erschlieûen wollen, welche Fragen sie<br />
bewegen. Sie gew<strong>in</strong>nt auch e<strong>in</strong> Bild über die aktuellen sprachlichen Fähigkeiten der K<strong>in</strong>der.<br />
Es besteht e<strong>in</strong>e hohe Bereitschaft, gerade die ungewöhnlichen, manchmal auch ¹verrücktenª<br />
Ideen der K<strong>in</strong>der ernst zu nehmen und auf ihr entwicklungsförderndes Potential h<strong>in</strong> zu<br />
bedenken. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen:<br />
Verena ist Erzieher<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fünfgruppigen Tagese<strong>in</strong>richtung. Sie hat bereits seit e<strong>in</strong>igen Jahren<br />
Erfahrungen mit der situationsorientierten Arbeitsweise gesammelt. Verena hat geme<strong>in</strong>sam<br />
mit e<strong>in</strong>er Gruppe von K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Spiel vorbereitet. Heute ist ¹Generalprobeª <strong>in</strong><br />
der Turnhalle, morgen wollen die K<strong>in</strong>der es den anderen K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> der Gruppe vorspielen. Die<br />
Geschichte haben die K<strong>in</strong>der sich selbst ausgedacht: Die Waldtiere feiern e<strong>in</strong> Frühl<strong>in</strong>gsfest,<br />
nur der Bär fehlt. Offenbar hat er den Frühl<strong>in</strong>gsanfang verschlafen. Die Waldtiere und der<br />
Jäger machen sich auf den Weg, um die Bärenhöhle zu suchen und den Bären zu wecken.Á<br />
E<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong>der hatten hierzu Bilder gemalt, andere die verschiedenen Figuren aus Papier ausgeschnitten.<br />
Aus diesen Materialien wurde e<strong>in</strong> selbst gefertigtes Bilderbuch hergestellt, das jetzt<br />
als ¹Drehbuchª dient. Mit Matten, Seilen, groûen Kegelfiguren, Holzreifen und Pappröhren<br />
wird der abenteuerliche Weg zur Bärenhöhle vorbereitet. E<strong>in</strong>fache Requisiten, wie Schwe<strong>in</strong>eschwänzchen,<br />
Hasenohren, e<strong>in</strong> Jägerhut werden verteilt.<br />
Die dreijährige Kira wollte e<strong>in</strong>en Waldzwerg spielen, der den Tieren den richtigen Weg<br />
weist. Jetzt sitzt Kira, abgewandt von den anderen K<strong>in</strong>dern, auf e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Turm von<br />
Schaumstoffelementen. ¹Komm endlich Kira, wir wollen anfangenª, rufen die K<strong>in</strong>der, aber<br />
Kira hört nicht. Die Erzieher<strong>in</strong> geht zu Kira h<strong>in</strong>. Sie sieht, wie Kira den Reiûverschluû des<br />
dunkelblauen Polsterbezuges e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Stück aufgezogen hat und <strong>in</strong>teressiert den hellen<br />
Schaumstoff betrachtet, der darunter zum Vorsche<strong>in</strong> kommt. Sie steckt zuerst ihren F<strong>in</strong>ger,<br />
25 Bronfenbrenner, 1981, S. 19 f<br />
22<br />
Anknüpfungspunkte für<br />
Lernen im Familien- und<br />
Lebensalltag der K<strong>in</strong>der<br />
suchen<br />
Offene Planung und<br />
zurückhaltende<br />
Beobachtung<br />
Beispiel<br />
Notizen
dann die Hand und schlieûlich den ganzen Arm h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und betrachtet <strong>in</strong>teressiert, wie dieser<br />
sich unter dem fest gespannten Stoff als Silhouette abzeichnet. ¹Na, Kira, da hast Du<br />
aber e<strong>in</strong>e tolle Entdeckung gemacht, das ist ja spannend, was da zum Vorsche<strong>in</strong> kommt!ª<br />
Kira strahlt sie an. ¹Da brauchst du wohl noch e<strong>in</strong> Weilchen, bist du damit fertig bist? Weiût<br />
du was, wir fangen schon mal an mit dem Spiel und wenn du dran bist, sagen wir dir<br />
Bescheid?ª Kira nickt und macht sich wieder an dem Reiûverschluû zu schaffen, um ihn<br />
noch e<strong>in</strong> Stückchen weiter aufzuziehen, das ist nicht so e<strong>in</strong>fach. Die Erzieher<strong>in</strong> erklärt den<br />
anderen K<strong>in</strong>dern, dass Kira noch e<strong>in</strong>e wichtige Sache zu Ende br<strong>in</strong>gen muû, dann wird sie<br />
mitspielen, und die Generalprobe kann beg<strong>in</strong>nen. Kira kommt nach wenigen M<strong>in</strong>uten selbständig<br />
zu dem Märchenspiel h<strong>in</strong>zu. Ihre Neugier ist befriedigt, jetzt fühlt sie sich durch die<br />
lustigen Geräusche und das Trappeln und Huschen der K<strong>in</strong>der angeregt, mitzumachen. Auf<br />
e<strong>in</strong>em ¹Ste<strong>in</strong>ª am Wegesrand bezieht sie ihren Posten als Zwerg.<br />
In unserem Beispiel hat die Erzieher<strong>in</strong> schnell bemerkt, dass das, was auf den ersten Blick<br />
als Störung des geplanten Ablaufs ersche<strong>in</strong>t, sich als bedeutsame Situation für Kira darstellt,<br />
<strong>in</strong> der Lernen stattf<strong>in</strong>det. Kira verweigert sich nicht, trödelt nicht, sondern ¹geht den<br />
D<strong>in</strong>gen auf den Grundª, sie will wissen, was unter der Oberfläche verborgen ist, und <strong>in</strong>vestiert<br />
Kraft und Energie, um dah<strong>in</strong>ter zu kommen. Auf diese Weise werden Denkprozesse <strong>in</strong><br />
Gang gesetzt, die auch auf der sprachlichen Ebene nach Austausch und Antwort verlangen,<br />
also kommunikatives (Sprach-) Handeln <strong>in</strong> Gang setzen. Die Erzieher<strong>in</strong> erkennt die<br />
Bedeutung der Situation. Sie br<strong>in</strong>gt dies Kira und auch den anderen K<strong>in</strong>dern gegenüber<br />
zum Ausdruck, <strong>in</strong>dem sie Wertschätzung signalisiert und Kira dar<strong>in</strong> unterstützt, ihre Aktion<br />
zu Ende zu führen. Sicher s<strong>in</strong>d Situationen denkbar, wo man k<strong>in</strong>dlichen Neben- und Umwegen<br />
nicht nachgehen und nachgeben kann. Aber auch dann sollte an die Stelle e<strong>in</strong>es:<br />
¹Komm jetzt endlichª e<strong>in</strong>e wertschätzende ¾uûerung treten und dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Aussicht<br />
gestellt werden, dass es se<strong>in</strong>e Aktivität bei nächster Gelegenheit weiterführen kann.<br />
Im Rahmen e<strong>in</strong>er situationsorientierten Arbeitsweise schaut die Erzieher<strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dern<br />
¹über die Schulternª, unterstützt ihre Ideen und Aktivitäten, nutzt sie als Anknüpfungspunkt<br />
für pädagogische Zielvorstellungen und weiterführende Impulse.<br />
1.2 Orientierung an der (Lebens-) Situation von K<strong>in</strong>dern<br />
23<br />
Etwas über die allgeme<strong>in</strong>e und aktuelle<br />
Lebens-Situation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />
zu erfahren, gibt der Erzieher<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />
Fundus an Anknüpfungspunkten für<br />
die <strong>Sprachförderung</strong> im geme<strong>in</strong>samen<br />
Alltag mit den K<strong>in</strong>dern. Erfahren<br />
K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong> echtes Interesse an<br />
ihren Bedürfnissen, Fragen, Entdekkungen<br />
und Erfahrungen, so werden<br />
auch sie sich mitteilen wollen und<br />
dabei zugleich Sprache üben.<br />
Herauszuf<strong>in</strong>den, was K<strong>in</strong>der wirklich<br />
<strong>in</strong>teressiert, was sie so fasz<strong>in</strong>iert,<br />
dass sie darauf ¹brennenª, es anderen<br />
zu erzählen, ist nicht immer so<br />
e<strong>in</strong>fach. Angesichts der Vielfalt von<br />
Unterschieden nicht nur zwischen,<br />
sondern auch <strong>in</strong>nerhalb von Kulturen<br />
ist es notwendig, den Blick auf<br />
das e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>d zu lenken.<br />
Bei der E<strong>in</strong>schätzung der Lebenssituation<br />
e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des sollte die Erzieher<strong>in</strong><br />
sehr sensibel und kritisch<br />
Angelesenes H<strong>in</strong>tergrundwissen<br />
über andere Kulturen kritisch<br />
h<strong>in</strong>terfragen<br />
Notizen
mit angelesenem H<strong>in</strong>tergrundwissen über verschiedene Kulturen umgehen. Denn oft zeigt<br />
sich: Die <strong>in</strong>dividuelle Situation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des kann ganz anders aussehen als zunächst angenommen<br />
wurde.<br />
Erst durch Beobachtungen im Alltag, die Aufschlüsse über se<strong>in</strong>e aktuelle Lebenssituation<br />
geben, durch Situationsanalysen und durch Gespräche mit den Eltern über ihre familiäre<br />
Situation kann sich die Erzieher<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Bild davon machen, welche Themen für das K<strong>in</strong>d im<br />
Moment anstehen und daher e<strong>in</strong>e Motivation für das K<strong>in</strong>d bieten könnten, sich auch<br />
sprachlich auszudrücken. Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund wählt sie Spiele, Projekte und Materialien<br />
aus, die dem K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en Anreiz bieten, aus e<strong>in</strong>em eigenen Bedürfnis heraus se<strong>in</strong>e<br />
Sprachkompetenzen zu erweitern.<br />
Um sich darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong> Bild davon zu machen, welche Bedeutung die Sprache für die<br />
Lebenssituation von K<strong>in</strong>dern hat, sei auf die folgenden Aspekte h<strong>in</strong>gewiesen:<br />
Identitätsentwicklung und Familiensprache<br />
Mit Hilfe se<strong>in</strong>er Erstsprache bewältigt das K<strong>in</strong>d wichtige ¹Meilenste<strong>in</strong>eª se<strong>in</strong>er Identitätsentwicklung<br />
(vgl. Kap. I 2.1). Es lernt se<strong>in</strong>e Bedürfnisse deutlich zu artikulieren und grenzt<br />
sich damit von se<strong>in</strong>en Bezugspersonen ab. Zugleich ist die Erstsprache für das K<strong>in</strong>d wichtig,<br />
um sich <strong>in</strong> der Familie zu verständigen. Die Erstsprache ist die Sprache, die ihm Sicherheit<br />
und Geborgenheit vermittelt.<br />
Wert- oder Ger<strong>in</strong>gschätzung der Sprache<br />
Die Lebenssituation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des wird auch dadurch bee<strong>in</strong>fluût, wie se<strong>in</strong> auûerfamiliäres<br />
Umfeld auf se<strong>in</strong>e Sprache(n) reagiert. Manche K<strong>in</strong>der können erlebt haben, dass sie aufgrund<br />
ihrer Erstsprache von anderen Menschen gemieden werden. Andere haben erfahren,<br />
dass sie mit offenen Armen empfangen werden.<br />
K<strong>in</strong>der können beobachtet haben, wie manche Menschen im Supermarkt abschätzend<br />
behandelt werden, wenn sie die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen. Fast alle K<strong>in</strong>der<br />
werden schon ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der Bewertung ihrer Sprache und<br />
denen der anderen gemacht haben, wenn sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung kommen. Diese<br />
Erfahrungen können sie <strong>in</strong> ihrer E<strong>in</strong>stellung gegenüber der eigenen Erstsprache und der deutschen<br />
Sprache bee<strong>in</strong>flussen und sollten daher bei der <strong>Sprachförderung</strong> nicht unterschätzt<br />
werden.<br />
Welche Gründe es tatsächlich s<strong>in</strong>d, die e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d dar<strong>in</strong> hemmen bzw. motivieren können,<br />
se<strong>in</strong>e Sprachkompetenzen auszubauen, das kann von K<strong>in</strong>d zu K<strong>in</strong>d unterschiedlich se<strong>in</strong>.<br />
Auch aus diesem Grund ist es notwendig, sich der <strong>in</strong>dividuellen Lebenssituation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />
zuzuwenden.<br />
Sprache ± e<strong>in</strong> wichtiger Bestandteil der Familienkultur<br />
Welche Bedeutung die Sprache für die Familie e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des hat, kann e<strong>in</strong>en nicht zu unterschätzenden<br />
E<strong>in</strong>fluû auf die Sprechfreude jedes e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>des ausüben. Sprache zu<br />
pflegen, <strong>in</strong>dem die Familienmitglieder sich treffen und z.B. geme<strong>in</strong>sam spielen oder sich<br />
gegenseitig beim Familienausflug Geschichten erzählen, ist nicht mehr selbstverständlich.<br />
Oft ersetzt schon beim Mittagstisch oder beim Abendbrot der Fernseher das geme<strong>in</strong>same<br />
Gespräch. Nicht nur üben K<strong>in</strong>der dadurch weniger ihre Sprache(n). Auch nimmt der Stellenwert,<br />
selbst zu sprechen, <strong>in</strong> der Erlebniswelt der K<strong>in</strong>der an Bedeutung ab.<br />
1.3 Analyse der familiären Sprachsituation<br />
In der alltäglichen Arbeit mit K<strong>in</strong>dern kann es hilfreich se<strong>in</strong>, sich zu vergegenwärtigen, mit<br />
welcher Sprache und welchen Sprachgewohnheiten die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihrer Familie aufwachsen.<br />
Die Analyse der Sprachsituation <strong>in</strong> der Familie und im näheren sozialen Umfeld eröffnet<br />
die Möglichkeit, das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em sprachlichen und sozialen Verhalten besser verstehen<br />
zu können, den Blick auf die Stärken des K<strong>in</strong>des und der Eltern zu lenken und weitere<br />
24<br />
E<strong>in</strong>fluss bereits vor dem<br />
K<strong>in</strong>dergarten gemachter<br />
Erfahrungen<br />
berücksichtigen<br />
Sprache wird <strong>in</strong> den<br />
Familien nicht immer<br />
ausreichend gefördert<br />
Gezielt an die familiäre<br />
Sprachsituation anknüpfen<br />
Notizen
Informationen aus dem Lebensumfeld der Familie zu erhalten. Damit kann die <strong>Sprachförderung</strong><br />
zugleich auf e<strong>in</strong>em Fundus von H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formationen aufbauen, der das Verständnis<br />
für die Lebenssituation der Familie erweitern und den Zugang zum e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>d<br />
erleichtern kann. E<strong>in</strong>e gezielte <strong>Sprachförderung</strong> setzt <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne an den Erfahrungen<br />
und Interessen der K<strong>in</strong>der an und bietet ihnen damit die Möglichkeiten, aus e<strong>in</strong>em eigenen<br />
Bedürfnis heraus für neue, auch sprachliche Lernfortschritte motiviert zu se<strong>in</strong>.<br />
Die Erstsprache e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des kann auch e<strong>in</strong> Dialekt se<strong>in</strong><br />
Nicht die Sprache des Umfeldes zu sprechen, das kann verunsichern. Dies gilt nicht nur für<br />
K<strong>in</strong>der, die e<strong>in</strong>e andere als die deutsche Sprache sprechen. Auch <strong>in</strong>nerhalb der deutschen<br />
Sprache gibt es regionalspezifische Unterschiede. E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, das aus e<strong>in</strong>er Region stammt,<br />
<strong>in</strong> der se<strong>in</strong> Dialekt noch selbstverständlich zum alltäglichen Sprachgebrauch gehört, wird<br />
sich am neuen Wohnort, <strong>in</strong> dem überwiegend Hochdeutsch gesprochen wird, zunächst<br />
fremd und unsicher fühlen. Es versteht manche Wörter nicht, oder Wörter, die es selbst<br />
benutzt, werden nicht verstanden, so z.B. wenn aus der Semmel plötzlich e<strong>in</strong> ¹Brötchenª<br />
oder e<strong>in</strong>e ¹Schrippeª wird. Vielleicht wird es sogar ausgelacht, wenn es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Erstsprache<br />
± e<strong>in</strong>em Dialekt ± spricht. Da die Erstsprache sehr eng mit dem Identitätsgefühl e<strong>in</strong>es<br />
K<strong>in</strong>des zusammenhängt, wird es sich dadurch wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Selbstwertgefühl<br />
herabgesetzt fühlen.<br />
Die Nationalität sagt nicht immer etwas über die Erstsprache e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des aus<br />
Sich die familiäre Sprachsituation des K<strong>in</strong>des zu vergegenwärtigen, hat etwas mit dem<br />
Respekt vor der E<strong>in</strong>zigartigkeit e<strong>in</strong>es jeden K<strong>in</strong>des zu tun. Dieser Respekt zeigt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
wertschätzenden offenen Haltung, e<strong>in</strong>e Haltung, die e<strong>in</strong>kalkuliert, dass me<strong>in</strong>e Vorannahmen<br />
über e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d nicht unbed<strong>in</strong>gt mit se<strong>in</strong>er Realität übere<strong>in</strong>stimmen müssen ± auch nicht<br />
<strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf se<strong>in</strong>e Sprachgewohnheiten <strong>in</strong> der Familie. Hierzu e<strong>in</strong> Beispiel:<br />
Enrico, e<strong>in</strong> italienischer Junge, ist erst seit e<strong>in</strong> paar Tagen im K<strong>in</strong>dergarten. Meist sitzt er<br />
scheu auf der Fensterbank, wobei er sehr aufmerksam das Spiel der anderen K<strong>in</strong>der beobachtet.<br />
Daniella, e<strong>in</strong>e Erzieher<strong>in</strong>, deren Erstsprache Italienisch ist, versucht immer wieder<br />
mit ihm Kontakt aufzunehmen. Sie wundert sich, warum sie über ihre Erstsprache ke<strong>in</strong>en<br />
Zugang zu ihm f<strong>in</strong>det. Er wirkt eher so, als ob ihn dies noch mehr verunsichere.<br />
Im Gespräch mit Enricos Vater stellt sich heraus, dass die Eltern zwar mit der Erzieher<strong>in</strong> italienisch<br />
sprechen, die Familiensprache jedoch Sizilianisch ist. Nun versteht sie, warum es<br />
ihr bei diesem K<strong>in</strong>d nicht gelang, mit Hilfe ihrer Erstsprache e<strong>in</strong>e Atmosphäre von Vertrautheit<br />
und Geborgenheit zu vermitteln.<br />
Dies Beispiel zeigt, dass die Nationalität der K<strong>in</strong>der nicht unbed<strong>in</strong>gt etwas darüber aussagen<br />
muû, welche Sprache tatsächlich <strong>in</strong> der Familie gesprochen wird. Daniella und Enrico<br />
haben zwar die gleiche Nationalität, sprechen jedoch unterschiedliche Sprachen. Auch<br />
K<strong>in</strong>der mit deutscher Staatsangehörigkeit müssen nicht unbed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> ihrer Familie deutsch<br />
sprechen. So dom<strong>in</strong>iert <strong>in</strong> Spätaussiedlerfamilien oftmals die Sprache ihres Herkunftslandes.<br />
Die Analyse der familiären Sprachsituation ist damit auch für die muttersprachlichen Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
von Bedeutung: Unabhängig von der Nationalität des K<strong>in</strong>des kann sie damit herausf<strong>in</strong>den,<br />
ob das K<strong>in</strong>d und sie tatsächlich die gleiche Sprache sprechen.<br />
Das Verständnis für die Lebenssituation des K<strong>in</strong>des erweitern<br />
Das Gespräch darüber, mit wem das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> welcher Sprache spricht, kann auûerdem darüber<br />
Aufschluû geben, welche Beziehungen für das K<strong>in</strong>d besonders wichtig s<strong>in</strong>d. Dadurch<br />
entsteht e<strong>in</strong> dichteres Bild von der Lebenssituation des K<strong>in</strong>des. Manche Erzählungen des<br />
K<strong>in</strong>des aus se<strong>in</strong>em familiären Umfeld können so u. U. besser verstanden werden. Auch<br />
können sich wichtige Anknüpfungspunkte für Gespräche mit K<strong>in</strong>dern ergeben.<br />
25<br />
Beispiel: Enrico<br />
Notizen
Den Blick für die Vielfalt möglicher familiärer Sprachsituationen öffnen<br />
Im Gespräch mit den Eltern und dem K<strong>in</strong>d kann sich herausstellen, welche Sprache(n) <strong>in</strong><br />
der Familie und im näheren sozialen Umfeld gesprochen werden:<br />
Lauras Vater ist Amerikaner und ihre Mutter ist Deutsche. Schon seit der Geburt ist sie es<br />
gewohnt, dass der Vater mit ihr nur amerikanisch und die Mutter nur deutsch spricht. Wenn<br />
alle zusammen s<strong>in</strong>d, sprechen sie Amerikanisch. Wenn sie sehr aufgeregt ist, kann es schon<br />
mal se<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> amerikanisches Wort <strong>in</strong> ihren deutschen Sätzen auftaucht oder umgekehrt.<br />
Laura wächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bil<strong>in</strong>gualen familiären Sprachsituation auf. Mit dem Vater spricht<br />
sie <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en Sprache und mit der Mutter <strong>in</strong> der anderen. Aus der Spracherwerbsforschung<br />
weiû man, dass es den K<strong>in</strong>dern hilft, wenn sie den Sprachen jeweils unterschiedliche<br />
Personen zuordnen können. Man geht davon aus, dass sie dadurch die beiden unterschiedlichen<br />
Regelsysteme, die den Sprachen zugrunde liegen, besser trennen können.<br />
Übertragen auf den Alltag <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen bedeutet dies: Wenn es Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung gibt, die jeweils e<strong>in</strong>e der beiden Sprachen des K<strong>in</strong>des beherrschen,<br />
kommt auch hier e<strong>in</strong>e Aufteilung der Sprachen der bil<strong>in</strong>gualen Sprachentwicklung<br />
der K<strong>in</strong>der zu Gute (vgl. Kap. II 4.2).<br />
Umay spricht zuhause mit ihren Eltern türkisch. Im K<strong>in</strong>dergarten und auf der Straûe spricht<br />
sie sowohl deutsch als auch türkisch. Umays liebste Freund<strong>in</strong> ist Al<strong>in</strong>a. Der hat sie auch<br />
schon e<strong>in</strong> paar türkische Worte beigebracht. Hauptsächlich sprechen sie Deutsch mite<strong>in</strong>ander.<br />
Aber Al<strong>in</strong>a ist auch stolz, schon e<strong>in</strong> biûchen türkisch zu können.<br />
Umay wächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweisprachigen sozialen Umfeld auf: In der Familie wird türkisch<br />
gesprochen. Die Umgebungssprache ist Deutsch. E<strong>in</strong>e wichtige Motivation, um Deutsch<br />
zu lernen, ist die <strong>in</strong>nige Beziehung zu ihrer Freund<strong>in</strong> Al<strong>in</strong>a. Hieran wird deutlich, wie entscheidend<br />
die Beziehungen zu Freund<strong>in</strong>nen, Freunden, aber auch zu den Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
s<strong>in</strong>d: Sie können Motor und Antrieb se<strong>in</strong>, um aus e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren Bedürfnis heraus, e<strong>in</strong>e<br />
zweite Sprache erlernen zu wollen. Dies ist bekannterweise die beste Motivation, um neue<br />
und anhaltende Lernfortschritte zu machen. Darum ist es für die Förderung der Erstsprache<br />
und der deutschen Sprache <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung wichtig, sich um e<strong>in</strong>en vertrauensvollen Aufbau<br />
der Beziehungen zu den K<strong>in</strong>dern zu bemühen (vgl. Kap. II 2). Sich wichtige Wörter <strong>in</strong><br />
der Erstsprache der K<strong>in</strong>der anzueignen, kann e<strong>in</strong> erster Vertrauen gebender Anker für die<br />
Beziehung se<strong>in</strong>.<br />
Auch ist bei manchen K<strong>in</strong>dern und Eltern zu beobachten, dass sie <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Satzes<br />
die Sprachen wechseln. Die Familiensprache, die das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Identitätsentwicklung<br />
begleitet, besteht dann aus e<strong>in</strong>er Mischformvon zwei Sprachen. Es würde ziemlich<br />
sicher den Selbstwert des K<strong>in</strong>des stark angreifen, wenn die Erzieher<strong>in</strong>nen se<strong>in</strong>e Fähigkeit,<br />
sich mit Hilfe e<strong>in</strong>er Mischform von zwei Sprachen zu verständigen, nur defizitär bewerten<br />
würde. Da der Selbstwert e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des jedoch entscheidender Faktor für den Mut und<br />
Lernwillen beim Ausbau se<strong>in</strong>er Sprachkompetenzen ist, kann es dem K<strong>in</strong>d nur helfen,<br />
wenn Erzieher<strong>in</strong>nen und Eltern ihr K<strong>in</strong>d immer wieder unter dem Blickw<strong>in</strong>kel: ¹Was kann er/<br />
sie schon? ¹Was hat er/sie dazu gelernt?ª betrachten. Diese pädagogische Grundhaltung<br />
wird das K<strong>in</strong>d bemerken und es für den Kontakt zu den Erzieher<strong>in</strong>nen öffnen.<br />
1.4 Handlungsorientierte <strong>Sprachförderung</strong><br />
K<strong>in</strong>der erschlieûen sich ihre Umwelt, <strong>in</strong>dem sie selbst tätig werden. Auch der Spracherwerb<br />
ist e<strong>in</strong> Lernprozeû, der durch die aktive Ause<strong>in</strong>andersetzung des K<strong>in</strong>des mit se<strong>in</strong>er<br />
Umwelt getragen wird. Dabei s<strong>in</strong>d für den Erwerb von Bedeutungen und den Aufbau von<br />
Begriffen die Erfahrungen entscheidend, die das K<strong>in</strong>d im handelnden Umgang mit D<strong>in</strong>gen<br />
und Personen se<strong>in</strong>er Umwelt macht. In diesem Lernprozeû werden die Regeln der Sprache<br />
¹aus konkreten Erfahrungen mit Objekten und Ereignissen, l<strong>in</strong>guistischen Strukturen und<br />
<strong>in</strong>terpersonalen Interaktionenª aufgenommen. 26<br />
26 Dannenbauer, 1987. In: Kolonko, 1996, S. 28<br />
26<br />
Beispiel: Laura<br />
Beispiel: Umay<br />
Mischformen<br />
Ganzheitliches Lernen statt<br />
isoliertem Sprachtra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
Notizen
Um sprachliche Lernprozesse <strong>in</strong> Gang zu br<strong>in</strong>gen, brauchen K<strong>in</strong>der also e<strong>in</strong>e soziale und<br />
d<strong>in</strong>gliche Umwelt, die Anlässe zum sprachlichen Austausch bereithält: Ansprechpartner,<br />
denen K<strong>in</strong>der etwas mitteilen können, wenn sie möchten, die ihre Art der Mitteilung ernst<br />
nehmen und verstehen wollen, die die Sprechfreude der K<strong>in</strong>der unterstützen (vgl. II 4.1),<br />
und Situationen, die so gestaltet s<strong>in</strong>d, dass sie sprachliches Lernen erleichtern und K<strong>in</strong>der<br />
ermutigen, sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden sprachlich-kommunikativen Mitteln<br />
mitzuteilen. Unterstützung der k<strong>in</strong>dlichen Sprachprozesse bedeutet für die Erzieher<strong>in</strong>, K<strong>in</strong>dern<br />
auf der Basis ihrer <strong>in</strong>dividuellen Möglichkeiten die für sie notwendige Förderung<br />
zukommen zu lassen, von den k<strong>in</strong>dlichen Kompetenzen und Möglichkeiten auszugehen<br />
und an den Erlebnissen und Lebensbereichen anzuknüpfen, die für K<strong>in</strong>der bedeutend s<strong>in</strong>d.<br />
Sprachliche Förderung sollte zudem Bestandteil e<strong>in</strong>er ganzheitlich ausgerichteten Erziehung<br />
se<strong>in</strong> und nicht als e<strong>in</strong> von anderen Bereichen isoliertes Sprachtra<strong>in</strong><strong>in</strong>g angeboten werden.<br />
Für die Erzieher<strong>in</strong> stellt sich damit die Aufgabe, den Alltag <strong>in</strong> der Tagese<strong>in</strong>richtung ¹sprachfreundlichª<br />
und ¹sprachanregendª zu gestalten und die vielfältigen Möglichkeiten, die sich<br />
<strong>in</strong> der Arbeit bieten, bewuût zu nutzen, ¹um die Sprachkenntnisse der K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong> lebendige<br />
Handlungszusammenhänge e<strong>in</strong>gebettet, <strong>in</strong> spielerischer Form, aber <strong>in</strong>haltlich gezielt zu<br />
erweitern.ª 27<br />
Da K<strong>in</strong>der Sprache über die Orientierung an Sprachvorbildern und <strong>in</strong> Handlungszusammenhängen<br />
erwerben, ist es wichtig, den Zusammenhang von Handeln und Sprechen, von<br />
Erfahrung und Begriff zu sehen und zu berücksichtigen. Über den Umgang mit den D<strong>in</strong>gen<br />
lernen die K<strong>in</strong>der die Beschaffenheit und die Eigenschaften von D<strong>in</strong>gen kennen. Handeln<br />
me<strong>in</strong>t das Umgehen mit realen Gegenständen, d.h. K<strong>in</strong>der sollten über verschiedene S<strong>in</strong>ne<br />
(Ohren, Augen, Nase, Mund, Haut und Hände) Erfahrungen mit den Gegenständen sammeln<br />
können. Sie erfahren z.B., dass der Ball rund ist, dass er hochspr<strong>in</strong>gt, wenn man ihn<br />
auf die Erde aufschlägt. Tätigkeiten lassen sich über das Tun, Eigenschaften über das<br />
Schmecken, Tasten, Hören erfahren, abstrakte Begriffe, wie Freude oder Trauer, über konkrete<br />
Erfahrungen oder über bildliche oder mimisch-gestische Darstellungen vermitteln.<br />
Das Handeln des K<strong>in</strong>des wird sprachlich begleitet, d.h. der Gegenstand ¹Ballª, die Tätigkeiten<br />
¹laufenª oder ¹malenª, die Eigenschaften ¹süûª oder ¹salzigª werden benannt. Die<br />
durch das Handeln gewonnenen Erfahrungen werden über die Verb<strong>in</strong>dung mit Sprache zu<br />
Begriffen. Dabei werden dem K<strong>in</strong>d Begriffsbildung und Wortschatzerweiterung erleichtert,<br />
wenn sie <strong>in</strong> für K<strong>in</strong>der bedeutsamen Situationen stattf<strong>in</strong>den, d.h. <strong>in</strong> Situationen, die an der<br />
Erfahrungswelt des K<strong>in</strong>des anknüpfen, <strong>in</strong> denen sie Erfahrungen sammeln und Entdeckungen<br />
machen können und <strong>in</strong> denen emotionale Erlebnisse möglich s<strong>in</strong>d. Damit macht Sprache<br />
D<strong>in</strong>ge, Ersche<strong>in</strong>ungen und Vorgänge für das K<strong>in</strong>d verfügbar und wird zu e<strong>in</strong>em wichtigen<br />
Mittel zur Aneignung der Umwelt. Handeln ist somit die Grundlage für das Sprechen<br />
und Denken des K<strong>in</strong>des.<br />
Beim anschlieûenden Spiel oder im Gespräch werden die neuen Begriffe e<strong>in</strong>gebracht und<br />
vertieft. Das K<strong>in</strong>d lernt also, die neuen Begriffe <strong>in</strong> verschiedenen Zusammenhängen e<strong>in</strong>zusetzen.<br />
Im Laufe der Zeit ist es <strong>in</strong> der Lage, sich losgelöst vom konkreten Gegenstand an<br />
Begriffen zu orientieren.<br />
Durch die sprachliche und gedankliche Verarbeitung lernt es, se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>drücke und Erfahrungen<br />
zu ordnen, zu vergleichen, Zusammenhänge herzustellen und sich so se<strong>in</strong>e Umwelt zu<br />
erschlieûen. Da das K<strong>in</strong>d lernt, <strong>in</strong>dem es tätig wird, ist es für die sprachliche Förderung wichtig,<br />
dass K<strong>in</strong>der unmittelbare Erfahrungen mit den Gegenständen sammeln können und Sprache<br />
nicht nur abstrakt über das Anschauen von Bildern, z.B. beim Memory-Spiel, erwerben.<br />
Wesentlich für das Gel<strong>in</strong>gen sprachlicher Prozesse s<strong>in</strong>d auûerdem sichere, stabile Beziehungen<br />
zwischen K<strong>in</strong>dern und Erzieher<strong>in</strong>. K<strong>in</strong>der müssen sich von der Erzieher<strong>in</strong> und der<br />
Gruppe akzeptiert wissen und sich <strong>in</strong> der Gruppe wohl fühlen können. In den alltäglichen<br />
geme<strong>in</strong>samen Handlungs- und Kommunikationssituationen zwischen K<strong>in</strong>dern und Erzieher<strong>in</strong><br />
können sich K<strong>in</strong>der mit ihren sprachlichen Fähigkeiten e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Beim geme<strong>in</strong>samen<br />
27 Akp<strong>in</strong>ar/Zimmer, 1984, S. 63<br />
27<br />
K<strong>in</strong>dergartenalltag<br />
sprechanregend gestalten<br />
Bedeutung sicherer,<br />
stabiler Beziehungen<br />
zwischen K<strong>in</strong>dern und<br />
Erziehenden<br />
Notizen
Spiel oder Tische decken, bei Bilderbuchbetrachtungen oder beim Basteln kann die Nähe<br />
zur Erzieher<strong>in</strong> dem K<strong>in</strong>d den Zugang zur (neuen) Sprache erleichtern. Zudem kann sie K<strong>in</strong>dern<br />
Erfahrungen ermöglichen, die ihnen die ¹Nützlichkeit von Sprache für sichª entdecken<br />
läût und über Nach- und Rückfragen dazu beitragen, dass K<strong>in</strong>der ihre Sprache weiter entwickeln<br />
können. Über e<strong>in</strong>e Anpassung ihrer sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten<br />
an die k<strong>in</strong>dlichen Möglichkeiten kann die Erzieher<strong>in</strong> Hilfestellung beim sprachlichen Lernen<br />
geben. Dies setzt voraus, dass sich die Erzieher<strong>in</strong> der sprachlichen Fähigkeiten und entwicklungsbed<strong>in</strong>gten<br />
Möglichkeiten der K<strong>in</strong>der bewuût ist.<br />
Neben der Kommunikation mit dem Erwachsenen f<strong>in</strong>det sprachliches Lernen auch <strong>in</strong> der<br />
K<strong>in</strong>dergruppe statt. Über das Planen und Abstimmen geme<strong>in</strong>samer Spielaktivitäten, das<br />
Klären von Regeln, das Lösen von Konflikten lernen K<strong>in</strong>der, sich sprachlich mitzuteilen und<br />
Kontakte zu anderen K<strong>in</strong>dern aufzubauen. Über geme<strong>in</strong>same Aktivitäten, Erlebnisse und<br />
Themen ergeben sich Sprechanlässe, die zu kommunikativen Gruppenprozessen führen.<br />
Das Beobachten der k<strong>in</strong>dlichen Gespräche kann der Erzieher<strong>in</strong> wiederum Aufschluû über<br />
die sprachlichen Fähigkeiten der K<strong>in</strong>der geben.<br />
2. Vier Schritte zu e<strong>in</strong>er bewuûten, situationsorientierten <strong>Sprachförderung</strong><br />
2.1 ¹Dass wir sprechen können, heiût noch lange nicht, dass wir auch<br />
etwas sagenª<br />
Wir alle kennen Situationen, <strong>in</strong> denen wir ganz selbstverständlich reden, ¹wie uns der<br />
Schnabel gewachsen istª, z.B. im vertrauten Familien- oder Freundeskreis. Wir kennen<br />
aber auch Situationen, <strong>in</strong> denen wir mit ¾uûerungen sehr vorsichtig und zurückhaltend s<strong>in</strong>d<br />
und schlieûlich solche, <strong>in</strong> denen wir blockiert s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>s Stottern geraten oder im schlimmsten<br />
Fall <strong>in</strong> tiefes Schweigen vers<strong>in</strong>ken ± meist dann, wenn es völlig unangebracht ist, z. B.<br />
<strong>in</strong> Prüfungssituationen, <strong>in</strong> denen wir unser Bestes geben sollen und wollen.<br />
Das heiût, zum Sprechen gehört nicht nur die Kenntnis von Wörtern und Begriffen, das Verständnis<br />
e<strong>in</strong>er Sprache, sondern auch Motivation und Mut, diese aktiv anzuwenden, also<br />
zu sprechen. Dass wir e<strong>in</strong>e Sprache kennen und können, heiût noch lange nicht, dass wir<br />
auch etwas sagen. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass Sprechen <strong>in</strong> der Regel mit<br />
e<strong>in</strong>em Gegenüber stattf<strong>in</strong>det, also e<strong>in</strong>e Wechselwirkung auslöst, die wir nur zum Teil überschauen<br />
und kontrollieren können.<br />
SCHULZ von THUN 28 hat dies mit den ¹vier Seiten e<strong>in</strong>er Nachrichtª sehr anschaulich vorgestellt:<br />
Neben der Sach<strong>in</strong>formation erfährt me<strong>in</strong> Gegenüber e<strong>in</strong>e Menge darüber ¹was ich<br />
für e<strong>in</strong>e/e<strong>in</strong>er b<strong>in</strong>ª, ¹wie es um mich stehtª; d.h. beim Sprechen zeigen wir etwas von uns,<br />
geben etwas preis, das über das h<strong>in</strong>aus geht, was wir dem anderen auf der Sachebene mitteilen.<br />
Und die Worte bewirken beim Gegenüber nicht selten etwas anderes, als wir beabsichtigten.<br />
E<strong>in</strong> (unbedachtes) Wort, e<strong>in</strong>mal auf den Weg gebracht, kann so schnell nicht mehr e<strong>in</strong>gefangen<br />
werden.<br />
In ihrem Gedicht ¹Unaufhaltsamª br<strong>in</strong>gt Hilde Dom<strong>in</strong> die Macht des Wortes auf e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gliche<br />
Weise zum Ausdruck:<br />
Besser e<strong>in</strong> Messer als e<strong>in</strong> Wort.<br />
E<strong>in</strong> Messer kann stumpf se<strong>in</strong>,<br />
e<strong>in</strong> Messer trifft oft<br />
am Herzen vorbei.<br />
Nicht das Wort.<br />
Sprechen ist also mit Risiko verbunden, je fremder die Situation, <strong>in</strong> der wir stehen, desto<br />
stärker empf<strong>in</strong>den wir dies. K<strong>in</strong>der erleben das vermutlich <strong>in</strong> noch stärkeremMaûe als<br />
28 Schulz von Thun, 1991, S. 25 ff<br />
28<br />
Gespräche der K<strong>in</strong>der<br />
untere<strong>in</strong>ander beobachten<br />
Sprechen erfordert Mut<br />
¹Vier Seiten e<strong>in</strong>er<br />
Nachrichtª<br />
Notizen
Erwachsene, denn ihnen s<strong>in</strong>d die Fallstricke nicht so bekannt und sie verfügen noch nicht,<br />
wie später der Erwachsene, über unverfängliche Höflichkeitsfloskeln, mit denen man<br />
zunächst Zeit gew<strong>in</strong>nt, um die Lage zu sondieren.<br />
Unser Selbstwertgefühl entwickelt sich <strong>in</strong> früher K<strong>in</strong>dheit und im weiteren Lebenslauf nicht<br />
durch simple Zuschreibung, sondern <strong>in</strong> Interaktion mit der Umwelt 29 , ist also stark an Kommunikation<br />
und Sprache gebunden. Es stellt im Gefüge unseres Selbstkonzeptes e<strong>in</strong><br />
Postulat höchster Ordnung dar und muû <strong>in</strong> besonderer Weise geschützt werden. Kränkungen<br />
auf der sprachlichen Ebene (etwas ¹Dummesª sagen) gefährden das Selbstwertgefühl<br />
<strong>in</strong> hohem Maûe. 30<br />
Wie sehen die ersten Erfahrungen e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des mit Reaktionen der Umwelt auf se<strong>in</strong>e<br />
sprachlichen ¾uûerungen aus? Die Reaktionen auf erste k<strong>in</strong>dliche ¾uûerungen <strong>in</strong> der Familie<br />
werden sehr unterschiedlich se<strong>in</strong>. Sie können mehr oder weniger beachtet, mit Freude<br />
oder Gleichgültigkeit aufgenommen werden, es kann e<strong>in</strong>e Atmosphäre herrschen, <strong>in</strong> der<br />
das K<strong>in</strong>d eher angehalten wird, ¹den Mund zu haltenª oder zum Sprechen ermuntert und<br />
ermutigt wird. Nicht selten f<strong>in</strong>det sich die Situation, dass Erwachsene über ¹drolligeª K<strong>in</strong>deräuûerungen<br />
lachen. Die Reaktion des K<strong>in</strong>des auf dieses Lachen zeigt häufig tiefe Verunsicherung,<br />
denn es hat se<strong>in</strong>e ¾uûerung ernst geme<strong>in</strong>t, e<strong>in</strong>en ernsthaften Beitrag geleistet.<br />
Auch im günstigsten familiären Sprachklima wird das K<strong>in</strong>d die Erfahrung machen, dass es<br />
Situationen gibt, <strong>in</strong> denen man leise se<strong>in</strong> muû, <strong>in</strong> denen man bestimmte D<strong>in</strong>ge besser nicht<br />
sagt (sonst ist die Oma beleidigt) oder bestimmte Kraftausdrücke verboten werden. Das<br />
K<strong>in</strong>d f<strong>in</strong>det auch schnell heraus, dass <strong>in</strong> unterschiedlichen Sett<strong>in</strong>gs unterschiedliche<br />
Regeln gelten. Es beobachtet sehr genau, dass auch die Eltern unterschiedlich reden, je<br />
nach dem, ob sie z.B. sich zu Hause unterhalten, beim E<strong>in</strong>kauf oder mit dem Nachbarn.<br />
Wir können davon ausgehen, dass e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d die Macht der Worte hautnah und e<strong>in</strong>drücklich<br />
erlebt: sowohl der Worte, die an es selbst gerichtet s<strong>in</strong>d (Worte, die wohltun oder wehtun),<br />
als auch der Worte, die es selbst äuûert und die aus Sicht des K<strong>in</strong>des oft erstaunliche<br />
Reaktionen ± der Begeisterung oder der Ablehnung ± hervorrufen.<br />
Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund wird deutlich, dass die Sprechfreude, die Sprechbereitschaft, die<br />
e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d im K<strong>in</strong>dergarten an den Tag legt, nicht nur zu tun hat mit se<strong>in</strong>er Kenntnis von Sprache,<br />
sondern auch mit Gefühlen von Vertrautheit oder Fremdheit. Je mehr Anknüpfungspunkte,<br />
Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ien das K<strong>in</strong>d f<strong>in</strong>det, die ihm bereits vertraut s<strong>in</strong>d, desto unbefangener<br />
wird es sich sprachlich äuûern. Je fremder das K<strong>in</strong>d sich fühlt, desto höher erlebt es<br />
das Risiko, etwas Falsches, Unangebrachtes zu sagen, und es wird, zum<strong>in</strong>dest erst e<strong>in</strong>mal,<br />
schweigen. In se<strong>in</strong>em Schweigen wird es jedoch e<strong>in</strong> aufmerksamer Beobachter der Kommunikationskultur<br />
<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung se<strong>in</strong>: wie redet man hier mite<strong>in</strong>ander, wie gehen die<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen mit me<strong>in</strong>em Schweigen um, etc.<br />
Es ist wichtig, dass die Erzieher<strong>in</strong>nen sich klar machen, welche K<strong>in</strong>der besonders viel<br />
Fremdes vorf<strong>in</strong>den. Dabei s<strong>in</strong>d es nicht nur die K<strong>in</strong>der mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund, sondern<br />
auch K<strong>in</strong>der, die aus e<strong>in</strong>em anderen sozialen Umfeld stammen als die Mehrzahl der K<strong>in</strong>der.<br />
Es gilt dann, Verb<strong>in</strong>dungen zu schaffen zwischen Elternhaus, familiärem Lebensraum und<br />
der Tagese<strong>in</strong>richtung, um vertraute Anknüpfungspunkte sichtbar zu machen, die das K<strong>in</strong>d<br />
wiedererkennt, an denen es mit se<strong>in</strong>en Erfahrungen anknüpfen kann, die ihm das Gefühl<br />
vermitteln: ¹Hier b<strong>in</strong> ich richtigª.<br />
Murat, e<strong>in</strong> marokkanischer Junge, gehört zu den schweigsamen K<strong>in</strong>dern der E<strong>in</strong>richtung.<br />
Dies ändert sich an dem Tag, als er <strong>in</strong> der Puppenecke etwas Neues entdeckt: ¹orientalischeª<br />
Pantöffelchen aus veschiedenen glänzenden Stoffen gearbeitet, <strong>in</strong> violett und lila, am<br />
Rand mit Goldfäden bestickt, die Schuhspitzen hochgezogen. E<strong>in</strong>e Erzieher<strong>in</strong> hatte sie aus<br />
e<strong>in</strong>em Tunesienurlaub mitgebracht, mit der Idee, sie vielleicht mal für e<strong>in</strong> Theaterstück zu<br />
verwenden. Sie wurden zunächst <strong>in</strong> der Puppenecke deponiert. Murats Freude war unbeschreiblich.<br />
Er zog sich die Pantöffelchen an, lief damit begeistert durch die ganze E<strong>in</strong>rich-<br />
29 Filipp, 1984, S. 131 f<br />
30 Epste<strong>in</strong>, 1984, S. 19<br />
29<br />
E<strong>in</strong>stellen auf unterschiedliche<br />
Gesprächssituationen<br />
Fremdheitsgefühle<br />
hemmen die<br />
Sprechbereitschaft<br />
Beispiel: Murat entdeckt etwas<br />
Vertrautes<br />
Notizen
tung, sang und plapperte munter und fröhlich mit jedem, der ihm begegnete und se<strong>in</strong><br />
Schuhwerk bewunderte. Er wirkte wie befreit, endlich etwas gefunden zu haben, das ihm<br />
vertraut war, e<strong>in</strong> Stück ¹Zuhauseª.<br />
Das Beispiel verweist auf den bedeutsamen Handlungsspielraum, der sich hier der Erzieher<strong>in</strong><br />
bietet: Sie kann e<strong>in</strong>e Vertrauensbasis schaffen, e<strong>in</strong>e Atmosphäre von Akzeptanz und<br />
Sicherheit, <strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d sich traut, Neues zu erproben, auch auf das Risiko h<strong>in</strong>, Fehler<br />
zu machen.<br />
2.2 Vier Schritte<br />
<strong>Sprachförderung</strong> f<strong>in</strong>det im K<strong>in</strong>dergarten auf vielfältigen Ebenen statt: Zwischen Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
und K<strong>in</strong>dern, z.B. bei der geme<strong>in</strong>samen Betrachtung von Bilderbüchern, bei Aufforderungen,<br />
welche die Alltagsorganisation betreffen, beim Aushandeln von Regeln usw. Aber auch zwischen<br />
den K<strong>in</strong>dern: Im geme<strong>in</strong>samen Spiel müssen viele D<strong>in</strong>ge vere<strong>in</strong>bart, geklärt und besprochen<br />
werden, um das Spiel <strong>in</strong> Gang zu br<strong>in</strong>gen und aufrecht zu erhalten. ¾ltere oder sprachgewandtere<br />
K<strong>in</strong>der verbessern ihre Spielgefährten, wenn diese D<strong>in</strong>ge ¹falschª benennen oder<br />
auch bei nicht korrekter Grammatik: ¹Das heiût nicht Tigers, das heiût Tiger.ª Dabei lernen die<br />
K<strong>in</strong>der sowohl, <strong>in</strong>dem sie unmittelbar <strong>in</strong> die Kommunikation e<strong>in</strong>bezogen s<strong>in</strong>d als auch mittelbar,<br />
<strong>in</strong>dem sie beobachten, wie andere K<strong>in</strong>der und die Erzieher<strong>in</strong>nen mite<strong>in</strong>ander und untere<strong>in</strong>ander<br />
reden.<br />
In diesem Kapitel wollen wir e<strong>in</strong>en Teilaspekt zum Thema ¹<strong>Sprachförderung</strong>ª im K<strong>in</strong>dergarten<br />
herausgreifen und weiterführende Gesichtspunkte dazu entwickeln. Es geht um die<br />
Frage, <strong>in</strong>wieweit die situationsorientierten Ansätze e<strong>in</strong>e gezielte, systematische <strong>Sprachförderung</strong><br />
zulassen. Anders formuliert: Wie kann man die aktuellen Interessen, Bedürfnisse<br />
und Kompetenzen der K<strong>in</strong>der zum Bezugspunkt der Arbeit erklären und gleichzeitig e<strong>in</strong>e<br />
bewuûte und regelmäûige <strong>Sprachförderung</strong> für die K<strong>in</strong>der sicherstellen? Steht die Erzieher<strong>in</strong><br />
nicht vielmehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Warteposition, die richtige Situation abzupassen, die Situation, <strong>in</strong><br />
der das K<strong>in</strong>d von sich aus Bereitschaft und Bedürfnis nach verbaler Kommunikation zeigt?<br />
In den situationsorientierten Ansätzen ¹wartetª die Erzieher<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Tat auf den richtigen<br />
Augenblick, auf das, was die K<strong>in</strong>der von sich aus e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Aber dieses Warten ist nicht<br />
30<br />
Situationsorientierte<br />
<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong><br />
der Praxis<br />
Notizen
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em passiven S<strong>in</strong>ne zu verstehen, sondern vielmehr im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es aufmerksamen,<br />
neugierigen ¹Erwartensª, etwa so, wie man liebe Gäste erwartet. Damit verbunden ist e<strong>in</strong><br />
hohes Maû an Aufmerksamkeit, wachen Beobachtens, der Bereitschaft, <strong>in</strong> Beziehung zum<br />
K<strong>in</strong>d zu treten, und Wissen um se<strong>in</strong>e persönlichen Fähigkeiten und Schwächen.<br />
Dieses Wechselspiel zwischen pädagogischer Abst<strong>in</strong>enz und Aktivität f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der<br />
hier vorgestellten Schrittfolge zur bewuûten <strong>Sprachförderung</strong> wieder:<br />
´ Erster Schritt: E<strong>in</strong>e Situation als geeignet für <strong>Sprachförderung</strong> erkennen.<br />
´ Zweiter Schritt: E<strong>in</strong>en ¹öffnendenª Kontakt zum K<strong>in</strong>d herstellen.<br />
´ Dritter Schritt: Sprache bewuût und situationsorientiert fördern.<br />
´ Vierter Schritt: Die Situation schriftlich/tabellarisch dokumentieren/festhalten ± im S<strong>in</strong>ne<br />
e<strong>in</strong>er Selbstkontrolle.<br />
Diese Vorgehensweise gewährleistet, dass Stimmigkeit besteht zwischen der aktuellen<br />
Situation des K<strong>in</strong>des und der <strong>Sprachförderung</strong>, denn die Impulse für <strong>Sprachförderung</strong><br />
gehen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie vom K<strong>in</strong>d aus, die Erzieher<strong>in</strong> greift sie auf, führt sie weiter. Die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />
(persönliche Nähe, Zeit und Ort) s<strong>in</strong>d jeweils aktuell auf das K<strong>in</strong>d abgestimmt.<br />
Gleichzeitig ist der Anspruch bewuûter Förderung gewährleistet, denn die Erzieher<strong>in</strong> verknüpft<br />
die aktuelle Situation mit Methoden zur <strong>Sprachförderung</strong>, die auf das K<strong>in</strong>d ± se<strong>in</strong><br />
Alter, se<strong>in</strong>en Entwicklungsstand, se<strong>in</strong>en familiären H<strong>in</strong>tergrund - passen. Sie überprüft ihre<br />
sprachfördernden Aktivitäten mit Hilfe e<strong>in</strong>er tabellarischen Dokumentation und kann so<br />
gegebenenfalls ihre Aufmerksamkeit gezielt auf bestimmte K<strong>in</strong>der lenken, um so geeignete<br />
Situationen aufzuspüren und zu nutzen.<br />
Das Bemerkenswerte und Neue an dieser Schrittfolge ist, dass die e<strong>in</strong>zelnen Schritte bewuût<br />
vollzogen und für die <strong>Sprachförderung</strong> e<strong>in</strong>gesetzt sowie schriftlich dokumentiert werden. In<br />
der Realität s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zelnen Schritte nicht so deutlich vone<strong>in</strong>ander abgegrenzt, wie es hier<br />
<strong>in</strong> der schriftlichen Darstellung aus Gründen der Verdeutlichung geschieht.<br />
2.3 Erster Schritt: E<strong>in</strong>e Situation als geeignet für <strong>Sprachförderung</strong> erkennen<br />
Auf die Frage, welche K<strong>in</strong>dersituationen sich für e<strong>in</strong>e bewuûte <strong>Sprachförderung</strong> eignen,<br />
könnte die spontane Antwort lauten: ¹eigentlich alle Situationenª. Erst bei näherer Betrachtung<br />
zeigt sich, dass es durchaus Situationen gibt, <strong>in</strong> denen Zurückhaltung angesagt ist.<br />
K<strong>in</strong>dersituationen führen oft e<strong>in</strong> starkes Eigenleben, stellen sich wie e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e abgeschlossene<br />
Welt dar, aus der die Akteure h<strong>in</strong> und wieder ¹herausguckenª oder <strong>in</strong> die sie<br />
sich wieder zurückziehen können. Begegnet man im Gruppengeschehen e<strong>in</strong>em solchen<br />
¹Raumschiff Enterpriseª, spürt man förmlich, dass hier <strong>in</strong>tensivste Lern- und Erfahrungsprozesse<br />
stattf<strong>in</strong>den. Es ist e<strong>in</strong>e Frage des Taktes, <strong>in</strong>wieweit man die Intimität solcher<br />
Situationen stören darf, und e<strong>in</strong>e Frage der Ethik, <strong>in</strong>wieweit es erlaubt ist, solche Situationen<br />
für andere Zwecke zu <strong>in</strong>strumentalisieren, und seien sie aus Sicht der Erwachsenen<br />
noch so bedeutsam. Dies gilt ebenfalls für Situationen, <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong>der Stille und Entspannung<br />
suchen, Situationen, <strong>in</strong> denen sie fasz<strong>in</strong>iert das Spiel anderer K<strong>in</strong>der mit AugÁ und<br />
Ohren verfolgen und dabei ¹von der Seiteª lernen, Situationen des Tagträumens.<br />
Demgegenüber gibt es natürlich e<strong>in</strong>e Fülle an Situationen, die auch aus Sicht der K<strong>in</strong>der<br />
¹Öffentlichkeitscharakterª besitzen, <strong>in</strong> denen die K<strong>in</strong>der auf vielfältige Weise ihre Bereitschaft<br />
signalisieren, Verb<strong>in</strong>dungen zu knüpfen, Kontakt zu anderen K<strong>in</strong>dern oder Erwachsenen<br />
aufzunehmen, um neue <strong>in</strong>teressante Erfahrungen aufzutun: ¹Hör mal!ª, ¹Guck mal!ª,<br />
¹Komm mal!ª. Und es gibt Situationen des Alle<strong>in</strong>se<strong>in</strong>s, der Traurigkeit, die als Bitte nach<br />
Zuwendung und Zuspruch verstanden werden können.<br />
Neben den ¹klassischenª sprachfördernden Aktivitäten, wie z.B. der Bilderbuchbetrachtung,<br />
F<strong>in</strong>gerspielen, Reimen und Liedern, gibt es e<strong>in</strong>e Vielzahl alltäglicher Anknüpfungspunkte,<br />
die <strong>in</strong> der Praxis eher selten zur bewuûten <strong>Sprachförderung</strong> genutzt werden. Zu<br />
31<br />
Vier Schritte<br />
Eigenleben von K<strong>in</strong>dersituationen<br />
respektieren<br />
Signale der Gesprächsbereitschaft<br />
beachten<br />
Notizen
denken ist z.B. an die Br<strong>in</strong>g- und Abholsituation, bei der auch die Eltern als Ansprechpartner<br />
e<strong>in</strong>bezogen werden können, an die vielfältigen groûen und kle<strong>in</strong>en Bitten oder Hilfsangebote<br />
im Rahmen der Alltagsorganisation der E<strong>in</strong>richtung, an die Mahlzeiten, die Ruhe<br />
und Zeit zur Kommunikation bieten. Entscheidend ist hierbei, e<strong>in</strong> Gespür für den richtigen<br />
Augenblick zu entwickeln, ¹richtigª aus Sicht der K<strong>in</strong>der.<br />
2.4 Zweiter Schritt: E<strong>in</strong>en ¹öffnendenª Kontakt zumK<strong>in</strong>d herstellen<br />
¹Öffnendenª Kontakt herstellen heiût <strong>in</strong> diesem Zusammenhang, e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zum<br />
K<strong>in</strong>d herstellen, die für das K<strong>in</strong>d stimmig ist, gegen die es sich nicht verschlieûen und<br />
abschotten muû. Insofern kann ¹öffnender Kontaktª auch heiûen, die Verschlossenheit des<br />
K<strong>in</strong>des zu akzeptieren. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen:<br />
Sab<strong>in</strong>e hockt mit vier K<strong>in</strong>dern vor groûen Papierbögen auf dem Boden. In der Mitte steht<br />
e<strong>in</strong> Korb mit dicken Buntstiften <strong>in</strong> vielen verschiedenen Farben. Die K<strong>in</strong>der wollen aus<br />
e<strong>in</strong>em alten, groûen Pappkarton e<strong>in</strong> Kaspertheater bauen. Jetzt malen sie gerade die Kulissen,<br />
entwickeln dabei gleichzeitig und sehr lebhaft Ideen über den Spielverlauf. Sab<strong>in</strong>e ist<br />
Erzieher<strong>in</strong>, es ist ihr zweiter Tag am neuen Arbeitsplatz. Sie nutzt die Situation, um das Spiel<br />
der K<strong>in</strong>der zu beobachten und sie auf diese Weise kennenzulernen.<br />
Gestern hatte e<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong> sie <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung herumgeführt und ihr e<strong>in</strong>ige H<strong>in</strong>weise zu<br />
den K<strong>in</strong>dern ihrer Gruppe gegeben: ¹Hier ist e<strong>in</strong> buntes Völkchen versammelt: türkische<br />
K<strong>in</strong>der, K<strong>in</strong>der aus Marokko, aus Sri Lanka, Aussiedlerk<strong>in</strong>der aus Weiûruûland und deutsche<br />
K<strong>in</strong>der. Das ist nicht so e<strong>in</strong>fach, vor allem wegen der Sprache. Das hier ist TugÏ ce, sie ist jetzt<br />
seit zwei Monaten <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung. Sie spricht gar nicht, da hab ich schon alles versucht.ª<br />
Dieser Satz war bei Sab<strong>in</strong>e hängengeblieben, das hatte so resigniert und endgültig geklungen,<br />
wie e<strong>in</strong> Urteilsspruch. Später hatte sie versucht, TugÏ ce anzusprechen, aber das Mädchen<br />
zog nur die Schultern zusammen, senkte den Blick verlegen auf die Hände und<br />
wandte sich ab. Sab<strong>in</strong>e beschränkte sich dann darauf, TugÏ ce aufmunternd zuzunicken,<br />
wenn sich ¹zufälligª e<strong>in</strong> Blickkontakt ergab.<br />
Jetzt steht TugÏ ce schräg h<strong>in</strong>ter ihr, schon seit e<strong>in</strong>er ganzen Weile. Sab<strong>in</strong>e wendet sich ihr<br />
h<strong>in</strong> und wieder mit e<strong>in</strong>er freundlichen Bemerkung zu, die ke<strong>in</strong>e Antwort erfordert: ¹Na, das<br />
wird e<strong>in</strong>e prima Kaspervorstellung, ich freu' mich schon.ª TugÏ ce rückt allmählich näher an<br />
Sab<strong>in</strong>e heran, aber immer noch so, dass ke<strong>in</strong> Blickkontakt entsteht, solange Sab<strong>in</strong>e sich<br />
nicht umdreht. Von den anderen K<strong>in</strong>dern nimmt niemand Notiz von TugÏ ce. Nach 15 M<strong>in</strong>uten<br />
hockt TugÏ ce schlieûlich neben Sab<strong>in</strong>e auf dem Boden. TugÏ ce nimmt sich den Stift, der<br />
für sie am besten zu erreichen ist, stupst Sab<strong>in</strong>e an und zeigt auf e<strong>in</strong>en Apfelbaum, den<br />
Raissa gemalt hat. ¹Was möchtest du, TugÏ ce? Kann ich dir helfen?ª TugÏ ce fuchtelt mit dem<br />
Stift durch die Luft. ¹Möchtest du, dass ich dir e<strong>in</strong>en Apfelbaum male?ª TugÏce nickt. Sab<strong>in</strong>e<br />
malt e<strong>in</strong>en Apfelbaum und sagt: ¹So, jetzt kannst du die ¾pfel re<strong>in</strong>malen.ª TugÏ ce schüttelt<br />
den Kopf. ¹Versuch es doch mal.ª TugÏ ce malt e<strong>in</strong>en Haken <strong>in</strong> die Baumkrone und schüttelt<br />
ärgerlich den Kopf. ¹Komm, versuch es noch mal!ª Jetzt kriegt sie schon besser die ¹Kurveª.<br />
Sie freut sich, und Sab<strong>in</strong>e sagt mit strahlendem Gesicht: ¹Ja, genau, e<strong>in</strong> schöner Apfel,<br />
lecker sieht der aus.ª Und dabei legt sie kurz den Arm um TugÏ ces Schulter. ¹Gutª, bemerkt<br />
auch Markus, der auf e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Hocker gegenüber sitzt und E<strong>in</strong>trittskarten ausschneidet.<br />
¹Wie heiût die?ª ¹Das ist TugÏ ceª, antwortet Sab<strong>in</strong>e, ¹Und wie heiût du, ich kenne ja<br />
auch noch nicht alle Namen?ª ¹Markus!ª Es folgt e<strong>in</strong> kurzer, aufmerksamer Blickkontakt zwischen<br />
Markus und TugÏ ce. TugÏ ce malt noch mehr ¾pfel <strong>in</strong> die Baumkrone, sie gel<strong>in</strong>gen<br />
unterschiedlich gut, aber <strong>in</strong>sgesamt immer besser. Dann beg<strong>in</strong>nt TugÏ ce, Stifte nach Farben<br />
zu sortieren. Sab<strong>in</strong>e begleitet TugÏ ces Spiel mit Worten: ¹Jetzt hast du schon vier blaue<br />
Stifte gefunden.ª Markus: ¹Hier ist noch e<strong>in</strong>er.ª TugÏ ce nimmt den Stift von Markus und sagt<br />
leise: ¹Blau?ª ¹Ja, dieser Stift ist auch blau.ª Das Spiel geht e<strong>in</strong>e ganze Weile auf diese Weise<br />
weiter, der Dialog bleibt zwar auf TugÏ ces Seite ¹e<strong>in</strong>silbigª, wird aber zunehmend munterer<br />
und mutiger, was sich an der lauter und deutlicher werdenden Stimme und ihrer Bereitschaft,<br />
kurzen Blickkontakt zu halten, ablesen läût.<br />
32<br />
Den richtigen Moment für<br />
Kontaktaufnahme f<strong>in</strong>den<br />
Beispiel: TugÏ ce<br />
Notizen
Sab<strong>in</strong>e erweitert nach e<strong>in</strong>er Weile den Kontext, <strong>in</strong>dem sie TugÏ ce zeigt, wo die Farben an ihr<br />
zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d. TugÏ ce holt z.B. e<strong>in</strong>en roten Stift aus dem Korb und sagt, wie schon zuvor mit<br />
e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Fragezeichen: ¹Rot?ª. Sab<strong>in</strong>e antwortet: ¹Ja, rot. Guck mal, de<strong>in</strong> Pullover ist<br />
auch rot.ª Und dabei hält sie den Stift an TugÏ ces Pullover. TugÏ ce kehrt das Spiel um und<br />
sucht Stifte mit Farben, die sich <strong>in</strong> Sab<strong>in</strong>es Kleidung f<strong>in</strong>den. Zwischenzeitlich beteiligen<br />
sich auch die anderen K<strong>in</strong>der dieser Runde an dem Spiel, dabei belehren sie ihre neue<br />
Erzieher<strong>in</strong> darüber, dass es ¹p<strong>in</strong>kª heiût und nicht ¹rosaª. Im Verlauf e<strong>in</strong>er dreiviertel(!) Stunde<br />
± die anderen K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen mit dem Aufbau des Kaspertheaters beschäftigt ±<br />
hat TugÏ ce aus eigenem Antrieb alle Stifte nach Farben und Gröûe sortiert und die Farben<br />
benannt. Durch das Gespräch mit Sab<strong>in</strong>e wurde TugÏ ce auch für die anderen K<strong>in</strong>der sichtbar.<br />
TugÏ ce beendet schlieûlich das Spiel selbständig, sie wirkt zufrieden, räumt die Stifte<br />
wieder zurück <strong>in</strong> den Korb.<br />
Die Fähigkeit, ¹Beziehungen aufzubauenª,<br />
Kontakt zu K<strong>in</strong>dern herzustellen,<br />
K<strong>in</strong>dern Nähe zu ermöglichen,<br />
stellt e<strong>in</strong>e Schlüsselqualifikation<br />
für den Beruf der Erzieher<strong>in</strong><br />
dar, ersche<strong>in</strong>t als nahezu selbstverständliche<br />
Voraussetzung. Demgegenüber<br />
zeigt unser Beispiel, dass<br />
die Fähigkeit ¹Kontakt aufzunehmenª<br />
ke<strong>in</strong>eswegs selbstverständlich<br />
und e<strong>in</strong>fach ist. Sie erfordert<br />
persönliche Reife und grundlegende<br />
kommunikative Kompetenzen,<br />
die im Rahmen der Ausbildung und<br />
im Zuge berufsbiografischer Erfahrungen<br />
erworben und weiterentwickelt<br />
werden müssen.<br />
Sab<strong>in</strong>es Kolleg<strong>in</strong> sagt, sie habe<br />
schon ¹alles versuchtª, um TugÏ ce<br />
zum Sprechen zu br<strong>in</strong>gen, aber<br />
vergeblich. Und man ahnt h<strong>in</strong>ter<br />
dem ¹alles versuchtª viel Engagement,<br />
Energie und Aktivität. Die<br />
Erzieher<strong>in</strong> hat offenbar e<strong>in</strong>e Menge<br />
Zeit und Kraft <strong>in</strong>vestiert, ehe sie<br />
schlieûlich, enttäuscht durch TugÏ ces Verhalten, aufgab. Wie diese Aktivitäten bei TugÏ ce<br />
angekommen s<strong>in</strong>d, darüber kann hier nur spekuliert werden: Vielleicht hat TugÏ ce das Verhalten<br />
der Erzieher<strong>in</strong> als aufdr<strong>in</strong>glich und bedrohlich erlebt, vielleicht hätte sie zunächst<br />
Zeit gebraucht, um <strong>in</strong>nerlich <strong>in</strong> der neuen Umgebung anzukommen, sich zurechtzuf<strong>in</strong>den,<br />
Vertrautes zu entdecken, das ihr e<strong>in</strong> Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermittelte.<br />
Vielleicht brauchte sie auch e<strong>in</strong> Signal, dass sie ± so wie sie ist ± angenommen und anerkannt<br />
wird, ohne gleich bestimmte Leistungen und Erwartungen erfüllen zu müssen.<br />
Sab<strong>in</strong>e stellt <strong>in</strong> unserem Beispiel die Bedürfnisse von TugÏ ce <strong>in</strong> den Mittelpunkt, ohne dabei<br />
ihre pädagogischen Ziele ± <strong>in</strong> diesem Fall die <strong>Sprachförderung</strong> ± aus dem Blick zu verlieren<br />
oder ad acta zu legen. Sie akzeptiert die Nähe/Distanz, die TugÏ ce von sich aus anbietet,<br />
und signalisiert ihre Wertschätzung durch freundliche, unaufdr<strong>in</strong>gliche Zuwendung und<br />
Aufmerksamkeit. Dadurch entsteht e<strong>in</strong> Freiraum, der TugÏ ce zu neuen Schritten ermutigt:<br />
sie traut sich, ¹die Sache(n) e<strong>in</strong>mal näher zu betrachtenª, und sie traut sich schlieûlich<br />
auch, ¹den Mund aufzumachen.ª<br />
Interessant und von groûer Bedeutung für die pädagogische Arbeit ist das im Beispiel<br />
deutlich werdende Phänomen, dass TugÏ ce <strong>in</strong> dem Augenblick, <strong>in</strong> dem der Kontakt zu<br />
33<br />
Notizen
Sab<strong>in</strong>e hergestellt ist, auch für die anderen K<strong>in</strong>der sichtbar wird, so als hätte sie sich e<strong>in</strong>er<br />
Tarnkappe entledigt, weil sie dieses Schutzes nicht mehr bedarf.<br />
Verhaltensweisen, die Kontakte und damit tragfähige Beziehungen unterstützen, s<strong>in</strong>d also<br />
unterschiedlich, je nachdem, um welches K<strong>in</strong>d es geht und <strong>in</strong> welcher aktuellen Situation<br />
das K<strong>in</strong>d jeweils steht. Es lassen sich jedoch e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>e Gesichtspunkte benennen,<br />
die grundlegend s<strong>in</strong>d für den Aufbau öffnender Kontakte. Sie wurden von Erzieher<strong>in</strong>nen vor<br />
dem H<strong>in</strong>tergrund ihrer Praxiserfahrung zusammengestellt:<br />
´ dem K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en freundlichen Blick schenken,<br />
´ sich dem K<strong>in</strong>d zuwenden,<br />
´ e<strong>in</strong>e offene Körperhaltung e<strong>in</strong>nehmen,<br />
´ Rituale der K<strong>in</strong>der aufgreifen als Kontaktbrücken (z.B. ¹E<strong>in</strong>trittskartenª),<br />
´ Regeln mit abweisendem Charakter freundlich erklären,<br />
´ Körperkontakt anbieten, aber nicht aufdrängen,<br />
´ das K<strong>in</strong>d beachten,<br />
´ Blickkontakt zum K<strong>in</strong>d suchen,<br />
´ Ironie vermeiden,<br />
´ nicht <strong>in</strong> Gegenwart des K<strong>in</strong>des über das K<strong>in</strong>d sprechen, sondern es direkt ansprechen<br />
oder <strong>in</strong> das Gespräch e<strong>in</strong>beziehen.<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen berichten aus ihrem Praxisalltag, dass die genannten hilfreichen Aspekte<br />
eigentlich e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit darstellen und trotzdem nicht selten auf subtile Weise<br />
miûachtet werden.<br />
Kontakt aufzunehmen ist verbunden mit e<strong>in</strong>em spezifischen Bedürfnis nach Nähe oder<br />
Abstand zu e<strong>in</strong>er Person. Das heiût, Kontakt hat auch zu tun mit den eigenen Grenzen, die ich<br />
ziehe und die me<strong>in</strong> Gegenüber zieht. In jeder Begegnung wird der ¹richtigeª Abstand ausgehandelt,<br />
<strong>in</strong> der Regel ohne dass dies den Beteiligten bewuût ist. Herauszuf<strong>in</strong>den, welche Nähe<br />
für das K<strong>in</strong>d die richtige ist, welches ¹Tempoª se<strong>in</strong> Tempo ist, ist also nur e<strong>in</strong>e Seite der<br />
Medaille. Die andere ist es zu fragen, welche Nähe ist für die Erzieher<strong>in</strong> die richtige und wieviel<br />
Zeit braucht sie, um <strong>in</strong> Kontakt zu treten. Fällt ihr dies bei e<strong>in</strong>igen K<strong>in</strong>dern leichter als bei anderen<br />
etc. Dieser Gedanke ± es mit e<strong>in</strong>igen K<strong>in</strong>dern nicht zu ¹könnenª ± wird häufig tabuisiert.<br />
Die nach auûen gezeigte Nähe oder Distanz muû nicht immer mit dem <strong>in</strong>neren Bedürfnis<br />
übere<strong>in</strong>stimmen. So verspürt die Erzieher<strong>in</strong> z.B. den Wunsch, e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zu trösten und auf<br />
den Arm zu nehmen, beläût es aber aus pädagogischen Erwägungen bei e<strong>in</strong>er verbalen<br />
Zuwendung. Oder sie nimmt e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d auf den Schoû, weil das K<strong>in</strong>d diesen Wunsch signalisiert,<br />
obwohl sie sich <strong>in</strong>nerlich e<strong>in</strong>e gröûere Distanz wünscht, z.B. weil das K<strong>in</strong>d schlecht<br />
riecht oder sie es aus anderen Gründen ablehnt.<br />
Wichtig ist, sich über Diskrepanzen zwischen gezeigter und gewünschter Nähe/Distanz<br />
klar zu werden, weil diese <strong>in</strong> der Beziehung wirksam s<strong>in</strong>d. Vor allem, wenn der Wunsch<br />
nach Distanz gröûer ist als man ihn vor dem H<strong>in</strong>tergrund des beruflichen Selbstverständnisses<br />
zulassen kann, besteht die Gefahr, dass subtile Botschaften der Ablehnung gesendet<br />
werden, die das K<strong>in</strong>d verunsichern und die Beziehung belasten.<br />
Entscheidend für die Herstellung e<strong>in</strong>es öffnenden Kontaktes ist die Bereitschaft und die<br />
Geduld, sich immer wieder neu auf die K<strong>in</strong>der und ihre Eigenheiten e<strong>in</strong>zulassen, die eigenen<br />
E<strong>in</strong>schätzungen, (Vor-) Urteile zurückzustellen. Damit erhält das K<strong>in</strong>d die Chance zu<br />
zeigen, dass es mehr zu bieten hat, als e<strong>in</strong> ± wie auch immer geartetes ± pädagogisches<br />
Raster vorgeben oder vorhersagen kann. Entscheidungen, die auf der Grundlage dieser<br />
Haltung getroffen werden, werden sehr nah an den Bedürfnissen der K<strong>in</strong>der orientiert se<strong>in</strong>.<br />
Das hat zur Folge, dass K<strong>in</strong>der sich wohl fühlen, e<strong>in</strong>e elementare Voraussetzung dafür,<br />
dass effektives Lernen stattf<strong>in</strong>den kann. 31<br />
31 Knauf, 1998, S. 14<br />
34<br />
Allgeme<strong>in</strong>e Gesichtspunkte<br />
für den Aufbau öffnender<br />
Kontakte<br />
Die jeweils richtige<br />
Nähe/Distanz erkennen<br />
Immer wieder neu ansetzen<br />
Notizen
2.5 Dritter Schritt: Sprache bewuût und situationsorientiert fördern<br />
Wenn e<strong>in</strong>e Situation als geeignet zur <strong>Sprachförderung</strong> erkannt und aufgegriffen, e<strong>in</strong> öffnender<br />
Kontakt zum K<strong>in</strong>d hergestellt wurde, dann ist der Weg gut vorbereitet für e<strong>in</strong>e gezielte<br />
und wirksame <strong>Sprachförderung</strong>. Diese erreicht das K<strong>in</strong>d vermutlich auf e<strong>in</strong>em hohen Motivationsniveau,<br />
denn es wird nicht mit e<strong>in</strong>em ¹Standardprogrammª konfrontiert, sondern<br />
f<strong>in</strong>det sich selbst, se<strong>in</strong>e Wünsche und Bedürfnisse, im Angebot der Erzieher<strong>in</strong> wieder. Es<br />
erlebt, dass se<strong>in</strong>e Ideen wertgeschätzt und weitergeführt werden. Diese Erfahrung stärkt<br />
se<strong>in</strong> Selbstwertgefühl und damit auch se<strong>in</strong>en Mut, sich auf Neues e<strong>in</strong>zulassen, Neues auszuprobieren.<br />
Verschiedene Gesichtspunkte, die ganz unterschiedliche Ebenen der pädagogischen<br />
Arbeit betreffen, spielen beim dritten Schritt e<strong>in</strong>e Rolle. Sie werden hier im Überblick vorgestellt<br />
und an anderer Stelle ausführlich erläutert.<br />
(Weiter-)Entwicklung der pädagogisch-konzeptionellen Ausgangsbasis<br />
<strong>Sprachförderung</strong> erfordert auf Seiten der Erzieher<strong>in</strong> e<strong>in</strong> fundiertes Wissen über den Spracherwerb<br />
als e<strong>in</strong>em Teilaspekt entwicklungspsychologischer Abläufe. Die Aneignung/Weiterführung<br />
von H<strong>in</strong>tergrundwissen hierzu stellt die Basis dar für e<strong>in</strong>e professionelle Gestaltung<br />
der aktuellen sprachfördernden Situation (vgl. Kap. I 1.±3.).<br />
Darüber h<strong>in</strong>aus ist es wichtig, Informationen zu den Sprach- und Sprechgewohnheiten der<br />
Familien zu gew<strong>in</strong>nen: Welche Sprache oder welche Sprachen werden zu Hause gesprochen,<br />
welche Sprache ist dem K<strong>in</strong>d ± im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Erstsprache ± die vertrauteste, wie gut<br />
beherrscht es diese bereits, wieviel Erfahrung hat es im Umgang mit der (hoch-) deutschen<br />
Sprache, die im K<strong>in</strong>dergarten ¹Verkehrsspracheª ist (vgl. Kap. II 1.1 und 1.3).<br />
E<strong>in</strong>e Reflexion des eigenen Sprachverhaltens kann der Erzieher<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weise auf persönliche<br />
Entwicklungsmöglichkeiten oder -notwendigkeiten geben: Welches Verhältnis hat sie<br />
selbst zur ¹Spracheª, welche Er<strong>in</strong>nerungen aus der Schulzeit spielen hier e<strong>in</strong>e unterstützende<br />
oder störende Rolle, wieviel Wert legt sie auf vielfältigen Wortgebrauch (Synonyme),<br />
wie deutlich und artikuliert ist ihre Sprechweise, ist diese grammatikalisch korrekt, verfügt<br />
sie über Sprechfreude oder ist sie eher schweigsam etc. Wie ist ihre E<strong>in</strong>stellung zu Fremdsprachen,<br />
besteht die Bereitschaft, sich grundlegende Begriffe e<strong>in</strong>er fremden Sprache, die<br />
<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung stark vertreten ist, anzueignen? Tonbandaufnahmen mit der eigenen<br />
Stimme können <strong>in</strong> diesem Zusammenhang sehr erhellend und anregend se<strong>in</strong> (vgl. Kap. II<br />
4.1).<br />
<strong>Sprachförderung</strong> im hier beschriebenen S<strong>in</strong>ne ist e<strong>in</strong> kreativer Prozeû. Hierzu braucht die<br />
Erzieher<strong>in</strong> ± ebenso wie die K<strong>in</strong>der es zur Entfaltung ihrer kreativen Potentiale brauchen ±<br />
Spiel- und Freiräume h<strong>in</strong>sichtlich Raum- und Zeitnutzung, e<strong>in</strong>en Fundus anregender Materialien<br />
und die Möglichkeit, flexible Absprachen mit Kolleg<strong>in</strong>nen zu treffen, <strong>in</strong> welchen die<br />
potentielle Bedeutung e<strong>in</strong>er aktuellen Situation höher e<strong>in</strong>geschätzt wird als Rout<strong>in</strong>eabläufe<br />
und -zuständigkeiten. Situationen der <strong>Sprachförderung</strong> brauchen häufig Zeit, sie gel<strong>in</strong>gen<br />
leichter <strong>in</strong> Räumen, <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong>d und Erzieher<strong>in</strong> sich wohl fühlen, <strong>in</strong> denen auch Rückzug<br />
möglich ist, und sie werden unterstützt durch Materialien, die nicht festgelegt s<strong>in</strong>d auf e<strong>in</strong>e<br />
bestimmte Funktion, sondern zum Fragen und Geschichten erzählen auffordern (vgl. Kap.<br />
II 3).<br />
Um Situationen bewuûter <strong>Sprachförderung</strong> mit der nötigen Aufmerksamkeit durchführen<br />
zu können, bedarf es e<strong>in</strong>es beruflichen Selbstverständnisses, das abrückt von der Vorstellung,<br />
ständig für alle (25!) K<strong>in</strong>der ansprechbar und verfügbar zu se<strong>in</strong> und statt dessen e<strong>in</strong><br />
differenziertes, situationsorientiertes pädagogisches Handeln <strong>in</strong> den Vordergrund stellt.<br />
Wichtig ist auch, dass man sich mit dieser Haltung e<strong>in</strong>ig weiû mit den Kolleg<strong>in</strong>nen, die<br />
Erzieher<strong>in</strong> also davon ausgehen kann, dass e<strong>in</strong>e zeitlich begrenzte Konzentration auf e<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>zelnes K<strong>in</strong>d oder e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe im Team akzeptiert und unterstützt wird.<br />
35<br />
Adäquate <strong>Sprachförderung</strong><br />
erfordert<br />
± H<strong>in</strong>tergrundwissen über<br />
den Spracherwerb<br />
± Informationen über<br />
Sprachsituation <strong>in</strong> der<br />
Familie<br />
± Reflexion des eigenen<br />
Sprachverhaltens<br />
± flexible Raum- und<br />
Zeitnutzung<br />
Notizen
Informationen gew<strong>in</strong>nen im Praxisalltag ± längerfristig<br />
Im Austausch mit den Eltern,± zum Beispiel beim Aufnahmegespräch ±, durch Beobachtung<br />
von Spiel- oder Alltagssituationen, <strong>in</strong> die das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>bezogen ist, und durch kritische<br />
Reflexion der eigenen E<strong>in</strong>stellung gegenüber dem Sprachverhalten des K<strong>in</strong>des, erwirbt die<br />
Erzieher<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Hypothese über die Sprachsituation des K<strong>in</strong>des. E<strong>in</strong>e solche vorläufige, ±<br />
d.h. immer wieder neu zu überprüfende ± E<strong>in</strong>schätzung der k<strong>in</strong>dlichen Sprachkompetenz<br />
ist <strong>in</strong> der aktuellen Situation ¹abrufbarª. Sie dient der Orientierung und der Abstimmung<br />
des eigenen Förderkonzepts.<br />
Pädagogisches Handeln <strong>in</strong> der aktuellen Situation<br />
In der aktuellen Situation dient die Hypothese ke<strong>in</strong>esfalls ihrer eigenen Bestätigung, sondern<br />
als Folie, um (auch kle<strong>in</strong>e) Veränderungen zu bemerken und zu würdigen. Es ist ja<br />
wünschenswert, dass die Hypothese nicht mehr stimmt, denn das bedeutet doch, dass<br />
Entwicklungsschritte stattgefunden haben. Wobei im E<strong>in</strong>zelfall natürlich auch Stagnation<br />
oder Rückschritt sichtbar werden können, doch auch das ist wichtig zu realisieren, um mit<br />
geeigneten Handlungskonzepten darauf zu antworten.<br />
Wichtig ist auch e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schätzung darüber, welches Sprechverhalten das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der aktuellen<br />
Situation zeigt: spricht es zögernd, langsam, leise, stockend, dann werde ich es nicht<br />
mit lauter Stimme und vielen Worten zuschütten, sondern eher behutsam und zurückhaltend<br />
vorgehen. Hier geht es möglicherweise erst e<strong>in</strong>mal darum, dem K<strong>in</strong>d aufmerksam<br />
zuzuhören. Spricht es dagegen bereits zügig, flieûend, unbefangen, passe ich mich diesem<br />
Tempo und Schwung an, wirke als Modell und Bestätigung, als Partner se<strong>in</strong>er Sprechfreude.<br />
2.6 Vierter Schritt: Die Situation tabellarisch dokumentieren<br />
Dieser Schritt stellt den Abschluû e<strong>in</strong>er Situation bewuûter <strong>Sprachförderung</strong> dar. Die Erzieher<strong>in</strong><br />
markiert den Namen des K<strong>in</strong>des und hält Tag und Uhrzeit sowie Dauer der Situation fest.<br />
Ergänzend kann sie <strong>in</strong> der Rubrik ¹Bemerkungenª noch stichwortartig e<strong>in</strong>tragen, <strong>in</strong> welchem<br />
Rahmen die Situation stattfand oder was sie als besonders hilfreich und bemerkenswert<br />
erlebte.<br />
Situationen bewuûter <strong>Sprachförderung</strong><br />
Zeitraum: Woche vom 13. ± 17. November; Päd. Fachkraft: Sab<strong>in</strong>e Mais<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
36<br />
<br />
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<br />
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<br />
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Eigene Hypothesen über<br />
das K<strong>in</strong>d ständig neu<br />
überprüfen<br />
Notizen
Dieser Schritt kostet nur wenige M<strong>in</strong>uten und hat doch e<strong>in</strong>en weitreichenden Effekt: Die Erzieher<strong>in</strong><br />
erhält e<strong>in</strong>en Überblick über die Quantität von Situationen bewuûter <strong>Sprachförderung</strong>.<br />
Sie sieht, welche K<strong>in</strong>der häufig <strong>in</strong> den Genuû kommen, welche weniger oder gar nicht. Sie<br />
kann <strong>in</strong> kritischen Gesprächen mit Eltern den Nachweis ¹schwarz auf weiûª erbr<strong>in</strong>gen, dass<br />
e<strong>in</strong>e regelmäûige, gezielte <strong>Sprachförderung</strong> stattf<strong>in</strong>det. Sie gew<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schätzung darüber,<br />
welchen Raum, im Vergleich zu anderen pädagogischen Aktivitäten, der Bereich der<br />
<strong>Sprachförderung</strong> e<strong>in</strong>nimmt. Wenn die Spalte ¹Bemerkungenª e<strong>in</strong>bezogen wird, entsteht e<strong>in</strong><br />
Methodenfundus, der das eigene Handlungsspektrum zur <strong>Sprachförderung</strong> erweitert und/<br />
oder es ergeben sich H<strong>in</strong>weise auf konzeptionelle Mängel, die reflektiert und verändert werden<br />
müssen. Hilfreich ist die Dokumentation auch zur Information neuer Kolleg<strong>in</strong>nen oder Kollegen,<br />
die sich nach Krankheit oder Urlaub wieder <strong>in</strong>s Gruppengeschehen e<strong>in</strong>f<strong>in</strong>den müssen.<br />
Wichtig ist, dass die Checkliste unmittelbar greifbar, also im Gruppenraum, verfügbar ist.<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen berichten, dass es hilfreich sei, wenn zunächst jede Kolleg<strong>in</strong> die Liste für sich<br />
führe, dies erleichtere das Vertrautwerden mit dem Schema und ermögliche e<strong>in</strong> Experimentieren<br />
mit der äuûeren Form, bis das ¹Richtigeª gefunden sei. E<strong>in</strong> Vergleich der E<strong>in</strong>tragungen<br />
unter Kolleg<strong>in</strong>nen ermöglicht es, <strong>in</strong> gegenseitiger Ergänzung und Unterstützung zu arbeiten.<br />
Die hier vorgestellte Schrittfolge bewirkt, dass <strong>Sprachförderung</strong> nicht e<strong>in</strong>seitig von auûen<br />
an das K<strong>in</strong>d herangetragen wird, sondern sich aus K<strong>in</strong>dersituationen entwickelt und ganzheitlich<br />
und stimmig mit dem Gesamtgeschehen verbunden ist. Im Idealfall wirken die verschiedenen,<br />
hier vorgestellten Aspekte zusammen und verdichten sich zu e<strong>in</strong>em maûgeschneiderten<br />
Sprachförderkonzept für das jeweilige K<strong>in</strong>d.<br />
3. Den Alltag nutzen für e<strong>in</strong>e bewuûte <strong>Sprachförderung</strong><br />
K<strong>in</strong>der erschlieûen sich ihre Umwelt handelnd. Besonders engagiert s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der immer<br />
dann, wenn sie aus e<strong>in</strong>em eigenen Bedürfnis heraus handeln. Dabei zeigt sich, ¹dass die<br />
Welt des K<strong>in</strong>des nicht aus losgelösten und abstrakten Objekten besteht, sondern aus<br />
Zusammenhängen, die durch das spezifische Interesse des K<strong>in</strong>des geknüpft werden.ª 32<br />
Werden K<strong>in</strong>der aus ihren (Spiel-) Zusammenhängen für die <strong>Sprachförderung</strong> herausgerissen,<br />
so besteht die Gefahr, sie mit didaktisch aufbereiteten Materialien zu konfrontieren,<br />
die <strong>in</strong> der momentanen Erfahrungswelt des K<strong>in</strong>des ke<strong>in</strong>e Bezüge f<strong>in</strong>den. Folge e<strong>in</strong>er solchen<br />
Herangehensweise ist <strong>in</strong> vielen Fällen die ¹Isolierung des Denkens von Wahrnehmung<br />
und emotionalen H<strong>in</strong>tergründen. Wo Lernprozesse nicht mehr von e<strong>in</strong>em leidenschaftlichen<br />
Interesse an der Wahrnehmung der Wirklichkeit getragen werden, müssen sie notwendig<br />
träge und flach werden. Allenfalls wird Geschicklichkeit gelernt, die aber ohne wirklich existentielle<br />
Bedeutung bleibt.ª 33<br />
Auch aus Sicht der Forschungen zum Spracherwerb wird <strong>in</strong> diesem Zusammenhang darauf<br />
h<strong>in</strong>gewiesen: ¹Das K<strong>in</strong>d übernimmt solche Sprachäuûerungen aus der Umwelt, die es häufig<br />
hört, und die für se<strong>in</strong>e Wünsche und Bedürfnisse von Bedeutung s<strong>in</strong>d.ª 34<br />
Für die <strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten bedeutet dies, die K<strong>in</strong>der möglichst im alltäglichen<br />
Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> ihrer Sprachentwicklung zu unterstützen. Es s<strong>in</strong>d die alltäglichen<br />
Situationen, die K<strong>in</strong>der aus e<strong>in</strong>em eigenen Bedürfnis heraus motivieren, ihre Sprachkenntnisse<br />
voranzutreiben. Dabei kann der gesamte Alltag ± also u.a. der Tagesablauf, die<br />
Raumgestaltung, Materialien/Spiele und auch die Öffnung zum Stadtteil ± daraufh<strong>in</strong> überdacht<br />
werden, wie er möglichst sprachfördernd gestaltet werden kann.<br />
<strong>Sprachförderung</strong> im Alltag bedeutet weniger, e<strong>in</strong>e weitere Extraaufgabe bewältigen zu<br />
müssen. Vielmehr geht es darum, sensibler zu werden, wann welche K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihrer<br />
Sprachentwicklung gefördert oder gehemmt werden und dementsprechend Schritt für<br />
Schritt das alltägliche Arbeiten zu verändern. Mit diesem Verständnis wird sich die Sprach-<br />
32 Schäfer, 1999, S. 195<br />
33 Schäfer, 1995, S. 290<br />
34 Grimm. In: Oerter/Montada, 1987, S. 635<br />
37<br />
Tabellarische Dokumentation<br />
macht Stärken und<br />
Schwächen für sich und<br />
andere transparent<br />
Idealfall: <strong>in</strong>dividuell maûgeschneidertesSprachförderkonzept<br />
Alltagsferne<br />
<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong><br />
normalen Ablauf <strong>in</strong>tegrieren<br />
Notizen
förderung wie e<strong>in</strong> roter Faden durch den gesamten Alltag der E<strong>in</strong>richtung h<strong>in</strong>durchziehen<br />
und nicht als e<strong>in</strong> vom Alltag losgelöster Bauste<strong>in</strong> empfunden werden.<br />
3.1 Tagesablauf<br />
Damit K<strong>in</strong>der motiviert s<strong>in</strong>d, sich sprachlich zu äuûern, müssen sie sich wohl fühlen und e<strong>in</strong><br />
genügendes Maû an Sicherheit und Vertrautheit entwickelt haben. Auûerdem ist es wichtig,<br />
vertrauensvolle Kontakte zu Erzieher<strong>in</strong>nen und K<strong>in</strong>dern aufgebaut zu haben, für die es sich<br />
¹lohntª, sprachliche Barrieren zu überw<strong>in</strong>den oder sogar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zweiten Sprache zu sprechen.<br />
Hierzu kann der Tagesablauf entscheidend beitragen.<br />
Immer wiederkehrende Orientierungspunkte im Tagesablauf können gerade neuen K<strong>in</strong>dern<br />
und K<strong>in</strong>dern mit wenig Deutschkenntnissen Sicherheit geben, wenn viel Neues und<br />
Unbekanntes auf sie e<strong>in</strong>stürmt. Doch nicht alle K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d gleich und nicht alle kommen<br />
zum gleichen Zeitpunkt neu <strong>in</strong> die K<strong>in</strong>dertagesstätte; d.h. Orientierungs- und Strukturbedürfnisse<br />
können von K<strong>in</strong>d zu K<strong>in</strong>d und von Entwicklungsphase zu Entwicklungsphase<br />
unterschiedlich se<strong>in</strong>; sie s<strong>in</strong>d wandelbar.<br />
Mehr Offenheit und Flexibilität ist bei solchen K<strong>in</strong>dern gefragt, die bereits mehr Selbstvertrauen<br />
gewonnen haben. Um sich <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung wohl zu fühlen, brauchen K<strong>in</strong>der dann<br />
Tagesabläufe, die ihnen genügend Zeit e<strong>in</strong>räumen, ihre Spiele, Entdeckungen und Erfahrungen<br />
<strong>in</strong> ihrem eigenen Rhythmus abzuschlieûen. Starre Tagesabläufe tragen dazu bei,<br />
dass die K<strong>in</strong>der aus ihren Spielprozessen herausgerissen werden und bremsen damit auch<br />
das Engagement der K<strong>in</strong>der, von ihren Erlebnissen zu erzählen.<br />
In Stuhlkreisen, an denen alle K<strong>in</strong>der teilnehmen müssen und die jeden Tag zu e<strong>in</strong>er<br />
bestimmten Uhrzeit stattf<strong>in</strong>den, haben z.B. manche K<strong>in</strong>der Schwierigkeiten zuzuhören und<br />
etwas zu sagen. Vielleicht hängen sie mit ihren Gedanken und Gefühlen noch den Spielen<br />
nach, die sie soeben abbrechen muûten. Dies kann dazu führen, dass die Erzieher<strong>in</strong> die<br />
K<strong>in</strong>der vor ihrem eigentlichen Angebot erst reglementieren muû. ¹Mit dem traditionellen<br />
Stuhlkreis, <strong>in</strong> dem mit der ganzen Gruppe gesungen, gespielt, gesprochen oder ihr vorgelesen<br />
wird, habe ich ke<strong>in</strong>e guten Erfahrungen gemacht. Sehr viele K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d überfordert,<br />
über längere Zeit still zu sitzen und sich zu konzentrieren. Viele ausländische K<strong>in</strong>der fühlen<br />
sich im Stuhlkreis nicht wohl, weil sie wenig oder gar nichts verstehen können und trotzdem<br />
38<br />
Tagesabläufe offen und<br />
flexibel gestalten<br />
Notizen
gezwungen s<strong>in</strong>d, über e<strong>in</strong>en gewissen Zeitraum still zu sitzen. Dadurch entsteht e<strong>in</strong>e Unruhe,<br />
die allen das Vergnügen am Stuhlkreis verderben kann.ª 35<br />
Angebote, die für die gesamte Gruppe <strong>in</strong>itiiert werden, sollten daraufh<strong>in</strong> befragt werden, ob<br />
tatsächlich alle K<strong>in</strong>der daran teilnehmen müssen.<br />
Die Flexibilität imTagesablauf wird durch e<strong>in</strong>e differenzierte Gruppenarbeit unterstützt.<br />
Differenzierte Gruppenarbeit bedeutet, dass die K<strong>in</strong>der sich nach ihren jeweiligen Bedürfnissen<br />
und Interessen zu Gruppen zusammenf<strong>in</strong>den. Dabei können sie sowohl mit als auch<br />
ohne Unterstützung der Erzieher<strong>in</strong>nen ihren Aktivitäten und Kontakten zu anderen K<strong>in</strong>dern<br />
entsprechend ihrem eigenen Rhythmus nachgehen. Dies trägt entscheidend dazu bei,<br />
dass K<strong>in</strong>der sich <strong>in</strong> ihre Tätigkeiten vertiefen können, die sie im Moment oder auch über<br />
mehrere Tage h<strong>in</strong>weg besonders <strong>in</strong>teressieren. Gerade diese Qualität von Engagement ist<br />
es, die K<strong>in</strong>der dazu motivieren, sich auch sprachlich mitteilen zu wollen und die sie manche<br />
Hemmschwelle, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zweitsprache ausdrücken zu müssen, vergessen läût (vgl.<br />
Kap. I 2.1).<br />
3.2 Raumgestaltung<br />
¹Räume sprechen e<strong>in</strong>e deutliche Sprache. Sie geben Auskunft über die Gestalter, die<br />
Benutzer, über ihre Beziehungen zue<strong>in</strong>ander und über das Geschehen, das e<strong>in</strong> Raum zuläût<br />
oder beh<strong>in</strong>dert.ª 36<br />
Es gibt Räume, die auf Anhieb e<strong>in</strong>ladend und gemütlich wirken, auch e<strong>in</strong>laden, mite<strong>in</strong>ander<br />
<strong>in</strong>s Gespräch zu kommen. In anderen Räumen verschlägt es uns buchstäblich die Sprache.<br />
Sie wirken vielleicht kalt und unpersönlich oder s<strong>in</strong>d voll von D<strong>in</strong>gen, die uns fremd vorkommen,<br />
die uns auf Distanz gehen lassen. Wiederum andere Räume, wie z.B. Kirchen<br />
oder Museen können uns durch ihre Atmosphäre signalisieren, leise zu sprechen. Die<br />
Raumgestaltung hat also e<strong>in</strong>e Wirkung auf die Sprache der Menschen, die sich dar<strong>in</strong><br />
bewegen. Sie kann Sprechgewohnheiten verändern, zum Sprechen ermuntern, aber auch<br />
Sprache beh<strong>in</strong>dern.<br />
Die Raumgestaltung kann <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne dazu beitragen, dass die K<strong>in</strong>der sich mit ihren<br />
unterschiedlichen Bedürfnissen nach Bewegung, Rückzug, Orientierung, Gestaltungsfreiheit,<br />
Ausleben von Experimentierfreude etc. wiederf<strong>in</strong>den können. E<strong>in</strong>e flexible Raumgestaltung<br />
kommt dabei der Veränderung von Bedürfnissen der K<strong>in</strong>der entgegen: ¹Räume<br />
verändern sich, weil sich die Menschen und was sie bewegt ändern. Räume haben e<strong>in</strong>e<br />
Geschichte, Platz für persönliche Spuren und lassen Inhalte erkennen, mit denen K<strong>in</strong>der<br />
aktuell beschäftigt s<strong>in</strong>d.ª 37<br />
Es gibt viele Möglichkeiten, damit die Raumgestaltung ¹<strong>in</strong> Bewegung kommt und <strong>in</strong> Bewegung<br />
bleibt ª: 38<br />
´ ¹Regale und Kle<strong>in</strong>möbel auf standfesten Möbelrollen<br />
´ leichte, kle<strong>in</strong>e Tische, die von K<strong>in</strong>dern getragen werden können<br />
´ Wohnlandschaften aus Kisten und Kartons ¼<br />
´ bereits montierte Wäschele<strong>in</strong>en und Klammern, mit denen K<strong>in</strong>der selbständig Vorhänge<br />
auf- und abhängen können.ª 39<br />
Räumliches Wohlbef<strong>in</strong>den ± e<strong>in</strong> Motor für die Sprechfreude<br />
Was jeder e<strong>in</strong>zelne als wohltuend und vertraut <strong>in</strong> Räumen erlebt, welche Möblierung, Farbgestaltungen,<br />
Licht<strong>in</strong>tensität, Gröûe und Form Wohlbef<strong>in</strong>den auslöst, kann sehr unterschiedlich<br />
se<strong>in</strong>. Mit der Vielfalt an Kulturen, aber auch Unterschieden <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Kultur<br />
35 Jakubeit, 1988, S. 99<br />
36 Kazemi-Veisari, 1996, S. 37 f<br />
37 Lipp-Peetz, 1998, S. 21<br />
38 Demandewitz, 1999, S. 196<br />
39 Haucke, 1998, S. 151<br />
39<br />
Räume, die zum Sprechen<br />
e<strong>in</strong>laden<br />
Anregungen<br />
Notizen
wächst die Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten von Räumen, <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong>der heutzutage<br />
aufwachsen.<br />
Es lohnt sich, den Blick auf das familiäre Lebensumfeld des e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>des zu richten.<br />
Hier kann herausgefunden werden, was den K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> ihren eigenen vier Wänden lieb und<br />
vertraut ist.<br />
Vielleicht läût sich ja beim Hausbesuch e<strong>in</strong> geeigneter Gegenstand f<strong>in</strong>den, den die K<strong>in</strong>der<br />
mitnehmen oder für e<strong>in</strong>e gewisse Zeit ausleihen dürfen ± z.B. e<strong>in</strong> Tuch, mit dem Räume<br />
geteilt oder verhangen werden, e<strong>in</strong> Kleidungsstück, das die Mutter oder der Vater nicht<br />
mehr brauchen und das nun zum Rollenspiel zur Verfügung steht, vielleicht auch e<strong>in</strong> Bild<br />
oder e<strong>in</strong> typischer Gegenstand aus dem Herkunftsland der Familie, zu dem e<strong>in</strong> besonderer<br />
emotionaler Bezug besteht. Dabei geht es weniger darum, diese Gegenstände auszustellen,<br />
sondern sie eher selbstverständlich <strong>in</strong> die Raumgestaltung zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />
Neues entdecken ± Neugierde wecken ± e<strong>in</strong> Motor für das Mitteilungsbedürfnis von<br />
K<strong>in</strong>dern<br />
K<strong>in</strong>der haben Spaû daran, Neues zu entdecken und zu erforschen, wenn sie e<strong>in</strong> genügendes<br />
Maû an Sicherheit und Vertrauen entwickelt haben. Auch Räume können so gestaltet<br />
werden, dass <strong>in</strong> ihnen immer wieder Neues erforscht werden kann. Sei es, dass e<strong>in</strong>zelne<br />
Ecken und Plätze verändert werden, sei es, dass neue Gegenstände aus den Familien der<br />
K<strong>in</strong>der für e<strong>in</strong>e gewisse Zeit der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung ausgeliehen werden. Was bei dem<br />
e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Gefühl von Vertrautheit auslöst, weil ihm diese Gegenstände bekannt vorkommen,<br />
kann beim anderen K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Neugierverhalten wecken. Immer dann, wenn K<strong>in</strong>der<br />
besonders neugierig s<strong>in</strong>d oder sie sich besonders engagiert mit etwas befassen, wird auch<br />
der Punkt kommen, an dem sie sich mit ihrer neuen Entdeckung mitteilen wollen.<br />
Räume selbst gestalten ± Kompetenz und Sprechfreude stärken<br />
Werden K<strong>in</strong>der gefragt oder malen Bilder, wie sie sich ihre Räume gestalten würden, so spiegelt<br />
dies e<strong>in</strong> Stück ihrer Lebenswelt und ihrer persönlichen Sichtweisen wider. Indem K<strong>in</strong>der<br />
dar<strong>in</strong> unterstützt werden, ihre Vorstellungen von Raumgestaltung geme<strong>in</strong>sam mit Hilfe der<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen umzusetzen, machen sie sich die Räume der E<strong>in</strong>richtung zu eigen. Sie erhalten<br />
die Möglichkeit, sich e<strong>in</strong> Stück Zuhause zu schaffen ± e<strong>in</strong>en Ort zum Wohlfühlen. Vertrauen,<br />
Sicherheit und Selbstwert f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> selbst gestalteten Räumen e<strong>in</strong>en guten Nährboden. Dieser<br />
ist e<strong>in</strong>e solide Basis, um sich auf<br />
neue, auch sprachliche Lernschritte<br />
e<strong>in</strong>zulassen.<br />
Auch nicht gestaltete Plätze <strong>in</strong>nerhalb<br />
des Raumes können die K<strong>in</strong>der<br />
dazu e<strong>in</strong>laden, selbst tätig zu<br />
werden. Das mögliche, damit verbundene<br />
Engagement kann weitere<br />
Impulse auslösen, sich anderen<br />
K<strong>in</strong>dern und Erzieher<strong>in</strong>nen mitteilen<br />
zu wollen.<br />
Zwei K<strong>in</strong>der haben im Gebüsch<br />
des Auûengeländes e<strong>in</strong>e Raupe<br />
gefunden. Besonders lustig f<strong>in</strong>den<br />
sie, wie sie sich bewegt. Davon<br />
<strong>in</strong>spiriert, versuchen sie, die Bewegung<br />
nachzuahmen. Es entstehen<br />
u.a. Gespräche darüber, wie e<strong>in</strong>e<br />
Raupe schläft, was sie iût und wo<br />
wohl die Eltern der Raupe s<strong>in</strong>d,<br />
denn die Raupe sieht noch ganz<br />
40<br />
Wohlbef<strong>in</strong>den durch<br />
Gegenstände aus dem<br />
familiären Umfeld<br />
Beispiel: flexible<br />
Raumnutzung<br />
Notizen
jung aus. Manche K<strong>in</strong>der malen Bilder, mit denen sie ihre Ideen hierzu ausdrücken. Es entstehen<br />
¹Schlafhöhlenª für Raupen aus Kissen und Tüchern, die jeden Tag weiter ausgebaut<br />
werden. Als e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d erklärt, wie aus e<strong>in</strong>er Raupe e<strong>in</strong> Schmetterl<strong>in</strong>g entsteht, bauen die K<strong>in</strong>der<br />
aus Pappkartons und Decken e<strong>in</strong>en Ruheraum für ¹Schmetterl<strong>in</strong>ge im Raupenbauchª.<br />
Über Tage h<strong>in</strong>weg s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong>der mit diesem Thema beschäftigt. Ihre Werke haben<br />
ihren Platz im Raum. Sie werden nicht aufgeräumt, sondern stehen den K<strong>in</strong>dern zur Verfügung,<br />
um jeden Tag aufs Neue daran anzuknüpfen. Nach und nach müssen hierbei e<strong>in</strong><br />
Regal und e<strong>in</strong> Tisch von se<strong>in</strong>em üblichen Platz entfernt werden. Andere K<strong>in</strong>der haben Spaû<br />
daran, dass hierdurch an anderen Orten des Raumes neue Ecken entstehen. Die Erzieher<strong>in</strong><br />
unterstützt den Gestaltungseifer der K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong>dem sie <strong>in</strong> passenden Momenten nachfragt<br />
und sich erklären läût, <strong>in</strong> welcher ¹Bauphaseª die K<strong>in</strong>der gerade stecken. Die Phantasie und<br />
Experimentierfreude der K<strong>in</strong>der geben ihr jede Menge Anknüpfungspunkte, um mit den<br />
K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen und dabei zugleich ihre sprachlichen Fähigkeiten zu<br />
unterstützen.<br />
Sich wohl fühlen, Neugierde wecken und selbst gestalten s<strong>in</strong>d sozusagen die Schlüsselwörter<br />
für e<strong>in</strong>e Raumgestaltung, die K<strong>in</strong>der zum Sprechen ermuntern.<br />
Die Raumgestaltung auf diese Aspekte h<strong>in</strong> immer wieder neu zu befragen, bedeutet, den<br />
K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> Sprachrohr für ihre Bedürfnisse zu geben und dabei gleichzeitig die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />
ihrer Sprechfreude zu unterstützen.<br />
3.3 Materialien und Medien<br />
Wenn die Erzieher<strong>in</strong> über Beobachtungen oder schriftliche Aufzeichnungen e<strong>in</strong>en Überblick<br />
über die sprachlichen Fähigkeiten gewonnen hat, stellt sich zunächst die Frage, welche Art<br />
<strong>in</strong>dividueller Zuschnitt und ganzheitlicher Ansatz der Sprachanregung das e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
der Gruppe braucht. Sprachliche Förderung kann z.B. für Pedro bedeuten, dass er gezielte<br />
Sprachanregungen braucht, für Elena, dass sie mehr Zeit für ihre sprachlichen ¾uûerungen<br />
benötigt, weil ihr noch e<strong>in</strong>ige Wörter fehlen, für Anna, dass sie bei ihren ¾uûerungen weniger<br />
unterbrochen oder korrigiert wird, und für Jens, dass er lernt, neben Mimik und Gestik<br />
se<strong>in</strong>e Sprache e<strong>in</strong>zusetzen, denn allzu oft wird auf se<strong>in</strong>e Mimik und Gestik reagiert, weil es<br />
dann schneller geht.<br />
Damit K<strong>in</strong>der ihre sprachlichen Fähigkeiten entwickeln können, brauchen sie e<strong>in</strong>e Atmosphäre,<br />
<strong>in</strong> der sie sich von der Erzieher<strong>in</strong> und den anderen K<strong>in</strong>dern akzeptiert wissen und<br />
sich wohl fühlen können. Auch brauchen sie Situationen, <strong>in</strong> denen ihre Sprechfreude aufgegriffen<br />
wird, <strong>in</strong> denen sie zum Sprechen ermutigt und Anlässe zum Sprechen über geme<strong>in</strong>sames<br />
Spiel und Tun hergestellt werden.<br />
In ihrer Arbeit kann die Erzieher<strong>in</strong> aus dem Vollen schöpfen, denn sie f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e Vielfalt an<br />
Materialien und Medien vor, die <strong>in</strong> den Spielsituationen der K<strong>in</strong>der zur Förderung der sprachlichen<br />
Fähigkeiten beitragen können. Neben diesen sprachanregenden Situationen und Gelegenheiten,<br />
die die Erzieher<strong>in</strong> durch Bereitstellen von Materialien, durch e<strong>in</strong>e entsprechende<br />
Gestaltung der Räume und des Tagesablaufs ermöglicht, kann sie im Rahmen differenzierter<br />
Gruppenarbeit Impulse und Angebote zur sprachlichen Förderung e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Dabei sollten<br />
die von der Erzieher<strong>in</strong> <strong>in</strong>itiierten Angebote <strong>in</strong> Spiel- und Handlungssituationen e<strong>in</strong>gebunden<br />
se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> ganzheitliches Vorgehen erkennen lassen, bei dem unterschiedliche S<strong>in</strong>ne und<br />
Bereiche angesprochen werden, z.B. Hören und Sprechen, Sprechen/S<strong>in</strong>gen und Sich-bewegen.<br />
Über Beobachten, Probieren, Nachfragen und Handeln lernen K<strong>in</strong>der die Eigenschaften<br />
von D<strong>in</strong>gen und Gegenständen kennen, nehmen D<strong>in</strong>ge und ihre Veränderungen wahr und<br />
erweitern ihren Wortschatz.<br />
Anlaû zu e<strong>in</strong>er sprachlichen Förderung kann jedes Spiel, jede Aktivität und Tätigkeit se<strong>in</strong><br />
(vgl. Kap. II 2.3). K<strong>in</strong>der entwickeln ihre sprachlichen Fähigkeiten, wenn sie Sprache erleben<br />
und Erwachsenen beim Sprechen zuhören und wenn sie Sprache erproben und sprechen,<br />
sich also mitteilen können. Wie jedes Lernen erfordert auch sprachliches Lernen e<strong>in</strong>e<br />
bestimmte Regelmäûigkeit. Leider werden die vielfältigen Möglichkeiten der sprachlichen<br />
Förderung, wie Beobachtungen zeigen, <strong>in</strong> der Praxis allzu wenig genutzt, so dass der Ruf<br />
41<br />
Individueller Zuschnitt und<br />
ganzheitlicher Ansatz<br />
Notizen
nach Sprachtra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogrammen zunimmt. Dabei wird oftmals übersehen, dass <strong>Sprachförderung</strong><br />
im Rahmen e<strong>in</strong>es isolierten Sprachtra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e wenig effektive Methode ist und<br />
dass K<strong>in</strong>der stärker motiviert s<strong>in</strong>d, wenn sprachliches Lernen im Kontext von Spielsituationen<br />
stattf<strong>in</strong>det. 40 Allerd<strong>in</strong>gs ist es notwendig, die sprachliche Förderung aus ihrer wenig<br />
beachteten, untergeordneten Rolle, die ihr <strong>in</strong> der Regel im pädagogischen Alltag zugewiesen<br />
wird, herauszuholen.<br />
Im folgenden werden verschiedene Möglichkeiten der <strong>Sprachförderung</strong>, die sich im K<strong>in</strong>dergarten<br />
anbieten, vorgestellt. Hierbei geht es darum, den Alltag <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vielfalt für e<strong>in</strong>e<br />
¹bewuûteª <strong>Sprachförderung</strong> zu nutzen. Mit Hilfe der unterschiedlichen Spiele und Aktivitäten<br />
lassen sich Artikulation, Wortschatz, Wortformen, Begriffsbildung und Satzbau aneignen,<br />
differenzieren und erweitern. Wenn abzusehen ist, dass die im pädagogischen Alltag<br />
e<strong>in</strong>gesetzten Materialien für e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>der nicht ausreichen, kann die Erzieher<strong>in</strong> diesen<br />
K<strong>in</strong>dern weitere gezielte Angebote unterbreiten.<br />
Bei den Überlegungen zur sprachlichen Förderung kommt dem Gespräch mit K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>e<br />
besondere Bedeutung zu. Dabei me<strong>in</strong>t ¹Gesprächª mehr als nur e<strong>in</strong> Abfragen oder Ansprechen<br />
bzw. etwas anzuordnen. Anlässe für Gespräche mit e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>dern oder <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en<br />
Gruppen können sehr vielfältig se<strong>in</strong> und sich bei unterschiedlichen Situationen ergeben:<br />
beim Frühstück oder Mittagessen, beim Waschen oder Anziehen, beim Malen oder<br />
Basteln, beim Betrachten von Bildern, Bilderbüchern oder Fotoalben, die von Alltagssituationen<br />
oder Ausflügen angefertigt werden, oder über Hand- und Tierpuppen <strong>in</strong> Gang<br />
gesetzt werden.<br />
Neben dem Sprechen erfahren K<strong>in</strong>der über das Zuhören, wie sie ihre Sprache weiterentwickeln<br />
können. Über regelmäûiges Vorlesen von Geschichten und Märchen erhalten sie<br />
neue sprachliche Anregungen, bereits bekannte Wörter und Satzmuster werden vertieft.<br />
Bei Liedern, S<strong>in</strong>g- und Tanzspielen werden S<strong>in</strong>gen und Sprechen mit Handlungen verbunden.<br />
K<strong>in</strong>der können die Bedeutung von Wörtern über Augen, Ohren, Hände und Bewegung<br />
des Körpers erfahren, wenn sie s<strong>in</strong>gend aufe<strong>in</strong>ander zugehen, sich anfassen oder etwas mite<strong>in</strong>ander<br />
tun. Auch K<strong>in</strong>der mit ger<strong>in</strong>gen Sprachkenntnissen können sich hier beteiligen, da sie<br />
zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>en Teil der Bedeutung der Wörter der Situation entnehmen können. Die Text<strong>in</strong>halte<br />
sollten sich auf Handlungen oder Situationen beziehen, die K<strong>in</strong>dern ± wenn es nötig ist ±<br />
über Anschauungsmaterial, Handlungen oder e<strong>in</strong>fache Erklärungen deutlich gemacht werden.<br />
Um Miûverständnisse auszuräumen, sollten unbekannte Wörter zunächst erklärt werden.<br />
Für sprachgehemmte K<strong>in</strong>der bietet die Gruppe den notwendigen Schutz, ihre Sprachhemmungen<br />
zu überw<strong>in</strong>den.<br />
Über Wiederholung und Reihung von Textstellen, wie sie <strong>in</strong> Liedern, S<strong>in</strong>g- und Tanzspielen<br />
vorkommen, prägen sich dem K<strong>in</strong>d sprachliche Strukturen e<strong>in</strong>, die es auch <strong>in</strong> anderen<br />
Zusammenhängen e<strong>in</strong>setzen kann.<br />
¹Lieder schaffen e<strong>in</strong>e angstfreie Situation, verb<strong>in</strong>den Sprache mit pantomimischen und<br />
rhythmischen Bewegungen und können mit immer neuen Handlungsvorschlägen variiert<br />
werden.ª 41<br />
Bei K<strong>in</strong>dern, die über ger<strong>in</strong>ge oder ke<strong>in</strong>e Deutschkenntnisse verfügen, ist der musikalischrhythmische<br />
Bereich e<strong>in</strong> Zugang zur Sprache, der K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> der Regel viel Freude bereitet.<br />
E<strong>in</strong>e Möglichkeit mit K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen, bieten Bilder und Bilderbücher.<br />
Bei den Bilderbüchern kommt es beim Betrachten und Zuhören zu e<strong>in</strong>er Verknüpfung von<br />
Gesehenem und Gehörtem. Auch werden die K<strong>in</strong>der zum Sprechen, Nachfragen und zu<br />
freien Assoziationen angeregt, <strong>in</strong>dem die Erzieher<strong>in</strong> die K<strong>in</strong>der durch entsprechende Fragen<br />
anhält, die Bilder zu beschreiben, E<strong>in</strong>zelheiten zu erkennen und zu benennen.<br />
40 Oerter/Montada a.a.O., S. 823 ± 827<br />
41 Müller/Rösch, a.a.O., S. 118<br />
42<br />
Möglichkeiten der<br />
<strong>Sprachförderung</strong> im<br />
K<strong>in</strong>dergartenalltag<br />
Lieder, S<strong>in</strong>g- und Tanzspiele<br />
s<strong>in</strong>d auch für K<strong>in</strong>der<br />
mit ger<strong>in</strong>gen Sprachkenntnissen<br />
geeignet<br />
Notizen
Erfahrungsgemäû gibt es Geschichten, die die K<strong>in</strong>der immer wieder hören möchten, und<br />
zwar mit dem gleichen Text, der gleichen Betonung, Mimik und Gestik. Hier können sich<br />
Sprache und Sprachmuster über Wiederholung e<strong>in</strong>prägen.<br />
Bei der Auswahl von Bilderbüchern s<strong>in</strong>d die Illustrationen, die sprachliche Aufbereitung<br />
und der Inhalt zu beachten.<br />
Die Bilder sollten klar dargestellt se<strong>in</strong> und die wesentlichen Merkmale der abgebildeten<br />
Gegenstände enthalten, so dass die K<strong>in</strong>der ohne groûe Mühe die enthaltenen Informationen<br />
entschlüsseln können. Dies gilt <strong>in</strong> besonderer Weise auch für die textfreien und textarmen<br />
Bilderbücher. Bei e<strong>in</strong>er Überfrachtung der Bilder kann das Interesse des K<strong>in</strong>des an<br />
e<strong>in</strong>er genauen Beobachtung und sprachlichen Wiedergabe s<strong>in</strong>ken.<br />
Um K<strong>in</strong>der nicht zu über- oder zu<br />
unterfordern, sollte sich der Text <strong>in</strong><br />
den Bilderbüchern an den Sprachkenntnissen<br />
der K<strong>in</strong>der orientieren.<br />
In e<strong>in</strong>er multikulturellen Gruppe<br />
kann den unterschiedlichen<br />
Sprachkenntnissen am ehesten<br />
Rechnung getragen werden, wenn<br />
Bilderbücher <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Gruppen<br />
angesehen werden.<br />
Zudem sollten die Inhalte an den<br />
Erfahrungen der K<strong>in</strong>der anknüpfen.<br />
Dies bedeutet, dass auch Bücher<br />
aus dem Erfahrungsbereich der<br />
K<strong>in</strong>der mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund <strong>in</strong><br />
der E<strong>in</strong>richtung vorhanden se<strong>in</strong><br />
sollten. Diese Bücher können K<strong>in</strong>dern<br />
Vertrautheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fremden<br />
Umwelt geben, läût sie e<strong>in</strong> ¹Stück<br />
ihrer Weltª <strong>in</strong> den Büchern wiederf<strong>in</strong>den.<br />
Dadurch haben K<strong>in</strong>der mit<br />
ger<strong>in</strong>gen Deutschkenntnissen auch<br />
die Möglichkeit, ihnen bereits<br />
Bekanntes, Vertrautes <strong>in</strong> der deutschen<br />
Sprache zu benennen.<br />
Dieses Ziel kann auch über das Erstellen eigener Bilderbücher oder Fotoalben erreicht werden.<br />
Grundlage könnten Fotos aus den Heimatländern der K<strong>in</strong>der se<strong>in</strong>, die die Eltern<br />
sicherlich auf Nachfrage zur Verfügung stellen.<br />
Es können aber auch Bilderbücher zu anderen Themen erarbeitet werden, wenn die Erzieher<strong>in</strong><br />
mit den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>en Besuch im Zoo macht, auf den Wochenmarkt geht. Anlässe zum<br />
Gespräch ergeben sich sowohl beim Erstellen der Bücher als auch beim späteren Anschauen.<br />
Auch sollten K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> multikulturellen Gruppen zweisprachige K<strong>in</strong>der- und Bilderbücher,<br />
wie sie von verschiedenen Verlagen angeboten werden, im K<strong>in</strong>dergarten vorf<strong>in</strong>den.<br />
Der E<strong>in</strong>satz von Medien für K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong>sbesondere von Hörspielkassetten, kann dazu beitragen,<br />
der mehrsprachigen Situation <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dergruppe gerecht zu werden. Da es wohl den<br />
meisten deutschen Erzieher<strong>in</strong>nen nicht möglich ist, auch nur e<strong>in</strong>e der zahlreichen Erstsprachen<br />
der K<strong>in</strong>der zu sprechen, kann mit Hilfe von Kassetten K<strong>in</strong>dern vermittelt werden, dass ihre<br />
Erstsprache ihren Platz <strong>in</strong> der Arbeit hat. K<strong>in</strong>derliteratur und K<strong>in</strong>derlieder <strong>in</strong> der Erstsprache<br />
der K<strong>in</strong>der können e<strong>in</strong>e anregende Ergänzung für alle K<strong>in</strong>der der Gruppe se<strong>in</strong>.<br />
43<br />
Bücher aus anderen Kulturen<br />
mite<strong>in</strong>beziehen<br />
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erstellen<br />
Notizen
F<strong>in</strong>gerspiele gibt es für K<strong>in</strong>der unterschiedlicher Altersstufen als auch mit unterschiedlichen<br />
Sprachkenntnissen. Bei F<strong>in</strong>gerspielen wird Sprache über symbolische Mittel verdeutlicht.<br />
So wird z.B. bei ¹Himpelchen und Pimpelchenª das Klettern über das Krabbeln der<br />
F<strong>in</strong>ger angedeutet. Dies erleichtert K<strong>in</strong>dern mit ger<strong>in</strong>gen oder ke<strong>in</strong>en Sprachkenntnissen<br />
den Zugang zur Sprache bzw. ermöglicht die Teilnahme am Spiel.<br />
Bei Kreis- und S<strong>in</strong>gspielen s<strong>in</strong>d es die Wiederholung von Textstellen, das geme<strong>in</strong>same<br />
S<strong>in</strong>gen und Sprechen, Spieldialoge, der E<strong>in</strong>satz akustischer Mittel, wie laut und leise Sprechen,<br />
der E<strong>in</strong>satz von Mimik und Gestik, das Umsetzen <strong>in</strong> Bewegung, die zu e<strong>in</strong>er Verb<strong>in</strong>dung<br />
von Sprache und konkreten Erfahrungen führen und K<strong>in</strong>dern damit das Verstehen<br />
erleichtern.<br />
Ich b<strong>in</strong> der W<strong>in</strong>d Bewegungsspiel<br />
Die K<strong>in</strong>der stehen im Kreis. Unter Anleitung der Erzieher<strong>in</strong> sprechen sie und bewegen sich:<br />
¹Ich b<strong>in</strong> der W<strong>in</strong>d und pfeife<br />
und blase den Drachen h<strong>in</strong>auf ª. (Die K<strong>in</strong>der pfeifen und blasen ¼)<br />
¹Ich b<strong>in</strong> der Regen und tropfe (¼ sie hocken sich nieder und trommeln<br />
und höre so schnell nicht mehr auf ª. mit den F<strong>in</strong>gern auf den Fuûboden,)<br />
¹Ich b<strong>in</strong> der Sturm und heule (¼ sie heulen und machen peitschende<br />
und fege die Felder leer ª<br />
¹Ich b<strong>in</strong> die Kälte und friere,<br />
Bewegungen mit den Armen)<br />
erschrecke die Blumen sehr ª. (¼ sie frösteln und erstarren,)<br />
¹Ich b<strong>in</strong> der Hagel und falle (sie beugen sich auf den Knien nach vorn<br />
und decke den Erdboden zu ª. und verstecken den Kopf <strong>in</strong> den Armen.)<br />
¹Ich b<strong>in</strong> die Sonne und sche<strong>in</strong>e<br />
und erwärme alles im Nu ª. (¼ sie umarmen sich gegenseitig.)<br />
Aus: Lumpp, Ges<strong>in</strong>e: Dass Ali und Elena mitreden können. J. F. Ste<strong>in</strong>kopf, Stuttgart 1980,<br />
S. 111<br />
Kimspiele führen zu e<strong>in</strong>er anschaulichen Sprachvermittlung. Die K<strong>in</strong>der können fühlen, ob<br />
etwas hart oder weich, rauh oder glatt ist, wie etwas riecht oder ob etwas süû oder salzig<br />
schmeckt. Mit Hilfe von Kimspielen werden die verschiedenen S<strong>in</strong>ne von K<strong>in</strong>dern angeregt.<br />
44<br />
Beispiel: Bewegungsspiel<br />
Notizen
Die Ausbildung und Differenzierung der s<strong>in</strong>nlichen Wahrnehmung wiederum ist von Bedeutung<br />
für die geistige Entwicklung von K<strong>in</strong>dern.<br />
Wenn sich K<strong>in</strong>der zunächst nicht am Erraten von verschwundenen Gegenständen oder verdeckt<br />
vorgeführten Geräuschen beteiligen können, weil ihnen noch die jeweiligen Begriffe<br />
fehlen, kann ihnen die Erzieher<strong>in</strong> helfen, <strong>in</strong>dem sie die Gegenstände vorstellt, die<br />
Geräusche vorführt und jeweils benennt.<br />
Kimspiel: Was hast du im Mund? Beispiel: Kimspiel<br />
Material: Möhren, ¾pfel, Bananen, Apfels<strong>in</strong>en, Brot, Blumenkohl usw. werden von den K<strong>in</strong>dern<br />
gewaschen, eventuell geschält, <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>e Stücke geschnitten.<br />
Zunächst mit offenen Augen prüfen: Was schmeckt süû, sauer, bitter, salzig?<br />
Danach schlieûen die K<strong>in</strong>der die Augen und lassen sich etwas Eûbares <strong>in</strong> den Mund stekken.<br />
Sie sollen raten, was es ist.<br />
Aus: Götte: Sprache und Spiel im K<strong>in</strong>dergarten. Beltz, We<strong>in</strong>heim und Basel, 8. Auflage<br />
1993, S. 63<br />
E<strong>in</strong>e Erweiterung des Wortschatzes erreicht die Erzieher<strong>in</strong> über Ratespiele, die nach dem<br />
Namen, nach Kleidung und Farben, nach Körperteilen oder auch nach grammatikalischen<br />
Elementen fragen, wie ¹Wo sitzt die Puppe?ª (auf dem Tisch, im Regal, unter dem Stuhl).<br />
Rollenspiele erfreuen sich im allgeme<strong>in</strong>en groûer Beliebtheit bei K<strong>in</strong>dern. Rollenspiele <strong>in</strong><br />
der Puppen- und Bauecke und am Kaufladen führen zu e<strong>in</strong>er Erweiterung der sprachlichen<br />
Fähigkeiten von K<strong>in</strong>dern, wenn sie z.B. beim Kaufladenspiel die e<strong>in</strong>zelnen Waren benennen<br />
und Sätze bilden, um ihre Wünsche auszudrücken. Im Rollenspiel lernt das K<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e<br />
Situation zu erfassen, sich auf den Spielpartner e<strong>in</strong>zustellen, dem Spielpartner zuzuhören<br />
und sich der Situation angemessen sprachlich auszudrücken.<br />
Die Spielaktivitäten der K<strong>in</strong>der bei Rollenspielen kann die Erzieher<strong>in</strong> erweitern, <strong>in</strong>dem sie weiteres<br />
Spielmaterial zur Verfügung stellt oder Spielideen anbietet, z.B. Kartons als Ofen für e<strong>in</strong>e<br />
Bäckerei, Lockenwickler für e<strong>in</strong> Friseurspiel bereitstellt, <strong>in</strong> die Verkleidungskiste e<strong>in</strong>zelne Kleidungsstücke<br />
aus den Heimatländern der K<strong>in</strong>der aus zugewanderten Familien h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>legt.<br />
Bei der Erweiterung des Rollenspielmaterials ist auch das Bereitstellen von zwei Telefonen<br />
empfehlenswert, weil die K<strong>in</strong>der hierdurch angeregt werden, mite<strong>in</strong>ander zu sprechen. Hierbei<br />
kann es anfangs hilfreich se<strong>in</strong>, wenn die Erzieher<strong>in</strong> zunächst Telefonpartner für die K<strong>in</strong>der ist.<br />
Tischspiele, wie Dom<strong>in</strong>o- und Memoryspiele, Bilderlotto oder Puzzles werden von K<strong>in</strong>dern<br />
gerne gespielt. Diese Spiele müssen <strong>in</strong> der Regel schrittweise e<strong>in</strong>geführt und <strong>in</strong> multikulturellen<br />
Gruppen oftmals zunächst vere<strong>in</strong>facht werden. Wenn sie zur <strong>Sprachförderung</strong><br />
genutzt werden sollen, ist darauf zu achten, dass die K<strong>in</strong>der beim Zusammensuchen von<br />
Bildkarten auch sprechen. Die K<strong>in</strong>der benennen, z.B. beim Memoryspiel, was sie auf der<br />
aufgedeckten Karte sehen.<br />
E<strong>in</strong>e andere Möglichkeit ist, dass die Erzieher<strong>in</strong> bei der E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Spiels die Bilder<br />
mit den K<strong>in</strong>dern bespricht und anfangs auch die ¹Sprecher<strong>in</strong>ª im Spiel ist und benennt,<br />
was die K<strong>in</strong>der aufgedeckt und zusammengelegt haben.<br />
Wichtig ersche<strong>in</strong>t hierbei, dass die K<strong>in</strong>der ± soweit es möglich ist ± zunächst konkrete<br />
Erfahrungen mit den auf den Karten abgebildeten Gegenständen machen konnten und das<br />
Memoryspiel eher zur Verfestigung von Begriffen e<strong>in</strong>gesetzt wird, d.h. dass das K<strong>in</strong>d<br />
zunächst erfährt, wie sich e<strong>in</strong>e Apfels<strong>in</strong>e anfühlt, wie man sie schält, wie sie riecht, wie sie<br />
schmeckt, erst danach sollte es das Bild e<strong>in</strong>er Apfels<strong>in</strong>e auf der Memorykarte wiedererkennen<br />
und benennen.<br />
Das Spiel mit Handpuppen und Marionetten, e<strong>in</strong>e Möglichkeit mite<strong>in</strong>ander zu sprechen,<br />
erleichtert gerade zur Anfangszeit die Kontaktaufnahme zu K<strong>in</strong>dern. Für das K<strong>in</strong>d ist die<br />
Puppe der Ansprechpartner, und die Erzieher<strong>in</strong> tritt h<strong>in</strong>ter der Puppe zurück.<br />
45<br />
Rollenspiele durch Spielmaterial<br />
erweitern<br />
Handpuppen/Marionetten<br />
als Vermittler bei Kontaktaufnahme<br />
mit den K<strong>in</strong>dern<br />
Notizen
Die Handpuppe oder Marionette begrüût die K<strong>in</strong>der morgens, fragt nach ihrem Namen,<br />
stellt sich und die K<strong>in</strong>der vor bzw. die K<strong>in</strong>der stellen sich selbst vor, die Handpuppe telefoniert<br />
mit e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d und fragt nach, was es gemacht, womit es sich beschäftigt hat.<br />
Manchmal scheuen sich K<strong>in</strong>der auch, die Erzieher<strong>in</strong> oder andere K<strong>in</strong>der direkt anzusprechen,<br />
weil sie sich unsicher fühlen oder evtl. Angst haben, ausgelacht und nicht verstanden<br />
zu werden. E<strong>in</strong> Gespräch mit Handpuppen oder Marionetten gibt K<strong>in</strong>dern die Möglichkeit,<br />
über diese ¹Vermittlerª ihre ¾ngste, Wünsche und Erlebnisse zu erzählen. Dieser <strong>in</strong>direkte<br />
Weg baut Hemmungen ab, und das K<strong>in</strong>d kann sich sicherer fühlen.<br />
Handpuppen und Marionetten eignen sich ebenfalls dazu, Spielsituationen anzuregen, <strong>in</strong><br />
denen sich K<strong>in</strong>der ohne Zwang artikulieren können.<br />
Sprachspiele zeigen immer wieder, wie spielerisch K<strong>in</strong>der mit der Sprache umgehen, wenn<br />
sie Worte verdrehen, wenn sie versuchen herauszuf<strong>in</strong>den, welche Wörter sich reimen, über<br />
welches kreative Potential K<strong>in</strong>der verfügen, wenn sie diese entsprechend der eigenen<br />
Situation abändern. Mit solchen Sprachspielen, seien es Abzählverse oder Reime, üben<br />
K<strong>in</strong>der ihre sprachlichen Fertigkeiten. Bei Reimen sollte die Erzieher<strong>in</strong> nur solche auswählen,<br />
die von den K<strong>in</strong>dern verstanden werden und die sie sprachlich bewältigen können,<br />
weil nur solche Reime K<strong>in</strong>dern Spaû machen.<br />
Sprechvers: Auszählreim:<br />
Der Himmel ist blau, Hexe M<strong>in</strong>ka,<br />
die Maus ist¼ (grau). Kater P<strong>in</strong>ka,<br />
Der Fisch ist stumm, Vogel Fu,<br />
die Gans ist¼ (dumm). raus bist du.<br />
Kle<strong>in</strong> ist der Zwerg,<br />
groû ist der¼ (Berg).<br />
Im Stall steht die (Kuh),<br />
die macht¼ muh.<br />
Wer kommt langsam um die Ecke?<br />
Das ist e<strong>in</strong>e¼ (Schnecke).<br />
Aus: Naegele/Haarmann (Hrsg.): Darf ich mitspielen? Beltz, We<strong>in</strong>heim und Basel, 4. Auflage<br />
1993, S. 106 und 108<br />
Um die sprachlichen Fähigkeiten<br />
von K<strong>in</strong>dern über den K<strong>in</strong>dergartenalltag<br />
h<strong>in</strong>aus zu erweitern und<br />
damit K<strong>in</strong>dern die Umwelt zu<br />
erschlieûen, s<strong>in</strong>d Besuche, z.B. <strong>in</strong><br />
der Post, auf dem Wochenmarkt,<br />
im Zoo, im Schwimmbad, <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en<br />
Handwerksbetrieben und Ausflüge,<br />
z.B. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en nahegelegenen<br />
Park oder Wald, zu e<strong>in</strong>em Bauernhof,<br />
zu empfehlen. Die K<strong>in</strong>der erleben,<br />
z.B. welches Obst/Gemüse<br />
auf dem Wochenmarkt angeboten<br />
wird, dürfen vielleicht Obst für<br />
e<strong>in</strong>en Obstsalat e<strong>in</strong>kaufen, den sie<br />
später im K<strong>in</strong>dergarten anrichten<br />
und essen. Hierbei ergeben sich<br />
vielfältige Möglichkeiten, K<strong>in</strong>der<br />
mit verschiedenen Obstsorten<br />
sprachlich bekannt zu machen.<br />
In e<strong>in</strong>em nächsten Schritt lassen<br />
sich diese E<strong>in</strong>drücke der K<strong>in</strong>der<br />
46<br />
Sprachspiele den sprachlichen<br />
Fertigkeiten der<br />
K<strong>in</strong>der anpassen<br />
Beispiel: Sprechvers/Auszählreim<br />
Notizen
über das Malen, z.B. e<strong>in</strong>es Bildes vom Wochenmarkt, über Basteln für den Kaufladen<br />
sprachlich verfestigen und vertiefen.<br />
Die von K<strong>in</strong>dern gemalten Bilder können zum Sprechanlaû werden, wenn die Erzieher<strong>in</strong><br />
sich das Bild vom K<strong>in</strong>d erklären läût.<br />
Auch beim Basteln gibt die Erzieher<strong>in</strong> wertvolle Sprachanregungen, wenn sie den K<strong>in</strong>dern<br />
nicht nur die e<strong>in</strong>zelnen Arbeitsschritte zeigt und vormacht, sondern sprachliche Anleitungen<br />
gibt oder die K<strong>in</strong>der danach befragt, was sie gerade machen.<br />
3.4 Öffnung zumStadtteil<br />
Indem sich die E<strong>in</strong>richtungen zum Stadtteil h<strong>in</strong> öffnen, erweitern sie für die K<strong>in</strong>der deren<br />
Erfahrungsspielraum und damit auch deren Kontakt zu verschiedenen Sprachen. Davon<br />
können sowohl deutschsprachige K<strong>in</strong>der als auch K<strong>in</strong>der mit anderen Erstsprachen profitieren:<br />
Neue Lebens- und Sprachräume können entdeckt werden; Ausflüge <strong>in</strong> den Stadtteil<br />
macht sie mit Geschäften, Museen, Kirchen, Moscheen, Spielplätzen, Märkten und vielem<br />
mehr bekannt, die sie alle<strong>in</strong> durch den Alltag im K<strong>in</strong>dergarten oder <strong>in</strong> den Familien vielleicht<br />
nicht kennengelernt hätten. Diese neuen Erfahrungen geben viele Anlässe, um zu fragen,<br />
sich gegenseitig etwas zu erklären und im nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> davon zu erzählen.<br />
Lebensräume s<strong>in</strong>d Sprachräume<br />
Lebensräume haben e<strong>in</strong>e Wirkung auf die Sprachgewohnheit der Menschen, die sich dar<strong>in</strong><br />
bewegen. Durch die Öffnung nach auûen erfahren K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e Bandbreite von unterschiedlichen<br />
Sprachen. So werden auf Märkten oft laut die besten Waren angepriesen. In Kirchen<br />
oder Kathedralen wird eher leise gesprochen oder geflüstert. Auf der Kirmes unterhalten<br />
sich manche Menschen wegen der Geräuschkulisse fast schon brüllend. K<strong>in</strong>der können<br />
deutsche Marktfrauen erleben, die ihre Ware ganz selbstverständlich sowohl auf Deutsch<br />
als auch z.B. auf Türkisch anbieten. Damit erleben sie beide Sprachen als e<strong>in</strong>en selbstverständlichen<br />
Teil des Alltagslebens.<br />
Diese, auch sprachlichen, Erlebnisse können <strong>in</strong> der Tagese<strong>in</strong>richtung durch Rollenspiele wieder<br />
aufgegriffen werden. Indem die Erzieher<strong>in</strong>nen nachfragen, ob sich die K<strong>in</strong>der er<strong>in</strong>nern, wie<br />
die Menschen auf den verschiedenen Plätzen mite<strong>in</strong>ander gesprochen haben, kann auch bei<br />
den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> Gefühl für die unterschiedlichen Sprechweisen entstehen. Sprache und Sprechen<br />
werden so zum wichtigen Bestandteil im Alltag der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung.<br />
In den folgenden Abschnitten werden Möglichkeiten vorgestellt, wie die Öffnung zum<br />
Stadtteil für die <strong>Sprachförderung</strong> der K<strong>in</strong>der genutzt werden kann. Der Kreativität s<strong>in</strong>d hierbei<br />
ke<strong>in</strong>e Grenzen gesetzt. Manchmal braucht man etwas Mut, um neue Wege auszuprobieren<br />
± auch bei der Erschlieûung von Ressourcen im Stadtteil.<br />
Öffnung zum Stadtteil: Ressourcen nutzen für die Arbeit als Erzieher<strong>in</strong><br />
Öffnung nach auûen bedeutet für die Erzieher<strong>in</strong>, den Blick zu öffnen für neue Möglichkeiten<br />
der Unterstützung bei ihrer alltäglichen <strong>Sprachförderung</strong> der K<strong>in</strong>der: sei es, neue Anknüpfungspunkte<br />
für die Sprechfreude der K<strong>in</strong>der zu f<strong>in</strong>den, sei es, die erstsprachlichen Kompetenzen<br />
der K<strong>in</strong>der zu fördern.<br />
In vielen K<strong>in</strong>dertagesstätten gibt es ke<strong>in</strong>e oder nur e<strong>in</strong>e Erzieher<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong>e Erstsprache der<br />
K<strong>in</strong>der spricht. Durch die Öffnung zum Stadtteil h<strong>in</strong> ermöglicht die Erzieher<strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dern,<br />
mit ihrer Erstsprache <strong>in</strong> Kontakt zu kommen. Sie signalisiert damit zugleich den K<strong>in</strong>dern<br />
und Eltern, dass sie mit ihren Erstsprachen willkommen s<strong>in</strong>d und ernst genommen werden.<br />
Alle<strong>in</strong> diese Erfahrung kann schon manches Tor zur Zusammenarbeit mit den Eltern und<br />
zur Lernfreude bei den K<strong>in</strong>dern öffnen.<br />
47<br />
Durch Öffnung zum Stadtteil<br />
neue Sprachräume<br />
erschlieûen<br />
Erlebtes <strong>in</strong> Rollenspielen<br />
wieder aufgreifen<br />
Kontakte zur Erstsprache<br />
herstellen<br />
Notizen
Öffnung zum Stadtteil: Neue Lieder und Spiele kennenlernen<br />
Vielleicht können die Erzieher<strong>in</strong>nen Kontakte zu Menschen aus dem Stadtteil knüpfen, die<br />
e<strong>in</strong>e der Erstsprachen der K<strong>in</strong>der sprechen? Diese können <strong>in</strong> die K<strong>in</strong>dertagesstätte e<strong>in</strong>geladen<br />
werden, um den K<strong>in</strong>dern z.B. e<strong>in</strong> Bilderbuch vorzulesen oder mit ihnen Lieder <strong>in</strong><br />
ihrer/se<strong>in</strong>er Erstsprache zu s<strong>in</strong>gen. Vielleicht besitzt auch e<strong>in</strong> Elternpaar oder deren Verwandte<br />
e<strong>in</strong> Restaurant, das die K<strong>in</strong>der zusammen mit den Erzieher<strong>in</strong>nen besuchen können.<br />
Dabei werden sie u.U. mit kulturell unterschiedlichen Raumgestaltungen und auch Speisen<br />
vertraut, die zum Nachfragen oder auch Nachahmen und Nacherzählen ermuntern können.<br />
Vielleicht können die Restaurantbesitzer/<strong>in</strong>nen den K<strong>in</strong>dern etwas aus ihrer K<strong>in</strong>dheit erzählen,<br />
vielleicht fällt ihnen noch e<strong>in</strong> Lied e<strong>in</strong>, das sie früher immer gesungen haben oder das<br />
sie heute ihren K<strong>in</strong>dern vors<strong>in</strong>gen?<br />
Menschen mit verschiedenen kulturellen H<strong>in</strong>tergründen aus dem Stadtteil können auch<br />
gefragt werden, ob sie noch Bilderbücher <strong>in</strong> ihrer Sprache haben, die sich der K<strong>in</strong>dergarten<br />
ausleihen kann. Sie können gebeten werden, bei der nächsten Reise <strong>in</strong> ihr Herkunftsland<br />
e<strong>in</strong> Bilderbuch mitzubr<strong>in</strong>gen.<br />
Auch ist es für die K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e spannende Sache, e<strong>in</strong>mal selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Laden zu gehen, <strong>in</strong><br />
dem Speisen und Gegenstände aus e<strong>in</strong>em anderen Kulturbereich verkauft werden. Für<br />
manche wird es e<strong>in</strong> völlig neues Erlebnis se<strong>in</strong>; anderen K<strong>in</strong>dern ist dieser Laden aufgrund<br />
der gleichen kulturellen H<strong>in</strong>tergründe bekannt. Sie können vielleicht sogar das e<strong>in</strong>e oder<br />
andere erklären.<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen haben gute Erfahrungen damit gemacht, die Reise <strong>in</strong> den Stadtteil fotografisch<br />
zu dokumentieren. K<strong>in</strong>der schauen sich immer wieder gern diese Fotos an und erzählen<br />
sich und den Erzieher<strong>in</strong>nen, was sie erlebt haben. Wenn die Fotoalben länger ausliegen,<br />
kann es unter den K<strong>in</strong>dern zu Gesprächen kommen, wer sich wie verändert hat und wer<br />
vielleicht nicht mehr <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung ist.<br />
Auch folgendes kann e<strong>in</strong>mal ausprobiert werden: E<strong>in</strong>en Geschichten- und Liederwettbewerb<br />
<strong>in</strong>s Leben zu rufen, bei dem es e<strong>in</strong>en Preis zu gew<strong>in</strong>nen gibt und der se<strong>in</strong>en Abschluû<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fest rund um den K<strong>in</strong>dergarten f<strong>in</strong>det.<br />
Öffnung zum Stadtteil: Sprachkompetenzen der Eltern stärken<br />
Öffnung zum Stadtteil bedeutet zum e<strong>in</strong>en, sich neue Lebensräume für die K<strong>in</strong>der und<br />
Erzieher<strong>in</strong>nen der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung zu erschlieûen. Es kann jedoch auch bedeuten,<br />
die eigenen Räume für Gruppen aus dem Stadtteil zur Verfügung zu stellen. So können<br />
Räume angeboten werden, <strong>in</strong> denen z.B. Sprachkurse für Eltern stattf<strong>in</strong>den. Für viele Eltern<br />
der E<strong>in</strong>richtung wird die Hemmschwelle, e<strong>in</strong>en Kurs zu besuchen, dadurch ger<strong>in</strong>ger. Sie<br />
kennen schon die Räume, sie kennen auch manche Eltern. Viele Unsicherheitsfaktoren fallen<br />
damit gegenüber fremden Institutionen und fremden Kursteilnehmern weg.<br />
Sprachkurse können sowohl für die deutsche Sprache als auch für die Erstsprache der Eltern<br />
angeboten werden. Manche Eltern mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund beherrschen ihre Erstsprache<br />
nicht mehr vollständig. Eltern können ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der Sprachentwicklung unterstützen,<br />
wenn auch sie sich <strong>in</strong> ihrer Erstsprache weiterbilden. Dabei kann der Kurs <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dertagesstätte<br />
dazu dienen, die Eltern für ihre Aufgabe bei der <strong>Sprachförderung</strong> zu sensibilisieren.<br />
Öffnung zum Stadtteil:<br />
Generationsübergreifendes Lernen für die <strong>Sprachförderung</strong> nutzen<br />
Es lohnt sich, Kontakt zu Seniorenwohnheimen aufzunehmen: Bei gegenseitigen Besuchen<br />
lassen sich sicher Bewohner/<strong>in</strong>nen f<strong>in</strong>den, die daran Freude haben, mit den K<strong>in</strong>dern Bilder-<br />
48<br />
Menschen aus dem Stadtteil<br />
<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dergartenarbeit<br />
e<strong>in</strong>beziehen<br />
K<strong>in</strong>dergarten für Stadtteil<br />
öffnen ± Beispiel: Sprachkurse<br />
für Eltern<br />
Notizen
ücher, auch <strong>in</strong> ihrer Erstsprache, zu lesen oder mit ihnen Lieder zu s<strong>in</strong>gen. Bei manchen<br />
Migrationsberatungsstellen gibt es mittlerweile sogenannte Seniorentreffs für Menschen.<br />
Auch diese Arbeitskreise s<strong>in</strong>d Anlaufstellen, um sich Unterstützung bei der Anerkennung<br />
und Förderung der Erstsprachen der K<strong>in</strong>der zu holen.<br />
4. Das Verhalten der Erzieher<strong>in</strong><br />
4.1 Die Erzieher<strong>in</strong> als Sprachvorbild<br />
K<strong>in</strong>der orientieren sich bei ihrer Sprachentwicklung an ihren Bezugspersonen. Ihr Sprachverhalten<br />
bietet den K<strong>in</strong>dern Orientierungspunkte, an denen sie ihre eigenen Sprachfähigkeiten<br />
vergleichen und ausbauen. Der Sprachalltag, <strong>in</strong> dem die K<strong>in</strong>der sich bewegen, hat<br />
also entscheidenden E<strong>in</strong>fluû auf ihre Sprachentwicklung. Die Erzieher<strong>in</strong> ist damit e<strong>in</strong> wichtiges<br />
Sprachvorbild.<br />
Dies gilt zum e<strong>in</strong>en für den grammatikalisch richtigen Gebrauch e<strong>in</strong>er Sprache. Das K<strong>in</strong>d<br />
baut im Zuge se<strong>in</strong>er Sprachentwicklung zunächst e<strong>in</strong> eigenes Sprachsystem auf. Dieses<br />
vergleicht es mit dem se<strong>in</strong>es Umfeldes und paût es Schritt für Schritt an (vgl. Kap. I 2).<br />
Zum anderen kann die Erzieher<strong>in</strong> auch mit der Art und Weise, wie sie mit Sprache umgeht<br />
± z.B. ob sie Freude am Sprechen hat, gerne anderen zuhört, andere nicht übertönt ± e<strong>in</strong><br />
wichtiges Verhaltensvorbild und damit Unterstützung für die Sprach- und Kommunikationskultur<br />
der K<strong>in</strong>der se<strong>in</strong>.<br />
Die folgenden Aspekte s<strong>in</strong>d als Anhaltspunkte zu verstehen, wie Erzieher<strong>in</strong>nen durch ihr<br />
Sprachvorbild das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Sprachentwicklung unterstützen können.<br />
In vollständigen, grammatikalisch richtigen und je nach Sprachniveau des K<strong>in</strong>des<br />
kurzen Sätzen sprechen<br />
E<strong>in</strong>e verkürzte Sprache, die sich nur auf die zur Verständigung verme<strong>in</strong>tlich wichtigen<br />
Inhaltswörter stützt, z.B. ¹Du ¼ Milch haben?ª, gibt den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> grammatikalisch falsches<br />
Sprachvorbild. Besser ist es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fachen, aber vollständigen und grammatikalisch<br />
richtigen Sätzen zu sprechen: ¹Möchtest Du Milch haben?ª K<strong>in</strong>der können sich auch aus<br />
vollständigen Sätzen die Wörter herauspicken, die sie zur Verständigung benötigen (vgl.<br />
Kap. I 2).<br />
E<strong>in</strong>fache Worte auswählen<br />
Den K<strong>in</strong>dern kann es dann leichter fallen, Wörter wiederzuerkennen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweiten<br />
Schritt anzuwenden, z.B.<br />
´ Ecke (statt W<strong>in</strong>kel oder Knick).<br />
´ Haus (statt Gebäude oder Unterscheidungen nach spezifischen Arten: Bungalow, Villa<br />
etc.)<br />
Je nach Sprachstand kann dem K<strong>in</strong>d nach und nach e<strong>in</strong> differenzierterer Wortschatz im<br />
Gespräch angeboten werden.<br />
Wörter langsam und deutlich aussprechen ± nicht ¹nuschelnª<br />
E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, das gerade beg<strong>in</strong>nt, e<strong>in</strong>e neue Sprache zu erlernen, empf<strong>in</strong>det wahrsche<strong>in</strong>lich die<br />
gesprochenen Wörter so, als ob es sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dichten Laut- und Geräuschedschungel<br />
bef<strong>in</strong>det. E<strong>in</strong>zelne Wörter, die es erkennt, s<strong>in</strong>d wie Lichtblicke oder Wegweiser durch das<br />
Dickicht der Sprache. Um dem K<strong>in</strong>d zu ermöglichen, e<strong>in</strong>zelne ihm bekannte Wörter wahr-<br />
49<br />
K<strong>in</strong>der orientieren sich<br />
beim Sprechen an<br />
Bezugspersonen<br />
Anhaltspunkte für<br />
vorbildliches Sprechen<br />
Notizen
zunehmen, ist es wichtig, langsam und deutlich zu sprechen und dabei trotzdem möglichst<br />
authentisch im Sprachgebrauch zu bleiben.<br />
Das eigene Handeln mit Sprechen begleiten und umgekehrt<br />
K<strong>in</strong>der können so besser erfassen, wovon die Erzieher<strong>in</strong> spricht (vgl. Kap. II 1.4). Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus kann das Begleiten von Sprechen und Handeln den K<strong>in</strong>dern signalisieren, dass<br />
auch die Erzieher<strong>in</strong>nen Freude am Sprechen haben.<br />
Beim Sprechen immer wieder kle<strong>in</strong>e Pausen lassen, damit die K<strong>in</strong>der nachfragen<br />
können<br />
Gerade K<strong>in</strong>der, die e<strong>in</strong>e zweite Sprache erlernen, brauchen manchmal noch etwas Zeit und<br />
auch Mut, ihre Interessen zu formulieren. Aber auch unsichere K<strong>in</strong>der benötigen <strong>in</strong> ganz<br />
besonderer Weise e<strong>in</strong>e Atmosphäre des aufmerksamen Zuhörens, damit sie sich trauen,<br />
etwas zu sagen.<br />
K<strong>in</strong>der nicht übertönen, wenn der Geräuschpegel steigt<br />
Auch hier<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d Erzieher<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong> Vorbild. K<strong>in</strong>der, die dieses Verhalten bei Erwachsenen<br />
beobachten, werden sich <strong>in</strong> vielen Fällen ähnlich verhalten. Dabei schränken sie andere<br />
K<strong>in</strong>der dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong> zu sprechen und nehmen sich selbst die Chance, genau zuzuhören, was<br />
e<strong>in</strong> anderes K<strong>in</strong>d oder die Erzieher<strong>in</strong> zu sagen hat.<br />
Den K<strong>in</strong>dern aktiv und <strong>in</strong>tensiv zuhören<br />
E<strong>in</strong>e Sprache zu erlernen heiût auch, genau zuzuhören. Die Erzieher<strong>in</strong>nen können dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
gutes Vorbild se<strong>in</strong>, wenn sie K<strong>in</strong>dern aktiv, <strong>in</strong>tensiv und mit e<strong>in</strong>em echten Interesse zuhören.<br />
Geduld und Gelassenheit s<strong>in</strong>d sprachfördernde Faktoren, wenn die K<strong>in</strong>der noch etwas Zeit<br />
brauchen, um ihr Anliegen zu formulieren. Die Erzieher<strong>in</strong>nen sollten den K<strong>in</strong>dern nicht die<br />
Antworten auf ihre Fragen <strong>in</strong> den Mund legen.<br />
Offene Fragen stellen<br />
Offene Fragen s<strong>in</strong>d solche, auf die K<strong>in</strong>der nicht mit ¹Jaª oder ¹Ne<strong>in</strong>ª bzw. e<strong>in</strong>em Kopfnikken<br />
oder Kopfschütteln reagieren können, sondern die nach e<strong>in</strong>er ausführlicheren Antwort<br />
verlangen. Die K<strong>in</strong>der werden durch offene Fragen motiviert zu sprechen. Da der passive<br />
Wortschatz der K<strong>in</strong>der dadurch wächst, dass mit ihnen immer wieder das Gespräch<br />
gesucht wird (vgl. Kap. I 2), ist es gut, ¹am Ball zu bleibenª, ohne die K<strong>in</strong>der zu e<strong>in</strong>er Antwort<br />
zu drängen.<br />
Mit offenen Fragen kann die Erzieher<strong>in</strong> auch herausf<strong>in</strong>den, ob die K<strong>in</strong>der ihre Frage überhaupt<br />
verstanden haben. Manche K<strong>in</strong>der (und auch Erwachsene) reagieren auf Fragen mit<br />
e<strong>in</strong>em Kopfnicken, obwohl sie den S<strong>in</strong>n der Wörter nicht nachvollziehen können.<br />
Reflexion des eigenen Sprachverhaltens<br />
Es hat sich <strong>in</strong> der Praxis bewährt, zur Kontrolle des eigenen Sprachverhaltens e<strong>in</strong> Tonband<br />
mitlaufen zu lassen. Die hier aufgeführten Aspekte können genutzt werden, um herauszuf<strong>in</strong>den,<br />
welches sprachfördernde Verhalten im Alltag mit den K<strong>in</strong>dern schon umgesetzt<br />
wird und welche Punkte noch stärker berücksichtigt werden könnten. Die Auswertung dieser<br />
Tonbänder ist e<strong>in</strong>e wichtige Er<strong>in</strong>nerungsstütze und Lernerfahrung. Viele Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
zeigten sich erstaunt, wie viele der Vorsätze doch im Alltagstrubel untergehen können,<br />
obwohl sie me<strong>in</strong>ten, schon vieles berücksichtigt zu haben. Es braucht auch erst e<strong>in</strong> wenig<br />
Überw<strong>in</strong>dung, die eigene Stimme auf dem Tonband zu hören. Die Erzieher<strong>in</strong>nen berichten,<br />
dass der hörbare Erfolg dieser Reflexionsmethode sie dafür entschädigt. Der eigene Lernerfolg<br />
wird am deutlichsten sichtbar, wenn <strong>in</strong> regelmäûigen Zeitabständen immer wieder<br />
e<strong>in</strong> Tonband aufgenommen und ausgewertet wird.<br />
50<br />
Offene Fragen zeigen, ob<br />
die Frage verstanden wurde<br />
Kontrolle des eigenen<br />
Sprechverhaltens als<br />
Er<strong>in</strong>nerungsstütze und<br />
Lernerfahrung<br />
Notizen
Darüber h<strong>in</strong>aus können sich auch die Kolleg<strong>in</strong>nen gegenseitig auf ihr Sprachverhalten aufmerksam<br />
machen und sich damit Er<strong>in</strong>nerungshilfen für ihren Alltag schaffen.<br />
4.2 Aufgaben der muttersprachlichen Erzieher<strong>in</strong> für die <strong>Sprachförderung</strong><br />
Bei der zweisprachigen Erziehung nimmt die Erzieher<strong>in</strong>, die mit e<strong>in</strong>er der Erstsprachen der<br />
K<strong>in</strong>der aufgewachsen ist, e<strong>in</strong>e wichtige Rolle e<strong>in</strong>. Nicht nur hat sie e<strong>in</strong>e wichtige Funktion<br />
bei der Förderung der Erstsprache der K<strong>in</strong>der. Auch ihre Haltung gegenüber ihrer Erstsprache<br />
und der deutschen Sprache kann die K<strong>in</strong>der entscheidend <strong>in</strong> ihrer E<strong>in</strong>stellung gegenüber<br />
ihrer Zweisprachigkeit bee<strong>in</strong>flussen.<br />
Die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> hat e<strong>in</strong>e Vielfalt von Kompetenzen, die sie für die <strong>Sprachförderung</strong><br />
der K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>setzen kann:<br />
Indem sie mit den K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> ihrer Erstsprache spricht, ist sie für die K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong> wichtiges<br />
Sprachvorbild. Ganz besonders gilt dies für diejenigen K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong> deren Familien die Erstsprache<br />
nicht mehr vollständig gesprochen wird.<br />
Aufgrund ihrer Sprachkompetenzen <strong>in</strong> der Erstsprache kann sie herausf<strong>in</strong>den, über welche<br />
sprachlichen Fähigkeiten das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Erstsprachentwicklung verfügt. Damit kann sie<br />
auch beurteilen, welches K<strong>in</strong>d noch besonders viel und welches weniger gezielte Förderung<br />
<strong>in</strong> der Erstsprache braucht.<br />
Sie ist auch mit ihrer Kompetenz, die deutsche Sprache zu beherrschen, den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong><br />
Vorbild. Sie signalisiert den K<strong>in</strong>dern, ob es für sie selbst hauptsächlich e<strong>in</strong>e Last oder e<strong>in</strong>e<br />
Freude war, e<strong>in</strong>e zweite Sprache zu erlernen. Auch kann sie den K<strong>in</strong>dern vermitteln, welche<br />
Vorteile sie <strong>in</strong> ihrem Alltag davon hat, deutsch zu sprechen. K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d meist sehr aufmerksam,<br />
wenn Erwachsene authentisch und ohne den moralischen Zeigef<strong>in</strong>ger zu erheben,<br />
davon erzählen, was ihnen wichtig und wertvoll ist.<br />
Sie ist e<strong>in</strong>e wichtige und ernst zunehmende Ansprechpartner<strong>in</strong> für die Eltern der K<strong>in</strong>der, die<br />
die gleiche Erstsprache sprechen. Sie kann den Eltern vermitteln, warum es für die Identitätsentwicklung<br />
und den Erwerb der deutschen Sprache bedeutsam ist, die Erstsprache<br />
der K<strong>in</strong>der zu fördern (vgl. Kap. I 2 und II 5).<br />
Die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> im geme<strong>in</strong>samen Alltag mit den K<strong>in</strong>dern<br />
K<strong>in</strong>der werden <strong>in</strong> ihrer Sprachentwicklung unterstützt, <strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong>zelnen Personen<br />
jeweils e<strong>in</strong>e Sprache zuordnen können. Dies bedeutet für die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong>,<br />
dass sie, soweit es im Alltagstrubel möglich ist, mit den K<strong>in</strong>dern konsequent <strong>in</strong> ihrer Erstsprache<br />
sprechen sollte. ¹E<strong>in</strong>e Sprache ± e<strong>in</strong>e Personª 42 ± ist hier das Pr<strong>in</strong>zip. Dies gilt<br />
auch, wenn den Erzieher<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en Sprache gerade nicht das passende Wort e<strong>in</strong>fällt.<br />
Besser ist es Umschreibungen zu wählen. Die Erzieher<strong>in</strong> ist den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> gutes Vorbild<br />
dar<strong>in</strong>, möglichst <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Satzes die Sprachen nicht zu wechseln, sondern sie<br />
konsequent vone<strong>in</strong>ander zu trennen.<br />
Ist der Sprachwechsel doch e<strong>in</strong>mal nötig, so sollte sie diesen durch den Tonfall, durch e<strong>in</strong>e<br />
Pause oder durch e<strong>in</strong>en Nebensatz deutlich kenntlich machen. 43<br />
Oft wird die Frage gestellt, welche Sprache e<strong>in</strong>e muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> bei der<br />
Anwesenheit von deutschen K<strong>in</strong>dern sprechen sollte. In e<strong>in</strong>er Gruppe von K<strong>in</strong>dern, die<br />
unterschiedliche Sprachen sprechen, sollte sie Deutsch sprechen. Dagegen muû die bloûe<br />
Anwesenheit von an der Situation unbeteiligten deutschsprachigen K<strong>in</strong>dern oder Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
nicht unbed<strong>in</strong>gt zur Konsequenz haben, zur deutschen Sprache zu wechseln. Erst<br />
42 Heuchert, 1989, S. 100<br />
43 vgl. Heuchert, a.a.O.<br />
51<br />
Zentrale Rolle muttersprachlicher<br />
Erzieher/<strong>in</strong>nen<br />
Das Pr<strong>in</strong>zip ¹e<strong>in</strong>e Sprache ±<br />
e<strong>in</strong>e Personª<br />
Ausnahmen<br />
Notizen
wenn die Gefahr besteht, dass K<strong>in</strong>der oder auch Kolleg<strong>in</strong>nen von e<strong>in</strong>er Situation ausgeschlossen<br />
werden, an der sie sich beteiligen wollen, ist e<strong>in</strong> Wechsel zur deutschen Sprache<br />
angebracht.<br />
Je nach Sprachvermögen und Situation des K<strong>in</strong>des hat die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong><br />
unterschiedliche Aufgaben: Gerade <strong>in</strong> den ersten Tagen kann es für das K<strong>in</strong>d besonders<br />
wichtig se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Erstsprache angesprochen zu werden. Dies hilft über manche verunsichernde<br />
Situation h<strong>in</strong>weg. Auch bei der Kontaktaufnahme zu anderen K<strong>in</strong>dern kann die<br />
muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> behilflich se<strong>in</strong>. Die Erstsprache mit e<strong>in</strong>er Erzieher<strong>in</strong> zu sprechen,<br />
hat für das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Brückenfunktion beim Übergang von der Familie <strong>in</strong> die K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung.<br />
Klärung im Team<br />
Manchmal kann es zu Verstimmungen <strong>in</strong>nerhalb des Teams kommen, wenn deutschsprachige<br />
Kolleg<strong>in</strong>nen den E<strong>in</strong>druck gew<strong>in</strong>nen, manche K<strong>in</strong>der und auch Eltern reden nur noch<br />
mit der Kolleg<strong>in</strong>, die deren Erstsprache beherrscht. ¹Ich habe dann Angst, dass ich wichtige<br />
D<strong>in</strong>ge gar nicht mehr mitbekommeª ist e<strong>in</strong>e wohlbekannte ¾uûerung <strong>in</strong> mehrsprachigen<br />
Teams. Die Verantwortung dafür, solche Situationen zu klären, liegt <strong>in</strong> der Hand der Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung. Die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> sollte ihren Kolleg<strong>in</strong>nen diejenigen<br />
Informationen mitteilen, die sie aufgrund der unterschiedlichen Sprache nicht mitbekommen<br />
können. Die deutschsprachige Erzieher<strong>in</strong> hat die Verantwortung, nach den Informationen<br />
zu fragen, die ihr fehlen, um e<strong>in</strong>e bestimmte Situation, das Verhalten der Eltern<br />
oder der K<strong>in</strong>der besser verstehen zu können. E<strong>in</strong>e Offenheit und Vertrauen im Team ist für<br />
die Zusammenarbeit e<strong>in</strong>e unerläûliche Grundlage.<br />
Auch sollte sich das Team auf e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>heitlichen Umgang e<strong>in</strong>igen, wer mit den K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong><br />
welcher Sprache spricht. Wichtig für die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> ist es, nicht nur mit<br />
ihren Sprachkompetenzen im Team Beachtung zu f<strong>in</strong>den. Sie hat viele weitere Fähigkeiten,<br />
die sie <strong>in</strong> die Arbeit mit den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen kann.<br />
5. Die Zusammenarbeit mit Eltern<br />
Im gesamten Alltag s<strong>in</strong>d die Eltern wichtige Bündnispartner, wenn die Erzieher<strong>in</strong> Lern- und<br />
Erfahrungsprozesse von K<strong>in</strong>dern fördern will. Eltern können Erzieher<strong>in</strong>nen Informationen<br />
zur familiären Situation geben, ihnen mitteilen, was ihnen <strong>in</strong> der Erziehung ihrer K<strong>in</strong>der<br />
wichtig oder weniger wichtig ist. Zudem gibt es <strong>in</strong> der Arbeit immer wieder Momente und<br />
Situationen, <strong>in</strong> denen Erzieher<strong>in</strong>nen ohne Mitwirken der Eltern ratlos s<strong>in</strong>d und Eltern auf<br />
helfende H<strong>in</strong>weise der Erzieher<strong>in</strong>nen angewiesen s<strong>in</strong>d.<br />
5.1 Sprachwelten der K<strong>in</strong>der kennenlernen<br />
Das K<strong>in</strong>d hat <strong>in</strong> den ersten Lebensjahren das sprachliche Verhalten se<strong>in</strong>er familiären Umgebung<br />
übernommen. Obwohl viele der grundlegenden sprachlichen Fähigkeiten <strong>in</strong> der Familie<br />
erworben werden, können Erzieher<strong>in</strong>nen über e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit Eltern K<strong>in</strong>dern<br />
vielfältige unterstützende Anregungen geben. Dazu bedarf es aber der genauen Kenntnis<br />
der Sprachsituation des K<strong>in</strong>des. In Gesprächen mit Eltern, evtl. bereits bei Aufnahmegesprächen<br />
und/oder Hausbesuchen können Erzieher<strong>in</strong>nen erfahren, ob das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
Familie aufwächst, <strong>in</strong> der das Gespräch mit dem K<strong>in</strong>d selbstverständlich ist oder ob es<br />
eher weniger Sprachanregungen erfahren hat, wer mit dem K<strong>in</strong>d aus zugewanderten Familien<br />
<strong>in</strong> welcher Sprache spricht und welche Sprache die geme<strong>in</strong>same Familiensprache ist.<br />
Bei solchen Gelegenheiten gew<strong>in</strong>nt die Erzieher<strong>in</strong> erste Anhaltspunkte und H<strong>in</strong>weise, die<br />
ihr bei ihren Überlegungen zur Planung und Gestaltung der Arbeit von Nutzen se<strong>in</strong> können.<br />
Dabei ist es wichtig, den Eltern und K<strong>in</strong>dern zu vermitteln, warum man sich für sie und ihre<br />
Sprach- und Sprechgewohnheiten <strong>in</strong>teressiert. Sie sollten sich nicht ausgehorcht fühlen.<br />
52<br />
Wer spricht mit wem <strong>in</strong><br />
welcher Sprache?<br />
Sich bei Eltern über die<br />
Sprachsituation <strong>in</strong> der<br />
Familie <strong>in</strong>formieren<br />
Notizen
Vielmehr geht es darum, ihnen e<strong>in</strong> Verständnis für die Wertschätzung ihrer Erstsprache(n)<br />
und deren Bedeutung für die Entwicklung ihres K<strong>in</strong>des zu vermitteln.<br />
Folgende Fragen können der Erzieher<strong>in</strong> helfen, sich die Sprachwelt der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihrer<br />
Gruppe zu erschlieûen:<br />
´ Wer spricht mit dem K<strong>in</strong>d welche Sprache?<br />
´ Wer verfügt über welche Sprachkompetenzen?<br />
´ Gibt es e<strong>in</strong>e Sprache, die hauptsächlich <strong>in</strong> der Familie gesprochen wird?<br />
´ Gibt es bestimmte Situationen, <strong>in</strong> denen nur die e<strong>in</strong>e oder die andere Sprache gesprochen<br />
wird?<br />
´ Gibt es für das K<strong>in</strong>d neben den Eltern auch andere wichtige Bezugspersonen <strong>in</strong> der Verwandtschaft?<br />
´ Wird <strong>in</strong> der Familie gern und viel mite<strong>in</strong>ander gesprochen?<br />
´ Gibt es wichtige Freunde oder Nachbarn, die mit dem K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e andere Sprache als die<br />
Familiensprache sprechen?<br />
´ Welche Sprachen werden hauptsächlich <strong>in</strong> der Nachbarschaft und <strong>in</strong> dem Stadtteil, <strong>in</strong><br />
dem die Familie wohnt, gesprochen?<br />
5.2 Eltern über die Arbeit <strong>in</strong>formieren<br />
Zur Aufgabe von Erzieher<strong>in</strong>nen gehört es, Eltern über die Arbeit <strong>in</strong> der Tagese<strong>in</strong>richtung zu<br />
<strong>in</strong>formieren. In vielen K<strong>in</strong>dergärten wird Eltern angeboten, über Hospitationen <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dergruppen<br />
den pädagogischen Alltag kennenzulernen. Andere K<strong>in</strong>dergärten empfehlen,<br />
dass Eltern mit ihren neu aufgenommenen K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>e Woche lang den K<strong>in</strong>dergarten<br />
besuchen. Vorstellungen und Erwartungen an den K<strong>in</strong>dergarten lassen sich <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelgesprächen<br />
oder auf Gruppenebene klären, pädagogische Themen beim Elternabend erörtern.<br />
Dabei spielt das Thema ¹Sprachentwicklung und <strong>Sprachförderung</strong> im K<strong>in</strong>dergartenª<br />
bisher kaum e<strong>in</strong>e Rolle, obwohl es hierfür ± vor allem <strong>in</strong> bi- und multikulturellen Gruppen ±<br />
zahlreiche Ansatzpunkte gibt.<br />
Eltern aus zugewanderten Familien haben <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> groûes Interesse daran, dass ihre<br />
K<strong>in</strong>der die deutsche Sprache lernen. Sie schicken ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dergarten <strong>in</strong> der Hoffnung,<br />
dass sie hier die deutsche Sprache erwerben und gut auf die Schule vorbereitet werden.Mit<br />
wenigen Ausnahmen s<strong>in</strong>d sie aber auch daran <strong>in</strong>teressiert, dass ihre K<strong>in</strong>der ihre Erstsprache<br />
beibehalten, d.h. sie wünschen sich e<strong>in</strong>e zweisprachige Erziehung.<br />
Seit e<strong>in</strong>iger Zeit ist zu beobachten, dass e<strong>in</strong> Teil der Eltern die hierzulande verbreitete Auffassung<br />
vertritt, die Förderung der Erstsprache beh<strong>in</strong>dere den Erwerb der deutschen Sprache.<br />
Ihnen ist meist nicht bewuût, welche Bedeutung die Erstsprache für die Entwicklung<br />
des K<strong>in</strong>des hat und wie K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e zweite Sprache erwerben. Daher fordern viele von der<br />
Erzieher<strong>in</strong>, ihrem K<strong>in</strong>d den Umgang mit K<strong>in</strong>dern gleicher Nationalität zu untersagen und<br />
dafür Sorge zu tragen, dass ihr K<strong>in</strong>d im K<strong>in</strong>dergarten deutsch spricht. Und manche Eltern<br />
reagieren sehr zurückhaltend darauf, wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dergarten versucht, die Erstsprache im<br />
K<strong>in</strong>dergarten über die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> zu unterstützen.<br />
Aber auch manche Erzieher<strong>in</strong>nen vertreten die Me<strong>in</strong>ung, dass Eltern im H<strong>in</strong>blick auf die<br />
bevorstehende E<strong>in</strong>schulung und auf e<strong>in</strong>e Integration mit ihren K<strong>in</strong>dern zuhause deutsch<br />
sprechen sollten. Hiervon versprechen sie sich e<strong>in</strong>e Unterstützung <strong>in</strong> ihrer Arbeit.<br />
53<br />
Fragen zur Sprachwelt<br />
der K<strong>in</strong>der<br />
Eltern aus zugewanderten<br />
Familien wünschen meist<br />
zweisprachige Erziehung<br />
Befürchtungen entgegentreten,<br />
Förderung der<br />
Erstsprache schade dem<br />
Erwerb der deutschen<br />
Sprache<br />
Notizen
Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Tagese<strong>in</strong>richtungen K<strong>in</strong>der anzutreffen, deren Eltern über unterschiedliche<br />
Erstsprachen verfügen und die ihre K<strong>in</strong>der bil<strong>in</strong>gual erziehen und daher wünschen,<br />
dass ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> beiden Sprachen gefördert werden.<br />
Von seiten der deutschen Eltern werden <strong>in</strong> verschiedenen K<strong>in</strong>dergärten Befürchtungen<br />
laut, dass es ihren K<strong>in</strong>dern aufgrund e<strong>in</strong>es hohen Anteils an K<strong>in</strong>dern aus zugewanderten<br />
Familien an entsprechender Förderung fehle, was sich u.a. auch an den sprachlichen<br />
Fähigkeiten ihrer K<strong>in</strong>der zeige bzw., dass ihren K<strong>in</strong>dern die mehrsprachige Situation <strong>in</strong> den<br />
Gruppen schade.<br />
Ferner wird von e<strong>in</strong>igen Erzieher<strong>in</strong>nen berichtet, dass e<strong>in</strong>e ¹bewuûteª Unterstützung der<br />
sprachlichen Fähigkeiten deutscher K<strong>in</strong>der notwendiger werde, da bei e<strong>in</strong>em Teil der K<strong>in</strong>der<br />
das Sprachvermögen ger<strong>in</strong>ger werde. GRÜNDLER schreibt hierzu, dass im K<strong>in</strong>dergarten<br />
immer häufiger K<strong>in</strong>der angemeldet werden, ¹von denen die Eltern sagen, sie verstünden<br />
sie, die sich aber sonst niemandem verbal verständlich machenª könnten. 44<br />
In anderen Tagese<strong>in</strong>richtungen wiederum wünschen sich deutsche Eltern, dass ihre K<strong>in</strong>der<br />
mit e<strong>in</strong>er ersten Fremdsprache bekannt gemacht werden.<br />
Anlässe, dem Thema ¹Sprachentwicklung und <strong>Sprachförderung</strong>ª e<strong>in</strong>en entsprechenden<br />
Stellenwert <strong>in</strong> der Zusammenarbeit mit Eltern e<strong>in</strong>zuräumen, gibt es also genug, wenn man<br />
die Vielfalt an Erwartungen, Wünschen und Me<strong>in</strong>ungen betrachtet.<br />
Ziele e<strong>in</strong>er solchen Zusammenarbeit könnten se<strong>in</strong>:<br />
´ Wissen und Erfahrungen über die Sprachentwicklung von K<strong>in</strong>dern auszutauschen,<br />
´ den Eltern die eigene Arbeit im Bereich ¹<strong>Sprachförderung</strong>ª vorzustellen,<br />
´ Eltern ± wenn sie dies wünschen ± konkrete Anregungen für e<strong>in</strong>e sprachliche Förderung<br />
mitzugeben,<br />
´ Eltern aus zugewanderten Familien bewuût zu machen, dass sie die Hauptverantwortung<br />
für den Erhalt der Erstsprache ihres K<strong>in</strong>des tragen, dass sie es s<strong>in</strong>d, die ihre K<strong>in</strong>der hier<strong>in</strong><br />
<strong>in</strong> besonderer Weise unterstützen können,<br />
´ Eltern das Gefühl geben, dass der K<strong>in</strong>dergarten ihnen bei der Förderung der Erstsprache<br />
behilflich se<strong>in</strong> möchte,<br />
´ die Chancen e<strong>in</strong>er Mehrsprachigkeit für alle K<strong>in</strong>der mit den Eltern diskutieren.<br />
In Aufnahmegesprächen oder bei Veranstaltungen zur Information von Eltern über die<br />
Arbeit <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung können erste Fragen zur Spracherziehung an die Eltern gerichtet<br />
oder Vorstellungen der Erzieher<strong>in</strong>nen vermittelt werden.<br />
Veranstaltungen für Eltern<br />
Bevor Erzieher<strong>in</strong>nen überlegen, Eltern zu e<strong>in</strong>em Thema ¹Sprachentwicklung, Zweisprachigkeit<br />
und/oder <strong>Sprachförderung</strong> im K<strong>in</strong>dergartenª e<strong>in</strong>zuladen, ist es hilfreich, Informationen<br />
zusammenzustellen und sich im Team e<strong>in</strong>e Position zum Thema zu erarbeiten. Mit Hilfe<br />
e<strong>in</strong>er Dia-Reihe mit Alltagssituationen aus dem Gruppengeschehen können die Möglichkeiten<br />
e<strong>in</strong>er sprachlichen Förderung im Alltag für Eltern anschaulich dargestellt werden. Auch<br />
e<strong>in</strong>e klare Zielvorstellung für das Gespräch mit den Eltern ¹Was wollen wir erreichen?ª,<br />
¹Was wollen wir ansprechen?ª kann bei der Vorbereitung förderlich se<strong>in</strong>.<br />
Als E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Gesprächsrunde mit Eltern ist e<strong>in</strong>e Klärung der Wünsche und Vorstellungen<br />
von Eltern und Erzieher<strong>in</strong>nen zum Thema denkbar.<br />
44 Gründler, 1998, S. 30<br />
54<br />
Zunehmend <strong>Sprachförderung</strong><br />
bei deutschen<br />
K<strong>in</strong>dern notwendig<br />
Ziele der Zusammenarbeit<br />
mit den Eltern<br />
Vor Elternabenden im Team<br />
geme<strong>in</strong>same Position<br />
erarbeiten<br />
Notizen
Mit e<strong>in</strong>em Impulsreferat lassen sich Aspekte der Sprachentwicklung bzw. der Zweisprachigkeit<br />
darstellen. Auch über Filme, die z.B. bei den Landesbildstellen ausgeliehen werden<br />
können, oder über e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung erstellte Dia - Reihe läût sich das Thema mit<br />
den Eltern erörtern.<br />
Um e<strong>in</strong>e Diskussion zu ermöglichen, ist bei Anwesenheit zugewanderter Eltern zu bedenken,<br />
ob e<strong>in</strong>e Übersetzung notwendig ist und wer diese Aufgabe wahrnehmen kann, ob<br />
jemand von den Eltern angesprochen werden kann oder ob es s<strong>in</strong>nvoller ist, jemandem<br />
von auûen die Aufgabe zu übertragen.<br />
Nach e<strong>in</strong>er kurzen E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das Thema sollten Eltern Gelegenheit haben, ihre E<strong>in</strong>drükke,<br />
Me<strong>in</strong>ungen und Erwartungen auszutauschen. Erfahrungsgemäû s<strong>in</strong>d Diskussionen lebhafter<br />
und <strong>in</strong>tensiver, wenn sich Eltern mit gleicher Sprache bei Sachthemen <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en<br />
Gruppen zusammenf<strong>in</strong>den können. In diesen Gruppen können Eltern mit ähnlich gelagerten<br />
Erfahrungen, z.B. <strong>in</strong> der Spracherziehung, ihre Fragen, Befürchtungen und Wünsche<br />
mite<strong>in</strong>ander diskutieren. In diesem vertrauteren Kreis s<strong>in</strong>d sie eher bereit, offener ± auch<br />
über ihre Schwierigkeiten ± zu sprechen. Hierbei könnten folgende Fragen für die Diskussion<br />
leitend se<strong>in</strong>;<br />
für Eltern mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund:<br />
´ Wie f<strong>in</strong>den Sie es, dass Ihr K<strong>in</strong>d im K<strong>in</strong>dergarten se<strong>in</strong>e Erstsprache sprechen darf, dass<br />
´ wir Ihr K<strong>in</strong>d dabei unterstützen?<br />
´ S<strong>in</strong>d Sie der Me<strong>in</strong>ung, dass Ihr K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der deutschen Sprache genügend gefördert wird?<br />
und für deutsche Eltern:<br />
´ Wie denken Sie darüber, dass Ihr K<strong>in</strong>d im K<strong>in</strong>dergarten zweisprachige K<strong>in</strong>der antrifft?<br />
´ Me<strong>in</strong>en Sie, dass Ihr K<strong>in</strong>d genügend <strong>in</strong> der deutschen Sprache unterstützt wird?<br />
5.3 Kompetenzen der Eltern nutzen<br />
E<strong>in</strong>e weitere Überlegung, die im Team erörtert werden sollte, ist, ob und wie Eltern mit ihren<br />
lebenspraktischen und sprachlichen Kompetenzen <strong>in</strong> die Arbeit e<strong>in</strong>bezogen werden können.<br />
Über die Mitarbeit von Eltern können Angebote und Aktivitäten e<strong>in</strong>gebracht werden,<br />
die zu e<strong>in</strong>er Erweiterung der Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten der K<strong>in</strong>der führen. So können<br />
z.B. Lieder, Spiele, Geschichten und Märchen aus dem kulturellen Umfeld der K<strong>in</strong>der<br />
aus zugewanderten Familien mit Hilfe der Eltern <strong>in</strong> die Arbeit e<strong>in</strong>bezogen und somit Anerkennung<br />
der Erstsprache zum Ausdruck gebracht werden. Hier s<strong>in</strong>d Eltern oft bereit, Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
<strong>in</strong> ihrer Arbeit zu unterstützen und entsprechende Materialien zur Verfügung zu<br />
stellen oder ihnen bei der Suche nach Materialien zu helfen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dergruppe<br />
Geschichten vorzulesen, mit K<strong>in</strong>dern zu s<strong>in</strong>gen oder e<strong>in</strong>e Speise zuzubereiten.<br />
Seitdem Frau Akkaya, e<strong>in</strong>e türkische Erzieher<strong>in</strong>, im K<strong>in</strong>dergarten ¹Regenbogenª tätig ist,<br />
treffen sich die türkischen Mütter auf E<strong>in</strong>ladung der Erzieher<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung zum<br />
Gespräch. Heute wollen die Erzieher<strong>in</strong>nen mit den Müttern überlegen, wie sie die sprachlichen<br />
Fähigkeiten ihrer K<strong>in</strong>der zuhause unterstützen können. Obwohl sich die Erzieher<strong>in</strong>nen<br />
lange mit dem Thema der zweisprachigen Erziehung von K<strong>in</strong>dern ause<strong>in</strong>andergesetzt<br />
haben, obwohl sie auch genau wissen, was sie mit den Müttern besprechen wollen, s<strong>in</strong>d<br />
sie doch etwas aufgeregt: ¹Wie werden die Mütter wohl reagierenª.<br />
Die Mütter hatten e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung <strong>in</strong> türkischer Sprache erhalten, Frau Akkaya hatte sie noch<br />
e<strong>in</strong>mal persönlich angesprochen und e<strong>in</strong>geladen und dabei die Bedeutung des Themas für<br />
die K<strong>in</strong>der herausgestellt.<br />
Gegen 14.00 Uhr war es soweit. Die türkischen Mütter brachten ± wie sie es bei früheren<br />
Gelegenheiten auch schon gemacht hatten ± Selbstgebackenes mit. In der geräumigen<br />
Küche, <strong>in</strong> der sich die Mütter trafen, war der Tisch gedeckt, Tee und Kaffee zubereitet.<br />
55<br />
Leitfragen für die Diskussion<br />
Beispiel: Eltern <strong>in</strong> <strong>Sprachförderung</strong><br />
e<strong>in</strong>beziehen<br />
Notizen
Nachdem sich alle begrüût und mite<strong>in</strong>ander ausgetauscht haben, unterhalten sich die Mütter<br />
darüber, womit sich ihre K<strong>in</strong>der nachmittags oder am Wochenende beschäftigen. Sie<br />
berichten, dass ihre K<strong>in</strong>der gern fernsehen oder vor dem Video sitzen und e<strong>in</strong>ige sich für<br />
Game-Boy <strong>in</strong>teressieren. Im weiteren Verlauf der Diskussion wird den Müttern deutlich,<br />
dass bei diesen Aktivitäten kaum gesprochen wird, dass sie von sich aus auch nicht das<br />
Gespräch mit ihren K<strong>in</strong>dern suchen, dass sie eigentlich wenig mit ihren K<strong>in</strong>dern reden.<br />
Frau Akkaya erkärt, warum es für die K<strong>in</strong>der wichtig ist, dass <strong>in</strong> der Familie mit den K<strong>in</strong>dern<br />
gesprochen wird, dass sie ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihrer Entwicklung unterstützen, wenn sie zuhause<br />
mit ihnen <strong>in</strong> der Familiensprache sprechen und dass ihre K<strong>in</strong>der die deutsche Sprache nicht<br />
besser oder schneller lernen, wenn die türkische Sprache ausgeschaltet wird. Zunächst<br />
war es ganz ruhig, doch bald setzt e<strong>in</strong> lebhaftes Gespräch e<strong>in</strong>. Für die Mütter ist diese Information<br />
neu. Bisher hat noch niemand mit ihnen über dieses Thema gesprochen. Geme<strong>in</strong>sam<br />
überlegen sie dann, wie sie ihren K<strong>in</strong>dern helfen können:<br />
´ die K<strong>in</strong>der fragen, was sie im K<strong>in</strong>dergarten gemacht haben,<br />
´ beim E<strong>in</strong>kaufen mitnehmen und sie dabei e<strong>in</strong>beziehen,<br />
´ auf die Fragen der K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>gehen.<br />
Zudem wollen sie ihre Männer <strong>in</strong>formieren und mit ihnen über das heutige Gespräch reden.<br />
Sie verabreden, die nächsten Treffen im K<strong>in</strong>dergarten zu nutzen, um ihre Erfahrungen auszutauschen<br />
und geme<strong>in</strong>sam nach weiteren Schritten zu suchen.<br />
Frau Akkaya teilt mit, dass die Erzieher<strong>in</strong>nen für jedes K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Tagebuch anlegen wollen, <strong>in</strong><br />
dem sie u.a. auch ¾uûerungen der K<strong>in</strong>der festhalten, die sie mit den Müttern besprechen<br />
wollen, um ihnen zu zeigen, wie sich ihre K<strong>in</strong>der sprachlich entwickeln.<br />
5.4 Wertschätzung und Anerkennung ausdrücken<br />
Gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung s<strong>in</strong>d grundlegende Voraussetzungen für<br />
e<strong>in</strong>e vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Eltern. E<strong>in</strong> vertrauensvolles Zusammenwirken ist<br />
nur dort möglich, wo Erzieher<strong>in</strong>nen und Eltern bereit s<strong>in</strong>d, offen aufe<strong>in</strong>ander zuzugehen.<br />
Anerkennung und Beachtung von Eltern können deutlich werden, wenn wichtige Informationen,<br />
wie E<strong>in</strong>ladungen, Ankündigungen, Elternbriefe, Merkblätter, die Konzeption der E<strong>in</strong>richtung,<br />
für die Eltern <strong>in</strong> den verschiedenen Sprachen vorliegen.<br />
E<strong>in</strong> ¹Willkommenª im E<strong>in</strong>gangsbereich <strong>in</strong> den Sprachen, die <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung vertreten<br />
s<strong>in</strong>d, kann Eltern signalisieren, dass sie gerne gesehen s<strong>in</strong>d.<br />
Ihre wertschätzende Haltung können Erzieher<strong>in</strong>nen auch dadurch zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen,<br />
dass sie sich bemühen, die Familiennamen der Eltern korrekt auszusprechen und die Eltern<br />
mit ihrem Namen zu begrüûen.<br />
Zudem sollten Erzieher<strong>in</strong>nen Eltern dazu ermutigen, <strong>in</strong> der Sprache mit ihren K<strong>in</strong>dern zu<br />
sprechen, zu der sie e<strong>in</strong>e engere Beziehung haben, die ihnen näher ist. Dies wird bei zugewanderten<br />
Familien <strong>in</strong> der Regel noch die Erstsprache se<strong>in</strong>. Da Eltern <strong>in</strong> bezug auf die<br />
sprachliche Erziehung ihrer K<strong>in</strong>der vielfach verunsichert s<strong>in</strong>d, brauchen sie hier Unterstützung<br />
und E<strong>in</strong>fühlungsvermögen. Es kann ihnen helfen, von der Erzieher<strong>in</strong> zu erfahren, wie<br />
wichtig die Erstsprache für die Entwicklung von K<strong>in</strong>dern ist, dass die Unterstützung der<br />
Erstsprache zum Wohle ihres K<strong>in</strong>des ist und dass sie die im familiären Bereich vorhandenen<br />
Möglichkeiten zum Gespräch mit ihren K<strong>in</strong>dern nutzen sollten, auch im H<strong>in</strong>blick auf<br />
den Erhalt der Erstsprache.<br />
56<br />
Wichtige Informationen<br />
mehrsprachig zur<br />
Verfügung stellen<br />
Eltern bei Unsicherheiten<br />
beraten<br />
Notizen
Die Sorge deutscher Eltern sollten Erzieher<strong>in</strong>nen aufgreifen und Eltern aufzeigen, wie K<strong>in</strong>der<br />
über die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit anderen Sprachen ihr Spektrum an Lernerfahrungen<br />
erweitern können.<br />
Regelmäûige Gespräche mit den Eltern können dazu beitragen, die gegenseitigen Erwartungen<br />
zu klären und die Möglichkeiten zur Förderung von K<strong>in</strong>dern transparent machen.<br />
57<br />
Notizen
Notizen Notizen
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und se<strong>in</strong>en Eltern. Stuttgart 1991<br />
Bronfenbrenner, U.: Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Stuttgart 1981<br />
Demandewitz, H.: Öffnungsschritte im situationsbezogenen Ansatz. In: Militzer, R./Demandewitz,<br />
H./Solbach, R.: Tausend Situationen und mehr! Die Tagese<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong> Lebens-<br />
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Probleme, Befunde, Perspektiven. Stuttgart 1984<br />
Erikson, E. H.: Identität und Lebenszyklus. 12. Auflage. Frankfurt 1991<br />
Felix, S. W.: L<strong>in</strong>guistische Untersuchungen zum natürlichen Zweitsprachenerwerb. München<br />
1982<br />
Felix, S. W.: Psychol<strong>in</strong>guistische Aspekte des Zweitsprachenerwerbs. Tüb<strong>in</strong>gen 1982<br />
Filipp, S.: Entwurf e<strong>in</strong>es heuristischen Bezugsrahmens für Selbstkonzept-Forschung:<br />
Menschliche Informationsverarbeitung und naive Handlungstheorie. In: Filipp, S. (Hrsg.):<br />
Selbstkonzept-Forschung. Probleme, Befunde, Perspektiven. Stuttgart 1984<br />
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Manuskript). Köln 1999<br />
Gipper, H. (Hrsg.): K<strong>in</strong>der unterwegs zur Sprache. Düsseldorf 1985<br />
Gogol<strong>in</strong>, I.: Erziehungsziel Zweisprachigkeit. Konturen e<strong>in</strong>es sprachpädagogischen Konzepts<br />
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