28.10.2013 Aufrufe

Hallo, Hola, Ola - Sprachförderung in Kindertagesstätten

Hallo, Hola, Ola - Sprachförderung in Kindertagesstätten

Hallo, Hola, Ola - Sprachförderung in Kindertagesstätten

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Beauftragte der Bundesregierung<br />

für Ausländerfragen<br />

HALLO, HOLA, OLA<br />

<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten


HALLO, HOLA, OLA<br />

<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten<br />

Berl<strong>in</strong>, Bonn September 2000


Herausgeber:<br />

Beauftragte der Bundesregierung für<br />

Ausländerfragen<br />

11017 Berl<strong>in</strong><br />

53107 Bonn<br />

Postfach 14 02 80<br />

Internet: http://www.bundesauslaenderbeauftragte.de<br />

Druck: Bonner Universitäts-Buchdruckerei


Vorwort<br />

Kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der kennen noch ke<strong>in</strong>e Vorurteile. Ob e<strong>in</strong> anderes K<strong>in</strong>d schwarze oder grüne Augen<br />

hat, rote oder dunkle, glatte oder krause Haare, wird e<strong>in</strong>fach als e<strong>in</strong>e von vielen Möglichkeiten<br />

des Aussehens wahrgenommen.<br />

Auch Unterschiede <strong>in</strong> der Sprache, gleichgültig ob bei deutschsprachigen oder fremdsprachigen<br />

K<strong>in</strong>dern, werden zunächst e<strong>in</strong>fach registriert. Die Verständigung klappt meistens dennoch.<br />

Die Phase des K<strong>in</strong>dergartenalters ist allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e besonders wichtige für die Entwicklung<br />

des Sprechvermögens ganz allgeme<strong>in</strong>.<br />

<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten muss deshalb <strong>Sprachförderung</strong> für alle K<strong>in</strong>der se<strong>in</strong>,<br />

unabhängig von ihrer Herkunft. Alle K<strong>in</strong>der werden von pädagogisch geleiteter Förderung <strong>in</strong>terkulturellen<br />

Lernens profitieren.<br />

Das Konzept, das <strong>in</strong> dieser Broschüre vorgestellt wird, trägt den eben genannten Umständen<br />

Rechnung. Es versucht auch nicht, isoliert von den Lebenswelten der K<strong>in</strong>der nur Sprache zu<br />

fördern, sondern tut dies im Rahmen e<strong>in</strong>es situationsorientierten Ansatzes, <strong>in</strong> dem gleichzeitig<br />

allgeme<strong>in</strong>e kommunikative Fähigkeiten und auch kognitive Fähigkeiten geschult werden.<br />

Als Ausgangspunkt für <strong>Sprachförderung</strong> wird allerd<strong>in</strong>gs immer die <strong>in</strong>dividuelle Sprachsituation<br />

des K<strong>in</strong>des verstanden.<br />

Das Handbuch ist gedacht für das Leitungspersonal von K<strong>in</strong>dertagesstätten sowie für Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

und Erzieher. Nach e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>führung zur Sprachentwicklung enthält es konkrete,<br />

stark umsetzungsbezogene Anleitungen zur <strong>Sprachförderung</strong> von ausländischen wie deutschen<br />

K<strong>in</strong>dern. Auch Arbeit mit Eltern gehört dazu.<br />

Um das Handbuch für die tägliche praktische Arbeit mit den K<strong>in</strong>dern besonders geeignet zu<br />

machen, ist es als stabiles R<strong>in</strong>gbuch gebunden und mit viel Platz für eigene Notizen versehen,<br />

so dass nach e<strong>in</strong>iger Zeit jede Erzieher<strong>in</strong>, jede Leiter<strong>in</strong> ihr ganz persönliches Exemplar<br />

besitzt.<br />

Das Konzept der <strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten wurde vor Veröffentlichung mehrfach<br />

erprobt und hat sich bereits bewährt. Es wäre s<strong>in</strong>nvoll, dass viele K<strong>in</strong>dertagesstätten <strong>in</strong><br />

der Bundesrepublik von den Erfahrungen mit diesem Ansatz profitieren. Besonders erfreulich<br />

wäre es, von solchen K<strong>in</strong>dertagesstätten e<strong>in</strong>e Rückmeldung über den Erfolg bei der Anwendung<br />

des Konzepts bzw. kritische H<strong>in</strong>weise zu weiterer Verbesserung zu bekommen. Ich<br />

hoffe, dass allen Leser<strong>in</strong>nen und Lesern die Lektüre dieses Handbuches Freude macht und<br />

Interesse weckt.<br />

Marieluise Beck


<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten<br />

Gutachten vorgelegt von:<br />

Renate Militzer<br />

Helga Demandewitz<br />

Ragnhild Fuchs<br />

Dezember 1999<br />

Sozialpädagogisches Institut NRW<br />

5


Inhalt<br />

I. Theoretische Grundlagen<br />

1. Der Spracherwerb .................................................................. 08<br />

1.1 Vorstufen des Spracherwerbs.................................................... 08<br />

1.2 Stadien des Spracherwerbs ..................................................... 09<br />

2. Zweisprachigkeit im Elementarbereich............................................... 12<br />

2.1 Erstsprache und Identitätsentwicklung ........................................... 12<br />

2.2 Erst- und Zweitsprache.......................................................... 14<br />

2.3 Erwerb der Zweitsprache Deutsch ............................................... 15<br />

3. Überlegungen zur zweisprachigen Erziehung......................................... 19<br />

II. Aspekte e<strong>in</strong>er systematischen, am K<strong>in</strong>d orientierten <strong>Sprachförderung</strong><br />

1. Die Grundlagen der <strong>Sprachförderung</strong> ................................................ 20<br />

1.1 <strong>Sprachförderung</strong> als Teil der Gesamtkonzeption im Elementarbereich .............. 20<br />

1.2 Orientierung an der Lebens-/Situation von K<strong>in</strong>dern................................ 23<br />

1.3 Analyse der familiären Sprachsituation ........................................... 24<br />

1.4 Handlungsorientierte <strong>Sprachförderung</strong> ........................................... 26<br />

2. Vier Schritte zu e<strong>in</strong>er bewuûten, situationsorientierten <strong>Sprachförderung</strong> ............... 28<br />

2.1 ¹Dass wir sprechen können, heiût noch lange nicht, dass wir auch etwas sagenª . . . 28<br />

2.2 Vier Schritte .................................................................... 30<br />

2.3 Erster Schritt: E<strong>in</strong>e Situation als geeignet für <strong>Sprachförderung</strong> erkennen............ 31<br />

2.4 Zweiter Schritt: E<strong>in</strong>en ¹öffnendenª Kontakt zum K<strong>in</strong>d herstellen .................... 32<br />

2.5 Dritter Schritt: Sprache bewuût und situationsorientiert fördern .................... 35<br />

2.6 Vierter Schritt: Die Situation tabellarisch dokumentieren ........................... 36<br />

3. Den Alltag nutzen für e<strong>in</strong>e bewuûte <strong>Sprachförderung</strong> ................................. 37<br />

3.1 Tagesablauf. .................................................................... 38<br />

3.2 Raumgestaltung ................................................................ 39<br />

3.3 Materialien und Medien.......................................................... 41<br />

3.4 Öffnung zum Stadtteil ........................................................... 47<br />

4. Das Verhalten der Erzieher<strong>in</strong> ........................................................ 49<br />

4.1 Die Erzieher<strong>in</strong> als Sprachvorbild.................................................. 49<br />

4.2 Aufgaben der muttersprachlichen Erzieher<strong>in</strong> für die <strong>Sprachförderung</strong> .............. 51<br />

5. Die Zusammenarbeit mit Eltern...................................................... 52<br />

5.1 Sprachwelten der K<strong>in</strong>der kennenlernen........................................... 52<br />

5.2 Eltern über die Arbeit <strong>in</strong>formieren. ................................................ 53<br />

5.3 Kompetenzen der Eltern nutzen .................................................. 55<br />

5.4 Wertschätzung und Anerkennung ausdrücken .................................... 56<br />

7


I. Theoretische Grundlagen<br />

Sprache ist die Grundlage der Kommunikation mit anderen Menschen, durch die Gedanken<br />

und Gefühle zum Ausdruck gebracht, Bedeutungen vermittelt, Wünsche oder Begehren kundgetan,<br />

Erlebnisse verarbeitet, Erfahrungen ausgetauscht, Zusammenhänge verstanden und<br />

Handlungen geplant werden. Sprache ist erforderlich, um sich mitzuteilen und andere zu verstehen.<br />

1. Der Spracherwerb<br />

Nach HURLOCK ist die Sprachentwicklung e<strong>in</strong> Wachstumsprozeû, <strong>in</strong> dem das K<strong>in</strong>d vom<br />

Unbestimmten, Undeutlichen und zufällig Geformten zum Klaren, Deutlichen und Kontrollierten<br />

gelangt. Sprechen besteht dar<strong>in</strong>, ¹dass e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d die Bedeutung der Wörter, die es<br />

gebraucht, auch kennen muû und sie mit den Gegenständen, die sie bezeichnen, <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung<br />

br<strong>in</strong>gtª und ¹dass es se<strong>in</strong>e Wörter so ausspricht, dass sie für andere Mitglieder der<br />

Gesellschaft leicht verständlich s<strong>in</strong>dª. 1<br />

Obwohl das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e angeborene Bereitschaft mitbr<strong>in</strong>gt, Sprache zu erlernen, müssen<br />

Sprache und Sprechen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em jahrelangen Lernprozeû erworben werden. Der Erwerb der<br />

Erstsprache (Muttersprache) vollzieht sich <strong>in</strong> aufe<strong>in</strong>ander folgenden Phasen, die vermutlich<br />

für alle K<strong>in</strong>der gleich s<strong>in</strong>d, egal <strong>in</strong> welcher Sprache sie aufwachsen.<br />

Im Verlauf der Sprachentwicklung s<strong>in</strong>d groûe <strong>in</strong>dividuelle Unterschiede bei K<strong>in</strong>dern im H<strong>in</strong>blick<br />

auf die Geschw<strong>in</strong>digkeit der Entwicklung, des Wortschatzes, der Aussprache- und<br />

Satzbildungsfähigkeit zu beobachten.<br />

Wesentlich für die Sprachentwicklung s<strong>in</strong>d die Anregungen durch das Umfeld des K<strong>in</strong>des<br />

und die Motivation zum Sprechenlernen. Wichtig ist, dass K<strong>in</strong>der Sprache hören und<br />

anwenden können.<br />

1.1 Vorstufen des Spracherwerbs<br />

Die vorsprachliche Phase umfaût den Zeitraum von der Geburt bis zum ersten Wort im Alter<br />

von ca. e<strong>in</strong>em Jahr.<br />

Schreien<br />

Die Sprachentwicklung des K<strong>in</strong>des beg<strong>in</strong>nt mit dem Schreien. In den ersten Lebenstagen und<br />

Wochen ist Schreien e<strong>in</strong> Signal, das den Bezugspersonen die Wachzeiten ankündigt und sie<br />

zur Befriedigung der Bedürfnisse nach Nahrung und körperlichem Wohlbef<strong>in</strong>den auffordert.<br />

Schon nach wenigen Wochen s<strong>in</strong>d Unterschiede beim Schreien zu bemerken, d.h. das<br />

Schreien wird zunehmend differenzierter. Es gew<strong>in</strong>nt an Informationsgehalt, so dass die<br />

Bezugspersonen des K<strong>in</strong>des allmählich das Schreien aus Hunger von dem durch andere<br />

Störungen verursachten Schreien, wie Blähungen, Magenbeschwerden, unterscheiden<br />

können.<br />

Die Veränderung der Schreilaute und ihr E<strong>in</strong>satz wirken auf die mit der Pflege des K<strong>in</strong>des<br />

beschäftigten Personen wie e<strong>in</strong> auslösendes Signal. Somit haben diese Laute den Charakter<br />

e<strong>in</strong>er Mitteilung.<br />

Etwa ab der zehnten Woche treten auch Schreilaute lustvoller Art auf, die sog. Kreischlaute.<br />

Explosivlaute oder Gurren<br />

In den ersten Wochen und Monaten äuûert der Säugl<strong>in</strong>g noch e<strong>in</strong>e Reihe anderer e<strong>in</strong>facher<br />

Laute, z.B. Vokallaute, wie ¹a,äª, die häufig mit ¹hª verbunden werden, ¹ähä, häª oder Gurrund<br />

Explosivlaute: sog. rrr Ketten, Kehllaute, wie ¹ech, gu, gr, ngª. Diese Laute haben explosivartigen<br />

Charakter und werden oft durch re<strong>in</strong> zufällige Bewegungen des Stimmechanismus<br />

1 Hurlock, 1971, S. 157<br />

8<br />

Schreilaute haben<br />

Mitteilungscharakter<br />

Explosiv- und Gurrlaute<br />

entstehen <strong>in</strong> den ersten<br />

Wochen und Monaten eher<br />

zufällig<br />

Notizen


hervorgerufen. Das K<strong>in</strong>d stöût diese Laute nicht absichtlich aus; sie s<strong>in</strong>d lediglich Begleitersche<strong>in</strong>ungen<br />

und Reaktionen auf körperliche Bedürfnisse und Aktivitäten. Demnach s<strong>in</strong>d<br />

solche ¾uûerungen ke<strong>in</strong> Mittel der Verständigung, sondern lediglich e<strong>in</strong>e Art spielerischer<br />

Beschäftigung.<br />

Neben Schrei- und Kreischlauten treten weitere Laute auf, die als Quietschen, als Ausdruck<br />

von Fröhlichkeit, oder als Juchzen, als Ausdruck von Freude, bezeichnet werden.<br />

Ferner äuûert das K<strong>in</strong>d Blasreiblaute, wie ¹f, w oder sª, <strong>in</strong>dem es die Luft zwischen den<br />

geschlossenen Lippen durchpreût.<br />

Lallen<br />

Etwa vom zweiten bis dritten Monat s<strong>in</strong>d die ersten Behaglichkeitsäuûerungen wahrzunehmen.<br />

Damit erreicht das K<strong>in</strong>d die Phase des Lallens. Bei den Lalläuûerungen handelt es<br />

sich um rhythmische Lautketten, die unterschiedlich lang se<strong>in</strong> können, die e<strong>in</strong>fach oder<br />

mehrfach wiederholt werden und die den Charakter von Silben haben, die sich aus Vokalen<br />

und Konsonanten zusammensetzen, z.B. ¹ma-ma, da-da, ra-ra, de-de, ge-ge ¼ª.<br />

Im Laufe des ersten Lebensjahres nimmt die Anzahl der Laute, die e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d äuûert, ständig<br />

zu, wobei K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> dieser Zeit <strong>in</strong>dividuelle Vorlieben für bestimmte Lautkomplexe entwikkeln.<br />

Die <strong>in</strong> dieser Zeit gebildeten Lalläuûerungen können fremdartig kl<strong>in</strong>gen, weil sie nicht<br />

nur Laute der Erstsprache enthalten. Das Lallen ist nicht an bestimmte Gegenstände, Menschen<br />

oder Situationen gebunden. Obwohl manche Lalläuûerungen Wörtern gleichen, verb<strong>in</strong>det<br />

das K<strong>in</strong>d noch ke<strong>in</strong>erlei Bedeutung damit, ¹ma maª ± steht <strong>in</strong> dieser Phase noch<br />

nicht für Mutter. Der Wert des Lallens besteht <strong>in</strong> der Übung. Das Lallen wird vielfach als<br />

wichtiger Meilenste<strong>in</strong> auf dem Weg zum Sprechenlernen bezeichnet, da es für den später<br />

e<strong>in</strong>setzenden Spracherwerb e<strong>in</strong>e wichtige Funktion hat: ¹Das K<strong>in</strong>d hört se<strong>in</strong>e eigenen Laute<br />

und freut sich über die hörbar werdenden Fähigkeitenª. 2<br />

Das K<strong>in</strong>d übt <strong>in</strong> dieser Zeit vielfältige Lautverb<strong>in</strong>dungen e<strong>in</strong>. Es fängt an, se<strong>in</strong>e Lautäuûerungen<br />

zu wiederholen bzw. sich selbst nachzuahmen. Es stellt e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen<br />

Hören und Sprechen her, <strong>in</strong>dem es hört, wie es kl<strong>in</strong>gt, was es sagt, und spricht, was es<br />

hören möchte. Damit ist der erste Schritt von e<strong>in</strong>er spontanen Lautäuûerung h<strong>in</strong> zu e<strong>in</strong>er<br />

gezielten Artikulation getan, und die Lautäuûerungen des K<strong>in</strong>des werden der Erstsprache<br />

zunehmend ähnlicher. Dies führt häufig dazu, ¹dass die Familie diese Lautungen aufnimmt<br />

und dem K<strong>in</strong>d wieder vorspricht, so dass sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em häufig wiederholenden Dialog e<strong>in</strong>zelne<br />

Lautgebilde verfestigen können.ª 3<br />

Mit etwa acht bis neun Monaten beg<strong>in</strong>nt das K<strong>in</strong>d, auch zu flüstern und hört sich dabei aufmerksam<br />

zu. In den letzten Monaten des ersten Lebensjahres ist e<strong>in</strong> erstes Sprachverständnis<br />

zu beobachten. Das K<strong>in</strong>d versteht den Inhalt e<strong>in</strong>iger Worte. So wendet es z.B. den<br />

Kopf dem entsprechenden Gegenstand oder der Person zu, wenn man es fragt: ¹Wo ist<br />

¼?ª Es reagiert auf Verbote, wie ¹ne<strong>in</strong>ª, <strong>in</strong>dem es se<strong>in</strong>e Tätigkeit kurz unterbricht.<br />

Schon <strong>in</strong> den ersten Monaten wirken sich E<strong>in</strong>flüsse der Umwelt auf die Art und Häufigkeit<br />

der Lautbildung aus. Wesentlich für den Spracherwerb ist, dass die Eltern mit dem K<strong>in</strong>d<br />

von Anfang an kommunizieren und dadurch e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Erfahrungswelt aufgebaut<br />

wird. Die Eltern, die den ¹Dialogª mit dem K<strong>in</strong>d zunächst alle<strong>in</strong> aufrechterhalten, leiten das<br />

K<strong>in</strong>d an, selbst solche Konzepte und Regeln zu entwickeln, die die Grundlage für den<br />

Spracherwerb darstellen, <strong>in</strong>dem sie das Verhalten des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong>terpretieren und ihm<br />

Bedeutungen zuweisen. Das K<strong>in</strong>d ist dabei aktiv an der Interaktion beteiligt.<br />

1.2 Stadien des Spracherwerbs<br />

Etwa gegen Ende des ersten Lebensjahres bildet das K<strong>in</strong>d erste s<strong>in</strong>nvolle Wörter. Wenn es <strong>in</strong><br />

der Lage ist, Lautäuûerungen mit bestimmten Inhalten zu verb<strong>in</strong>den, setzt das eigentliche<br />

2 Gipper, 1985, S. 40<br />

3 Bov<strong>in</strong>g. In: Gipper, a.a.O., S. 91<br />

9<br />

Lallen dient der E<strong>in</strong>übung<br />

von Lautverb<strong>in</strong>dungen<br />

Gegen Ende des ersten<br />

Lebensjahres beg<strong>in</strong>nt das<br />

K<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>zelne Worte zu<br />

verstehen<br />

Die Eltern sollten schon<br />

früh mit der sprachlichen<br />

Interaktion mit dem K<strong>in</strong>d<br />

beg<strong>in</strong>nen<br />

Notizen


Sprechen e<strong>in</strong>. Aus dem Lallen wird Sprache, wenn das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen Wort<br />

und Inhalt herstellen kann.<br />

Die ersten Sprachlaute werden im Vordermund artikuliert, z.B. ¹mam, ada, dadaª. Danach<br />

folgen die Laute, die im mittleren und h<strong>in</strong>teren Mund- und Rachenbereich gebildet werden.<br />

Das Erlernen der Sprachlaute sche<strong>in</strong>t also <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bestimmten Reihenfolge stattzuf<strong>in</strong>den.<br />

E<strong>in</strong>wortphase<br />

In der ersten Phase des Spracherwerbs spricht das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige wenige Worte ± E<strong>in</strong>wortäuûerungen<br />

± , von manchen Autoren auch als E<strong>in</strong>wortsätze bezeichnet. Diese E<strong>in</strong>wortäuûerungen<br />

beziehen sich immer auf die Gesamtsituation und können Wünsche, Gefühle,<br />

Bedürfnisse, Behagen oder Unbehagen ausdrücken oder Benennungsfunktionen (Namen)<br />

haben. Sie s<strong>in</strong>d Teile e<strong>in</strong>es komplexen Handlungsschemas. So kann ¹mamaª z.B. bedeuten;<br />

¹ich möchte etwas zu essen oder ¹Mama, komm bitte herª ¼<br />

Das K<strong>in</strong>d drückt also mit e<strong>in</strong>em Wort verschiedene Bedürfnisse aus, bei denen es oft<br />

Gesten zur Hilfe nimmt, z.B. ¹daª, verbunden mit e<strong>in</strong>er Zeigegeste. Die Bedeutung dieser<br />

E<strong>in</strong>wortäuûerungen läût sich von den Bezugspersonen des K<strong>in</strong>des aus dem unterschiedlichen<br />

Tonfall, der Modulation der Stimme und der begleitenden Gestik und Mimik erkennen.<br />

Die ersten Wörter bestehen häufig aus e<strong>in</strong>em Wechsel von Vokalen und Konsonanten, z.B.<br />

¹ma-maª. Charakteristisch für diese Phase ist, dass das K<strong>in</strong>d Substantive bevorzugt.<br />

Bei diesen ersten Wörtern s<strong>in</strong>d die Bezeichnungen für Personen, Gegenstände und Situationen<br />

des e<strong>in</strong>jährigen K<strong>in</strong>des noch beliebig.<br />

Wichtig für die sprachliche Entwicklung ist die gesamte körperliche Entwicklung des K<strong>in</strong>des,<br />

die es ihm ermöglicht, verschiedene E<strong>in</strong>drücke wahrzunehmen und zu koord<strong>in</strong>ieren.<br />

Unterstützend wirken die Reaktionen der Bezugspersonen, wenn diese die Lautäuûerungen<br />

des K<strong>in</strong>des aufgreifen, wiederholen und so <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en ¹Dialogª mit dem K<strong>in</strong>d treten. Bei<br />

diesen Dialogen passen sich die Bezugspersonen dem k<strong>in</strong>dlichen Sprachverständnis an,<br />

d.h. sie verwenden e<strong>in</strong>fache Satzstrukturen, e<strong>in</strong>e langsame Sprechweise und e<strong>in</strong>en<br />

gedehnten Tonfall. ¹Die Funktion dieser Anpassungen ist offensichtlich e<strong>in</strong>e kommunikative:<br />

Die Bezugspersonen bemühen sich darum, sich dem K<strong>in</strong>d verständlich zu machen und<br />

orientieren sich dabei am k<strong>in</strong>dlichen Sprachverständnisª. 4 Mit zunehmendem Sprachverständnis<br />

des K<strong>in</strong>des erhöht sich die Komplexität des Sprachstils.<br />

Zweiwortphase<br />

Zwischen e<strong>in</strong>e<strong>in</strong>halb und zwei Jahren treten zunehmend Zweiwortäuûerungen auf. Bei den<br />

ersten Zweiwortäuûerungen wird jedes Wort e<strong>in</strong>zeln gesprochen und durch e<strong>in</strong>e Pause<br />

gegen das andere abgesetzt, d.h. die ersten Zweiwortäuûerungen bestehen aus e<strong>in</strong>er<br />

Ane<strong>in</strong>anderreihung zweier E<strong>in</strong>wortäuûerungen, z.B. ¹ata ± Puppeª.<br />

Charakteristisch für diese Phase ist der telegrammartige Stil der ¾uûerungen. Das K<strong>in</strong>d verwendet<br />

nun Substantive, Verben im Inf<strong>in</strong>itiv und e<strong>in</strong>zelne Adjektive. Es fehlen die unbestimmten<br />

(e<strong>in</strong>er, e<strong>in</strong>e, e<strong>in</strong>) und bestimmten Artikel (der, die, das), Konjunktionen (und, oder,<br />

aber), Hilfszeitwörter (se<strong>in</strong>, haben) und die Flexionsendungen bei der Pluralbildung (Ball ±<br />

Bälle) oder bei Zeitwortveränderungen.<br />

Das zweijährige K<strong>in</strong>d probiert verschiedene Verb<strong>in</strong>dungen von Lautkomplexen und Inhalten.<br />

Es wird sicherer <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en Bezeichnungen, und se<strong>in</strong> Wortschatz wächst stark an. Im<br />

Wortschatz entwickeln sich Substantive, Verben, Adjektive und Beziehungswörter.<br />

Das erste Fragealter setzt e<strong>in</strong>: das K<strong>in</strong>d fragt nach dem Namen der D<strong>in</strong>ge: ¹Ist das?ª. Es<br />

entdeckt, dass zu jedem Gegenstand e<strong>in</strong> Lautkomplex gehört, der ihn bezeichnet. Es<br />

erwacht das Bewuûtse<strong>in</strong> von der Bedeutung der Sprache. Das K<strong>in</strong>d erfährt, dass jedes<br />

D<strong>in</strong>g e<strong>in</strong>en Namen hat.<br />

4 Kolonko, 1996, S. 45<br />

10<br />

E<strong>in</strong>wortäuûerungen stehen<br />

für ganze Sätze, <strong>in</strong> denen<br />

sich Gefühle und<br />

Bedürfnisse ausdrücken<br />

Die Umwelt und die<br />

gesamtkörperliche<br />

Entwicklung haben E<strong>in</strong>fluss<br />

auf die sprachliche<br />

Entwicklung<br />

Der Wortschatz wächst und<br />

das K<strong>in</strong>d beg<strong>in</strong>nt, nach Bezeichnungen<br />

zu fragen<br />

Notizen


Mit dem Übergang zu den Zweiwortäuûerungen s<strong>in</strong>d auch die ersten Flexionsversuche zu<br />

beobachten, z.B. Pluralbildungen beim Substantiv. Nun lernt das K<strong>in</strong>d die Formen der<br />

Wortabwandlungen, nämlich die Beugung des Verbs (Konjugation), des Substantivs (Dekl<strong>in</strong>ation)<br />

und die Steigerungsformen des Adjektivs (Komparation).<br />

Allgeme<strong>in</strong> werden dabei die schwächer flektierten und regelmäûigen Formen leichter<br />

erlernt als die stark flektierten und unregelmäûigen. Diese werden oftmals durch Formen<br />

der ersten Art ersetzt, z.B. ¹gut ± güterª wie ¹groû ± gröûerª statt ¹gut ± besserª, ich habe<br />

¹getr<strong>in</strong>ktª wie ich habe ¹gemaltª statt ¹getrunkenª.<br />

In dieser Zeit wird das Sprachverständnis immer differenzierter. Das K<strong>in</strong>d versteht schon<br />

sehr viel, es kann Sprache besser verstehen als produzieren, d.h. das Verstehen von Sprache<br />

geht dem eigentlichen Sprechen voraus.<br />

Mehrwortsätze<br />

Etwa im dritten Lebensjahr spricht das K<strong>in</strong>d Mehrwortsätze mit drei oder mehr Wörtern.<br />

Auch hierbei werden die für das Verstehen wichtigen Worte geäuûert, die unwichtigen fallen<br />

weg. In der Sprache des K<strong>in</strong>des überwiegen die Inhaltswörter. Funktionswörter, wie Konjunktionen,<br />

Präpositionen, Artikel fehlen weitgehend. Die Sprache ist vielfach noch immer<br />

telegrammstilartig. Die ¾uûerungen des K<strong>in</strong>des s<strong>in</strong>d oftmals nur vor dem H<strong>in</strong>tergrund der<br />

gesamten Situation zu verstehen und zu <strong>in</strong>terpretieren.<br />

Mit dem Auftreten der Mehrwortsätze kann von grammatikalischen Strukturen gesprochen<br />

werden, z.B. aus ¹Mama Ball, Mama holen, Ball holenª wird nun ¹Mama Ball holenª (Subjekt<br />

± Prädikat ± Objekt).<br />

Die Wortstellung im Satz weicht allerd<strong>in</strong>gs noch häufig von der Erwachsenensprache ab,<br />

da das K<strong>in</strong>d Wörter voranstellt, die ihm wichtig s<strong>in</strong>d ¹Ball, gib mirª.<br />

Allmählich treten Adverbien, wie ¹da, aufª, danach Possessivpronomen ¹me<strong>in</strong>, de<strong>in</strong>ª und<br />

Präpositionen (Verhältniswörter) ¹auf, <strong>in</strong>ª. Beim Erwerb der Verhältniswörter werden Ortsbestimmungen<br />

vor Zeitbestimmungen, wie ¹jetzt, heute, gesternª erlernt. Das K<strong>in</strong>d benutzt<br />

zunächst den unbestimmten, später den bestimmten Artikel.<br />

In Verb<strong>in</strong>dung mit der geistigen Entwicklung und dem Vertrautwerden mit der Umwelt ist<br />

der Erwerb von Fragewörtern zu sehen. Zunächst treten die Fragewörter ¹wo oder wasª<br />

auf, später folgen ¹wer, wie, wieviel?ª Das K<strong>in</strong>d fragt nach dem Namen, es vergewissert<br />

sich.<br />

Das K<strong>in</strong>d verwendet vorwiegend Hauptsätze, aber schon auf verschiedene Arten, z.B. als<br />

Ausrufe-, Frage- und Aussagesätze. Es entwickelt verschiedene Nebensätze und lernt<br />

durch Über- und Unterordnung Gedanken wiederzugeben. Die ersten Nebensätze werden<br />

häufig nicht erkannt, weil sie durch e<strong>in</strong>en undef<strong>in</strong>ierbaren Universallaut, wie ¹äª oder ¹mmª<br />

e<strong>in</strong>geleitet werden. Bald folgen Verknüpfungen mit ¹und, dannª. Gegen Ende des dritten<br />

Lebensjahres treten auch die ersten Relativsätze auf.<br />

Etwa ab der zweiten Hälfte des dritten Lebensjahres bezeichnet das K<strong>in</strong>d Gegenstände<br />

und Objekte se<strong>in</strong>er Umgebung richtig. Es fragt nach dem Namen unbekannter D<strong>in</strong>ge.<br />

Dadurch nimmt der Wortschatz des K<strong>in</strong>des zu.<br />

Die Aussprache verbessert sich zunehmend. Es lernt auch die schwierigen Laute, wie ¹r<br />

und sª richtig auszusprechen. K<strong>in</strong>destümliche Sprachbildungen gehen zurück, und die K<strong>in</strong>dersprache<br />

nähert sich der Erwachsenensprache an.<br />

Zu den Strukturen, die das K<strong>in</strong>d erst spät erfaût, gehören die Passivkonstruktionen. Das<br />

Verstehen und Bilden der richtigen Passivkonstruktion fällt dem K<strong>in</strong>d am leichtesten, wenn<br />

Handelnder und Leidender logisch nicht umkehrbar s<strong>in</strong>d, wie beim folgenden Beispiel: ¹Die<br />

Maus wird von der Katze gejagtª. Der eigentliche Erwerb der Passivkonstruktionen erfolgt<br />

erst im Schulalter.<br />

Mit etwa vier Jahren hat das K<strong>in</strong>d die wesentlichen Strukturen se<strong>in</strong>er Erstsprache erworben.<br />

Es spricht überwiegend <strong>in</strong> vollständigen Sätzen. In der Regel s<strong>in</strong>d alle Wortklassen<br />

vorhanden. Das K<strong>in</strong>d kann se<strong>in</strong>e Wünsche, Gedanken und Absichten mitteilen. In der<br />

11<br />

Etwa ab dem 3. Lebensjahr:<br />

Mehrwortsätze ± noch immer<br />

im Telegrammstil und<br />

mit teilweise abweichender<br />

Satzstellung<br />

Beg<strong>in</strong>n der Über-/<br />

Unterordnung von<br />

Haupt- und Nebensätzen<br />

Entwicklung bis zum<br />

Schulalter<br />

Notizen


Sprache des K<strong>in</strong>des herrschen bis zur E<strong>in</strong>schulung im allgeme<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fache und kurze<br />

Sätze vor, die vorwiegend durch ¹undª und ¹dannª verbunden werden.Der Wortschatz vergröûert<br />

sich weiterh<strong>in</strong>. Der Erwerb von Bedeutungen, der sehr eng mit der kognitiven Entwicklung<br />

verbunden ist, setzt sich bis <strong>in</strong>s Schulalter fort. Auch das Verständnis für Passivkonstruktionen<br />

verfe<strong>in</strong>ert sich zunehmend. Relativsätze werden erst im Schulalter wirklich<br />

beherrscht.<br />

2. Zweisprachigkeit imElementarbereich<br />

Mit dem Zuzug von Migrant<strong>in</strong>nen und Migranten, Aussiedler<strong>in</strong>nen und Aussiedlern sowie<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gen hat sich <strong>in</strong> der Bundesrepublik <strong>in</strong> den letzten Jahrzehnten e<strong>in</strong>e multikulturelle<br />

Gesellschaft entwickelt, die zugleich auch e<strong>in</strong>e mehrsprachige Gesellschaft ist.<br />

Politische, ökonomische und soziale Aspekte haben dazu geführt, dass Menschen ihre<br />

Heimatländer verlassen und sich u.a. auch <strong>in</strong> der Bundesrepublik Deutschland niedergelassen<br />

haben. Wenn sie hier gesellschaftlich handlungsfähig se<strong>in</strong> wollen, müssen sie ihr<br />

Leben <strong>in</strong> der Bundesrepublik zweisprachig organisieren und gestalten. In diese zweisprachig<br />

organisierte Lebenswelt wachsen die K<strong>in</strong>der h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>, d.h. K<strong>in</strong>der aus zugewanderten<br />

Familien s<strong>in</strong>d aufgrund ihrer Lebenssituation, <strong>in</strong> ihrer Entwicklung und Persönlichkeitsbildung<br />

auf Zweisprachigkeit angewiesen.<br />

In manchen Familien mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund ist die sprachliche Situation bereits durch mehr<br />

als zwei Sprachen geprägt, weil Dialekte oder Regionalsprachen des Herkunftslandes gesprochen<br />

werden. In anderen Familien gew<strong>in</strong>nt auch die Zweitsprache Deutsch an Bedeutung.<br />

2.1 Erstsprache und Identitätsentwicklung<br />

Die Erstsprache als Begleiter<strong>in</strong> der Eltern-K<strong>in</strong>d-B<strong>in</strong>dung<br />

Schon ab der Geburt bee<strong>in</strong>fluût die Eltern-K<strong>in</strong>d-Interaktion <strong>in</strong> entscheidender Weise die<br />

Identitätsentwicklung des K<strong>in</strong>des. Neben dem Körperkontakt bieten die Eltern dem K<strong>in</strong>d<br />

mittels der Klangfarbe der gesprochenen Worte Impulse zur Verständigung an. Gleichzeitig<br />

erfährt das K<strong>in</strong>d nach und nach, dass die Zeichen se<strong>in</strong>er Bedürfnisse (z.B. Schreien oder<br />

Lächeln) verstanden (oder auch miûverstanden) werden. Die moderne Säugl<strong>in</strong>gsforschung<br />

geht davon aus, dass sich dabei erste rudimentäre Vorstellungen vom eigenen ¹auftauchenden<br />

Selbstª (STERN) entwickeln. 5 Reagieren die Eltern verläûlich und wiederholend<br />

auf die Interaktionsangebote des K<strong>in</strong>des, so helfen sie ihm, sich mehr und mehr als e<strong>in</strong><br />

Subjekt zu erfahren, das die Reaktionen se<strong>in</strong>er Bezugspersonen selbst bee<strong>in</strong>flussen kann.<br />

Nach SPITZ enthält bereits die frühe Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung Elemente, wie Aussage, Erwiderung,<br />

Streitgespräch und Zustimmung, die auch Bestandteile der späteren sprachlichen<br />

Kommunikation s<strong>in</strong>d. 6 Schon der Säugl<strong>in</strong>g erlebt sich dabei nicht nur als hilflos und abhängig<br />

von den Eltern. Indem das K<strong>in</strong>d erfährt, dass es Beziehungen mitgestalten kann, lernt<br />

es, sich selbst von den Eltern zu unterscheiden. Damit erwirbt es zugleich Grundqualifikationen<br />

für se<strong>in</strong>e Identitätsentwicklung.<br />

Bereits <strong>in</strong> diesen frühen Dialogen macht das K<strong>in</strong>d also Erfahrungen, die für den weiteren<br />

Verlauf der Identitätsentwicklung von Bedeutung s<strong>in</strong>d: In e<strong>in</strong>er verläûlichen Interaktion mit<br />

Mutter und Vater erlebt es Geborgenheit und Sicherheit und entwickelt dadurch Urvertrauen<br />

(ERIKSON) 7 . Dieses hilft ihm dabei, e<strong>in</strong> positives Selbstbild aufzubauen. Der Dialog mit<br />

der Umwelt ist damit e<strong>in</strong> Beitrag zur Entstehung, Entwicklung und schlieûlich Stabilisierung<br />

der Ich-Identität des K<strong>in</strong>des.<br />

Dabei begleitet die Sprache der Eltern schon ab der Geburt die Kommunikation mit dem<br />

K<strong>in</strong>d. Die Eltern reden mit dem K<strong>in</strong>d. Sie reagieren mit ihrer Sprache und ihrer Körperspra-<br />

5 Stern, 1992<br />

6 Spitz, 1970<br />

7 Erikson, 1991<br />

12<br />

Zwei- oder mehrsprachige<br />

Lebenswelten <strong>in</strong> der<br />

heutigen Bundesrepublik<br />

Die Eltern-K<strong>in</strong>d-Beziehung<br />

prägt die Identitätsentwicklung<br />

Die Sprache der Eltern<br />

spielt für e<strong>in</strong> positives<br />

Selbstbild e<strong>in</strong>e wichtige<br />

Rolle<br />

Notizen


che auf die Kommunikationsangebote des K<strong>in</strong>des. Klang und Stimmführung transportieren<br />

Gefühle und Stimmungen, die das K<strong>in</strong>d versteht, schon lange bevor es selbst sprechen<br />

kann.<br />

Nicht nur die Mutter, auch der Vater oder andere wichtige Bezugspersonen erfahren im<br />

Kontakt mit dem K<strong>in</strong>d recht schnell, wie sie mit ihrer Stimme spezifische Klangfarben,<br />

Melodien und Modulationen erzeugen, die dem K<strong>in</strong>d Geborgenheit und Sicherheit vermitteln<br />

oder auch Aufmerksamkeit beim K<strong>in</strong>d hervorrufen können. ¹Die Eltern Neugeborener<br />

lernen rasch, welche Tonhöhe die Aufmerksamkeit ihres Babys zu wecken vermag. ¼ Aufmerksame<br />

Eltern werden überdies früher oder später feststellen, dass die Babys ihre Bewegungen<br />

dem Rhythmus der elterlichen Stimmen anpassen und sie selbst, umgekehrt, das<br />

Gleiche tun.ª 8 Nach e<strong>in</strong>er Untersuchung von CONDON und SANDER 9 gleichen Neugeborene<br />

bereits unmittelbar nach der Geburt ihre Bewegungen dem Rhythmus der Stimme<br />

ihrer Mutter an. ¹Dies ist e<strong>in</strong> Beispiel für die groûe, wechselseitige Anpassungsfähigkeit <strong>in</strong><br />

der frühen K<strong>in</strong>dheit. Die Bewegungen des Babys stimmen mit denen der Mutter übere<strong>in</strong>,<br />

die ihrerseits ihren Sprachrhythmus den Bewegungen des Babys anpaût.ª 10 Hieran wird<br />

deutlich, welche starke Bedeutung die Erstsprache <strong>in</strong> der Entwicklung des K<strong>in</strong>des hat. Es<br />

ist die Sprache, die mit ihrem spezifischen Rhythmus und Klang dem K<strong>in</strong>d erste Erfahrungen<br />

des geme<strong>in</strong>samen Verstehens ermöglicht und damit die B<strong>in</strong>dung zwischen den Eltern<br />

und dem K<strong>in</strong>d festigt. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass sowohl die <strong>in</strong>dividuelle<br />

Stimmführung der Eltern als auch die mit der Erstsprache verbundenen sprachspezifischen<br />

Eigenheiten (sprach- und dialektbezogene Lautbildung und Klangfarben) das K<strong>in</strong>d<br />

als vertraut wahrnimmt; andere regionalspezifische Dialekte oder Sprachen können dagegen<br />

als fremd wahrgenommen werden. Die Sprache der Eltern ist durch diese ersten B<strong>in</strong>dungserfahrungen<br />

stark emotional besetzt.<br />

Auch der Aufbau von Beziehungen zum Vater, zu den Geschwistern und Groûeltern, die dem<br />

K<strong>in</strong>d dabei helfen können, e<strong>in</strong> Selbstbild <strong>in</strong> Abgrenzung zu ihnen aufzubauen, wird durch die<br />

Erstsprache begleitet. Damit ist die Erstsprache wichtiger Bestandteil des familiären B<strong>in</strong>dungsgefüges.<br />

Wird dem K<strong>in</strong>d zu e<strong>in</strong>em späteren Zeitpunkt verwehrt, se<strong>in</strong>e Erstsprache zu<br />

sprechen, so kann sich dies auch auf die Beziehungen zu Familienangehörigen auswirken.<br />

Da sich die Identitätsentwicklung des K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> sozialen Bezügen se<strong>in</strong>es direkten und später<br />

auch erweiterten familiären Umfeldes vollzieht, werden mit der Erstsprache zugleich<br />

spezifische soziale Regeln, Normen und Werte vermittelt, die dem K<strong>in</strong>d Orientierungspunkte<br />

für den Aufbau se<strong>in</strong>er Identität bieten. ¹In der Mutter-K<strong>in</strong>d-Dyade vermittelt, ist<br />

Sprache das Produkt geme<strong>in</strong>samer Teilnahme an gesellschaftlicher Praxis. ¼ Das K<strong>in</strong>d<br />

lernt also die Regeln der Sprache nicht isoliert, sondern sie haben ihren Ursprung <strong>in</strong> Strukturen<br />

des sozialen Handelns.ª 11 Im weiteren Verlauf se<strong>in</strong>es Spracherwerbs lernt das K<strong>in</strong>d<br />

mit den grammatikalischen Regeln ¹zugleich die ihnen zugrundeliegenden sozialen Konventionen,<br />

die <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em gesellschaftlichen System anerkannten und def<strong>in</strong>ierten Rollen und<br />

Positionen.ª 12 Mittels der Erstsprache werden dem K<strong>in</strong>d also wichtige Orientierungspunkte<br />

für den Aufbau se<strong>in</strong>er Identität vermittelt.<br />

Die Bedeutung der Erstsprache für die Identitätsentwicklung während des Spracherwerbs<br />

Im Verlauf der Identitätsentwicklung des K<strong>in</strong>des stellt der Spracherwerb e<strong>in</strong>e wichtige Errungenschaft<br />

dar. Mittels der Erstsprache kann das K<strong>in</strong>d nun se<strong>in</strong>en Gefühlen, Bedürfnissen und<br />

Interessen e<strong>in</strong>en sprachlichen Ausdruck geben. Diese Fähigkeit unterstützt es dabei, sich<br />

deutlicher von se<strong>in</strong>en Bezugspersonen abzugrenzen und dabei se<strong>in</strong> Selbstbild zu festigen.<br />

18 Brazelton/Cramer, 1991, S. 76 f<br />

19 Condon/Sander, 1975. In: Brazelton/Cramer, 1991<br />

10 Brazelton/Cramer, 1991, S. 77 f<br />

11 Oerter/Montada, 1987, S. 599 f<br />

12 Peukert, 1985, S. 326<br />

13<br />

Die (Erst-)Sprache<br />

vermittelt auch soziale<br />

Regeln, Normen und Werte<br />

Notizen


Mit Hilfe der Sprache wird das K<strong>in</strong>d nun auch e<strong>in</strong> Stück unabhängiger von se<strong>in</strong>en Eltern: Es<br />

kann sich abwesende Gegenstände, Ereignisse und Personen <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vorstellung wachrufen.<br />

Rollenspiele, <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong>der symbolisch ihre Erfahrungen und Bedürfnisse ausdrükken<br />

und verarbeiten, gew<strong>in</strong>nen immer mehr an Bedeutung.<br />

Für den Zusammenhang von Identität und Sprache ist darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong> weiterer Aspekt<br />

bedeutsam: Die Sprachentwicklung e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des ist e<strong>in</strong>gebettet <strong>in</strong> e<strong>in</strong> Wechselspiel von<br />

kognitiver und <strong>in</strong>teraktiver Entwicklung. 13<br />

Alle drei Entwicklungsstränge<br />

bee<strong>in</strong>flussen sich wechselseitig.<br />

<br />

Sie fördern gegenseitig ihre Weiter-<br />

<br />

entwicklung und s<strong>in</strong>d dabei Motor<br />

für die Identitätsentwicklung: Wenn<br />

e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d ¹merktª, dass se<strong>in</strong>e Fähig-<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

keit, sich mit Gestik und Mimik<br />

non-verbal auszudrücken (<strong>in</strong>teraktive<br />

Kompetenz), nicht mehr ausreicht,<br />

um voll und ganz verstanden<br />

zu werden, so wird es sich<br />

bemühen, se<strong>in</strong>e sprachlichen<br />

Kompetenzen voranzutreiben.<br />

¾hnlich verhält es sich mit se<strong>in</strong>en<br />

<br />

<br />

kognitiven Kompetenzen. Neue<br />

Entdeckungen und Erfahrungen<br />

will e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d meist auch se<strong>in</strong>en<br />

Eltern oder anderen Bezugspersonen<br />

mitteilen. Oft kann beobachtet<br />

werden, wie K<strong>in</strong>der um Worte r<strong>in</strong>gen,<br />

um anderen verständlich zu machen, wovon sie so begeistert s<strong>in</strong>d.<br />

Die Entwicklung sprachlicher, kognitiver und <strong>in</strong>teraktiver Kompetenzen stärken das K<strong>in</strong>d<br />

zugleich dar<strong>in</strong>, se<strong>in</strong>e Identität <strong>in</strong> Kommunikation mit anderen zu erweitern und dabei auch<br />

zu stabilisieren.<br />

Damit das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> positives Selbstbild entwickeln kann, ist es wichtig, dass die Erstsprache<br />

des K<strong>in</strong>des wertgeschätzt wird. Es ist die Sprache, mit der es erste wichtige Schritte<br />

beim Aufbau se<strong>in</strong>er Identität bereits bewältigt hat. Nicht nur die Eltern, auch das weitere<br />

Umfeld können durch ihre Haltung dazu beitragen, dass sich das K<strong>in</strong>d mit se<strong>in</strong>er Erstsprache<br />

¹<strong>in</strong> der eigenen Hautª wohl fühlen kann.<br />

2.2 Erst- und Zweitsprache<br />

Wenn K<strong>in</strong>der den K<strong>in</strong>dergarten besuchen, müssen sie oft auf der Grundlage e<strong>in</strong>er noch wenig<br />

beherrschten Erstsprache die Zweitsprache Deutsch erlernen. Unter H<strong>in</strong>weis auf die bevorstehende<br />

E<strong>in</strong>schulung fordern manche Eltern e<strong>in</strong>e ausschlieûliche Betreuung <strong>in</strong> der Zweitsprache<br />

Deutsch. Aber auch viele Erzieher<strong>in</strong>nen s<strong>in</strong>d der Me<strong>in</strong>ung, dass Eltern im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Integration Gespräche mit ihren K<strong>in</strong>dern nur noch <strong>in</strong> der Zweitsprache Deutsch führen sollten,<br />

weil sie sich hierdurch Unterstützung für die eigene Arbeit <strong>in</strong> den Gruppen erhoffen.<br />

Vielfach ist zu beobachten, dass die Erstsprache der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der alltäglichen Arbeit nicht<br />

zur Kenntnis genommen oder als H<strong>in</strong>dernis beim Erwerb der Zweitsprache angesehen und<br />

als Familienangelegenheit abgetan wird.<br />

Dieses Vorgehen kann sich jedoch als äuûerst problematisch für die weitere Entwicklung<br />

der K<strong>in</strong>der erweisen, wenn man die vielfältigen Funktionen der Erstsprache berücksichtigt.<br />

13 Peukert, 1985, S. 326<br />

14<br />

Bei der Identitätsentwicklung<br />

bee<strong>in</strong>flussen sich<br />

sprachliche, kognitive und<br />

<strong>in</strong>teraktive Kompetenzen<br />

gegenseitig<br />

Im K<strong>in</strong>dergarten: Betreuung<br />

am besten nur auf<br />

deutsch?<br />

Bedeutung der Erstsprache für<br />

das Selbstwertgefühl und für<br />

das Erlernen anderer (Sprach-)<br />

Fähigkeiten<br />

Notizen


Das K<strong>in</strong>d hat se<strong>in</strong>e ersten Erfahrungen <strong>in</strong> der Sprache der Familie gemacht, es hat gelernt,<br />

se<strong>in</strong>e Gefühle auszudrücken und se<strong>in</strong>e Erfahrungen und Erlebnisse mitzuteilen. Die Erstsprache<br />

ist also Teil se<strong>in</strong>er selbst geworden. E<strong>in</strong>e Ablehnung oder Leugnung der Sprache<br />

kann beim K<strong>in</strong>d zu e<strong>in</strong>er Bee<strong>in</strong>trächtigung se<strong>in</strong>es Selbstwertgefühls führen und den Aufbau<br />

e<strong>in</strong>es Selbstbewuûtse<strong>in</strong>s verh<strong>in</strong>dern ¹im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er tiefen Sicherheitª, dass es über Fähigkeiten<br />

verfügt, die von anderen Menschen anerkannt werden. Dieses Selbstbewuûtse<strong>in</strong><br />

wiederum ist Voraussetzung für Interesse an und Offenheit gegenüber Lernprozessen,<br />

auch gegenüber Sprach-Lernprozessen; es erleichtert dem K<strong>in</strong>d den Erwerb anderer<br />

Fähigkeiten und Fertigkeiten.<br />

E<strong>in</strong>e Förderung der erstsprachigen Fähigkeiten des K<strong>in</strong>des dient zudem der Kommunikation<br />

zwischen K<strong>in</strong>dern und ihren Bezugspersonen. Die Möglichkeit, Erfahrungen und Erlebnisse<br />

von auûerhalb <strong>in</strong> der Familie mitzuteilen und dadurch die Verb<strong>in</strong>dung zwischen zwei<br />

oftmals recht unterschiedlichen Erfahrungsbereichen ± hier Familie, dort K<strong>in</strong>dergarten oder<br />

Schule ± herzustellen, wird dadurch begünstigt.<br />

E<strong>in</strong>e fehlende Unterstützung führt dagegen dazu, dass das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en <strong>in</strong>dividuellen Entwicklungsmöglichkeiten<br />

und se<strong>in</strong>en Chancen auf selbstbestimmte und gleichberechtigte<br />

Partizipation am Leben se<strong>in</strong>er ethnischen Gruppe e<strong>in</strong>geschränkt wird.<br />

Neben diesen emotionalen und sozialen Bee<strong>in</strong>trächtigungen kann e<strong>in</strong>e Vernachlässigung<br />

der Erstsprache auch Probleme im kognitiven Bereich mit sich br<strong>in</strong>gen und zu schulischem<br />

Versagen führen.<br />

Aus der Sprachforschung ist seit e<strong>in</strong>iger Zeit bekannt, dass K<strong>in</strong>der, die ihre Erstsprache<br />

beherrschen, weniger Schwierigkeiten beim Erwerb e<strong>in</strong>er zweiten Sprache haben, weil sie<br />

bereits <strong>in</strong> der Erstsprache grundlegende sprachliche, kommunikative, soziale, emotionale<br />

und kognitive Fähigkeiten erworben haben, die das Erlernen e<strong>in</strong>er zweiten Sprache begünstigen.<br />

Sie ¹wissenª z.B., dass e<strong>in</strong>e Sprache nach Regeln aufgebaut ist und dass e<strong>in</strong><br />

wesentlicher Teil der Kommunikation an Sprache geknüpft ist. Untersuchungen zur Zweisprachigkeit<br />

zeigen, dass es zu Schwierigkeiten <strong>in</strong> der Zweitsprache kommen kann, wenn<br />

nur der Zweitspracherwerb gefördert und die Erstsprache vernachlässigt wird.<br />

In Alltagssituationen ist zu beobachten, dass K<strong>in</strong>der flieûend und akzentfrei über alltägliche<br />

D<strong>in</strong>ge sprechen. Erst beim genauen Zuhören und schlieûlich <strong>in</strong> der Schule wird deutlich,<br />

wie unzureichend die sprachlichen Fähigkeiten s<strong>in</strong>d, wie ger<strong>in</strong>g der Wortschatz ist, welche<br />

Mängel beim Satzbau und auf der abstrakten Ebene der Begriffe vorliegen. Erfahrungsgemäû<br />

reicht es nicht aus, wenn die erstsprachlichen Fähigkeiten von K<strong>in</strong>dern erst <strong>in</strong> der<br />

Schule gefördert werden.<br />

Der besonderen Bedeutung, die die Erstsprache für die Entwicklung von K<strong>in</strong>dern hat, wird<br />

auch <strong>in</strong> der UN-K<strong>in</strong>derkonvention <strong>in</strong> Artikel 30 Rechnung getragen, wenn dort das Recht<br />

des K<strong>in</strong>des auf se<strong>in</strong>e eigene Sprache betont wird:<br />

¹In Staaten, <strong>in</strong> denen es ethnische, religiöse oder sprachliche M<strong>in</strong>derheiten oder Ure<strong>in</strong>wohner<br />

gibt, darf e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d, das e<strong>in</strong>er solchen M<strong>in</strong>derheit angehört oder Ure<strong>in</strong>wohner ist,<br />

nicht das Recht vorenthalten werden, <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>schaft mit anderen Angehörigen se<strong>in</strong>er<br />

Gruppe se<strong>in</strong>e eigene Kultur zu pflegen, sich zu se<strong>in</strong>er eigenen Religion zu bekennen und sie<br />

auszuüben oder se<strong>in</strong>e eigene Sprache zu verwenden.ª<br />

2.3 Erwerb der Zweitsprache Deutsch<br />

Beim Besuch von Tagese<strong>in</strong>richtungen oder Schulen, bei Kontakten zu Gleichaltrigen oder<br />

<strong>in</strong> Gesprächen mit älteren Geschwistern steht oft die Zweitsprache Deutsch im Vordergrund.<br />

Um sich hier zurechtf<strong>in</strong>den und wohl fühlen zu können, um deutsche Freunde<br />

gew<strong>in</strong>nen oder um den Anforderungen auûerhalb der Familie entsprechen zu können, s<strong>in</strong>d<br />

die K<strong>in</strong>der auf die Zweitsprache Deutsch angewiesen, d.h. e<strong>in</strong> wichtiger Teil ihrer Entwicklung<br />

und ihres Lebens spielt sich <strong>in</strong> dieser Sprache ab.<br />

15<br />

Vernachlässigung der<br />

Erstsprache kann zu<br />

schulischem Versagen<br />

führen<br />

UN-K<strong>in</strong>derkonvention,<br />

Art. 30<br />

Notizen


Der Besuch des K<strong>in</strong>dergartens bedeutet für viele K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e groûe Umstellung und Neuorientierung.<br />

Auffallend ist, dass viele K<strong>in</strong>der aus zugewanderten Familien zu Beg<strong>in</strong>n des<br />

K<strong>in</strong>dergartenbesuchs ¹sprachlosª werden. Sie werden mit zum Teil noch fremden Lebensgewohnheiten,<br />

anderen Erziehungsvorstellungen und Regeln konfrontiert und können sich<br />

sprachlich nicht oder nur unzureichend verständigen, weil ihre Sprache als wichtige Orientierungshilfe<br />

von der Erzieher<strong>in</strong> nicht verstanden wird. Sie können ihre Bedürfnisse, ihre<br />

Unsicherheiten und ¾ngste nicht mitteilen, fühlen sich unverstanden, fremd, der Situation<br />

nicht gewachsen und müssen zunächst immer wieder mit neuen Situationen zurechtkommen.<br />

Das <strong>in</strong> diesen Situationen Unvertraute, Fremde kann dazu führen, dass K<strong>in</strong>der ihrem<br />

Bedürfnis, sich mitzuteilen und verstanden zu werden, nicht nachgeben. K<strong>in</strong>der erforschen<br />

ihre Umwelt ± so MASLOW ± gerne ¹aus e<strong>in</strong>em sicheren Hafen heraus.ª 14 Unsicherheit<br />

und Angst können stärker se<strong>in</strong> als Neugier und damit Lernbereitschaft e<strong>in</strong>schränken.<br />

K<strong>in</strong>der aus zugewanderten Familien erwerben <strong>in</strong> der Regel die Zweitsprache Deutsch unter<br />

natürlichen Bed<strong>in</strong>gungen, d.h. sie erlernen die zweite Sprache über die Kommunikation mit<br />

anderen. Dieser Prozeû wird daher auch als natürlicher oder ungesteuerter Zweitspracherwerb<br />

bezeichnet. Voraussetzung für e<strong>in</strong>en ungesteuerten Zweitspracherwerb ist e<strong>in</strong>e sprachanregende<br />

Umwelt, <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>der Sprache anwenden können.<br />

Spracherwerb ± e<strong>in</strong> kreativer Prozeû<br />

Das Erlernen e<strong>in</strong>er zweiten Sprache ist e<strong>in</strong> kreativer Prozeû, d.h. K<strong>in</strong>der sprechen nicht nur<br />

e<strong>in</strong>fach nach, was ihnen vorgesprochen wird. Sie erlernen die Sprache nach bestimmten<br />

Grundpr<strong>in</strong>zipien.<br />

Sie greifen e<strong>in</strong>zelne Elemente aus den ¾uûerungen ihrer Umgebung auf und bilden sich<br />

daraus e<strong>in</strong> eigenständiges grammatikalisches System, das <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Bereichen mit dem<br />

Erwachsenenmodell übere<strong>in</strong>stimmt, <strong>in</strong> anderen Bereichen von der zu erlernenden Sprache<br />

abweicht und das sie ± entsprechend der Rückmeldung aus ihrer Umgebung ± prüfen,<br />

ergänzen und verändern. Das Aufnehmen, Überprüfen und Verarbeiten von Informationen<br />

erfolgt dabei nicht willkürlich, sondern unterliegt bestimmten Gesetzmäûigkeiten, die dem<br />

K<strong>in</strong>d allerd<strong>in</strong>gs nicht bewuût s<strong>in</strong>d.¹E<strong>in</strong> entscheidendes Merkmal des natürlichen Zweitspracherwerbs<br />

sche<strong>in</strong>t (¼) zu se<strong>in</strong>, dass das K<strong>in</strong>d die Zielstrukturen nicht <strong>in</strong> der vorgegebenen<br />

14 Maslow, 1973<br />

16<br />

Unsicherheit und Angst<br />

bee<strong>in</strong>trächtigen<br />

Sprechfreude und<br />

Lernbereitschaft<br />

Grundpr<strong>in</strong>zipien des<br />

Zweitspracherwerbs<br />

Notizen


Form aufgreift und speichert, sondern sie vielmehr <strong>in</strong> ihre Bestandteile auflöst, um dann aus<br />

diesen Bestandteilen nach festen Regeln ¾uûerungen zu bilden.ª 15 Über verschiedene Zwischenstadien<br />

nähern sich K<strong>in</strong>der allmählich dem Erwachsenenmodell an.<br />

Erstsprachliche Vorkenntnisse<br />

Der Erwerb der zweiten Sprache läût sich auch als e<strong>in</strong> Prozeû beschreiben, der ähnlich verläuft<br />

wie der Erwerb der ersten Sprache. Dabei kommen das sprachliche Vorwissen und<br />

die Vorerfahrungen aus dem Erstspracherwerb auf unterschiedliche Weise bei der Lautbildung,<br />

beim Wortschatz und Satzbau als auch bei den Phasen des Zweitspracherwerbs<br />

zum Tragen. K<strong>in</strong>dergartenk<strong>in</strong>der verfügen über Erfahrungen mit der Erstsprache und haben<br />

bereits sprachliche Fertigkeiten entwickelt, auf die sie beim Erlernen der zweiten Sprache<br />

zurückgreifen können. Aufgrund der erstsprachlichen Vorkenntnisse s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der oftmals<br />

imstande, den Sprach-Lernprozess <strong>in</strong> der Zweitsprache Deutsch effektiver zu gestalten.<br />

Verstehen von Sprache geht dem eigentlichen Sprechen voran<br />

Hier s<strong>in</strong>d oftmals groûe Unterschiede bei K<strong>in</strong>dern festzustellen. So ist im K<strong>in</strong>dergarten zu<br />

beobachten, dass e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>der erst nach e<strong>in</strong>igen Monaten sprechen, wenn sie vieles<br />

verstehen und sie sich e<strong>in</strong>igermaûen sicher fühlen, dass andere K<strong>in</strong>der dagegen sich<br />

bereits nach e<strong>in</strong>igen wenigen Worten <strong>in</strong> der zweiten Sprache versuchen.<br />

Wichtig ist, das K<strong>in</strong>d anzusprechen, ihm Sprachmuster anzubieten, ohne e<strong>in</strong>e Antwort zu<br />

erwarten. Es ist davon abzuraten, ¹das K<strong>in</strong>d verfrüht zum Nachsprechen aufzufordern.<br />

Nachsprechen nützt <strong>in</strong> dieser Phase wenig, da sich das K<strong>in</strong>d die Bedeutung des Gesprochenen<br />

erst noch erschlieûen muû.ª 16<br />

Orientierung an Regeln und Strukturen<br />

E<strong>in</strong> grundlegendes Merkmal des Zweitspracherwerbs ist, dass er <strong>in</strong> bestimmten Entwicklungssequenzen,<br />

<strong>in</strong> bestimmten Abfolgen, verläuft. Bestimmte Strukturen treten erst dann<br />

auf, wenn K<strong>in</strong>der zuvor andere bestimmte Strukturen verwendet haben. So ist e<strong>in</strong>e Verne<strong>in</strong>ung<br />

im Satz, z.B. ¹ich möchte nicht malenª, erst dann möglich, wenn das K<strong>in</strong>d vorher Formen<br />

der satzexternen Verne<strong>in</strong>ung durchlaufen hat, z.B. ¹ne<strong>in</strong>, ich komm dochª. Diese<br />

Abfolgen <strong>in</strong> der sprachlichen Entwicklung können unterschiedlich lang se<strong>in</strong>. Auch e<strong>in</strong> Überspr<strong>in</strong>gen<br />

e<strong>in</strong>zelner Stadien ist nicht auszuschlieûen.<br />

Aufgrund ihrer Kenntnisse aus der Erstsprache ¹wissenª K<strong>in</strong>der auch, dass sprachliche<br />

¾uûerungen <strong>in</strong> bestimmte Satzstrukturen gekleidet werden, dass Fragen gestellt und<br />

Begründungen gegeben werden können, dass sprachliche Mitteilungen nicht durch e<strong>in</strong><br />

wahlloses Ane<strong>in</strong>anderreihen von Wörtern gebildet werden, sondern dass bestimmte<br />

Regeln und Ordnungspr<strong>in</strong>zipien angewendet werden müssen. Dazu müssen die K<strong>in</strong>der<br />

zuerst das Grundverständnis für e<strong>in</strong>e bestimmte Struktur erworben haben, bevor sie <strong>in</strong> der<br />

Lage s<strong>in</strong>d, diese ¹erkannteª Struktur anzuwenden. Dabei beg<strong>in</strong>nen sie mit e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>fachen<br />

Satzbau und sog. Kopulasätzen, d.h. mit Sätzen, die mit dem Hilfsverb ¹se<strong>in</strong>ª gebildet werden,<br />

z.B. ¹ich se<strong>in</strong> Jungeª. Allmählich werden die Sätze länger und enthalten Vollverben,<br />

wie ¹gehen, essenª und Modalverben, wie ¹können, sollenª. Schlieûlich wird der Satzbau<br />

komplexer, unterschiedliche Verbformen werden e<strong>in</strong>gebracht und das K<strong>in</strong>d ist imstande,<br />

schwierige Sätze zu bilden und sich zu verständigen.<br />

Das K<strong>in</strong>d baut also se<strong>in</strong>e Sätze über verschiedene Stadien nach dem Erwachsenenmodell<br />

aus, wie die folgenden Beispiele zeigen:<br />

¹du kannst blau (= du kannst den blauen Stift nehmen)<br />

ich gemacht e<strong>in</strong> Hund<br />

du kannst das sehen.ª 17<br />

15 Felix, 1982, S. 63<br />

16 Müller/Rösch, 1985, S. 68 f<br />

17 Felix, 1978, S. 108 ff<br />

17<br />

Das K<strong>in</strong>d nicht zum (Nach-)<br />

Sprechen zw<strong>in</strong>gen<br />

Stufenfolge des<br />

Zweitspracherwerbs<br />

Erlernen von Satzstrukturen<br />

auf Basis der Erstsprache<br />

Notizen


Der Erwerb von Lauten, von Aussprache<br />

und Betonung geht mit<br />

dem Erlernen anderer Bereiche der<br />

Zweitsprache e<strong>in</strong>her, wobei jüngere<br />

K<strong>in</strong>der meist wenig Ausspracheschwierigkeiten<br />

haben.<br />

K<strong>in</strong>der im K<strong>in</strong>dergartenalter verfügen<br />

bereits über bestimmte Alltagsbegriffe.<br />

Sie wissen z.B., was Tisch,<br />

Brot, essen, schlafen, warm oder<br />

kalt ist. Sie wissen jedoch vielfach<br />

nicht, wie sie dies <strong>in</strong> der Zweitsprache<br />

benennen sollen. Es ist im K<strong>in</strong>dergarten<br />

aber auch immer wieder<br />

zu beobachten, dass K<strong>in</strong>der neue<br />

Alltagsbegriffe erlernen, die ihnen<br />

von der Erstsprache her noch unbekannt<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Im K<strong>in</strong>dergarten werden sie nun<br />

über Spiel- und Handlungssituationen,<br />

<strong>in</strong> denen Sprache und Tun des<br />

K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>heit bilden, an die<br />

zweite Sprache herangeführt.<br />

Manchmal können sie dabei die Bedeutung des Gesprochenen aus dem nichtsprachlichen<br />

Teil der Situationen entnehmen, z.B. bei der Begrüûung oder bei der Verabschiedung.<br />

Das K<strong>in</strong>d nimmt zunächst e<strong>in</strong>zelne Wörter aus den gehörten ¾uûerungen auf. Hierbei handelt<br />

es sich oftmals um Alltagsbegriffe. Weiterh<strong>in</strong> nimmt es aus den ¾uûerungen aus se<strong>in</strong>er<br />

Umgebung e<strong>in</strong>zelne sprachliche Elemente auf, z.B. Regeln für die Wortstellung oder für die<br />

Verne<strong>in</strong>ung im Satz, und versucht, se<strong>in</strong>e ¾uûerungen nach den von ihm erkannten Regeln<br />

zu bilden.<br />

Beim Erwerb der Zweitsprache ist zu beobachten, dass K<strong>in</strong>der im Satz solche Wörter auslassen,<br />

die wenig Informationen enthalten und deren Bedeutung aus der Situation heraus erfaût<br />

werden kann, z.B. ¹Puppenecke spielenª, statt ¹ich möchte <strong>in</strong> der Puppenecke spielen.ª Bei<br />

den Wörtern, die das K<strong>in</strong>d oftmals ausläût ± die auch Funktionswörter genannt werden ± handelt<br />

es sich um Pronomen (z.B. Personalpronomen: ich, du), Präpositionen (mit, <strong>in</strong>), Artikel<br />

(der, die, das), Konjunktionen (und, oder), Hilfsverben (können, wollen, se<strong>in</strong>, müssen) und Flexionsendungen<br />

(z.B. der Wald ± des Waldes). Dagegen werden Inhaltswörter, wie Substantive<br />

(z.B. Puppenecke), Verben (z.B. spielen) und Adjektive (z.B. schnell, schön) beibehalten.<br />

Zudem gibt es <strong>in</strong> der deutschen Sprache e<strong>in</strong>e Vielfalt an Wortformen, die sich aufgrund von<br />

Pluralbildung (z.B. das Tier ± die Tiere), Dekl<strong>in</strong>ation (z.B. das Buch ± des Buches) und Konjugation<br />

(z.B. ich male ± ich habe gemalt) ergeben und durch Wortendungen, Vorsilben,<br />

Artikel, Präpositionen, Pronomen oder durch Wortstellung im Satz gebildet werden.<br />

Das K<strong>in</strong>d reduziert oft die Vielfalt <strong>in</strong> den Wortformen auf e<strong>in</strong>ige wenige und erleichtert sich<br />

auf diese Weise den E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die neue Sprache. So verwendet es z.B. beim E<strong>in</strong>satz von<br />

Artikeln (der, die, das) nur e<strong>in</strong>en statt drei Artikel, den es dann <strong>in</strong> verschiedenen Situationen<br />

gebraucht (z.B. die Puppe, die Ball, die Buch).<br />

Auch bei der Anwendung von Regeln treten beim Erlernen der neuen Sprache Abweichungen<br />

auf, wenn das K<strong>in</strong>d z.B. sagt: ¹Der Vogel hat ges<strong>in</strong>gtª. Das K<strong>in</strong>d hat hier e<strong>in</strong> falsches<br />

Partizip gewählt. Wenn man allerd<strong>in</strong>gs bedenkt, wie regelmäûige Verben ihr Partizip bilden,<br />

hat sich das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>er Form bedient, die möglich ist. Es hat z.B. gelernt, wie schwache<br />

Verben das Partizip bilden: malen ± gemalt, machen ± gemacht und überträgt diese Form<br />

auch auf alle starken Verben, wie s<strong>in</strong>gen ± ges<strong>in</strong>gt, tr<strong>in</strong>ken ± getr<strong>in</strong>kt.<br />

18<br />

H<strong>in</strong>zulernen neuer Alltagsbegriffe<br />

und Sprachregeln<br />

über Spiel- und Handlungssituationen<br />

Regelabweichungen beim<br />

Erwerb der Zweitsprache<br />

(Übergangsstadium)<br />

Notizen


Ferner s<strong>in</strong>d Abweichungen auch bei der Pluralbildung zu beobachten, nämlich dann, wenn<br />

das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e unveränderte S<strong>in</strong>gularbildung beibehält, z.B. e<strong>in</strong> Haus ± zwei Haus.<br />

Mit Hilfe dieser Strategien (Auslassen, Reduzieren der Formenvielfalt, Anwendung von<br />

Regeln) nähert sich das K<strong>in</strong>d allmählich der korrekten Sprachform.<br />

Dabei kann das K<strong>in</strong>d nur solche Sprachformen aufnehmen, die <strong>in</strong> se<strong>in</strong> momentanes<br />

Sprachsystem h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>passen. Das K<strong>in</strong>d braucht darum e<strong>in</strong>e sprachanregende Umgebung,<br />

damit es erfährt, dass und wie es se<strong>in</strong>e Sprache ändern und ausbauen muû. Direkte Korrekturen,<br />

wie ¹das ist falschª oder ¹so heiût das nichtª verbunden mit e<strong>in</strong>em Nachsprechen-lassen<br />

der korrekten ¾uûerung, können sich dagegen störend auf die Lernmotivation<br />

auswirken. Um die Sprechfreude des K<strong>in</strong>des zu erhalten, sollte die Erzieher<strong>in</strong> vielmehr die<br />

k<strong>in</strong>dlichen ¾uûerungen als Mittel der Kommunikation akzeptieren und nicht auf e<strong>in</strong>er der<br />

Erwachsenennorm entsprechenden Form bestehen.<br />

Wie wenig Korrekturen bewirken, mag das folgende Gespräch zwischen Mutter und K<strong>in</strong>d<br />

verdeutlichen:<br />

¹K<strong>in</strong>d: Ke<strong>in</strong>er mögt mich nicht. Mutter: Ne<strong>in</strong>, das heiût Ke<strong>in</strong>er mag mich.<br />

K<strong>in</strong>d: Ke<strong>in</strong>er mögt mich nicht. Mutter: Ne<strong>in</strong>, das heiût Ke<strong>in</strong>er mag mich.<br />

K<strong>in</strong>d: Ke<strong>in</strong>er mögt mich nicht. Mutter: Ne<strong>in</strong>, das heiût Ke<strong>in</strong>er mag mich.<br />

(Fünf weitere Male der gleiche Wortwechsel. Dann:)<br />

Mutter: Ne<strong>in</strong>, nun hör mal genau zu ± Ke<strong>in</strong>er mag mich.<br />

K<strong>in</strong>d: Achso. Ke<strong>in</strong>er magt mich nicht.ª 18<br />

3. Überlegungen zur zweisprachigen Erziehung<br />

Damit e<strong>in</strong>e zweisprachige Erziehung gel<strong>in</strong>gen kann, ist ± wie beim Spracherwerb ± e<strong>in</strong>e<br />

ausreichend emotionale und sprachliche Zuwendung Grundvoraussetzung. E<strong>in</strong>e erfolgreiche<br />

zweisprachige Erziehung macht es erforderlich, dass beide Sprachen mit e<strong>in</strong>er ähnlichen<br />

Intensität an das K<strong>in</strong>d heran getragen werden. Sonst besteht die Gefahr, dass sich<br />

e<strong>in</strong>e der beiden Sprachen schneller entwickelt und zur ¹starkenª Sprache wird.<br />

GOGOLIN bemerkt hierzu, dass K<strong>in</strong>der, die nur über e<strong>in</strong>geschränkte Ausdrucksmittel <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er der beiden Sprachen verfügen, ¹von Möglichkeiten der aktiven Partizipation an der<br />

Kommunikation <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Teil ihrer Lebenswelt abgeschnitten s<strong>in</strong>dª. 19<br />

Mit dem Erwerb der Zweitsprache Deutsch können Situationen auftreten, die die Motivation<br />

des K<strong>in</strong>des und damit auch se<strong>in</strong>e Lernprozesse bee<strong>in</strong>trächtigen können.<br />

So erleben manche ausländischen K<strong>in</strong>der Konflikte <strong>in</strong> ihren Familien, weil sich Eltern und<br />

K<strong>in</strong>der aufgrund unterschiedlichen Sprachvermögens vone<strong>in</strong>ander entfremden. Die K<strong>in</strong>der<br />

erfahren, dass sie von den Eltern nicht verstanden werden und dass sie ihre Erlebnisse aus<br />

dem K<strong>in</strong>dergarten oder mit anderen K<strong>in</strong>dern nicht mitteilen können.<br />

Auch kommt es vor, dass die mit der Sprache der K<strong>in</strong>der aus der deutschen Umgebung <strong>in</strong><br />

die Familie h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> getragenen Werte und Verhaltensweisen auf den Widerstand der Eltern<br />

stoûen, die diese E<strong>in</strong>flüsse als e<strong>in</strong>e Bedrohung des eigenen Selbstverständnisses empf<strong>in</strong>den<br />

und ablehnen.<br />

Der vielfach vorhandene sprachliche ¹Vorsprungª ausländischer K<strong>in</strong>der gegenüber ihren<br />

Eltern kann dazu führen, dass die Eltern verunsichert werden. Die Verunsicherung der<br />

Eltern wiederum kann Unsicherheiten und Konflikte bei den K<strong>in</strong>dern auslösen, die sich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>er Störung der Erstsprache oder beim Erlernen der Zweitsprache äuûern können.<br />

18 Zimmer, 1988, S. 21 f<br />

19 Gogol<strong>in</strong>, 1988, S. 102<br />

19<br />

Zweisprachige Erziehung:<br />

beide Sprachen gleich<br />

<strong>in</strong>tensiv fördern<br />

Mögliche Bee<strong>in</strong>trächtigungen<br />

von Lernprozessen<br />

Notizen


Ferner können Störungen <strong>in</strong> der Beziehung zwischen K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>en Bezugspersonen als<br />

auch der Wunsch, so zu se<strong>in</strong> wie alle anderen K<strong>in</strong>der, die Ursache dafür se<strong>in</strong>, dass das K<strong>in</strong>d<br />

se<strong>in</strong>e Erstsprache verweigert, weil es se<strong>in</strong>e Zweisprachigkeit als sozialen Makel empf<strong>in</strong>det.<br />

Wesentlich für die zweisprachige Entwicklung ist, dass die Umgebung des K<strong>in</strong>des e<strong>in</strong>er<br />

Zweisprachigkeit gegenüber positiv e<strong>in</strong>gestellt ist. K<strong>in</strong>der aus zugewanderten Familien<br />

erfahren vielfach, dass ihre Erstsprache von Sprechern der Zweitsprache abgewertet und<br />

ihre kulturelle Orientierung von der deutschen Umwelt abgelehnt oder als m<strong>in</strong>derwertig<br />

angesehen wird. Diese Zurückweisung kann von K<strong>in</strong>dern als persönliche Ablehnung erlebt<br />

werden und M<strong>in</strong>derwertigkeitsgefühle auslösen, deren Folge mangelhaftes Selbstvertrauen,<br />

e<strong>in</strong> überzogenes Bedürfnis nach Anpassung und Verweigerung oder Ablehnung der<br />

Sprache se<strong>in</strong> kann. Solche Diskrim<strong>in</strong>ierungen können auch e<strong>in</strong>e anfänglich hohe Bereitschaft<br />

zum sprachlichen Lernen erheblich bee<strong>in</strong>trächtigen.<br />

Dazu kommt, dass K<strong>in</strong>dern mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund von ihrer Umgebung nur selten Anerkennung<br />

und Bewunderung wegen ihrer Zweisprachigkeit entgegengebracht wird. Sie werden<br />

meist nur unter dem Aspekt gesehen, erhebliche Defizite <strong>in</strong> bezug auf ihre sprachlichen<br />

Fähigkeiten aufzuweisen, d.h. im Alltag werden diese K<strong>in</strong>der oft so wahrgenommen, dass<br />

sie die e<strong>in</strong>e Sprache ¹noch nichtª, die andere Sprache ¹nicht mehrª vollständig beherrschen.<br />

E<strong>in</strong> positives Selbstbild, e<strong>in</strong> Vertrauen <strong>in</strong> die eigenen Fähigkeiten kann sich dabei<br />

nur schwerlich entwickeln.<br />

Weiterh<strong>in</strong> ist für das Gel<strong>in</strong>gen e<strong>in</strong>er zweisprachigen Erziehung auch das Ansehen der beiden<br />

Sprachen von Bedeutung. So wird z.B. e<strong>in</strong>e englisch-deutsche Zweisprachigkeit <strong>in</strong> der<br />

Regel höher bewertet als e<strong>in</strong>e türkisch-deutsche. Wenn e<strong>in</strong>e der beiden Sprachen e<strong>in</strong><br />

ger<strong>in</strong>geres Ansehen genieût, so führt dies ± nach KIELHOFER/JONEKEIT ± fast zwangsläufig<br />

zu e<strong>in</strong>er negativen E<strong>in</strong>stellung gegenüber dieser Zweisprachigkeit und kann <strong>in</strong> der Folgezeit<br />

e<strong>in</strong>e Verweigerung der Sprache mit sich br<strong>in</strong>gen. 20<br />

Sowohl e<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>ges Ansehen der Erstsprache als auch auftretende Sprachprobleme der<br />

K<strong>in</strong>der tragen dazu bei, dass ihre Bemühungen um Zweisprachigkeit und der Wert ihrer<br />

Zweisprachigkeit oft zu ger<strong>in</strong>g geachtet werden.<br />

II. Aspekte e<strong>in</strong>er systematischen, am K<strong>in</strong>d orientierten<br />

<strong>Sprachförderung</strong><br />

1. Die Grundlagen der <strong>Sprachförderung</strong><br />

1.1 <strong>Sprachförderung</strong> als Teil der Gesamtkonzeption im Elementarbereich<br />

<strong>Sprachförderung</strong>, wie sie hier vorgestellt wird, stellt e<strong>in</strong> selbstverständlich <strong>in</strong> die alltägliche<br />

pädagogische Arbeit <strong>in</strong>tegriertes Element dar und kommt allen K<strong>in</strong>dern zugute, nicht nur<br />

solchen, die noch e<strong>in</strong>er weiteren Unterstützung ihres Sprachvermögens bedürfen. Sie verlangt<br />

e<strong>in</strong>e differenzierte Vorgehensweise, die <strong>in</strong>dividuelle Unterschiede der K<strong>in</strong>der berücksichtigt<br />

und Besonderheiten des Lebensumfeldes <strong>in</strong> Rechnung stellt. Damit steht sie <strong>in</strong> der<br />

Tradition der situationsorientierten Ansätze.<br />

Die situationsorientierten Ansätze<br />

Im Zuge der Bildungsreform entwickelten sich im Verlauf der 70er und frühen 80er Jahre <strong>in</strong><br />

den verschiedenen Bundesländern neue pädagogische Konzeptionen für den Elementarbereich,<br />

die hier unter dem Begriff ¹situationsorientierte Ansätzeª zusammengefaût werden. 21<br />

20 Kielhöfer/Jonekeit, 1983<br />

21 Militzer/Demandewitz/Solbach, 1999, S. 71 ff<br />

20<br />

Zweisprachigkeit mehr<br />

Anerkennung<br />

entgegenbr<strong>in</strong>gen<br />

Gleiches Ansehen für alle<br />

Sprachen wichtig<br />

Notizen


Ihnen geme<strong>in</strong>sam ist, dass die aktuellen Lebens-Situationen der K<strong>in</strong>der den Ausgangspunkt<br />

der pädagogischen Arbeit darstellen und nicht allgeme<strong>in</strong>e Vorstellungen darüber,<br />

was (alle) K<strong>in</strong>der wann brauchen und können sollen. Das heiût, das e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>d mit se<strong>in</strong>en<br />

spezifischen Bedürfnissen kommt stärker <strong>in</strong>s Blickfeld und liefert mittelbar ± über<br />

Beobachtung ± und unmittelbar ± durch Partizipation von K<strong>in</strong>dern ± entscheidende Impulse<br />

für das pädagogische Geschehen <strong>in</strong> der Tagese<strong>in</strong>richtung.<br />

Menschenbild<br />

Den situationsorientierten Ansätzen liegt e<strong>in</strong> Menschenbild zugrunde, das an zentrale Gedanken<br />

der Reformpädagogik anknüpft: Das K<strong>in</strong>d wird nicht erst Mensch, es ist bereits e<strong>in</strong> vollständiger<br />

Mensch, dessen E<strong>in</strong>zigartigkeit und Würde es zu achten gilt. Sie nehmen ferner<br />

Abstand von der Vorstellung, dass Erwachsene bereits alles über K<strong>in</strong>der wissen, was Behutsamkeit<br />

zur Folge hat: Behutsamkeit im Umgang mit Diagnosen und Handlungskonzepten,<br />

kritische Distanz zu der eigenen Perspektive und E<strong>in</strong>schätzung e<strong>in</strong>er Situation. Diese Haltung<br />

stellt für alle Beteiligten e<strong>in</strong>en groûen Gew<strong>in</strong>n dar, denn sie be<strong>in</strong>haltet Lernchancen und kann<br />

persönliches Wachstum <strong>in</strong> Gang setzen. In Bezug auf <strong>Sprachförderung</strong> bedeutet dies, dass<br />

die Ansatzpunkte zur <strong>Sprachförderung</strong> von K<strong>in</strong>d zu K<strong>in</strong>d unterschiedlich se<strong>in</strong> können.<br />

¹Hundert K<strong>in</strong>der ± hundert Menschen, die nicht irgendwann e<strong>in</strong>mal, sondern schon jetzt,<br />

schon heute Menschen s<strong>in</strong>d. Ke<strong>in</strong>e Liliputwelt, sondern e<strong>in</strong>e richtige Welt mit ihren Werten,<br />

Tugenden, Lastern, Bestrebungen und Wünschen, die durchaus nicht kle<strong>in</strong> und ger<strong>in</strong>g, sondern<br />

wichtig s<strong>in</strong>d, und nicht unschuldig, sondern eben menschlich.ª 22 So beschreibt der<br />

polnische Pädagoge Janusz Korczak se<strong>in</strong>e Sicht vom K<strong>in</strong>d und eröffnet damit e<strong>in</strong>e neue<br />

und tiefere Dimension von K<strong>in</strong>d-Se<strong>in</strong>, die mit den gängigen, nicht selten romantisch überhöhten<br />

Vorstellungen der Erwachsenen von e<strong>in</strong>er glücklichen und unbeschwerten K<strong>in</strong>dheit<br />

nur noch wenig geme<strong>in</strong> hat. Diese Wahrhaftigkeit <strong>in</strong> der Beobachtung ist für Korczak Teil<br />

und Ausdruck se<strong>in</strong>es Respekts vor der Eigenart der K<strong>in</strong>der.<br />

Entwicklungspsychologische Erkenntnisse<br />

Neuere entwicklungspsychologische Erkenntnisse spielen <strong>in</strong> den situationsorientierten Ansätzen<br />

e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. So das Wissen darum, dass K<strong>in</strong>der ihre Entwicklung <strong>in</strong> wechselseitigen<br />

Anpassungsprozessen mit der Umwelt vorantreiben ± und nicht passiv über sich ergehen<br />

lassen. 23 Neugier und Wagemut ± im Vere<strong>in</strong> mit k<strong>in</strong>dlicher Unbekümmertheit und Unerfahrenheit<br />

± s<strong>in</strong>d die Faktoren und Energiequellen, die das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> die Lage versetzen, es immer und<br />

immer wieder mit neuen und unbekannten Situationen aufzunehmen, um Lernerfahrungen zu<br />

sammeln und die Welt ± nach und nach ± zu verstehen. Von daher s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der Experten für<br />

ihre Entwicklung und kompetente (Gesprächs-)Partner im pädagogischen Geschehen.<br />

In diesem Zusammenhang ist auch die Erkenntnis von Bedeutung, dass kognitive Strukturen<br />

sich im Entwicklungsverlauf verändern: Kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der lernen viel <strong>in</strong> kurzer Zeit. Der<br />

Spracherwerb, der <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er entscheidenden Phase e<strong>in</strong>en Zeitraum von nur 2 ± 3 Jahren<br />

umfaût, stellt hierfür e<strong>in</strong> Paradebeispiel dar. Aber sie lernen anders als ältere K<strong>in</strong>der. Kle<strong>in</strong>e<br />

K<strong>in</strong>der lernen ganzheitlich, das heiût, Lern<strong>in</strong>halte müssen e<strong>in</strong>gebunden se<strong>in</strong> <strong>in</strong> ihre Lebenssituation<br />

und verknüpft se<strong>in</strong> mit ihren aktuellen Interessen und Bedürfnissen. Sie lernen<br />

anschaulich, das heiût, alle S<strong>in</strong>ne s<strong>in</strong>d beteiligt: sie tasten, sehen, schmecken, riechen, um<br />

zu begreifen. Sie lernen handelnd, d.h. sie müssen die Gelegenheit haben, die Eigenschaften<br />

der D<strong>in</strong>ge über konkretes Tun zu erfahren. Sie lernen auf der Basis von Selbstvertrauen,<br />

d.h. sie brauchen zum Lernen die Sicherheit und Orientierung <strong>in</strong> wertschätzenden Beziehungen.<br />

(Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs-) Konzepte, die für Schulk<strong>in</strong>der konzipiert wurden, s<strong>in</strong>d also nicht ohne<br />

weiteres auf K<strong>in</strong>dergartenk<strong>in</strong>der übertragbar. Diese Erkenntnis wird gerade <strong>in</strong> Bezug auf<br />

<strong>Sprachförderung</strong> häufig auûer Acht gelassen. 24<br />

22 Korczak, 1983, S. 162<br />

23 Piaget, 1991, S. 25 f<br />

24 Fuchs, 1999<br />

21<br />

Aktuelle Lebenssituation<br />

des jeweiligen K<strong>in</strong>des als<br />

Ausgangspunkt der<br />

pädagogischen Arbeit<br />

Respekt vor E<strong>in</strong>zigartigkeit<br />

und Würde des K<strong>in</strong>des<br />

K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d kompetente<br />

(Gesprächs-)Partner<br />

Kle<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der lernen anders<br />

als Schulk<strong>in</strong>der<br />

Notizen


Bezug zum Lebensumfeld<br />

Schlieûlich erweitern die situationsorientierten Ansätze den Blick über die E<strong>in</strong>richtung h<strong>in</strong>aus<br />

<strong>in</strong> das Umfeld. Damit tragen sie der Tatsache Rechnung, dass Lebenswelten von K<strong>in</strong>dern<br />

sehr verschieden s<strong>in</strong>d: sowohl mit Blick auf die regionale und multikulturelle Vielfalt<br />

unserer Gesellschaft als auch mit Blick auf <strong>in</strong>dividuell unterschiedliche Familiensituationen<br />

(vgl. Kap. II 1.3). K<strong>in</strong>der entwickeln sich nicht im luftleeren Raum, sondern <strong>in</strong> komplexen<br />

sozialen Zusammenhängen. 25 Ihre Entwicklung ist eng mit den spezifischen Gegebenheiten<br />

ihres Lebensumfeldes verquickt, diese s<strong>in</strong>d Teil ihrer Person, ihrer Individualität. Als<br />

<strong>in</strong>neres Abbild br<strong>in</strong>gen sie ihren Lebensraum, die Überzeugungen, Regeln, Handlungsmuster,<br />

die dort gelten, mit <strong>in</strong> die E<strong>in</strong>richtung.<br />

Hier ist es wichtig, dass die K<strong>in</strong>der Anknüpfungspunkte f<strong>in</strong>den, e<strong>in</strong>en sicheren Ankerplatz,<br />

von dem aus sie mit der Freude des Entdeckers ¹an Land gehenª können, um den unbekannten<br />

Lebensraum zu erkunden und für neue ± auch neue sprachliche ± Erfahrungen zu<br />

erobern.Um solche Anknüpfungspunkte zu schaffen, braucht die Erzieher<strong>in</strong> Kenntnisse<br />

über die Lebenssituation der Familien vor Ort und über die Bed<strong>in</strong>gungen des Wohnumfeldes.<br />

E<strong>in</strong>e vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den Eltern ist hierbei unverzichtbar und hilfreich.<br />

Planung der pädagogischen Arbeit<br />

E<strong>in</strong>e Orientierung an der Lebens-Situation der K<strong>in</strong>der verlangt flexible, offene Planungs<strong>in</strong>strumente<br />

zur Gestaltung der pädagogischen Arbeit. Starre Rahmenpläne, Angebote, die<br />

e<strong>in</strong>seitig jahreszeitlich ausgerichtet s<strong>in</strong>d und auf Wochen und Monate im Voraus festgelegt<br />

werden, stehen im Widerspruch zur Intention der situationsorientierten Ansätze.<br />

Das berufliche Rollenverständnis der Erzieher<strong>in</strong> zeichnet sich durch professionelle Zurückhaltung<br />

aus, um den Eigenaktivitäten der K<strong>in</strong>der Raum zu geben. E<strong>in</strong> hoher Stellenwert<br />

kommen der Beobachtung, dem k<strong>in</strong>dorientierten Gespräch und den Analysemethoden<br />

zum tieferen Verständnis von K<strong>in</strong>dersituationen zu. Durch Beobachtung erfährt die Erzieher<strong>in</strong><br />

etwas darüber, was für e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>der oder K<strong>in</strong>dergruppen bedeutsam ist, welche Ideen<br />

die K<strong>in</strong>der gerade entwickeln, welche Räume sie erschlieûen wollen, welche Fragen sie<br />

bewegen. Sie gew<strong>in</strong>nt auch e<strong>in</strong> Bild über die aktuellen sprachlichen Fähigkeiten der K<strong>in</strong>der.<br />

Es besteht e<strong>in</strong>e hohe Bereitschaft, gerade die ungewöhnlichen, manchmal auch ¹verrücktenª<br />

Ideen der K<strong>in</strong>der ernst zu nehmen und auf ihr entwicklungsförderndes Potential h<strong>in</strong> zu<br />

bedenken. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen:<br />

Verena ist Erzieher<strong>in</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fünfgruppigen Tagese<strong>in</strong>richtung. Sie hat bereits seit e<strong>in</strong>igen Jahren<br />

Erfahrungen mit der situationsorientierten Arbeitsweise gesammelt. Verena hat geme<strong>in</strong>sam<br />

mit e<strong>in</strong>er Gruppe von K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Spiel vorbereitet. Heute ist ¹Generalprobeª <strong>in</strong><br />

der Turnhalle, morgen wollen die K<strong>in</strong>der es den anderen K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> der Gruppe vorspielen. Die<br />

Geschichte haben die K<strong>in</strong>der sich selbst ausgedacht: Die Waldtiere feiern e<strong>in</strong> Frühl<strong>in</strong>gsfest,<br />

nur der Bär fehlt. Offenbar hat er den Frühl<strong>in</strong>gsanfang verschlafen. Die Waldtiere und der<br />

Jäger machen sich auf den Weg, um die Bärenhöhle zu suchen und den Bären zu wecken.Á<br />

E<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong>der hatten hierzu Bilder gemalt, andere die verschiedenen Figuren aus Papier ausgeschnitten.<br />

Aus diesen Materialien wurde e<strong>in</strong> selbst gefertigtes Bilderbuch hergestellt, das jetzt<br />

als ¹Drehbuchª dient. Mit Matten, Seilen, groûen Kegelfiguren, Holzreifen und Pappröhren<br />

wird der abenteuerliche Weg zur Bärenhöhle vorbereitet. E<strong>in</strong>fache Requisiten, wie Schwe<strong>in</strong>eschwänzchen,<br />

Hasenohren, e<strong>in</strong> Jägerhut werden verteilt.<br />

Die dreijährige Kira wollte e<strong>in</strong>en Waldzwerg spielen, der den Tieren den richtigen Weg<br />

weist. Jetzt sitzt Kira, abgewandt von den anderen K<strong>in</strong>dern, auf e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Turm von<br />

Schaumstoffelementen. ¹Komm endlich Kira, wir wollen anfangenª, rufen die K<strong>in</strong>der, aber<br />

Kira hört nicht. Die Erzieher<strong>in</strong> geht zu Kira h<strong>in</strong>. Sie sieht, wie Kira den Reiûverschluû des<br />

dunkelblauen Polsterbezuges e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Stück aufgezogen hat und <strong>in</strong>teressiert den hellen<br />

Schaumstoff betrachtet, der darunter zum Vorsche<strong>in</strong> kommt. Sie steckt zuerst ihren F<strong>in</strong>ger,<br />

25 Bronfenbrenner, 1981, S. 19 f<br />

22<br />

Anknüpfungspunkte für<br />

Lernen im Familien- und<br />

Lebensalltag der K<strong>in</strong>der<br />

suchen<br />

Offene Planung und<br />

zurückhaltende<br />

Beobachtung<br />

Beispiel<br />

Notizen


dann die Hand und schlieûlich den ganzen Arm h<strong>in</strong>e<strong>in</strong> und betrachtet <strong>in</strong>teressiert, wie dieser<br />

sich unter dem fest gespannten Stoff als Silhouette abzeichnet. ¹Na, Kira, da hast Du<br />

aber e<strong>in</strong>e tolle Entdeckung gemacht, das ist ja spannend, was da zum Vorsche<strong>in</strong> kommt!ª<br />

Kira strahlt sie an. ¹Da brauchst du wohl noch e<strong>in</strong> Weilchen, bist du damit fertig bist? Weiût<br />

du was, wir fangen schon mal an mit dem Spiel und wenn du dran bist, sagen wir dir<br />

Bescheid?ª Kira nickt und macht sich wieder an dem Reiûverschluû zu schaffen, um ihn<br />

noch e<strong>in</strong> Stückchen weiter aufzuziehen, das ist nicht so e<strong>in</strong>fach. Die Erzieher<strong>in</strong> erklärt den<br />

anderen K<strong>in</strong>dern, dass Kira noch e<strong>in</strong>e wichtige Sache zu Ende br<strong>in</strong>gen muû, dann wird sie<br />

mitspielen, und die Generalprobe kann beg<strong>in</strong>nen. Kira kommt nach wenigen M<strong>in</strong>uten selbständig<br />

zu dem Märchenspiel h<strong>in</strong>zu. Ihre Neugier ist befriedigt, jetzt fühlt sie sich durch die<br />

lustigen Geräusche und das Trappeln und Huschen der K<strong>in</strong>der angeregt, mitzumachen. Auf<br />

e<strong>in</strong>em ¹Ste<strong>in</strong>ª am Wegesrand bezieht sie ihren Posten als Zwerg.<br />

In unserem Beispiel hat die Erzieher<strong>in</strong> schnell bemerkt, dass das, was auf den ersten Blick<br />

als Störung des geplanten Ablaufs ersche<strong>in</strong>t, sich als bedeutsame Situation für Kira darstellt,<br />

<strong>in</strong> der Lernen stattf<strong>in</strong>det. Kira verweigert sich nicht, trödelt nicht, sondern ¹geht den<br />

D<strong>in</strong>gen auf den Grundª, sie will wissen, was unter der Oberfläche verborgen ist, und <strong>in</strong>vestiert<br />

Kraft und Energie, um dah<strong>in</strong>ter zu kommen. Auf diese Weise werden Denkprozesse <strong>in</strong><br />

Gang gesetzt, die auch auf der sprachlichen Ebene nach Austausch und Antwort verlangen,<br />

also kommunikatives (Sprach-) Handeln <strong>in</strong> Gang setzen. Die Erzieher<strong>in</strong> erkennt die<br />

Bedeutung der Situation. Sie br<strong>in</strong>gt dies Kira und auch den anderen K<strong>in</strong>dern gegenüber<br />

zum Ausdruck, <strong>in</strong>dem sie Wertschätzung signalisiert und Kira dar<strong>in</strong> unterstützt, ihre Aktion<br />

zu Ende zu führen. Sicher s<strong>in</strong>d Situationen denkbar, wo man k<strong>in</strong>dlichen Neben- und Umwegen<br />

nicht nachgehen und nachgeben kann. Aber auch dann sollte an die Stelle e<strong>in</strong>es:<br />

¹Komm jetzt endlichª e<strong>in</strong>e wertschätzende ¾uûerung treten und dem K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> Aussicht<br />

gestellt werden, dass es se<strong>in</strong>e Aktivität bei nächster Gelegenheit weiterführen kann.<br />

Im Rahmen e<strong>in</strong>er situationsorientierten Arbeitsweise schaut die Erzieher<strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dern<br />

¹über die Schulternª, unterstützt ihre Ideen und Aktivitäten, nutzt sie als Anknüpfungspunkt<br />

für pädagogische Zielvorstellungen und weiterführende Impulse.<br />

1.2 Orientierung an der (Lebens-) Situation von K<strong>in</strong>dern<br />

23<br />

Etwas über die allgeme<strong>in</strong>e und aktuelle<br />

Lebens-Situation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />

zu erfahren, gibt der Erzieher<strong>in</strong> e<strong>in</strong>en<br />

Fundus an Anknüpfungspunkten für<br />

die <strong>Sprachförderung</strong> im geme<strong>in</strong>samen<br />

Alltag mit den K<strong>in</strong>dern. Erfahren<br />

K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong> echtes Interesse an<br />

ihren Bedürfnissen, Fragen, Entdekkungen<br />

und Erfahrungen, so werden<br />

auch sie sich mitteilen wollen und<br />

dabei zugleich Sprache üben.<br />

Herauszuf<strong>in</strong>den, was K<strong>in</strong>der wirklich<br />

<strong>in</strong>teressiert, was sie so fasz<strong>in</strong>iert,<br />

dass sie darauf ¹brennenª, es anderen<br />

zu erzählen, ist nicht immer so<br />

e<strong>in</strong>fach. Angesichts der Vielfalt von<br />

Unterschieden nicht nur zwischen,<br />

sondern auch <strong>in</strong>nerhalb von Kulturen<br />

ist es notwendig, den Blick auf<br />

das e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>d zu lenken.<br />

Bei der E<strong>in</strong>schätzung der Lebenssituation<br />

e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des sollte die Erzieher<strong>in</strong><br />

sehr sensibel und kritisch<br />

Angelesenes H<strong>in</strong>tergrundwissen<br />

über andere Kulturen kritisch<br />

h<strong>in</strong>terfragen<br />

Notizen


mit angelesenem H<strong>in</strong>tergrundwissen über verschiedene Kulturen umgehen. Denn oft zeigt<br />

sich: Die <strong>in</strong>dividuelle Situation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des kann ganz anders aussehen als zunächst angenommen<br />

wurde.<br />

Erst durch Beobachtungen im Alltag, die Aufschlüsse über se<strong>in</strong>e aktuelle Lebenssituation<br />

geben, durch Situationsanalysen und durch Gespräche mit den Eltern über ihre familiäre<br />

Situation kann sich die Erzieher<strong>in</strong> e<strong>in</strong> Bild davon machen, welche Themen für das K<strong>in</strong>d im<br />

Moment anstehen und daher e<strong>in</strong>e Motivation für das K<strong>in</strong>d bieten könnten, sich auch<br />

sprachlich auszudrücken. Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund wählt sie Spiele, Projekte und Materialien<br />

aus, die dem K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en Anreiz bieten, aus e<strong>in</strong>em eigenen Bedürfnis heraus se<strong>in</strong>e<br />

Sprachkompetenzen zu erweitern.<br />

Um sich darüber h<strong>in</strong>aus e<strong>in</strong> Bild davon zu machen, welche Bedeutung die Sprache für die<br />

Lebenssituation von K<strong>in</strong>dern hat, sei auf die folgenden Aspekte h<strong>in</strong>gewiesen:<br />

Identitätsentwicklung und Familiensprache<br />

Mit Hilfe se<strong>in</strong>er Erstsprache bewältigt das K<strong>in</strong>d wichtige ¹Meilenste<strong>in</strong>eª se<strong>in</strong>er Identitätsentwicklung<br />

(vgl. Kap. I 2.1). Es lernt se<strong>in</strong>e Bedürfnisse deutlich zu artikulieren und grenzt<br />

sich damit von se<strong>in</strong>en Bezugspersonen ab. Zugleich ist die Erstsprache für das K<strong>in</strong>d wichtig,<br />

um sich <strong>in</strong> der Familie zu verständigen. Die Erstsprache ist die Sprache, die ihm Sicherheit<br />

und Geborgenheit vermittelt.<br />

Wert- oder Ger<strong>in</strong>gschätzung der Sprache<br />

Die Lebenssituation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des wird auch dadurch bee<strong>in</strong>fluût, wie se<strong>in</strong> auûerfamiliäres<br />

Umfeld auf se<strong>in</strong>e Sprache(n) reagiert. Manche K<strong>in</strong>der können erlebt haben, dass sie aufgrund<br />

ihrer Erstsprache von anderen Menschen gemieden werden. Andere haben erfahren,<br />

dass sie mit offenen Armen empfangen werden.<br />

K<strong>in</strong>der können beobachtet haben, wie manche Menschen im Supermarkt abschätzend<br />

behandelt werden, wenn sie die deutsche Sprache nicht so gut beherrschen. Fast alle K<strong>in</strong>der<br />

werden schon ihre ganz persönlichen Erfahrungen mit der Bewertung ihrer Sprache und<br />

denen der anderen gemacht haben, wenn sie <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung kommen. Diese<br />

Erfahrungen können sie <strong>in</strong> ihrer E<strong>in</strong>stellung gegenüber der eigenen Erstsprache und der deutschen<br />

Sprache bee<strong>in</strong>flussen und sollten daher bei der <strong>Sprachförderung</strong> nicht unterschätzt<br />

werden.<br />

Welche Gründe es tatsächlich s<strong>in</strong>d, die e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d dar<strong>in</strong> hemmen bzw. motivieren können,<br />

se<strong>in</strong>e Sprachkompetenzen auszubauen, das kann von K<strong>in</strong>d zu K<strong>in</strong>d unterschiedlich se<strong>in</strong>.<br />

Auch aus diesem Grund ist es notwendig, sich der <strong>in</strong>dividuellen Lebenssituation e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des<br />

zuzuwenden.<br />

Sprache ± e<strong>in</strong> wichtiger Bestandteil der Familienkultur<br />

Welche Bedeutung die Sprache für die Familie e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des hat, kann e<strong>in</strong>en nicht zu unterschätzenden<br />

E<strong>in</strong>fluû auf die Sprechfreude jedes e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>des ausüben. Sprache zu<br />

pflegen, <strong>in</strong>dem die Familienmitglieder sich treffen und z.B. geme<strong>in</strong>sam spielen oder sich<br />

gegenseitig beim Familienausflug Geschichten erzählen, ist nicht mehr selbstverständlich.<br />

Oft ersetzt schon beim Mittagstisch oder beim Abendbrot der Fernseher das geme<strong>in</strong>same<br />

Gespräch. Nicht nur üben K<strong>in</strong>der dadurch weniger ihre Sprache(n). Auch nimmt der Stellenwert,<br />

selbst zu sprechen, <strong>in</strong> der Erlebniswelt der K<strong>in</strong>der an Bedeutung ab.<br />

1.3 Analyse der familiären Sprachsituation<br />

In der alltäglichen Arbeit mit K<strong>in</strong>dern kann es hilfreich se<strong>in</strong>, sich zu vergegenwärtigen, mit<br />

welcher Sprache und welchen Sprachgewohnheiten die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihrer Familie aufwachsen.<br />

Die Analyse der Sprachsituation <strong>in</strong> der Familie und im näheren sozialen Umfeld eröffnet<br />

die Möglichkeit, das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em sprachlichen und sozialen Verhalten besser verstehen<br />

zu können, den Blick auf die Stärken des K<strong>in</strong>des und der Eltern zu lenken und weitere<br />

24<br />

E<strong>in</strong>fluss bereits vor dem<br />

K<strong>in</strong>dergarten gemachter<br />

Erfahrungen<br />

berücksichtigen<br />

Sprache wird <strong>in</strong> den<br />

Familien nicht immer<br />

ausreichend gefördert<br />

Gezielt an die familiäre<br />

Sprachsituation anknüpfen<br />

Notizen


Informationen aus dem Lebensumfeld der Familie zu erhalten. Damit kann die <strong>Sprachförderung</strong><br />

zugleich auf e<strong>in</strong>em Fundus von H<strong>in</strong>tergrund<strong>in</strong>formationen aufbauen, der das Verständnis<br />

für die Lebenssituation der Familie erweitern und den Zugang zum e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>d<br />

erleichtern kann. E<strong>in</strong>e gezielte <strong>Sprachförderung</strong> setzt <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne an den Erfahrungen<br />

und Interessen der K<strong>in</strong>der an und bietet ihnen damit die Möglichkeiten, aus e<strong>in</strong>em eigenen<br />

Bedürfnis heraus für neue, auch sprachliche Lernfortschritte motiviert zu se<strong>in</strong>.<br />

Die Erstsprache e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des kann auch e<strong>in</strong> Dialekt se<strong>in</strong><br />

Nicht die Sprache des Umfeldes zu sprechen, das kann verunsichern. Dies gilt nicht nur für<br />

K<strong>in</strong>der, die e<strong>in</strong>e andere als die deutsche Sprache sprechen. Auch <strong>in</strong>nerhalb der deutschen<br />

Sprache gibt es regionalspezifische Unterschiede. E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, das aus e<strong>in</strong>er Region stammt,<br />

<strong>in</strong> der se<strong>in</strong> Dialekt noch selbstverständlich zum alltäglichen Sprachgebrauch gehört, wird<br />

sich am neuen Wohnort, <strong>in</strong> dem überwiegend Hochdeutsch gesprochen wird, zunächst<br />

fremd und unsicher fühlen. Es versteht manche Wörter nicht, oder Wörter, die es selbst<br />

benutzt, werden nicht verstanden, so z.B. wenn aus der Semmel plötzlich e<strong>in</strong> ¹Brötchenª<br />

oder e<strong>in</strong>e ¹Schrippeª wird. Vielleicht wird es sogar ausgelacht, wenn es <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Erstsprache<br />

± e<strong>in</strong>em Dialekt ± spricht. Da die Erstsprache sehr eng mit dem Identitätsgefühl e<strong>in</strong>es<br />

K<strong>in</strong>des zusammenhängt, wird es sich dadurch wahrsche<strong>in</strong>lich <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Selbstwertgefühl<br />

herabgesetzt fühlen.<br />

Die Nationalität sagt nicht immer etwas über die Erstsprache e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des aus<br />

Sich die familiäre Sprachsituation des K<strong>in</strong>des zu vergegenwärtigen, hat etwas mit dem<br />

Respekt vor der E<strong>in</strong>zigartigkeit e<strong>in</strong>es jeden K<strong>in</strong>des zu tun. Dieser Respekt zeigt sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

wertschätzenden offenen Haltung, e<strong>in</strong>e Haltung, die e<strong>in</strong>kalkuliert, dass me<strong>in</strong>e Vorannahmen<br />

über e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d nicht unbed<strong>in</strong>gt mit se<strong>in</strong>er Realität übere<strong>in</strong>stimmen müssen ± auch nicht<br />

<strong>in</strong> H<strong>in</strong>sicht auf se<strong>in</strong>e Sprachgewohnheiten <strong>in</strong> der Familie. Hierzu e<strong>in</strong> Beispiel:<br />

Enrico, e<strong>in</strong> italienischer Junge, ist erst seit e<strong>in</strong> paar Tagen im K<strong>in</strong>dergarten. Meist sitzt er<br />

scheu auf der Fensterbank, wobei er sehr aufmerksam das Spiel der anderen K<strong>in</strong>der beobachtet.<br />

Daniella, e<strong>in</strong>e Erzieher<strong>in</strong>, deren Erstsprache Italienisch ist, versucht immer wieder<br />

mit ihm Kontakt aufzunehmen. Sie wundert sich, warum sie über ihre Erstsprache ke<strong>in</strong>en<br />

Zugang zu ihm f<strong>in</strong>det. Er wirkt eher so, als ob ihn dies noch mehr verunsichere.<br />

Im Gespräch mit Enricos Vater stellt sich heraus, dass die Eltern zwar mit der Erzieher<strong>in</strong> italienisch<br />

sprechen, die Familiensprache jedoch Sizilianisch ist. Nun versteht sie, warum es<br />

ihr bei diesem K<strong>in</strong>d nicht gelang, mit Hilfe ihrer Erstsprache e<strong>in</strong>e Atmosphäre von Vertrautheit<br />

und Geborgenheit zu vermitteln.<br />

Dies Beispiel zeigt, dass die Nationalität der K<strong>in</strong>der nicht unbed<strong>in</strong>gt etwas darüber aussagen<br />

muû, welche Sprache tatsächlich <strong>in</strong> der Familie gesprochen wird. Daniella und Enrico<br />

haben zwar die gleiche Nationalität, sprechen jedoch unterschiedliche Sprachen. Auch<br />

K<strong>in</strong>der mit deutscher Staatsangehörigkeit müssen nicht unbed<strong>in</strong>gt <strong>in</strong> ihrer Familie deutsch<br />

sprechen. So dom<strong>in</strong>iert <strong>in</strong> Spätaussiedlerfamilien oftmals die Sprache ihres Herkunftslandes.<br />

Die Analyse der familiären Sprachsituation ist damit auch für die muttersprachlichen Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

von Bedeutung: Unabhängig von der Nationalität des K<strong>in</strong>des kann sie damit herausf<strong>in</strong>den,<br />

ob das K<strong>in</strong>d und sie tatsächlich die gleiche Sprache sprechen.<br />

Das Verständnis für die Lebenssituation des K<strong>in</strong>des erweitern<br />

Das Gespräch darüber, mit wem das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> welcher Sprache spricht, kann auûerdem darüber<br />

Aufschluû geben, welche Beziehungen für das K<strong>in</strong>d besonders wichtig s<strong>in</strong>d. Dadurch<br />

entsteht e<strong>in</strong> dichteres Bild von der Lebenssituation des K<strong>in</strong>des. Manche Erzählungen des<br />

K<strong>in</strong>des aus se<strong>in</strong>em familiären Umfeld können so u. U. besser verstanden werden. Auch<br />

können sich wichtige Anknüpfungspunkte für Gespräche mit K<strong>in</strong>dern ergeben.<br />

25<br />

Beispiel: Enrico<br />

Notizen


Den Blick für die Vielfalt möglicher familiärer Sprachsituationen öffnen<br />

Im Gespräch mit den Eltern und dem K<strong>in</strong>d kann sich herausstellen, welche Sprache(n) <strong>in</strong><br />

der Familie und im näheren sozialen Umfeld gesprochen werden:<br />

Lauras Vater ist Amerikaner und ihre Mutter ist Deutsche. Schon seit der Geburt ist sie es<br />

gewohnt, dass der Vater mit ihr nur amerikanisch und die Mutter nur deutsch spricht. Wenn<br />

alle zusammen s<strong>in</strong>d, sprechen sie Amerikanisch. Wenn sie sehr aufgeregt ist, kann es schon<br />

mal se<strong>in</strong>, dass e<strong>in</strong> amerikanisches Wort <strong>in</strong> ihren deutschen Sätzen auftaucht oder umgekehrt.<br />

Laura wächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er bil<strong>in</strong>gualen familiären Sprachsituation auf. Mit dem Vater spricht<br />

sie <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en Sprache und mit der Mutter <strong>in</strong> der anderen. Aus der Spracherwerbsforschung<br />

weiû man, dass es den K<strong>in</strong>dern hilft, wenn sie den Sprachen jeweils unterschiedliche<br />

Personen zuordnen können. Man geht davon aus, dass sie dadurch die beiden unterschiedlichen<br />

Regelsysteme, die den Sprachen zugrunde liegen, besser trennen können.<br />

Übertragen auf den Alltag <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtungen bedeutet dies: Wenn es Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung gibt, die jeweils e<strong>in</strong>e der beiden Sprachen des K<strong>in</strong>des beherrschen,<br />

kommt auch hier e<strong>in</strong>e Aufteilung der Sprachen der bil<strong>in</strong>gualen Sprachentwicklung<br />

der K<strong>in</strong>der zu Gute (vgl. Kap. II 4.2).<br />

Umay spricht zuhause mit ihren Eltern türkisch. Im K<strong>in</strong>dergarten und auf der Straûe spricht<br />

sie sowohl deutsch als auch türkisch. Umays liebste Freund<strong>in</strong> ist Al<strong>in</strong>a. Der hat sie auch<br />

schon e<strong>in</strong> paar türkische Worte beigebracht. Hauptsächlich sprechen sie Deutsch mite<strong>in</strong>ander.<br />

Aber Al<strong>in</strong>a ist auch stolz, schon e<strong>in</strong> biûchen türkisch zu können.<br />

Umay wächst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweisprachigen sozialen Umfeld auf: In der Familie wird türkisch<br />

gesprochen. Die Umgebungssprache ist Deutsch. E<strong>in</strong>e wichtige Motivation, um Deutsch<br />

zu lernen, ist die <strong>in</strong>nige Beziehung zu ihrer Freund<strong>in</strong> Al<strong>in</strong>a. Hieran wird deutlich, wie entscheidend<br />

die Beziehungen zu Freund<strong>in</strong>nen, Freunden, aber auch zu den Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

s<strong>in</strong>d: Sie können Motor und Antrieb se<strong>in</strong>, um aus e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>neren Bedürfnis heraus, e<strong>in</strong>e<br />

zweite Sprache erlernen zu wollen. Dies ist bekannterweise die beste Motivation, um neue<br />

und anhaltende Lernfortschritte zu machen. Darum ist es für die Förderung der Erstsprache<br />

und der deutschen Sprache <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung wichtig, sich um e<strong>in</strong>en vertrauensvollen Aufbau<br />

der Beziehungen zu den K<strong>in</strong>dern zu bemühen (vgl. Kap. II 2). Sich wichtige Wörter <strong>in</strong><br />

der Erstsprache der K<strong>in</strong>der anzueignen, kann e<strong>in</strong> erster Vertrauen gebender Anker für die<br />

Beziehung se<strong>in</strong>.<br />

Auch ist bei manchen K<strong>in</strong>dern und Eltern zu beobachten, dass sie <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Satzes<br />

die Sprachen wechseln. Die Familiensprache, die das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Identitätsentwicklung<br />

begleitet, besteht dann aus e<strong>in</strong>er Mischformvon zwei Sprachen. Es würde ziemlich<br />

sicher den Selbstwert des K<strong>in</strong>des stark angreifen, wenn die Erzieher<strong>in</strong>nen se<strong>in</strong>e Fähigkeit,<br />

sich mit Hilfe e<strong>in</strong>er Mischform von zwei Sprachen zu verständigen, nur defizitär bewerten<br />

würde. Da der Selbstwert e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des jedoch entscheidender Faktor für den Mut und<br />

Lernwillen beim Ausbau se<strong>in</strong>er Sprachkompetenzen ist, kann es dem K<strong>in</strong>d nur helfen,<br />

wenn Erzieher<strong>in</strong>nen und Eltern ihr K<strong>in</strong>d immer wieder unter dem Blickw<strong>in</strong>kel: ¹Was kann er/<br />

sie schon? ¹Was hat er/sie dazu gelernt?ª betrachten. Diese pädagogische Grundhaltung<br />

wird das K<strong>in</strong>d bemerken und es für den Kontakt zu den Erzieher<strong>in</strong>nen öffnen.<br />

1.4 Handlungsorientierte <strong>Sprachförderung</strong><br />

K<strong>in</strong>der erschlieûen sich ihre Umwelt, <strong>in</strong>dem sie selbst tätig werden. Auch der Spracherwerb<br />

ist e<strong>in</strong> Lernprozeû, der durch die aktive Ause<strong>in</strong>andersetzung des K<strong>in</strong>des mit se<strong>in</strong>er<br />

Umwelt getragen wird. Dabei s<strong>in</strong>d für den Erwerb von Bedeutungen und den Aufbau von<br />

Begriffen die Erfahrungen entscheidend, die das K<strong>in</strong>d im handelnden Umgang mit D<strong>in</strong>gen<br />

und Personen se<strong>in</strong>er Umwelt macht. In diesem Lernprozeû werden die Regeln der Sprache<br />

¹aus konkreten Erfahrungen mit Objekten und Ereignissen, l<strong>in</strong>guistischen Strukturen und<br />

<strong>in</strong>terpersonalen Interaktionenª aufgenommen. 26<br />

26 Dannenbauer, 1987. In: Kolonko, 1996, S. 28<br />

26<br />

Beispiel: Laura<br />

Beispiel: Umay<br />

Mischformen<br />

Ganzheitliches Lernen statt<br />

isoliertem Sprachtra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />

Notizen


Um sprachliche Lernprozesse <strong>in</strong> Gang zu br<strong>in</strong>gen, brauchen K<strong>in</strong>der also e<strong>in</strong>e soziale und<br />

d<strong>in</strong>gliche Umwelt, die Anlässe zum sprachlichen Austausch bereithält: Ansprechpartner,<br />

denen K<strong>in</strong>der etwas mitteilen können, wenn sie möchten, die ihre Art der Mitteilung ernst<br />

nehmen und verstehen wollen, die die Sprechfreude der K<strong>in</strong>der unterstützen (vgl. II 4.1),<br />

und Situationen, die so gestaltet s<strong>in</strong>d, dass sie sprachliches Lernen erleichtern und K<strong>in</strong>der<br />

ermutigen, sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden sprachlich-kommunikativen Mitteln<br />

mitzuteilen. Unterstützung der k<strong>in</strong>dlichen Sprachprozesse bedeutet für die Erzieher<strong>in</strong>, K<strong>in</strong>dern<br />

auf der Basis ihrer <strong>in</strong>dividuellen Möglichkeiten die für sie notwendige Förderung<br />

zukommen zu lassen, von den k<strong>in</strong>dlichen Kompetenzen und Möglichkeiten auszugehen<br />

und an den Erlebnissen und Lebensbereichen anzuknüpfen, die für K<strong>in</strong>der bedeutend s<strong>in</strong>d.<br />

Sprachliche Förderung sollte zudem Bestandteil e<strong>in</strong>er ganzheitlich ausgerichteten Erziehung<br />

se<strong>in</strong> und nicht als e<strong>in</strong> von anderen Bereichen isoliertes Sprachtra<strong>in</strong><strong>in</strong>g angeboten werden.<br />

Für die Erzieher<strong>in</strong> stellt sich damit die Aufgabe, den Alltag <strong>in</strong> der Tagese<strong>in</strong>richtung ¹sprachfreundlichª<br />

und ¹sprachanregendª zu gestalten und die vielfältigen Möglichkeiten, die sich<br />

<strong>in</strong> der Arbeit bieten, bewuût zu nutzen, ¹um die Sprachkenntnisse der K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong> lebendige<br />

Handlungszusammenhänge e<strong>in</strong>gebettet, <strong>in</strong> spielerischer Form, aber <strong>in</strong>haltlich gezielt zu<br />

erweitern.ª 27<br />

Da K<strong>in</strong>der Sprache über die Orientierung an Sprachvorbildern und <strong>in</strong> Handlungszusammenhängen<br />

erwerben, ist es wichtig, den Zusammenhang von Handeln und Sprechen, von<br />

Erfahrung und Begriff zu sehen und zu berücksichtigen. Über den Umgang mit den D<strong>in</strong>gen<br />

lernen die K<strong>in</strong>der die Beschaffenheit und die Eigenschaften von D<strong>in</strong>gen kennen. Handeln<br />

me<strong>in</strong>t das Umgehen mit realen Gegenständen, d.h. K<strong>in</strong>der sollten über verschiedene S<strong>in</strong>ne<br />

(Ohren, Augen, Nase, Mund, Haut und Hände) Erfahrungen mit den Gegenständen sammeln<br />

können. Sie erfahren z.B., dass der Ball rund ist, dass er hochspr<strong>in</strong>gt, wenn man ihn<br />

auf die Erde aufschlägt. Tätigkeiten lassen sich über das Tun, Eigenschaften über das<br />

Schmecken, Tasten, Hören erfahren, abstrakte Begriffe, wie Freude oder Trauer, über konkrete<br />

Erfahrungen oder über bildliche oder mimisch-gestische Darstellungen vermitteln.<br />

Das Handeln des K<strong>in</strong>des wird sprachlich begleitet, d.h. der Gegenstand ¹Ballª, die Tätigkeiten<br />

¹laufenª oder ¹malenª, die Eigenschaften ¹süûª oder ¹salzigª werden benannt. Die<br />

durch das Handeln gewonnenen Erfahrungen werden über die Verb<strong>in</strong>dung mit Sprache zu<br />

Begriffen. Dabei werden dem K<strong>in</strong>d Begriffsbildung und Wortschatzerweiterung erleichtert,<br />

wenn sie <strong>in</strong> für K<strong>in</strong>der bedeutsamen Situationen stattf<strong>in</strong>den, d.h. <strong>in</strong> Situationen, die an der<br />

Erfahrungswelt des K<strong>in</strong>des anknüpfen, <strong>in</strong> denen sie Erfahrungen sammeln und Entdeckungen<br />

machen können und <strong>in</strong> denen emotionale Erlebnisse möglich s<strong>in</strong>d. Damit macht Sprache<br />

D<strong>in</strong>ge, Ersche<strong>in</strong>ungen und Vorgänge für das K<strong>in</strong>d verfügbar und wird zu e<strong>in</strong>em wichtigen<br />

Mittel zur Aneignung der Umwelt. Handeln ist somit die Grundlage für das Sprechen<br />

und Denken des K<strong>in</strong>des.<br />

Beim anschlieûenden Spiel oder im Gespräch werden die neuen Begriffe e<strong>in</strong>gebracht und<br />

vertieft. Das K<strong>in</strong>d lernt also, die neuen Begriffe <strong>in</strong> verschiedenen Zusammenhängen e<strong>in</strong>zusetzen.<br />

Im Laufe der Zeit ist es <strong>in</strong> der Lage, sich losgelöst vom konkreten Gegenstand an<br />

Begriffen zu orientieren.<br />

Durch die sprachliche und gedankliche Verarbeitung lernt es, se<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>drücke und Erfahrungen<br />

zu ordnen, zu vergleichen, Zusammenhänge herzustellen und sich so se<strong>in</strong>e Umwelt zu<br />

erschlieûen. Da das K<strong>in</strong>d lernt, <strong>in</strong>dem es tätig wird, ist es für die sprachliche Förderung wichtig,<br />

dass K<strong>in</strong>der unmittelbare Erfahrungen mit den Gegenständen sammeln können und Sprache<br />

nicht nur abstrakt über das Anschauen von Bildern, z.B. beim Memory-Spiel, erwerben.<br />

Wesentlich für das Gel<strong>in</strong>gen sprachlicher Prozesse s<strong>in</strong>d auûerdem sichere, stabile Beziehungen<br />

zwischen K<strong>in</strong>dern und Erzieher<strong>in</strong>. K<strong>in</strong>der müssen sich von der Erzieher<strong>in</strong> und der<br />

Gruppe akzeptiert wissen und sich <strong>in</strong> der Gruppe wohl fühlen können. In den alltäglichen<br />

geme<strong>in</strong>samen Handlungs- und Kommunikationssituationen zwischen K<strong>in</strong>dern und Erzieher<strong>in</strong><br />

können sich K<strong>in</strong>der mit ihren sprachlichen Fähigkeiten e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Beim geme<strong>in</strong>samen<br />

27 Akp<strong>in</strong>ar/Zimmer, 1984, S. 63<br />

27<br />

K<strong>in</strong>dergartenalltag<br />

sprechanregend gestalten<br />

Bedeutung sicherer,<br />

stabiler Beziehungen<br />

zwischen K<strong>in</strong>dern und<br />

Erziehenden<br />

Notizen


Spiel oder Tische decken, bei Bilderbuchbetrachtungen oder beim Basteln kann die Nähe<br />

zur Erzieher<strong>in</strong> dem K<strong>in</strong>d den Zugang zur (neuen) Sprache erleichtern. Zudem kann sie K<strong>in</strong>dern<br />

Erfahrungen ermöglichen, die ihnen die ¹Nützlichkeit von Sprache für sichª entdecken<br />

läût und über Nach- und Rückfragen dazu beitragen, dass K<strong>in</strong>der ihre Sprache weiter entwickeln<br />

können. Über e<strong>in</strong>e Anpassung ihrer sprachlichen und kommunikativen Fähigkeiten<br />

an die k<strong>in</strong>dlichen Möglichkeiten kann die Erzieher<strong>in</strong> Hilfestellung beim sprachlichen Lernen<br />

geben. Dies setzt voraus, dass sich die Erzieher<strong>in</strong> der sprachlichen Fähigkeiten und entwicklungsbed<strong>in</strong>gten<br />

Möglichkeiten der K<strong>in</strong>der bewuût ist.<br />

Neben der Kommunikation mit dem Erwachsenen f<strong>in</strong>det sprachliches Lernen auch <strong>in</strong> der<br />

K<strong>in</strong>dergruppe statt. Über das Planen und Abstimmen geme<strong>in</strong>samer Spielaktivitäten, das<br />

Klären von Regeln, das Lösen von Konflikten lernen K<strong>in</strong>der, sich sprachlich mitzuteilen und<br />

Kontakte zu anderen K<strong>in</strong>dern aufzubauen. Über geme<strong>in</strong>same Aktivitäten, Erlebnisse und<br />

Themen ergeben sich Sprechanlässe, die zu kommunikativen Gruppenprozessen führen.<br />

Das Beobachten der k<strong>in</strong>dlichen Gespräche kann der Erzieher<strong>in</strong> wiederum Aufschluû über<br />

die sprachlichen Fähigkeiten der K<strong>in</strong>der geben.<br />

2. Vier Schritte zu e<strong>in</strong>er bewuûten, situationsorientierten <strong>Sprachförderung</strong><br />

2.1 ¹Dass wir sprechen können, heiût noch lange nicht, dass wir auch<br />

etwas sagenª<br />

Wir alle kennen Situationen, <strong>in</strong> denen wir ganz selbstverständlich reden, ¹wie uns der<br />

Schnabel gewachsen istª, z.B. im vertrauten Familien- oder Freundeskreis. Wir kennen<br />

aber auch Situationen, <strong>in</strong> denen wir mit ¾uûerungen sehr vorsichtig und zurückhaltend s<strong>in</strong>d<br />

und schlieûlich solche, <strong>in</strong> denen wir blockiert s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong>s Stottern geraten oder im schlimmsten<br />

Fall <strong>in</strong> tiefes Schweigen vers<strong>in</strong>ken ± meist dann, wenn es völlig unangebracht ist, z. B.<br />

<strong>in</strong> Prüfungssituationen, <strong>in</strong> denen wir unser Bestes geben sollen und wollen.<br />

Das heiût, zum Sprechen gehört nicht nur die Kenntnis von Wörtern und Begriffen, das Verständnis<br />

e<strong>in</strong>er Sprache, sondern auch Motivation und Mut, diese aktiv anzuwenden, also<br />

zu sprechen. Dass wir e<strong>in</strong>e Sprache kennen und können, heiût noch lange nicht, dass wir<br />

auch etwas sagen. Das hängt mit der Tatsache zusammen, dass Sprechen <strong>in</strong> der Regel mit<br />

e<strong>in</strong>em Gegenüber stattf<strong>in</strong>det, also e<strong>in</strong>e Wechselwirkung auslöst, die wir nur zum Teil überschauen<br />

und kontrollieren können.<br />

SCHULZ von THUN 28 hat dies mit den ¹vier Seiten e<strong>in</strong>er Nachrichtª sehr anschaulich vorgestellt:<br />

Neben der Sach<strong>in</strong>formation erfährt me<strong>in</strong> Gegenüber e<strong>in</strong>e Menge darüber ¹was ich<br />

für e<strong>in</strong>e/e<strong>in</strong>er b<strong>in</strong>ª, ¹wie es um mich stehtª; d.h. beim Sprechen zeigen wir etwas von uns,<br />

geben etwas preis, das über das h<strong>in</strong>aus geht, was wir dem anderen auf der Sachebene mitteilen.<br />

Und die Worte bewirken beim Gegenüber nicht selten etwas anderes, als wir beabsichtigten.<br />

E<strong>in</strong> (unbedachtes) Wort, e<strong>in</strong>mal auf den Weg gebracht, kann so schnell nicht mehr e<strong>in</strong>gefangen<br />

werden.<br />

In ihrem Gedicht ¹Unaufhaltsamª br<strong>in</strong>gt Hilde Dom<strong>in</strong> die Macht des Wortes auf e<strong>in</strong>dr<strong>in</strong>gliche<br />

Weise zum Ausdruck:<br />

Besser e<strong>in</strong> Messer als e<strong>in</strong> Wort.<br />

E<strong>in</strong> Messer kann stumpf se<strong>in</strong>,<br />

e<strong>in</strong> Messer trifft oft<br />

am Herzen vorbei.<br />

Nicht das Wort.<br />

Sprechen ist also mit Risiko verbunden, je fremder die Situation, <strong>in</strong> der wir stehen, desto<br />

stärker empf<strong>in</strong>den wir dies. K<strong>in</strong>der erleben das vermutlich <strong>in</strong> noch stärkeremMaûe als<br />

28 Schulz von Thun, 1991, S. 25 ff<br />

28<br />

Gespräche der K<strong>in</strong>der<br />

untere<strong>in</strong>ander beobachten<br />

Sprechen erfordert Mut<br />

¹Vier Seiten e<strong>in</strong>er<br />

Nachrichtª<br />

Notizen


Erwachsene, denn ihnen s<strong>in</strong>d die Fallstricke nicht so bekannt und sie verfügen noch nicht,<br />

wie später der Erwachsene, über unverfängliche Höflichkeitsfloskeln, mit denen man<br />

zunächst Zeit gew<strong>in</strong>nt, um die Lage zu sondieren.<br />

Unser Selbstwertgefühl entwickelt sich <strong>in</strong> früher K<strong>in</strong>dheit und im weiteren Lebenslauf nicht<br />

durch simple Zuschreibung, sondern <strong>in</strong> Interaktion mit der Umwelt 29 , ist also stark an Kommunikation<br />

und Sprache gebunden. Es stellt im Gefüge unseres Selbstkonzeptes e<strong>in</strong><br />

Postulat höchster Ordnung dar und muû <strong>in</strong> besonderer Weise geschützt werden. Kränkungen<br />

auf der sprachlichen Ebene (etwas ¹Dummesª sagen) gefährden das Selbstwertgefühl<br />

<strong>in</strong> hohem Maûe. 30<br />

Wie sehen die ersten Erfahrungen e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des mit Reaktionen der Umwelt auf se<strong>in</strong>e<br />

sprachlichen ¾uûerungen aus? Die Reaktionen auf erste k<strong>in</strong>dliche ¾uûerungen <strong>in</strong> der Familie<br />

werden sehr unterschiedlich se<strong>in</strong>. Sie können mehr oder weniger beachtet, mit Freude<br />

oder Gleichgültigkeit aufgenommen werden, es kann e<strong>in</strong>e Atmosphäre herrschen, <strong>in</strong> der<br />

das K<strong>in</strong>d eher angehalten wird, ¹den Mund zu haltenª oder zum Sprechen ermuntert und<br />

ermutigt wird. Nicht selten f<strong>in</strong>det sich die Situation, dass Erwachsene über ¹drolligeª K<strong>in</strong>deräuûerungen<br />

lachen. Die Reaktion des K<strong>in</strong>des auf dieses Lachen zeigt häufig tiefe Verunsicherung,<br />

denn es hat se<strong>in</strong>e ¾uûerung ernst geme<strong>in</strong>t, e<strong>in</strong>en ernsthaften Beitrag geleistet.<br />

Auch im günstigsten familiären Sprachklima wird das K<strong>in</strong>d die Erfahrung machen, dass es<br />

Situationen gibt, <strong>in</strong> denen man leise se<strong>in</strong> muû, <strong>in</strong> denen man bestimmte D<strong>in</strong>ge besser nicht<br />

sagt (sonst ist die Oma beleidigt) oder bestimmte Kraftausdrücke verboten werden. Das<br />

K<strong>in</strong>d f<strong>in</strong>det auch schnell heraus, dass <strong>in</strong> unterschiedlichen Sett<strong>in</strong>gs unterschiedliche<br />

Regeln gelten. Es beobachtet sehr genau, dass auch die Eltern unterschiedlich reden, je<br />

nach dem, ob sie z.B. sich zu Hause unterhalten, beim E<strong>in</strong>kauf oder mit dem Nachbarn.<br />

Wir können davon ausgehen, dass e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d die Macht der Worte hautnah und e<strong>in</strong>drücklich<br />

erlebt: sowohl der Worte, die an es selbst gerichtet s<strong>in</strong>d (Worte, die wohltun oder wehtun),<br />

als auch der Worte, die es selbst äuûert und die aus Sicht des K<strong>in</strong>des oft erstaunliche<br />

Reaktionen ± der Begeisterung oder der Ablehnung ± hervorrufen.<br />

Vor diesem H<strong>in</strong>tergrund wird deutlich, dass die Sprechfreude, die Sprechbereitschaft, die<br />

e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d im K<strong>in</strong>dergarten an den Tag legt, nicht nur zu tun hat mit se<strong>in</strong>er Kenntnis von Sprache,<br />

sondern auch mit Gefühlen von Vertrautheit oder Fremdheit. Je mehr Anknüpfungspunkte,<br />

Verb<strong>in</strong>dungsl<strong>in</strong>ien das K<strong>in</strong>d f<strong>in</strong>det, die ihm bereits vertraut s<strong>in</strong>d, desto unbefangener<br />

wird es sich sprachlich äuûern. Je fremder das K<strong>in</strong>d sich fühlt, desto höher erlebt es<br />

das Risiko, etwas Falsches, Unangebrachtes zu sagen, und es wird, zum<strong>in</strong>dest erst e<strong>in</strong>mal,<br />

schweigen. In se<strong>in</strong>em Schweigen wird es jedoch e<strong>in</strong> aufmerksamer Beobachter der Kommunikationskultur<br />

<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung se<strong>in</strong>: wie redet man hier mite<strong>in</strong>ander, wie gehen die<br />

Erzieher<strong>in</strong>nen mit me<strong>in</strong>em Schweigen um, etc.<br />

Es ist wichtig, dass die Erzieher<strong>in</strong>nen sich klar machen, welche K<strong>in</strong>der besonders viel<br />

Fremdes vorf<strong>in</strong>den. Dabei s<strong>in</strong>d es nicht nur die K<strong>in</strong>der mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund, sondern<br />

auch K<strong>in</strong>der, die aus e<strong>in</strong>em anderen sozialen Umfeld stammen als die Mehrzahl der K<strong>in</strong>der.<br />

Es gilt dann, Verb<strong>in</strong>dungen zu schaffen zwischen Elternhaus, familiärem Lebensraum und<br />

der Tagese<strong>in</strong>richtung, um vertraute Anknüpfungspunkte sichtbar zu machen, die das K<strong>in</strong>d<br />

wiedererkennt, an denen es mit se<strong>in</strong>en Erfahrungen anknüpfen kann, die ihm das Gefühl<br />

vermitteln: ¹Hier b<strong>in</strong> ich richtigª.<br />

Murat, e<strong>in</strong> marokkanischer Junge, gehört zu den schweigsamen K<strong>in</strong>dern der E<strong>in</strong>richtung.<br />

Dies ändert sich an dem Tag, als er <strong>in</strong> der Puppenecke etwas Neues entdeckt: ¹orientalischeª<br />

Pantöffelchen aus veschiedenen glänzenden Stoffen gearbeitet, <strong>in</strong> violett und lila, am<br />

Rand mit Goldfäden bestickt, die Schuhspitzen hochgezogen. E<strong>in</strong>e Erzieher<strong>in</strong> hatte sie aus<br />

e<strong>in</strong>em Tunesienurlaub mitgebracht, mit der Idee, sie vielleicht mal für e<strong>in</strong> Theaterstück zu<br />

verwenden. Sie wurden zunächst <strong>in</strong> der Puppenecke deponiert. Murats Freude war unbeschreiblich.<br />

Er zog sich die Pantöffelchen an, lief damit begeistert durch die ganze E<strong>in</strong>rich-<br />

29 Filipp, 1984, S. 131 f<br />

30 Epste<strong>in</strong>, 1984, S. 19<br />

29<br />

E<strong>in</strong>stellen auf unterschiedliche<br />

Gesprächssituationen<br />

Fremdheitsgefühle<br />

hemmen die<br />

Sprechbereitschaft<br />

Beispiel: Murat entdeckt etwas<br />

Vertrautes<br />

Notizen


tung, sang und plapperte munter und fröhlich mit jedem, der ihm begegnete und se<strong>in</strong><br />

Schuhwerk bewunderte. Er wirkte wie befreit, endlich etwas gefunden zu haben, das ihm<br />

vertraut war, e<strong>in</strong> Stück ¹Zuhauseª.<br />

Das Beispiel verweist auf den bedeutsamen Handlungsspielraum, der sich hier der Erzieher<strong>in</strong><br />

bietet: Sie kann e<strong>in</strong>e Vertrauensbasis schaffen, e<strong>in</strong>e Atmosphäre von Akzeptanz und<br />

Sicherheit, <strong>in</strong> der das K<strong>in</strong>d sich traut, Neues zu erproben, auch auf das Risiko h<strong>in</strong>, Fehler<br />

zu machen.<br />

2.2 Vier Schritte<br />

<strong>Sprachförderung</strong> f<strong>in</strong>det im K<strong>in</strong>dergarten auf vielfältigen Ebenen statt: Zwischen Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

und K<strong>in</strong>dern, z.B. bei der geme<strong>in</strong>samen Betrachtung von Bilderbüchern, bei Aufforderungen,<br />

welche die Alltagsorganisation betreffen, beim Aushandeln von Regeln usw. Aber auch zwischen<br />

den K<strong>in</strong>dern: Im geme<strong>in</strong>samen Spiel müssen viele D<strong>in</strong>ge vere<strong>in</strong>bart, geklärt und besprochen<br />

werden, um das Spiel <strong>in</strong> Gang zu br<strong>in</strong>gen und aufrecht zu erhalten. ¾ltere oder sprachgewandtere<br />

K<strong>in</strong>der verbessern ihre Spielgefährten, wenn diese D<strong>in</strong>ge ¹falschª benennen oder<br />

auch bei nicht korrekter Grammatik: ¹Das heiût nicht Tigers, das heiût Tiger.ª Dabei lernen die<br />

K<strong>in</strong>der sowohl, <strong>in</strong>dem sie unmittelbar <strong>in</strong> die Kommunikation e<strong>in</strong>bezogen s<strong>in</strong>d als auch mittelbar,<br />

<strong>in</strong>dem sie beobachten, wie andere K<strong>in</strong>der und die Erzieher<strong>in</strong>nen mite<strong>in</strong>ander und untere<strong>in</strong>ander<br />

reden.<br />

In diesem Kapitel wollen wir e<strong>in</strong>en Teilaspekt zum Thema ¹<strong>Sprachförderung</strong>ª im K<strong>in</strong>dergarten<br />

herausgreifen und weiterführende Gesichtspunkte dazu entwickeln. Es geht um die<br />

Frage, <strong>in</strong>wieweit die situationsorientierten Ansätze e<strong>in</strong>e gezielte, systematische <strong>Sprachförderung</strong><br />

zulassen. Anders formuliert: Wie kann man die aktuellen Interessen, Bedürfnisse<br />

und Kompetenzen der K<strong>in</strong>der zum Bezugspunkt der Arbeit erklären und gleichzeitig e<strong>in</strong>e<br />

bewuûte und regelmäûige <strong>Sprachförderung</strong> für die K<strong>in</strong>der sicherstellen? Steht die Erzieher<strong>in</strong><br />

nicht vielmehr <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Warteposition, die richtige Situation abzupassen, die Situation, <strong>in</strong><br />

der das K<strong>in</strong>d von sich aus Bereitschaft und Bedürfnis nach verbaler Kommunikation zeigt?<br />

In den situationsorientierten Ansätzen ¹wartetª die Erzieher<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Tat auf den richtigen<br />

Augenblick, auf das, was die K<strong>in</strong>der von sich aus e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Aber dieses Warten ist nicht<br />

30<br />

Situationsorientierte<br />

<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong><br />

der Praxis<br />

Notizen


<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em passiven S<strong>in</strong>ne zu verstehen, sondern vielmehr im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es aufmerksamen,<br />

neugierigen ¹Erwartensª, etwa so, wie man liebe Gäste erwartet. Damit verbunden ist e<strong>in</strong><br />

hohes Maû an Aufmerksamkeit, wachen Beobachtens, der Bereitschaft, <strong>in</strong> Beziehung zum<br />

K<strong>in</strong>d zu treten, und Wissen um se<strong>in</strong>e persönlichen Fähigkeiten und Schwächen.<br />

Dieses Wechselspiel zwischen pädagogischer Abst<strong>in</strong>enz und Aktivität f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> der<br />

hier vorgestellten Schrittfolge zur bewuûten <strong>Sprachförderung</strong> wieder:<br />

´ Erster Schritt: E<strong>in</strong>e Situation als geeignet für <strong>Sprachförderung</strong> erkennen.<br />

´ Zweiter Schritt: E<strong>in</strong>en ¹öffnendenª Kontakt zum K<strong>in</strong>d herstellen.<br />

´ Dritter Schritt: Sprache bewuût und situationsorientiert fördern.<br />

´ Vierter Schritt: Die Situation schriftlich/tabellarisch dokumentieren/festhalten ± im S<strong>in</strong>ne<br />

e<strong>in</strong>er Selbstkontrolle.<br />

Diese Vorgehensweise gewährleistet, dass Stimmigkeit besteht zwischen der aktuellen<br />

Situation des K<strong>in</strong>des und der <strong>Sprachförderung</strong>, denn die Impulse für <strong>Sprachförderung</strong><br />

gehen <strong>in</strong> erster L<strong>in</strong>ie vom K<strong>in</strong>d aus, die Erzieher<strong>in</strong> greift sie auf, führt sie weiter. Die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen<br />

(persönliche Nähe, Zeit und Ort) s<strong>in</strong>d jeweils aktuell auf das K<strong>in</strong>d abgestimmt.<br />

Gleichzeitig ist der Anspruch bewuûter Förderung gewährleistet, denn die Erzieher<strong>in</strong> verknüpft<br />

die aktuelle Situation mit Methoden zur <strong>Sprachförderung</strong>, die auf das K<strong>in</strong>d ± se<strong>in</strong><br />

Alter, se<strong>in</strong>en Entwicklungsstand, se<strong>in</strong>en familiären H<strong>in</strong>tergrund - passen. Sie überprüft ihre<br />

sprachfördernden Aktivitäten mit Hilfe e<strong>in</strong>er tabellarischen Dokumentation und kann so<br />

gegebenenfalls ihre Aufmerksamkeit gezielt auf bestimmte K<strong>in</strong>der lenken, um so geeignete<br />

Situationen aufzuspüren und zu nutzen.<br />

Das Bemerkenswerte und Neue an dieser Schrittfolge ist, dass die e<strong>in</strong>zelnen Schritte bewuût<br />

vollzogen und für die <strong>Sprachförderung</strong> e<strong>in</strong>gesetzt sowie schriftlich dokumentiert werden. In<br />

der Realität s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>zelnen Schritte nicht so deutlich vone<strong>in</strong>ander abgegrenzt, wie es hier<br />

<strong>in</strong> der schriftlichen Darstellung aus Gründen der Verdeutlichung geschieht.<br />

2.3 Erster Schritt: E<strong>in</strong>e Situation als geeignet für <strong>Sprachförderung</strong> erkennen<br />

Auf die Frage, welche K<strong>in</strong>dersituationen sich für e<strong>in</strong>e bewuûte <strong>Sprachförderung</strong> eignen,<br />

könnte die spontane Antwort lauten: ¹eigentlich alle Situationenª. Erst bei näherer Betrachtung<br />

zeigt sich, dass es durchaus Situationen gibt, <strong>in</strong> denen Zurückhaltung angesagt ist.<br />

K<strong>in</strong>dersituationen führen oft e<strong>in</strong> starkes Eigenleben, stellen sich wie e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e abgeschlossene<br />

Welt dar, aus der die Akteure h<strong>in</strong> und wieder ¹herausguckenª oder <strong>in</strong> die sie<br />

sich wieder zurückziehen können. Begegnet man im Gruppengeschehen e<strong>in</strong>em solchen<br />

¹Raumschiff Enterpriseª, spürt man förmlich, dass hier <strong>in</strong>tensivste Lern- und Erfahrungsprozesse<br />

stattf<strong>in</strong>den. Es ist e<strong>in</strong>e Frage des Taktes, <strong>in</strong>wieweit man die Intimität solcher<br />

Situationen stören darf, und e<strong>in</strong>e Frage der Ethik, <strong>in</strong>wieweit es erlaubt ist, solche Situationen<br />

für andere Zwecke zu <strong>in</strong>strumentalisieren, und seien sie aus Sicht der Erwachsenen<br />

noch so bedeutsam. Dies gilt ebenfalls für Situationen, <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong>der Stille und Entspannung<br />

suchen, Situationen, <strong>in</strong> denen sie fasz<strong>in</strong>iert das Spiel anderer K<strong>in</strong>der mit AugÁ und<br />

Ohren verfolgen und dabei ¹von der Seiteª lernen, Situationen des Tagträumens.<br />

Demgegenüber gibt es natürlich e<strong>in</strong>e Fülle an Situationen, die auch aus Sicht der K<strong>in</strong>der<br />

¹Öffentlichkeitscharakterª besitzen, <strong>in</strong> denen die K<strong>in</strong>der auf vielfältige Weise ihre Bereitschaft<br />

signalisieren, Verb<strong>in</strong>dungen zu knüpfen, Kontakt zu anderen K<strong>in</strong>dern oder Erwachsenen<br />

aufzunehmen, um neue <strong>in</strong>teressante Erfahrungen aufzutun: ¹Hör mal!ª, ¹Guck mal!ª,<br />

¹Komm mal!ª. Und es gibt Situationen des Alle<strong>in</strong>se<strong>in</strong>s, der Traurigkeit, die als Bitte nach<br />

Zuwendung und Zuspruch verstanden werden können.<br />

Neben den ¹klassischenª sprachfördernden Aktivitäten, wie z.B. der Bilderbuchbetrachtung,<br />

F<strong>in</strong>gerspielen, Reimen und Liedern, gibt es e<strong>in</strong>e Vielzahl alltäglicher Anknüpfungspunkte,<br />

die <strong>in</strong> der Praxis eher selten zur bewuûten <strong>Sprachförderung</strong> genutzt werden. Zu<br />

31<br />

Vier Schritte<br />

Eigenleben von K<strong>in</strong>dersituationen<br />

respektieren<br />

Signale der Gesprächsbereitschaft<br />

beachten<br />

Notizen


denken ist z.B. an die Br<strong>in</strong>g- und Abholsituation, bei der auch die Eltern als Ansprechpartner<br />

e<strong>in</strong>bezogen werden können, an die vielfältigen groûen und kle<strong>in</strong>en Bitten oder Hilfsangebote<br />

im Rahmen der Alltagsorganisation der E<strong>in</strong>richtung, an die Mahlzeiten, die Ruhe<br />

und Zeit zur Kommunikation bieten. Entscheidend ist hierbei, e<strong>in</strong> Gespür für den richtigen<br />

Augenblick zu entwickeln, ¹richtigª aus Sicht der K<strong>in</strong>der.<br />

2.4 Zweiter Schritt: E<strong>in</strong>en ¹öffnendenª Kontakt zumK<strong>in</strong>d herstellen<br />

¹Öffnendenª Kontakt herstellen heiût <strong>in</strong> diesem Zusammenhang, e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zum<br />

K<strong>in</strong>d herstellen, die für das K<strong>in</strong>d stimmig ist, gegen die es sich nicht verschlieûen und<br />

abschotten muû. Insofern kann ¹öffnender Kontaktª auch heiûen, die Verschlossenheit des<br />

K<strong>in</strong>des zu akzeptieren. Das folgende Beispiel soll dies verdeutlichen:<br />

Sab<strong>in</strong>e hockt mit vier K<strong>in</strong>dern vor groûen Papierbögen auf dem Boden. In der Mitte steht<br />

e<strong>in</strong> Korb mit dicken Buntstiften <strong>in</strong> vielen verschiedenen Farben. Die K<strong>in</strong>der wollen aus<br />

e<strong>in</strong>em alten, groûen Pappkarton e<strong>in</strong> Kaspertheater bauen. Jetzt malen sie gerade die Kulissen,<br />

entwickeln dabei gleichzeitig und sehr lebhaft Ideen über den Spielverlauf. Sab<strong>in</strong>e ist<br />

Erzieher<strong>in</strong>, es ist ihr zweiter Tag am neuen Arbeitsplatz. Sie nutzt die Situation, um das Spiel<br />

der K<strong>in</strong>der zu beobachten und sie auf diese Weise kennenzulernen.<br />

Gestern hatte e<strong>in</strong>e Kolleg<strong>in</strong> sie <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung herumgeführt und ihr e<strong>in</strong>ige H<strong>in</strong>weise zu<br />

den K<strong>in</strong>dern ihrer Gruppe gegeben: ¹Hier ist e<strong>in</strong> buntes Völkchen versammelt: türkische<br />

K<strong>in</strong>der, K<strong>in</strong>der aus Marokko, aus Sri Lanka, Aussiedlerk<strong>in</strong>der aus Weiûruûland und deutsche<br />

K<strong>in</strong>der. Das ist nicht so e<strong>in</strong>fach, vor allem wegen der Sprache. Das hier ist TugÏ ce, sie ist jetzt<br />

seit zwei Monaten <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung. Sie spricht gar nicht, da hab ich schon alles versucht.ª<br />

Dieser Satz war bei Sab<strong>in</strong>e hängengeblieben, das hatte so resigniert und endgültig geklungen,<br />

wie e<strong>in</strong> Urteilsspruch. Später hatte sie versucht, TugÏ ce anzusprechen, aber das Mädchen<br />

zog nur die Schultern zusammen, senkte den Blick verlegen auf die Hände und<br />

wandte sich ab. Sab<strong>in</strong>e beschränkte sich dann darauf, TugÏ ce aufmunternd zuzunicken,<br />

wenn sich ¹zufälligª e<strong>in</strong> Blickkontakt ergab.<br />

Jetzt steht TugÏ ce schräg h<strong>in</strong>ter ihr, schon seit e<strong>in</strong>er ganzen Weile. Sab<strong>in</strong>e wendet sich ihr<br />

h<strong>in</strong> und wieder mit e<strong>in</strong>er freundlichen Bemerkung zu, die ke<strong>in</strong>e Antwort erfordert: ¹Na, das<br />

wird e<strong>in</strong>e prima Kaspervorstellung, ich freu' mich schon.ª TugÏ ce rückt allmählich näher an<br />

Sab<strong>in</strong>e heran, aber immer noch so, dass ke<strong>in</strong> Blickkontakt entsteht, solange Sab<strong>in</strong>e sich<br />

nicht umdreht. Von den anderen K<strong>in</strong>dern nimmt niemand Notiz von TugÏ ce. Nach 15 M<strong>in</strong>uten<br />

hockt TugÏ ce schlieûlich neben Sab<strong>in</strong>e auf dem Boden. TugÏ ce nimmt sich den Stift, der<br />

für sie am besten zu erreichen ist, stupst Sab<strong>in</strong>e an und zeigt auf e<strong>in</strong>en Apfelbaum, den<br />

Raissa gemalt hat. ¹Was möchtest du, TugÏ ce? Kann ich dir helfen?ª TugÏ ce fuchtelt mit dem<br />

Stift durch die Luft. ¹Möchtest du, dass ich dir e<strong>in</strong>en Apfelbaum male?ª TugÏce nickt. Sab<strong>in</strong>e<br />

malt e<strong>in</strong>en Apfelbaum und sagt: ¹So, jetzt kannst du die ¾pfel re<strong>in</strong>malen.ª TugÏ ce schüttelt<br />

den Kopf. ¹Versuch es doch mal.ª TugÏ ce malt e<strong>in</strong>en Haken <strong>in</strong> die Baumkrone und schüttelt<br />

ärgerlich den Kopf. ¹Komm, versuch es noch mal!ª Jetzt kriegt sie schon besser die ¹Kurveª.<br />

Sie freut sich, und Sab<strong>in</strong>e sagt mit strahlendem Gesicht: ¹Ja, genau, e<strong>in</strong> schöner Apfel,<br />

lecker sieht der aus.ª Und dabei legt sie kurz den Arm um TugÏ ces Schulter. ¹Gutª, bemerkt<br />

auch Markus, der auf e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Hocker gegenüber sitzt und E<strong>in</strong>trittskarten ausschneidet.<br />

¹Wie heiût die?ª ¹Das ist TugÏ ceª, antwortet Sab<strong>in</strong>e, ¹Und wie heiût du, ich kenne ja<br />

auch noch nicht alle Namen?ª ¹Markus!ª Es folgt e<strong>in</strong> kurzer, aufmerksamer Blickkontakt zwischen<br />

Markus und TugÏ ce. TugÏ ce malt noch mehr ¾pfel <strong>in</strong> die Baumkrone, sie gel<strong>in</strong>gen<br />

unterschiedlich gut, aber <strong>in</strong>sgesamt immer besser. Dann beg<strong>in</strong>nt TugÏ ce, Stifte nach Farben<br />

zu sortieren. Sab<strong>in</strong>e begleitet TugÏ ces Spiel mit Worten: ¹Jetzt hast du schon vier blaue<br />

Stifte gefunden.ª Markus: ¹Hier ist noch e<strong>in</strong>er.ª TugÏ ce nimmt den Stift von Markus und sagt<br />

leise: ¹Blau?ª ¹Ja, dieser Stift ist auch blau.ª Das Spiel geht e<strong>in</strong>e ganze Weile auf diese Weise<br />

weiter, der Dialog bleibt zwar auf TugÏ ces Seite ¹e<strong>in</strong>silbigª, wird aber zunehmend munterer<br />

und mutiger, was sich an der lauter und deutlicher werdenden Stimme und ihrer Bereitschaft,<br />

kurzen Blickkontakt zu halten, ablesen läût.<br />

32<br />

Den richtigen Moment für<br />

Kontaktaufnahme f<strong>in</strong>den<br />

Beispiel: TugÏ ce<br />

Notizen


Sab<strong>in</strong>e erweitert nach e<strong>in</strong>er Weile den Kontext, <strong>in</strong>dem sie TugÏ ce zeigt, wo die Farben an ihr<br />

zu f<strong>in</strong>den s<strong>in</strong>d. TugÏ ce holt z.B. e<strong>in</strong>en roten Stift aus dem Korb und sagt, wie schon zuvor mit<br />

e<strong>in</strong>em kle<strong>in</strong>en Fragezeichen: ¹Rot?ª. Sab<strong>in</strong>e antwortet: ¹Ja, rot. Guck mal, de<strong>in</strong> Pullover ist<br />

auch rot.ª Und dabei hält sie den Stift an TugÏ ces Pullover. TugÏ ce kehrt das Spiel um und<br />

sucht Stifte mit Farben, die sich <strong>in</strong> Sab<strong>in</strong>es Kleidung f<strong>in</strong>den. Zwischenzeitlich beteiligen<br />

sich auch die anderen K<strong>in</strong>der dieser Runde an dem Spiel, dabei belehren sie ihre neue<br />

Erzieher<strong>in</strong> darüber, dass es ¹p<strong>in</strong>kª heiût und nicht ¹rosaª. Im Verlauf e<strong>in</strong>er dreiviertel(!) Stunde<br />

± die anderen K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>zwischen mit dem Aufbau des Kaspertheaters beschäftigt ±<br />

hat TugÏ ce aus eigenem Antrieb alle Stifte nach Farben und Gröûe sortiert und die Farben<br />

benannt. Durch das Gespräch mit Sab<strong>in</strong>e wurde TugÏ ce auch für die anderen K<strong>in</strong>der sichtbar.<br />

TugÏ ce beendet schlieûlich das Spiel selbständig, sie wirkt zufrieden, räumt die Stifte<br />

wieder zurück <strong>in</strong> den Korb.<br />

Die Fähigkeit, ¹Beziehungen aufzubauenª,<br />

Kontakt zu K<strong>in</strong>dern herzustellen,<br />

K<strong>in</strong>dern Nähe zu ermöglichen,<br />

stellt e<strong>in</strong>e Schlüsselqualifikation<br />

für den Beruf der Erzieher<strong>in</strong><br />

dar, ersche<strong>in</strong>t als nahezu selbstverständliche<br />

Voraussetzung. Demgegenüber<br />

zeigt unser Beispiel, dass<br />

die Fähigkeit ¹Kontakt aufzunehmenª<br />

ke<strong>in</strong>eswegs selbstverständlich<br />

und e<strong>in</strong>fach ist. Sie erfordert<br />

persönliche Reife und grundlegende<br />

kommunikative Kompetenzen,<br />

die im Rahmen der Ausbildung und<br />

im Zuge berufsbiografischer Erfahrungen<br />

erworben und weiterentwickelt<br />

werden müssen.<br />

Sab<strong>in</strong>es Kolleg<strong>in</strong> sagt, sie habe<br />

schon ¹alles versuchtª, um TugÏ ce<br />

zum Sprechen zu br<strong>in</strong>gen, aber<br />

vergeblich. Und man ahnt h<strong>in</strong>ter<br />

dem ¹alles versuchtª viel Engagement,<br />

Energie und Aktivität. Die<br />

Erzieher<strong>in</strong> hat offenbar e<strong>in</strong>e Menge<br />

Zeit und Kraft <strong>in</strong>vestiert, ehe sie<br />

schlieûlich, enttäuscht durch TugÏ ces Verhalten, aufgab. Wie diese Aktivitäten bei TugÏ ce<br />

angekommen s<strong>in</strong>d, darüber kann hier nur spekuliert werden: Vielleicht hat TugÏ ce das Verhalten<br />

der Erzieher<strong>in</strong> als aufdr<strong>in</strong>glich und bedrohlich erlebt, vielleicht hätte sie zunächst<br />

Zeit gebraucht, um <strong>in</strong>nerlich <strong>in</strong> der neuen Umgebung anzukommen, sich zurechtzuf<strong>in</strong>den,<br />

Vertrautes zu entdecken, das ihr e<strong>in</strong> Gefühl der Sicherheit und Geborgenheit vermittelte.<br />

Vielleicht brauchte sie auch e<strong>in</strong> Signal, dass sie ± so wie sie ist ± angenommen und anerkannt<br />

wird, ohne gleich bestimmte Leistungen und Erwartungen erfüllen zu müssen.<br />

Sab<strong>in</strong>e stellt <strong>in</strong> unserem Beispiel die Bedürfnisse von TugÏ ce <strong>in</strong> den Mittelpunkt, ohne dabei<br />

ihre pädagogischen Ziele ± <strong>in</strong> diesem Fall die <strong>Sprachförderung</strong> ± aus dem Blick zu verlieren<br />

oder ad acta zu legen. Sie akzeptiert die Nähe/Distanz, die TugÏ ce von sich aus anbietet,<br />

und signalisiert ihre Wertschätzung durch freundliche, unaufdr<strong>in</strong>gliche Zuwendung und<br />

Aufmerksamkeit. Dadurch entsteht e<strong>in</strong> Freiraum, der TugÏ ce zu neuen Schritten ermutigt:<br />

sie traut sich, ¹die Sache(n) e<strong>in</strong>mal näher zu betrachtenª, und sie traut sich schlieûlich<br />

auch, ¹den Mund aufzumachen.ª<br />

Interessant und von groûer Bedeutung für die pädagogische Arbeit ist das im Beispiel<br />

deutlich werdende Phänomen, dass TugÏ ce <strong>in</strong> dem Augenblick, <strong>in</strong> dem der Kontakt zu<br />

33<br />

Notizen


Sab<strong>in</strong>e hergestellt ist, auch für die anderen K<strong>in</strong>der sichtbar wird, so als hätte sie sich e<strong>in</strong>er<br />

Tarnkappe entledigt, weil sie dieses Schutzes nicht mehr bedarf.<br />

Verhaltensweisen, die Kontakte und damit tragfähige Beziehungen unterstützen, s<strong>in</strong>d also<br />

unterschiedlich, je nachdem, um welches K<strong>in</strong>d es geht und <strong>in</strong> welcher aktuellen Situation<br />

das K<strong>in</strong>d jeweils steht. Es lassen sich jedoch e<strong>in</strong>ige allgeme<strong>in</strong>e Gesichtspunkte benennen,<br />

die grundlegend s<strong>in</strong>d für den Aufbau öffnender Kontakte. Sie wurden von Erzieher<strong>in</strong>nen vor<br />

dem H<strong>in</strong>tergrund ihrer Praxiserfahrung zusammengestellt:<br />

´ dem K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>en freundlichen Blick schenken,<br />

´ sich dem K<strong>in</strong>d zuwenden,<br />

´ e<strong>in</strong>e offene Körperhaltung e<strong>in</strong>nehmen,<br />

´ Rituale der K<strong>in</strong>der aufgreifen als Kontaktbrücken (z.B. ¹E<strong>in</strong>trittskartenª),<br />

´ Regeln mit abweisendem Charakter freundlich erklären,<br />

´ Körperkontakt anbieten, aber nicht aufdrängen,<br />

´ das K<strong>in</strong>d beachten,<br />

´ Blickkontakt zum K<strong>in</strong>d suchen,<br />

´ Ironie vermeiden,<br />

´ nicht <strong>in</strong> Gegenwart des K<strong>in</strong>des über das K<strong>in</strong>d sprechen, sondern es direkt ansprechen<br />

oder <strong>in</strong> das Gespräch e<strong>in</strong>beziehen.<br />

Erzieher<strong>in</strong>nen berichten aus ihrem Praxisalltag, dass die genannten hilfreichen Aspekte<br />

eigentlich e<strong>in</strong>e Selbstverständlichkeit darstellen und trotzdem nicht selten auf subtile Weise<br />

miûachtet werden.<br />

Kontakt aufzunehmen ist verbunden mit e<strong>in</strong>em spezifischen Bedürfnis nach Nähe oder<br />

Abstand zu e<strong>in</strong>er Person. Das heiût, Kontakt hat auch zu tun mit den eigenen Grenzen, die ich<br />

ziehe und die me<strong>in</strong> Gegenüber zieht. In jeder Begegnung wird der ¹richtigeª Abstand ausgehandelt,<br />

<strong>in</strong> der Regel ohne dass dies den Beteiligten bewuût ist. Herauszuf<strong>in</strong>den, welche Nähe<br />

für das K<strong>in</strong>d die richtige ist, welches ¹Tempoª se<strong>in</strong> Tempo ist, ist also nur e<strong>in</strong>e Seite der<br />

Medaille. Die andere ist es zu fragen, welche Nähe ist für die Erzieher<strong>in</strong> die richtige und wieviel<br />

Zeit braucht sie, um <strong>in</strong> Kontakt zu treten. Fällt ihr dies bei e<strong>in</strong>igen K<strong>in</strong>dern leichter als bei anderen<br />

etc. Dieser Gedanke ± es mit e<strong>in</strong>igen K<strong>in</strong>dern nicht zu ¹könnenª ± wird häufig tabuisiert.<br />

Die nach auûen gezeigte Nähe oder Distanz muû nicht immer mit dem <strong>in</strong>neren Bedürfnis<br />

übere<strong>in</strong>stimmen. So verspürt die Erzieher<strong>in</strong> z.B. den Wunsch, e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d zu trösten und auf<br />

den Arm zu nehmen, beläût es aber aus pädagogischen Erwägungen bei e<strong>in</strong>er verbalen<br />

Zuwendung. Oder sie nimmt e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d auf den Schoû, weil das K<strong>in</strong>d diesen Wunsch signalisiert,<br />

obwohl sie sich <strong>in</strong>nerlich e<strong>in</strong>e gröûere Distanz wünscht, z.B. weil das K<strong>in</strong>d schlecht<br />

riecht oder sie es aus anderen Gründen ablehnt.<br />

Wichtig ist, sich über Diskrepanzen zwischen gezeigter und gewünschter Nähe/Distanz<br />

klar zu werden, weil diese <strong>in</strong> der Beziehung wirksam s<strong>in</strong>d. Vor allem, wenn der Wunsch<br />

nach Distanz gröûer ist als man ihn vor dem H<strong>in</strong>tergrund des beruflichen Selbstverständnisses<br />

zulassen kann, besteht die Gefahr, dass subtile Botschaften der Ablehnung gesendet<br />

werden, die das K<strong>in</strong>d verunsichern und die Beziehung belasten.<br />

Entscheidend für die Herstellung e<strong>in</strong>es öffnenden Kontaktes ist die Bereitschaft und die<br />

Geduld, sich immer wieder neu auf die K<strong>in</strong>der und ihre Eigenheiten e<strong>in</strong>zulassen, die eigenen<br />

E<strong>in</strong>schätzungen, (Vor-) Urteile zurückzustellen. Damit erhält das K<strong>in</strong>d die Chance zu<br />

zeigen, dass es mehr zu bieten hat, als e<strong>in</strong> ± wie auch immer geartetes ± pädagogisches<br />

Raster vorgeben oder vorhersagen kann. Entscheidungen, die auf der Grundlage dieser<br />

Haltung getroffen werden, werden sehr nah an den Bedürfnissen der K<strong>in</strong>der orientiert se<strong>in</strong>.<br />

Das hat zur Folge, dass K<strong>in</strong>der sich wohl fühlen, e<strong>in</strong>e elementare Voraussetzung dafür,<br />

dass effektives Lernen stattf<strong>in</strong>den kann. 31<br />

31 Knauf, 1998, S. 14<br />

34<br />

Allgeme<strong>in</strong>e Gesichtspunkte<br />

für den Aufbau öffnender<br />

Kontakte<br />

Die jeweils richtige<br />

Nähe/Distanz erkennen<br />

Immer wieder neu ansetzen<br />

Notizen


2.5 Dritter Schritt: Sprache bewuût und situationsorientiert fördern<br />

Wenn e<strong>in</strong>e Situation als geeignet zur <strong>Sprachförderung</strong> erkannt und aufgegriffen, e<strong>in</strong> öffnender<br />

Kontakt zum K<strong>in</strong>d hergestellt wurde, dann ist der Weg gut vorbereitet für e<strong>in</strong>e gezielte<br />

und wirksame <strong>Sprachförderung</strong>. Diese erreicht das K<strong>in</strong>d vermutlich auf e<strong>in</strong>em hohen Motivationsniveau,<br />

denn es wird nicht mit e<strong>in</strong>em ¹Standardprogrammª konfrontiert, sondern<br />

f<strong>in</strong>det sich selbst, se<strong>in</strong>e Wünsche und Bedürfnisse, im Angebot der Erzieher<strong>in</strong> wieder. Es<br />

erlebt, dass se<strong>in</strong>e Ideen wertgeschätzt und weitergeführt werden. Diese Erfahrung stärkt<br />

se<strong>in</strong> Selbstwertgefühl und damit auch se<strong>in</strong>en Mut, sich auf Neues e<strong>in</strong>zulassen, Neues auszuprobieren.<br />

Verschiedene Gesichtspunkte, die ganz unterschiedliche Ebenen der pädagogischen<br />

Arbeit betreffen, spielen beim dritten Schritt e<strong>in</strong>e Rolle. Sie werden hier im Überblick vorgestellt<br />

und an anderer Stelle ausführlich erläutert.<br />

(Weiter-)Entwicklung der pädagogisch-konzeptionellen Ausgangsbasis<br />

<strong>Sprachförderung</strong> erfordert auf Seiten der Erzieher<strong>in</strong> e<strong>in</strong> fundiertes Wissen über den Spracherwerb<br />

als e<strong>in</strong>em Teilaspekt entwicklungspsychologischer Abläufe. Die Aneignung/Weiterführung<br />

von H<strong>in</strong>tergrundwissen hierzu stellt die Basis dar für e<strong>in</strong>e professionelle Gestaltung<br />

der aktuellen sprachfördernden Situation (vgl. Kap. I 1.±3.).<br />

Darüber h<strong>in</strong>aus ist es wichtig, Informationen zu den Sprach- und Sprechgewohnheiten der<br />

Familien zu gew<strong>in</strong>nen: Welche Sprache oder welche Sprachen werden zu Hause gesprochen,<br />

welche Sprache ist dem K<strong>in</strong>d ± im S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>er Erstsprache ± die vertrauteste, wie gut<br />

beherrscht es diese bereits, wieviel Erfahrung hat es im Umgang mit der (hoch-) deutschen<br />

Sprache, die im K<strong>in</strong>dergarten ¹Verkehrsspracheª ist (vgl. Kap. II 1.1 und 1.3).<br />

E<strong>in</strong>e Reflexion des eigenen Sprachverhaltens kann der Erzieher<strong>in</strong> H<strong>in</strong>weise auf persönliche<br />

Entwicklungsmöglichkeiten oder -notwendigkeiten geben: Welches Verhältnis hat sie<br />

selbst zur ¹Spracheª, welche Er<strong>in</strong>nerungen aus der Schulzeit spielen hier e<strong>in</strong>e unterstützende<br />

oder störende Rolle, wieviel Wert legt sie auf vielfältigen Wortgebrauch (Synonyme),<br />

wie deutlich und artikuliert ist ihre Sprechweise, ist diese grammatikalisch korrekt, verfügt<br />

sie über Sprechfreude oder ist sie eher schweigsam etc. Wie ist ihre E<strong>in</strong>stellung zu Fremdsprachen,<br />

besteht die Bereitschaft, sich grundlegende Begriffe e<strong>in</strong>er fremden Sprache, die<br />

<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung stark vertreten ist, anzueignen? Tonbandaufnahmen mit der eigenen<br />

Stimme können <strong>in</strong> diesem Zusammenhang sehr erhellend und anregend se<strong>in</strong> (vgl. Kap. II<br />

4.1).<br />

<strong>Sprachförderung</strong> im hier beschriebenen S<strong>in</strong>ne ist e<strong>in</strong> kreativer Prozeû. Hierzu braucht die<br />

Erzieher<strong>in</strong> ± ebenso wie die K<strong>in</strong>der es zur Entfaltung ihrer kreativen Potentiale brauchen ±<br />

Spiel- und Freiräume h<strong>in</strong>sichtlich Raum- und Zeitnutzung, e<strong>in</strong>en Fundus anregender Materialien<br />

und die Möglichkeit, flexible Absprachen mit Kolleg<strong>in</strong>nen zu treffen, <strong>in</strong> welchen die<br />

potentielle Bedeutung e<strong>in</strong>er aktuellen Situation höher e<strong>in</strong>geschätzt wird als Rout<strong>in</strong>eabläufe<br />

und -zuständigkeiten. Situationen der <strong>Sprachförderung</strong> brauchen häufig Zeit, sie gel<strong>in</strong>gen<br />

leichter <strong>in</strong> Räumen, <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong>d und Erzieher<strong>in</strong> sich wohl fühlen, <strong>in</strong> denen auch Rückzug<br />

möglich ist, und sie werden unterstützt durch Materialien, die nicht festgelegt s<strong>in</strong>d auf e<strong>in</strong>e<br />

bestimmte Funktion, sondern zum Fragen und Geschichten erzählen auffordern (vgl. Kap.<br />

II 3).<br />

Um Situationen bewuûter <strong>Sprachförderung</strong> mit der nötigen Aufmerksamkeit durchführen<br />

zu können, bedarf es e<strong>in</strong>es beruflichen Selbstverständnisses, das abrückt von der Vorstellung,<br />

ständig für alle (25!) K<strong>in</strong>der ansprechbar und verfügbar zu se<strong>in</strong> und statt dessen e<strong>in</strong><br />

differenziertes, situationsorientiertes pädagogisches Handeln <strong>in</strong> den Vordergrund stellt.<br />

Wichtig ist auch, dass man sich mit dieser Haltung e<strong>in</strong>ig weiû mit den Kolleg<strong>in</strong>nen, die<br />

Erzieher<strong>in</strong> also davon ausgehen kann, dass e<strong>in</strong>e zeitlich begrenzte Konzentration auf e<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>zelnes K<strong>in</strong>d oder e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e Gruppe im Team akzeptiert und unterstützt wird.<br />

35<br />

Adäquate <strong>Sprachförderung</strong><br />

erfordert<br />

± H<strong>in</strong>tergrundwissen über<br />

den Spracherwerb<br />

± Informationen über<br />

Sprachsituation <strong>in</strong> der<br />

Familie<br />

± Reflexion des eigenen<br />

Sprachverhaltens<br />

± flexible Raum- und<br />

Zeitnutzung<br />

Notizen


Informationen gew<strong>in</strong>nen im Praxisalltag ± längerfristig<br />

Im Austausch mit den Eltern,± zum Beispiel beim Aufnahmegespräch ±, durch Beobachtung<br />

von Spiel- oder Alltagssituationen, <strong>in</strong> die das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>bezogen ist, und durch kritische<br />

Reflexion der eigenen E<strong>in</strong>stellung gegenüber dem Sprachverhalten des K<strong>in</strong>des, erwirbt die<br />

Erzieher<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Hypothese über die Sprachsituation des K<strong>in</strong>des. E<strong>in</strong>e solche vorläufige, ±<br />

d.h. immer wieder neu zu überprüfende ± E<strong>in</strong>schätzung der k<strong>in</strong>dlichen Sprachkompetenz<br />

ist <strong>in</strong> der aktuellen Situation ¹abrufbarª. Sie dient der Orientierung und der Abstimmung<br />

des eigenen Förderkonzepts.<br />

Pädagogisches Handeln <strong>in</strong> der aktuellen Situation<br />

In der aktuellen Situation dient die Hypothese ke<strong>in</strong>esfalls ihrer eigenen Bestätigung, sondern<br />

als Folie, um (auch kle<strong>in</strong>e) Veränderungen zu bemerken und zu würdigen. Es ist ja<br />

wünschenswert, dass die Hypothese nicht mehr stimmt, denn das bedeutet doch, dass<br />

Entwicklungsschritte stattgefunden haben. Wobei im E<strong>in</strong>zelfall natürlich auch Stagnation<br />

oder Rückschritt sichtbar werden können, doch auch das ist wichtig zu realisieren, um mit<br />

geeigneten Handlungskonzepten darauf zu antworten.<br />

Wichtig ist auch e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schätzung darüber, welches Sprechverhalten das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der aktuellen<br />

Situation zeigt: spricht es zögernd, langsam, leise, stockend, dann werde ich es nicht<br />

mit lauter Stimme und vielen Worten zuschütten, sondern eher behutsam und zurückhaltend<br />

vorgehen. Hier geht es möglicherweise erst e<strong>in</strong>mal darum, dem K<strong>in</strong>d aufmerksam<br />

zuzuhören. Spricht es dagegen bereits zügig, flieûend, unbefangen, passe ich mich diesem<br />

Tempo und Schwung an, wirke als Modell und Bestätigung, als Partner se<strong>in</strong>er Sprechfreude.<br />

2.6 Vierter Schritt: Die Situation tabellarisch dokumentieren<br />

Dieser Schritt stellt den Abschluû e<strong>in</strong>er Situation bewuûter <strong>Sprachförderung</strong> dar. Die Erzieher<strong>in</strong><br />

markiert den Namen des K<strong>in</strong>des und hält Tag und Uhrzeit sowie Dauer der Situation fest.<br />

Ergänzend kann sie <strong>in</strong> der Rubrik ¹Bemerkungenª noch stichwortartig e<strong>in</strong>tragen, <strong>in</strong> welchem<br />

Rahmen die Situation stattfand oder was sie als besonders hilfreich und bemerkenswert<br />

erlebte.<br />

Situationen bewuûter <strong>Sprachförderung</strong><br />

Zeitraum: Woche vom 13. ± 17. November; Päd. Fachkraft: Sab<strong>in</strong>e Mais<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

36<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

<br />

Eigene Hypothesen über<br />

das K<strong>in</strong>d ständig neu<br />

überprüfen<br />

Notizen


Dieser Schritt kostet nur wenige M<strong>in</strong>uten und hat doch e<strong>in</strong>en weitreichenden Effekt: Die Erzieher<strong>in</strong><br />

erhält e<strong>in</strong>en Überblick über die Quantität von Situationen bewuûter <strong>Sprachförderung</strong>.<br />

Sie sieht, welche K<strong>in</strong>der häufig <strong>in</strong> den Genuû kommen, welche weniger oder gar nicht. Sie<br />

kann <strong>in</strong> kritischen Gesprächen mit Eltern den Nachweis ¹schwarz auf weiûª erbr<strong>in</strong>gen, dass<br />

e<strong>in</strong>e regelmäûige, gezielte <strong>Sprachförderung</strong> stattf<strong>in</strong>det. Sie gew<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>schätzung darüber,<br />

welchen Raum, im Vergleich zu anderen pädagogischen Aktivitäten, der Bereich der<br />

<strong>Sprachförderung</strong> e<strong>in</strong>nimmt. Wenn die Spalte ¹Bemerkungenª e<strong>in</strong>bezogen wird, entsteht e<strong>in</strong><br />

Methodenfundus, der das eigene Handlungsspektrum zur <strong>Sprachförderung</strong> erweitert und/<br />

oder es ergeben sich H<strong>in</strong>weise auf konzeptionelle Mängel, die reflektiert und verändert werden<br />

müssen. Hilfreich ist die Dokumentation auch zur Information neuer Kolleg<strong>in</strong>nen oder Kollegen,<br />

die sich nach Krankheit oder Urlaub wieder <strong>in</strong>s Gruppengeschehen e<strong>in</strong>f<strong>in</strong>den müssen.<br />

Wichtig ist, dass die Checkliste unmittelbar greifbar, also im Gruppenraum, verfügbar ist.<br />

Erzieher<strong>in</strong>nen berichten, dass es hilfreich sei, wenn zunächst jede Kolleg<strong>in</strong> die Liste für sich<br />

führe, dies erleichtere das Vertrautwerden mit dem Schema und ermögliche e<strong>in</strong> Experimentieren<br />

mit der äuûeren Form, bis das ¹Richtigeª gefunden sei. E<strong>in</strong> Vergleich der E<strong>in</strong>tragungen<br />

unter Kolleg<strong>in</strong>nen ermöglicht es, <strong>in</strong> gegenseitiger Ergänzung und Unterstützung zu arbeiten.<br />

Die hier vorgestellte Schrittfolge bewirkt, dass <strong>Sprachförderung</strong> nicht e<strong>in</strong>seitig von auûen<br />

an das K<strong>in</strong>d herangetragen wird, sondern sich aus K<strong>in</strong>dersituationen entwickelt und ganzheitlich<br />

und stimmig mit dem Gesamtgeschehen verbunden ist. Im Idealfall wirken die verschiedenen,<br />

hier vorgestellten Aspekte zusammen und verdichten sich zu e<strong>in</strong>em maûgeschneiderten<br />

Sprachförderkonzept für das jeweilige K<strong>in</strong>d.<br />

3. Den Alltag nutzen für e<strong>in</strong>e bewuûte <strong>Sprachförderung</strong><br />

K<strong>in</strong>der erschlieûen sich ihre Umwelt handelnd. Besonders engagiert s<strong>in</strong>d K<strong>in</strong>der immer<br />

dann, wenn sie aus e<strong>in</strong>em eigenen Bedürfnis heraus handeln. Dabei zeigt sich, ¹dass die<br />

Welt des K<strong>in</strong>des nicht aus losgelösten und abstrakten Objekten besteht, sondern aus<br />

Zusammenhängen, die durch das spezifische Interesse des K<strong>in</strong>des geknüpft werden.ª 32<br />

Werden K<strong>in</strong>der aus ihren (Spiel-) Zusammenhängen für die <strong>Sprachförderung</strong> herausgerissen,<br />

so besteht die Gefahr, sie mit didaktisch aufbereiteten Materialien zu konfrontieren,<br />

die <strong>in</strong> der momentanen Erfahrungswelt des K<strong>in</strong>des ke<strong>in</strong>e Bezüge f<strong>in</strong>den. Folge e<strong>in</strong>er solchen<br />

Herangehensweise ist <strong>in</strong> vielen Fällen die ¹Isolierung des Denkens von Wahrnehmung<br />

und emotionalen H<strong>in</strong>tergründen. Wo Lernprozesse nicht mehr von e<strong>in</strong>em leidenschaftlichen<br />

Interesse an der Wahrnehmung der Wirklichkeit getragen werden, müssen sie notwendig<br />

träge und flach werden. Allenfalls wird Geschicklichkeit gelernt, die aber ohne wirklich existentielle<br />

Bedeutung bleibt.ª 33<br />

Auch aus Sicht der Forschungen zum Spracherwerb wird <strong>in</strong> diesem Zusammenhang darauf<br />

h<strong>in</strong>gewiesen: ¹Das K<strong>in</strong>d übernimmt solche Sprachäuûerungen aus der Umwelt, die es häufig<br />

hört, und die für se<strong>in</strong>e Wünsche und Bedürfnisse von Bedeutung s<strong>in</strong>d.ª 34<br />

Für die <strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong> K<strong>in</strong>dertagesstätten bedeutet dies, die K<strong>in</strong>der möglichst im alltäglichen<br />

Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> ihrer Sprachentwicklung zu unterstützen. Es s<strong>in</strong>d die alltäglichen<br />

Situationen, die K<strong>in</strong>der aus e<strong>in</strong>em eigenen Bedürfnis heraus motivieren, ihre Sprachkenntnisse<br />

voranzutreiben. Dabei kann der gesamte Alltag ± also u.a. der Tagesablauf, die<br />

Raumgestaltung, Materialien/Spiele und auch die Öffnung zum Stadtteil ± daraufh<strong>in</strong> überdacht<br />

werden, wie er möglichst sprachfördernd gestaltet werden kann.<br />

<strong>Sprachförderung</strong> im Alltag bedeutet weniger, e<strong>in</strong>e weitere Extraaufgabe bewältigen zu<br />

müssen. Vielmehr geht es darum, sensibler zu werden, wann welche K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihrer<br />

Sprachentwicklung gefördert oder gehemmt werden und dementsprechend Schritt für<br />

Schritt das alltägliche Arbeiten zu verändern. Mit diesem Verständnis wird sich die Sprach-<br />

32 Schäfer, 1999, S. 195<br />

33 Schäfer, 1995, S. 290<br />

34 Grimm. In: Oerter/Montada, 1987, S. 635<br />

37<br />

Tabellarische Dokumentation<br />

macht Stärken und<br />

Schwächen für sich und<br />

andere transparent<br />

Idealfall: <strong>in</strong>dividuell maûgeschneidertesSprachförderkonzept<br />

Alltagsferne<br />

<strong>Sprachförderung</strong> <strong>in</strong><br />

normalen Ablauf <strong>in</strong>tegrieren<br />

Notizen


förderung wie e<strong>in</strong> roter Faden durch den gesamten Alltag der E<strong>in</strong>richtung h<strong>in</strong>durchziehen<br />

und nicht als e<strong>in</strong> vom Alltag losgelöster Bauste<strong>in</strong> empfunden werden.<br />

3.1 Tagesablauf<br />

Damit K<strong>in</strong>der motiviert s<strong>in</strong>d, sich sprachlich zu äuûern, müssen sie sich wohl fühlen und e<strong>in</strong><br />

genügendes Maû an Sicherheit und Vertrautheit entwickelt haben. Auûerdem ist es wichtig,<br />

vertrauensvolle Kontakte zu Erzieher<strong>in</strong>nen und K<strong>in</strong>dern aufgebaut zu haben, für die es sich<br />

¹lohntª, sprachliche Barrieren zu überw<strong>in</strong>den oder sogar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er zweiten Sprache zu sprechen.<br />

Hierzu kann der Tagesablauf entscheidend beitragen.<br />

Immer wiederkehrende Orientierungspunkte im Tagesablauf können gerade neuen K<strong>in</strong>dern<br />

und K<strong>in</strong>dern mit wenig Deutschkenntnissen Sicherheit geben, wenn viel Neues und<br />

Unbekanntes auf sie e<strong>in</strong>stürmt. Doch nicht alle K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d gleich und nicht alle kommen<br />

zum gleichen Zeitpunkt neu <strong>in</strong> die K<strong>in</strong>dertagesstätte; d.h. Orientierungs- und Strukturbedürfnisse<br />

können von K<strong>in</strong>d zu K<strong>in</strong>d und von Entwicklungsphase zu Entwicklungsphase<br />

unterschiedlich se<strong>in</strong>; sie s<strong>in</strong>d wandelbar.<br />

Mehr Offenheit und Flexibilität ist bei solchen K<strong>in</strong>dern gefragt, die bereits mehr Selbstvertrauen<br />

gewonnen haben. Um sich <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung wohl zu fühlen, brauchen K<strong>in</strong>der dann<br />

Tagesabläufe, die ihnen genügend Zeit e<strong>in</strong>räumen, ihre Spiele, Entdeckungen und Erfahrungen<br />

<strong>in</strong> ihrem eigenen Rhythmus abzuschlieûen. Starre Tagesabläufe tragen dazu bei,<br />

dass die K<strong>in</strong>der aus ihren Spielprozessen herausgerissen werden und bremsen damit auch<br />

das Engagement der K<strong>in</strong>der, von ihren Erlebnissen zu erzählen.<br />

In Stuhlkreisen, an denen alle K<strong>in</strong>der teilnehmen müssen und die jeden Tag zu e<strong>in</strong>er<br />

bestimmten Uhrzeit stattf<strong>in</strong>den, haben z.B. manche K<strong>in</strong>der Schwierigkeiten zuzuhören und<br />

etwas zu sagen. Vielleicht hängen sie mit ihren Gedanken und Gefühlen noch den Spielen<br />

nach, die sie soeben abbrechen muûten. Dies kann dazu führen, dass die Erzieher<strong>in</strong> die<br />

K<strong>in</strong>der vor ihrem eigentlichen Angebot erst reglementieren muû. ¹Mit dem traditionellen<br />

Stuhlkreis, <strong>in</strong> dem mit der ganzen Gruppe gesungen, gespielt, gesprochen oder ihr vorgelesen<br />

wird, habe ich ke<strong>in</strong>e guten Erfahrungen gemacht. Sehr viele K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d überfordert,<br />

über längere Zeit still zu sitzen und sich zu konzentrieren. Viele ausländische K<strong>in</strong>der fühlen<br />

sich im Stuhlkreis nicht wohl, weil sie wenig oder gar nichts verstehen können und trotzdem<br />

38<br />

Tagesabläufe offen und<br />

flexibel gestalten<br />

Notizen


gezwungen s<strong>in</strong>d, über e<strong>in</strong>en gewissen Zeitraum still zu sitzen. Dadurch entsteht e<strong>in</strong>e Unruhe,<br />

die allen das Vergnügen am Stuhlkreis verderben kann.ª 35<br />

Angebote, die für die gesamte Gruppe <strong>in</strong>itiiert werden, sollten daraufh<strong>in</strong> befragt werden, ob<br />

tatsächlich alle K<strong>in</strong>der daran teilnehmen müssen.<br />

Die Flexibilität imTagesablauf wird durch e<strong>in</strong>e differenzierte Gruppenarbeit unterstützt.<br />

Differenzierte Gruppenarbeit bedeutet, dass die K<strong>in</strong>der sich nach ihren jeweiligen Bedürfnissen<br />

und Interessen zu Gruppen zusammenf<strong>in</strong>den. Dabei können sie sowohl mit als auch<br />

ohne Unterstützung der Erzieher<strong>in</strong>nen ihren Aktivitäten und Kontakten zu anderen K<strong>in</strong>dern<br />

entsprechend ihrem eigenen Rhythmus nachgehen. Dies trägt entscheidend dazu bei,<br />

dass K<strong>in</strong>der sich <strong>in</strong> ihre Tätigkeiten vertiefen können, die sie im Moment oder auch über<br />

mehrere Tage h<strong>in</strong>weg besonders <strong>in</strong>teressieren. Gerade diese Qualität von Engagement ist<br />

es, die K<strong>in</strong>der dazu motivieren, sich auch sprachlich mitteilen zu wollen und die sie manche<br />

Hemmschwelle, sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Zweitsprache ausdrücken zu müssen, vergessen läût (vgl.<br />

Kap. I 2.1).<br />

3.2 Raumgestaltung<br />

¹Räume sprechen e<strong>in</strong>e deutliche Sprache. Sie geben Auskunft über die Gestalter, die<br />

Benutzer, über ihre Beziehungen zue<strong>in</strong>ander und über das Geschehen, das e<strong>in</strong> Raum zuläût<br />

oder beh<strong>in</strong>dert.ª 36<br />

Es gibt Räume, die auf Anhieb e<strong>in</strong>ladend und gemütlich wirken, auch e<strong>in</strong>laden, mite<strong>in</strong>ander<br />

<strong>in</strong>s Gespräch zu kommen. In anderen Räumen verschlägt es uns buchstäblich die Sprache.<br />

Sie wirken vielleicht kalt und unpersönlich oder s<strong>in</strong>d voll von D<strong>in</strong>gen, die uns fremd vorkommen,<br />

die uns auf Distanz gehen lassen. Wiederum andere Räume, wie z.B. Kirchen<br />

oder Museen können uns durch ihre Atmosphäre signalisieren, leise zu sprechen. Die<br />

Raumgestaltung hat also e<strong>in</strong>e Wirkung auf die Sprache der Menschen, die sich dar<strong>in</strong><br />

bewegen. Sie kann Sprechgewohnheiten verändern, zum Sprechen ermuntern, aber auch<br />

Sprache beh<strong>in</strong>dern.<br />

Die Raumgestaltung kann <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne dazu beitragen, dass die K<strong>in</strong>der sich mit ihren<br />

unterschiedlichen Bedürfnissen nach Bewegung, Rückzug, Orientierung, Gestaltungsfreiheit,<br />

Ausleben von Experimentierfreude etc. wiederf<strong>in</strong>den können. E<strong>in</strong>e flexible Raumgestaltung<br />

kommt dabei der Veränderung von Bedürfnissen der K<strong>in</strong>der entgegen: ¹Räume<br />

verändern sich, weil sich die Menschen und was sie bewegt ändern. Räume haben e<strong>in</strong>e<br />

Geschichte, Platz für persönliche Spuren und lassen Inhalte erkennen, mit denen K<strong>in</strong>der<br />

aktuell beschäftigt s<strong>in</strong>d.ª 37<br />

Es gibt viele Möglichkeiten, damit die Raumgestaltung ¹<strong>in</strong> Bewegung kommt und <strong>in</strong> Bewegung<br />

bleibt ª: 38<br />

´ ¹Regale und Kle<strong>in</strong>möbel auf standfesten Möbelrollen<br />

´ leichte, kle<strong>in</strong>e Tische, die von K<strong>in</strong>dern getragen werden können<br />

´ Wohnlandschaften aus Kisten und Kartons ¼<br />

´ bereits montierte Wäschele<strong>in</strong>en und Klammern, mit denen K<strong>in</strong>der selbständig Vorhänge<br />

auf- und abhängen können.ª 39<br />

Räumliches Wohlbef<strong>in</strong>den ± e<strong>in</strong> Motor für die Sprechfreude<br />

Was jeder e<strong>in</strong>zelne als wohltuend und vertraut <strong>in</strong> Räumen erlebt, welche Möblierung, Farbgestaltungen,<br />

Licht<strong>in</strong>tensität, Gröûe und Form Wohlbef<strong>in</strong>den auslöst, kann sehr unterschiedlich<br />

se<strong>in</strong>. Mit der Vielfalt an Kulturen, aber auch Unterschieden <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>er Kultur<br />

35 Jakubeit, 1988, S. 99<br />

36 Kazemi-Veisari, 1996, S. 37 f<br />

37 Lipp-Peetz, 1998, S. 21<br />

38 Demandewitz, 1999, S. 196<br />

39 Haucke, 1998, S. 151<br />

39<br />

Räume, die zum Sprechen<br />

e<strong>in</strong>laden<br />

Anregungen<br />

Notizen


wächst die Bandbreite an Gestaltungsmöglichkeiten von Räumen, <strong>in</strong> denen K<strong>in</strong>der heutzutage<br />

aufwachsen.<br />

Es lohnt sich, den Blick auf das familiäre Lebensumfeld des e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>des zu richten.<br />

Hier kann herausgefunden werden, was den K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> ihren eigenen vier Wänden lieb und<br />

vertraut ist.<br />

Vielleicht läût sich ja beim Hausbesuch e<strong>in</strong> geeigneter Gegenstand f<strong>in</strong>den, den die K<strong>in</strong>der<br />

mitnehmen oder für e<strong>in</strong>e gewisse Zeit ausleihen dürfen ± z.B. e<strong>in</strong> Tuch, mit dem Räume<br />

geteilt oder verhangen werden, e<strong>in</strong> Kleidungsstück, das die Mutter oder der Vater nicht<br />

mehr brauchen und das nun zum Rollenspiel zur Verfügung steht, vielleicht auch e<strong>in</strong> Bild<br />

oder e<strong>in</strong> typischer Gegenstand aus dem Herkunftsland der Familie, zu dem e<strong>in</strong> besonderer<br />

emotionaler Bezug besteht. Dabei geht es weniger darum, diese Gegenstände auszustellen,<br />

sondern sie eher selbstverständlich <strong>in</strong> die Raumgestaltung zu <strong>in</strong>tegrieren.<br />

Neues entdecken ± Neugierde wecken ± e<strong>in</strong> Motor für das Mitteilungsbedürfnis von<br />

K<strong>in</strong>dern<br />

K<strong>in</strong>der haben Spaû daran, Neues zu entdecken und zu erforschen, wenn sie e<strong>in</strong> genügendes<br />

Maû an Sicherheit und Vertrauen entwickelt haben. Auch Räume können so gestaltet<br />

werden, dass <strong>in</strong> ihnen immer wieder Neues erforscht werden kann. Sei es, dass e<strong>in</strong>zelne<br />

Ecken und Plätze verändert werden, sei es, dass neue Gegenstände aus den Familien der<br />

K<strong>in</strong>der für e<strong>in</strong>e gewisse Zeit der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung ausgeliehen werden. Was bei dem<br />

e<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Gefühl von Vertrautheit auslöst, weil ihm diese Gegenstände bekannt vorkommen,<br />

kann beim anderen K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Neugierverhalten wecken. Immer dann, wenn K<strong>in</strong>der<br />

besonders neugierig s<strong>in</strong>d oder sie sich besonders engagiert mit etwas befassen, wird auch<br />

der Punkt kommen, an dem sie sich mit ihrer neuen Entdeckung mitteilen wollen.<br />

Räume selbst gestalten ± Kompetenz und Sprechfreude stärken<br />

Werden K<strong>in</strong>der gefragt oder malen Bilder, wie sie sich ihre Räume gestalten würden, so spiegelt<br />

dies e<strong>in</strong> Stück ihrer Lebenswelt und ihrer persönlichen Sichtweisen wider. Indem K<strong>in</strong>der<br />

dar<strong>in</strong> unterstützt werden, ihre Vorstellungen von Raumgestaltung geme<strong>in</strong>sam mit Hilfe der<br />

Erzieher<strong>in</strong>nen umzusetzen, machen sie sich die Räume der E<strong>in</strong>richtung zu eigen. Sie erhalten<br />

die Möglichkeit, sich e<strong>in</strong> Stück Zuhause zu schaffen ± e<strong>in</strong>en Ort zum Wohlfühlen. Vertrauen,<br />

Sicherheit und Selbstwert f<strong>in</strong>den <strong>in</strong> selbst gestalteten Räumen e<strong>in</strong>en guten Nährboden. Dieser<br />

ist e<strong>in</strong>e solide Basis, um sich auf<br />

neue, auch sprachliche Lernschritte<br />

e<strong>in</strong>zulassen.<br />

Auch nicht gestaltete Plätze <strong>in</strong>nerhalb<br />

des Raumes können die K<strong>in</strong>der<br />

dazu e<strong>in</strong>laden, selbst tätig zu<br />

werden. Das mögliche, damit verbundene<br />

Engagement kann weitere<br />

Impulse auslösen, sich anderen<br />

K<strong>in</strong>dern und Erzieher<strong>in</strong>nen mitteilen<br />

zu wollen.<br />

Zwei K<strong>in</strong>der haben im Gebüsch<br />

des Auûengeländes e<strong>in</strong>e Raupe<br />

gefunden. Besonders lustig f<strong>in</strong>den<br />

sie, wie sie sich bewegt. Davon<br />

<strong>in</strong>spiriert, versuchen sie, die Bewegung<br />

nachzuahmen. Es entstehen<br />

u.a. Gespräche darüber, wie e<strong>in</strong>e<br />

Raupe schläft, was sie iût und wo<br />

wohl die Eltern der Raupe s<strong>in</strong>d,<br />

denn die Raupe sieht noch ganz<br />

40<br />

Wohlbef<strong>in</strong>den durch<br />

Gegenstände aus dem<br />

familiären Umfeld<br />

Beispiel: flexible<br />

Raumnutzung<br />

Notizen


jung aus. Manche K<strong>in</strong>der malen Bilder, mit denen sie ihre Ideen hierzu ausdrücken. Es entstehen<br />

¹Schlafhöhlenª für Raupen aus Kissen und Tüchern, die jeden Tag weiter ausgebaut<br />

werden. Als e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d erklärt, wie aus e<strong>in</strong>er Raupe e<strong>in</strong> Schmetterl<strong>in</strong>g entsteht, bauen die K<strong>in</strong>der<br />

aus Pappkartons und Decken e<strong>in</strong>en Ruheraum für ¹Schmetterl<strong>in</strong>ge im Raupenbauchª.<br />

Über Tage h<strong>in</strong>weg s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>ige K<strong>in</strong>der mit diesem Thema beschäftigt. Ihre Werke haben<br />

ihren Platz im Raum. Sie werden nicht aufgeräumt, sondern stehen den K<strong>in</strong>dern zur Verfügung,<br />

um jeden Tag aufs Neue daran anzuknüpfen. Nach und nach müssen hierbei e<strong>in</strong><br />

Regal und e<strong>in</strong> Tisch von se<strong>in</strong>em üblichen Platz entfernt werden. Andere K<strong>in</strong>der haben Spaû<br />

daran, dass hierdurch an anderen Orten des Raumes neue Ecken entstehen. Die Erzieher<strong>in</strong><br />

unterstützt den Gestaltungseifer der K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong>dem sie <strong>in</strong> passenden Momenten nachfragt<br />

und sich erklären läût, <strong>in</strong> welcher ¹Bauphaseª die K<strong>in</strong>der gerade stecken. Die Phantasie und<br />

Experimentierfreude der K<strong>in</strong>der geben ihr jede Menge Anknüpfungspunkte, um mit den<br />

K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen und dabei zugleich ihre sprachlichen Fähigkeiten zu<br />

unterstützen.<br />

Sich wohl fühlen, Neugierde wecken und selbst gestalten s<strong>in</strong>d sozusagen die Schlüsselwörter<br />

für e<strong>in</strong>e Raumgestaltung, die K<strong>in</strong>der zum Sprechen ermuntern.<br />

Die Raumgestaltung auf diese Aspekte h<strong>in</strong> immer wieder neu zu befragen, bedeutet, den<br />

K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> Sprachrohr für ihre Bedürfnisse zu geben und dabei gleichzeitig die K<strong>in</strong>der <strong>in</strong><br />

ihrer Sprechfreude zu unterstützen.<br />

3.3 Materialien und Medien<br />

Wenn die Erzieher<strong>in</strong> über Beobachtungen oder schriftliche Aufzeichnungen e<strong>in</strong>en Überblick<br />

über die sprachlichen Fähigkeiten gewonnen hat, stellt sich zunächst die Frage, welche Art<br />

<strong>in</strong>dividueller Zuschnitt und ganzheitlicher Ansatz der Sprachanregung das e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />

der Gruppe braucht. Sprachliche Förderung kann z.B. für Pedro bedeuten, dass er gezielte<br />

Sprachanregungen braucht, für Elena, dass sie mehr Zeit für ihre sprachlichen ¾uûerungen<br />

benötigt, weil ihr noch e<strong>in</strong>ige Wörter fehlen, für Anna, dass sie bei ihren ¾uûerungen weniger<br />

unterbrochen oder korrigiert wird, und für Jens, dass er lernt, neben Mimik und Gestik<br />

se<strong>in</strong>e Sprache e<strong>in</strong>zusetzen, denn allzu oft wird auf se<strong>in</strong>e Mimik und Gestik reagiert, weil es<br />

dann schneller geht.<br />

Damit K<strong>in</strong>der ihre sprachlichen Fähigkeiten entwickeln können, brauchen sie e<strong>in</strong>e Atmosphäre,<br />

<strong>in</strong> der sie sich von der Erzieher<strong>in</strong> und den anderen K<strong>in</strong>dern akzeptiert wissen und<br />

sich wohl fühlen können. Auch brauchen sie Situationen, <strong>in</strong> denen ihre Sprechfreude aufgegriffen<br />

wird, <strong>in</strong> denen sie zum Sprechen ermutigt und Anlässe zum Sprechen über geme<strong>in</strong>sames<br />

Spiel und Tun hergestellt werden.<br />

In ihrer Arbeit kann die Erzieher<strong>in</strong> aus dem Vollen schöpfen, denn sie f<strong>in</strong>det e<strong>in</strong>e Vielfalt an<br />

Materialien und Medien vor, die <strong>in</strong> den Spielsituationen der K<strong>in</strong>der zur Förderung der sprachlichen<br />

Fähigkeiten beitragen können. Neben diesen sprachanregenden Situationen und Gelegenheiten,<br />

die die Erzieher<strong>in</strong> durch Bereitstellen von Materialien, durch e<strong>in</strong>e entsprechende<br />

Gestaltung der Räume und des Tagesablaufs ermöglicht, kann sie im Rahmen differenzierter<br />

Gruppenarbeit Impulse und Angebote zur sprachlichen Förderung e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen. Dabei sollten<br />

die von der Erzieher<strong>in</strong> <strong>in</strong>itiierten Angebote <strong>in</strong> Spiel- und Handlungssituationen e<strong>in</strong>gebunden<br />

se<strong>in</strong> und e<strong>in</strong> ganzheitliches Vorgehen erkennen lassen, bei dem unterschiedliche S<strong>in</strong>ne und<br />

Bereiche angesprochen werden, z.B. Hören und Sprechen, Sprechen/S<strong>in</strong>gen und Sich-bewegen.<br />

Über Beobachten, Probieren, Nachfragen und Handeln lernen K<strong>in</strong>der die Eigenschaften<br />

von D<strong>in</strong>gen und Gegenständen kennen, nehmen D<strong>in</strong>ge und ihre Veränderungen wahr und<br />

erweitern ihren Wortschatz.<br />

Anlaû zu e<strong>in</strong>er sprachlichen Förderung kann jedes Spiel, jede Aktivität und Tätigkeit se<strong>in</strong><br />

(vgl. Kap. II 2.3). K<strong>in</strong>der entwickeln ihre sprachlichen Fähigkeiten, wenn sie Sprache erleben<br />

und Erwachsenen beim Sprechen zuhören und wenn sie Sprache erproben und sprechen,<br />

sich also mitteilen können. Wie jedes Lernen erfordert auch sprachliches Lernen e<strong>in</strong>e<br />

bestimmte Regelmäûigkeit. Leider werden die vielfältigen Möglichkeiten der sprachlichen<br />

Förderung, wie Beobachtungen zeigen, <strong>in</strong> der Praxis allzu wenig genutzt, so dass der Ruf<br />

41<br />

Individueller Zuschnitt und<br />

ganzheitlicher Ansatz<br />

Notizen


nach Sprachtra<strong>in</strong><strong>in</strong>gsprogrammen zunimmt. Dabei wird oftmals übersehen, dass <strong>Sprachförderung</strong><br />

im Rahmen e<strong>in</strong>es isolierten Sprachtra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e wenig effektive Methode ist und<br />

dass K<strong>in</strong>der stärker motiviert s<strong>in</strong>d, wenn sprachliches Lernen im Kontext von Spielsituationen<br />

stattf<strong>in</strong>det. 40 Allerd<strong>in</strong>gs ist es notwendig, die sprachliche Förderung aus ihrer wenig<br />

beachteten, untergeordneten Rolle, die ihr <strong>in</strong> der Regel im pädagogischen Alltag zugewiesen<br />

wird, herauszuholen.<br />

Im folgenden werden verschiedene Möglichkeiten der <strong>Sprachförderung</strong>, die sich im K<strong>in</strong>dergarten<br />

anbieten, vorgestellt. Hierbei geht es darum, den Alltag <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Vielfalt für e<strong>in</strong>e<br />

¹bewuûteª <strong>Sprachförderung</strong> zu nutzen. Mit Hilfe der unterschiedlichen Spiele und Aktivitäten<br />

lassen sich Artikulation, Wortschatz, Wortformen, Begriffsbildung und Satzbau aneignen,<br />

differenzieren und erweitern. Wenn abzusehen ist, dass die im pädagogischen Alltag<br />

e<strong>in</strong>gesetzten Materialien für e<strong>in</strong>zelne K<strong>in</strong>der nicht ausreichen, kann die Erzieher<strong>in</strong> diesen<br />

K<strong>in</strong>dern weitere gezielte Angebote unterbreiten.<br />

Bei den Überlegungen zur sprachlichen Förderung kommt dem Gespräch mit K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>e<br />

besondere Bedeutung zu. Dabei me<strong>in</strong>t ¹Gesprächª mehr als nur e<strong>in</strong> Abfragen oder Ansprechen<br />

bzw. etwas anzuordnen. Anlässe für Gespräche mit e<strong>in</strong>zelnen K<strong>in</strong>dern oder <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en<br />

Gruppen können sehr vielfältig se<strong>in</strong> und sich bei unterschiedlichen Situationen ergeben:<br />

beim Frühstück oder Mittagessen, beim Waschen oder Anziehen, beim Malen oder<br />

Basteln, beim Betrachten von Bildern, Bilderbüchern oder Fotoalben, die von Alltagssituationen<br />

oder Ausflügen angefertigt werden, oder über Hand- und Tierpuppen <strong>in</strong> Gang<br />

gesetzt werden.<br />

Neben dem Sprechen erfahren K<strong>in</strong>der über das Zuhören, wie sie ihre Sprache weiterentwickeln<br />

können. Über regelmäûiges Vorlesen von Geschichten und Märchen erhalten sie<br />

neue sprachliche Anregungen, bereits bekannte Wörter und Satzmuster werden vertieft.<br />

Bei Liedern, S<strong>in</strong>g- und Tanzspielen werden S<strong>in</strong>gen und Sprechen mit Handlungen verbunden.<br />

K<strong>in</strong>der können die Bedeutung von Wörtern über Augen, Ohren, Hände und Bewegung<br />

des Körpers erfahren, wenn sie s<strong>in</strong>gend aufe<strong>in</strong>ander zugehen, sich anfassen oder etwas mite<strong>in</strong>ander<br />

tun. Auch K<strong>in</strong>der mit ger<strong>in</strong>gen Sprachkenntnissen können sich hier beteiligen, da sie<br />

zum<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong>en Teil der Bedeutung der Wörter der Situation entnehmen können. Die Text<strong>in</strong>halte<br />

sollten sich auf Handlungen oder Situationen beziehen, die K<strong>in</strong>dern ± wenn es nötig ist ±<br />

über Anschauungsmaterial, Handlungen oder e<strong>in</strong>fache Erklärungen deutlich gemacht werden.<br />

Um Miûverständnisse auszuräumen, sollten unbekannte Wörter zunächst erklärt werden.<br />

Für sprachgehemmte K<strong>in</strong>der bietet die Gruppe den notwendigen Schutz, ihre Sprachhemmungen<br />

zu überw<strong>in</strong>den.<br />

Über Wiederholung und Reihung von Textstellen, wie sie <strong>in</strong> Liedern, S<strong>in</strong>g- und Tanzspielen<br />

vorkommen, prägen sich dem K<strong>in</strong>d sprachliche Strukturen e<strong>in</strong>, die es auch <strong>in</strong> anderen<br />

Zusammenhängen e<strong>in</strong>setzen kann.<br />

¹Lieder schaffen e<strong>in</strong>e angstfreie Situation, verb<strong>in</strong>den Sprache mit pantomimischen und<br />

rhythmischen Bewegungen und können mit immer neuen Handlungsvorschlägen variiert<br />

werden.ª 41<br />

Bei K<strong>in</strong>dern, die über ger<strong>in</strong>ge oder ke<strong>in</strong>e Deutschkenntnisse verfügen, ist der musikalischrhythmische<br />

Bereich e<strong>in</strong> Zugang zur Sprache, der K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> der Regel viel Freude bereitet.<br />

E<strong>in</strong>e Möglichkeit mit K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong>s Gespräch zu kommen, bieten Bilder und Bilderbücher.<br />

Bei den Bilderbüchern kommt es beim Betrachten und Zuhören zu e<strong>in</strong>er Verknüpfung von<br />

Gesehenem und Gehörtem. Auch werden die K<strong>in</strong>der zum Sprechen, Nachfragen und zu<br />

freien Assoziationen angeregt, <strong>in</strong>dem die Erzieher<strong>in</strong> die K<strong>in</strong>der durch entsprechende Fragen<br />

anhält, die Bilder zu beschreiben, E<strong>in</strong>zelheiten zu erkennen und zu benennen.<br />

40 Oerter/Montada a.a.O., S. 823 ± 827<br />

41 Müller/Rösch, a.a.O., S. 118<br />

42<br />

Möglichkeiten der<br />

<strong>Sprachförderung</strong> im<br />

K<strong>in</strong>dergartenalltag<br />

Lieder, S<strong>in</strong>g- und Tanzspiele<br />

s<strong>in</strong>d auch für K<strong>in</strong>der<br />

mit ger<strong>in</strong>gen Sprachkenntnissen<br />

geeignet<br />

Notizen


Erfahrungsgemäû gibt es Geschichten, die die K<strong>in</strong>der immer wieder hören möchten, und<br />

zwar mit dem gleichen Text, der gleichen Betonung, Mimik und Gestik. Hier können sich<br />

Sprache und Sprachmuster über Wiederholung e<strong>in</strong>prägen.<br />

Bei der Auswahl von Bilderbüchern s<strong>in</strong>d die Illustrationen, die sprachliche Aufbereitung<br />

und der Inhalt zu beachten.<br />

Die Bilder sollten klar dargestellt se<strong>in</strong> und die wesentlichen Merkmale der abgebildeten<br />

Gegenstände enthalten, so dass die K<strong>in</strong>der ohne groûe Mühe die enthaltenen Informationen<br />

entschlüsseln können. Dies gilt <strong>in</strong> besonderer Weise auch für die textfreien und textarmen<br />

Bilderbücher. Bei e<strong>in</strong>er Überfrachtung der Bilder kann das Interesse des K<strong>in</strong>des an<br />

e<strong>in</strong>er genauen Beobachtung und sprachlichen Wiedergabe s<strong>in</strong>ken.<br />

Um K<strong>in</strong>der nicht zu über- oder zu<br />

unterfordern, sollte sich der Text <strong>in</strong><br />

den Bilderbüchern an den Sprachkenntnissen<br />

der K<strong>in</strong>der orientieren.<br />

In e<strong>in</strong>er multikulturellen Gruppe<br />

kann den unterschiedlichen<br />

Sprachkenntnissen am ehesten<br />

Rechnung getragen werden, wenn<br />

Bilderbücher <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en Gruppen<br />

angesehen werden.<br />

Zudem sollten die Inhalte an den<br />

Erfahrungen der K<strong>in</strong>der anknüpfen.<br />

Dies bedeutet, dass auch Bücher<br />

aus dem Erfahrungsbereich der<br />

K<strong>in</strong>der mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund <strong>in</strong><br />

der E<strong>in</strong>richtung vorhanden se<strong>in</strong><br />

sollten. Diese Bücher können K<strong>in</strong>dern<br />

Vertrautheit <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er fremden<br />

Umwelt geben, läût sie e<strong>in</strong> ¹Stück<br />

ihrer Weltª <strong>in</strong> den Büchern wiederf<strong>in</strong>den.<br />

Dadurch haben K<strong>in</strong>der mit<br />

ger<strong>in</strong>gen Deutschkenntnissen auch<br />

die Möglichkeit, ihnen bereits<br />

Bekanntes, Vertrautes <strong>in</strong> der deutschen<br />

Sprache zu benennen.<br />

Dieses Ziel kann auch über das Erstellen eigener Bilderbücher oder Fotoalben erreicht werden.<br />

Grundlage könnten Fotos aus den Heimatländern der K<strong>in</strong>der se<strong>in</strong>, die die Eltern<br />

sicherlich auf Nachfrage zur Verfügung stellen.<br />

Es können aber auch Bilderbücher zu anderen Themen erarbeitet werden, wenn die Erzieher<strong>in</strong><br />

mit den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>en Besuch im Zoo macht, auf den Wochenmarkt geht. Anlässe zum<br />

Gespräch ergeben sich sowohl beim Erstellen der Bücher als auch beim späteren Anschauen.<br />

Auch sollten K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> multikulturellen Gruppen zweisprachige K<strong>in</strong>der- und Bilderbücher,<br />

wie sie von verschiedenen Verlagen angeboten werden, im K<strong>in</strong>dergarten vorf<strong>in</strong>den.<br />

Der E<strong>in</strong>satz von Medien für K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong>sbesondere von Hörspielkassetten, kann dazu beitragen,<br />

der mehrsprachigen Situation <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dergruppe gerecht zu werden. Da es wohl den<br />

meisten deutschen Erzieher<strong>in</strong>nen nicht möglich ist, auch nur e<strong>in</strong>e der zahlreichen Erstsprachen<br />

der K<strong>in</strong>der zu sprechen, kann mit Hilfe von Kassetten K<strong>in</strong>dern vermittelt werden, dass ihre<br />

Erstsprache ihren Platz <strong>in</strong> der Arbeit hat. K<strong>in</strong>derliteratur und K<strong>in</strong>derlieder <strong>in</strong> der Erstsprache<br />

der K<strong>in</strong>der können e<strong>in</strong>e anregende Ergänzung für alle K<strong>in</strong>der der Gruppe se<strong>in</strong>.<br />

43<br />

Bücher aus anderen Kulturen<br />

mite<strong>in</strong>beziehen<br />

Eigene Bilderbücher<br />

erstellen<br />

Notizen


F<strong>in</strong>gerspiele gibt es für K<strong>in</strong>der unterschiedlicher Altersstufen als auch mit unterschiedlichen<br />

Sprachkenntnissen. Bei F<strong>in</strong>gerspielen wird Sprache über symbolische Mittel verdeutlicht.<br />

So wird z.B. bei ¹Himpelchen und Pimpelchenª das Klettern über das Krabbeln der<br />

F<strong>in</strong>ger angedeutet. Dies erleichtert K<strong>in</strong>dern mit ger<strong>in</strong>gen oder ke<strong>in</strong>en Sprachkenntnissen<br />

den Zugang zur Sprache bzw. ermöglicht die Teilnahme am Spiel.<br />

Bei Kreis- und S<strong>in</strong>gspielen s<strong>in</strong>d es die Wiederholung von Textstellen, das geme<strong>in</strong>same<br />

S<strong>in</strong>gen und Sprechen, Spieldialoge, der E<strong>in</strong>satz akustischer Mittel, wie laut und leise Sprechen,<br />

der E<strong>in</strong>satz von Mimik und Gestik, das Umsetzen <strong>in</strong> Bewegung, die zu e<strong>in</strong>er Verb<strong>in</strong>dung<br />

von Sprache und konkreten Erfahrungen führen und K<strong>in</strong>dern damit das Verstehen<br />

erleichtern.<br />

Ich b<strong>in</strong> der W<strong>in</strong>d Bewegungsspiel<br />

Die K<strong>in</strong>der stehen im Kreis. Unter Anleitung der Erzieher<strong>in</strong> sprechen sie und bewegen sich:<br />

¹Ich b<strong>in</strong> der W<strong>in</strong>d und pfeife<br />

und blase den Drachen h<strong>in</strong>auf ª. (Die K<strong>in</strong>der pfeifen und blasen ¼)<br />

¹Ich b<strong>in</strong> der Regen und tropfe (¼ sie hocken sich nieder und trommeln<br />

und höre so schnell nicht mehr auf ª. mit den F<strong>in</strong>gern auf den Fuûboden,)<br />

¹Ich b<strong>in</strong> der Sturm und heule (¼ sie heulen und machen peitschende<br />

und fege die Felder leer ª<br />

¹Ich b<strong>in</strong> die Kälte und friere,<br />

Bewegungen mit den Armen)<br />

erschrecke die Blumen sehr ª. (¼ sie frösteln und erstarren,)<br />

¹Ich b<strong>in</strong> der Hagel und falle (sie beugen sich auf den Knien nach vorn<br />

und decke den Erdboden zu ª. und verstecken den Kopf <strong>in</strong> den Armen.)<br />

¹Ich b<strong>in</strong> die Sonne und sche<strong>in</strong>e<br />

und erwärme alles im Nu ª. (¼ sie umarmen sich gegenseitig.)<br />

Aus: Lumpp, Ges<strong>in</strong>e: Dass Ali und Elena mitreden können. J. F. Ste<strong>in</strong>kopf, Stuttgart 1980,<br />

S. 111<br />

Kimspiele führen zu e<strong>in</strong>er anschaulichen Sprachvermittlung. Die K<strong>in</strong>der können fühlen, ob<br />

etwas hart oder weich, rauh oder glatt ist, wie etwas riecht oder ob etwas süû oder salzig<br />

schmeckt. Mit Hilfe von Kimspielen werden die verschiedenen S<strong>in</strong>ne von K<strong>in</strong>dern angeregt.<br />

44<br />

Beispiel: Bewegungsspiel<br />

Notizen


Die Ausbildung und Differenzierung der s<strong>in</strong>nlichen Wahrnehmung wiederum ist von Bedeutung<br />

für die geistige Entwicklung von K<strong>in</strong>dern.<br />

Wenn sich K<strong>in</strong>der zunächst nicht am Erraten von verschwundenen Gegenständen oder verdeckt<br />

vorgeführten Geräuschen beteiligen können, weil ihnen noch die jeweiligen Begriffe<br />

fehlen, kann ihnen die Erzieher<strong>in</strong> helfen, <strong>in</strong>dem sie die Gegenstände vorstellt, die<br />

Geräusche vorführt und jeweils benennt.<br />

Kimspiel: Was hast du im Mund? Beispiel: Kimspiel<br />

Material: Möhren, ¾pfel, Bananen, Apfels<strong>in</strong>en, Brot, Blumenkohl usw. werden von den K<strong>in</strong>dern<br />

gewaschen, eventuell geschält, <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>e Stücke geschnitten.<br />

Zunächst mit offenen Augen prüfen: Was schmeckt süû, sauer, bitter, salzig?<br />

Danach schlieûen die K<strong>in</strong>der die Augen und lassen sich etwas Eûbares <strong>in</strong> den Mund stekken.<br />

Sie sollen raten, was es ist.<br />

Aus: Götte: Sprache und Spiel im K<strong>in</strong>dergarten. Beltz, We<strong>in</strong>heim und Basel, 8. Auflage<br />

1993, S. 63<br />

E<strong>in</strong>e Erweiterung des Wortschatzes erreicht die Erzieher<strong>in</strong> über Ratespiele, die nach dem<br />

Namen, nach Kleidung und Farben, nach Körperteilen oder auch nach grammatikalischen<br />

Elementen fragen, wie ¹Wo sitzt die Puppe?ª (auf dem Tisch, im Regal, unter dem Stuhl).<br />

Rollenspiele erfreuen sich im allgeme<strong>in</strong>en groûer Beliebtheit bei K<strong>in</strong>dern. Rollenspiele <strong>in</strong><br />

der Puppen- und Bauecke und am Kaufladen führen zu e<strong>in</strong>er Erweiterung der sprachlichen<br />

Fähigkeiten von K<strong>in</strong>dern, wenn sie z.B. beim Kaufladenspiel die e<strong>in</strong>zelnen Waren benennen<br />

und Sätze bilden, um ihre Wünsche auszudrücken. Im Rollenspiel lernt das K<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e<br />

Situation zu erfassen, sich auf den Spielpartner e<strong>in</strong>zustellen, dem Spielpartner zuzuhören<br />

und sich der Situation angemessen sprachlich auszudrücken.<br />

Die Spielaktivitäten der K<strong>in</strong>der bei Rollenspielen kann die Erzieher<strong>in</strong> erweitern, <strong>in</strong>dem sie weiteres<br />

Spielmaterial zur Verfügung stellt oder Spielideen anbietet, z.B. Kartons als Ofen für e<strong>in</strong>e<br />

Bäckerei, Lockenwickler für e<strong>in</strong> Friseurspiel bereitstellt, <strong>in</strong> die Verkleidungskiste e<strong>in</strong>zelne Kleidungsstücke<br />

aus den Heimatländern der K<strong>in</strong>der aus zugewanderten Familien h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>legt.<br />

Bei der Erweiterung des Rollenspielmaterials ist auch das Bereitstellen von zwei Telefonen<br />

empfehlenswert, weil die K<strong>in</strong>der hierdurch angeregt werden, mite<strong>in</strong>ander zu sprechen. Hierbei<br />

kann es anfangs hilfreich se<strong>in</strong>, wenn die Erzieher<strong>in</strong> zunächst Telefonpartner für die K<strong>in</strong>der ist.<br />

Tischspiele, wie Dom<strong>in</strong>o- und Memoryspiele, Bilderlotto oder Puzzles werden von K<strong>in</strong>dern<br />

gerne gespielt. Diese Spiele müssen <strong>in</strong> der Regel schrittweise e<strong>in</strong>geführt und <strong>in</strong> multikulturellen<br />

Gruppen oftmals zunächst vere<strong>in</strong>facht werden. Wenn sie zur <strong>Sprachförderung</strong><br />

genutzt werden sollen, ist darauf zu achten, dass die K<strong>in</strong>der beim Zusammensuchen von<br />

Bildkarten auch sprechen. Die K<strong>in</strong>der benennen, z.B. beim Memoryspiel, was sie auf der<br />

aufgedeckten Karte sehen.<br />

E<strong>in</strong>e andere Möglichkeit ist, dass die Erzieher<strong>in</strong> bei der E<strong>in</strong>führung e<strong>in</strong>es Spiels die Bilder<br />

mit den K<strong>in</strong>dern bespricht und anfangs auch die ¹Sprecher<strong>in</strong>ª im Spiel ist und benennt,<br />

was die K<strong>in</strong>der aufgedeckt und zusammengelegt haben.<br />

Wichtig ersche<strong>in</strong>t hierbei, dass die K<strong>in</strong>der ± soweit es möglich ist ± zunächst konkrete<br />

Erfahrungen mit den auf den Karten abgebildeten Gegenständen machen konnten und das<br />

Memoryspiel eher zur Verfestigung von Begriffen e<strong>in</strong>gesetzt wird, d.h. dass das K<strong>in</strong>d<br />

zunächst erfährt, wie sich e<strong>in</strong>e Apfels<strong>in</strong>e anfühlt, wie man sie schält, wie sie riecht, wie sie<br />

schmeckt, erst danach sollte es das Bild e<strong>in</strong>er Apfels<strong>in</strong>e auf der Memorykarte wiedererkennen<br />

und benennen.<br />

Das Spiel mit Handpuppen und Marionetten, e<strong>in</strong>e Möglichkeit mite<strong>in</strong>ander zu sprechen,<br />

erleichtert gerade zur Anfangszeit die Kontaktaufnahme zu K<strong>in</strong>dern. Für das K<strong>in</strong>d ist die<br />

Puppe der Ansprechpartner, und die Erzieher<strong>in</strong> tritt h<strong>in</strong>ter der Puppe zurück.<br />

45<br />

Rollenspiele durch Spielmaterial<br />

erweitern<br />

Handpuppen/Marionetten<br />

als Vermittler bei Kontaktaufnahme<br />

mit den K<strong>in</strong>dern<br />

Notizen


Die Handpuppe oder Marionette begrüût die K<strong>in</strong>der morgens, fragt nach ihrem Namen,<br />

stellt sich und die K<strong>in</strong>der vor bzw. die K<strong>in</strong>der stellen sich selbst vor, die Handpuppe telefoniert<br />

mit e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d und fragt nach, was es gemacht, womit es sich beschäftigt hat.<br />

Manchmal scheuen sich K<strong>in</strong>der auch, die Erzieher<strong>in</strong> oder andere K<strong>in</strong>der direkt anzusprechen,<br />

weil sie sich unsicher fühlen oder evtl. Angst haben, ausgelacht und nicht verstanden<br />

zu werden. E<strong>in</strong> Gespräch mit Handpuppen oder Marionetten gibt K<strong>in</strong>dern die Möglichkeit,<br />

über diese ¹Vermittlerª ihre ¾ngste, Wünsche und Erlebnisse zu erzählen. Dieser <strong>in</strong>direkte<br />

Weg baut Hemmungen ab, und das K<strong>in</strong>d kann sich sicherer fühlen.<br />

Handpuppen und Marionetten eignen sich ebenfalls dazu, Spielsituationen anzuregen, <strong>in</strong><br />

denen sich K<strong>in</strong>der ohne Zwang artikulieren können.<br />

Sprachspiele zeigen immer wieder, wie spielerisch K<strong>in</strong>der mit der Sprache umgehen, wenn<br />

sie Worte verdrehen, wenn sie versuchen herauszuf<strong>in</strong>den, welche Wörter sich reimen, über<br />

welches kreative Potential K<strong>in</strong>der verfügen, wenn sie diese entsprechend der eigenen<br />

Situation abändern. Mit solchen Sprachspielen, seien es Abzählverse oder Reime, üben<br />

K<strong>in</strong>der ihre sprachlichen Fertigkeiten. Bei Reimen sollte die Erzieher<strong>in</strong> nur solche auswählen,<br />

die von den K<strong>in</strong>dern verstanden werden und die sie sprachlich bewältigen können,<br />

weil nur solche Reime K<strong>in</strong>dern Spaû machen.<br />

Sprechvers: Auszählreim:<br />

Der Himmel ist blau, Hexe M<strong>in</strong>ka,<br />

die Maus ist¼ (grau). Kater P<strong>in</strong>ka,<br />

Der Fisch ist stumm, Vogel Fu,<br />

die Gans ist¼ (dumm). raus bist du.<br />

Kle<strong>in</strong> ist der Zwerg,<br />

groû ist der¼ (Berg).<br />

Im Stall steht die (Kuh),<br />

die macht¼ muh.<br />

Wer kommt langsam um die Ecke?<br />

Das ist e<strong>in</strong>e¼ (Schnecke).<br />

Aus: Naegele/Haarmann (Hrsg.): Darf ich mitspielen? Beltz, We<strong>in</strong>heim und Basel, 4. Auflage<br />

1993, S. 106 und 108<br />

Um die sprachlichen Fähigkeiten<br />

von K<strong>in</strong>dern über den K<strong>in</strong>dergartenalltag<br />

h<strong>in</strong>aus zu erweitern und<br />

damit K<strong>in</strong>dern die Umwelt zu<br />

erschlieûen, s<strong>in</strong>d Besuche, z.B. <strong>in</strong><br />

der Post, auf dem Wochenmarkt,<br />

im Zoo, im Schwimmbad, <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en<br />

Handwerksbetrieben und Ausflüge,<br />

z.B. <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en nahegelegenen<br />

Park oder Wald, zu e<strong>in</strong>em Bauernhof,<br />

zu empfehlen. Die K<strong>in</strong>der erleben,<br />

z.B. welches Obst/Gemüse<br />

auf dem Wochenmarkt angeboten<br />

wird, dürfen vielleicht Obst für<br />

e<strong>in</strong>en Obstsalat e<strong>in</strong>kaufen, den sie<br />

später im K<strong>in</strong>dergarten anrichten<br />

und essen. Hierbei ergeben sich<br />

vielfältige Möglichkeiten, K<strong>in</strong>der<br />

mit verschiedenen Obstsorten<br />

sprachlich bekannt zu machen.<br />

In e<strong>in</strong>em nächsten Schritt lassen<br />

sich diese E<strong>in</strong>drücke der K<strong>in</strong>der<br />

46<br />

Sprachspiele den sprachlichen<br />

Fertigkeiten der<br />

K<strong>in</strong>der anpassen<br />

Beispiel: Sprechvers/Auszählreim<br />

Notizen


über das Malen, z.B. e<strong>in</strong>es Bildes vom Wochenmarkt, über Basteln für den Kaufladen<br />

sprachlich verfestigen und vertiefen.<br />

Die von K<strong>in</strong>dern gemalten Bilder können zum Sprechanlaû werden, wenn die Erzieher<strong>in</strong><br />

sich das Bild vom K<strong>in</strong>d erklären läût.<br />

Auch beim Basteln gibt die Erzieher<strong>in</strong> wertvolle Sprachanregungen, wenn sie den K<strong>in</strong>dern<br />

nicht nur die e<strong>in</strong>zelnen Arbeitsschritte zeigt und vormacht, sondern sprachliche Anleitungen<br />

gibt oder die K<strong>in</strong>der danach befragt, was sie gerade machen.<br />

3.4 Öffnung zumStadtteil<br />

Indem sich die E<strong>in</strong>richtungen zum Stadtteil h<strong>in</strong> öffnen, erweitern sie für die K<strong>in</strong>der deren<br />

Erfahrungsspielraum und damit auch deren Kontakt zu verschiedenen Sprachen. Davon<br />

können sowohl deutschsprachige K<strong>in</strong>der als auch K<strong>in</strong>der mit anderen Erstsprachen profitieren:<br />

Neue Lebens- und Sprachräume können entdeckt werden; Ausflüge <strong>in</strong> den Stadtteil<br />

macht sie mit Geschäften, Museen, Kirchen, Moscheen, Spielplätzen, Märkten und vielem<br />

mehr bekannt, die sie alle<strong>in</strong> durch den Alltag im K<strong>in</strong>dergarten oder <strong>in</strong> den Familien vielleicht<br />

nicht kennengelernt hätten. Diese neuen Erfahrungen geben viele Anlässe, um zu fragen,<br />

sich gegenseitig etwas zu erklären und im nachh<strong>in</strong>e<strong>in</strong> davon zu erzählen.<br />

Lebensräume s<strong>in</strong>d Sprachräume<br />

Lebensräume haben e<strong>in</strong>e Wirkung auf die Sprachgewohnheit der Menschen, die sich dar<strong>in</strong><br />

bewegen. Durch die Öffnung nach auûen erfahren K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e Bandbreite von unterschiedlichen<br />

Sprachen. So werden auf Märkten oft laut die besten Waren angepriesen. In Kirchen<br />

oder Kathedralen wird eher leise gesprochen oder geflüstert. Auf der Kirmes unterhalten<br />

sich manche Menschen wegen der Geräuschkulisse fast schon brüllend. K<strong>in</strong>der können<br />

deutsche Marktfrauen erleben, die ihre Ware ganz selbstverständlich sowohl auf Deutsch<br />

als auch z.B. auf Türkisch anbieten. Damit erleben sie beide Sprachen als e<strong>in</strong>en selbstverständlichen<br />

Teil des Alltagslebens.<br />

Diese, auch sprachlichen, Erlebnisse können <strong>in</strong> der Tagese<strong>in</strong>richtung durch Rollenspiele wieder<br />

aufgegriffen werden. Indem die Erzieher<strong>in</strong>nen nachfragen, ob sich die K<strong>in</strong>der er<strong>in</strong>nern, wie<br />

die Menschen auf den verschiedenen Plätzen mite<strong>in</strong>ander gesprochen haben, kann auch bei<br />

den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> Gefühl für die unterschiedlichen Sprechweisen entstehen. Sprache und Sprechen<br />

werden so zum wichtigen Bestandteil im Alltag der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung.<br />

In den folgenden Abschnitten werden Möglichkeiten vorgestellt, wie die Öffnung zum<br />

Stadtteil für die <strong>Sprachförderung</strong> der K<strong>in</strong>der genutzt werden kann. Der Kreativität s<strong>in</strong>d hierbei<br />

ke<strong>in</strong>e Grenzen gesetzt. Manchmal braucht man etwas Mut, um neue Wege auszuprobieren<br />

± auch bei der Erschlieûung von Ressourcen im Stadtteil.<br />

Öffnung zum Stadtteil: Ressourcen nutzen für die Arbeit als Erzieher<strong>in</strong><br />

Öffnung nach auûen bedeutet für die Erzieher<strong>in</strong>, den Blick zu öffnen für neue Möglichkeiten<br />

der Unterstützung bei ihrer alltäglichen <strong>Sprachförderung</strong> der K<strong>in</strong>der: sei es, neue Anknüpfungspunkte<br />

für die Sprechfreude der K<strong>in</strong>der zu f<strong>in</strong>den, sei es, die erstsprachlichen Kompetenzen<br />

der K<strong>in</strong>der zu fördern.<br />

In vielen K<strong>in</strong>dertagesstätten gibt es ke<strong>in</strong>e oder nur e<strong>in</strong>e Erzieher<strong>in</strong>, die e<strong>in</strong>e Erstsprache der<br />

K<strong>in</strong>der spricht. Durch die Öffnung zum Stadtteil h<strong>in</strong> ermöglicht die Erzieher<strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dern,<br />

mit ihrer Erstsprache <strong>in</strong> Kontakt zu kommen. Sie signalisiert damit zugleich den K<strong>in</strong>dern<br />

und Eltern, dass sie mit ihren Erstsprachen willkommen s<strong>in</strong>d und ernst genommen werden.<br />

Alle<strong>in</strong> diese Erfahrung kann schon manches Tor zur Zusammenarbeit mit den Eltern und<br />

zur Lernfreude bei den K<strong>in</strong>dern öffnen.<br />

47<br />

Durch Öffnung zum Stadtteil<br />

neue Sprachräume<br />

erschlieûen<br />

Erlebtes <strong>in</strong> Rollenspielen<br />

wieder aufgreifen<br />

Kontakte zur Erstsprache<br />

herstellen<br />

Notizen


Öffnung zum Stadtteil: Neue Lieder und Spiele kennenlernen<br />

Vielleicht können die Erzieher<strong>in</strong>nen Kontakte zu Menschen aus dem Stadtteil knüpfen, die<br />

e<strong>in</strong>e der Erstsprachen der K<strong>in</strong>der sprechen? Diese können <strong>in</strong> die K<strong>in</strong>dertagesstätte e<strong>in</strong>geladen<br />

werden, um den K<strong>in</strong>dern z.B. e<strong>in</strong> Bilderbuch vorzulesen oder mit ihnen Lieder <strong>in</strong><br />

ihrer/se<strong>in</strong>er Erstsprache zu s<strong>in</strong>gen. Vielleicht besitzt auch e<strong>in</strong> Elternpaar oder deren Verwandte<br />

e<strong>in</strong> Restaurant, das die K<strong>in</strong>der zusammen mit den Erzieher<strong>in</strong>nen besuchen können.<br />

Dabei werden sie u.U. mit kulturell unterschiedlichen Raumgestaltungen und auch Speisen<br />

vertraut, die zum Nachfragen oder auch Nachahmen und Nacherzählen ermuntern können.<br />

Vielleicht können die Restaurantbesitzer/<strong>in</strong>nen den K<strong>in</strong>dern etwas aus ihrer K<strong>in</strong>dheit erzählen,<br />

vielleicht fällt ihnen noch e<strong>in</strong> Lied e<strong>in</strong>, das sie früher immer gesungen haben oder das<br />

sie heute ihren K<strong>in</strong>dern vors<strong>in</strong>gen?<br />

Menschen mit verschiedenen kulturellen H<strong>in</strong>tergründen aus dem Stadtteil können auch<br />

gefragt werden, ob sie noch Bilderbücher <strong>in</strong> ihrer Sprache haben, die sich der K<strong>in</strong>dergarten<br />

ausleihen kann. Sie können gebeten werden, bei der nächsten Reise <strong>in</strong> ihr Herkunftsland<br />

e<strong>in</strong> Bilderbuch mitzubr<strong>in</strong>gen.<br />

Auch ist es für die K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e spannende Sache, e<strong>in</strong>mal selbst <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Laden zu gehen, <strong>in</strong><br />

dem Speisen und Gegenstände aus e<strong>in</strong>em anderen Kulturbereich verkauft werden. Für<br />

manche wird es e<strong>in</strong> völlig neues Erlebnis se<strong>in</strong>; anderen K<strong>in</strong>dern ist dieser Laden aufgrund<br />

der gleichen kulturellen H<strong>in</strong>tergründe bekannt. Sie können vielleicht sogar das e<strong>in</strong>e oder<br />

andere erklären.<br />

Erzieher<strong>in</strong>nen haben gute Erfahrungen damit gemacht, die Reise <strong>in</strong> den Stadtteil fotografisch<br />

zu dokumentieren. K<strong>in</strong>der schauen sich immer wieder gern diese Fotos an und erzählen<br />

sich und den Erzieher<strong>in</strong>nen, was sie erlebt haben. Wenn die Fotoalben länger ausliegen,<br />

kann es unter den K<strong>in</strong>dern zu Gesprächen kommen, wer sich wie verändert hat und wer<br />

vielleicht nicht mehr <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung ist.<br />

Auch folgendes kann e<strong>in</strong>mal ausprobiert werden: E<strong>in</strong>en Geschichten- und Liederwettbewerb<br />

<strong>in</strong>s Leben zu rufen, bei dem es e<strong>in</strong>en Preis zu gew<strong>in</strong>nen gibt und der se<strong>in</strong>en Abschluû<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Fest rund um den K<strong>in</strong>dergarten f<strong>in</strong>det.<br />

Öffnung zum Stadtteil: Sprachkompetenzen der Eltern stärken<br />

Öffnung zum Stadtteil bedeutet zum e<strong>in</strong>en, sich neue Lebensräume für die K<strong>in</strong>der und<br />

Erzieher<strong>in</strong>nen der K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung zu erschlieûen. Es kann jedoch auch bedeuten,<br />

die eigenen Räume für Gruppen aus dem Stadtteil zur Verfügung zu stellen. So können<br />

Räume angeboten werden, <strong>in</strong> denen z.B. Sprachkurse für Eltern stattf<strong>in</strong>den. Für viele Eltern<br />

der E<strong>in</strong>richtung wird die Hemmschwelle, e<strong>in</strong>en Kurs zu besuchen, dadurch ger<strong>in</strong>ger. Sie<br />

kennen schon die Räume, sie kennen auch manche Eltern. Viele Unsicherheitsfaktoren fallen<br />

damit gegenüber fremden Institutionen und fremden Kursteilnehmern weg.<br />

Sprachkurse können sowohl für die deutsche Sprache als auch für die Erstsprache der Eltern<br />

angeboten werden. Manche Eltern mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund beherrschen ihre Erstsprache<br />

nicht mehr vollständig. Eltern können ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> der Sprachentwicklung unterstützen,<br />

wenn auch sie sich <strong>in</strong> ihrer Erstsprache weiterbilden. Dabei kann der Kurs <strong>in</strong> der K<strong>in</strong>dertagesstätte<br />

dazu dienen, die Eltern für ihre Aufgabe bei der <strong>Sprachförderung</strong> zu sensibilisieren.<br />

Öffnung zum Stadtteil:<br />

Generationsübergreifendes Lernen für die <strong>Sprachförderung</strong> nutzen<br />

Es lohnt sich, Kontakt zu Seniorenwohnheimen aufzunehmen: Bei gegenseitigen Besuchen<br />

lassen sich sicher Bewohner/<strong>in</strong>nen f<strong>in</strong>den, die daran Freude haben, mit den K<strong>in</strong>dern Bilder-<br />

48<br />

Menschen aus dem Stadtteil<br />

<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dergartenarbeit<br />

e<strong>in</strong>beziehen<br />

K<strong>in</strong>dergarten für Stadtteil<br />

öffnen ± Beispiel: Sprachkurse<br />

für Eltern<br />

Notizen


ücher, auch <strong>in</strong> ihrer Erstsprache, zu lesen oder mit ihnen Lieder zu s<strong>in</strong>gen. Bei manchen<br />

Migrationsberatungsstellen gibt es mittlerweile sogenannte Seniorentreffs für Menschen.<br />

Auch diese Arbeitskreise s<strong>in</strong>d Anlaufstellen, um sich Unterstützung bei der Anerkennung<br />

und Förderung der Erstsprachen der K<strong>in</strong>der zu holen.<br />

4. Das Verhalten der Erzieher<strong>in</strong><br />

4.1 Die Erzieher<strong>in</strong> als Sprachvorbild<br />

K<strong>in</strong>der orientieren sich bei ihrer Sprachentwicklung an ihren Bezugspersonen. Ihr Sprachverhalten<br />

bietet den K<strong>in</strong>dern Orientierungspunkte, an denen sie ihre eigenen Sprachfähigkeiten<br />

vergleichen und ausbauen. Der Sprachalltag, <strong>in</strong> dem die K<strong>in</strong>der sich bewegen, hat<br />

also entscheidenden E<strong>in</strong>fluû auf ihre Sprachentwicklung. Die Erzieher<strong>in</strong> ist damit e<strong>in</strong> wichtiges<br />

Sprachvorbild.<br />

Dies gilt zum e<strong>in</strong>en für den grammatikalisch richtigen Gebrauch e<strong>in</strong>er Sprache. Das K<strong>in</strong>d<br />

baut im Zuge se<strong>in</strong>er Sprachentwicklung zunächst e<strong>in</strong> eigenes Sprachsystem auf. Dieses<br />

vergleicht es mit dem se<strong>in</strong>es Umfeldes und paût es Schritt für Schritt an (vgl. Kap. I 2).<br />

Zum anderen kann die Erzieher<strong>in</strong> auch mit der Art und Weise, wie sie mit Sprache umgeht<br />

± z.B. ob sie Freude am Sprechen hat, gerne anderen zuhört, andere nicht übertönt ± e<strong>in</strong><br />

wichtiges Verhaltensvorbild und damit Unterstützung für die Sprach- und Kommunikationskultur<br />

der K<strong>in</strong>der se<strong>in</strong>.<br />

Die folgenden Aspekte s<strong>in</strong>d als Anhaltspunkte zu verstehen, wie Erzieher<strong>in</strong>nen durch ihr<br />

Sprachvorbild das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Sprachentwicklung unterstützen können.<br />

In vollständigen, grammatikalisch richtigen und je nach Sprachniveau des K<strong>in</strong>des<br />

kurzen Sätzen sprechen<br />

E<strong>in</strong>e verkürzte Sprache, die sich nur auf die zur Verständigung verme<strong>in</strong>tlich wichtigen<br />

Inhaltswörter stützt, z.B. ¹Du ¼ Milch haben?ª, gibt den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> grammatikalisch falsches<br />

Sprachvorbild. Besser ist es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>fachen, aber vollständigen und grammatikalisch<br />

richtigen Sätzen zu sprechen: ¹Möchtest Du Milch haben?ª K<strong>in</strong>der können sich auch aus<br />

vollständigen Sätzen die Wörter herauspicken, die sie zur Verständigung benötigen (vgl.<br />

Kap. I 2).<br />

E<strong>in</strong>fache Worte auswählen<br />

Den K<strong>in</strong>dern kann es dann leichter fallen, Wörter wiederzuerkennen und <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em zweiten<br />

Schritt anzuwenden, z.B.<br />

´ Ecke (statt W<strong>in</strong>kel oder Knick).<br />

´ Haus (statt Gebäude oder Unterscheidungen nach spezifischen Arten: Bungalow, Villa<br />

etc.)<br />

Je nach Sprachstand kann dem K<strong>in</strong>d nach und nach e<strong>in</strong> differenzierterer Wortschatz im<br />

Gespräch angeboten werden.<br />

Wörter langsam und deutlich aussprechen ± nicht ¹nuschelnª<br />

E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d, das gerade beg<strong>in</strong>nt, e<strong>in</strong>e neue Sprache zu erlernen, empf<strong>in</strong>det wahrsche<strong>in</strong>lich die<br />

gesprochenen Wörter so, als ob es sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dichten Laut- und Geräuschedschungel<br />

bef<strong>in</strong>det. E<strong>in</strong>zelne Wörter, die es erkennt, s<strong>in</strong>d wie Lichtblicke oder Wegweiser durch das<br />

Dickicht der Sprache. Um dem K<strong>in</strong>d zu ermöglichen, e<strong>in</strong>zelne ihm bekannte Wörter wahr-<br />

49<br />

K<strong>in</strong>der orientieren sich<br />

beim Sprechen an<br />

Bezugspersonen<br />

Anhaltspunkte für<br />

vorbildliches Sprechen<br />

Notizen


zunehmen, ist es wichtig, langsam und deutlich zu sprechen und dabei trotzdem möglichst<br />

authentisch im Sprachgebrauch zu bleiben.<br />

Das eigene Handeln mit Sprechen begleiten und umgekehrt<br />

K<strong>in</strong>der können so besser erfassen, wovon die Erzieher<strong>in</strong> spricht (vgl. Kap. II 1.4). Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus kann das Begleiten von Sprechen und Handeln den K<strong>in</strong>dern signalisieren, dass<br />

auch die Erzieher<strong>in</strong>nen Freude am Sprechen haben.<br />

Beim Sprechen immer wieder kle<strong>in</strong>e Pausen lassen, damit die K<strong>in</strong>der nachfragen<br />

können<br />

Gerade K<strong>in</strong>der, die e<strong>in</strong>e zweite Sprache erlernen, brauchen manchmal noch etwas Zeit und<br />

auch Mut, ihre Interessen zu formulieren. Aber auch unsichere K<strong>in</strong>der benötigen <strong>in</strong> ganz<br />

besonderer Weise e<strong>in</strong>e Atmosphäre des aufmerksamen Zuhörens, damit sie sich trauen,<br />

etwas zu sagen.<br />

K<strong>in</strong>der nicht übertönen, wenn der Geräuschpegel steigt<br />

Auch hier<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d Erzieher<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong> Vorbild. K<strong>in</strong>der, die dieses Verhalten bei Erwachsenen<br />

beobachten, werden sich <strong>in</strong> vielen Fällen ähnlich verhalten. Dabei schränken sie andere<br />

K<strong>in</strong>der dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong> zu sprechen und nehmen sich selbst die Chance, genau zuzuhören, was<br />

e<strong>in</strong> anderes K<strong>in</strong>d oder die Erzieher<strong>in</strong> zu sagen hat.<br />

Den K<strong>in</strong>dern aktiv und <strong>in</strong>tensiv zuhören<br />

E<strong>in</strong>e Sprache zu erlernen heiût auch, genau zuzuhören. Die Erzieher<strong>in</strong>nen können dar<strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

gutes Vorbild se<strong>in</strong>, wenn sie K<strong>in</strong>dern aktiv, <strong>in</strong>tensiv und mit e<strong>in</strong>em echten Interesse zuhören.<br />

Geduld und Gelassenheit s<strong>in</strong>d sprachfördernde Faktoren, wenn die K<strong>in</strong>der noch etwas Zeit<br />

brauchen, um ihr Anliegen zu formulieren. Die Erzieher<strong>in</strong>nen sollten den K<strong>in</strong>dern nicht die<br />

Antworten auf ihre Fragen <strong>in</strong> den Mund legen.<br />

Offene Fragen stellen<br />

Offene Fragen s<strong>in</strong>d solche, auf die K<strong>in</strong>der nicht mit ¹Jaª oder ¹Ne<strong>in</strong>ª bzw. e<strong>in</strong>em Kopfnikken<br />

oder Kopfschütteln reagieren können, sondern die nach e<strong>in</strong>er ausführlicheren Antwort<br />

verlangen. Die K<strong>in</strong>der werden durch offene Fragen motiviert zu sprechen. Da der passive<br />

Wortschatz der K<strong>in</strong>der dadurch wächst, dass mit ihnen immer wieder das Gespräch<br />

gesucht wird (vgl. Kap. I 2), ist es gut, ¹am Ball zu bleibenª, ohne die K<strong>in</strong>der zu e<strong>in</strong>er Antwort<br />

zu drängen.<br />

Mit offenen Fragen kann die Erzieher<strong>in</strong> auch herausf<strong>in</strong>den, ob die K<strong>in</strong>der ihre Frage überhaupt<br />

verstanden haben. Manche K<strong>in</strong>der (und auch Erwachsene) reagieren auf Fragen mit<br />

e<strong>in</strong>em Kopfnicken, obwohl sie den S<strong>in</strong>n der Wörter nicht nachvollziehen können.<br />

Reflexion des eigenen Sprachverhaltens<br />

Es hat sich <strong>in</strong> der Praxis bewährt, zur Kontrolle des eigenen Sprachverhaltens e<strong>in</strong> Tonband<br />

mitlaufen zu lassen. Die hier aufgeführten Aspekte können genutzt werden, um herauszuf<strong>in</strong>den,<br />

welches sprachfördernde Verhalten im Alltag mit den K<strong>in</strong>dern schon umgesetzt<br />

wird und welche Punkte noch stärker berücksichtigt werden könnten. Die Auswertung dieser<br />

Tonbänder ist e<strong>in</strong>e wichtige Er<strong>in</strong>nerungsstütze und Lernerfahrung. Viele Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

zeigten sich erstaunt, wie viele der Vorsätze doch im Alltagstrubel untergehen können,<br />

obwohl sie me<strong>in</strong>ten, schon vieles berücksichtigt zu haben. Es braucht auch erst e<strong>in</strong> wenig<br />

Überw<strong>in</strong>dung, die eigene Stimme auf dem Tonband zu hören. Die Erzieher<strong>in</strong>nen berichten,<br />

dass der hörbare Erfolg dieser Reflexionsmethode sie dafür entschädigt. Der eigene Lernerfolg<br />

wird am deutlichsten sichtbar, wenn <strong>in</strong> regelmäûigen Zeitabständen immer wieder<br />

e<strong>in</strong> Tonband aufgenommen und ausgewertet wird.<br />

50<br />

Offene Fragen zeigen, ob<br />

die Frage verstanden wurde<br />

Kontrolle des eigenen<br />

Sprechverhaltens als<br />

Er<strong>in</strong>nerungsstütze und<br />

Lernerfahrung<br />

Notizen


Darüber h<strong>in</strong>aus können sich auch die Kolleg<strong>in</strong>nen gegenseitig auf ihr Sprachverhalten aufmerksam<br />

machen und sich damit Er<strong>in</strong>nerungshilfen für ihren Alltag schaffen.<br />

4.2 Aufgaben der muttersprachlichen Erzieher<strong>in</strong> für die <strong>Sprachförderung</strong><br />

Bei der zweisprachigen Erziehung nimmt die Erzieher<strong>in</strong>, die mit e<strong>in</strong>er der Erstsprachen der<br />

K<strong>in</strong>der aufgewachsen ist, e<strong>in</strong>e wichtige Rolle e<strong>in</strong>. Nicht nur hat sie e<strong>in</strong>e wichtige Funktion<br />

bei der Förderung der Erstsprache der K<strong>in</strong>der. Auch ihre Haltung gegenüber ihrer Erstsprache<br />

und der deutschen Sprache kann die K<strong>in</strong>der entscheidend <strong>in</strong> ihrer E<strong>in</strong>stellung gegenüber<br />

ihrer Zweisprachigkeit bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> hat e<strong>in</strong>e Vielfalt von Kompetenzen, die sie für die <strong>Sprachförderung</strong><br />

der K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>setzen kann:<br />

Indem sie mit den K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong> ihrer Erstsprache spricht, ist sie für die K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong> wichtiges<br />

Sprachvorbild. Ganz besonders gilt dies für diejenigen K<strong>in</strong>der, <strong>in</strong> deren Familien die Erstsprache<br />

nicht mehr vollständig gesprochen wird.<br />

Aufgrund ihrer Sprachkompetenzen <strong>in</strong> der Erstsprache kann sie herausf<strong>in</strong>den, über welche<br />

sprachlichen Fähigkeiten das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Erstsprachentwicklung verfügt. Damit kann sie<br />

auch beurteilen, welches K<strong>in</strong>d noch besonders viel und welches weniger gezielte Förderung<br />

<strong>in</strong> der Erstsprache braucht.<br />

Sie ist auch mit ihrer Kompetenz, die deutsche Sprache zu beherrschen, den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong><br />

Vorbild. Sie signalisiert den K<strong>in</strong>dern, ob es für sie selbst hauptsächlich e<strong>in</strong>e Last oder e<strong>in</strong>e<br />

Freude war, e<strong>in</strong>e zweite Sprache zu erlernen. Auch kann sie den K<strong>in</strong>dern vermitteln, welche<br />

Vorteile sie <strong>in</strong> ihrem Alltag davon hat, deutsch zu sprechen. K<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d meist sehr aufmerksam,<br />

wenn Erwachsene authentisch und ohne den moralischen Zeigef<strong>in</strong>ger zu erheben,<br />

davon erzählen, was ihnen wichtig und wertvoll ist.<br />

Sie ist e<strong>in</strong>e wichtige und ernst zunehmende Ansprechpartner<strong>in</strong> für die Eltern der K<strong>in</strong>der, die<br />

die gleiche Erstsprache sprechen. Sie kann den Eltern vermitteln, warum es für die Identitätsentwicklung<br />

und den Erwerb der deutschen Sprache bedeutsam ist, die Erstsprache<br />

der K<strong>in</strong>der zu fördern (vgl. Kap. I 2 und II 5).<br />

Die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> im geme<strong>in</strong>samen Alltag mit den K<strong>in</strong>dern<br />

K<strong>in</strong>der werden <strong>in</strong> ihrer Sprachentwicklung unterstützt, <strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong>zelnen Personen<br />

jeweils e<strong>in</strong>e Sprache zuordnen können. Dies bedeutet für die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong>,<br />

dass sie, soweit es im Alltagstrubel möglich ist, mit den K<strong>in</strong>dern konsequent <strong>in</strong> ihrer Erstsprache<br />

sprechen sollte. ¹E<strong>in</strong>e Sprache ± e<strong>in</strong>e Personª 42 ± ist hier das Pr<strong>in</strong>zip. Dies gilt<br />

auch, wenn den Erzieher<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der e<strong>in</strong>en Sprache gerade nicht das passende Wort e<strong>in</strong>fällt.<br />

Besser ist es Umschreibungen zu wählen. Die Erzieher<strong>in</strong> ist den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong> gutes Vorbild<br />

dar<strong>in</strong>, möglichst <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es Satzes die Sprachen nicht zu wechseln, sondern sie<br />

konsequent vone<strong>in</strong>ander zu trennen.<br />

Ist der Sprachwechsel doch e<strong>in</strong>mal nötig, so sollte sie diesen durch den Tonfall, durch e<strong>in</strong>e<br />

Pause oder durch e<strong>in</strong>en Nebensatz deutlich kenntlich machen. 43<br />

Oft wird die Frage gestellt, welche Sprache e<strong>in</strong>e muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> bei der<br />

Anwesenheit von deutschen K<strong>in</strong>dern sprechen sollte. In e<strong>in</strong>er Gruppe von K<strong>in</strong>dern, die<br />

unterschiedliche Sprachen sprechen, sollte sie Deutsch sprechen. Dagegen muû die bloûe<br />

Anwesenheit von an der Situation unbeteiligten deutschsprachigen K<strong>in</strong>dern oder Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

nicht unbed<strong>in</strong>gt zur Konsequenz haben, zur deutschen Sprache zu wechseln. Erst<br />

42 Heuchert, 1989, S. 100<br />

43 vgl. Heuchert, a.a.O.<br />

51<br />

Zentrale Rolle muttersprachlicher<br />

Erzieher/<strong>in</strong>nen<br />

Das Pr<strong>in</strong>zip ¹e<strong>in</strong>e Sprache ±<br />

e<strong>in</strong>e Personª<br />

Ausnahmen<br />

Notizen


wenn die Gefahr besteht, dass K<strong>in</strong>der oder auch Kolleg<strong>in</strong>nen von e<strong>in</strong>er Situation ausgeschlossen<br />

werden, an der sie sich beteiligen wollen, ist e<strong>in</strong> Wechsel zur deutschen Sprache<br />

angebracht.<br />

Je nach Sprachvermögen und Situation des K<strong>in</strong>des hat die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong><br />

unterschiedliche Aufgaben: Gerade <strong>in</strong> den ersten Tagen kann es für das K<strong>in</strong>d besonders<br />

wichtig se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Erstsprache angesprochen zu werden. Dies hilft über manche verunsichernde<br />

Situation h<strong>in</strong>weg. Auch bei der Kontaktaufnahme zu anderen K<strong>in</strong>dern kann die<br />

muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> behilflich se<strong>in</strong>. Die Erstsprache mit e<strong>in</strong>er Erzieher<strong>in</strong> zu sprechen,<br />

hat für das K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e Brückenfunktion beim Übergang von der Familie <strong>in</strong> die K<strong>in</strong>dertagese<strong>in</strong>richtung.<br />

Klärung im Team<br />

Manchmal kann es zu Verstimmungen <strong>in</strong>nerhalb des Teams kommen, wenn deutschsprachige<br />

Kolleg<strong>in</strong>nen den E<strong>in</strong>druck gew<strong>in</strong>nen, manche K<strong>in</strong>der und auch Eltern reden nur noch<br />

mit der Kolleg<strong>in</strong>, die deren Erstsprache beherrscht. ¹Ich habe dann Angst, dass ich wichtige<br />

D<strong>in</strong>ge gar nicht mehr mitbekommeª ist e<strong>in</strong>e wohlbekannte ¾uûerung <strong>in</strong> mehrsprachigen<br />

Teams. Die Verantwortung dafür, solche Situationen zu klären, liegt <strong>in</strong> der Hand der Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

<strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung. Die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> sollte ihren Kolleg<strong>in</strong>nen diejenigen<br />

Informationen mitteilen, die sie aufgrund der unterschiedlichen Sprache nicht mitbekommen<br />

können. Die deutschsprachige Erzieher<strong>in</strong> hat die Verantwortung, nach den Informationen<br />

zu fragen, die ihr fehlen, um e<strong>in</strong>e bestimmte Situation, das Verhalten der Eltern<br />

oder der K<strong>in</strong>der besser verstehen zu können. E<strong>in</strong>e Offenheit und Vertrauen im Team ist für<br />

die Zusammenarbeit e<strong>in</strong>e unerläûliche Grundlage.<br />

Auch sollte sich das Team auf e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>heitlichen Umgang e<strong>in</strong>igen, wer mit den K<strong>in</strong>dern <strong>in</strong><br />

welcher Sprache spricht. Wichtig für die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> ist es, nicht nur mit<br />

ihren Sprachkompetenzen im Team Beachtung zu f<strong>in</strong>den. Sie hat viele weitere Fähigkeiten,<br />

die sie <strong>in</strong> die Arbeit mit den K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>br<strong>in</strong>gen kann.<br />

5. Die Zusammenarbeit mit Eltern<br />

Im gesamten Alltag s<strong>in</strong>d die Eltern wichtige Bündnispartner, wenn die Erzieher<strong>in</strong> Lern- und<br />

Erfahrungsprozesse von K<strong>in</strong>dern fördern will. Eltern können Erzieher<strong>in</strong>nen Informationen<br />

zur familiären Situation geben, ihnen mitteilen, was ihnen <strong>in</strong> der Erziehung ihrer K<strong>in</strong>der<br />

wichtig oder weniger wichtig ist. Zudem gibt es <strong>in</strong> der Arbeit immer wieder Momente und<br />

Situationen, <strong>in</strong> denen Erzieher<strong>in</strong>nen ohne Mitwirken der Eltern ratlos s<strong>in</strong>d und Eltern auf<br />

helfende H<strong>in</strong>weise der Erzieher<strong>in</strong>nen angewiesen s<strong>in</strong>d.<br />

5.1 Sprachwelten der K<strong>in</strong>der kennenlernen<br />

Das K<strong>in</strong>d hat <strong>in</strong> den ersten Lebensjahren das sprachliche Verhalten se<strong>in</strong>er familiären Umgebung<br />

übernommen. Obwohl viele der grundlegenden sprachlichen Fähigkeiten <strong>in</strong> der Familie<br />

erworben werden, können Erzieher<strong>in</strong>nen über e<strong>in</strong>e Zusammenarbeit mit Eltern K<strong>in</strong>dern<br />

vielfältige unterstützende Anregungen geben. Dazu bedarf es aber der genauen Kenntnis<br />

der Sprachsituation des K<strong>in</strong>des. In Gesprächen mit Eltern, evtl. bereits bei Aufnahmegesprächen<br />

und/oder Hausbesuchen können Erzieher<strong>in</strong>nen erfahren, ob das K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

Familie aufwächst, <strong>in</strong> der das Gespräch mit dem K<strong>in</strong>d selbstverständlich ist oder ob es<br />

eher weniger Sprachanregungen erfahren hat, wer mit dem K<strong>in</strong>d aus zugewanderten Familien<br />

<strong>in</strong> welcher Sprache spricht und welche Sprache die geme<strong>in</strong>same Familiensprache ist.<br />

Bei solchen Gelegenheiten gew<strong>in</strong>nt die Erzieher<strong>in</strong> erste Anhaltspunkte und H<strong>in</strong>weise, die<br />

ihr bei ihren Überlegungen zur Planung und Gestaltung der Arbeit von Nutzen se<strong>in</strong> können.<br />

Dabei ist es wichtig, den Eltern und K<strong>in</strong>dern zu vermitteln, warum man sich für sie und ihre<br />

Sprach- und Sprechgewohnheiten <strong>in</strong>teressiert. Sie sollten sich nicht ausgehorcht fühlen.<br />

52<br />

Wer spricht mit wem <strong>in</strong><br />

welcher Sprache?<br />

Sich bei Eltern über die<br />

Sprachsituation <strong>in</strong> der<br />

Familie <strong>in</strong>formieren<br />

Notizen


Vielmehr geht es darum, ihnen e<strong>in</strong> Verständnis für die Wertschätzung ihrer Erstsprache(n)<br />

und deren Bedeutung für die Entwicklung ihres K<strong>in</strong>des zu vermitteln.<br />

Folgende Fragen können der Erzieher<strong>in</strong> helfen, sich die Sprachwelt der K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihrer<br />

Gruppe zu erschlieûen:<br />

´ Wer spricht mit dem K<strong>in</strong>d welche Sprache?<br />

´ Wer verfügt über welche Sprachkompetenzen?<br />

´ Gibt es e<strong>in</strong>e Sprache, die hauptsächlich <strong>in</strong> der Familie gesprochen wird?<br />

´ Gibt es bestimmte Situationen, <strong>in</strong> denen nur die e<strong>in</strong>e oder die andere Sprache gesprochen<br />

wird?<br />

´ Gibt es für das K<strong>in</strong>d neben den Eltern auch andere wichtige Bezugspersonen <strong>in</strong> der Verwandtschaft?<br />

´ Wird <strong>in</strong> der Familie gern und viel mite<strong>in</strong>ander gesprochen?<br />

´ Gibt es wichtige Freunde oder Nachbarn, die mit dem K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e andere Sprache als die<br />

Familiensprache sprechen?<br />

´ Welche Sprachen werden hauptsächlich <strong>in</strong> der Nachbarschaft und <strong>in</strong> dem Stadtteil, <strong>in</strong><br />

dem die Familie wohnt, gesprochen?<br />

5.2 Eltern über die Arbeit <strong>in</strong>formieren<br />

Zur Aufgabe von Erzieher<strong>in</strong>nen gehört es, Eltern über die Arbeit <strong>in</strong> der Tagese<strong>in</strong>richtung zu<br />

<strong>in</strong>formieren. In vielen K<strong>in</strong>dergärten wird Eltern angeboten, über Hospitationen <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dergruppen<br />

den pädagogischen Alltag kennenzulernen. Andere K<strong>in</strong>dergärten empfehlen,<br />

dass Eltern mit ihren neu aufgenommenen K<strong>in</strong>dern e<strong>in</strong>e Woche lang den K<strong>in</strong>dergarten<br />

besuchen. Vorstellungen und Erwartungen an den K<strong>in</strong>dergarten lassen sich <strong>in</strong> E<strong>in</strong>zelgesprächen<br />

oder auf Gruppenebene klären, pädagogische Themen beim Elternabend erörtern.<br />

Dabei spielt das Thema ¹Sprachentwicklung und <strong>Sprachförderung</strong> im K<strong>in</strong>dergartenª<br />

bisher kaum e<strong>in</strong>e Rolle, obwohl es hierfür ± vor allem <strong>in</strong> bi- und multikulturellen Gruppen ±<br />

zahlreiche Ansatzpunkte gibt.<br />

Eltern aus zugewanderten Familien haben <strong>in</strong> der Regel e<strong>in</strong> groûes Interesse daran, dass ihre<br />

K<strong>in</strong>der die deutsche Sprache lernen. Sie schicken ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> den K<strong>in</strong>dergarten <strong>in</strong> der Hoffnung,<br />

dass sie hier die deutsche Sprache erwerben und gut auf die Schule vorbereitet werden.Mit<br />

wenigen Ausnahmen s<strong>in</strong>d sie aber auch daran <strong>in</strong>teressiert, dass ihre K<strong>in</strong>der ihre Erstsprache<br />

beibehalten, d.h. sie wünschen sich e<strong>in</strong>e zweisprachige Erziehung.<br />

Seit e<strong>in</strong>iger Zeit ist zu beobachten, dass e<strong>in</strong> Teil der Eltern die hierzulande verbreitete Auffassung<br />

vertritt, die Förderung der Erstsprache beh<strong>in</strong>dere den Erwerb der deutschen Sprache.<br />

Ihnen ist meist nicht bewuût, welche Bedeutung die Erstsprache für die Entwicklung<br />

des K<strong>in</strong>des hat und wie K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>e zweite Sprache erwerben. Daher fordern viele von der<br />

Erzieher<strong>in</strong>, ihrem K<strong>in</strong>d den Umgang mit K<strong>in</strong>dern gleicher Nationalität zu untersagen und<br />

dafür Sorge zu tragen, dass ihr K<strong>in</strong>d im K<strong>in</strong>dergarten deutsch spricht. Und manche Eltern<br />

reagieren sehr zurückhaltend darauf, wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>dergarten versucht, die Erstsprache im<br />

K<strong>in</strong>dergarten über die muttersprachliche Erzieher<strong>in</strong> zu unterstützen.<br />

Aber auch manche Erzieher<strong>in</strong>nen vertreten die Me<strong>in</strong>ung, dass Eltern im H<strong>in</strong>blick auf die<br />

bevorstehende E<strong>in</strong>schulung und auf e<strong>in</strong>e Integration mit ihren K<strong>in</strong>dern zuhause deutsch<br />

sprechen sollten. Hiervon versprechen sie sich e<strong>in</strong>e Unterstützung <strong>in</strong> ihrer Arbeit.<br />

53<br />

Fragen zur Sprachwelt<br />

der K<strong>in</strong>der<br />

Eltern aus zugewanderten<br />

Familien wünschen meist<br />

zweisprachige Erziehung<br />

Befürchtungen entgegentreten,<br />

Förderung der<br />

Erstsprache schade dem<br />

Erwerb der deutschen<br />

Sprache<br />

Notizen


Darüber h<strong>in</strong>aus s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> den Tagese<strong>in</strong>richtungen K<strong>in</strong>der anzutreffen, deren Eltern über unterschiedliche<br />

Erstsprachen verfügen und die ihre K<strong>in</strong>der bil<strong>in</strong>gual erziehen und daher wünschen,<br />

dass ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> beiden Sprachen gefördert werden.<br />

Von seiten der deutschen Eltern werden <strong>in</strong> verschiedenen K<strong>in</strong>dergärten Befürchtungen<br />

laut, dass es ihren K<strong>in</strong>dern aufgrund e<strong>in</strong>es hohen Anteils an K<strong>in</strong>dern aus zugewanderten<br />

Familien an entsprechender Förderung fehle, was sich u.a. auch an den sprachlichen<br />

Fähigkeiten ihrer K<strong>in</strong>der zeige bzw., dass ihren K<strong>in</strong>dern die mehrsprachige Situation <strong>in</strong> den<br />

Gruppen schade.<br />

Ferner wird von e<strong>in</strong>igen Erzieher<strong>in</strong>nen berichtet, dass e<strong>in</strong>e ¹bewuûteª Unterstützung der<br />

sprachlichen Fähigkeiten deutscher K<strong>in</strong>der notwendiger werde, da bei e<strong>in</strong>em Teil der K<strong>in</strong>der<br />

das Sprachvermögen ger<strong>in</strong>ger werde. GRÜNDLER schreibt hierzu, dass im K<strong>in</strong>dergarten<br />

immer häufiger K<strong>in</strong>der angemeldet werden, ¹von denen die Eltern sagen, sie verstünden<br />

sie, die sich aber sonst niemandem verbal verständlich machenª könnten. 44<br />

In anderen Tagese<strong>in</strong>richtungen wiederum wünschen sich deutsche Eltern, dass ihre K<strong>in</strong>der<br />

mit e<strong>in</strong>er ersten Fremdsprache bekannt gemacht werden.<br />

Anlässe, dem Thema ¹Sprachentwicklung und <strong>Sprachförderung</strong>ª e<strong>in</strong>en entsprechenden<br />

Stellenwert <strong>in</strong> der Zusammenarbeit mit Eltern e<strong>in</strong>zuräumen, gibt es also genug, wenn man<br />

die Vielfalt an Erwartungen, Wünschen und Me<strong>in</strong>ungen betrachtet.<br />

Ziele e<strong>in</strong>er solchen Zusammenarbeit könnten se<strong>in</strong>:<br />

´ Wissen und Erfahrungen über die Sprachentwicklung von K<strong>in</strong>dern auszutauschen,<br />

´ den Eltern die eigene Arbeit im Bereich ¹<strong>Sprachförderung</strong>ª vorzustellen,<br />

´ Eltern ± wenn sie dies wünschen ± konkrete Anregungen für e<strong>in</strong>e sprachliche Förderung<br />

mitzugeben,<br />

´ Eltern aus zugewanderten Familien bewuût zu machen, dass sie die Hauptverantwortung<br />

für den Erhalt der Erstsprache ihres K<strong>in</strong>des tragen, dass sie es s<strong>in</strong>d, die ihre K<strong>in</strong>der hier<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> besonderer Weise unterstützen können,<br />

´ Eltern das Gefühl geben, dass der K<strong>in</strong>dergarten ihnen bei der Förderung der Erstsprache<br />

behilflich se<strong>in</strong> möchte,<br />

´ die Chancen e<strong>in</strong>er Mehrsprachigkeit für alle K<strong>in</strong>der mit den Eltern diskutieren.<br />

In Aufnahmegesprächen oder bei Veranstaltungen zur Information von Eltern über die<br />

Arbeit <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung können erste Fragen zur Spracherziehung an die Eltern gerichtet<br />

oder Vorstellungen der Erzieher<strong>in</strong>nen vermittelt werden.<br />

Veranstaltungen für Eltern<br />

Bevor Erzieher<strong>in</strong>nen überlegen, Eltern zu e<strong>in</strong>em Thema ¹Sprachentwicklung, Zweisprachigkeit<br />

und/oder <strong>Sprachförderung</strong> im K<strong>in</strong>dergartenª e<strong>in</strong>zuladen, ist es hilfreich, Informationen<br />

zusammenzustellen und sich im Team e<strong>in</strong>e Position zum Thema zu erarbeiten. Mit Hilfe<br />

e<strong>in</strong>er Dia-Reihe mit Alltagssituationen aus dem Gruppengeschehen können die Möglichkeiten<br />

e<strong>in</strong>er sprachlichen Förderung im Alltag für Eltern anschaulich dargestellt werden. Auch<br />

e<strong>in</strong>e klare Zielvorstellung für das Gespräch mit den Eltern ¹Was wollen wir erreichen?ª,<br />

¹Was wollen wir ansprechen?ª kann bei der Vorbereitung förderlich se<strong>in</strong>.<br />

Als E<strong>in</strong>stieg <strong>in</strong> die Gesprächsrunde mit Eltern ist e<strong>in</strong>e Klärung der Wünsche und Vorstellungen<br />

von Eltern und Erzieher<strong>in</strong>nen zum Thema denkbar.<br />

44 Gründler, 1998, S. 30<br />

54<br />

Zunehmend <strong>Sprachförderung</strong><br />

bei deutschen<br />

K<strong>in</strong>dern notwendig<br />

Ziele der Zusammenarbeit<br />

mit den Eltern<br />

Vor Elternabenden im Team<br />

geme<strong>in</strong>same Position<br />

erarbeiten<br />

Notizen


Mit e<strong>in</strong>em Impulsreferat lassen sich Aspekte der Sprachentwicklung bzw. der Zweisprachigkeit<br />

darstellen. Auch über Filme, die z.B. bei den Landesbildstellen ausgeliehen werden<br />

können, oder über e<strong>in</strong>e <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung erstellte Dia - Reihe läût sich das Thema mit<br />

den Eltern erörtern.<br />

Um e<strong>in</strong>e Diskussion zu ermöglichen, ist bei Anwesenheit zugewanderter Eltern zu bedenken,<br />

ob e<strong>in</strong>e Übersetzung notwendig ist und wer diese Aufgabe wahrnehmen kann, ob<br />

jemand von den Eltern angesprochen werden kann oder ob es s<strong>in</strong>nvoller ist, jemandem<br />

von auûen die Aufgabe zu übertragen.<br />

Nach e<strong>in</strong>er kurzen E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> das Thema sollten Eltern Gelegenheit haben, ihre E<strong>in</strong>drükke,<br />

Me<strong>in</strong>ungen und Erwartungen auszutauschen. Erfahrungsgemäû s<strong>in</strong>d Diskussionen lebhafter<br />

und <strong>in</strong>tensiver, wenn sich Eltern mit gleicher Sprache bei Sachthemen <strong>in</strong> kle<strong>in</strong>en<br />

Gruppen zusammenf<strong>in</strong>den können. In diesen Gruppen können Eltern mit ähnlich gelagerten<br />

Erfahrungen, z.B. <strong>in</strong> der Spracherziehung, ihre Fragen, Befürchtungen und Wünsche<br />

mite<strong>in</strong>ander diskutieren. In diesem vertrauteren Kreis s<strong>in</strong>d sie eher bereit, offener ± auch<br />

über ihre Schwierigkeiten ± zu sprechen. Hierbei könnten folgende Fragen für die Diskussion<br />

leitend se<strong>in</strong>;<br />

für Eltern mit Migrationsh<strong>in</strong>tergrund:<br />

´ Wie f<strong>in</strong>den Sie es, dass Ihr K<strong>in</strong>d im K<strong>in</strong>dergarten se<strong>in</strong>e Erstsprache sprechen darf, dass<br />

´ wir Ihr K<strong>in</strong>d dabei unterstützen?<br />

´ S<strong>in</strong>d Sie der Me<strong>in</strong>ung, dass Ihr K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der deutschen Sprache genügend gefördert wird?<br />

und für deutsche Eltern:<br />

´ Wie denken Sie darüber, dass Ihr K<strong>in</strong>d im K<strong>in</strong>dergarten zweisprachige K<strong>in</strong>der antrifft?<br />

´ Me<strong>in</strong>en Sie, dass Ihr K<strong>in</strong>d genügend <strong>in</strong> der deutschen Sprache unterstützt wird?<br />

5.3 Kompetenzen der Eltern nutzen<br />

E<strong>in</strong>e weitere Überlegung, die im Team erörtert werden sollte, ist, ob und wie Eltern mit ihren<br />

lebenspraktischen und sprachlichen Kompetenzen <strong>in</strong> die Arbeit e<strong>in</strong>bezogen werden können.<br />

Über die Mitarbeit von Eltern können Angebote und Aktivitäten e<strong>in</strong>gebracht werden,<br />

die zu e<strong>in</strong>er Erweiterung der Lern- und Erfahrungsmöglichkeiten der K<strong>in</strong>der führen. So können<br />

z.B. Lieder, Spiele, Geschichten und Märchen aus dem kulturellen Umfeld der K<strong>in</strong>der<br />

aus zugewanderten Familien mit Hilfe der Eltern <strong>in</strong> die Arbeit e<strong>in</strong>bezogen und somit Anerkennung<br />

der Erstsprache zum Ausdruck gebracht werden. Hier s<strong>in</strong>d Eltern oft bereit, Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

<strong>in</strong> ihrer Arbeit zu unterstützen und entsprechende Materialien zur Verfügung zu<br />

stellen oder ihnen bei der Suche nach Materialien zu helfen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er kle<strong>in</strong>en K<strong>in</strong>dergruppe<br />

Geschichten vorzulesen, mit K<strong>in</strong>dern zu s<strong>in</strong>gen oder e<strong>in</strong>e Speise zuzubereiten.<br />

Seitdem Frau Akkaya, e<strong>in</strong>e türkische Erzieher<strong>in</strong>, im K<strong>in</strong>dergarten ¹Regenbogenª tätig ist,<br />

treffen sich die türkischen Mütter auf E<strong>in</strong>ladung der Erzieher<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung zum<br />

Gespräch. Heute wollen die Erzieher<strong>in</strong>nen mit den Müttern überlegen, wie sie die sprachlichen<br />

Fähigkeiten ihrer K<strong>in</strong>der zuhause unterstützen können. Obwohl sich die Erzieher<strong>in</strong>nen<br />

lange mit dem Thema der zweisprachigen Erziehung von K<strong>in</strong>dern ause<strong>in</strong>andergesetzt<br />

haben, obwohl sie auch genau wissen, was sie mit den Müttern besprechen wollen, s<strong>in</strong>d<br />

sie doch etwas aufgeregt: ¹Wie werden die Mütter wohl reagierenª.<br />

Die Mütter hatten e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>ladung <strong>in</strong> türkischer Sprache erhalten, Frau Akkaya hatte sie noch<br />

e<strong>in</strong>mal persönlich angesprochen und e<strong>in</strong>geladen und dabei die Bedeutung des Themas für<br />

die K<strong>in</strong>der herausgestellt.<br />

Gegen 14.00 Uhr war es soweit. Die türkischen Mütter brachten ± wie sie es bei früheren<br />

Gelegenheiten auch schon gemacht hatten ± Selbstgebackenes mit. In der geräumigen<br />

Küche, <strong>in</strong> der sich die Mütter trafen, war der Tisch gedeckt, Tee und Kaffee zubereitet.<br />

55<br />

Leitfragen für die Diskussion<br />

Beispiel: Eltern <strong>in</strong> <strong>Sprachförderung</strong><br />

e<strong>in</strong>beziehen<br />

Notizen


Nachdem sich alle begrüût und mite<strong>in</strong>ander ausgetauscht haben, unterhalten sich die Mütter<br />

darüber, womit sich ihre K<strong>in</strong>der nachmittags oder am Wochenende beschäftigen. Sie<br />

berichten, dass ihre K<strong>in</strong>der gern fernsehen oder vor dem Video sitzen und e<strong>in</strong>ige sich für<br />

Game-Boy <strong>in</strong>teressieren. Im weiteren Verlauf der Diskussion wird den Müttern deutlich,<br />

dass bei diesen Aktivitäten kaum gesprochen wird, dass sie von sich aus auch nicht das<br />

Gespräch mit ihren K<strong>in</strong>dern suchen, dass sie eigentlich wenig mit ihren K<strong>in</strong>dern reden.<br />

Frau Akkaya erkärt, warum es für die K<strong>in</strong>der wichtig ist, dass <strong>in</strong> der Familie mit den K<strong>in</strong>dern<br />

gesprochen wird, dass sie ihre K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> ihrer Entwicklung unterstützen, wenn sie zuhause<br />

mit ihnen <strong>in</strong> der Familiensprache sprechen und dass ihre K<strong>in</strong>der die deutsche Sprache nicht<br />

besser oder schneller lernen, wenn die türkische Sprache ausgeschaltet wird. Zunächst<br />

war es ganz ruhig, doch bald setzt e<strong>in</strong> lebhaftes Gespräch e<strong>in</strong>. Für die Mütter ist diese Information<br />

neu. Bisher hat noch niemand mit ihnen über dieses Thema gesprochen. Geme<strong>in</strong>sam<br />

überlegen sie dann, wie sie ihren K<strong>in</strong>dern helfen können:<br />

´ die K<strong>in</strong>der fragen, was sie im K<strong>in</strong>dergarten gemacht haben,<br />

´ beim E<strong>in</strong>kaufen mitnehmen und sie dabei e<strong>in</strong>beziehen,<br />

´ auf die Fragen der K<strong>in</strong>der e<strong>in</strong>gehen.<br />

Zudem wollen sie ihre Männer <strong>in</strong>formieren und mit ihnen über das heutige Gespräch reden.<br />

Sie verabreden, die nächsten Treffen im K<strong>in</strong>dergarten zu nutzen, um ihre Erfahrungen auszutauschen<br />

und geme<strong>in</strong>sam nach weiteren Schritten zu suchen.<br />

Frau Akkaya teilt mit, dass die Erzieher<strong>in</strong>nen für jedes K<strong>in</strong>d e<strong>in</strong> Tagebuch anlegen wollen, <strong>in</strong><br />

dem sie u.a. auch ¾uûerungen der K<strong>in</strong>der festhalten, die sie mit den Müttern besprechen<br />

wollen, um ihnen zu zeigen, wie sich ihre K<strong>in</strong>der sprachlich entwickeln.<br />

5.4 Wertschätzung und Anerkennung ausdrücken<br />

Gegenseitige Wertschätzung und Anerkennung s<strong>in</strong>d grundlegende Voraussetzungen für<br />

e<strong>in</strong>e vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Eltern. E<strong>in</strong> vertrauensvolles Zusammenwirken ist<br />

nur dort möglich, wo Erzieher<strong>in</strong>nen und Eltern bereit s<strong>in</strong>d, offen aufe<strong>in</strong>ander zuzugehen.<br />

Anerkennung und Beachtung von Eltern können deutlich werden, wenn wichtige Informationen,<br />

wie E<strong>in</strong>ladungen, Ankündigungen, Elternbriefe, Merkblätter, die Konzeption der E<strong>in</strong>richtung,<br />

für die Eltern <strong>in</strong> den verschiedenen Sprachen vorliegen.<br />

E<strong>in</strong> ¹Willkommenª im E<strong>in</strong>gangsbereich <strong>in</strong> den Sprachen, die <strong>in</strong> der E<strong>in</strong>richtung vertreten<br />

s<strong>in</strong>d, kann Eltern signalisieren, dass sie gerne gesehen s<strong>in</strong>d.<br />

Ihre wertschätzende Haltung können Erzieher<strong>in</strong>nen auch dadurch zum Ausdruck br<strong>in</strong>gen,<br />

dass sie sich bemühen, die Familiennamen der Eltern korrekt auszusprechen und die Eltern<br />

mit ihrem Namen zu begrüûen.<br />

Zudem sollten Erzieher<strong>in</strong>nen Eltern dazu ermutigen, <strong>in</strong> der Sprache mit ihren K<strong>in</strong>dern zu<br />

sprechen, zu der sie e<strong>in</strong>e engere Beziehung haben, die ihnen näher ist. Dies wird bei zugewanderten<br />

Familien <strong>in</strong> der Regel noch die Erstsprache se<strong>in</strong>. Da Eltern <strong>in</strong> bezug auf die<br />

sprachliche Erziehung ihrer K<strong>in</strong>der vielfach verunsichert s<strong>in</strong>d, brauchen sie hier Unterstützung<br />

und E<strong>in</strong>fühlungsvermögen. Es kann ihnen helfen, von der Erzieher<strong>in</strong> zu erfahren, wie<br />

wichtig die Erstsprache für die Entwicklung von K<strong>in</strong>dern ist, dass die Unterstützung der<br />

Erstsprache zum Wohle ihres K<strong>in</strong>des ist und dass sie die im familiären Bereich vorhandenen<br />

Möglichkeiten zum Gespräch mit ihren K<strong>in</strong>dern nutzen sollten, auch im H<strong>in</strong>blick auf<br />

den Erhalt der Erstsprache.<br />

56<br />

Wichtige Informationen<br />

mehrsprachig zur<br />

Verfügung stellen<br />

Eltern bei Unsicherheiten<br />

beraten<br />

Notizen


Die Sorge deutscher Eltern sollten Erzieher<strong>in</strong>nen aufgreifen und Eltern aufzeigen, wie K<strong>in</strong>der<br />

über die Ause<strong>in</strong>andersetzung mit anderen Sprachen ihr Spektrum an Lernerfahrungen<br />

erweitern können.<br />

Regelmäûige Gespräche mit den Eltern können dazu beitragen, die gegenseitigen Erwartungen<br />

zu klären und die Möglichkeiten zur Förderung von K<strong>in</strong>dern transparent machen.<br />

57<br />

Notizen


Notizen Notizen


Literatur:<br />

Akp<strong>in</strong>ar, Ü./Zimmer, J. (Hrsg.): Von wo kommstÁn du? Interkulturelle Erziehung im K<strong>in</strong>dergarten.<br />

Band 1. München 1984<br />

Apeltauer, E.: Grundlagen des Erst- und Fremdsprachenerwerbs. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung. Berl<strong>in</strong>,<br />

München, Wien, Zürich, New York 1997<br />

Brazelton, T. B./Cramer, B. G.: Die frühe B<strong>in</strong>dung. Die erste Beziehung zwischen dem Baby<br />

und se<strong>in</strong>en Eltern. Stuttgart 1991<br />

Bronfenbrenner, U.: Die Ökologie der menschlichen Entwicklung. Stuttgart 1981<br />

Demandewitz, H.: Öffnungsschritte im situationsbezogenen Ansatz. In: Militzer, R./Demandewitz,<br />

H./Solbach, R.: Tausend Situationen und mehr! Die Tagese<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong> Lebens-<br />

und Erfahrungsraum für K<strong>in</strong>der. Münster 1999<br />

Epste<strong>in</strong>, S.: Entwurf e<strong>in</strong>er <strong>in</strong>tegrativen Persönlichkeitstheorie. In: Filipp, S.: Selbstkonzeptforschung.<br />

Probleme, Befunde, Perspektiven. Stuttgart 1984<br />

Erikson, E. H.: Identität und Lebenszyklus. 12. Auflage. Frankfurt 1991<br />

Felix, S. W.: L<strong>in</strong>guistische Untersuchungen zum natürlichen Zweitsprachenerwerb. München<br />

1982<br />

Felix, S. W.: Psychol<strong>in</strong>guistische Aspekte des Zweitsprachenerwerbs. Tüb<strong>in</strong>gen 1982<br />

Filipp, S.: Entwurf e<strong>in</strong>es heuristischen Bezugsrahmens für Selbstkonzept-Forschung:<br />

Menschliche Informationsverarbeitung und naive Handlungstheorie. In: Filipp, S. (Hrsg.):<br />

Selbstkonzept-Forschung. Probleme, Befunde, Perspektiven. Stuttgart 1984<br />

Fuchs, R.: Grundsätzliche Überlegungen zur <strong>Sprachförderung</strong> im frühen K<strong>in</strong>desalter (Unveröffentlichtes<br />

Manuskript). Köln 1999<br />

Gipper, H. (Hrsg.): K<strong>in</strong>der unterwegs zur Sprache. Düsseldorf 1985<br />

Gogol<strong>in</strong>, I.: Erziehungsziel Zweisprachigkeit. Konturen e<strong>in</strong>es sprachpädagogischen Konzepts<br />

für die multikulturelle Schule. 1. Auflage. Hamburg 1988<br />

Götte, R.: Sprache und Spiel im K<strong>in</strong>dergarten. Handbuch zur Sprach- und Spielförderung<br />

mit Jahresprogramm und Anleitungen für die Praxis. We<strong>in</strong>heim und Basel 1977<br />

Gründler, E.: Sprache lernen. In: kle<strong>in</strong> & groû, 10/1998<br />

Haucke, K.: Freundschaft und Ablehnung zwischen K<strong>in</strong>dergartenk<strong>in</strong>dern. Materialien für<br />

die Fortbildung sozialpädagogischer Fachkräfte. Köln 1998<br />

Heuchert, L.: "Sie müssen doch Deutsch lernen!" Vom Umgang mit Mehrsprachigkeit im<br />

K<strong>in</strong>dergarten. Mannheim 1994<br />

Heuchert, L.: Materialien zur <strong>in</strong>terkulturellen Erziehung im K<strong>in</strong>dergarten. Band 3: Zweisprachigkeit.<br />

Berl<strong>in</strong> 1989<br />

Hurlock, E. B.: Die Entwicklung des K<strong>in</strong>des. Kap. 6: Die Entwicklung der Sprache und des<br />

Sprechens. 2. Auflage. We<strong>in</strong>heim, Berl<strong>in</strong>, Basel 1971<br />

Jakubeit, G.: Materialien zur <strong>in</strong>terkulturellen Erziehung im K<strong>in</strong>dergarten. Band 2: K<strong>in</strong>der.<br />

Berl<strong>in</strong> 1988<br />

Kazemi-Veisari, E.: Offene Planung im K<strong>in</strong>dergarten. Ideen und Hilfen. Freiburg im Breisgau<br />

1996<br />

Kielhöfer, B./Jonekeit, S.: Zweisprachige K<strong>in</strong>dererziehung. Tüb<strong>in</strong>gen 1983<br />

Knauf, T.: Wir erziehen K<strong>in</strong>der nicht, wir assistieren ihnen. Die Rolle der Erzieher<strong>in</strong> <strong>in</strong> der<br />

Reggio-Pädagogik. In: Welt des K<strong>in</strong>des, 4/98<br />

Kolonko, B.: Spracherwerb im K<strong>in</strong>dergarten. Grundlagen für die sprachpädagogische Arbeit<br />

von Erzieher<strong>in</strong>nen. Pfaffenweiler 1996<br />

Korczak, J.: Wie man e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d lieben soll. Gött<strong>in</strong>gen 1983<br />

Lipp-Peetz, C.: Raumqualität im Situationsansatz. Zehn Regeln und Fragen zur Selbste<strong>in</strong>schätzung.<br />

In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik, 1998, H. 3, S. 21 - 23<br />

59<br />

Lumpp, G.: Daû Ali und Elena mitreden können. Stuttgart 1980<br />

Maslow, A. H.: Psychologie des Se<strong>in</strong>s. München 1973<br />

Militzer, R./Demandewitz, H./Solbach, R.: Tausend Situationen und mehr! Die<br />

Tagese<strong>in</strong>richtung e<strong>in</strong> Lebens- und Erfahrungsraum für K<strong>in</strong>der. Münster 1999<br />

Müller, A./Rösch, H.: Deutschlernen mit ausländischen K<strong>in</strong>dern im Vorschulalter. Berl<strong>in</strong><br />

1985<br />

Naegele, I./Haarmann, D. (Hrsg.): Darf ich mitspielen? K<strong>in</strong>der verständigen sich <strong>in</strong> vielen<br />

Sprachen Anregungen zur <strong>in</strong>terkulturellen Kommunikationsförderung. We<strong>in</strong>heim und Basel<br />

1986<br />

Oerter/Montada: Entwicklungspsychologie. 2., neu bearbeitete Auflage. München, We<strong>in</strong>heim<br />

1987<br />

Peukert, U.: Identitätsentwicklung. In: Zimmer, J. (Hrsg.): Enzyklopädie Erziehungswissenschaft.<br />

Band 6. Erziehung <strong>in</strong> früher K<strong>in</strong>dheit. Stuttgart 1985, S. 327 329<br />

Peukert, U.: Interaktive Kompetenz und Identität. Zum Vorrang sozialen Lernens im Vorschulalter.<br />

Düsseldorf 1979<br />

Piaget, J.: Me<strong>in</strong>e Theorie der geistigen Entwicklung. Frankfurt am Ma<strong>in</strong> 1991<br />

Schäfer, G. E.: Bildungsprozesse im K<strong>in</strong>desalter. Selbstbildung, Erfahrung und Lernen <strong>in</strong><br />

der frühen K<strong>in</strong>dheit. We<strong>in</strong>heim, München 1995<br />

Schäfer, G. E.: S<strong>in</strong>nliche Erfahrung bei K<strong>in</strong>dern. In: Lepenies, A./Nunner-W<strong>in</strong>kler, G./Schäfer,<br />

G. E./Walper, S.: K<strong>in</strong>dliche Entwicklungspotentiale. Normalität, Abweichung und ihre<br />

Ursachen. Materialien zum Zehnten K<strong>in</strong>der- und Jugendbericht. Band 1. München 1999<br />

Schulz von Thun, F.: Mite<strong>in</strong>ander Reden. Störungen und Klärungen. Re<strong>in</strong>beck bei Hamburg<br />

1991<br />

Spitz, R.: Ne<strong>in</strong> und Ja. Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation. Stuttgart 1970<br />

Stern, D. N.: Die Lebenserfahrung des Säugl<strong>in</strong>gs. Stuttgart 1992<br />

Strätz, R.: Beobachten. Anregungen für Erzieher<strong>in</strong>nen im K<strong>in</strong>dergarten. Köln, Stuttgart,<br />

Berl<strong>in</strong> 1990<br />

Zimmer, D. E.: Deutsch und anders ± die Sprache im Modernisierungsfieber. Re<strong>in</strong>bek bei<br />

Hamburg 1998<br />

Zimmer, D. E.: So kommt der Mensch zur Sprache. Über Spracherwerb, Sprachentstehung,<br />

Sprache & Denken. Zürich 1986<br />

Zimmer, R.: Sprache und Bewegung. In: K<strong>in</strong>dergarten heute, 1992, H. 6, S. 52 ff.


Notizen<br />

60

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!