Oscar Niemeyer - MIR @ mirage by matthias thelen
Oscar Niemeyer - MIR @ mirage by matthias thelen
Oscar Niemeyer - MIR @ mirage by matthias thelen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Landschaften wiederum in ein noch gewaltigeres System führen, für das wir kein<br />
Äquivalent besitzen. Die Schönheit von New York beruht also nicht auf seinem<br />
städtischen Charakter, sondern darauf, daß sich diese Stadt -was unser Auge<br />
unweigerlich erkennt, sobald wir uns nicht mehr dagegen sperren- in eine<br />
künstliche Landschaft verwandelt, in der die Prinzipien des Urbanismus nicht<br />
mehr gelten. [...] Um so verlegener fühle ich mich nun, wenn ich von Rio<br />
sprechen soll, das mich abstößt, trotz seiner oft gepriesenen Schönheit. [...] Will<br />
man ein Schauspiel erleben, so muß man die Bucht von hinten angreifen und sie<br />
von oben betrachten. Vom Meer aus gesehen ist es hier, im Gegensatz zu<br />
New York, die Natur, die das Aussehen einer Baustelle annimmt.“ 1 In dieser<br />
Analogisierung von Stadtbild und Landschaft spiegelt der europäische<br />
Anthropologe Claude Lévi-Strauss in den „Traurigen Tropen“ rückblickend<br />
seine ersten Eindrücke von der Neuen Welt wider. Doch auch in den<br />
Reflexionen <strong>Oscar</strong> <strong>Niemeyer</strong>s betreffend seines Geburtsortes Rio de Janeiro<br />
spielt der landschaftliche Bezug eine gewichtige Rolle. „Einmal träumte ich, dass<br />
Rio de Janeiro nicht erobert worden war. Die Stadt war näher an den Bergen<br />
gewachsen, landeinwärts. Und dann ging ich ans Fenster und ich sah das gleiche<br />
Panorama wie die Portugiesen, als sie ankamen. Diese fantastische Natur, all das,<br />
die Vögel, die wilden Tiere Und die Stadt sah von ferne aus wie ein<br />
konserviertes Paradies. Deshalb hat Sartre auch mal gesagt „die Welt sei besser<br />
ohne die Menschen.“ “ 2<br />
Nun negiert nach gängigem Verständnis eine Planstadt wie „<strong>Niemeyer</strong>s“ Brasilia<br />
die landschaftsbildende „Wechselbeziehung“ „zwischen dem Mensch und dem<br />
Boden, [...] in deren Verlauf sie sich beide, der Mensch und der Boden,<br />
gegenseitig geprägt haben.“ 3 Ja, man empfindet derlei Städte oft als<br />
rücksichtslos in die Gegend betoniert und so wird, was Brasilia betrifft, ein<br />
„berühmter brasilianischer Witz“ kolportiert: „Nenne mir bitte drei Wüsten,<br />
fragt der Lehrer, und sein Schüler sagt, Sahara, Gobi und Brasilia.“ 4<br />
Wüste!? Dieser wertende Vergleich überrascht, stellt sich der Ortsunkundige bei<br />
Brasilien immer Urwald, Dschungel, Tropen, eben Amazonien vor. Den<br />
Stereotypen zum trotz erbaute man Brasilia jedoch nicht im Dschungel, sondern<br />
in den Cerrados, einer offenen Baumsavanne des brasilianischen Hochplateaus,<br />
mit tropisch-halbfeuchtem Klima. Neben nur saisonal wachsenden Gräsern,<br />
gedeihen im Campo Cerrado immergrüne Bäume 5 , sodass -Dschungel hin,<br />
Savanne her- potentiell die Anmutung noch der brutalsten städtischen Großstruktur<br />
durch eine ganzjährig chlorophyll-grüne Botanik gelindert wird. Kahlen<br />
Beton zwischen winterlich kahlen Bäumen kennt man in diesen Breiten nicht.<br />
Letztlich erscheint die Frage nach der topographischen Positionierung von<br />
<strong>Niemeyer</strong>s Werken jedoch müßig. Wohnt nicht seinen Entwürfen und Bauten in<br />
Folge „landschaftsbildender Wechselbeziehung“ und produktiver<br />
Verinnerlichung des in <strong>Niemeyer</strong>s Heimat Rio allgegenwärtigen verschlungenfloralen<br />
Reichtums ein tropisch vegetatives Moment inne, das den kargen<br />
rechten Winkel Corbusierscher Prägung mildert? „Der rechte Winkel interessiert<br />
mich nicht. Auch nicht die gerade Linie, die der Mensch macht: hart aber<br />
inflexibel. [...] Mich interessiert die freie sinnliche Kurve, die Kurven der Flüsse<br />
2<br />
@mir-age.net / web: www.mir-age.net