Zwischen den Zeilen gelesen: Das Dokument der arabischen ...
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Senat-Informationspapier zu außen- und sicherheitspolitischen Themen<br />
(Nr. 345)<br />
<strong>Zwischen</strong> <strong>den</strong> <strong>Zeilen</strong> <strong>gelesen</strong>: <strong>Das</strong> <strong>Dokument</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>arabischen</strong> Frie<strong>den</strong>sinitiative aus textueller und<br />
kultureller Perspektive<br />
„Es macht <strong>den</strong> Anschein, als ob die [politischen] Kreise in Israel die <strong>arabischen</strong><br />
Standpunkte nicht richtig verstehen und somit falsch bewerten“<br />
(Präsi<strong>den</strong>t Mubarak auf <strong>der</strong> Gipfelkonferenz <strong>der</strong> Arabischen Liga in Kairo, 2000)<br />
Für die <strong>der</strong>zeitige Krise [im Nahen Osten] könnte es einen Ausweg geben,<br />
<strong>der</strong> von Israel offenbar ignoriert wird – die arabische Frie<strong>den</strong>sinitiative. <strong>Das</strong><br />
könnte damit zusammenhängen, dass wir diese Initiative nicht richtig<br />
verstehen, vielleicht weil wir uns nicht genug damit befassen.<br />
Die arabische Frie<strong>den</strong>sinitiative vom März 2002, die 2007 im vollen<br />
Umfange verabschiedet wurde, ist im Vergleich zu früheren <strong>Dokument</strong>en als<br />
bahnbrechend und positiv einzustufen. Neu ist nicht nur die Botschaft,<br />
son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Stil, dessen tiefere sprachliche und kulturelle Schichtungen<br />
sie noch zusätzlich verstärken.<br />
Den gemäßigteren Ton, <strong>der</strong> jener Seite mehr Respekt zollt, an die sich die<br />
Initiative richtet, erreichen die Verfasser unter an<strong>der</strong>em dadurch, dass sie im<br />
klaren Gegensatz zu <strong>den</strong> meisten früheren, nationalistisch, antagonistisch<br />
und aggressiv anti-israelischen geprägten Beschlüssen auf negative<br />
Formulierungen verzichten.<br />
Zunächst einmal von Bedeutung ist an <strong>der</strong> Erklärung <strong>der</strong> Arabischen Liga,<br />
was darin nicht enthalten ist. Die Erklärung klammert zahlreiche gegen<br />
Israel gerichtete Bereiche aus, die in <strong>den</strong> Beschlüssen <strong>der</strong> Arabischen Liga<br />
im Laufe <strong>der</strong> Jahre immer wie<strong>der</strong> angesprochen wur<strong>den</strong>: die For<strong>der</strong>ung,<br />
Israel atomwaffenfrei zu machen, die Behauptung, dass sich Israel dem<br />
Frie<strong>den</strong> verweigere, dass Israel rassistisch und terroristisch sei sowie<br />
Kriegsverbrechen begehe und deshalb mit Sanktionen zu belegen sei. König<br />
Abdullah, <strong>der</strong> die Initiative anstieß, wandte sich bei ihrer Präsentation direkt<br />
1
an die Israelis und sagte, „die Araber sind Israel gegenüber nicht negativ<br />
eingestellt“, was vermutlich als ersten vertrauensbil<strong>den</strong><strong>den</strong> Schritt zwischen<br />
<strong>den</strong> Völkern gedacht war. Zum ersten Mal wird offen und unzweideutig<br />
festgehalten, dass es keine militärische Lösung des Konflikts gibt, was als<br />
durchaus mutige Feststellung zu werten ist, beson<strong>der</strong>s für ein Gesellschaft,<br />
die mehrere militärische Nie<strong>der</strong>lagen hinnehmen musste.<br />
Diese Absicht manifestiert sich auch auf terminologischer Ebene: <strong>Das</strong><br />
<strong>Dokument</strong> benutzt <strong>den</strong> Begriff nasa’a (Konflikt) statt zara’a (Kampf), was<br />
eher auf Kompromissbereitschaft als auf ein Nullsummenspiel hindeutet.<br />
Israel wird ersucht, „seine Politik zu über<strong>den</strong>ken“. Früher wurde Israel<br />
jeweils „aufgefor<strong>der</strong>t“, während das Wort „ersuchen“ dem inner<strong>arabischen</strong><br />
Gebrauch o<strong>der</strong> dem Dialog mit <strong>den</strong> Vereinten Nationen vorbehalten war.<br />
Auch <strong>der</strong> Ausdruck „über<strong>den</strong>ken“, <strong>der</strong> die Bestätigung <strong>der</strong> bestehen<strong>den</strong><br />
Politik nicht a priori ausschließt, ist positiv belegt, ein Novum im israelisch<strong>arabischen</strong><br />
Konflikt. In <strong>der</strong> Vergangenheit wur<strong>den</strong> vorwiegend<br />
Formulierungen verwendet, die Israel klar zur Än<strong>der</strong>ung seiner Politik<br />
aufriefen.<br />
In diesem Beschluss wird Israel zwar, ähnlich wie in allen früheren<br />
Beschlüssen, zum vollständigen Rückzug („kamil“) aus sämtlichen<br />
(„dschamija“) besetzten Gebieten aufgefor<strong>der</strong>t, doch diese Formulierung<br />
klingt, trotz ihrer Strenge, lockerer als die Entsprechungen in früheren<br />
Erklärungen, in <strong>den</strong>en dieser For<strong>der</strong>ung noch die Worte „sofortig“ o<strong>der</strong><br />
„bedingungslos“ angefügt wur<strong>den</strong>, und statt „dschamija“ das striktere „kafa“<br />
(gänzlich, vollständig und unteilbar) verwendet wird.<br />
Selbst in <strong>der</strong> Jerusalemfrage, eine <strong>der</strong> drei Hauptstolpersteine des Konflikts,<br />
hat sich die Formulierung gewandelt. Jerusalem wird im <strong>Dokument</strong> zweimal<br />
erwähnt, beides Mal als Hauptstadt des palästinensischen Staates und beides<br />
Mal mit dem Zusatz „Ost-„. Die diesmal gewählte Formulierung scheint<br />
flexibler als jene in früheren Beschlüssen, in <strong>den</strong>en Jerusalem ohne je<strong>den</strong><br />
Zusatz genannt o<strong>der</strong> höchstens das Adjektiv „arabisches“ vorangestellt wird.<br />
Die frühere Formulierung könnte als Anspruch auf <strong>den</strong> Westteil <strong>der</strong> Stadt<br />
interpretiert wer<strong>den</strong>, die zweite als nationalen Anspruch auf die ganze Stadt.<br />
Eine Formulierung von beson<strong>der</strong>er Bedeutung im Beschlusstext tritt in <strong>der</strong><br />
<strong>arabischen</strong> Frie<strong>den</strong>sinitiative zum ersten Mal auf, fehlt jedoch in <strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />
Liga selbst angefertigten offiziellen englischen Übersetzung des <strong>Dokument</strong>s.<br />
Im Originaltext heißt es: „Der Rat ersucht Israel, seine Politik zu über<strong>den</strong>ken<br />
2
und dem Frie<strong>den</strong> zuzuneigen.“ Der hervorgehobene Ausdruck dient als<br />
wichtiges Element in einer Abfolge von Koranversen (61:8), wo es heißt:<br />
„Und wenn sie dem Frie<strong>den</strong> zuneigen – neige [auch du] dem Frie<strong>den</strong> zu und<br />
vertraue auf Allah.“<br />
Dieser Vers und dessen Deutungen sind vielschichtig in <strong>der</strong> Staatslehre, in<br />
internationalen Vereinbarungen und im Kriegsrecht repräsentiert. Im<br />
islamischen Recht bildet er die Basis für einen möglichen Waffenstillstand<br />
im Krieg gegen die Ungläubigen. Einerseits hat er <strong>den</strong> Frie<strong>den</strong> zum Thema,<br />
an<strong>der</strong>erseits handelt es sich im tieferen Sinne um die islamische Version des<br />
Motivs des jüdischen Verrats – an Mohammed – und um das schwere<br />
Schicksal <strong>der</strong> Ju<strong>den</strong> als Strafe. Die Verwendung dieses Ausdrucks, die die<br />
politischen und religiösen Sphären miteinan<strong>der</strong> verbindet, ermöglicht <strong>den</strong><br />
Initianten des Frie<strong>den</strong>sprozesses, Israel als die Seite darzustellen, die die<br />
Initiative ergriffen hat, und damit seine Akzeptanz in <strong>den</strong> islamischen<br />
Staaten zu rechtfertigen.<br />
<strong>Das</strong> wichtigste Novum im Vergleich zu früheren Erklärungen dürfte jedoch<br />
das Angebot <strong>der</strong> Konfliktbeendung und <strong>der</strong> Herstellung „normaler<br />
Beziehungen“ sein. Die Frage <strong>der</strong> Normalisierung <strong>der</strong> Beziehungen zu Israel<br />
(Tatbiyah) war in <strong>der</strong> <strong>arabischen</strong> Welt von Anfang an umstritten. Dieser<br />
arabische Ausdruck wird auch mit „Dressieren“ und „Domestizieren von<br />
Tieren“ und manchmal mit „Schmutz“ und „Verschmutzung“ übersetzt.<br />
Abgesehen davon betrachten die Gegner <strong>der</strong> Normalisierung in <strong>der</strong><br />
<strong>arabischen</strong> Welt diese Möglichkeit als ein Sich-Abfin<strong>den</strong> mit <strong>der</strong> Besatzung<br />
und als endgültigen Ausverkauf Palästinas o<strong>der</strong> gar als Motiv des<br />
allgemeinen moralischen Zerfalls. In Israel wird zum Teil dargelegt, die<br />
Verwendung des Ausdrucks „Normalisierung“ (wie sie von Israel gefor<strong>der</strong>t<br />
wird) lasse auf eine wahre Absicht <strong>der</strong> Konfliktbeilegung schließen, doch<br />
die Tatsache, dass die Araber die Formulierung „normale Beziehungen“<br />
vorziehen, zeige, dass dies nicht ihre Absicht sei.<br />
Die israelischen Kritiker <strong>der</strong> Initiative machen auch geltend, dass sie Israel<br />
in weiten Teilen Bedingungen stellt. Sie haben Recht, was die Details dieser<br />
Initiative angeht, doch auf grundsätzlicher Ebene wer<strong>den</strong> diese Bedingungen<br />
durch die Tatsache kompensiert, dass die Arabischen Liga überhaupt eine<br />
Frie<strong>den</strong>sinitiative lanciert. Im Nahen Osten geht es bei Verhandlungen in <strong>der</strong><br />
Regel zuerst um <strong>den</strong> Grundsatz und dann um die Einzelheiten. Ein klarer<br />
formuliertes grundsätzliches Bekenntnis zu dieser Initiative von israelischer<br />
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Seite würde uns die Möglichkeit offen halten, Verhandlungen über die<br />
Detailfragen aufzunehmen, statt als die Seite dazustehen, die die Initiative<br />
durch das Insistieren auf Details insgesamt torpediert. Auch würde dadurch<br />
<strong>der</strong> <strong>arabischen</strong> Seite die Rechtfertigung gegeben, solche Verhandlungen<br />
bereits mit „gewissen Erfolgen in <strong>der</strong> Tasche“ zu beginnen.<br />
Die arabische Haltung, die sich in <strong>den</strong> verschie<strong>den</strong>en Beschlüssen und<br />
<strong>Dokument</strong>en wi<strong>der</strong>spiegelt, hat sich im Verlaufe <strong>der</strong> letzten 25 Jahren<br />
entwickelt, seit die arabische Initiative ihren Lauf nahm. Heute umfasst sie<br />
die Bereitschaft, mit uns über Fragen zu verhandeln, die bis vor kurzem<br />
noch als Tabu galten. Die vertiefte Analyse führt unweigerlich zu dem<br />
Schluss, dass Israel durch die Nicht-Annahme dieser Initiative ein größerer<br />
Scha<strong>den</strong> droht als durch <strong>den</strong> Zweiten Libanonkrieg.<br />
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