29.10.2013 Aufrufe

JEWING GUN - Daniel Josefsohn

JEWING GUN - Daniel Josefsohn

JEWING GUN - Daniel Josefsohn

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

118_126_Isreal_IC.qxd:#02-fleischMUSTERSEITE.qxd 16.04.2009 13:30 Uhr Seite 118<br />

118 fleisch<br />

mode<br />

Wir kennen sie aus den Abendnachrichten. Zuletzt marschierten sie in Gaza ein. Ihr Image ist das einer<br />

unbarmherzigen Militärmacht. Der jüdisch-deutsche Fotograf <strong>Daniel</strong> <strong>Josefsohn</strong> aber zeigt, dass die<br />

Soldaten der israelischen Streitkräfte auch gern mal Gucci-Brillen und Louis-Vuitton-Kappen tragen.<br />

Eine Fotostrecke zwischen Krieg und Mode.<br />

Foto: <strong>Daniel</strong> <strong>Josefsohn</strong> // Produktion: Rauschi, Mondo, Ajelet, Dor und Adi Bismut<br />

Dank an: The IDF/Nir Golan und Moshav Herhut/Tel Mond und Rehabagency.com<br />

Text: David Baum<br />

<strong>JEWING</strong> <strong>GUN</strong>


118_126_Isreal_IC.qxd:#02-fleischMUSTERSEITE.qxd 16.04.2009 13:30 Uhr Seite 119<br />

Kappe von Louis Vuitton<br />

fleisch<br />

119


118_126_Isreal_IC.qxd:#02-fleischMUSTERSEITE.qxd 16.04.2009 13:30 Uhr Seite 120<br />

120 fleisch<br />

Kappe und Umhang von Bless


118_126_Isreal_IC.qxd:#02-fleischMUSTERSEITE.qxd 16.04.2009 13:30 Uhr Seite 121<br />

n diesem kleinen Hinterhof in Berlin Mitte wäre<br />

I<br />

man gern ein Israeli. Hier, wo der Fotograf <strong>Daniel</strong><br />

<strong>Josefsohn</strong> lebt, tänzeln an einem von Kletterpflanzen<br />

überwucherten Gartenzaun kleine Fahnen mit<br />

dem Davidstern friedlich im ersten Frühlingslüftchen. Ein<br />

Irish Setter mit dem Namen Jesus döst gemütlich in der Wiese.<br />

An die Mauer hat <strong>Josefsohn</strong> ein selbst fotografiertes Plakat<br />

gehängt, auf dem ein junger Mann zu sehen ist, der einen<br />

Schäferhund mit SS-Mütze an der Leine führt, darunter<br />

steht zu lesen: „Ich bin Jude, ich darf das.“ Auf eine merkwürdige<br />

Weise erinnert das kleine einstöckige Häuschen, das<br />

da zwischen typischen Berliner Häuserfronten wie ein kleines,<br />

fröhliches Schwammerl im deutschen Forst steht, an jene<br />

in den Wohngebieten von Tel Aviv: heimelig und bodenständig<br />

– und doch irgendwie provisorisch. <strong>Daniel</strong> <strong>Josefsohn</strong>s<br />

Jude-Sein, seine informelle israelische Identität, sein Wirken<br />

zwischen den deutschen und den israelischen Lebensrealitäten<br />

verdichtet sich hier zum reinsten Pop.<br />

***<br />

<strong>Josefsohn</strong> ist einer der interessantesten Fotografen<br />

Deutschlands. In den frühen Neunzigern prägte er gemeinsam<br />

mit Wolfgang Tillmans eine neue deutsche Ästhetik. Seine<br />

Motive, die in Plakatgröße an den Wänden lehnen, sind immer<br />

irgendwie provokativ, ohne dabei auf eine platte Aussage oder<br />

Botschaft zu schielen. Das sieht man auch an seiner Adaption<br />

von Helmut Newtons Big Nudes „Juden im Weltall“, die hinter<br />

seinem Schreibtisch hängt: Die schwebenden, großbrüstigen<br />

Nacktheiten tragen bei <strong>Josefsohn</strong> Stormtrooper-Masken<br />

und stammen aus einer Serie, der er den Titel „Helmut <strong>Josefsohn</strong>,<br />

ich wollte auch einmal mit der Eisenbahn spielen“ gegeben<br />

hat. Eine Arbeit aus dieser Serie hing bereits neben einem<br />

Foto von Leni Riefenstahl im deutschen Historischen<br />

Museum. „Für mich als deutscher Jude war das ehrlich gesagt<br />

ziemlich toll. Ein ganz persönlicher Kick, voller Genugtuung.<br />

Das hat mir geholfen, meine Identität zu begradigen.“<br />

Wenn man <strong>Josefsohn</strong> fragt, was er uns damit sagen möchte,<br />

zitiert er die große russische Tänzerin Anna Pawlowna,<br />

die auf die Frage, was sie mit ihrem Tanz ausdrücken wolle,<br />

gesagt haben soll: „Wenn ich das sagen könnte, hätte ich es<br />

nicht nötig, zu tanzen.“ <strong>Josefsohn</strong>s neuestes Werk, eine Serie<br />

junger israelischer Soldaten – aufgenommen im letzten Sommer,<br />

also wenige Monate vor Beginn des letzten Einsatzes<br />

fleisch<br />

121


118_126_Isreal_IC.qxd:#02-fleischMUSTERSEITE.qxd 16.04.2009 13:30 Uhr Seite 122<br />

122 fleisch<br />

Brillen von Prada / Gucci / Yves Saint-Laurent<br />

gegen Hamas-Palästina in Gaza – liegt ausgebreitet auf dem<br />

Küchentisch und hat den Titel „Sex Pistols“. Es sind Aufnahmen<br />

einer scheinbar fröhlichen Jugendtruppe in Uniformen<br />

und mit Waffen, süße Jungs und Mädchen, die rauchend an<br />

Bushaltestellen lümmeln, am Stützpunkt Yoav ihre Barette in<br />

die Luft wirbeln, auf Bäume kraxeln und sich küssen. Dabei<br />

wirken sie sehr sexy, stylisch und unbekümmert. <strong>Josefsohn</strong><br />

zeigt auf eine junge Soldatin, die auf einer Gehsteigkante<br />

hockt und mit einem Mann knutscht. „Das ist Adi“, sagt er,<br />

„eine meiner beiden Schwestern.“<br />

Adi Bismut ist nicht wirklich <strong>Josefsohn</strong>s leibliche Schwester.<br />

Und doch so etwas Ähnliches. Ihr Großvater Ehud und<br />

<strong>Josefsohn</strong>s Vater Serge stammen aus dem gleichen rumänischen<br />

Dorf und flüchteten von dort als 12-Jährige gemeinsam<br />

vor dem heranwalzenden Holocaust nach Haifa, wo sie mit<br />

einem Hagana-Schiff ankamen und trotz der britischen<br />

Blockade mit einem todesmutigen Sprung das Land erreichten.<br />

Während Serge <strong>Josefsohn</strong> sich später als Schiffsingenieur<br />

eine Existenz aufbaute und mit Agneta, die mit ihrer Mutter<br />

als letzte Überlebende der Familie aus Ungarn geflohen war,<br />

in Deutschland seinen Sohn bekam und folglich blieb, haben<br />

die Bismuts im kleinen Dörfchen Moshav Herut/Tel Mond,<br />

zwischen Tel Aviv und Natanja, eine Heimat gefunden. Auch<br />

für <strong>Daniel</strong>, der dort als Kind seine Sommer verbrachte – Sommer,<br />

die in seiner Erinnerung nach Orangen duften, von Sonne<br />

durchflutet waren und in ihm das Gefühl von Familie und<br />

Zusammengehörigkeit auslösen. 2004 Jahr war er wieder dort<br />

gewesen und hat auch seinen Vater in diese gefühlte Heimat<br />

gebracht. Dort wo sein bester Freund lebt. Die helle, freundliche<br />

Grabplatte mit dem leider falsch geschriebenen Namen<br />

Sergo Josefzon ist auf einem der Fotos zu sehen.<br />

Die 24-jährige Adi lebt immer noch in dem Ort. Sie studiert<br />

und jobbt in einem Café in einem träumerischen<br />

Orangenhain. Fünf Jahre lang hat sie insgesamt in der israelischen<br />

Armee gedient – und gekämpft. Ihre 18-jährige<br />

Schwester Rona leistet gerade im Gaza-Streifen ihren Dienst.<br />

„Die Armee und der Krieg sind Teil unseres Lebens“, sagt sie.<br />

„Wir haben hier in Israel eine völlig andere Wirklichkeit als<br />

Gleichaltrige in Europa. Jeder hier weiß, dass er seinen Beitrag<br />

bringen muss, dass unser Land und unser Leben nur so weiterexistieren<br />

können. Das ist aus der Sicht von anderen ein permanenter<br />

Ausnahmezustand – für uns ist es die Normalität.“


118_126_Isreal_IC.qxd:#02-fleischMUSTERSEITE.qxd 16.04.2009 13:30 Uhr Seite 123<br />

Brille von Ray-Ban<br />

fleisch<br />

123


118_126_Isreal_IC.qxd:#02-fleischMUSTERSEITE.qxd 16.04.2009 13:30 Uhr Seite 124<br />

124 fleisch<br />

Brille von Ray-Ban


118_126_Isreal_IC.qxd:#02-fleischMUSTERSEITE.qxd 16.04.2009 13:31 Uhr Seite 125<br />

Zuletzt war Adi Commander und zuständig für die Ausbildung<br />

junger Soldaten – jener jungen Männer und Frauen,<br />

die auf <strong>Josefsohn</strong>s Bilder zu sehen sind. Die Szenerien<br />

muten fast merkwürdig an, weil sie sich so massiv von dem<br />

unterscheiden, was man auf den martialischen Pressefotografien<br />

sonst zu sehen bekommt. Die dunkle, anonyme Masse<br />

eines Kriegsapparats, der da im Nahen Osten gegen die<br />

Palästinenser vorgeht, wird plötzlich menschlich. <strong>Josefsohn</strong><br />

zeigt uniformierte Jugendliche in einem Land, das selbst<br />

noch in vielerlei Hinsicht in der Pubertät steckt. Junge Menschen,<br />

deren Einsatz für den eigenen Staat und die eigene<br />

Identität nicht abstrakt ist wie in den anderen westlichen<br />

Demokratien. Und er zeigt auch ein Aufbegehren der Einzelnen<br />

gegen die Uniformität. „Es ist typisch für die Soldaten,<br />

dass sie in dem kleinen Rahmen, der ihnen erlaubt ist,<br />

ein bisschen Eigenständigkeit ausdrücken möchten“, sagt<br />

Adi. „Sie tragen deshalb Gucci-Brillen, Louis-Vuitton-Uhren<br />

oder irgendwelche anderen Accessoires, die ihnen in den vielen<br />

Monaten in der Armee, in denen andere schon studieren<br />

oder einfach das Leben genießen, wenigstens die Ahnung<br />

von Jugend erlauben.“ Kein Wunder, dass das Treiben in den<br />

Diskotheken und Clubs von Tel Aviv ausgelassener und<br />

lebenshungriger ist als anderswo. „Wir tanzen, feiern und<br />

leben – und während der Woche fahren wir wieder in den<br />

Krieg“, sagt Adi. „Manche brauchen danach psychologische<br />

Betreuung, fahren für ein halbes Jahr nach Südamerika oder<br />

Indien, um den Kopf frei zu bekommen. Danach kommen<br />

sie zurück und es geht weiter. So ist das eben.“ Manchmal ist<br />

es noch viel schlimmer. Monate nach dem Entstehen dieser<br />

Fotos, bei der Operation „Gegossenes Blei“ in Gaza, setzten<br />

die israelischen Streitkräfte nach Erkenntnissen von Menschenrechtsgruppen<br />

wie „Humans Rights Watch“ Phosphormunition<br />

gegen die Zivilbevölkerung ein. Vorwürfe<br />

wegen angeblicher Kriegsverbrechen werden laut, gestützt<br />

durch Aussagen von israelischen Soldaten. Und vermutlich<br />

liegt genau darin das Dilemma, denn die meisten kennen diese<br />

Fakten, aber das Kämpfen selbst kann nur jemand in Frage<br />

stellen, der nicht in Israel lebt.<br />

<strong>Daniel</strong> <strong>Josefsohn</strong> sitzt auf einem Rad und pfeift schrill<br />

durch die Finger. „Jesus!“, ruft er seinen Hund, „Jeeee-sus!“<br />

Ein paar Touristen bleiben stehen und schütteln schmunzelnd<br />

den Kopf. „Jude-Sein ist irgendwie wie eine geile<br />

fleisch<br />

125


118_126_Isreal_IC.qxd:#02-fleischMUSTERSEITE.qxd 16.04.2009 13:31 Uhr Seite 126<br />

126 fleisch<br />

Schwuchtel sein“, sagt er. „Man gehört zu einer Randgruppe,<br />

man wird natürlich akzeptiert und manchmal sogar mit<br />

Zuneigung und Interesse überschüttet – aber auch darin<br />

wird einem ja ständig gezeigt, dass man anders ist“, sagt er.<br />

„Für mich hat das jahrelang nicht viel bedeutet. Erst als mein<br />

Vater gestorben ist, habe ich so eine sentimentale Beziehung<br />

zu Israel aufgebaut.“ Damals hat <strong>Daniel</strong> <strong>Josefsohn</strong> sogar bei<br />

der jüdischen Gemeinde angerufen und um den Rückruf<br />

eines Rabbis gebeten. Aber man hat den Zettel mit der Rükkrufnummer<br />

wohl verloren. „Naja, die haben eben auch<br />

andere Probleme.“ Tatsächlich hat die schwierige Situation<br />

und permanente Bedrohung in Israel einen starken Einfluss<br />

auf Deutschland und vor allem auf seine jüdischen Gemeinden.<br />

Aufgrund einer Sonderregelung können Juden aus dem<br />

Osten einfacher deutsche Staatsbürger werden als andere<br />

Einwanderer. Seitdem hat Deutschland mehr Immigranten<br />

als Israel selbst – obwohl man dort mit dem Nachweis einer<br />

jüdischen Abstammung am Flughafen sofort eine Staatsbürgerschaft<br />

in die Hand gedrückt bekommt. „Es gibt wieder<br />

ein ziemlich aktives und vielfältiges jüdisches Leben in<br />

Berlin“, sagt er. „Normal ist es aber nicht. Auch wenn man<br />

hier lebt und sich als Deutscher fühlt, ist man irgendwie<br />

immer auch Israeli. Man weiß, es existiert und steht für einen<br />

offen, komme was wolle.“<br />

***<br />

Vergangenen Sommer stand <strong>Daniel</strong> <strong>Josefsohn</strong> in der<br />

S-Bahn von Tel Aviv, als sich der Waggon mit jungen Soldaten<br />

füllte. „Ich spürte plötzlich einen Gewehrkolben im Rücken,<br />

es war einfach so eng“, sagt er. „Ich sah hoch und blickte<br />

in Modelgesichter – wie Kate Moss und Brad Pitt in Uniformen<br />

und Design-Label-Accessoires. Da war mit klar, dass<br />

man diese Leute mal von einem Style-Blickpunkt zeigen<br />

muss. Das, was unsere jungen Leute hier mit denen aus den<br />

Schützengräben in Gaza verbindet.“<br />

Am Abend saßen alle zum Shabbat in Moshav Herut.<br />

Mutter Bismut erzählte von früher, als sie selbst in der<br />

Armee war. <strong>Daniel</strong> erzählte Adi von seiner Idee mit der<br />

Fotostrecke. Mondo Bismut, der Vater, berichtete von<br />

seinen Bienen. Er ist der israelische Chef-Imker und war<br />

sogar als Entwicklungshelfer in Afrika, um den Leuten beizubringen,<br />

wie man die Bienen kultiviert, damit sie Honig<br />

geben, und dass man sie nicht töten muss. Es war ein schöner<br />

Abend. Er fühlte sich an wie ein bisschen Frieden.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!