Die „Opinion“

1 

Berlin, 23.9.2008 

Prof. Dr. Hille Haker 

Ethische Fragen im Bereich der 

Nanomedizin 

Hier wird Wissen Wirklichkeit

2 

Teil I 

Vorüberlegungen 


1. Gibt es überhaupt neue ethische Fragen? 

2. Multidisziplinarität der Nanotechnologie – 

3 

wieviel ist nötig, wieviel ist möglich, um 

zu verstehen? 

3. Multidisziplinarität der 

Humanwissenschaften? wieviel ist nötig, 

wieviel ist möglich, um zu verstehen? 


1. Mit welcher ethischen Analyse- Methode 

4 

werden die Fragen erforscht? 

5. individualethische Perspektive (der eigenen 

Lebensführung) und sozialethische 

Perspektive (der gerechten Verteilung von 

Gesundheitsgütern)? 

6. Normative Ethik und/oder Ethik des guten 

Lebens? 

Wie verhalten sie sich jeweils zueinander? 


7. Risikoabschätzung – mit welchen Methoden 

5 

angesichts des immensen Nichtwissens? 

8. Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – 

gibt es einen Science-Society-Dialog oder 

nur Anpassungsmechanismen der 

Bevölkerungen? 

9. Wie transparent kann Nanotechnologie 

sein? 


6 

Teil II 

Biopolitik und Bioethik 


7 

Angemessene vs. Unangemessene 

wertende Rhetorik 

Nanomedizin – der Goldrausch, die neue technologische 

Ära, der Paradigmenwechsel …… 

Oder 

Der „Hype“, mit dem Forschungsgelder verfügbar 

gemacht werden soll ….. 

Oder 

Die technologische Apokalypse, das Ende der 

menschlichen Natur? 


8 

Das Problem der Kompetenzbildung 

Multidisziplinarität der 

Nanotechnologie 

Multidisziplinarität der 

Humanwissenschaften 


9 

Bioethik ist eine junge Disziplin 

Erste größere Initiativen durch das Genomprojekt 

in den 1990er Jahren: Etablierung von „ELSA“- 

Forschung: 

„Ethische, Rechtliche und Soziale Aspekte von ...“ zu 

erforschen gilt als Bedingung für viele 

Forschungsprojekte bzw. Forschungsbereiche 


10 

Bioethik oder Biopolitik? 

•Akzeptanzforschung für Neue Technologien? 

•Nationale und Übernationale Ethik- 

Kommissionen als demokratisch nicht legitimierte 

Politikberatungsorgane? 

•Nationale Ethik versus regionale versus globale 

Bioethik oder 

•Globale Ethik mit bioethischen Themen? 


11 

European Group on Ethics in 

the Sciences and New Technologie 

to the European Commission 

2005-2009 

2007: Opinion 21 on the Ethical Aspects 

of Nanomedicine 


12 

Die „Opinion“ 

1. Alle Praktiken der Nanomedizin müssen 

auf der Grundlage der geltenden 

rechtlichen und ethischen Maßstäbe 

durchgeführt werden, 

insbesondere 

dem Respekt vor der menschlichen 

Würde, 


13 


den Grundrechten, den europäischen Werten 

wie der Integrität, Autonomie, Recht auf 

Privatheit, Gleichberechtigung, Fairness, dem 

Respekt vor Pluralismus und der Solidarität. 

Die Praktiken müssen mit den Millenniums- 

Zielen zur Förderung der Entwicklung 

vereinbar sein, insbesondere im Hinblick auf 

die Gesundheitsversorgung. 


14 


2. Sicherheitsfragen müssen dringlich geklärt 

werden, dafür bedarf es neuer Strukturen 

• kostengünstige Systeme für Toxizitäts- 

Screenings; 

• Risikoforschung 

• Technikfolgenabschätzung mit neuen 

Instrumenten -- prospektive Forschung, 

die soziale Implikationen integriert. 


15 


3. rechtliche Kontrolle der Nanomedizin - 

Überlappungen von Richtlinien, zum Beispiel 

für den Bereich der Kosmetik und Medizinischen 

Anwendung, 

bei der Entwicklung von Pharmazeutika und so 

genannten Wellness-Präparaten. 

Das Patentsystem muss dringend auf seine 

Funktionstüchtigkeit hin überprüft werden 


16 


4. Einhaltung der medizinethischen Prinzipien 

und Regularien bei der klinischen Forschung 

(Informed Consent, Minimal Burden etc.) . 

5. Öffentliche und private Forschung gehen in 

der Nanomedizin (und –technologie) Hand in 

Hand; das Verhältnis ist im Sinne der 

europäischen Selbstverpflichtungen 

(„Millenniums-Goals“) zu interpretieren und in 

concreto zu überprüfen. 


17 


6. Kommunikation zwischen Wissenschaft und 

Öffentlichkeit. 

Demokratische Strukturen und europäische Werte 

sind dabei zu beachten (Freiheit, Pluralismus, 

Solidarität, Gleichberechtigung). 

7. Neuauflage der ELSA-Forschung; Finanzierung 

durch das FP7. 


18 


8. Sozialethische Forschung in der Weise einer 

„Grundlagenethik“ für die Neuen Technologien, mit 

Anwendungsbereich Nanotechnologie, etwa in einem 

European Network on Nanotechnology Ethics. 

9. Informationsaustausch innerhalb der EU und 

international. 


19 


9. Informationsaustausch innerhalb der EU und 

international. 

Da medizinische und nicht-medizinische 

Anwendungen nicht trennscharf sind, sind hier 

besondere Anstrengungen notwendig, um zu 

handhabbaren Analysen und zu größtmöglicher 

Transparenz zu gelangen. 


20 

Bioethik oder Biopolitik? 

Kritik: 

Bioethik als Teil der „Biomacht“, die Wissen als 

individualisiertes Regulationssystem zwanglos einsetzt? 

Biopolitik als Ersatz für die akademisch strenge Ethik? 

Oder: 

Komplementäre Reflexionsarbeit 


21 

Teil III 

Bemerkungen zur 

ethischen Urteilsfindung 


22 

Zur Methode der Urteilsfindung 

a) Alle einschlägigen normative 

Prinzipien müssen (auf Nachfrage) 

begründet werden können; 

b) Wissenschaftsethische Reflexion 

auf die eine Handlung/Praxis 

konstituierenden Kategorien 

(Begriffsbildung, Methoden, Ziele, 

Objekte); 


23 

Zur Methode der Urteilsfindung 

c) Kultur- und sozialethische Reflexion 

auf die mit einer Handlung/Praxis 

verbundenen gesellschaftlichen Ziele, Werte 

und Normen; 

d) Reflexion auf die Handlungssubjekte (auch 

Institutionen) und ihre jeweiligen Pflichten; 

Benennung moralischer Dilemmata; 

Benennung der Toleranzspielräume. 


Ad a) Zusammengefasst die deontologischen 

Grundsätze: 

1. Achtung des Lebensrechts als Grundlage 

24 

von Wohlergehen und Freiheit ; 

2. Respekt vor der Autonomie der Handelnden; 

3. Gesundheitsförderung als Verantwortung 

des Staates bzw. Gemeinwesens; 

4. Wohlergehen des Anderen als immanentes 

Ziel ärztlichen Handelns. 


ad b) Ziele der Nanomedizin – Wissenschaftsethische 

Fragen 

1. Prävention durch verbesserte Diagnostik und 

25 

Überwachung von Risiko- und Krankheitsverläufen; 

2. Therapie-Verbesserung 

3. Sicherheit der klinischen Forschung und Anwendung? 


26 

b) Wissenschafts-Ethische Fragen 

1. Prävention durch Präsymptomatische 

Tests, Diagnoseverbesserung und 

Verbesserung der Kontrolle von 

Krankheitsverläufen (Imaging, drug targeting, 

nano-devices) 

a) Beurteilung der Verbesserung, 

Beschleunigung und Kostensenkung von 

Tests im Sinne der Patienten und des 

Systems, z.B. mit „Lab on the Chip“?; 


27 


b) Interpretationsbedürftigkeit von Diagnostik und 

Monitoring – im Hinblick auf die Komplexität der 

Interpretationen 

c) Beurteilung der Informiertheit und Transparenz im 

Hinblick auf das Vertrauen von Patienten in die Neue 

Medizin? – Nur informierte Patienten können auch eine 

„freie“ Einwilligung in Untersuchungen und Behandlungen 

geben. 


28 


2. Therapeutische Anwendungen 

• Zunächst keine kategorial neuen Fragen 

in Bezug auf die klinische Forschung 

etc., wohl aber 

• Radikalisierung der Frage von 

Vorteilen, Belastungen, Risiken, 

Sicherheit etc. 


29 


3. Sicherheit der Nanomedizin? 

Risikoforschung und Technikfolgenabschätzung 

• Risiko durch großes Nichtwissen: Reversibilität von Stoff- 

und Funktionsveränderungen sowie Eingriffstiefe z.B. von 

targeted drugs ungeklärt. 

•Besondere Problematik durch unzulängliche Modelle der 

Risikoforschung, die implementiert werden könnten. 


30 

c) Kultur- und Sozialethische Fragen 

1. Analyse der Werte, die mit und durch die Nanomedizin 

befördert werden: Beispiele 

• Geht es bei der Präsymptomatischen Diagnose („Lab 

on the Chip“) um Krankheiten oder um medizinische 

(Total-) Erfassung bestimmter Bevölkerungsgruppen? 

• Welche Art des Umgangs mit Verletzlichkeit durch 

Krankheit wird durch die Nanomedizin repräsentiert 

und befördert? Warum? Welche (kulturellen) 

Alternativen gäbe es? 


31 

c) Kultur- und Sozialethische 

Fragen 

Welche sozialen Visionen werden mit der Nanomedizin 

transportiert? 

• Der Mythos vom „Homo Faber“ 

• „Apocalypse Tomorrow“: Science Fiction und die Macht 

der Medien: Science & Society Dialog 


32 

c) Kultur- und Sozialethische 

Fragen 

• Der Nano-Divide: Recht auf elementare 

Gesundheitsversorgung versus Pflicht zur Prävention, 

Diagnostik und Monitoring durch High-Tech--Medizin? 

• Verhältnis der Werte zu den Prinzipien der normativen 

Ethik: Menschenrechte, Antidiskriminierung, Gleichheit, 

Gerechtigkeit? 


33 

Ad d) Die Verantwortung der Handlungssubjekte 

•Zuschreibung von individueller 

Verantwortlichkeit in allen 

Lebensbereichen als Vision der totalen 

Verfügung über den eigenen Körper? 


34 

Die Verantwortung der Handlungssubjekte 

•Das Dilemma der „repressiven Toleranz“: 

Weil die Wünsche der wenigen in einer liberalen 

Gesellschaft toleriert werden müssen – z.B. in 

Bezug auf enhancement – wirkt die Spirale der 

(staatlichen) Zulassung und Implementierung 

repressiv auf die, die bestimmte Praktiken nicht 

realisieren wollen. 


35 

Schluss 

Forschungsförderung 


Bioethik und Biopolitik 

Die verschiedenen Ethik- 

Kommissionen können den 

ethischen und politischen Diskurs 

nur anstoßen. 


37 

So wie Wissenschaftler die wissenschaftliche 

Forschung federführend praktizieren, muss 

die wissenschaftliche Ethik in Einzelprojekten 

federführend die ethischen Analysen 

durchführen. 

Nur so kann Forschungsfreiheit gewährleistet 

werden. 


Zusammenarbeit zwischen Natur- und 

38 

Geisteswissenschaften sowie 

zwischen Technologieentwicklung und 

Risikoforschung sind unabdingbar. 


Gleichzeitig bedarf es aber des öffentlichen 

39 

Diskurses zwischen Wissenschaft und 

Gesellschaft, der frei, fair und ergebnisoffen 

geführt werden muss. 


40 

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!

Die „Opinion“

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

Template löschen?

Als Template speichern?