3. Königshaus, Revolution und Schweizergarde - Schumacher ...
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Renato <strong>Schumacher</strong><br />
KöNIGSHAUS, REVOLUTION<br />
UND<br />
SCHWEIZERGARDE
Nobility is a graceful ornament to the civil order. It is he Corinthian capital of<br />
polished society. It is a sour, malignant, envious disposition that sees with joy<br />
the unmerited fall of what had long flourished in splendour and honour<br />
2<br />
Edm<strong>und</strong> Burke<br />
… Louis XVI was a mild and lawful monarch against whom the French had<br />
rebelled with more fury, outrage, and insult than ever any people has been<br />
known to rise against the most illegal usurper or the most sanguinary tyrant …<br />
Edm<strong>und</strong> Burke<br />
Die einzige Voraussetzung für den Triumph des Bösen ist, daß gute Menschen<br />
nichts tun.<br />
Edm<strong>und</strong> Burke
Inhalt<br />
• Der militärische Fremdendienst der Schweiz 4<br />
• Von Charles IX. bis Ludwig XIII. 7<br />
• Ludwig XIV. 8<br />
• Ludwig XV. 11<br />
• Frauen am Hof von Ludwig XV. 12<br />
• Die Töchter Ludwigs XV. 13<br />
• Ursachen <strong>und</strong> Auswirkungen der Französischen <strong>Revolution</strong> 15<br />
• Chronologie der Ereignisse zwischen 1789 <strong>und</strong> 1799 17<br />
• Die <strong>Revolution</strong> in Bildern <strong>und</strong> Kommentaren 20<br />
• Marie Antoinette von Österreich, Königin von Frankreich 27<br />
• Die Kinder von Marie Antoinette 34<br />
• Die Halsbandaffäre 36<br />
• Die Eltern von Ludwig XVI. 38<br />
• Ludwig XVI. von Bourbon, König von Frankreich 39<br />
• Ludwig XVI., Duc de Berry, in Bildern 41<br />
• Die Geschwister von Ludwig XVI. 42<br />
• Madame Elisabeth, die jüngere Schwester von Ludwig XVI. 43<br />
• Die Flucht nach Varennes 45<br />
• La Chapelle expiatoire <strong>und</strong> die Kirche Saint Denis 47<br />
• Das Schweizer Garderegiment 48<br />
• Der 10. August 1792 53<br />
• Offiziere im Schweizer Garderegiment 58<br />
• Von Napoleon über die <strong>Revolution</strong>en von 1830 <strong>und</strong> 1848 bis heute 63<br />
• Literatur 65<br />
3
Der militärische Fremdendienst der Eidgenossen<br />
Vom Freiheitskampf zum Fremdendienst<br />
Schon lange vor 1291 konnten die Schweizer auf eine lange kriegerische Zeit zurückblicken.<br />
Nachdem schon die Helvetier im römischen Heer gedient <strong>und</strong> Cäsar beeindruckt hatten,<br />
nahmen die späteren Eidgenossen an den Kreuzzügen teil <strong>und</strong> schlugen sich für die römischdeutschen<br />
Kaiser. Als Entgelt erwarben sie das rote Banner mit dem weissen Kreuz. Die<br />
junge Eidgenossenschaft war also weder ein Neuling im Waffenhandwerk noch ein friedliches<br />
Hirtenvolk, als sie im 14. <strong>und</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert für ihre Existenz, für Gebietserweiterungen <strong>und</strong><br />
zum Schutze ihrer Grenzen kämpfte. Anfangs des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts hatten die Schweizer den<br />
Rhein <strong>und</strong> den Jura erreicht <strong>und</strong> sind im Süden weit nach Italien vorgedrungen. Sie hatten die<br />
Herzöge von Österreich, Savoyen <strong>und</strong> Mailand besiegt, die Heere des Herzogs von Burg<strong>und</strong><br />
vernichtet, den deutschen Kaiser bezwungen <strong>und</strong> den König von Frankreich aus Italien<br />
vertrieben. Überall in Europa eilte den Eidgenossen der Ruf der Unbesiegbarkeit voraus.<br />
Erst bei Marignano im Jahre 1515 gelang es dem französischen König Franz I. den<br />
„Fürstenbändigern“ Einhalt zu gebieten. Damals war die überlegene Schweizer Infanterie<br />
erstmals auf Artillerie gestossen. Auch innenpolitisch wurde es zunehmend schwieriger, die<br />
unterschiedlichen Interessen der einzelnen Orte der Eidgenossenschaft <strong>und</strong> die persönlichen<br />
Interessen der Führungsschicht zu unterscheiden. Doch für das Ausland blieben die Schweizer<br />
bedrohlich <strong>und</strong> um sie zu neutralisieren <strong>und</strong> ihr Militärpotential zu nutzen, bot Frankreich den<br />
Schweizern ein ewiges Bündnis an. Die Eidgenossen verzichteten fortan auf ihre<br />
Grossmachtspolitik. So folgte dem einfachen Feldzeichen von Morgarten, Sempach <strong>und</strong><br />
Murten die prächtig geflammten Regimentsfahnen der Schweizer im Dienste der Krone<br />
Frankreichs <strong>und</strong> anderer europäischer Monarchen. Zwischen 1515 <strong>und</strong> 1860 hatte die<br />
Schweiz Europa etwa 2 Millionen Soldaten, 75'000 Offiziere <strong>und</strong> 700 Generäle gestellt.<br />
Davon stand etwa die Hälfte in französischen Diensten. Sie nahmen an allen bedeutenden<br />
Feldzügen teil <strong>und</strong> genossen das höchste Vertrauen ihrer Auftraggeber.<br />
Das eidgenössische Verteidigungssystem basierte auf einem Milizsystem, das in Europa<br />
einzig war. Die Kriegstüchtigkeit der Schweizer sprach ein Bedürfnis der europäischen<br />
Herrscher an, denen das Lehensaufgebot nicht mehr genügte <strong>und</strong> denen es nicht gelang, die<br />
Untertanen zum Militärdienst verpflichten. Sie entschieden sich für die Anwerbung bezahlter<br />
Berufssoldaten <strong>und</strong> knüpften an eine Tradition an, die bis ins Altertum zurückreicht. So<br />
entstand das Militärunternehmertum, bei dem ein privater Zwischenhändler Truppen<br />
rekrutierte, diese aber oft nicht selber befehligte. In der Schweiz waren das die Kantone.<br />
Der Fremdendienst im 17. <strong>und</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
Das erste französisch-eidgenössische Bündnis von 1453 bildete eine dauerhafte diplomatische<br />
Gr<strong>und</strong>lage. Ludwig XI. stellte 1480 ein Schweizer Hilfskorps auf. 1497 wurde die<br />
Gardetruppe der H<strong>und</strong>ertschweizer in Paris geschaffen. Aber erst durch den Ewigen Frieden<br />
von 1516, den feierlichen Bündnisvertrag von 1521 <strong>und</strong> dessen spätere Neuauflagen wurde<br />
das Verhältnis zwischen der Eidgenossenschaft <strong>und</strong> Frankreich dauerhaft geregelt. Aber auch<br />
in anderen Ländern wie Spanien, Österreich, Savoyen <strong>und</strong> Ungarn dienten Schweizer. In den<br />
französischen Religionskriegen dienten Schweizer in grosser Zahl auf katholischer wie auf<br />
protestantischer Seite, ohne dass sie sich auf dem Schlachtfeld je begegneten. Zu den ersten<br />
herausragenden Schweizer Heerführern im Ausland zählten unter andern Kaspar Gallati,<br />
Wilhelm Frölich <strong>und</strong> Ludwig Pyffer (vgl. Abbildung Seite 7).<br />
4
Ludwig XIII. gründete 1616 als zweite ständige Schweizer Einheit das Regiment der<br />
<strong>Schweizergarde</strong> (vgl. Seite 48). Ausser mit Frankreich wurden auch mit anderen Staaten<br />
Kapitulationen ausgehandelt, so während des Dreissigjährigen Krieges mit Spanien, Savoyen,<br />
Venedig <strong>und</strong> Genua. Auch der nicht durch Kapitulationen geregelte Dienst nahm zu, in erster<br />
Linie für Schweden, Sachsen <strong>und</strong> Bayern. Ludwig XIV. schuf 1671 permanente Schweizer<br />
Regimenter, die den Namen ihres Obersten trugen. Das Berner Regiment von Erlach war das<br />
erste von zwölf Linienregimentern, die bis zur <strong>Revolution</strong> dem französischen König dienten.<br />
1777 wurde die Allianz mit Frankreich für weitere fünfzig Jahre erneuert. Daneben standen<br />
auch Schweizer im Dienst anderer Länder. So schlossen die katholischen Kantone bis zum<br />
Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts viele Kapitulationen mit Spanien, während die Reformierten neben<br />
Frankreich für die Vereinigten Niederlande kämpften. Ausserdem dienten Schweizer auch in<br />
England, Polen, Österreich (bis 1740), Piemont-Sardinien <strong>und</strong> in Venedig (bis 1719).<br />
Alle Schweizer Truppen im Ausland genossen einen Sonderstatus. Ihr Einsatz war, wie<br />
bereits erwähnt, durch Staatsverträge geregelt, wobei die Kantone die Oberhoheit behielten.<br />
Die Truppen waren also ihren Heimatkantonen verantwortlich, behielten ihren nationalen<br />
Charakter <strong>und</strong> konnten jederzeit in die Heimat abberufen werden. Sie waren von eigenen<br />
Offizieren <strong>und</strong> nach eigenem Recht befehligt, d.h. kein ausländisches Gericht hatte das Recht,<br />
einen Angehörigen eines Schweizerregimentes vorzuladen. Bei gleichmässiger Verteilung auf<br />
die Staaten garantierten die Militärverträge die Neutralität der Schweiz <strong>und</strong> stärkten durch die<br />
Tapferkeit <strong>und</strong> Disziplin der Regimenter deren Ansehen. Eine Klausel verhinderte, dass die<br />
Truppen offensiv, d.h. ausserhalb der Vertragsländer eingesetzt wurden. Damit sollte<br />
gewährleistet werden, dass sich keine Schweizer auf den Schlachtfeldern gegenüberstanden.<br />
Die Kriegsherren hielten sich jedoch nicht immer an diese Klausel, doch die<br />
Wahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens unter Schweizern war gering. Kam es vor, traten<br />
die Schweizer in Ausstand. Lediglich Malplaquet bildete eine traurige Ausnahme.<br />
Der Niedergang des Fremdendienstes<br />
Erst gegen Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts setzte der Abstieg des Schweizer Fremdendienstes ein.<br />
Einerseits nahmen die finanziellen Risiken für die Besitzer der Truppeneinheiten zu,<br />
anderseits änderten die Verschärfung der Truppendisziplin die Attraktivität des Dienstes.<br />
Ausserdem vergrösserten die Reformen von 1764 den Einfluss des französischen Staates auf<br />
die Truppen. Schliesslich verlor die militärische Auswanderung infolge des wirtschaftlichen<br />
Wandels in der Schweiz an Bedeutung. Nicht zuletzt war das Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts eine<br />
Zeit ohne grössere Kriegshandlungen. Die Französische <strong>Revolution</strong>, das napoleonische<br />
Kaiserreich, die zunehmende Demokratisierung <strong>und</strong> das entstehende Nationalgefühl stellten<br />
den Fremdendienst immer mehr in Frage. Zudem entwickelten sich neue Formen der<br />
Emigration, welche das Problem der Überbevölkerung lösten. Hinzu kamen unter dem<br />
Einfluss revolutionärer Propaganda disziplinarische Probleme. Das Massaker an der<br />
<strong>Schweizergarde</strong> während des Tuileriensturms rief in der ganzen Schweiz Entrüstung hervor<br />
<strong>und</strong> führte zur Entlassung aller Schweizer Truppen. Zwar wurde unter Napoleon der<br />
Fremdendienst für Frankreich mit vier Schweizerregimenter wieder aufgenommen, doch<br />
geschah dies unter Zwang, da die Franzosen die Schweiz seit 1798 besetzt hielten.<br />
Wiederaufleben des Fremdendienstes<br />
Nach dem Sturz Napoleons lebte die Tradition des Fremdendienstes wieder auf. So wurde<br />
unter Ludwigs XVIII. die <strong>Schweizergarde</strong> neu gegründet <strong>und</strong> 1816 die Kapitulation für vier<br />
Linien- <strong>und</strong> zwei Garderegimenter unterzeichnet. Allerdings wurde die Neubelebung der<br />
Fremdendienste durch das aufstrebende Bürgertum als ein Relikt des Ancien Régime schlecht<br />
gemacht, was sich unkritisch auch in der Literatur niederschlug. Während der Julirevolution<br />
5
von 1830 fielen bei der Verteidigung des Louvre <strong>und</strong> der Tuilerien erneut Schweizer. Die<br />
Tagsatzung rief daraufhin alle Regimenter zurück <strong>und</strong> setzte damit dem Fremdendienst für<br />
Frankreich ein Ende. Zwar dienten auch Schweizer in der 1831 gegründeten französischen<br />
Fremdenlegion, doch handelt es sich um Einzelpersonen ohne Beteiligung der Behörden. Der<br />
Dienst für Spanien wurde im Jahre 1823 abgeschafft, der für die Niederlande 1829, der für<br />
Sardinien-Piemont 1832 <strong>und</strong> der für England 1816. Am längsten hielten sich die Dienste für<br />
den Papst <strong>und</strong> das Königtum Neapel. Für Neapel dauerten sie bis 1859, während ein<br />
Regiment noch bis 1870 im Dienste des Vatikan stand. Die B<strong>und</strong>esverfassung von 1848<br />
verbot den Abschluss neuer Kapitulationen, ohne die bereits geschlossenen aufzuheben. Erst<br />
1859 wurde der Waffendienst für eine fremde Macht verboten. Kraft dieses Gesetzes sollten<br />
später die Schweizer Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg strafrechtlich verfolgt werden. Nur<br />
in der Päpstlichen <strong>Schweizergarde</strong> tritt heute der Fremdendienst in marginaler Form noch auf.<br />
Wertung<br />
Während Jahrh<strong>und</strong>erten galt der Schweizersoldat als Inbegriff der militärischen Ehre <strong>und</strong><br />
Treue zum geschworenen Eid. Die Gesetze waren ausserordentlich streng <strong>und</strong> nie fanden sich<br />
Schweizer bei militärischen Gräueltaten. Nicht umsonst wurde das Schweizerkreuz für eine<br />
humanitäre Organisation in umgekehrter Farbfolge übernommen. Der fremde Dienst war<br />
wirtschaftlich, sozial <strong>und</strong> kulturell für die Schweiz von grosser Bedeutung. Er stärkte das<br />
Nationalgefühl, weil sich fern der von Bürgerkriegen zerrissenen Heimat Männer<br />
verschiedener Schichten, Sprachen <strong>und</strong> Bekenntnissen unter derselben Fahne mischten. Im<br />
Fremdendienst sah die Schweiz einen Ausweg in ihrem Expansionsdrang, der ihr seit dem<br />
Scheitern des eidgenössischen Imperialismus versperrt war. Der Fremdendienst garantierte<br />
eine zeitgemässe Ausbildung, absorbierte das Zuviel der Bevölkerung sicherte die<br />
Staatseinnahmen insbesondere für die aristokratisch <strong>und</strong> katholisch regierten Orte. Sie boten<br />
für die Offiziere gesellschaftliche <strong>und</strong> diplomatische Kontakte <strong>und</strong> für die Soldaten<br />
Gelegenheit das Ausland kennenzulernen <strong>und</strong> in Zivildienste überzutreten.<br />
Durch den Fremdendienst hat die Schweiz den grossen Ideenströmungen die Tür geöffnet <strong>und</strong><br />
im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert eine hohe Blüte der Kunst, der Literatur, der Wissenschaften <strong>und</strong> des<br />
Gesellschaftslebens mitgemacht. Er verhinderte während Jahrh<strong>und</strong>erten die militärische<br />
Invasion ausländischer Mächte in der Schweiz, verband die durch religiöse <strong>und</strong> politische<br />
Händel zersplitterte Eidgenossenschaft stärker, als dies der B<strong>und</strong>esbrief vermochte <strong>und</strong> half<br />
nach 1848 ein starkes nationales Heer, die Schweizer Armee, aufzubauen. Insbesondere das<br />
Bündnis mit Frankreich war von Bedeutung, da Frankreich in den Verträgen neben<br />
Handelsvorteilen auch den militärischen Schutz des schweizerischen Territoriums garantierte.<br />
Mit dem Erstarken des Bürgertums <strong>und</strong> der zunehmenden Demokratisierung im 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert wurde der Fremdendienst immer stärker kritisiert. Immer wieder wurde <strong>und</strong> wird<br />
in der bürgerlichen bzw. links-ideologischen Geschichtsschreibung der abwertende Begriff<br />
Söldner verwendet. Diese Bezeichnung ist aber unzutreffend, da die Schweizer keine<br />
landlosen Reisläufer waren sondern B<strong>und</strong>esgenossen waren <strong>und</strong> auch stets so angesprochen<br />
wurden, nämlich: "Très chers Grands amis, Allies et Conféderés". Auch wurde das Wort<br />
Söldner nie in den Staatsverträgen <strong>und</strong> amtlichen Papieren erwähnt. Zudem geht aus<br />
unzähligen Briefen, Dokumenten <strong>und</strong> Tagebüchern hervor, dass die Schweizer sich jederzeit<br />
bewusst waren, dass sie für den König kämpfend, die Unabhängigkeit <strong>und</strong> Unversehrtheit<br />
ihrer Heimat verteidigten. Die Schweizer wussten zwischen staatlich geregeltem Solddienst<br />
<strong>und</strong> wildem Reislaufen zu unterscheiden, <strong>und</strong> es bestand auch kein obrigkeitlicher Zwang<br />
zum Dienst in der Fremde. Das bezahlte Soldatentum im Ausland galt als Handwerk, das<br />
jedem andern entlöhnten Beruf gleichgestellt war. (vgl. Seite 50)<br />
6
Von Charles IX. bis Ludwig XIII.<br />
Ludwig Pfyffer von Luzern<br />
1524-1594<br />
Rettete die Familie Charles IX vor den<br />
Hugenotten <strong>und</strong> geleitete sie mit 6.000<br />
Schweizern sicher von Meaux nach Paris<br />
Heinrich IV. aus dem Hause Bourbon<br />
mit dem Beinamen „der Gute“<br />
1553-1610<br />
Charles IX. aus dem Hause Valois<br />
1550-1574<br />
In seine Regierungszeit fallen die ersten<br />
vier Hugenottenkriege<br />
Ludwig XIII. aus dem Hause Bourbon<br />
mit dem Beinamen „der Gerechte“<br />
1601-1643<br />
7
König Ludwig XIV<br />
Ludwig XIV., 1638-1715, führte die Beinamen „der<br />
Grosse, der Gottgegebene, der Sonnenkönig“. Seine<br />
Herrschaft nennt man das „Grand Siècle“. Er gilt als<br />
klassischer Vertreter des höfischen Absolutismus,<br />
den er durch die Bekämpfung der Opposition des<br />
Adels <strong>und</strong> der Provinzstädte <strong>und</strong> durch die<br />
Förderung der Wirtschaft, der Künste <strong>und</strong><br />
Wissenschaften ausgebaut <strong>und</strong> verfestigt hat. Unter<br />
seiner Regierung gewann Frankreich die politische<br />
<strong>und</strong> militärische Vormachtstellung in Europa. Eine<br />
beachtliche Leistung war ebenso die Kunst- <strong>und</strong><br />
Repräsentationspolitik, mit deren Hilfe er eine<br />
Hegemonie der französischen Kultur über Europa<br />
etablieren konnte, die sich bis ins 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
erhalten sollte. Mit zwei<strong>und</strong>siebzig Jahren<br />
Regentschaft war er das am längsten amtierende<br />
Staatsoberhaupt der europäischen Geschichte. Er<br />
König Ludwig XIV.<br />
hinterließ ein mächtiges, großes <strong>und</strong> strategisch<br />
abgesichertes Frankreich, das als eine der führenden<br />
Seemächte anerkannt war. Allerdings musste<br />
Ludwig dafür lange Kriege führen, deren Kosten die Bevölkerung zu tragen hatte. Dennoch<br />
waren die Steuern nicht, wie so oft behauptet wird, ruinös. In der Innenpolitik zeichneten ihn<br />
die Stärkung der Zentralverwaltung aus, ebenso die grossen Gesetzeswerke. Zu den<br />
Schattenseiten seiner Herrschaft gehören die Repressionen gegenüber den Hugenotten. 1660<br />
heiratete er Maria-Theresia von Spanien <strong>und</strong> nach deren Tod im Jahr 1683 die Marquise de<br />
Maintenon.<br />
Schon als Vierjähriger wurde Ludwig am 14. Mai 1643 als König inthronisiert, lebte aber bis<br />
zum dreizehnten Lebensjahr unter der Regentschaft seiner Mutter Anna von Österreich. Die<br />
Macht wurde von Kardinal Mazarin ausgeübt. Durch die außenpolitischen Erfolge der<br />
Kardinäle Richelieu <strong>und</strong> Mazarin gestärkt, entfaltete<br />
Ludwig das absolutistische Königtum barocker<br />
Prägung in Frankreich. Negativ auf seine Herrschaft<br />
wirkten sich die Hugenotten-Verfolgung <strong>und</strong> der<br />
Spanische Erbfolgekrieg aus. Letzterer führte 1713<br />
fast zu einem Staatsbankrott.<br />
1648 war Frankreich der große Sieger des<br />
Dreißigjährigen Krieges. Doch dann brach die Fronde<br />
aus, ein Bürgerkrieg des Adels gegen den König. Die<br />
königlichen Prinzen <strong>und</strong> die Parlamente (Oberste<br />
Gerichtshöfe) waren weitgehend von der Macht<br />
ausgeschlossen <strong>und</strong> sahen gegenüber dem jungen<br />
König eine Chance ihre Privilegien auszubauen. Aber<br />
die Fronde scheiterte, <strong>und</strong> es erfolgte 1654 die<br />
Krönung <strong>und</strong> Salbung Ludwigs XIV. in Reims. Diese<br />
sollte bewusst machen: der König ist der Garant für<br />
Ruhe, Ordnung <strong>und</strong> Wohlstand, der einzige<br />
Stellvertreter Gottes auf Erden.<br />
Maria Theresia von Spanien<br />
8
Françoise-Athénaïs de<br />
Rochechouart de Mortemart<br />
Marquise de Montespan<br />
Als Ludwig XIV. die Herrschaft antrat, war Frankreichs<br />
Staatshaushalt angespannt. Sein Finanzminister, der<br />
Merkantilist Colbert, erliess eine Steuersenkung, um so ein<br />
schnelles Wachstum der französischen Wirtschaft zu<br />
erreichen. Das französische Steuersystem enthielt<br />
Regelungen, wonach der Adel <strong>und</strong> der Klerus von direkten<br />
Steuern befreit war. Unter Ludwig XIV. ist jedoch die<br />
Tendenz festzustellen, den Adel <strong>und</strong> Klerus der direkten<br />
Steuer zu unterwerfen. Zur Zahlung der indirekten Steuern<br />
waren diese ohnehin verpflichtet. Der König führte eine<br />
Kopfsteuer ein, von der die unteren Schichten kaum erfasst<br />
wurden. Auf diese Weise wurde der Hochadel zum ersten<br />
Mal unvermittelt an der Finanzierung des Staates beteiligt.<br />
Der Adelsaufstand, die Fronde, hatte Ludwig traumatisiert.<br />
Deshalb schwächte er jetzt den Adel, indem er die Adeligen<br />
lieber zu Mitgliedern seines Hofes als zu regionalen<br />
Provinzherrschern machte. Zu diesem Zweck baute er<br />
Versailles vor den Toren von Paris, den der Hof am 6. Mai<br />
1682 bezog. Die höfische Etikette nötigte die Adeligen dazu, immense Geldsummen für ihre<br />
Kleidung auszugeben, <strong>und</strong> ihre Zeit vor allem auf Bällen, Diners <strong>und</strong> anderen Festlichkeiten<br />
zu verbringen. Ludwig XIV. soll ein fotografisches Gedächtnis gehabt haben, so dass er beim<br />
Betreten eines Saales auf einen Blick feststellen konnte, wer anwesend war. Deshalb konnte<br />
kein Aristokrat, der auf die Gunst des Königs angewiesen war, seine Abwesenheit riskieren.<br />
Anstatt seine regionalen Angelegenheiten zu regeln <strong>und</strong> seine dortige Macht zu behalten,<br />
wetteiferte der Adel nun um solche trivialen Ehren wie die, dem König beim Ankleiden<br />
helfen zu dürfen. So ruhte die politische Macht fest in der Hand des Königs. Man kann nicht<br />
genug herausstellen, dass Versailles nicht als Ort für das persönliche Vergnügen des Königs<br />
diente, sondern ein politisches Machtinstrument war. Durch die Bindung des Hochadels an<br />
den Hof geriet dieser in persönliche Abhängigkeit vom König <strong>und</strong> wurde von Rebellionen<br />
ferngehalten. Das tägliche Leben Ludwigs XIV. vollzog sich weitestgehend in der<br />
Öffentlichkeit inmitten eines riesigen Hofstaates. In Versailles lebten nicht nur 1.000 Adlige<br />
<strong>und</strong> 4.000 Bedienstete, sondern auch 10.000 Soldaten <strong>und</strong> 5.000 Diener. Unter die vornehme<br />
Hofgesellschaft mischten sich Besucher, Schaulustige<br />
<strong>und</strong> eine beträchtliche Zahl von Bittstellern.<br />
Neben seinen Großprojekten in Versailles war es sein<br />
Ziel Paris in ein zweites Rom zu verwandeln <strong>und</strong> mit<br />
zahlreichen repräsentativen Bauten <strong>und</strong> Plätzen zu<br />
verschönern. Der französische Hof wechselte des Öfteren<br />
den Aufenthaltsort. Es gab einige Hauptresidenzen in der<br />
Umgebung der Hauptstadt, welche Ludwig XIV ausbaute<br />
<strong>und</strong> verschönerte. In Marly entstand ab 1678 eine<br />
imposante Anlage, wohin sich Ludwig vom öffentlichen<br />
Leben in Versailles zurückzog. In der Umgebung, der<br />
Anlagen von Versailles, entstanden Schlösser <strong>und</strong> Gärten,<br />
die von Angehörigen des <strong>Königshaus</strong>es <strong>und</strong> vom Hofadel<br />
errichtet wurden. Hier suchte man Ruhe vom Hof <strong>und</strong><br />
ging der Jagd nach, oder lud den König für ein Fest zu<br />
seinen Ehren ein. All dies verschlang ungeheure Mengen<br />
Geld.<br />
Françoise d’Aubigné<br />
Madame de Maintenon<br />
9
Ludwig XIV<br />
bei der Einnahme von Besançon 1764<br />
10<br />
Ludwig XIV besass Charme <strong>und</strong> seine<br />
Anziehungskraft auf schöne Frauen ist legendär.<br />
Er brachte jedem Höflichkeit entgegen. Selbst<br />
vor Mägden soll er den Hut gezogen haben. Seine<br />
wichtigsten Eigenschaften waren seine<br />
unerschütterliche Menschenkenntnis <strong>und</strong> der<br />
scharfe Verstand. Als Monarch besass er einen<br />
unvergleichlichen Arbeitseifer. Niemals<br />
ermüdete er in Sitzungen <strong>und</strong> hörte jedem<br />
aufmerksam zu. Seine hohe Bildung <strong>und</strong> seine<br />
Kenntnisse in Politik <strong>und</strong> Geschichte waren<br />
gefürchtet. Auch zeichnete ihn enorme<br />
Willenskraft aus; so begegnete er Schmerzen <strong>und</strong><br />
Situationen der Todesgefahr mit völliger<br />
Gelassenheit <strong>und</strong> Selbstbeherrschung. Dennoch<br />
war er im hohen Maße von Egozentrik<br />
beherrscht. Er wurde von einem starken Drang nach Ruhm <strong>und</strong> Reputation geleitet, aber auch<br />
vom Gefühl der Pflichterfüllung gegenüber dem Staat. Gegenüber seiner Familie war er<br />
fürsorglich <strong>und</strong> liebevoll, konnte aber auch hart <strong>und</strong> unnachgiebig sein. Seine unehelichen<br />
Kinder legitimierte er ausnahmslos. Als Liebhaber <strong>und</strong> Förderer des Hofballetts tanzte er gern<br />
in öffentlichen Aufführungen. Er war auch ein guter Reiter, liebte die Jagd, das Schauspiel<br />
<strong>und</strong> besonders die Musik In der Mode war Ludwig immer wieder stilbildendes Vorbild.<br />
Unter Ludwig XIV. war Frankreich der mächtigste <strong>und</strong> reichste Staat <strong>und</strong> kulturelles Zentrum<br />
Europas. Der König liess die besten Künstler, Architekten, Maler, Poeten, Musiker <strong>und</strong><br />
Schriftsteller für Frankreich arbeiten <strong>und</strong> entfaltete ein noch nie dagewesenes Mäzenatentum.<br />
Zahlreiche Königliche Akademien wurden auf allen Gebieten der Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft<br />
gegründet. Der Vorwurf, Ludwig hätte sein Land in den Ruin geführt, ist unhaltbar. Eine<br />
wirtschaftliche Stagnation ließ sich nur während des Spanischen Erbfolgekriegs beobachten.<br />
Sowohl vorher wie danach, zeigte sich das Reich als ungemein produktiv <strong>und</strong> prosperierend.<br />
Die Staatsverschuldung von 1715 resultierte nicht aus einem übertrieben Hang zu Luxus,<br />
sondern war die Folge des Krieges. Aber bereits zehn Jahre später waren die Kriegsschulden<br />
getilgt.<br />
Als Ludwig XIV. 1715 starb, verlor Frankreich einen seiner größten, fähigsten <strong>und</strong><br />
bedeutendsten Herrscher. Andererseits war die Bevölkerung nach zwei<strong>und</strong>siebzig Jahren<br />
Herrschaft ihres alten Königs überdrüssig. Man freute sich auf die Herrschaft des neuen<br />
Königs <strong>und</strong> wollte die letzten harten Jahre des Kampfes um den spanischen Thron vergessen.<br />
Voltaire urteilte: „Er hat Mängel <strong>und</strong> Gebrechen gehabt, er hat Fehler begangen - aber<br />
würden die, die ihn verurteilen, ihn erreicht haben, wenn sie an seiner Stelle gewesen<br />
wären?“<br />
Versailles wurde unter den Nachfolgern Ludwigs XIV. vollends Symbol für die Entfernung<br />
der Macht von der Wirklichkeit des Landes <strong>und</strong> seiner Bewohner. Als am 14. Juli 1789 die<br />
Bastille, die alte Zwingburg im Osten von Paris, gestürmt wurde, notierte König Ludwig XVI.<br />
in Versailles, außer der Jagd sei heute nichts gewesen. Während der <strong>Revolution</strong> wurde das<br />
Schloss in monatelangen Auktionen leergeräumt.
König Ludwig XV<br />
Ludwig XV, 1710-1774, genannt „der Vielgeliebte“. Er war der dritte Sohn des Louis von<br />
Burg<strong>und</strong> <strong>und</strong> dessen Gemahlin Maria Adelaide von Savoyen sowie der Urenkel Ludwigs<br />
XIV. Da er bei dessen Ableben erst fünf Jahre alt war, übernahm sein Onkel Philipp II. von<br />
Orléans die Regierungsgeschäfte (diese Periode ist unter „La Régence“ bekannt). Der<br />
regierende Minister war Kardinal Fleury. 1722 war Ludwig, wie alle französischen Könige, in<br />
Reims gekrönt worden. Dabei hatte, entgegen der Tradition, das Volk keinen Zugang zur<br />
Kathedrale erhalten. Hier zeigt sich die Unnahbarkeit des Königs, der anders als sein<br />
Vorgänger die Privatheit schätzte <strong>und</strong> das steife Hofzeremoniell ungern erfüllte. Am 5.<br />
September 1725 heiratete er die polnische Prinzessin Maria Leszczynska.<br />
Unter Ludwig XV. setzte sich die wirtschaftliche <strong>und</strong> kulturelle Blüte Frankreichs im „Siècle<br />
des Lumières“ fort. Durch seine erfolglose Teilnahme an den Kriegen gegen England <strong>und</strong><br />
Preussen verlor er allerdings den größten Teil der französischen Kolonien in Nordamerika<br />
<strong>und</strong> Indien. Unter seiner Regierung wurde der Gegensatz zwischen Frankreich <strong>und</strong> Österreich<br />
beigelegt. Während seiner Regierung hatte Ludwig XV. mit dem Widerstand der Parlamente<br />
(Gerichtshöfe) zu kämpfen, die sich gegen jede Staatsreform sträubten. Im Jahre 1770 verbot<br />
er diese Parlamente, <strong>und</strong> die obersten Richter <strong>und</strong> führenden Abgeordnete wurden in die<br />
Verbannung oder ins Gefängnis geschickt. Außerdem gab es auch eine Adelsopposition<br />
angeführt vom Herzog von Orléans <strong>und</strong> unterstützt von den Fürsten von Condé <strong>und</strong> Conti.<br />
Ludwig XV. konnte alle diese Gruppen zu seinen Lebzeiten noch in Schach halten. Sein<br />
Nachfolger Ludwig XVI. sollte mit ihnen noch die allergrößten Probleme bekommen.<br />
Seine Frau <strong>und</strong> sein Sohn <strong>und</strong> ebenso seine Töchter waren sehr religiös eingestellt. wurden<br />
zum Haupt einer konservativen Opposition, die allerdings niemals eine Gefahr darstellte.<br />
Diese eher belächelte Minderheit am Versailler Hof störte sich vor allem an der<br />
Mätressenwirtschaft des Königs. Ludwig hatte zahlreiche Nachkommen, darunter ebenso<br />
zahlreiche illegitime Kinder. Letztere anzuerkennen lehnte er bis auf eine Ausnahme ab. Er<br />
sorgte aber für deren Erziehung <strong>und</strong> gesellschaftliche Stellung.<br />
Der Abbé de Véri urteilte: "Niemals war Frankreich so wohlhabend <strong>und</strong> so reich an<br />
Manufakturen, so ausgezeichnet durch eine Menge von Gelehrten, so gut bestückt mit<br />
angebauten Feldern <strong>und</strong> so vielen Einwohnern als unter der Regierung Ludwigs XV.“<br />
11
Madame du Barry<br />
Frauen am Hofe Ludwigs XV<br />
Madame de Pompadour<br />
Marie-Jeanne Bécu, comtesse du Barry, 1743-1793, war die uneheliche Tochter einer<br />
Näherin <strong>und</strong> eines Franziskanermönchs. In Paris arbeitete sie in einem Modehaus, wo sie dem<br />
Grafen du Barry auffiel. Er plante, sie dem König als Mätresse zu vermitteln. Dazu<br />
verheiratete er sie mit seinem Bruder. Der Einfluss Madame du Barrys beschränkte sich auf<br />
persönliche Intrigen. Als die Französische <strong>Revolution</strong> ausbrach, wurde ihr Schloss<br />
ausgeraubt. Da die Juwelen des Königs ihren ganzen Besitz darstellten, ließ sie in ganz<br />
Europa danach suchen. In England erfuhr sie von der Hinrichtung Ludwigs XVI. Die<br />
Situation als ungefährlich ansehend, fuhr sie nach Paris zurück. Im September 1793 wurde sie<br />
vor dem <strong>Revolution</strong>stribunal wegen Unterstützung der Konterrevolution, Kontakten zu<br />
Emigrierten <strong>und</strong> Verschwendung öffentlichen Eigentums angeklagt <strong>und</strong> zum Tode verurteilt.<br />
Um ihr Leben zu retten, verriet sie die Namen vieler Personen, die ebenfalls zum Tode<br />
verurteilt wurden. Marie-Jeanne du Barry wurde am 8. Dezember 1793 hingerichtet. Im<br />
Gegensatz zu Ludwig XVI. <strong>und</strong> Marie Antoinette verlief ihre Hinrichtung ungewöhnlich<br />
demütigend. Die Gräfin wurde weinend <strong>und</strong> schreiend auf dem Henkerskarren zur Guillotine<br />
gefahren <strong>und</strong> unter starker Gegenwehr <strong>und</strong> um ihr Leben flehend auf das Schafott geschleppt.<br />
Jeanne-Antoinette Poisson, Dame Le Normant d’Étiolles, Marquise de Pompadour,<br />
Duchesse de Ménars, 1721-1764, war bürgerlicher Herkunft. Als Neunjährige wurde ihr<br />
prophezeit, dass sie die Mätresse von Ludwig XV. werde. Obwohl ihre Beziehung zum König<br />
nur bis 1751 dauerte, behielt sie die Stellung als offizielle Mätresse bis zu ihrem Tod. Dies ist<br />
auf ihr diplomatisches Geschick zurückzuführen. Zum einen machte sie nicht den Fehler, sich<br />
die Königin zur Feindin zu machen. Zum andern knüpfte sie ein Netz von Verbündeten.<br />
Außerdem nutzte Madame Pompadour ihre Position zur Förderung zahlreicher Intellektueller<br />
<strong>und</strong> Künstler. Die Marquise nahm über den Herzog von Choiseul auch Einfluss auf die<br />
auswärtige Politik. Aufgr<strong>und</strong> ihrer bürgerlichen Herkunft blieb sie aber trotz ihres Adelstitels<br />
eine Außenseiterin am Hof, ihr Status hing vollständig von der wankelmütigen Gunst des<br />
Königs ab. Auch hatte sie sich ständig gegen zahlreiche Rivalinnen <strong>und</strong> missgünstige<br />
Höflinge zu behaupten. Die Mätresse liess ihre Familie an ihrem Wohlstand teilhaben. Die<br />
Ges<strong>und</strong>heit der Marquise war von Geburt an angeschlagen <strong>und</strong> durch zahlreiche Fehlgeburten<br />
stark geschwächt. Ab 1748 verschlechterte sich ihr Zustand, bis sie am 15. April 1764 starb.<br />
Ludwig XV bemerkte noch, wie schlecht das Wetter bei ihrer Beerdigung war.<br />
12
Die Töchter Ludwigs XV<br />
Madame Sophie, 1734-1782 Madame Victoire, 1733-1799 Madame Louise, 1737-1787<br />
Madame Adélaide, 1732-1800<br />
Madame Adélaide, 1732-1800<br />
Madame Adélaide war die vierte Tochter Ludwigs XV. von Frankreich <strong>und</strong> seiner<br />
polnischen Gemahlin Maria Leszczynska. Sie erwies sich schon seit frühester Jugend als sehr<br />
selbstbewusst <strong>und</strong> dickköpfig. Ihre Heimat betrachtete sie als größte <strong>und</strong> schönste Nation. Sie<br />
galt als so stolz <strong>und</strong> eitel, dass sie sämtliche Heiratsanträge ablehnte <strong>und</strong> lebte daher wie ihre<br />
Schwestern unverheiratet in Versailles. Der Ruf, eine der attraktivsten Frauen bei Hofe zu<br />
sein, eilte ihr voraus, ebenso ihre hohe Intelligenz. So sprach sie nicht nur fließend Italienisch<br />
<strong>und</strong> Englisch, sondern war auch eine hervorragende Mathematikerin <strong>und</strong> fertigte selbst Uhren<br />
an. Zudem hatte sie eine Vorliebe für H<strong>und</strong>e. Doch ihre größte Leidenschaft galt der Musik.<br />
Sie spielte fast sämtliche Instrumente. Zusammen mit ihren Geschwistern unterhielt sie auch<br />
ein Kammerorchester, das bedeutende <strong>und</strong> berühmte Konzerte bei Hofe veranstaltete.<br />
Ludwig XV. liebte seine Töchter über alles. Durch sie wurde seine Leidenschaft zum Sticken<br />
geweckt <strong>und</strong> er kochte sogar für sie Kaffee. Außerdem besuchte er sie täglich, spielte mit<br />
ihnen Karten oder ging mit ihnen auf die Jagd. Nach dem Tod ihrer älteren Schwestern Anne-<br />
Henriette <strong>und</strong> Louise-Elisabeth avancierte Adélaide zu seiner Lieblingstochter. Ihr Alltag war<br />
von Repräsentationsaufgaben <strong>und</strong> ihren musischen Interessen geprägt, doch begann sie bald<br />
wegen ihres ledigen Zustandes altjüngferlich <strong>und</strong> melancholisch zu werden. Um dies zu<br />
13
kompensieren, begann sie wie ihre Schwestern übermäßig viel zu essen. Ihre Schränke waren<br />
vollgestopft mit Schinken, Käse, Wurst, Brot, Kuchen <strong>und</strong> Wein. Zudem verabscheute sie die<br />
Strenge der Etikette. Das Leben am Hof von Versailles wurde von den Mätressen des Königs,<br />
von Madame de Pompadour <strong>und</strong> Madame du Barry, geprägt. Adélaide <strong>und</strong> ihre Geschwister<br />
bildeten mit ihrer Mutter eine konservativ-christliche Partei, die sich der Macht der Mätressen<br />
widersetzte. Adélaide hatte von ihrer Mutter nicht nur ihre geistigen Fähigkeiten geerbt,<br />
sondern auch die tiefe Frömmigkeit <strong>und</strong> tugendhaften Ansichten eines anständigen Lebens.<br />
Trotz der Bemühungen der Mätresse, ein fre<strong>und</strong>schaftliches Verhältnis zu den Töchtern des<br />
Königs aufzubauen, blieb dieses gespannt. Adélaide intrigierte auch gegen den Herzog von<br />
Choiseul, Frankreichs Außenminister <strong>und</strong> Günstling der Madame de Pompadour.<br />
Im Laufe der Jahre wurden Adélaide <strong>und</strong> ihre Schwestern immer mürrischer. Aus der<br />
einstigen Schönheit war eine alte Matrone geworden, die wegen ihres arroganten Wesens bei<br />
Hofe sehr unbeliebt war. Nach dem Tod ihres Bruders <strong>und</strong> dessen Ehefrau, mit denen sie ein<br />
stets fre<strong>und</strong>schaftliches Verhältnis gepflegt hatte, kümmerten sie <strong>und</strong> ihre Schwestern sich um<br />
ihre verwaisten Neffen <strong>und</strong> Nichten. Diese durften in ihren Gemächern wild herumtollen.<br />
Dabei baute Adélaide eine besonders intensive Beziehung zu ihrem ältesten Neffen auf, dem<br />
späteren König Ludwig XVI.<br />
1768 starb ihre Mutter <strong>und</strong> Adélaide stieg zur ersten Dame Frankreichs auf. Doch sie wurde<br />
schon 1770 wieder in die zweite Reihe gedrängt durch die Vermählung Ludwigs XVI. mit der<br />
österreichischen Erzherzogin Marie-Antoinette. Adélaide verabscheute die junge<br />
Habsburgerin. Doch erkannte sie ihre kindliche Naivität <strong>und</strong> versuchte sich diese zu Nutze zu<br />
machen. Zum Schein ließen sie <strong>und</strong> ihre Schwestern sich auf eine Fre<strong>und</strong>schaft mit ihr ein<br />
<strong>und</strong> wurden ihre einzigen Bezugspersonen am kalten Hofe von Versailles. Sie isolierten dabei<br />
die völlig ahnungslose Dauphine vom Rest der Hofgesellschaft <strong>und</strong> fädelten sie geschickt in<br />
ihr Intrigennetz gegen Madame du Barry ein.<br />
Ende April 1774 erkrankte Ludwig XV. von Frankreich an den Pocken. Wegen der hohen<br />
Ansteckungsgefahr war es den Mitgliedern der königlichen Familie nicht gestattet, sich dem<br />
Krankenzimmer des Königs zu nähern. Lediglich Adélaide <strong>und</strong> ihre jüngste Schwester, die<br />
Karmelitin Louise Marie, durften ihren im Sterben liegenden Vater pflegen. Nach dem<br />
Ausbruch der Französischen <strong>Revolution</strong> mussten Adélaide <strong>und</strong> Victoire Schloss Versailles<br />
verlassen. 1791 gingen sie nach Turin zu ihrer Nichte Clothilde, eine Schwester von Ludwig<br />
XVI <strong>und</strong> Gattin des Prinzen von Piemont, dann nach Rom zu Pius VI., der sie in der Villa<br />
Farnese beherbergte <strong>und</strong> anschliessend nach Neapel, wo eine Schwester von Marie-Antoinette<br />
regierte, die aber über den Besuch der beiden alten Damen nicht erfreut war. 1799 liessen sie<br />
sich in Triest nieder, wo sie unter ärmlichen Verhältnissen lebten. Unter Ludwig XVIII.<br />
wurden ihre Gebeine nach Paris in die Basilika Saint-Denis überführt.<br />
14
Ursachen <strong>und</strong> Auswirkungen der Französischen <strong>Revolution</strong><br />
Im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert, im Siècle des Lumières, wähnte man sich<br />
in der „besten aller möglichen Welten“. Alle<br />
Errungenschaften galten als unüberbietbar <strong>und</strong> mussten<br />
bewahrt bleiben. Das führte zu einer Überreglementierung des<br />
Lebens <strong>und</strong> damit zu einer allgemeinen Unfreiheit. Dem<br />
gegenüber stand die geistige Bewegung des neuen Zeitalters.<br />
Die größten Denker kämpften im Namen der Vernunft gegen<br />
die Erstarrung der Gesellschaft. Viele Menschen wanderten<br />
aus <strong>und</strong> fanden auf dem neue Kontinent eine Zufluchtsstätte,<br />
von wo sie nach Hause berichteten, dass die Armen <strong>und</strong> die<br />
Reichen sich einer „höchst angenehmen Gleichheit“ erfreuten.<br />
1776 erklärten die Amerikaner ihre Unabhängigkeit. Sie<br />
gaben sich eine demokratische Verfassung <strong>und</strong> rissen<br />
sämtliche sozialen Schranken zwischen den Völkern <strong>und</strong> den<br />
Menschen innerhalb ihrer Gemeinschaft nieder.<br />
In Preussen wurde Friedrich der Große zum Vorläufer der neuen Staatsform des aufgeklärten<br />
Absolutismus. Auch Joseph II. von Österreich <strong>und</strong> Katharina die Große von Russland<br />
verschlossen sich dem neuen Zeitgeist nicht. Jene Regenten Europas, die diesen Vorbildern<br />
folgten <strong>und</strong> den Toleranzgedanken in die Tat umsetzten, konnten Katastrophen vermeiden.<br />
Die Lage in Frankreich<br />
Nur in Frankreich tat sich die Regierung schwer. Durch die Weiterführung einer<br />
übersteigerten höfisch-absolutistischen Lebensweise <strong>und</strong> die Unterstützung des<br />
amerikanischen Unabhängigkeitskrieges stand Frankreich am Rande des Bankrotts. Der Erste<br />
<strong>und</strong> Zweite Stand, der Klerus <strong>und</strong> der Adel, war von Steuern befreit, während der Dritte Stand<br />
die finanzielle Hauptlast trug, aber politisch <strong>und</strong> gesellschaftlich bedeutungslos blieb.<br />
Der Dritte Stand umfasste das gesamte Bürgertum: darunter Juristen, Ärzte, Lehrer,<br />
Handwerker <strong>und</strong> Bauern. Auch der Adel war keine homogene Gruppe. Generell lässt er sich<br />
einteilen in „Noblesse de l’Epee“ <strong>und</strong> „Noblesse de Robe“. Letztere unterstützten den Dritten<br />
Stand <strong>und</strong> die <strong>Revolution</strong>, als diese noch gemässigt war. Nur erstere, die konservative<br />
Gruppe, war ein Gegner der <strong>Revolution</strong>. Doch waren die Grenzen durchlässig. Graf Mirabeau<br />
zum Beispiel war ein Fre<strong>und</strong> des Königs <strong>und</strong> gleichzeitig der Führer des Dritten Standes.<br />
Es herrschte beim Dritten Stand eine Ablehnung gegenüber den adeligen <strong>und</strong> kirchlichen<br />
Privilegien insbesondere von Seiten der Vertreter der Berufs- <strong>und</strong> Handelsverbände, die an<br />
die Macht strebten, aber auch von Seiten der grossen protestantischen Minderheit. Man war<br />
unzufrieden über die Fortsetzung des luxuriösen Lebens des Adels angesichts der<br />
Staatsverschuldung <strong>und</strong> der sozialen Missstände. Man war unzufrieden mit den Abgaben an<br />
die Kirche, dem grössten Landbesitzer, man vermisste eine Sozialversicherung für die<br />
Kriegsveteranen, <strong>und</strong> man hasste die teure <strong>und</strong> privilegierte <strong>Schweizergarde</strong>, die auf den<br />
König vereidigt war <strong>und</strong> gegen deren Entlassung sich der König wehrte. Man war unzufrieden<br />
mit dem veralteten Steuer- <strong>und</strong> Finanzsystem, empörte sich über die Entlassung der populären<br />
Finanzminister Turgot <strong>und</strong> Necker <strong>und</strong> war entsetzt über die fast totale Unfähigkeit Ludwigs<br />
XVI. <strong>und</strong> seiner Berater sich dieser Probleme anzunehmen. Hinzu kommt der Hass auf Marie-<br />
Antoinette, die sich durch politische Fehler viele einflussreiche Feinde geschaffen hatte, die<br />
gegen sie intrigierten <strong>und</strong> das Volk aufhetzten. Die hohe Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> die hohen<br />
Brotpreise sowie die Hungersnot in den Monaten kurz vor Ausbruch der <strong>Revolution</strong> brachten<br />
15
die Menschen auf die Strasse, deren Erfolg durch viele Pannen bei den Machthabern<br />
begünstig wurde. Auch in der Aristokratie gab es Abtrünnige, zum Beispiel der Herzog von<br />
Orléans, der Marquis de la Fayette oder der Richter <strong>und</strong> Ankläger Fouquier-Tinville.<br />
Es handelt sich bei der französischen <strong>Revolution</strong> um ein vielschichtiges Phänomen, in dem<br />
sich die vom Bürgertum <strong>und</strong> liberalem Adel getragene <strong>Revolution</strong> mit den auf ganz andere<br />
Ziele gerichteten Aufstandsbewegungen der städtischen <strong>und</strong> bäuerlichen Massen überlagert.<br />
Aus der <strong>Revolution</strong> <strong>und</strong> den napoleonischen Kriegen ist nicht der Citoyen, sondern in<br />
ökonomisch-politischer Gesetzmässigkeit, der Bourgeois, der Finanzbürger, als Sieger<br />
hervorgegangen. Zusammen mit dem technischen, wissenschaftlichen <strong>und</strong> industriellen<br />
Fortschritt, hat er sich seitdem krebsartig über den ganzen Erdball verbreitet. Dabei ist es ihm<br />
gelungen, innerhalb von nur h<strong>und</strong>ert Jahren die Erde an den Rand ihrer physischen Existenz<br />
zu bringen. Kein Jahrh<strong>und</strong>ert war zudem blutiger <strong>und</strong> menschenverachtender als das<br />
bürgerliche 20. Jahrh<strong>und</strong>ert mit seinen Weltkriegen, Diktaturen <strong>und</strong> Völkermorden, <strong>und</strong> kein<br />
Zeitalter hat die „befreiten“ <strong>und</strong> vom Land in die Städte strömenden Menschen mehr<br />
ausgebeutet als dasjenige der Industrialisierung. (vgl. Seite 64)<br />
Jean Rodolphe von Salis schreibt: Die Anerkennung von Lebensrecht <strong>und</strong> Würde war am<br />
besten im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert gesichert, da adelige Aufklärer unter dem Ançien Regime die<br />
bürgerlichen Forderungen vertraten. Solange die Bourgeoisie von der politischen<br />
Machergreifung ferngehalten war, verlief die Aufklärung harmonisch <strong>und</strong> konfliktlos. Das 19.<br />
<strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert hat alles zurückentwickelt. Der aristokratisch-bürgerlichen<br />
Aufklärungsgesellschaft der vorrevolutionären Zeit darf daher ein grösserer <strong>und</strong> echterer<br />
Respekt für die Menschenwürde nachgesagt werden als dem untoleranten <strong>und</strong> härteren<br />
Bürgertum, dem die französische <strong>Revolution</strong> zur Macht verhalf.<br />
Von den <strong>Revolution</strong>en über die Belle Epoque ins 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
Das bürgerliche 20. Jahrh<strong>und</strong>ert zeichnete sich auch aus durch seine unvergleichliche<br />
Technologie aber auch durch seinen Niedergang in Kunst <strong>und</strong> Architektur. Einzig die<br />
viktorianische Ära bzw. die Zeit der Belle Epoque, die das Repräsentationsbedürfnis des<br />
aufstrebenden Bürgertums befriedigte, hatte eine kurze Blüte gezeigt. Man orientierte sich an<br />
den Prinzipien des englischen Gentleman, an der Kultur des französischen Ancien Régime, an<br />
der italienischen Renaissance, am deutschen Hochmittelalter <strong>und</strong> an der griechisch-römischen<br />
Antike, <strong>und</strong> es kam zwischen Adel <strong>und</strong> Bürgertum zu einem Ausgleich (1). Doch die Früchte<br />
dieser Jahrzehnte des Friedens, die zwischen den blutigen <strong>Revolution</strong>en des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />
<strong>und</strong> der Katastrophe der beiden Weltkriege im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert stehen, werden heute als<br />
minderwertiger „Historismus“ verachtet. Dafür erfreuen sich die seelenlosen Machwerke des<br />
20. Jahrh<strong>und</strong>erts höchster Wertschätzung.<br />
Zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>ert hiess es, die Maschine sei schöner <strong>und</strong> vollkommener als die<br />
Natur, <strong>und</strong> man erinnert sich, dass am Anfang dieser Entwicklung eine Maschine stand, die<br />
Guillotine. Diese sollte den Menschen befreien vom Respekt vor der Natur, von den Zwängen<br />
der traditionellen Kultur <strong>und</strong> von den ethischen <strong>und</strong> moralischen Bindungen der Religion.<br />
Damit sollte der Weg frei gemacht werden für einen blindwütigen technischen Fortschritt <strong>und</strong><br />
einen hemmungslosen materiellen Profit.<br />
__________<br />
(1) Der Adel, nach neuen Einkünften Ausschau haltend, suchte die Finanzkraft der Bourgeoisie, <strong>und</strong><br />
dieser wiederum fehlte die historische Legitimität, die ihm nur der Adel bieten konnte. Selbstbewusst<br />
geworden, befreite es sich schliesslich von ihm in zwei Weltkriegen. Doch ist es der siegreichen<br />
Meritokratie seither noch in keiner Weise gelungen, das Kulturniveau <strong>und</strong> Mäzenatentum der früheren<br />
Aristokratie zu erreichen. (vgl. Seite 64)<br />
16
1789<br />
Chronologie der Ereignisse zwischen 1789 <strong>und</strong> 1799<br />
5. Mai: Finanzminister Necker eröffnet die festliche Versammlung der Generalstände in<br />
Versailles, nachdem eine Protestwelle gegen den für die Lage Frankreichs verantwortlich<br />
gemachten Absolutismus das Königreich erfasst hat. Der Dritte Stand hat mit 578<br />
Abgeordneten die Mehrheit (gegen 291 bzw. 270 von Adel <strong>und</strong> Klerus), aber die<br />
Abstimmungen werden nicht nach der Anzahl der Stimmberechtigten sondern nach Ständen<br />
gewertet. Auch sonst wurde der Dritte Stand in jeder Hinsicht gedemütigt.<br />
9. Juli: Nachdem keine Einigung erreicht wurde, erklärt sich der Dritte Stand auf Antrag von<br />
Abbé Sieyès kurzerhand zur Nationalversammlung, d.h. zur verfassungsgebenden<br />
Versammlung.<br />
14. Juli: Sturm auf die Bastille (das alte Pariser Staatsgefängnis) nachdem Ludwig XVI.<br />
Truppen um Paris <strong>und</strong> Versailles zusammengezogen hat, um die Nationalversammlung<br />
gegebenenfalls gewaltsam aufzulösen. Die Nationalversammlung schafft die Vorrechte des<br />
Adels ab, bis dieser schließlich freiwillig verzichtet (Ballhausschwur). Durch die Erfolge in<br />
Paris beflügelt, griffen die Unruhen auch auf das Land über, Kirchen <strong>und</strong> Schlösser wurden<br />
gestürmt, die ersten Adligen verlassen das Land <strong>und</strong> konspirieren im monarchischen Ausland<br />
gegen die Entwicklung in Frankreich.<br />
5./6. Oktober: Mehrere Tausend bewaffneter Zivilisten <strong>und</strong> Soldaten holten am 5./6. Oktober<br />
1789 Ludwig XVI. <strong>und</strong> seine Familie von Versailles nach Paris<br />
20. August: Erklärung der Menschen- <strong>und</strong> Bürgerrechte.<br />
2. November: Säkularisierung der Kirchengüter, Umwandlung in Nationalgüter (Assignaten).<br />
1790<br />
Januar: Den Unruhen von 1789 folgte, begünstigt durch eine gute Ernte <strong>und</strong> die verbesserte<br />
Versorgungslage, das glückliche Jahr 1790, das seinen Höhepunkt am 14. Juli im<br />
Föderationsfest auf dem Champ de Mars zum Jahrestag des Sturms auf die Bastille hatte: Vor<br />
H<strong>und</strong>erttausenden Zuschauer leisteten 60.000 Nationalgardisten aus allen Teilen des Landes<br />
mit der Nationalversammlung den Eid der Treue für die Nation, das Gesetz <strong>und</strong> den König.<br />
Verwaltungsreform <strong>und</strong> Gliederung des Landes in 83 Departemente <strong>und</strong> Paris in 48<br />
Sektionen.<br />
1791<br />
20.-25. Juni: Fluchtversuch des Königs, dessen Festnahme in Varennes <strong>und</strong> Rückführung<br />
nach Paris durch eine Bürgermiliz.<br />
17. Juli: Der Girondist Brissot legt in Begleitung Dantons <strong>und</strong> tausender Bürger eine<br />
Bittschrift auf dem Champ de Mars (Exerzierplatz zwischen Seine <strong>und</strong> Militärakademie)<br />
nieder, um Unterschriften für die Bestrafung <strong>und</strong> Absetzung des Königs <strong>und</strong> für die<br />
Einführung der Republik zu sammeln. Die Nationalgarde schießt in die Menge.<br />
<strong>3.</strong> September: Die neue Verfassung tritt in Kraft, notgedrungen schwört der König auf diese.<br />
Frankreich erhält eine konstitutionelle Monarchie mit legislativen Befugnissen des Königs<br />
17
(aufschiebendes Veto gegenüber der Nationalversammlung). Unter dem Eindruck der Flucht<br />
des Königs <strong>und</strong> des Blutbades auf dem Champ de Mars mehren sich jedoch die Stimmen für<br />
die Schaffung einer Republik.<br />
1. Oktober: In der neugewählten gesetzgebenden Nationalversammlung stellen die radikalen<br />
politischen Clubs der Jakobiner, Girondisten <strong>und</strong> Cordeliers die Mehrheit. Bald entstehen<br />
scharfe Gegensätze zwischen dem gemäßigten Flügel (Girondisten) <strong>und</strong> der radikalen<br />
Bergpartei den Jakobinern (Montagnards).<br />
1792<br />
20. April: Frankreich erklärt Österreich den Krieg. Die ausländischen Monarchien fürchten<br />
die Ausweitung des revolutionären Gedankens in Europa. Der französische König hofft auf<br />
eine schnelle Niederlage Frankreichs <strong>und</strong> das damit verb<strong>und</strong>ene Ende der <strong>Revolution</strong>.<br />
10. August: Sturm auf die Tuilerien, den Königspalast in Paris (treibende Kraft ist Georges<br />
Jacques Danton), als Reaktion auf das Koblenzer Manifest des österreichisch-preußischen<br />
Oberbefehlshabers, das die Wiederherstellung der Monarchie in Frankreich als Kriegsziel der<br />
Koalition formuliert. Die <strong>Schweizergarde</strong>, die einzige Truppe auf die sich der König noch<br />
verlassen konnte, wird massakriert <strong>und</strong> Ludwig XVI. <strong>und</strong> seine Familie werden inhaftiert. Die<br />
konstitutionelle Monarchie ist beendet <strong>und</strong> die Wahl der Gesetzgebenden Versammlung, des<br />
Nationalkonvents, der eine republikanische Verfassung erarbeiten soll, wird beschlossen.<br />
Beginn der radikalen Phase der Französischen <strong>Revolution</strong>.<br />
2.-6. September: Septembermorde aus Angst vor Konspiration <strong>und</strong> konterrevolutionären<br />
Bestrebungen, mehr als 1000 politische Häftlinge werden in den Gefängnissen getötet<br />
hauptsächlich Geistliche <strong>und</strong> Royalisten. Die treibende Kraft ist Jean-Paul Marat.<br />
20. September: Die französische Armee bringt bei Valmy den Vorstoß der österreichischpreußischen<br />
Invasionstruppen zum Stehen. Danton hat zuvor in seinen Reden Zehntausende<br />
dazu gebracht, sich freiwillig zur Armee zu melden.<br />
21. September: Der Nationalkonvent tritt erstmals als Nachfolger der zuvor aufgelösten<br />
Nationalversammlung zusammen <strong>und</strong> ruft die Republik aus. Er besteht aus 750<br />
Abgeordneten, davon 200 Girondisten <strong>und</strong> 120 Jakobiner.<br />
22. September: Beginn des <strong>Revolution</strong>skalenders mit neuer Zeitrechnung.<br />
25. September: Robespierre klagt König Ludwig XVI. vor dem Konvent des Landesverrats<br />
an <strong>und</strong> verlangt seinen Tod. Beim König werden Papiere gef<strong>und</strong>en, die seine Verbindung mit<br />
den Kriegsgegnern bestätigen.<br />
1<strong>3.</strong> November: Debatten über den König, den man jetzt bürgerlich Louis Capet nennt. Erstes<br />
Hervortreten Saint Justs als öffentlicher Ankläger.<br />
1793<br />
18. Januar: Der König wird zum Tode verurteilt <strong>und</strong> am 21. hingerichtet.<br />
6. April: Auf Antrag Dantons wird der aus 25 Männern bestehende Wohlfahrtsausschuss als<br />
<strong>Revolution</strong>sregierung etabliert. Dieser ist nun das maßgebliche Exekutivorgan der Republik<br />
mit weitreichenden Vollmachten.<br />
18
Mai/Juni: Beginn der Jakobinerherrschaft im Konvent. Verhaftung der ersten girondistischen<br />
Abgeordneten, die ein Ende des Blutvergießens gefordert haben. Hinrichtung von 32 Führern<br />
der Gironde.<br />
Juli: Ermordung des Jakobinerführers Marat durch die Girondistin Juliette Corday.<br />
27. Juli: Danton scheidet aus dem Wohlfahrtsausschuss aus, dem nun Robespierre beitritt.<br />
Reduktion der Mitglieder auf 10.<br />
September: Beginn des <strong>Revolution</strong>sterrors. In ganz Paris finden Massaker statt.<br />
30. Oktober: 21 Girondisten hingerichtet.<br />
Dezember: Danton dringt auf das Ende des Terrors <strong>und</strong> die Einsetzung eines Gnadenaus-<br />
schusses. Angriffe Camille Desmoulins auf die Hebertisten, Robespierre <strong>und</strong> das<br />
Terrorregime in seiner Zeitschrift „Le vieux cordelier".<br />
1794<br />
14.-24. März: Verhaftung <strong>und</strong> Hinrichtung der Hebertisten. Für Robespierre bilden die<br />
Dantonisten die letzte Gefahr für den Fortgang der <strong>Revolution</strong>. Letzte erfolglose Unterredung<br />
Dantons <strong>und</strong> Robespierres.<br />
30. März: Robespierre erhält die Zustimmung des Konvents zur Verhaftung Dantons wegen<br />
angeblicher Verbindung mit dem Ausland.<br />
5. April: Hinrichtung von Danton, Desmoulin, Lacroix, Philippeau <strong>und</strong> anderer Anhängern.<br />
Robespierre wird zum Präsidenten des Nationalkonvents gewählt. Robespierre kann die<br />
soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Krise im Innern nicht kontrollieren. Nachdem er das<br />
Verdachtsgesetz erlassen sowie die Verteidigung <strong>und</strong> die Immunität der Abgeordneten<br />
abgeschafft hat, wird er am 9. Thermidor (27. Juli) im Konvent verhaftet <strong>und</strong> einen Tag später<br />
gemeinsam mit Saint Just ohne Prozess hingerichtet. In den nächsten Tagen enden über 100<br />
seiner Anhänger unter der Guillotine. Auch der Herzog von Orléans war 1793 unter der<br />
Guillotine gestorben <strong>und</strong> 1795 sollte auch der berüchtigte Ankläger Fouquier-Tinville folgen.<br />
11. November: Der Jakobinerclub wird geschlossen. Allein zwischen April 1793 bis Juli<br />
1794 wurden mehr als 17.000 Opfer in ganz Frankreich hingerichtet. Rechnet man die in den<br />
Gefängnissen Ermordeten hinzu, beläuft sich die Zahl auf 40.000. Der dritte Stand machte<br />
84%, der Adel 8,5% <strong>und</strong> die Geistlichkeit 6,5% der Toten aus.<br />
1795<br />
September/Oktober: Neue Direktorialverfassung <strong>und</strong> Auflösung des Nationalkonvents. Es<br />
wird ein Direktorium aus fünf Gemässigten gebildet. Die neue Volksvertretung besteht aus<br />
zwei Kammern, mit 500 bzw. 250 Mitgliedern. Das Besitzbürgertum (Bourgeoisie) wird zur<br />
neuen politischen Macht.<br />
1799<br />
9. November (18. Brumaire): Napoleon Bonaparte stürzt durch einen Staatsstreich das<br />
Direktorium, erklärt sich am 1<strong>3.</strong> Dezember zum Ersten Konsul <strong>und</strong> proklamiert am 15.<br />
Dezember das Dekret über die Beendigung der <strong>Revolution</strong>.<br />
19
Sturm auf die Bastille 1789<br />
Damals hatte der Kommandant der Bastille neben 52 Soldaten noch 30 Schweizer aus dem<br />
Regiment Salis-Samaden zur Verfügung. Diese Schweizer unterstanden dem Kommando<br />
des Kapitänleutnants Ludwig von Flüe. Wäre es nach ihm gegangen, <strong>und</strong> hätte der<br />
Kommandant nicht die Tore öffnen lassen, wäre die Bastille vielleicht nie eingenommen<br />
worden, zumal noch ein Detachement Schweizer zur Unterstützung unterwegs war.<br />
Zivilisten <strong>und</strong> Soldaten holten am 5./6. Oktober 1789 Ludwig XVI. von Versailles nach Paris.<br />
Eine wirre, tobende, trunkene Meute warf sich auf die Tore <strong>und</strong> umringte die Gitter.<br />
Schreckliche zerlumpte Gestalten, wüste Männer, freche Weiber, die Augen voll Wut <strong>und</strong><br />
Hass. Zum König drang Abordnung um Abordnung. Marquis de la Fayette, der einstige<br />
Adjutant Washingtons im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg <strong>und</strong> jetziger Kommandant<br />
der Nationalgarde, ein Fre<strong>und</strong> der <strong>Revolution</strong>, wartete betont lange mit seinem Eingreifen.<br />
Der Pöbel sprengte die Türen, die <strong>Schweizergarde</strong> des Königs, Minister, Offiziere <strong>und</strong><br />
Hofadel, den Degen entblösst, rang mit der eingedrungenen Menge. Gellende Schreie hallten<br />
durch die Räume. Gemetzel in den Höfen, Blut in den Gängen, die Möbel waren zerfetzt,<br />
Kalk <strong>und</strong> Mörtel fiel. "Nach Paris, nach Paris" schrien die Weiber, Gesichter <strong>und</strong> Hände in<br />
Blut getaucht, <strong>und</strong> die Männer steckten die Köpfe der Ermordeten auf die Picken. In<br />
teuflischer Freude umjubelte der bluttrunkene Pöbel die Gefangenen.<br />
20
Erzwungene Rückkehr der königlichen Familie nach dem gescheiterten Fluchtversuch<br />
In den Strassen wüteten <strong>und</strong> lärmten, mordeten <strong>und</strong> plünderten wilde, aufgehetzte<br />
Horden gemeinsten Abschaumes in nicht zu überbietender Bestialität. Eine<br />
unüberschaubare Zahl von Opfern wurde erschlagen, verbrannt, an Laternen<br />
aufgehängt <strong>und</strong> in Flüssen ertränkt. Die Leichen häuften sich zu Berge <strong>und</strong> dazwischen<br />
standen mit rotgefärbten Händen <strong>und</strong> bluttriefenden Säbeln, die Gesichter in Wut <strong>und</strong><br />
Hass verzerrt wie Rasende, die bezahlten Mörder, <strong>und</strong> durch dieses Blutbad wateten die<br />
blau-weiss-rot beschürzten Komissäre der „erwachten Nation“. Eine besondere Jagd<br />
machte man auf die Schweizer, die man, wenn man ihnen habhaft wurde, grausam<br />
niedermetzelte. Als wahre Meister der Massaker erwiesen sich die Frauen. Mit<br />
kannibalischem Sadismus marterten sie ihre Opfer zu Tode, schändeten <strong>und</strong><br />
verstümmelten sie <strong>und</strong> rissen ihnen die noch zuckenden Herzen aus dem Leib. Das Bild<br />
zeigt den Abtransport der Leichen der <strong>Schweizergarde</strong> nach dem Massaker in den<br />
Tuilerien vom 10. August 1792.<br />
21
Jeden Tag wurden bis zu 60 Todesurteile<br />
unterschrieben, ehe man die Angeklagten auch nur<br />
anhörte; da kamen Verwechslungen vor; da<br />
geschahen Grausamkeiten aller Art. Die letzten<br />
Briefe der in der Conciergerie Versammelten<br />
erreichte die Empfänger nicht.<br />
Ça ira, ça ira, ça ira-ça.<br />
Les aristocrates à la lanterne;<br />
Ça ira, ça ira, ça ira-ça,<br />
Les aristocrates on les pendra<br />
Der Pöbel dang in die Privathäuser <strong>und</strong> überfüllten Gefängnisse ein, wo<br />
bald das Blut überschwappte <strong>und</strong> mancherorts bis auf die Strasse floss.<br />
Dem mutigen Eintreten seiner Tochter verdankte der Marquis Charles de<br />
Sombreuil sein Leben. Sie musste dafür ein Glas Menschenblut leeren<br />
22
Blut floss jeden Tag <strong>und</strong> unaufhörlich in Strömen. Opfer waren Leute aus allen<br />
gesellschaftlichen Schichten. Es war kein Bürgerkrieg, sondern ein von der<br />
Staatsgewalt gesetzlich geregeltes Unrecht <strong>und</strong> Willkür einer bürgerlichen<br />
Diktatur, die sich die primitivsten <strong>und</strong> blutrünstigsten Instinkte des<br />
grosstädtischen Abschaums zu Nutze machte <strong>und</strong> ihre unvorstellbar grausamen<br />
Gräueltaten<br />
Das Werkzeug, dessen sich die <strong>Revolution</strong>äre bedienten, war das Volk. So nannte<br />
man es. In Wirklichkeit war es nicht das Volk, sondern zum grossen Teil der<br />
Abschaum davon.<br />
23
Die Guillotine steht für Frankreich. Sie<br />
auszulassen wäre, als würde man die Geschichte<br />
Deutschlands schreiben ohne die Gaskammern zu<br />
erwähnen. Ins Auge fällt das Gegensätzliche. Die<br />
Gaskammer wird versteckt, solange es geht. Die<br />
Guillotine hingegen soll eine Politik ideologisch<br />
legitimieren, die sich von der Vergangenheit<br />
radikal unterscheidet.<br />
Zur Zeit des stärksten Terrors bewältigte die<br />
Guillotine in Paris wöchentlich fast 200<br />
Hinrichtungen. 1793 wurde mit 21 Hinrichtungen<br />
binnen 26 Minuten sogar ein Rekord aufgestellt.<br />
Nach dem Vollzug blieb das Blut auf dem Platze.<br />
H<strong>und</strong>e kamen <strong>und</strong> tränkten sich darin,<br />
Gassenbuben wateten blossfüssig darin, <strong>und</strong> die<br />
Menge weidete ihre Blicke darin.<br />
Der Namensgeber Dr. Guillotin selbst war später<br />
von den Annehmlichkeiten seiner Maschine<br />
weniger überzeugt <strong>und</strong> liess unter die Gefangenen<br />
Giftpillen verteilen<br />
Fait tomber - ber, ber; Fait sauter - ter, ter;<br />
Fait tomber, fait sauter; Fait voler, la tête<br />
Reihenweise Köpfe von Schweizern, Edelleuten <strong>und</strong> Priestern, von Bürgern <strong>und</strong> einfachen<br />
Leuten – keine Jugend schützte, keine Schönheit – <strong>und</strong> wenn sie dann der Henker Sanson<br />
an den Haaren schwenkend emporhob, wenn über Balken <strong>und</strong> Brettern das Blut tropfte, war<br />
rings auf dem Platze ein Taumel der Freude, ein Geheul, ein Gelächter, ein Händeklatschen.<br />
Viele bestiegen das Schafott mit Würde <strong>und</strong> Fassung, doch allzu oft spielten sich unter dem<br />
Gejohle der Menge herzzerreissende Szenen ab.<br />
24
Marie-Louise Lamballe, die schöne Prinzessin von Savoyen, hatte ihrer Fre<strong>und</strong>in Marie-<br />
Antoinette Treue geschworen. Seit dem frühen Tode ihres Gemahls hatte sie das ganze Leben<br />
der Hilfe für die Armen geweiht. Als sie erkrankt <strong>und</strong> fiebernd darnieder lag, schleppte man<br />
sie vor das Tribunal. Dort zwischen Krügen Wein, zwischen blutbefleckten Kleidern war das<br />
Register aufgeschlagen. Darüber beugten sich mit finsteren Blicken in dreifarbigen Schärpen<br />
die Henker. Sie beschuldigten sie der lesbischen Liebe zu Marie Antoinette <strong>und</strong> verlangten<br />
von ihr Hass auf den König <strong>und</strong> die Königin zu schwören. Sie weigerte sich, ganz zitternd<br />
beim Anblicke der Äxte <strong>und</strong> des Blutes. Da zerrten sie die Mörder auf die Strasse <strong>und</strong> mit<br />
ihrem Kopf <strong>und</strong> ihrem Herzen auf Piken schleiften sie den aufgeschlitzten Körper zum<br />
Temple, um Marie-Antoinette zu zwingen, das Haupt der einstigen Fre<strong>und</strong>in zu küssen.<br />
25
Die Erklärung der Menschenrechte<br />
Die Menschenrechte sind die in Humanismus <strong>und</strong> Aufklärung<br />
(also im Ancien Régime) entwickelten, aus Naturrecht oder<br />
Vernunft abgeleiteten subjektiven Rechte jedes Menschen<br />
Die Erklärung der Menschenrechte<br />
ausgerechnet aus der Hand der <strong>Revolution</strong>äre<br />
ist angesichts ihrer Gräueltaten der Gipfel des Zynismus<br />
Die Parolen „Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit“ finden sich<br />
bereits im Ancien Régime <strong>und</strong> zwar eingraviert auf dem<br />
Schultheissenthron des aristokratischen Bern<br />
Die Patrizier, so sagte Chateaubriand, begannen<br />
die <strong>Revolution</strong>, die Plebejer vollendeten sie<br />
26
Marie-Antoinette von Österreich, Königin von Frankreich<br />
Kindheit <strong>und</strong> Jugend<br />
Maria-Antonia, Erzherzogin von Österreich, erblickte am 2.<br />
November 1755 als letzte Tochter <strong>und</strong> fünfzehntes Kind<br />
von Maria-Theresia <strong>und</strong> Kaiser Franz I. von Habsburg-<br />
Lothringen (1708-1765) in Wien das Licht der Welt. Die<br />
schwere Entbindung <strong>und</strong> das Erdbeben von Lissabon, das<br />
am 1. November 1755 stattgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> zahlreiche<br />
Menschenleben gefordert hatte, wurden als schlechte<br />
Vorzeichen für den Lebensweg der Erzherzogin gedeutet.<br />
Sie wurde nach der Jungfrau Maria, dem heiligen Anton<br />
von Padua, ihrem älteren Bruder Joseph <strong>und</strong> dem heiligen<br />
Johannes benannt. Maria-Antonia entwickelte sich zu<br />
einem hübschen Mädchen, das mit ihrem charmanten<br />
Verhalten die Erzieher beeindruckte. Schon sehr früh zeigte<br />
sie einen Hang zur Unruhe <strong>und</strong> mied oft die<br />
Unterrichtsst<strong>und</strong>en, um sich Zerstreuungen zu widmen. Die<br />
Erzherzogin zeigte keinerlei Neigung, sich zu<br />
konzentrieren oder sich ihren Aufgaben zu widmen. Der<br />
St<strong>und</strong>enplan der Kinder von Maria-Theresia enthielt<br />
Tanzst<strong>und</strong>en, Theateraufführungen, Geschichte, Malen, Rechtschreibung, Staatsk<strong>und</strong>e, ein<br />
wenig Mathematik <strong>und</strong> Fremdsprachen. Das Mädchen wurde zudem in Handarbeiten <strong>und</strong> in<br />
der Konversation unterwiesen.<br />
Sie liebte die Natur, <strong>und</strong> wenn sie<br />
Glanz <strong>und</strong> Festlichkeiten schätzte, so<br />
war dies bei einer jungen Frau<br />
vollkommen normal, zumal sie nach<br />
einem harmonischen Familienleben<br />
strebte <strong>und</strong> sieben Jahre auf ihr erstes<br />
Kind warten musste<br />
Marie-Antoinette im Jahre 1762<br />
Mit welchem Jubel hatte sie<br />
Frankreich einst begrüsst<br />
27<br />
Maria Theresia verfolgte das ehrgeizige Ziel, die<br />
politischen Beziehungen Österreichs zu den ausländischen<br />
Staaten <strong>und</strong> die Stellung Österreichs in Europa zu<br />
verbessern <strong>und</strong> versuchte, die kaiserlichen Kinder<br />
vorteilhaft zu verheiraten. Maria-Theresia schmiedete sehr<br />
früh Heiratspläne für ihre 14 überlebenden Kinder. In<br />
ständiger Angst vor Friedrich II. von Preußen <strong>und</strong> vor<br />
Russland konzentrierte sie sich bei diesen Eheplänen vor<br />
allem auf die Erweiterung der familiären Verbindungen zu<br />
den damals in Frankreich, Spanien, Neapel-Sizilien <strong>und</strong><br />
Parma regierenden Bourbonen. Maria-Antonia <strong>und</strong> ihre<br />
Geschwister mussten so Personen heiraten, die ihre Mutter<br />
für sie ausgesucht hatte.<br />
Im Zuge der traditionellen österreichischen Heiratspolitik<br />
wurde frühzeitig eine Eheschließung zwischen Marie<br />
Antonia <strong>und</strong> dem Dauphin Louis-Auguste (dem späteren<br />
Ludwig XVI. von Frankreich) ins Auge gefasst. Die<br />
Vermählung zwischen der österreichischen Erzherzogin <strong>und</strong><br />
dem französischen Dauphin sollte das letzte <strong>und</strong> zugleich<br />
ehrgeizigste Heiratsprojekt aus einer Reihe von<br />
Eheschließungen zwischen Habsburgern <strong>und</strong> Bourbonen<br />
sein <strong>und</strong> den Frieden zwischen Frankreich <strong>und</strong> Österreich<br />
besiegeln. Nach langwierigen Verhandlungen ersuchte 1769
Sie wurde das Ideal der guten Mutter. Von<br />
da aber wurde sie heruntergeholt <strong>und</strong> dem<br />
Pöbel in einer Flut von Schmutzschriften<br />
<strong>und</strong> obszönen Bildern <strong>und</strong> unter<br />
Enthemmung aller Kategorien des<br />
Anstandes als Pornokönigin präsentiert<br />
28<br />
König Ludwig XV. von Frankreich um die Hand der<br />
Erzherzogin Maria-Antonia für seinen Enkel <strong>und</strong> Erben,<br />
den Dauphin.<br />
Nachdem der Heiratsvertrag unterzeichnet worden war,<br />
analysierte Maria-Theresia die Erziehung ihrer Tochter<br />
Maria-Antonia <strong>und</strong> bemerkte gravierende Mängel in der<br />
Allgemeinbildung <strong>und</strong> in der Beherrschung der<br />
französischen Sprache. Erst jetzt wurden Erzieher,<br />
Tanzlehrer <strong>und</strong> Sprachlehrer engagiert, die die<br />
österreichische Erzherzogin innerhalb kürzester Zeit auf<br />
das Amt einer französischen Königin vorbereiten<br />
sollten. Am 19. April 1770 fand die Hochzeit per<br />
procurationem (Trauung per Stellvertreter) in der<br />
Augustinerkirche in Wien statt. In den folgenden Tagen<br />
wurde die Abreise von Maria-Antonia vorbereitet <strong>und</strong><br />
Maria-Theresia versuchte, das weinende Kind mit<br />
folgenden Worten zu beruhigen: „Seien Sie gut zu dem<br />
französischen Volk, damit man sagen kann, ich hätte<br />
ihm einen Engel geschickt.“<br />
Das 14-jährige Mädchen verabschiedete sich am 21.<br />
April 1770 von seiner Mutter <strong>und</strong> von den<br />
Geschwistern in Wien <strong>und</strong> trat mit einem<br />
imponierenden Brautzug seine Reise nach Frankreich<br />
an. Am 7. Mai erfolgte die Übergabe auf neutralem Gebiet, eine unbewohnte Rheininsel vor<br />
Straßburg. Im Rahmen dieser Übergabe musste sich das junge Mädchen von allen<br />
österreichischen Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten trennen. Anschließend wurde sie mit französischen<br />
Gewändern bekleidet. In diesem Moment verwandelte sich die österreichische Erzherzogin<br />
Maria-Antonia in die französische Dauphine Marie-Antoinette. In Strasbourg <strong>und</strong> in Saverne<br />
war Marie Antoinette Gast von Kardinal Louis de Rohan, der später eine wichtige Rolle in der<br />
Halsbandaffäre spielen sollte. Erst am 16. Mai fand die eigentliche Vermählung von Marie-<br />
Antoinette <strong>und</strong> dem Dauphin im Schloss Versailles statt <strong>und</strong> die Dauphine wurde offiziell am<br />
französischen Hof eingeführt.<br />
Am französischen Hof<br />
Am französischen Hof geriet die sehr junge <strong>und</strong> unerfahrene Marie-Antoinette schnell in<br />
Schwierigkeiten. Sie erschien gleichgültig, oberflächlich, hochmütig, <strong>und</strong>iplomatisch,<br />
verschwenderisch <strong>und</strong> unsolide in der Wahl ihrer Beschäftigungen. Sie hegte eine große<br />
Abneigung gegen die Mätresse des regierenden Königs, Madame Du Barry. Obwohl diese<br />
viele Verbindungen am Hofe hatte, weigerte sich Marie Antoinette, mit ihr zu sprechen <strong>und</strong><br />
der Du Barry war es nicht gestattet, das Wort an die künftige Königin zu richten. Erst<br />
nachdem sie dem schriftlichen Rat ihrer Mutter folgte, sich bei Hofe anzupassen, sprach sie<br />
nach zwei Jahren der Du Barry gegenüber die berühmten sieben Worte „Es sind heute viele<br />
Leute in Versailles“ aus. Dies waren die ersten <strong>und</strong> die letzten Worte, die die Dauphine an<br />
Gräfin Du Barry richtete. Zwei Jahre, nachdem sie in Versailles angekommen war, galt sie als<br />
Königin des Rokoko. Sie gab monatlich etwa 15.000 Livres aus. Ein Großteil der Franzosen<br />
hungerte, <strong>und</strong> diese Verschwendung trug nicht zur Beliebtheit Marie-Antoinettes bei. Die<br />
Prinzessin fühlte sich von Feinden umgeben <strong>und</strong> stützte sich fast ausschließlich auf den<br />
österreichischen Botschafter, den Grafen von Mercy-Argenteau (1727-1794). Dieser war ihr
von Maria Theresia als Mentor beigegeben <strong>und</strong> sollte zugleich Maria-Theresia auf dem<br />
Laufenden halten.<br />
Königin von Frankreich<br />
Die Thronbesteigung des jungen Königspaars nach<br />
dem Tod Ludwigs XV. am 10. Mai 1774 wurde<br />
enthusiastisch begrüßt. Doch fühlte sie sich noch viel<br />
zu jung <strong>und</strong> unvorbereitet. Ihre ersten Schritte<br />
brachten Marie-Antoinette denn auch bereits in offene<br />
Konflikte mit der anti-österreichischen Partei. So<br />
drängte sie auf die Entlassung des Herzogs von<br />
Aiguillon <strong>und</strong> tat alles, um den früheren<br />
Außenminister Choiseul zu berufen, der nach einer<br />
Intrige der Madame Du Barry sein Amt hatte<br />
aufgeben müssen. So hatte sie alle Feinde Choiseuls<br />
<strong>und</strong> der österreichischen Allianz gegen sich. Die<br />
Tanten des Königs nannten sie „l’Autrichienne“ (die<br />
Österreicherin, aber auch Wortspiel die andere<br />
Hündin). Ihr legerer Umgang mit der Hofetikette<br />
schockierte viele Höflinge, <strong>und</strong> ihr Hang zu<br />
Vergnügungen ließ sie die Gesellschaft des Bruders<br />
des Königs (dem späteren König Karl X.), <strong>und</strong> seines<br />
ausschweifenden Zirkels suchen. Ihr aufwendiger<br />
Lebensstil <strong>und</strong> die enormen Ausgaben für ihr<br />
Schlösschen Le Petit Trianon brachten sie zunehmend<br />
in Misskredit <strong>und</strong> wurden von ihren Feinden<br />
ausgeschlachtet. Zu diesen gehörten unter andern die<br />
Töchter des verstorbenen Königs Ludwig XV., der<br />
Marie-Antoinette war jung <strong>und</strong> unerfahren<br />
aus dem lustigen Wien gekommen, wo ein<br />
Lächeln nicht so schwere wog wie am<br />
steifen, abgemessenen französischen Hof.<br />
Sie war schön, geistreich, aber sie war<br />
auch unbedacht <strong>und</strong> leichtsinnig. So schuf<br />
sie sich Feinde, die schamlos gegen sie<br />
intrigierten <strong>und</strong> wilde Gerüchte<br />
verbreiteten<br />
Graf von Provence (der spätere Ludwig XVIII.), der Herzog von Orléans <strong>und</strong> seine Anhänger<br />
im Palais Royal. Da sie den Zugang zum Petit Trianon auf ihre Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Gönner<br />
reduzierte, beleidigte sie andere Mitglieder des Hofes. Ab Herbst 1774 wurden ihr in<br />
Pamphleten unter anderem homosexuelle <strong>und</strong> pornografische Neigungen vorgeworfen. Auch<br />
ihre fre<strong>und</strong>schaftlich-geschäftliche Beziehung zur Modistin Rose Bertin wurde ihr übel<br />
genommen.<br />
In dieser Zeit besuchte ihr Bruder, Kaiser Joseph II, Frankreich. Er hinterließ der Königin ein<br />
Memorandum, das ihr die Gefahren ihres Verhaltens aufzeigte. Eine Zeit lang zeigte das<br />
Drängen des Kaisers Wirkung, <strong>und</strong> nach der Geburt ihrer Tochter Marie-Therese-Charlotte im<br />
Dezember 1778 lebte die Königin zurückgezogener. Mit dem Tod ihrer Mutter Maria-<br />
Theresia am 29. November 1780 verlor Marie-Antoinette eine kluge <strong>und</strong> liebevolle Beraterin.<br />
Die Stellung Marie Antoinettes wurde durch die Geburt des Dauphins Louis-Joseph-Xavier-<br />
François am 22. Oktober 1781 gestärkt.<br />
Um den Ruf von Marie Antoinette zu schädigen, wurde vieles versucht, beispielsweise auch<br />
die folgende Geschichte in Umlauf gebracht. Sie habe auf die Vorhaltung, die Armen könnten<br />
sich kein Brot kaufen, geantwortet: "Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie Kuchen<br />
essen". Dieser Ausspruch stammt aber nicht von ihr. Er wurde von Jean-Jacques Rousseau<br />
viele Jahre vor Marie-Antoinettes Thronbesteigung geschrieben. Es handelt sich um eine<br />
Wanderanekdote, die schon der ersten Frau von Ludwig XIV. in die Schuhe geschoben<br />
wurde.<br />
29
In ihrer wienerischen Unbefangenheit<br />
<strong>und</strong> ihrem Hass gegen Zwang <strong>und</strong><br />
Regel begreift Marie-Antoinette nicht,<br />
dass Zeremonien <strong>und</strong> Vorschriften für<br />
den Nimbus eines Königtums von<br />
Gottes Gnaden nicht minder wichtig<br />
sind als für den Priester die Riten, mit<br />
denen er seine heiligen Handlungen<br />
30<br />
Wie unpopulär Marie-Antoinette war, zeigte sich auch in<br />
der Halsbandaffäre. An dieser Betrügerei war Marie-<br />
Antoinette zwar nicht beteiligt, doch ihr Lebenswandel<br />
machte es dem Volk nahezu unmöglich, an ihre Unschuld<br />
zu glauben. Mit ihrem Weiler beim Petit Trianon, in dem<br />
sie spielerisch das Leben einer einfachen Bauersfrau<br />
nachahmte, brüskierte sie den Hochadel ebenso wie das<br />
Landvolk. Marie-Antoinette war aber oft auch ein Opfer<br />
der Umstände, die ihr häufig keine Wahl zu umsichtigem<br />
Handeln ließen. Als sie sich, den ewigen<br />
Verschwendungsvorwürfen konfrontiert, in einem<br />
schlichten Leinenkleid porträtieren ließ, gingen die<br />
Seidenweber auf die Straßen <strong>und</strong> beklagten, eine Königin,<br />
die sich so schlecht kleide sei schuld, wenn die<br />
Seidenweber verhungerten.<br />
In der Gewalt des Pöbels<br />
Am 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789 holten die <strong>Revolution</strong>äre die<br />
königliche Familie nach Paris, <strong>und</strong> quartierten sie im<br />
Tuilerienpalast ein. Hilflos <strong>und</strong> isoliert, stützte sich Marie-<br />
Antoinette auf ihre Fre<strong>und</strong>e außerhalb Frankreichs<br />
(Mercy, von Fersen <strong>und</strong> den Le Tonnelier de Breteuil).<br />
Am 20. Juni 1791 versuchte die königliche Familie zu fliehen. Marie-Antoinettes langjähriger<br />
Fre<strong>und</strong> Fersen spielte bei der Flucht nach Varennes eine führende Rolle. Doch in Varennes<br />
wurde der König erkannt, die königliche Familie aufgehalten <strong>und</strong> unter Bewachung nach<br />
Paris zurückgebracht.<br />
Am 10. August 1792 veröffentlichte der Herzog von<br />
Braunschweig ein Manifest, in dem Gewalt angedroht wurde<br />
für den Fall, dass der königlichen Familie etwas zustoße. Das<br />
Volk stürmte daraufhin die Tuilerien <strong>und</strong> brachte die<br />
königliche Familie in den Temple, eine ehemalige Festung des<br />
Templerordens. In geheimen Botschaften versuchte sie die<br />
Herrscher Europas zu einer bewaffneten Intervention zu<br />
bewegen. Wegen ihrer Unerfahrenheit <strong>und</strong> Unkenntnis sowie<br />
unsicherer Informationen aus dem Ausland war es aber<br />
schwierig für sie, eine klare Politik zu verfolgen. Ungefähr ein<br />
Jahr verhandelte sie mit Mercy <strong>und</strong> dem Kaiser Leopold II.,<br />
ihrem Bruder. Am 1. März 1792 starb Leopold II., <strong>und</strong> Marie<br />
Antoinette fürchtete, dass der neue Kaiser Franz II sie den<br />
Interessen Österreichs opfern würde.<br />
Während all dieser Ereignisse zeigte Marie-Antoinette Marie-Antoinette<br />
unverändert Mut <strong>und</strong> Würde, trotz ihrer nachlassenden<br />
Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> der Krankheit ihres Sohnes. Nach der Hinrichtung des Königs am 21. Januar<br />
1793 wurden von ihren Fre<strong>und</strong>en mehrere Versuche unternommen, sie <strong>und</strong> ihre Kinder zu<br />
retten, unter anderem durch Jarjayes, Toulan <strong>und</strong> Lepitre, <strong>und</strong> den Baron Baz. Man hatte ihr<br />
bereits ihren Sohn weggenommen <strong>und</strong> trennte sie jetzt auch von ihrer Tochter <strong>und</strong> Madame<br />
Elisabeth, der Schwester des Königs Am 1. August 1793 überstellte man sie in das<br />
Conciergerie-Gefängnis.
Prozess <strong>und</strong> Hinrichtung<br />
Am 14. Oktober begann der Schauprozess gegen die „Witwe Capet“. Man beschuldigte sie<br />
des Hochverrats <strong>und</strong> der Unzucht. Ihre Antworten während der langen Verhöre waren klar<br />
<strong>und</strong> gut durchdacht. Keinerlei Beweise konnten vorgelegt werden. Dennoch entschieden die<br />
Geschworenen einstimmig auf schuldig <strong>und</strong> setzten die Hinrichtung für den 16. Oktober 1793<br />
um 12 Uhr auf dem <strong>Revolution</strong>splatz (Place de la Concorde) an. Marie-Antoinette wurde in<br />
einem Massengrab in der Nähe der heutigen Kirche La Madeleine verscharrt. An diese erste<br />
Grablege erinnert heute die Chapelle expiatoire. Mehr als zwanzig Jahre nach ihrem Tod<br />
wurde ihr Leichnam exhumiert, wobei ein Strumpfband bei ihrer Identifizierung half.<br />
Anschliessend wurde Marie Antoinette wurde in der Basilika Saint-Denis in Paris, der<br />
traditionellen Grablege der französischen Könige, an der Seite ihres Gatten beigesetzt.<br />
Ich war Königin. Und ihr habt mich entthront; Ich war Gattin, <strong>und</strong> ihr habt mein<br />
Gemahl ermordet; ich war Mutter, <strong>und</strong> ihr habt mir meine Kinder entrissen. Es<br />
bleibt nur mein Blut; beeilt euch, es zu vergiessen, um euch darin zu ertränken<br />
31
Abschiedsbrief<br />
In der Nacht nach der Verkündung des Todesurteils schrieb Marie-Antoinette in ihrer Zelle in<br />
der Conciergerie folgenden Abschiedsbrief an ihre Schwägerin, Madame Élisabeth. Der Brief<br />
wurde jedoch vom Untersuchungsrichter nicht weitergeleitet <strong>und</strong> tauchte erst Jahre später<br />
unter der Herrschaft Ludwigs XVIII. wieder auf.<br />
Marie-Antoinette im Temple<br />
32<br />
„Dir, liebe Schwester, schreibe ich zum letzten Mal. Ich wurde<br />
soeben verurteilt, nicht zu einem schmachvollen Tod, der nur<br />
für Verbrecher gilt, sondern dazu, Deinen Bruder<br />
wiederzufinden. Unschuldig wie er, hoffe ich ihm in seinen<br />
letzten Augenblicken zu gleichen. Ich bin ruhig, wie man es<br />
ist, wenn das Gewissen dem Menschen keine Vorwürfe macht.<br />
Ich bedaure tief, meine armen Kinder zu verlassen. Du weißt,<br />
ich habe nur für sie gelebt <strong>und</strong> für Dich, meine gute zärtliche<br />
Schwester. Du, die Du aus Fre<strong>und</strong>schaft alles geopfert hast,<br />
um bei uns zu bleiben – in welcher Lage lasse ich Dich<br />
zurück! Durch das Plädoyer des Prozesses habe ich erfahren,<br />
dass meine Tochter von Dir getrennt worden ist. Ach, die<br />
arme Kleine! Ich wage es nicht, ihr zu schreiben, sie würde<br />
meinen Brief nicht erhalten – weiß ich doch nicht einmal, ob<br />
dieser hier Dich erreichen wird. Empfange für sie beide<br />
hierdurch meinen Segen. Ich hoffe, dass sie später einmal,<br />
wenn sie größer sind, sich mit Dir vereinigen <strong>und</strong> ganz Deine<br />
zärtliche Sorgfalt genießen können. Mögen sie beide an das denken, was ich sie unablässig<br />
gelehrt habe: dass die Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> die genaue Befolgung der eigenen Pflichten das<br />
wichtigste F<strong>und</strong>ament des Lebens sind, dass die Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> das Vertrauen, das sie<br />
einander entgegenbringen werden, sie glücklich machen wird. Möge meine Tochter, als die<br />
ältere, fühlen, dass sie ihrem Bruder immer beistehen müsse mit Ratschlägen, die größere<br />
Erfahrung <strong>und</strong> ihre Fre<strong>und</strong>schaft ihr eingeben werden. Möge mein Sohn hinwieder seiner<br />
Schwester alle Fürsorge <strong>und</strong> alle Dienste erweisen, die sich aus der Fre<strong>und</strong>schaft ergeben.<br />
Mögen sie endlich beide fühlen, dass sie in jeder Lage ihres Lebens nur durch ihre Eintracht<br />
wirklich glücklich sein werden. Mögen sie sich uns zum Beispiel nehmen! Wie viel Tröstung<br />
hat uns unsere Fre<strong>und</strong>schaft in unseren Leiden verschafft! Und das Glück genießt man<br />
doppelt, wenn man es mit einem Fre<strong>und</strong>e teilen kann. Wo aber kann man einen zärtlicheren,<br />
innigeren Fre<strong>und</strong> finden als in der eigenen Familie? Möge mein Sohn niemals die letzten<br />
Worte seines Vaters vergessen, die ich ihm mit Vorbedacht<br />
wiederhole: Möge er niemals danach trachten, unseren Tod zu<br />
rächen! Ich liebe ihn... Ich muss zu Dir von einer Sache<br />
sprechen, die meinem Herzen sehr wehe tut. Ich weiß, wie dieses<br />
Kind Dir Qual bereitet haben muss, verzeihe ihm, liebe<br />
Schwester, denk an seine große Jugend <strong>und</strong> wie leicht es ist, ein<br />
Kind das sagen zu lassen, was man will, <strong>und</strong> sogar das, was es<br />
selber nicht versteht. Ich hoffe, ein Tag wird kommen, da es um<br />
so besser den Wert Deiner Liebe <strong>und</strong> Zärtlichkeit begreifen wird,<br />
die Du beiden entgegenbringst. Ich muss Dir noch meine letzten<br />
Gedanken anvertrauen. Ich hätte sie vom Beginn des Prozesses<br />
an niederschreiben mögen, aber abgesehen davon, dass man mir<br />
nicht gestattete zu schreiben, verlief er so schnell, dass ich in der<br />
Tat keine Zeit dazu gehabt hätte. Ich sterbe im apostolischen,<br />
römisch-katholischen Glauben, der Religion meiner Väter, in der<br />
ich erzogen wurde <strong>und</strong> zu der ich mich immer bekannt habe. Da<br />
Marie Antoinette<br />
auf dem Henkerskarren
ich keinerlei geistliche Tröstung zu erwarten habe, da ich nicht weiß, ob es hier noch Priester<br />
dieser Religion gibt, <strong>und</strong> da auch der Ort, an dem ich mich befinde, sie allzu großen Gefahren<br />
aussetzen würde, wenn sie zu mir kämen, bitte ich Gott von Herzen um Vergebung für alle<br />
meine Sünden, die ich begangen habe, seit ich lebe. Ich hoffe, dass er in seiner Güte meine<br />
letzten Gebete erhören wird so wie alle jene, die ich seit langem an ihn richte, damit meine<br />
Seele seines Erbarmens <strong>und</strong> seiner Güte teilhaftig werde. Ich bitte alle, die ich kenne, <strong>und</strong> im<br />
besonderen Dich, liebe Schwester, um Verzeihung für jedes Leid, das ich ihnen unwissentlich<br />
etwa zugefügt habe. Ich verzeihe all meinen Feinden alles Böse, das ich durch sie erlitten<br />
habe. Ich sage hiermit den Tanten <strong>und</strong> all meinen Brüdern <strong>und</strong> Schwestern Lebewohl. Ich<br />
hatte Fre<strong>und</strong>e. Der Gedanke, dass ich von ihnen für immer getrennt bin, <strong>und</strong> das Bewusstsein<br />
ihres Schmerzes gehören zu den größten Leiden, die ich sterbend mit mir nehme. Mögen sie<br />
wenigstens wissen, dass ich bis zu meinem letzten Augenblick an sie gedacht habe. Leb wohl,<br />
gute zärtliche Schwester! Möge dieser Brief Dich erreichen! Vergiss mich nicht! Ich umarme<br />
Dich von ganzem Herzen sowie die armen lieben Kinder! Mein Gott, wie herzzerreißend ist es<br />
doch, sie für immer zu verlassen! Leb wohl, leb wohl! Ich werde mich nun nur noch mit<br />
meinen geistlichen Pflichten befassen. Da ich nicht frei in meinen Entschlüssen bin, wird man<br />
mir vielleicht einen Priester zuführen. Aber ich erkläre hiermit, dass ich ihm kein einziges<br />
Wort sagen <strong>und</strong> ihn wie einen völlig Fremden behandeln werde.“<br />
Auf einem Karren unter Schmährufen der Menge durch die Stadt<br />
geführt, stieg Marie-Antoinette würdig <strong>und</strong> gefasst die Treppe hoch<br />
zum Schafott, als ob sie die grosse Treppe in Versailles<br />
hinaufschritt. Als Marie-Antoinette auf dem Schafott versehentlich<br />
dem Henker auf den Fuss trat, sagte sie: Entschuldigen Sie mein<br />
Herr, ich tat es nicht mit Absicht<br />
33
Die Kinder von Marie Antoinette<br />
Marie-Therese, 1778-1851<br />
Madame Royale<br />
Louis-Joseph, 1781-1789<br />
Marie-Therese, 1778-1851<br />
Marie-Therese, 1778-1851<br />
Sie hatte als einzige überlebt<br />
vermählt mit Louis-Anton von Bourbon<br />
Herzog von Angoulême<br />
Sohn des Grafen von Artois<br />
dem nachmaligen Charles X.<br />
34
Charles-Louis, 1785-1795<br />
Dem Dauphin lachte die ganze Welt voll Glanz<br />
<strong>und</strong> Herrlichkeit. Das schönste Schloss gehörte<br />
ihm. Er hatte gute Eltern <strong>und</strong> eine Schwester, die<br />
er sehr liebte. Sie spielten in goldenen Zimmern<br />
mit glänzenden Spiegeln <strong>und</strong> hohen Fenstern,<br />
oder im grossen Park, wo sich samtene<br />
Rasenflächen breiteten, wo schattige Bäume<br />
standen <strong>und</strong> auf glitzernden Teichen weisse<br />
Schwäne schwammen. Er liebte auch seine<br />
Mama-Königin, der er alle Blumen seines<br />
Gartens weihte<br />
Sophie-Helene, 1786-1787<br />
35<br />
Gewaltsam seiner Familie entrissen wurde der Dauphin<br />
nun vom Schuster Simon <strong>und</strong> dessen Frau misshandelt<br />
<strong>und</strong> umerzogen. Er hörte nur noch Flüche,<br />
Schmähungen <strong>und</strong> Drohungen. Schliesslich verlor sich<br />
das Schicksal des todgeweihten Kindes in einer<br />
feuchten Kerkergruft. Mit ihm starb die jüngste <strong>und</strong><br />
lieblichste Knospe am Stamm des heiligen Ludwig.<br />
Marie-Therese <strong>und</strong> Louis-Joseph, 1784
Die Halsbandaffäre<br />
Louis René Prince de Rohan stammte aus einer der<br />
vornehmsten Familien Frankreichs. Diesem Rang<br />
entsprechend führte er einen glänzenden Hofhalt. Er war<br />
ein schöner, aber bis zur Dummheit eitler Mann mit<br />
bedenklicher Neigung zu den Frauen. Zwar voller Geist<br />
<strong>und</strong> Liebenswürdigkeit, gewählt gekleidet, galant <strong>und</strong><br />
von ausgesuchter Höflichkeit, legt er dennoch eine<br />
Leichtgläubigkeit an den Tag, die ihm schon teuer zu<br />
stehen gekommen ist. Als ehemaliger Gesandter in Wien<br />
war er von dort 1774 abberufen worden war, nachdem er<br />
das Missfallen von Kaiserin Maria Theresia erregt hatte.<br />
Der Gr<strong>und</strong> dafür war, sein Lebensstil pflegte <strong>und</strong> die<br />
Tatsache, dass er Maria-Theresia vom frivolen<br />
Lebenswandel ihrer Tochter Marie Antoinettes berichtet<br />
hatte. Marie-Antoinette hegte deshalb eine tiefe<br />
Abneigung gegen ihn, <strong>und</strong> dem Kardinal lag alles daran,<br />
wieder in Gnaden angenommen zu werden.<br />
Louis René Prinz de Rohan<br />
Einer seiner ehemaligen Geliebten, eine Gräfin de la Motte-Valois behauptete, ihn mit der<br />
Königin versöhnen zu können. Sie hatte aber nur die Absicht, den leichtgläubigen Kardinal<br />
für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. Frau de la Motte wusste, dass die Hofjuweliere Böhmer<br />
<strong>und</strong> Bassenge in Paris ein herrliches Diamanthalsband im Wert von 1.600.000 Livres<br />
besassen, das Ludwig XV. einst für die Dubarry bestimmt hatte. Die la Motte machte nun<br />
dem Kardinal weis, dass die Königin entzückt sein würde, diesen Schmuck zu besitzen, sie<br />
habe aber das Geld nicht <strong>und</strong> würde sich glücklich schätzen, ihn aus der Hand des Kardinals<br />
zu empfangen, wenn dieser in Vorlage treten würde. Gegen eine Anzahlung würde ihm der<br />
Schmuck übegeben. Die la Motte stellte dem Kardinal eine Audienz bei der Königin in<br />
Aussicht; er solle sich zu einer bestimmten Nachtst<strong>und</strong>e, es war im August 1784, in den<br />
Gärten von Versailles einfinden. Dort werde er die Königin sprechen <strong>und</strong> Verzeihung<br />
erlangen. Die Begegnung fand im "Boskett der Venus" statt. Nur erschien anstatt der Königin,<br />
die von nichts wusste, eine tief verschleierte Vertraute der la Motte. Der Kardinal glaubte die<br />
Worter zu vernehmen, dass ihm verziehen sei. Davon profitierte die Comtesse, die sich vom<br />
Kardinal große Geldsummen lieh, die angeblich für wohltätige Werke der Königin bestimmt<br />
waren. Mit diesem Geld konnte sie eine achtbare Rolle in der Gesellschaft einnehmen, wo sie<br />
mit ihren angeblich guten Beziehungen zu Marie-Antoinette prahlte. Auch die Juweliere<br />
liessen sich täuschen.<br />
Am 21. Januar 1785 verkündete die Comtesse den Juwelieren, dass die Königin das Collier<br />
kaufen wolle, der Kauf aber über eine hohe Persönlichkeit abgewickelt werden solle. Rohan<br />
zeigte den Juwelieren eine Vollmacht der Königin angeblich in der Handschrift von Marie<br />
Antoinette. Rohan brachte das Collier in das Haus der Comtesse, wo es ein Mann in Empfang<br />
nahm, den er für einen Kammerdiener der Königin hielt. Sogleich schickte die la Motte ihren<br />
Ehemann mit einem Teil der kostbaren Steine nach London. Als die Juweliere nach längerer<br />
Zeit immer noch kein Geld sahen, wandten sie sich an den Hof. Marie Antoinette war ausser<br />
sich vor Zorn <strong>und</strong> Ludwig XVI. musste einschreiten. Im August 1785 wurde der Kardinal<br />
nach Versailles befohlen, wo er in Gegenwart des Königs erkannte, dass er das Opfer eines<br />
gross angelegten Betrugs geworden war. Seine Festnahme erfolgte vor versammeltem Hof,<br />
doch gelang es ihm noch, alle Papiere vernichten. Daher lag im folgenden Prozess kein<br />
36
Beweismaterial vor. Rohan kam in die Bastille, wo bald darauf auch Frau de la Motte<br />
eingeliefert wurde<br />
Damals schrieb Marie Antoinette ihrem kaiserlichen Bruder nach Wien: "Sie werden schon,<br />
mein lieber Bruder, von der Katastrophe des Kardinals Rohan gehört haben . . .Der Kardinal<br />
hat in meinem Namen auf Gr<strong>und</strong> einer Unterschrift, die er für die meinige hielt, ein<br />
Diamantcollier für 1.600.000 Francs gekauft. Er behauptet, durch eine Mme. Valois de la<br />
Motte getäuscht worden zu sein. Diese Intrigantin von niedriger Herkunft hat niemals nach<br />
hier gehört oder hat jemals Zugang zu mir gef<strong>und</strong>en. Sie ist seit 2 Tagen in der Bastille <strong>und</strong><br />
obgleich sie beim ersten Verhör zugegeben hat, mit dem Kardinal viele Beziehungen gehabt<br />
zu haben, leugnet sie standhaft, irgend am Handel des Halsbandes beteiligt zu sein. Die<br />
Artikel der Abmachung für den Kauf sind tatsächlich von der Hand des Kardinals<br />
geschrieben zur Seite eines jeden ist das Wort "approuvé" von der gleichen Handschrift, die<br />
auch zum Schluss mit Marie Antoinette de France unterschrieben hat. Man nimmt an, dass<br />
die Unterschrift von der besagten Valois de la Motte stammt, denn man hat die Schrift mit den<br />
Briefen verglichen, die bestimmt von ihrer Hand sind. Man hat sich keinerlei Mühe gegeben,<br />
meine Schrift zu fälschen, da diese jener in keiner Weise ähnelt, <strong>und</strong> ich habe niemals de<br />
France gezeichnet..."<br />
Friedrich der grosse soll zu Beginn des Prozesses gespottet haben, der Kardinal werde alle<br />
Geisteskräfte aufwenden müssen, um seine Richter zu überzeugen, dass er wirklich ein<br />
solcher Tölpel gewesen sei, wie er sich den Anschein gegeben habe. Tatsächlich wurde er<br />
freigesprochen, während La Motte öffentlich ausgepeitscht, gebrandmarkt <strong>und</strong> in das<br />
Gefängnis Salpétrière gebracht wurde, von wo sie später entfloh.<br />
Der Halsbandprozess ist nicht nur eine Katastrophe für den Kardinal gewesen, sondern mehr<br />
noch für die Monarchie. Man stand am Vorabend der <strong>Revolution</strong>, <strong>und</strong> man kann sich denken,<br />
welchen Auftrieb der Prozess den unzufriedenen Elementen, den <strong>Revolution</strong>ären gegeben hat.<br />
Man nutzte die Situation aus, um der Monarchie den Todesstoss geben zu können. In den<br />
Augen der Masse stand die Königin als Schuldige dar, die wenige Jahre später auf dem<br />
Schafott enden sollte. Der Kardinal musste sein glänzendes Schloss verlassen <strong>und</strong> über den<br />
Rhein fliehen, <strong>und</strong> die um die kostbaren Steine betrogenen Juweliere waren gezwungen,<br />
Konkurs anzumelden. Die Familie Rohan hat an die Erben der Juwelenhändler bis ins 20.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert hinein die Schulden des Kardinals für das Halsband abbezahlt.<br />
Die öffentliche Meinung wurde durch diesen Prozess heftig erregt. Es wird allgemein<br />
angenommen, dass Marie Antoinette in der Sache keine Verfehlung anzulasten sei <strong>und</strong> dass<br />
Rohan ein unschuldiger Trottel war, den die de La Mottes für ihre Zwecke täuschten. Das<br />
Volk hingegen beharrte auf der Überzeugung, dass die Königin die Comtesse als Werkzeug<br />
benutzt habe, um ihren Hass auf den Kardinal de Rohan zu befriedigen. Verschiedene<br />
Umstände bestärkten diese Annahme <strong>und</strong> trugen dazu bei, Marie-Antoinette zu diskreditieren:<br />
ihre Enttäuschung über Rohans Freispruch; die Tatsache, dass er seiner Ämter enthoben <strong>und</strong><br />
in die Abtei von Chaise-Dieu exiliert wurde; <strong>und</strong> schließlich die Flucht von Jeanne de La<br />
Motte aus dem Salpétrière, in die das Volk den Hof verwickelt glaubte. Als die Hochstaplerin<br />
ins Ausland geflüchtet war, veröffentlichte sie eine Schrift, in der sie die Königin<br />
beschuldigte.<br />
37
Maria-Josepha-Carolina, 1731-1767<br />
Tochter von August III. Kurfürst von Sachsen<br />
<strong>und</strong> Maria-Josepha von Österreich<br />
Die Eltern von Ludwig XVI<br />
Louis, Dauphin von Frankreich<br />
1729- 1765<br />
Sohn von Ludwig XV <strong>und</strong><br />
Maria Leszczyńska<br />
Louis, Dauphin von Frankreich, (1729-1765) war der Sohn von König Ludwig XV. <strong>und</strong><br />
dessen Gattin Maria Leszczyńska. Der Dauphin war eher ungraziös, dafür aber gebildet <strong>und</strong><br />
wohlerzogen. Auch zog er Konversation dem Jagen oder Festen vor, seine Moral war gut<br />
geschult. Er wurde zu einem großen Unterstützer der Jesuiten, seine Schwestern sahen in ihm<br />
den idealen christlichen Prinzen. Obwohl ihn sein Vater von jeder politischen Aktivität<br />
fernhielt, wurde der Dauphin zum Zentrum der christlich-religiösen Partei, die hoffte, nach<br />
seiner Thronergreifung an mehr Macht zu gelangen. Louis-Ferdinand starb 36 Jahren in<br />
Fontainebleau an Tuberkulose. Der Tod ihres Mannes traf Maria hart. Um ihr den Kummer zu<br />
ersparen allein in den Gemächern ihrer ehelichen Wohnung verbleiben zu müssen ließ<br />
Ludwig XV sie in die Appartements der 1764 verstorbenen Madame Pompadour ziehen. Dort<br />
besuchte er sie öfter <strong>und</strong> sie besprachen familiäre Probleme, wie die Hochzeit des neuen<br />
Dauphins. Maria-Josepha war von der Hochzeit ihres nunmehr ältesten Sohnes mit der<br />
Erzherzogin Marie-Antoinette nicht sehr angetan <strong>und</strong> sie erreichte beim König 1766 einen<br />
Aufschub der Verhandlungen mit Wien. Allerdings verschlechterte sich ihr<br />
Ges<strong>und</strong>heitszustand immer mehr. Sie litt an der gleichen Krankheit wie ihr verstorbener<br />
Ehemann. Sie starb am 1<strong>3.</strong> März 1766. Das Paar hatte 11 Kinder, darunter drei zukünftige<br />
französische Könige. Ihre gemeinsame Vorliebe galt jedoch dem ältesten, dessen Begabung<br />
früh zutage trat <strong>und</strong> der große Hoffnungen am gesamten französischen Hof hervorrief. Durch<br />
diese Bevorzugung wurden die jüngeren Söhne des Paares vernachlässigt was sich als großer<br />
Nachteil für die Könige Ludwig XVI., Ludwig XVIII. <strong>und</strong> Karl X. erweisen sollte, denn der<br />
älteste Sohn starb bereits am 22. März 1761 an Tuberkulose. Der neue Thronerbe wurde<br />
Louis, Herzog von Berry, der später als Ludwig XVI. den Thron besteigen musste <strong>und</strong> der<br />
sich dafür viel zu jung <strong>und</strong> zu unvorbereitet fühlte.<br />
38
Familie<br />
Ludwig XVI. von Bourbon, König von Frankreich<br />
Ludwig XVI. genannt „der Märtyrer“, 1754-1793, war von 1774 bis 1791 König von<br />
Frankreich <strong>und</strong> Navarra, <strong>und</strong> von 1791 bis 1792 König der Franzosen in einer<br />
konstitutionellen Monarchie. Seine Eltern waren der Dauphin Ludwig-Ferdinand <strong>und</strong> Maria-<br />
Josepha, Tochter von Friedrich August II. Kurfürst von Sachsen <strong>und</strong> König von Polen. Beide<br />
verstarben sehr früh. Als auch seine beiden älteren Brüder starben, rückte Ludwig, der nach<br />
alter Tradition den Titel Duc de Berry trug, mit 11 Jahren zum Thronfolger auf. Vier Jahre<br />
später, am 16. Mai 1770, heiratete er die habsburgische Prinzessin Marie-Antoinette, Tochter<br />
des Kaiserpaares Franz I. Stephan <strong>und</strong> Maria-Theresia.<br />
Nach dem Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792 wurde Ludwig abgesetzt <strong>und</strong> vor der<br />
Nationalversammlung des Hochverrats für schuldig bef<strong>und</strong>en. Während der Französischen<br />
<strong>Revolution</strong> wurde er mit dem Familiennamen Capet angesprochen, bezugnehmend auf Hugo<br />
Capet, den Gründer des französischen Herrschergeschlechts. Am 21. Januar 1793 wurde er als<br />
Bürger Louis Capet von Charles-Henri Sanson enthauptet.<br />
Regierung<br />
Als sein Großvater Ludwig XV am 10. Mai 1774 starb, wurde Ludwig XVI. mit 19 Jahren<br />
<strong>und</strong> völlig unvorbereitet König. Das Hauptproblem Frankreichs war die hohe<br />
Staatsverschuldung, <strong>und</strong> die radikalen Reformen von Turgot <strong>und</strong> Malesherbes stießen auf den<br />
Widerstand des Adels. Turgot wurde entlassen, Malesherbes trat zurück <strong>und</strong> wurde durch<br />
Jacques Necker ersetzt.<br />
In den ersten Jahren war der König allerdings noch äußerst populär, denn es war ihm als<br />
einzigem König im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert gelungen einen Krieg gegen England zu gewinnen <strong>und</strong><br />
Frankreich als Seemacht zu stärken. Zudem hatte er 1776 den Amerikanern zur<br />
Unabhängigkeit verholfen. Doch zum Einen waren die Kosten des Krieges für die Staatskasse<br />
unerschwinglich <strong>und</strong> steigerten die Staatsverschuldung ins Unermessliche, zum Anderen<br />
brachten die in Amerika eingesetzten Soldaten das Gedankengut der Amerikanischen<br />
<strong>Revolution</strong> unter das französische Volk. Außerdem betrieben die Adligen, allen voran der<br />
Herzog von Orleans, <strong>und</strong> die von Ludwig 1774 zurückgerufenen Parlamente eine harte<br />
Oppositionspolitik gegen ihn <strong>und</strong> gegen Marie-Antoinette. Hinzu kam die zunehmende <strong>und</strong><br />
zusätzlich geschürte Unbeliebtheit der Königin <strong>und</strong> widrige Umstände wie zwei schlechte<br />
Ernten <strong>und</strong> ein harter Winter mit Versorgungsproblemen für die Bevölkerung.<br />
1789<br />
Um finanzielle Reformen zu verabschieden, berief der König am 5. Mai 1789 die<br />
Generalstände ein, die seit 1614 nicht mehr zusammengetreten waren. Wegen der<br />
demütigenden Behandlung <strong>und</strong> da man sich nicht einigen konnte, erklärten sich am 17. Juni<br />
die Abgeordneten des Dritten Standes zur Nationalversammlung. Deren Bestrebungen<br />
gipfelten am 20. Juni im Ballhausschwur, wo der Adel feierlich auf seine Privilegien<br />
verzichtete <strong>und</strong> schließlich am 14. Juli im Sturm auf die Bastille. Am 6. Oktober wurde der<br />
König gedemütigt <strong>und</strong> gezwungen, mit seiner Familie nach Paris in den Palais des Tuileries<br />
umzuziehen. In diesem anfänglichen Stadium der <strong>Revolution</strong> erließ die Nationale<br />
Versammlung am 10. Oktober 1789 über die Art, Gesetze zu verkündigen, die neue Formel:<br />
„Ludwig, durch die Gnade Gottes, <strong>und</strong> dem konstitutionellen Gesetz des Staates, König der<br />
39
Franzosen“. Ab diesem Zeitpunkt trug Ludwig, um dem Volk näher zu erscheinen, den Titel<br />
König der Franzosen. Er selbst stand den Reformen einer gemässigten <strong>Revolution</strong><br />
aufgeschlossen gegenüber. Doch die geforderte Volkssouveränität war ein zu grosser Bruch<br />
mit den damals gültigen Prinzipien der Monarchie. Entsprechend wurde die <strong>Revolution</strong> von<br />
der herrschenden Elite Frankreichs <strong>und</strong> den übrigen europäischen Herrschern abgelehnt.<br />
Konstitutionelle Monarchie<br />
Als die Demütigungen <strong>und</strong> Drohungen gegen Ludwig <strong>und</strong> seine Familie immer größer<br />
wurden, unternahm er am 20. Juni 1791 nach anfänglichem Zögern einen Fluchtversuch in die<br />
Österreichischen Niederlande. Der Versuch schlug fehl, <strong>und</strong> am 21. Juni wurde der König in<br />
Varennes-en-Argonne gefangengenommen <strong>und</strong> unter Bewachung nach Paris zurückgebracht.<br />
Von äußeren Kräften bedrängt, akzeptierte der König die Verfassung des <strong>3.</strong> September 1791.<br />
Frankreich wurde zur konstitutionellen Monarchie. Der König nahm nicht mehr die Rolle des<br />
„Gott-Gesandten“ ein, sondern war nur noch der erste Repräsentant des Volkes. Am 14.<br />
September blieb dem König nichts anderes, als dieser Verfassung die Treue zu schwören.<br />
Ende der Herrschaft<br />
Ludwig war nun faktisch in Gefangenschaft. Am 25. Juli veröffentlichte der Herzog von<br />
Braunschweig eine Proklamation, mit der er den Franzosen Krieg androhte, sollten diese<br />
Ludwig oder seiner Familie etwas antun. Dies wurde von den <strong>Revolution</strong>ären als Beweis<br />
einer Kollaboration von Ludwig XVI. mit den Feinden Frankreichs verstanden. Nach dem<br />
Sturm auf die Tuilerien <strong>und</strong> nach dem Massaker an der <strong>Schweizergarde</strong>, dem letzten noch<br />
verbliebenen Schutz des Königs, wurde die königliche Familie am 1<strong>3.</strong> August 1792 im<br />
Temple eingekerkert. Marie-Antoinette verhandelte in dieser Zeit insgeheim mit ihrem Bruder<br />
Kaiser Leopold II. von Österreich über eine Intervention der europäischen Monarchien. Am<br />
21. September 1792 rief der Nationalkonvent die Republik aus, <strong>und</strong> am 11. Dezember machte<br />
er dem König den Prozess wegen „Verschwörung gegen die Freiheit <strong>und</strong> Sicherheit des<br />
Staates“. Zu denen, die für das Todesurteil stimmten, gehörte auch der Herzog von Orléans,<br />
bekannt unter dem Namen Philippe Egalité, ein Vetter des Königs <strong>und</strong> einer der treibenden<br />
Kräfte des Umsturzes. Am 21. Januar 1793 wurde Ludwig XVI. <strong>und</strong> am 16. Oktober 1793<br />
Marie-Antoinette auf der heutigen Place de la Concorde mit der Guillotine hingerichtet. Bis<br />
zum Schluss gab es Pläne, beide noch auf ihrem letzten Gang zu befreien. Selbst der<br />
Scharfrichter Henri Sanson, ein Royalist, wurde mit einbezogen.<br />
Persönlichkeit<br />
Ludwig wuchs als Duc de Berry in einer fast bürgerlich anmutenden Familie auf, in der sich<br />
das Prinzenpaar persönlich um die Kinder <strong>und</strong> deren Erziehung kümmerten. Ludwigs Vater<br />
war gebildet <strong>und</strong> von hoher moralischer Integrität. Trotzdem litt Ludwig unter der<br />
Zurücksetzung hinter seinen älteren Brüdern. Ludwig erwies sich als intelligenter Schüler, der<br />
handwerklich begabt <strong>und</strong> wissenschaftlich interessiert war. Bildung <strong>und</strong> moralisches Handeln<br />
waren ihm wichtiger als höfische Repräsentation, wohl auch deshalb gab es Konflikte mit der<br />
Hofgesellschaft, seiner Frau <strong>und</strong> seinen reaktionären Brüdern. Ludwig XVI. war ein ehrlicher<br />
Mensch mit guten Absichten, dem es aber nicht möglich war, die Monarchie ausreichend zu<br />
reformieren <strong>und</strong> der deshalb zum Sündenbock gemacht wurde. Er war ein pflichtbewusster<br />
Mensch, dem zumindest am Anfang das Glück seiner Untertanen sehr am Herzen lag. Auch<br />
war er aufrichtig <strong>und</strong> fleißig <strong>und</strong> während den Unruhen in Versailles furchtlos. Obwohl er ein<br />
gutes Urteilsvermögen hatte, zögerte er zu lange es einzusetzen. Das, was ihm auch zum<br />
Nachteil wurde, war seine mangelnde Energie <strong>und</strong> Willenstärke <strong>und</strong> seine Schüchternheit<br />
40
Louis, Dauphin de France<br />
Duc de Berry, 1754-1793<br />
Der Nachfahre des hl. Ludwig hatte die Chance<br />
verpasst, Frankreich zur konstitutionellen<br />
Monarchie zu führen<br />
König Ludwig XVI<br />
war ein liebevoller Vater <strong>und</strong> Ehemann,<br />
der bis zum Schluss seine Güte <strong>und</strong><br />
Menschlichkeit bewahrte, wobei das Leben ihm<br />
nie die gleiche Geste zuteil werden ließ<br />
Ludwig XVI, Duc de Berry<br />
König Ludwig XVI. um 1775<br />
Wäre er den Ereignissen ab 1789 mit mehr<br />
Entschlossenheit begegnet, hätte die<br />
<strong>Revolution</strong> einen ganz anderen Verlauf<br />
genommen<br />
König Ludwig XVI<br />
Ein Mann, der zurecht die Bezeichnung<br />
"Heiliger" verdient hätte<br />
41
Louis Stanislas, 1755-1824<br />
Graf von Provence<br />
Der spätere Ludwig XVIII.<br />
Clothilde, 1759-1802<br />
Gattin von Karl Emanuel IV.<br />
König von Sardinien<br />
Die Geschwister von Ludwig XVI<br />
Charles Philippe, 1757-1836<br />
Graf von Artois<br />
Der spätere Charles X.<br />
Elisabeth, 1764-1794,<br />
umgeben vom Schatten des nahenden Todes<br />
42
Madame Élisabeth, die jüngere Schwester von Ludwig XVI<br />
Madame Elisabeth, geboren in Versailles am <strong>3.</strong> Mai 1764, war beim Ausbruch der <strong>Revolution</strong><br />
26 Jahre. Eheprojekte mit Erzherzog Joseph <strong>und</strong> dem Herzog von Aosta waren gescheitert<br />
<strong>und</strong> sie lebte allein auf ihrem Landsitz in Montreuil. Während der Großteil des Adels das<br />
Land verließ, entschied sie sich ihrer Familie beizustehen <strong>und</strong> ging nach Versailles: „Ich habe<br />
in guten Tagen so viele Wohltaten empfangen, dass ich es für schändlich hielte, in der St<strong>und</strong>e<br />
der Gefahr nicht an der Seite meines Bruders <strong>und</strong> seiner Kinder zu stehen.“<br />
Sie saß in der Kutsche von Marie Antoinette, als der König 1789 von Versailles nach Paris<br />
genötigt wurde; benahm sich mutig, als <strong>Revolution</strong>äre die Tuilerien stürmten <strong>und</strong> stellte sich<br />
wiederholt schützend vor ihren Bruder, wenn der wilde Pöbel ihn bedrängte. Sie gehörte zum<br />
Gefolge der missglückten Flucht nach Varennes <strong>und</strong> teilte die Haft der Königsfamilie im<br />
Temple. Am 9. Mai 1794 wurde sie vor das <strong>Revolution</strong>stribunal gestellt. Richter Fouquier-<br />
Tinville, selber von adeliger Herkunft, erzwang schon am Tag darauf ihre Verurteilung durch<br />
den Konvent. Ihre letzten Worte galten dem Gehilfen des Scharfrichters, als er ihr auf dem<br />
Schafott das Halstuch von den Schultern riss: „O Monsieur, haben Sie Mitleid!“<br />
43
Ludwig XVI. im Winter 1788 als Wohltäter<br />
„Des trois branches de la Maison Bourbon, sagte Marschall Richelieu, chacune a un<br />
goût dominant et prononcé: l’aînée aime la chasse, les Orléans les tableaux, les<br />
Condé la guerre“ - <strong>und</strong> Ludwig XVI., fragte jemand? „Ah, lui, c’est différant,<br />
antwortete Richelieu, il aime le peuple.“<br />
Ludwig XVI. war ein gütiger <strong>und</strong> frommer König. Marie-Therese, die spätere<br />
Herzogin von Angoulême, sagte über ihren Vater:<br />
Ich sah an ihm nur Frömmigkeit, Seelengrösse, Güte, Mut <strong>und</strong> Geduld, die<br />
unwürdigste Behandlung <strong>und</strong> grausamsten Verleumdungen zu ertragen, Milde,<br />
um von ganzem Herzen seinen Mördern zu verzeihen, Liebe zu Gott, zu seiner<br />
Familie <strong>und</strong> seinem Volke, Liebe, von welcher er bis zu seinem letzten<br />
Augenblicke Zeugnis gab.<br />
44
Vorgeschichte <strong>und</strong> Anlass<br />
Hans-Axel Graf von Fersen<br />
der Organisator der Flucht<br />
Die Flucht nach Varennes<br />
45<br />
Lange hatte sich Ludwig XVI. gegen eine Flucht, die ihm<br />
besonders von Marie-Antoinette nahegelegt wurde,<br />
ausgesprochen. Während die Königin die Erniedrigungen <strong>und</strong><br />
Lebensbedrohung, die sie <strong>und</strong> ihre Familie erdulden mussten,<br />
nicht mehr länger ertrug <strong>und</strong> hoffte, aus der Sicherheit <strong>und</strong><br />
Freiheit des Exils geeignete Maßnahmen gegen die <strong>Revolution</strong><br />
ergreifen zu können, zögerte Ludwig einmal mehr. Außerdem<br />
musste er annehmen, dass nach seiner Flucht möglicherweise der<br />
populäre Herzog von Orléans (Philippe Égalité) oder aber sein<br />
ehrgeiziger Bruder, der Comte de Provence (der spätere Ludwig<br />
XVIII.) versuchen würde, die Macht zu erringen. Am 2. April<br />
war der Graf Mirabeau, inoffizieller Berater des Königs,<br />
überraschend gestorben. Seine letzten Worte, die er mit<br />
ersterbender Hand auf einen Zettel schrieb, waren: “Fliehen!<br />
Fliehen! Fliehen!” Ludwig aber blieb. Ein Gesinnungswechsel<br />
stellte sich erst ein, als man ihn, aus Furcht er könne flüchten, am 18. April daran hinderte den<br />
alljährlichen Osterausflug der königlichen Familie nach Saint-Cloud zu unternehmen.<br />
Der Fluchtplan<br />
Es war geplant, dass die königliche Familie<br />
sich bei einer Flucht nicht trennen werde, wie<br />
es zweifellos sicherer gewesen wäre, sondern<br />
sich, gemeinsam in einem Reisewagen<br />
fahrend, zunächst in eine grenznahe Stadt mit<br />
Befestigung begeben werde, um nur im<br />
äußersten Notfall in die Österreichischen<br />
Niederlande (heute Belgien <strong>und</strong> Luxemburg)<br />
abzureisen. Die Gouvernante der Kinder, die<br />
spätere Duchesse de Tourzel, sollte unter dem<br />
Namen der Baronin Korff die Herrin der Reisegesellschaft mimen. Die Königin Marie<br />
Antoinette sollte die Kammerfrau, der König den Kammerdiener spielen. Madame Elisabeth,<br />
die Schwester des Königs, gab sich als die Kinderfrau des kleinen Dauphin (Ludwig XVII.)<br />
<strong>und</strong> der Madame Royal (Marie-Therese-Charlotte) aus. Zudem reisten drei Leibgardisten mit<br />
<strong>und</strong> Marie-Antoinettes Favorit Graf von Fersen (1), der die Flucht maßgeblich organisiert<br />
hatte <strong>und</strong> selber die Kutsche fuhr. Die echte Baronin Korff war zur Sicherheit die selbe<br />
Strecke mit der gleichen Anzahl von Begleitern gefahren. Niemand hatte sie nach ihrem Pass<br />
gefragt. Der Oberkommandierende für Lothringen, das Elsass <strong>und</strong> die Franche-Comté, der<br />
Marquis de Bouillé, ein Vertrauter des Königs <strong>und</strong> Cousin von Marquis de la Fayette. sollte<br />
die Flüchtlinge hinter Châlons mit Soldaten erwarten <strong>und</strong> sicher nach Montmedy begleiten.<br />
__________<br />
(1) Der gut aussehende Schwede Axel von Fersen war dank seines Charmes <strong>und</strong> seines Witzes ein<br />
gern gesehener Gesellschafter am französischen Hof. Er war Offizier, Diplomat <strong>und</strong> Philantrop, der<br />
sich nicht scheute auch einmal einem Bauern zu helfen. Doch die <strong>Revolution</strong> <strong>und</strong> der Tod von Marie<br />
Antoinette hatte seinen Charakter verändert. Er wurde zum Tyrannen in seinem Land <strong>und</strong> entwickelte<br />
einen Hass auf das einfache Volk.
Die Flucht<br />
Madame de Tourzel<br />
Kleinere Zwischenfälle hatten die Flucht, die zunächst vom 12. Juni<br />
auf den 15. Juni verschoben worden war, bis zum 20. Juni, einem<br />
Montag, verzögert. Um keinen Verdacht zu erregen, waren die<br />
Königin <strong>und</strong> die Kinder noch am Abend im Garten spazieren<br />
gegangen. Marie-Antoinette hatte Anweisungen für eine kleine<br />
Ausfahrt für den folgenden Tag gegeben <strong>und</strong> sich dann<br />
zurückgezogen. Hierauf wechselten alle ihre Kleidung, der Dauphin<br />
musste Mädchenkleider tragen, <strong>und</strong> begaben sich in einzelnen<br />
kleinen Gruppen durch den Personalausgang ins Freie, wo sie eine<br />
Droschke erwartete. Zunächst kam die Tourzel mit den Kindern,<br />
danach Madame Elisabeth mit einem Leibgardisten. Sie berichtete,<br />
dass sich kurzfristig der General Lafayette <strong>und</strong> der Bürgermeister<br />
Bailly zu einer Abendaudienz eingef<strong>und</strong>en hätten. Die Abfahrt<br />
verzögerte sich um fast zwei St<strong>und</strong>en bis Ludwig endlich kam <strong>und</strong><br />
wenig später Marie Antoinette.<br />
Doch auch jetzt ging nicht alles reibungslos vonstatten. Außerhalb der Stadt war die Familie<br />
in einen geräumigen Reisewagen umgestiegen, dessen Gespanne zwischen Nintré <strong>und</strong><br />
Châlons zwei Mal stürzten, wobei die Zügel rissen. Es brauchte mehr als eine St<strong>und</strong>e, den<br />
Schaden zu beheben. Die Verspätung der Flüchtlinge brachte währenddessen die Soldaten des<br />
Marquis de Bouillé in Verlegenheit. Sie hatten das Aufsehen der Bevölkerung erregt, <strong>und</strong><br />
Bouillé zog sie zurück. Gegen 8 Uhr abends des 21. Juni erreichte der Wagen unbehelligt<br />
Sainte-Menehould. Hier wurde der König vom Sohn des Postmeisters erkannt, der sofort nach<br />
Varennes ritt, um Alarm zu schlagen. Als die Kutsche in<br />
dem kleinen Ort ankam, wurde sie prompt angehalten.<br />
Am folgenden Tag wurden der König <strong>und</strong> seine Familie,<br />
begleitet von Angehörigen der Nationalgarde, nach Paris<br />
zurückgeschickt. Eine stets wachsende Menschenmenge<br />
begleitete den Wagen unter wüsten Beschimpfungen.<br />
Einmal mehr hatte sich der König wegen seiner<br />
schwächlichen Haltung <strong>und</strong> wegen seines Mangels an<br />
Entschlossenheit nicht durchsetzen können. Dies, die<br />
Verspätung <strong>und</strong> Bouillés Rückzug waren die Gründe für<br />
das Scheitern der Flucht.<br />
Folgen<br />
Da man zu diesem Zeitpunkt keine Alternative zur geplanten Einführung der konstitutionellen<br />
Monarchie hatte, einigte man sich darauf, in der Flucht eine Entführung des Königs zu sehen<br />
<strong>und</strong> diesen im Amt zu belassen. Dieses Vorgehen war noch dadurch erleichtert, dass Bouillé,<br />
der aus Frankreich geflohen war, die Verantwortung für die Entführung übernahm. Dem<br />
geschwächten König, der in einem in Paris zurückgelassenen Memorandum noch die<br />
gewaltsame Auflösung der Nationalversammlung angedroht hatte, blieb nichts anderes übrig<br />
als vor dieser Institution die Verfassung von 1791 zu beschwören, die die Herrschaft des<br />
Königs auf ein suspensives Vetorecht für von der Nationalversammlung ausgearbeitete<br />
Gesetze beschränkte. In Paris mehrten sich Stimmen, die die Absetzung des Königs forderten.<br />
Das Vertrauen der meisten Abgeordneten war erschüttert, <strong>und</strong> die extremen Gruppierungen<br />
hatten starken Auftrieb erhalten.<br />
46<br />
Louis d’Or mit dem Portrait des Königs<br />
an Hand dessen man Ludwig XVI.<br />
in Varennes erkannte
La Chapelle expiatoire <strong>und</strong> die Basilika Saint Denis<br />
Wenn man in Paris ein Denkmal für Ludwig XVI. <strong>und</strong> Marie-Antoinette sucht, findet man es<br />
auf dem Square Louis XVI. an der rue d’Anjou. Dort erhebt sich über dem ehemaligen<br />
Friedhof der Madeleine Kirche, wo während der <strong>Revolution</strong> die Guillotinierten begraben<br />
wurden, die Chapelle expiatoire. Obwohl Napoleon die französische Nation als solche von<br />
den Verbrechen der <strong>Revolution</strong> reinzuwaschen suchte, hat sich diese nie vom Geschehenen<br />
distanziert. Deshalb gibt es auch kein Sühnedenkmal aus öffentlichen Geldern. Die Chapelle<br />
expiatoire, entstanden während der Restauration unter Ludwig XVIII. ist eine rein dynastische<br />
Stiftung aus Mitteln des <strong>Königshaus</strong>es. Dort liegen auch die Gebeine der gefallenen<br />
Schweizer neben den Massengräbern der Enthaupteten. Die Reihen der symbolischen<br />
Grabplatten erinnern dabei an die gefallenen Schweizergardisten, die so, zusammen mit den<br />
übrigen Opfern, wie eine imaginäre Ehrenformation den Weg zum Ort des Königsgrabes von<br />
Louis XVI. <strong>und</strong> Marie-Antoinette säumen. Die Gebeine des Königs <strong>und</strong> der Königin wurden<br />
allerdings in die Basilika Saint Denis verbracht, wo alle Könige Frankreichs ruhen.<br />
Ludwig XVI <strong>und</strong> Marie Antoinette in der Kirche Saint Denis in Paris<br />
Grab in der Basilika Saint Denis in Paris Grab in der Basilika Saint Denis in Paris<br />
47
Das Schweizer Garderegiment in französischen Diensten<br />
Die Kapitulationen<br />
Die Schweizer im Dienste der französischen Könige<br />
betrachteten sich als Verbündete, da sie aufgr<strong>und</strong> von<br />
Kapitulationens- oder Allianzverträgen zwischen den<br />
französischen Königen <strong>und</strong> den schweizerischen<br />
Kantonen angeworben wurden. Es handelte sich um<br />
Staatsverträge, die Rechte <strong>und</strong> Pflichten aller Beteiligten<br />
regelten. Zwischen 1444 <strong>und</strong> 1816 wurden etwa 180<br />
derartige Verträge abgeschlossen. Gegen eine Million<br />
haben in den schweizerischen Regimentern in Frankreich<br />
Dienst geleistet, <strong>und</strong> über 600.000 sind gefallen. Die<br />
zuletzt 12 Regimenter, die mit Ausnahme der Garde den<br />
Namen der Regimentsinhaber trugen, haben an allen<br />
Kriegen der französischen Könige seit Karl IX.<br />
teilgenommen <strong>und</strong> zwischen 1616 <strong>und</strong> 1760 in weit über<br />
100 Schlachten <strong>und</strong> Belagerungen mitgefochten.<br />
Das Garderegiment<br />
Fähnrich der H<strong>und</strong>ertschweizer<br />
Ein innerhalb der ganzen königlichen Armeen bevorzugtes Korps war das 1616 in Tours von<br />
Ludwig XIII. aufgestellte "Régiment des Gardes Suisses". Es gehörte zum „Maison Militaire<br />
du Roi“ <strong>und</strong> bildete zusammen mit dem "Régiment des Gardes Françaises" die französische<br />
Gardebrigade. Die französischen Regimenter trugen blaue, die schweizerischen die rote<br />
Uniform. Stulpen <strong>und</strong> Aufschläge waren königsblau mit weissen Verzierungen. Die Füsiliere<br />
trugen weiss bordierte Dreispitzhüte mit weisser Kokarde, die Grenadiere die hohe<br />
Bärenmütze. Die weissgepuderten Haare waren auf beiden Seiten aufgerollt. Die Grenadiere<br />
<strong>und</strong> die Generalkompanien trugen auch nach dem Reglement von 1780 noch den Zopf. Die<br />
Offiziere zeichneten sich durch silberne Ringkragen, silberne Achselstücke, blaue <strong>und</strong><br />
goldene Schlagbänder <strong>und</strong> Halbschuhe mit silbernen Schnallen aus.<br />
1789 hatte das Regiment einen Bestand von 2.416 Mann, davon 90 Offiziere. Es war<br />
eingeteilt in einen Stab, vier Bataillone <strong>und</strong> eine Artilleriekompanie mit 8 Geschützen. Das<br />
erste Bataillon bestand aus sieben, die übrigen aus vier Kompanien mit je einer<br />
Grenadierkompanie. Die 1. Kompanie des 1. Bataillons war die sogenannte<br />
Generalskompanie, in die nur, wie übrigens auch in die Grenadierkompanien, Soldaten mit<br />
einer Körpergrösse von mindestens 1,80 m eingeteilt wurden. Bekannt war das aus 88 Bläsern<br />
bestehende Regimentsspiel, das regelmässig in Paris Konzerte gab. Die Mannschaft <strong>und</strong> die<br />
Offiziere rekrutierten sich im Gegensatz zu den übrigen Schweizerregimentern, für die immer<br />
ein oder mehrere Kantone zuständig waren, aus der ganzen damaligen Schweiz. Häufig waren<br />
Übertritte aus den andern Schweizerregimentern. Sie wurden in den Kompanien <strong>und</strong><br />
Bataillonen gemäss ihrer Herkunft zusammengefasst. In jedem Falle mussten Empfehlungen<br />
der bisherigen Vorgesetzten oder der Heimatbehörden beigebracht werden. Es galt als<br />
Auszeichnung, ins Garderegiment einzutreten. Das Regiment versah den Wachtdienst in den<br />
königlichen Schlössern des Louvre, in Versailles, Marly, St.-Cloud, Fontainebleau <strong>und</strong> in den<br />
Tuilerien. Der Paradedienst <strong>und</strong> die Mitwirkung bei allen Anlässen des Hofes nahmen viel<br />
Zeit in Anspruch. Daneben wurde Gefechtsausbildung in der Ebene von Sablons betrieben.<br />
Berühmt waren auch sein präzises Paradeexerzieren <strong>und</strong> die farbenprächigenVorbeimärsche,<br />
die in Paris immer ein grosses Publikum anzogen.<br />
48
Die Unteroffiziere des Garderegimentes waren den Leutnants <strong>und</strong> Oberleutnants der<br />
gewöhnlichen Linienregimenter gleichgestellt. Die Leutnants bekleideten den Rang eines<br />
Obersten, die Hauptleute den eines Brigadegenerals oder Maréchal de Camp, der<br />
Regimentskommandant <strong>und</strong> gelegentlich auch die Bataillonskommandanten hatten die<br />
Stellung <strong>und</strong> Vorrechte eines königlichen Generalleutnants. In allen Feldzügen der<br />
französischen Könige seit Ludwig XIII. wurde das Regiment in kritischer Lage als anerkannte<br />
Kampftruppe eingesetzt. Es bezog den höchsten Sold der ganzen Infanterie.<br />
Ein Eliteverband<br />
Es ist nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass das Offizierskorps eines<br />
derart bevorzugten Verbandes, der während mehr als zwei<br />
Jahrh<strong>und</strong>erten Glanz <strong>und</strong> Macht des französischen<br />
<strong>Königshaus</strong>es verkörperte, als versnobt galt <strong>und</strong><br />
entsprechend beneidet war. Die Offiziersstellen waren<br />
ausschliesslich den Angehörigen der regimentsfähigen<br />
Familien in den Kantonen vorbehalten, deren Offiziere oft<br />
zu Generals- <strong>und</strong> Adelspatenten kamen, die ihnen die<br />
Heimat nicht geben konnte. Auch finanziell war der fremde<br />
Kriegsdienst interessant, jedenfalls so lange, als Regiments-<br />
<strong>und</strong> Kompanieinhaber Eigentümer ihrer Verbände waren<br />
<strong>und</strong> sie wie ein privates Geschäft betrieben. Die<br />
bekanntesten Familien der besonders nach Frankreich<br />
orientierten Kantone, wie Freiburgs, Solothurns, Luzerns,<br />
Berns, Graubündens, stellten während Generationen<br />
Offiziere im Schweizer Garderegiment. So die Affry,<br />
Besenval, Boccard, Castella, Courten, Diesbach, Erlach,<br />
Hallwyl, Maillardoz, Montmollin, Pfyffer, Planta, Reynold,<br />
Roll, Salis, Sonnenberg, Zurlauben, um nur einige zu<br />
nennen. Der Eid, der jeder Angehörige des Garderegiments<br />
leisten musste, lautete:<br />
„Comme nous tenons de Dieu notre être et toute notre substance et que nous ne pouvons rien<br />
sans Lui et sans le secours de sa Grace, nous devons l'avoir toujours present a nos yeux. Il<br />
doit être le but principal de nos services et l'unique objet de nos adorations...<br />
Vous jurez devant Dieu, par le Christ notre Seigneur, de conserver l'honneur de la nation<br />
suisse, d'avoir sans cesse devant les yeux sa gloire et son avantage, d'être obeissants et fideles<br />
au Corps helvetique, à vos superieurs, à sa Majeste le roi de France et de Navarre que vous<br />
servirez loyalement, de toutes vos forces tant que votre serment vous attachera à son<br />
service.“<br />
La Maison Militaire du Roi<br />
Ein Schweizer Gardist<br />
präsentiert das Gewehr<br />
Zur Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges betrug die Französische Armee etwa 200.000 Mann.<br />
Sie war wie folgt organisiert: La Maison Militaire du Roi / La Gendarmerie / die Karabiniers,<br />
Artilleristen <strong>und</strong> Bombardiers / 111 Französische Infanterie-Regimenter / 21 Fremde<br />
Infanterie-Regimenter, wovon 12 Schweizer Linien-Regimenter / 60 Kavallerie-Regimenter /<br />
15 Dragoner-Regimenter<br />
La Maison Militaire du Roi bildete als Elitetruppe des Königs ein separater Teil der Armee<br />
<strong>und</strong> setzte sich wie folgt zusammen:<br />
49
4 Kompanien der Leibgarde, Gardes du Corps, die dem französischen Adel vorbehalten<br />
waren <strong>und</strong> im Feld den rechten Flügel bildeten<br />
1 Regiment Französische Garden, die ranghöchste Infanterieeinheit, die im Feld das<br />
Zentrum der ersten Reihe bildete <strong>und</strong> rechts neben der Schweizer Garde positioniert war<br />
1 Regiment Schweizer Garden, das unter eigenem Kommando stand <strong>und</strong> im Feld in der<br />
ersten Reihe links neben dem Regiment der Französischen Garden positioniert war. Ihre<br />
Offiziere rekrutierten sich aus den schweizerischen Adelspatriziaten. Es war das vornehmste<br />
<strong>und</strong> angesehenste Regiment in der französischen Armee. Die Französischen <strong>und</strong> die<br />
Schweizer Garden zusammen bildeten die französische Gardebrigade.<br />
1 Kompanie Gendarmen, Teil der königlichen Leibwache (war dem französischen Adel<br />
vorbehalten)<br />
1 Kompanie H<strong>und</strong>ert-Schweizer, Teil der königlichen Leibwache, unterstand französischem<br />
Kommando aber schweizerischer Rechtsprechung. Im Feld marschierte die Kompanie<br />
zusammen mit dem Schweizer Garderegiment.<br />
1 Kompanie Leichte Reiterei unter dem Kommando des Königs<br />
2 Kompanien Musketiere für junge französische Adelige, die am Beginn ihrer militärischen<br />
Karriere standen. Ins Feld zogen sie zu Pferd <strong>und</strong> standen unter dem Kommando des Königs<br />
1 Kompanie Grenadiere zu Pferd, stand im Feld rechts neben der Schottischen Garde (nur<br />
dem Namen nach „schottisch“). Sie hatte die Aufgabe, dem Garde du Corps, unter dessen<br />
Kommando sie stand, den Weg freizumachen.<br />
Kommentar<br />
Der glanzvolle Schweizer Militärdienst in der Fremde ist ein spannendes Heldenepos <strong>und</strong><br />
eines der wichtigsten <strong>und</strong> ehrenvollsten Kapitel in der Geschichte der Schweiz. Allerdings<br />
wird der Fremdendienst von der bürgerlichen Geschichtssschreibung in der Schweiz ganz<br />
anders wahrgenommen <strong>und</strong> kaum erwähnt, wohl deshalb, weil die Schweizer stets auf der<br />
Seite der Monarchen standen <strong>und</strong> weil sich das demokratische Bürgertum des 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts mehr mit der eidgenössischen Heldenzeit von 1291 bis 1515 identifizierte als<br />
mit dem aristokratischen Ancien Régime.<br />
Umso mehr wurde diese Heldenzeit (vom Rütlischwur bis zur Schlacht bei Sempach) vom<br />
Bürgertum verklärt <strong>und</strong> als „demokratisch“ beschrieben, obwohl schon damals die Anführer<br />
der Eidgenossen aus den vornehmsten Familien stammten. Aus diesem Kreis sollte sich später<br />
auch die Schweizer Aristokratie entwickeln, aus der sich wiederum die Offiziere in fremden<br />
Diensten rekrutierten. Nach der Abschaffung der Fremdendienste um die Mitte des 19.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts instruierten die heimkehrenden Offiziere die nationale Schweizer Armee.<br />
Die heutige links-ideologische Geschichtsschreibung richtet sich nicht nur gegen den<br />
militärischen Fremdendienst sondern stellt auch die eidgenössische Heldenzeit <strong>und</strong> die<br />
moderne Schweizer Armee in Frage.<br />
Das Waffenhandwerk war für den Ritter <strong>und</strong> Adeligen ein ehrenvoller Beruf, der seinen<br />
Dienst auch einem fremden Fürsten zur Verfügung stellen konnte. Das war in der damaligen<br />
Zeit nichts Aussergewöhnliches, wie unter andern auch das Beispiel des in Paris geborenen<br />
Savoyers Prinzen Eugen zeigt, der in österreichischen Diensten stand, ohne dass er von<br />
irgendeiner Seite je als Söldner bezeichnet worden wäre. Diesen abwertenden Begriff findet<br />
man nur in der bürgerlichen Geschichtsschreibung der Schweiz. Gonzague de Reynold fragte<br />
einmal mit Recht, ob es denn so viel ehrenvoller sei, der Welt mit der Aktentasche unter dem<br />
Arm zu dienen als mit dem Degen in der Hand. (vgl. Seite 6)<br />
50
Galanterie mit Offizieren des<br />
Schweizer Garderegiments im<br />
Garten von Versailles<br />
Vor den Gitterzäunen des Schlossses Versailles<br />
Galanterie mit Offizieren des<br />
Schweizer Garderegiments im<br />
Garten von Versailles<br />
König Ludwig XV. <strong>und</strong> hohe französische <strong>und</strong> schweizerische Offiziere<br />
inspizieren eine Abteilung des Schweizer Garderegiments<br />
Hinten im äusseren Schlosshof befinden sich noch je drei Reihen<br />
der Gardes Françaises (links) <strong>und</strong> der <strong>Schweizergarde</strong> (rechts)<br />
51
Die Stadtseite des Corps de Logis von Versailles mit dem Marmorhof<br />
Im Flügel rechts unter dem privaten Schlafgemach <strong>und</strong> Uhrenkabinett des Königs<br />
befand sich im Parterre die Wohnung des Kommandanten der Garde<br />
François de Reynold, von Fribourg<br />
1642-1722<br />
Kommandant der <strong>Schweizergarde</strong><br />
Generaloberst der Schweizer <strong>und</strong> Bündner r<br />
Gemälde von Hyacinthe Rigaud, dem<br />
bekannten Hofmaler, von dem auch das<br />
Paradegemälde von Ludwig XIV stammt.<br />
Johann-Jakob von Erlach, von Bern<br />
1628-1694<br />
Kommandant der <strong>Schweizergarde</strong><br />
Einmal, es war in den Gärten von<br />
Versailles, fragte ihn Ludwig XIV: „Dites<br />
d’Erlach, on dit que vous me ressemblez,<br />
est-ce que votre mère était à Paris?“ „Non<br />
Sire, mais mon père“, war die prompte<br />
Antwort des Berners<br />
52
Medaille zum<br />
10. August 1792<br />
Der 10. August 1792<br />
Am 10. August 1792 bricht der Thron der Bourbonen zusammen. Die<br />
Armee bestand nicht mehr. Um den Monarchen wehrlos zu machen, hatte<br />
man es verstanden, sie auf alle Weise zu desorganisieren. Es blieben dem<br />
König nur noch einige treue Bataillone der Nationalgarde <strong>und</strong> das<br />
Schweizer Garderegiment, das am gleichen Tag in einem aussichtslosen<br />
Kampf um das königliche Schloss der Tuilerien in Paris gegen<br />
organisierte militärische Verbände der <strong>Revolution</strong> <strong>und</strong> unorganisierte,<br />
fanatisierte Massen fast vollständig vernichtet worden war.<br />
Am 7. August hatte man 300 Mann vom Regiment in die Normandie<br />
geschickt, um dem König bei einem geplanten Fluchtversuch zu Diensten<br />
zu sein. Sie waren für den entscheidenden 10. August verloren. Am 9.<br />
August waren die Schweizer Bataillone auf Befehl von ihren Kasernen in<br />
Rueille <strong>und</strong> Courbevoye nach Paris marschiert. Inzwischen war überall in<br />
der Stadt Bewegung. Man rüstete zum Zug auf das Schloss. Dort war der<br />
König, einmal mehr, ratlos. In der Nacht bezog die Garde ihre Posten. Lamartine schrieb:<br />
“Les uniformes rouges de ces huit cents Suisses assis ou couches sur les paliers sur les<br />
degrees sur les rampes, faisant ressembler d’avance l’escalier des Princes à un torrent de<br />
sang”. Tags darauf meinten die Minister des Königs, er solle sich in den Schutz der<br />
nahegelegenen Nationalversammlung begeben. Die Schweizer Offiziere rieten von einem<br />
solchen Vorhaben ab. Dennoch machte sich Ludwig XVI., hoffend damit ein Blutvergiessen<br />
zu verhindern, auf den Weg, nachdem er ein letztes Mal, traurig <strong>und</strong> schlecht gekämmt, die<br />
Truppe inspizierte <strong>und</strong> sie ermahnte nicht als erste zu schiessen. Nur vom Eid, den die<br />
Schweizer auf seine Person geleistet haben, hat er sie nicht entb<strong>und</strong>en. Es folgten ihm in die<br />
Nationalversammlung seine Familie, die Minister, der Stab des Schweizer Regiments sowie<br />
eine Eskorte von 100 Schweizern <strong>und</strong> 50 Nationalgardisten. Auf dem Weg begleiteten sie die<br />
Drohungen <strong>und</strong> Beschimpfungen der Menge. Viele Schweizer wurden unterwegs ermordet,<br />
<strong>und</strong> in der Nationalversammlung verhaftete man die Stabsoffiziere, de Maillardoz <strong>und</strong> von<br />
Bachmann, die beide ebenfalls ermordet wurden.<br />
So opferte der König sich <strong>und</strong> die Seinen, entledigte sich seines einzigen Schutzes <strong>und</strong> wurde<br />
zum Gefangenen der Nationalversammlung. Der Marseiller <strong>Revolution</strong>är Barbaroux schrieb<br />
in seinen Memoiren: “Alles sicherte dem Hof den Sieg, wenn der König nicht seinen Posten<br />
verlassen hätte”. Die Zurückgebliebenen Schweizer <strong>und</strong> eine Handvoll treugebliebener<br />
Nationalgarden taten nun W<strong>und</strong>er der Tapferkeit <strong>und</strong> Pflichttreue. Der Befehl führte der<br />
amtsälteste Hauptmann Jost von Dürler. Zu ungezählten Tausenden belagerten die Aufrührer<br />
das Schloss <strong>und</strong> unternahmen alle Anstrengungen, die Schweizer zum Abfall <strong>und</strong> zum<br />
Anschluss an den Aufruhr zu überreden. “Ich hielte mich entehrt, wenn ich mich Euch ergäbe.<br />
Last mich auf meinem Posten, ich werde Euch kein Leid antun. Aber wenn ihr mich angreift,<br />
werde ich mich zum Äussersten verteidigen. Ich bin für mein Verhalten den Kantonen, meinen<br />
Oberen, verantwortlich. Niemals werde ich die Waffen niederlegen.” (1)<br />
Todesmutig fochten nun die Verteidiger zusammen mit einer Handvoll Adeliger das von<br />
seinem Herrn verlassene Schloss gegen eine fünfzig bis h<strong>und</strong>ertfache Übermacht. Als der<br />
König die Schiesserei hörte, sandte er den Marschall d’Hervilly mit dem Befehl: “Der König<br />
befiehlt den Schweizern, sich in die Kasernen zurückziehen.” In der Aufregung teilte der<br />
Marschall dies nur mündlich mit <strong>und</strong> sagte, man habe sich zum König in die<br />
Nationalversammlung zu begeben. Dürler, der den König in Gefahr glaubte, trat mit 200<br />
Mann den Weg dorthin an. Unterwegs fielen 50 von ihnen im Kugelhagel. Angekommen in<br />
der Nationalversammlung lösten die Schweizer Angst <strong>und</strong> Schrecken aus <strong>und</strong> viele flüchteten<br />
53
durch die Fenster. Einige aber umringten den König <strong>und</strong> drohten diesen zu töten, falls die<br />
Schweizer sich nicht zurückzögen. Dem König blieb nichts anderes als ein neuer<br />
unglückseliger Befehl: “Der König befiehlt den Schweizern, augenblicklich die Waffen<br />
niederzulegen <strong>und</strong> sich in die Kasernen zurückzuziehen”. Wütend brachten die Schweizer das<br />
letzte Opfer des Gehorsams gegenüber ihrem Kriegsherrn. Aber in die Kasernen konnten sie<br />
sich nicht zurückziehen. So wurden sie das Opfer der fanatisierten Meute, die eine regelrechte<br />
Hetzjagd auf die nun unbewaffneten Schweizer veranstalteten.<br />
Im Schlosse waren noch 450 Schweizer verblieben, welche den Ruf zum Marsche in die<br />
Generalversammlung nicht gehört hatten. Sie waren einer an Zahl h<strong>und</strong>ertfach überlegenen<br />
Feinden preisgegeben <strong>und</strong> wurden, einer nach dem andern, gnadenlos niedergemacht. In der<br />
Nähe des Karusselplatz verfolgte der damals 23 jährige Artillerieoffizier Napoleon Bonaparte<br />
das Gemetzel. Am Kampf ist er nicht beteiligt, aber derart beeindruckt, dass er noch nach 24<br />
Jahren schreibt: “Das Schloss wurde von der gemeinsten Kanaille angegriffen. Nach der<br />
Erstürmung des Palastes <strong>und</strong> nachdem sich der König in die Nationalversammlung begeben<br />
hatte, wagte ich mich in den Garten .hinein. Auf keinem meiner Schlachtfelder habe ich<br />
seither den Eindruck erhalten, soviele Leichen zu sehen wie hier beim Anblick der grossen<br />
Masse toter Schweizer.” Dann beobachtet er um die Tuilerien herum Pariser Frauen, die sich<br />
in unanständiger Weise an Leichnamen von Schweizern vergreifen <strong>und</strong> Überlebende grausam<br />
hinschlachteten<br />
Die vollständige Vernichtung des Regimentes an einem einzigen Tag (viele Überlebende<br />
wurden in den Gefängnissen ermordet oder endeten unter der Guillotine) war eine<br />
menschliche <strong>und</strong> militärische Tragödie. Dies umso mehr als der aussichtslose Kampf den<br />
Verlauf der Französischen <strong>Revolution</strong> in keiner Weise beeinflusst hat <strong>und</strong> die Garde, die auf<br />
die Person des Königs vereidigt war, ein leeres Schloss verteidigte. Zweifellos wäre es anders<br />
gekommen, hätte der König nur mehr Entschlossenheit gezeigt. Sein heiligmässiger<br />
Pazifismus hatte die Aufständischen seit Beginn der <strong>Revolution</strong> zu immer grösserer Kühnheit<br />
ermutigt. Damit hatte er nicht nur seine Person sondern auch seine gesamte Familie, die<br />
Garde <strong>und</strong> letzlich viele Tausende von Unschuldigen mit in den Untergang gerissen.<br />
Das direkte politische Motiv der Schweizergardisten fehlte. Sie betrachteten die Vorgänge in<br />
Frankreich eher gleichgültig. Dagegen war der Wunsch massgebend, vor ihren<br />
Heimatkantonen, deren Behörden <strong>und</strong> Bevölkerung in der St<strong>und</strong>e der Gefahr zu bestehen. Der<br />
Dienst in Frankreich war auf Staatsverträgen abgestützt <strong>und</strong> mit der Zeit schienen Ehre <strong>und</strong><br />
Ansehen der Schweiz von der Haltung <strong>und</strong> Tüchtigkeit der schweizerischen Regimenter in<br />
Frankreich abzuhängen. Zudem bestand eine starke persönliche Bindung zwischen Regiment,<br />
dem König, der Königin <strong>und</strong> den Kindern, so dass sich die Frage der Loyalität des Regiments<br />
dem Monarchen <strong>und</strong> Marie-Antoinette gegenüber überhaupt nie stellte. Dass dies eine<br />
wirksame emotionelle Komponente war, geht aus allen geschriebenen Briefen <strong>und</strong><br />
Tagebüchern hervor. Entscheidend war aber das stark entwickelte Ehr- <strong>und</strong> Elitegefühl,<br />
welches diesen in einer starken Tradition verankerten <strong>und</strong> durch einen ausgesprochenen<br />
Korpsgeist zusammengehaltenen Soldaten überhaupt keine andere Wahl liess, als ihren<br />
Auftrag getreu ihrem Eid bis zur letzten Konsequenz zu erfüllen, auch wenn dieser sinnlos<br />
erschien. Im Kampf der Schweizergardisten liegt deshalb etwas wie antike Grösse, auch wenn<br />
man den 10. August nur als eine geschichtlich bedeutungslose Episode bewertet.<br />
__________<br />
(1) Diese Worte richtete Dürler an den Anführer der Angreifer, einen gewissen François-Joséph<br />
Westermann, der am 20. Juni 1793 in der Vendée den von 6.000 Royalisten verteidigten Ort<br />
Parthenay angriff <strong>und</strong> anschliessend dem Wohlfahrtsausschuss meldete: „Es gibt keine Vendée mehr.<br />
Sie ist mit unserem Säbel der Freiheit niedergemacht worden, mit samt Frauen <strong>und</strong> Kindern. Es gibt<br />
keine Gefangenen, die mich anklagen könnten. Ich habe alle ausgelöscht.“<br />
54
Gefecht zwischen den roten Schweizer Gardisten <strong>und</strong> den anstürmenden Massen im Cour<br />
Royale vor dem Tuilerienschloss. Das Kräfteverhältnis war etwa 100:1 zu Gunsten des<br />
Aufständischen, wobei diese noch schwere Geschütze mit sich führten <strong>und</strong> die Schweizer<br />
nur leicht bewaffnet waren <strong>und</strong> über beschränkten Munitionsvorrat verfügten. Ausserdem<br />
war der Bestand der Garde durch das in die Normandie abkommandierte Detachement<br />
erheblich reduziert. Das Ende der Garde bedeutete unmittelbar auch das Ende des Königs.<br />
Situationsplan der Tuilerien mit den Gärten links, dem nicht mehr bestehenden<br />
Königsschloss (1) in der Mitte <strong>und</strong> rechts die Gegend des heutigen Louvre. Die Pfeile<br />
markieren die Einfallsachsen Aufständischen gegen die das das Schloss verteidigenden<br />
Schweizer. Das Königsschloss brannte 1871 beim Aufstand der Pariser Kommune nieder.<br />
Beileibe nicht alle adeligen Schweizer waren königstreu, wie u.a. das Beispiel des Luzerner<br />
Patriziers Maurus Meyer von Schauensee zeigt, der der Aide de camp von La Fayette war<br />
<strong>und</strong> später als General unter Napoleon diente, sich dann aber mit diesem überwarf <strong>und</strong><br />
strafversetzt auf den Antillen am Fieber starb.<br />
55
Das von Karl Pfyffer von Altishofen in Auftrag gegebene <strong>und</strong><br />
von zahlreichen gekrönten Häuptern finanzierte Löwendenkmal von Luzern<br />
Gewidmet den ihrem Eid gehorchend, bei der Verteidigung der Tuilerien am<br />
10. August 1792 gefallenen 26 Offiziere <strong>und</strong> 760 Unteroffiziere <strong>und</strong> Soldaten des<br />
Schweizer Garderegiments<br />
Die Liste zeigt die in der Kapelle beim Löwendenkmal aufgeführten Offiziere<br />
In der Mitte links die Gefallenen, rechts die Entkommenen<br />
Jeweils ganz aussen die Namen derjenigen, die im Urlaub waren<br />
56
Das Innere der Kapelle beim Löwendenkmal in Luzern<br />
gestiftet von Marie-Therese, Herzogin von Angoulême<br />
Tochter von Marie Antoinette <strong>und</strong> Ludwig XVI<br />
Dargestellt sind die Fahnen des Schweizer Garderegiments sowie<br />
die Namen <strong>und</strong> Wappen der überlebenden <strong>und</strong> getöteten Offiziere<br />
O Louis, o mon Roi, si tout le monde t’abandonne,<br />
pour notre coeur c’est une lois d’être fidèle à ta personne<br />
Unbekannte Opfer des 10. August in den Katakomben von Paris<br />
57
Offiziere des Schweizer Garderegiments zur Zeit der <strong>Revolution</strong><br />
Louis-Auguste-Augustin Comte d'Affry, aus<br />
Fribourg, Seigneur de Saint-Barthélémy et Bretigny,<br />
1713-1793,. Generalleutnant <strong>und</strong> Administrator der<br />
Schweizer <strong>und</strong> Bündner Truppen in französischen<br />
Diensten, Oberst der königlichen <strong>Schweizergarde</strong>,<br />
Militärgouverneur von Paris <strong>und</strong> Botschafter der<br />
Eidgenossenschaft in Frankreich.<br />
Louis-Augustin entstammte dem alten Freiburger<br />
Adelsgeschlecht der Affry, die seit 1536 zahlreiche<br />
Offiziere der Schweizer Truppen in französischen<br />
Diensten gestellt hatten. Über seine Mutter, Marie<br />
von Diesbach-Steinbruck, war er mit der Berner<br />
Aristokratie verb<strong>und</strong>en. Sein Vater, François d'Affry,<br />
stieg in den Kriegen in Italien bis zum<br />
Generalleutnant auf <strong>und</strong> trug seit 1715 den Orden des<br />
Heiligen Ludwig. Er kam 1734 in der Schlacht bei<br />
Guastalla um. Da sein Onkel, Hans Friedrich von<br />
Diesbach-Steinbruck, Kabinettschef am Hof des<br />
deutschen Kaisers war, übernahm der Kaiser die<br />
Patenschaft von Louis-Augustin.<br />
Louis-August-Augustine Graf d’Affry<br />
Generalleutnant, Oberst der<br />
<strong>Schweizergarde</strong>, Militärgouverneur von<br />
Paris, Botschafter der Eidgenossenschaft<br />
in Frankreich<br />
Louis-Augustin trat 1725 als Kadett in die französische <strong>Schweizergarde</strong> ein <strong>und</strong> stieg 1744<br />
zum Brigadie auf. 1745 war er Kommandant der Schweizer Truppen in der Schlacht bei<br />
Fontenoy, 1748 Maréchal de camp <strong>und</strong> 1758 Generalleutnant. 1755 wurde er bevollmächtiger<br />
Minister <strong>und</strong> zwischen 1759 <strong>und</strong> 1762 Botschafter König Ludwigs XV. in den Niederlanden.<br />
Nach seiner Rückkehr wurde er 1767 Oberst der königlichen <strong>Schweizergarde</strong> in Paris <strong>und</strong><br />
1771 ständiger Gesandter der Eidgenossenschaft in Frankreich. Während der Minderjährigkeit<br />
des Bruders des Königs übernahm er den Oberbefehl über sämtliche Schweizer Truppen in<br />
Frankreich zwischen 1789 <strong>und</strong> 1792. Er erhielt vom französischen König unter anderem 1779<br />
den St.-Ludwigs-Orden <strong>und</strong> als einziger Schweizer 1784 den Orden vom heiligen Geist. Als<br />
aufgeklärter Aristokrat war er seit 1786 Mitglied der Freimaurerloge Société Olympique. In<br />
seinen Pariser Wohnsitzen an der Rue des Saints-Pères <strong>und</strong> der Place Vendôme empfing<br />
d'Affry häufig Vertreter der Pariser Salonwelt sowie zeitgenössische Freidenker <strong>und</strong><br />
Philosophen. So verkehrten bei ihm auch Voltaire <strong>und</strong> Madame Pompadour.<br />
Nach der gescheiterten Flucht Ludwig XVI. am 20./21. Juni 1791 wurde Louis-Augustin<br />
d'Affry zum Kommandanten der Militärdivision von Paris <strong>und</strong> der Île-de-France ernannt <strong>und</strong><br />
legte am 21. Juni den Eid vor der Nationalversammlung ab. Während der <strong>Revolution</strong>szeit fiel<br />
d'Affry sowohl Fre<strong>und</strong>en wie Gegnern der <strong>Revolution</strong> durch sein zögerliches Verhalten auf.<br />
Er versuchte, die Schweizer Truppen aus den Verwicklungen <strong>und</strong> Kämpfen um die<br />
<strong>Revolution</strong> herauszuhalten <strong>und</strong> widerstand starkem Druck aus aristokratischen Kreisen, einen<br />
Militärputsch gegen die Nationalversammlung anzuordnen. D’Affry wollte nur auf Befehl des<br />
Königs <strong>und</strong> nicht auf eigene Faust handeln. Zudem vertraute er den Beschwichtigungen<br />
einflussreicher <strong>Revolution</strong>äre. Angeblich wegen seines hohen Alters <strong>und</strong> von Krankheit<br />
gezeichnet, nahm Affry nicht an der Verteidigung der Tuilerien durch die <strong>Schweizergarde</strong> am<br />
10. August 1792 teil. Trotz der allgemein schlechten Stimmung gegen die Schweizer wurde<br />
d'Affrys Wohnhaus von der Nationalgarde gegen eine aufgebrachte Menge verteidigt, so dass<br />
er als einer der wenigen prominenten Vertreter der Garde den 10. August überlebte. Nach<br />
einem Prozess vor dem <strong>Revolution</strong>stribunal am 2. September wurde er freigesprochen, da er<br />
58
einerseits glaubhaft machen konnte, ein Gegner der Königin (?) zu sein <strong>und</strong> anderseits nicht in<br />
die Ereignisse um den Tuileriensturm eingriff. In der Schweiz wurde seine Rolle kontrovers<br />
diskutiert. Da Frankreich als Folge des 10. August alle Schweizer Truppen entliess, übernahm<br />
er die Heimführung der ca. 50.000 Mann <strong>und</strong> verliess am 20. Oktober 1792 Paris. Danach<br />
lebte er auf dem Familienschloss in Saint-Barthélemy. Louis-Augustin d'Affry war der Vater<br />
von Louis d’Affry, dem ersten Landamann der Schweiz 1803 <strong>und</strong> Grossvater von Charles<br />
d’Affry, Leutnant im Schweizer Garderegiment in Paris <strong>und</strong> Oberst des 4.<br />
Schweizerregiments unter Napoleon.<br />
Pierre-Victor Baron de Besenval, aus Solothurn,<br />
1721-1791. Etwa fünfzig Jahre stand dieser glänzende<br />
Offizier in Frankreichs Dienste <strong>und</strong> nahm an allen<br />
grossen Feldzügen Ludwigs XV. teil. Er war<br />
Ehrenoberstleutnant des Schweizer Garderegiments<br />
<strong>und</strong> Kommandant des 1. Bataillons. Neben seinen<br />
brillanten militärischen Talenten besass er einen<br />
ausgeprägten Sinn für die Künste <strong>und</strong><br />
Wissenschaften. Sein Vater war der Generalleutnant<br />
Peter-Hans-Viktor von Besenval, Gesandter Ludwigs<br />
XIV. bei Karl XII. von Schweden <strong>und</strong> Stanislas<br />
Leczinski von Polen <strong>und</strong> Oberst der Schweizer Garde.<br />
Die Tapferkeit Peter-Viktors, Adjutant des Marschalls<br />
von Broglie <strong>und</strong> des Herzogs von Orleans, hatte ihm<br />
das rote Ordensband von Saint-Louis eingetragen.<br />
1769 hatte Ludwig XV. ihn zum Generalinspektor der<br />
Schweizer <strong>und</strong> Graubündner ernannt. Mit seinen<br />
militärischen Talenten verband Besenval ein<br />
stattliches Aussehen, ein feines <strong>und</strong> regelmässiges<br />
Gesicht, eine umfassende Bildung <strong>und</strong> sehr viel Sinn<br />
Peter-Viktor von Besenval<br />
Generalinspekteur der Schweizer <strong>und</strong><br />
Bündner, Gouverneur der Isle de France<br />
Stadtkommandant von Paris<br />
für die Künste <strong>und</strong> die Literatur. In seiner Jugend ein blendender Offizier, dessen Tapferkeit<br />
an Tollkühnheit grenzte, unverheiratet, umfassend gebildet, Besitzer eines der bekanntesten<br />
Stadthäuser, Mitglied der Kunstakademie <strong>und</strong> anerkannter Naturwissenschafter.<br />
Ein Jahr vor den entscheidenden Ereignissen des Jahres 1792 ist er in seinem Palais an der<br />
Rue de Grenelle, der heute die schweizerische Botschaft beherbergt, gestorben. Sein Einfluss<br />
auf das Regiment <strong>und</strong> auf alle Schweizerregimenter in Frankreich, die 20.000 Rotröcke des<br />
Königs, war tiefgreifend. Als Generalinspekteur der Schweizer <strong>und</strong> Bündner hatte er ihre<br />
Ausbildung während Jahren geleitet <strong>und</strong> ihre Kriegstüchtigkeit verbessert. Bei Ausbruch der<br />
<strong>Revolution</strong> nahm er als Gouverneur der Isle de France <strong>und</strong> Stadtkommandant von Paris eine<br />
Schlüsselstellung ein. Die Erstürmung der Bastille hat er nicht verhindert. Es ist eine offene<br />
Frage, ob dieser kultivierte <strong>und</strong> brillante Schweizer den Verlauf der Weltgeschichte hätte<br />
anders gestalten können, wenn er im entscheidenden Jahr 1789 auf die Ereignisse mit mehr<br />
Entschlossenheit reagiert hätte. Aber man war ja in erster Linie Schweizer, <strong>und</strong> als solcher<br />
wollte man sich nicht in die innenpolitischen Vorgänge in Frankreich einmischen.<br />
Nach den tragischen Ereignissen im Juli 1789, insbesondere nach der Flucht des Königs nach<br />
Varennes, wurde er auf dem Weg nach Solothurn in Brie-Comte-Robert verhaftet <strong>und</strong> nach<br />
Paris zurückgeschleppt. Obgleich die Meute seinen Kopf verlangte, wurde er freigesprochen<br />
<strong>und</strong> starb in seinem Pariser Heim am 2. Juni 1791.<br />
59
Jean-Roch-Frederic Marquis de Maillardoz, aus Fribourg,<br />
1727-1792, trat 1743 in den Dienst Frankreichs, wo er die<br />
Feldzüge nach Flandern <strong>und</strong> den 7-jährigen Krieg mitmachte<br />
<strong>und</strong> bis zum Generalleutnant <strong>und</strong> Ludwigsritter aufstieg. Als<br />
Stellvertreter von Graf d’Affry inspizierte er am Morgen des 10.<br />
August 1792 mit dem König die Garde <strong>und</strong> begleitete die<br />
königliche Familie in die Nationalversammlung. Dort wurde er<br />
verhaftet <strong>und</strong> eingesperrt. Er starb während der<br />
Septembermorde in der Conciergerie. Aus seinen Eingeweiden<br />
wurden Kokarden hergestellt. Auch die Gattin von Jean-Roch-<br />
Frédéric de Maillardoz, Marie-Anne-Bénigne geborene Griset<br />
de Forell (Dame de l'Ordre de la Croix Etoilée), wurde vom<br />
Pariser Pöbel verfolgt. Am <strong>3.</strong> September 1792 hatte sie, versteckt hinter einem Schrank, mit<br />
anhören müssen, auf welche Art ihr Mann Tags zuvor massakriert worden war. Die<br />
Unglückliche musste sich derart zusammennehmen, dass sie Verstand <strong>und</strong> Sprache verlor. Ihr<br />
Sohn Philipp war Generalstabshauptmann unter Napoleon <strong>und</strong> Sonderb<strong>und</strong>sgeneral in Luzern.<br />
60<br />
Charles-Leodegar von Bachmann, aus Glarus, 1734-1792, trat<br />
1749 im 4. Schweizerregiment in den Dienst Frankreichs, wo er<br />
im Garderegiment zum Maréchal de camp aufstieg. Am 10.<br />
August 1792 gehörte er mit Marquis de Maillardoz zu der<br />
Gruppe von Schweizer Offizieren, die die königliche Familie in<br />
die Nationalversammlung begleiteten <strong>und</strong> verhaftet wurden.<br />
Obwohl die Militärverträge der Schweiz mit Frankreich die<br />
eigene Gerichtsbarkeit garantierten <strong>und</strong> die Angehörigen eines<br />
Schweizer Regiments der französischen Rechtssprechung<br />
entzogen, wurde Bachmann vor das <strong>Revolution</strong>stribunal gestellt<br />
<strong>und</strong> wegen „Beleidigung der Nation“ am <strong>3.</strong> guillotiniert. Er<br />
starb tapfer <strong>und</strong> stolz als mutiger Soldat des Königs.<br />
Jost von Dürler, aus Luzern, 1746-1802, trat 1763 ins<br />
Schweizer Garderegiment ein <strong>und</strong> brachte es dort bis zum<br />
Hauptmann im Range eines Oberst. Am 10. August 1792 war er<br />
der ranghöchste in den Tuilerien verbliebener Offizier <strong>und</strong><br />
befehligte die Garde an Stelle des verhafteten de Maillardoz.<br />
Dürler entkam nur knapp dem Massaker <strong>und</strong> gelangte<br />
schliesslich auf abenteuerlichem Weg heil in die Schweiz.<br />
Durch den Grafen von Lille (Ludwig XVIII.) wurde er in<br />
Verona zum Maréchal de camp ernannt., Er trat ins englische<br />
Schweizerregiment von Roll (Royal Etranger) ein <strong>und</strong> starb<br />
nach einer Verw<strong>und</strong>ung 1802 bei Alexandrien als Oberst in<br />
englischen Diensten. Er erhielt den Ludwigsorden, den<br />
türkischen Halbmondorden sowie einen Ehrensäbel. Anna-<br />
Elisabeth Dürler, die Gattin, ist die Tochter des Beat-Fidel<br />
Zurlauben aus Zug, 1720-1799, Generalleutnant in Frankreich, der den österreichischen<br />
Erbfolgekrieg <strong>und</strong> den 7-jährigen Krieg mitmachte, zahlreiche gelehrte Studien<br />
veröffentlichte <strong>und</strong> eine der grössten Sammlungen von Büchern <strong>und</strong> Handschriften besass. Er<br />
war eng befre<strong>und</strong>et mit dem Luzerner Generalleutnant in französischen Diensten Franz-<br />
Ludwig Pfyffer v. Wyher, 1716-1802, dem bekannten Innerschweizer Topographen.
Ludwig von Flüe, aus Sachseln, 1752-1817, war nicht Mitglied<br />
des Garderegiments, spielte aber beim Sturm auf die Bastille<br />
eine Rolle. Damals hatte der Kommandant der Bastille, Graf<br />
von Launay, neben 52 Soldaten noch 30 Schweizer aus dem<br />
Regiment Salis-Samaden zur Verfügung. Diese Schweizer<br />
unterstanden dem Kommando des Kapitänleutnants Ludwig<br />
von Flüe, der seinerseits die Weisungen Launays auszuführen<br />
hatte. Ludwig von Flüe, dessen Ahnen neben Bruder Klaus eine<br />
Reihe profilierter Politiker <strong>und</strong> Offiziere in fremden Diensten<br />
aufweist, erhielt den Beinamen „Louis le Bastillien“. Wäre es<br />
nach ihm gegangen, <strong>und</strong> hätte der Kommandant Graf Launay<br />
nicht (was ihm auch tatsächlich widerfuhr) den „Kopf verloren“<br />
<strong>und</strong> die Tore öffnen lassen, wäre die Bastille vielleicht nie<br />
eingenommen worden, zumal ein Detachement Schweizer unter<br />
der Führung des Luzerners Johann Göldlin v. Tiefenau (dem späteren Generalmajor in<br />
Holland) auf dem Marsch zur bedrohten Festung unterwegs war, durch einen Gegenbefehl<br />
aber auf das Marsfeld zurückbeordert wurde.<br />
61<br />
Rudolf von Reding von Biberegg, aus Schwyz, 1761-1792,<br />
Hauptmann im Schweizer Garderegiment. Am 10. August 1792<br />
wurde er in den Tuilerien schwer verw<strong>und</strong>et, gefangen<br />
genommen, eingesperrt <strong>und</strong> mit h<strong>und</strong>ert andern Schweizern im<br />
Gefängnis von l’Abbaye massakriert. Er war der jüngere Bruder<br />
1. des Generals Theodor von Reding, 1755-1809, Kommandeur<br />
des <strong>3.</strong> Schweizerregiments in Spanien, Gouverneur von Malaga<br />
<strong>und</strong> Sieger gegen Napoleon bei Baylen im Jahre 1808, 2. des<br />
Nazare von Reding, Gesandter des spanischen Königs in der<br />
Schweiz <strong>und</strong> <strong>3.</strong> des Aloys von Reding, Oberstleutnant in<br />
Spanien, Landeshauptmann in Schwyz, Befehlshaber des<br />
Heeres von Uri, Schwyz <strong>und</strong> Unterwalden gegen Napoleon<br />
1798 <strong>und</strong> erster Landammann der Schweiz.<br />
George-François de Montmollin, aus Neuenburg, 1769-1792,<br />
War ein schöner, hochgewachsener Jüngling <strong>und</strong> begnadeter<br />
Geigenspieler <strong>und</strong> Komponist von 23 Jahren. Er konnte es kaum<br />
erwarten, als er Mitte Juli endlich die Nachricht erhielt, dass er<br />
ins Garderegiment aufgenommen werde. Er kannte die Lage im<br />
revolutionären Paris, hatte er doch beim Regiment von Salis-<br />
Samaden den Sturm auf die Bastille erlebt, <strong>und</strong> er wusste auch,<br />
dass die Tage des Garderegiments gezählt waren. Trotzdem<br />
brach er eilends auf, <strong>und</strong> niemand konnte ihn halten. Am 7.<br />
August kam er in Paris an, liess sich sogleich Mass nehmen <strong>und</strong><br />
lieh sich derweil eine Uniform. Am Abend des 8. August verlor<br />
er im Spiel, doch kümmerte es ihn wenig, da er es wohl nicht<br />
mehr brauche. Um Mitternacht brach er mit seinem Regiment in<br />
Rueil auf <strong>und</strong> erreichte die Tuilerien über den Pont de Neuilly<br />
um 3 Uhr früh. Während des Massakers am 10. August gehörte er zu denen, die durch die<br />
Gärten in Richtung place Louis XV. verfolgt <strong>und</strong> hinterrücks niedergestreckt wurden.<br />
Montmollin wickelte sich dabei in die Fahne, die man ihm anvertraut hatte <strong>und</strong> starb als Held<br />
nicht ohne mehrere Feinde mit in den Tod zu reissen. Weiber fallen über in her <strong>und</strong> reissen
ihm das Herz heraus, <strong>und</strong> Zeugen beobachten wie kleine Knaben <strong>und</strong> Mädchen sich um die<br />
Köpfe <strong>und</strong> Glieder der Schweizer stritten <strong>und</strong> wie Fetzen von Fleisch auf Picken <strong>und</strong><br />
Bajonetten durch die Strassen getragen wurden. Um die Motivation des jungen Montmollin zu<br />
verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass es sich um das 18. Jahrh<strong>und</strong>ert handelt, ein<br />
aristokratisches Jahrh<strong>und</strong>ert, in dem die jungen Männer von nobler Geburt sich gegenseitig<br />
rivalisierten, um sich auszuzeichnen.<br />
Joseph von <strong>Schumacher</strong>, aus Luzern, 1773-1851, Offizier im<br />
französischen Schweizer Garderegiment in Paris sowie in<br />
sardinischen Diensten, vermählt mit der Tochter von Jost von<br />
Dürler, des Verteidigers der Tuilerien. Durch den Grafen von<br />
Lille (Ludwig XVIII.) zum Oberstleutnant <strong>und</strong> Ludwigsritter<br />
ernannt. Ritter des Mauritius- <strong>und</strong> Lazarusordens. Während der<br />
Ereignisse am 10. August befand sich <strong>Schumacher</strong> auf Urlaub in<br />
Luzern. Vater von General Felix <strong>Schumacher</strong>, des Verteidigers<br />
von Gaeta, dem letzten Bollwerk der spanischen Bourbonen in<br />
Italien 1860/61. Die Gattin von Joseph <strong>Schumacher</strong>, Sophie<br />
<strong>Schumacher</strong>-Dürler (1784-1852), hatte jeweils anstelle der<br />
Gattin des Landammannes Vinzenz von Rüttimann, der für seine<br />
glanzvollen Staatsempfänge berühmt war, die Rolle der<br />
Gastgeberin übernommen. Sie stand ebenso in regem<br />
Briefkontakt mit prominenten Persönlichkeiten Europas <strong>und</strong><br />
pflegte gute Kontakte zu König Louis-Philippe <strong>und</strong> dessen Schwester Adelaide, die beide<br />
während ihrer Emigrantenzeit in der Schweiz von Sophies Familie Hilfeleistung erhielt.<br />
König Louis Philippe war bekanntlich der Sohn jenes Louis-Philippe, der als Herzog von<br />
Orléans für den Tod Ludwigs XVI. stimmte, als „Philippe Egalité“ bekannt ist <strong>und</strong> selber<br />
unter der Guillotine endete, nachdem er unter Verdacht geriet, selber nach der Krone greifen<br />
zu wollen. Nach der Julirevolution von 1830 wurde König Karl X. zu Abdankung gezwungen.<br />
An die Macht gelangte das Finanzbürgertum <strong>und</strong> mit ihm dessen Schützling König Louis-<br />
Philippe, genannt der „Bürgerkönig“. Danach begann die Periode der „Julimonarchie“, die als<br />
Goldenes Zeitalter des französischen Bürgertums galt.<br />
Sophie <strong>Schumacher</strong>-Dürler,<br />
Tochter des Tuilerienverteidigers<br />
Jost von Dürler. Sie pflegte gute<br />
Kontakte zu König Louis Philippe<br />
<strong>und</strong> dessen Schwester Adelaide<br />
Adélaide, Schwester von<br />
Louis-Philippe, Tochter des<br />
Herzogs von Orléans (war für<br />
den Tod Louis XVI) <strong>und</strong> der<br />
Prinzessin Louise-Marie<br />
von Bourbon-Penthiève<br />
König Louis-Philippe<br />
genannt der „Bürgerkönig“<br />
klug verzichtet er auf das<br />
Königswappen auf seinen<br />
Goldmünzen, doch seine<br />
Habsucht machte ihn unbeliebt<br />
62
Von Napoleon über die <strong>Revolution</strong>en von 1830 <strong>und</strong> 1848 bis heute<br />
Hatte sich 1789 das Besitzbürgertum noch auf das Volk<br />
gestützt, warf es sich 1799 in die Arme Napoléon<br />
Bonapartes, der sich später zum Kaiser krönte, die<br />
Erbmonarchie wieder einführte <strong>und</strong> Europa in ein Zeitalter<br />
der Kriege führte. Mit der Unterwerfung Europas <strong>und</strong> dem<br />
Einmarsch der Franzosen in die Schweiz, mit deren<br />
Staatskassen er seine Feldzüge finanzierte, wurde das Land<br />
erstmals in seiner Geschichte von einem fremden Heer<br />
besetzt <strong>und</strong> musste zwangsweise vier Regimenter stellen.<br />
Diese blieben ihrem Ruf treu <strong>und</strong> verhalfen Napoleon zu<br />
seinen Siegen.<br />
Es ist auch fraglich ob Napoleon ohne seine Generäle, allen<br />
voran der Schweizer Jomini, wirklich das grosse<br />
Militärgenie gewesen war, für das er gehalten wird. Seit<br />
sich nämlich Jomini mit Napoleon überworfen hatte <strong>und</strong><br />
die Seiten wechselte, verliess Napoleon das Kriegsglück. In<br />
Russland hatte die Schweizerdivision an der Beresina noch<br />
einen Grossteil der Grande Armee gerettet, doch bei<br />
Waterloo war kein Schweizer mehr dabei. In Spanien hatte<br />
Napoleon die Schlacht bei Baylen verloren <strong>und</strong> war dort<br />
auf den erbitterten Widerstand des Schweizers Theodor von<br />
Reding gestossen. In Erinnerung an den ebenfalls von<br />
Napoleon Bonaparte<br />
1769-1821<br />
Wäre er nicht so unglaublich<br />
impertinent, er wäre wohl<br />
mehr lächerlich als erhaben<br />
einem von Reding angeführten Kampf bei Rothenturm rief Napoleon verzweifelt aus:<br />
“Partout où je vais en Europe, j`ai un von Reding en face de moi.” Mit dem Einmarsch in<br />
Spanien standen sich bei Baylen auf beiden Seiten Schweizer gegenüber. Aber das Schicksal<br />
von Malplaquet wiederholte sich nicht. Die Gewehre senkten sich zur Verbrüderung.<br />
Der 14. Juli markiert den Beginn des Terrors <strong>und</strong> der blutigen Greuletaten der <strong>Revolution</strong> <strong>und</strong><br />
ist gleichzeitig der Auftakt zur grossen Zahl von Toten, die Napoleon zu verantworten hat.<br />
Dennoch wird der 14. Juli von den Franzosen als Nationalfeiertag verehrt <strong>und</strong> gilt Napoleon<br />
als “ruhmreicher” Vater der “Grande Nation”. Für ihn hat man jenes Bauwerk als Mausoleum<br />
hergerichtet, das einst der grosse Ludwig XIV für sich als Grabstätte errichten liess.<br />
Positiv spricht für Napoleon, dass er sich mit dem Gedanken getragen hatte, den Ermordeten<br />
der <strong>Revolution</strong> ein Denkmal zu errichten “…pour rappeler à nos enfants qu’on ne tue pas les<br />
rois et qu’on ne les enterre pas comme des simple particuliers”. Er selber war als Kaiser dem<br />
monarchischen Gedanken nicht abgeneigt <strong>und</strong> suchte vergeblich den von ihm geschaffenen<br />
napoleonischen Adel mit dem alten Adel zu verbinden.<br />
Nach der Verbannung Napoleons <strong>und</strong> dem Wiener Kongress 1815, erlangten in Frankreich,<br />
im Zuge der Wiederherstellung der alten Ordnung in Europa, die Bourbonen-Dynastie unter<br />
Ludwig XVIII., einem Bruder Ludwigs XVI., wieder die Oberhand. Sogleich wurden mit den<br />
Schweizer Kantonen zwei Garderegimenter <strong>und</strong> vier Linienregimenter ausgehandelt.<br />
Angeführt von den H<strong>und</strong>ertschweizern der neuen Garde konnte Ludwig XVIII. in die<br />
Tuilerien einziehen. 1821 enstand in Luzern das Löwendenkmal, das an den Untergang der<br />
<strong>Schweizergarde</strong> in Paris vom 10. August 1792 erinnert. Als Ludwig XVIII. 1824 starb,<br />
bestieg Charles X., sein Bruder, den Thron von Frankreich. Als eine Regierungskrise den<br />
Juliaufstand von 1830 auslöste, war es wieder die <strong>Schweizergarde</strong>, die das Pflaster von Paris<br />
für die Bourbonen mit ihrem Blut rötete.<br />
63
1830 verteidigten wiederum königstreue Schweizer das<br />
Tuilerienschloss, wobei 300 fielen. Die Tagsatzung rief daraufhin<br />
alle Regimenter zurück. Viele wechselten ins Königreich Neapel.<br />
Andere liessen sich in der 1831 gegründeten französischen<br />
Fremdenlegion anwerben<br />
64<br />
Nach der Abdankung Charles X.<br />
<strong>und</strong> dem Thronverzicht seines<br />
Sohnes zu Gunsten seines noch<br />
unmündigen Neffen (Graf von<br />
Chambord) setzten die Liberalen<br />
eine konstitutionelle Monarchie<br />
unter Louis-Philippe, Herzog von<br />
Orléans durch. Gleichzeitig mit<br />
dem Ende der Bourbonen hat das<br />
französisch-schweizerische Bünd-<br />
nis nach vier Jahrh<strong>und</strong>erten einer<br />
in der Völkergeschichte einzigarartigen<br />
Waffenbrüderschaft zu<br />
bestehen aufgehört. Als Ersatz<br />
gründete Louis-Philippe 1831 die<br />
Fremdenlegion <strong>und</strong> stellte sie<br />
unter Schweizer Kommando.<br />
Als 1848 die Wahlen von den<br />
Konservativen <strong>und</strong> Liberalen<br />
gewonnen wurden, kam es am 24.<br />
Juni 1848 zum Aufstand der Arbeiter, die sich im Zuge der einsetzenden Industriellen<br />
<strong>Revolution</strong> zum Vierter Stand formiert hatte. Der Aufstand wurde niedergeschlagen <strong>und</strong> war<br />
der Auslöser für eine bürgerliche Konterrevolution in Europa. Nach der Niederlage<br />
Napoleons III. im deutsch-französischen Krieg, kam es 1871 mit dem Putsch der Pariser<br />
Kommune zu einer weiteren revolutionären Auseinandersetzung. Der Versuch, den Grafen<br />
von Chambord, der Enkel von Charles X., auf den Thron zu heben, scheiterte.<br />
1848 markiert die Abspaltung des Proletariats vom Bürgertum<br />
<strong>und</strong> bildet die Gr<strong>und</strong>lage der russischen <strong>und</strong> chinesischen<br />
<strong>Revolution</strong> von 1917 <strong>und</strong> 1966. Das Ende des Kalten Krieges<br />
1989 war das Ende der proletarischen <strong>Revolution</strong>. Seine<br />
Kapitulation führte zum alleinigen Triumph des<br />
Finanzbürgertums, dessen Ausbeutung <strong>und</strong> Naturverachtung<br />
ohnegleichen ist. Innerhalb von nur 100 Jahren ist es dem<br />
Bürgertum gelungen, eine ökologische Katastrophe globalen<br />
Ausmasses zu verursachen <strong>und</strong> eine gewaltige Blutspur zu<br />
hinterlassen: von der Französischen <strong>Revolution</strong> mit 40.000<br />
Toten, über die Kriege Napoleons mit 4 Millionen Toten <strong>und</strong><br />
den <strong>Revolution</strong>en von 1830 <strong>und</strong> 1848 mit vielen Tausenden<br />
von Toten bis zu den Weltkriegen <strong>und</strong> Diktaturen im 20.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert, die allein 100 Millionen Tote erreichten. Heute<br />
verhungern immer noch Millionen von Menschen, verlieren<br />
H<strong>und</strong>erttausende ihre Existenz <strong>und</strong> ist das Leben auf der Erde<br />
in seiner Gesamtheit bedroht.<br />
Kaiser Napoleon III<br />
Dem harmonischen Ausgleich zwischen Adel <strong>und</strong> Bürgertum zwischen 1871 <strong>und</strong> 1914 war<br />
nur eine kurze Blüte beschieden. Da das Bürgertum keine historische Legitimität hatte, suchte<br />
es zunächst die Nähe zum Adel. Aber es wollte die alleinige Macht, <strong>und</strong> dazu bediente es sich<br />
zweier Weltkriege <strong>und</strong> einer radikalen Veränderung im Kunst- <strong>und</strong> Kulturverständnis (vgl.<br />
Seite 16). Auch die kommunistische <strong>und</strong> nationalsozialistische Diktatur <strong>und</strong> die<br />
anschliessende Entchristlichung Europas sind das Werk bürgerlicher Kräfte.
Literatur<br />
Bodin, Jérôme Les Suisses au Service de la France, Paris 1988<br />
Bory, J.-R. Les Suisses au Service Etranger et Leur Musée, Nyon 1965<br />
Castelot, André Marie-Antoinette, Librairie Academique Perrin, Paris 1962<br />
Dürler, Jost, von Relation de Mr. Dürler, Capitaine au Régiment des<br />
Gardes Suisses, in der Publikation von Wolfgang von Mülinen<br />
Engler, Winfried Die Französische <strong>Revolution</strong>, RIAS Berlin, Stuttgart<br />
Fay, Bernard Louis XVI., Librairie Academique Perrin, Paris 1966<br />
Fiechter, Jean-Jacques Baron Peter-Viktor von Besenval, Rothus Verlag,<br />
Solothurn 1994<br />
France, Marie-Therese, de Narrative in “The Ruin of a Princess”, New York 1912<br />
Hensler, A. Frankreichs Lilien, Benziger 1905<br />
Jauch, Ursula-Pia Beat-Fidel Zurlauben, NZZ Verlag, Zürich 1999<br />
Mülinen, Wolfgang, von Das französische Schweizer Garderegiment am 10. August<br />
1792, Luzern 1892<br />
Tourzel, Madame, de Memoiren in: Die Französische <strong>Revolution</strong>. Ein Lesebuch mit<br />
zeitgenössischen Berichten <strong>und</strong> Dokumenten. Reclam, Stuttgart<br />
2000<br />
Vallière, P. Treue <strong>und</strong> Ehre, Geschichte der Schweizer in Fremden Diensten,<br />
Neuchâtel 1912, Lausanne 1940<br />
65