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3. Königshaus, Revolution und Schweizergarde - Schumacher ...

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Renato <strong>Schumacher</strong><br />

KöNIGSHAUS, REVOLUTION<br />

UND<br />

SCHWEIZERGARDE


Nobility is a graceful ornament to the civil order. It is he Corinthian capital of<br />

polished society. It is a sour, malignant, envious disposition that sees with joy<br />

the unmerited fall of what had long flourished in splendour and honour<br />

2<br />

Edm<strong>und</strong> Burke<br />

… Louis XVI was a mild and lawful monarch against whom the French had<br />

rebelled with more fury, outrage, and insult than ever any people has been<br />

known to rise against the most illegal usurper or the most sanguinary tyrant …<br />

Edm<strong>und</strong> Burke<br />

Die einzige Voraussetzung für den Triumph des Bösen ist, daß gute Menschen<br />

nichts tun.<br />

Edm<strong>und</strong> Burke


Inhalt<br />

• Der militärische Fremdendienst der Schweiz 4<br />

• Von Charles IX. bis Ludwig XIII. 7<br />

• Ludwig XIV. 8<br />

• Ludwig XV. 11<br />

• Frauen am Hof von Ludwig XV. 12<br />

• Die Töchter Ludwigs XV. 13<br />

• Ursachen <strong>und</strong> Auswirkungen der Französischen <strong>Revolution</strong> 15<br />

• Chronologie der Ereignisse zwischen 1789 <strong>und</strong> 1799 17<br />

• Die <strong>Revolution</strong> in Bildern <strong>und</strong> Kommentaren 20<br />

• Marie Antoinette von Österreich, Königin von Frankreich 27<br />

• Die Kinder von Marie Antoinette 34<br />

• Die Halsbandaffäre 36<br />

• Die Eltern von Ludwig XVI. 38<br />

• Ludwig XVI. von Bourbon, König von Frankreich 39<br />

• Ludwig XVI., Duc de Berry, in Bildern 41<br />

• Die Geschwister von Ludwig XVI. 42<br />

• Madame Elisabeth, die jüngere Schwester von Ludwig XVI. 43<br />

• Die Flucht nach Varennes 45<br />

• La Chapelle expiatoire <strong>und</strong> die Kirche Saint Denis 47<br />

• Das Schweizer Garderegiment 48<br />

• Der 10. August 1792 53<br />

• Offiziere im Schweizer Garderegiment 58<br />

• Von Napoleon über die <strong>Revolution</strong>en von 1830 <strong>und</strong> 1848 bis heute 63<br />

• Literatur 65<br />

3


Der militärische Fremdendienst der Eidgenossen<br />

Vom Freiheitskampf zum Fremdendienst<br />

Schon lange vor 1291 konnten die Schweizer auf eine lange kriegerische Zeit zurückblicken.<br />

Nachdem schon die Helvetier im römischen Heer gedient <strong>und</strong> Cäsar beeindruckt hatten,<br />

nahmen die späteren Eidgenossen an den Kreuzzügen teil <strong>und</strong> schlugen sich für die römischdeutschen<br />

Kaiser. Als Entgelt erwarben sie das rote Banner mit dem weissen Kreuz. Die<br />

junge Eidgenossenschaft war also weder ein Neuling im Waffenhandwerk noch ein friedliches<br />

Hirtenvolk, als sie im 14. <strong>und</strong> 15. Jahrh<strong>und</strong>ert für ihre Existenz, für Gebietserweiterungen <strong>und</strong><br />

zum Schutze ihrer Grenzen kämpfte. Anfangs des 16. Jahrh<strong>und</strong>erts hatten die Schweizer den<br />

Rhein <strong>und</strong> den Jura erreicht <strong>und</strong> sind im Süden weit nach Italien vorgedrungen. Sie hatten die<br />

Herzöge von Österreich, Savoyen <strong>und</strong> Mailand besiegt, die Heere des Herzogs von Burg<strong>und</strong><br />

vernichtet, den deutschen Kaiser bezwungen <strong>und</strong> den König von Frankreich aus Italien<br />

vertrieben. Überall in Europa eilte den Eidgenossen der Ruf der Unbesiegbarkeit voraus.<br />

Erst bei Marignano im Jahre 1515 gelang es dem französischen König Franz I. den<br />

„Fürstenbändigern“ Einhalt zu gebieten. Damals war die überlegene Schweizer Infanterie<br />

erstmals auf Artillerie gestossen. Auch innenpolitisch wurde es zunehmend schwieriger, die<br />

unterschiedlichen Interessen der einzelnen Orte der Eidgenossenschaft <strong>und</strong> die persönlichen<br />

Interessen der Führungsschicht zu unterscheiden. Doch für das Ausland blieben die Schweizer<br />

bedrohlich <strong>und</strong> um sie zu neutralisieren <strong>und</strong> ihr Militärpotential zu nutzen, bot Frankreich den<br />

Schweizern ein ewiges Bündnis an. Die Eidgenossen verzichteten fortan auf ihre<br />

Grossmachtspolitik. So folgte dem einfachen Feldzeichen von Morgarten, Sempach <strong>und</strong><br />

Murten die prächtig geflammten Regimentsfahnen der Schweizer im Dienste der Krone<br />

Frankreichs <strong>und</strong> anderer europäischer Monarchen. Zwischen 1515 <strong>und</strong> 1860 hatte die<br />

Schweiz Europa etwa 2 Millionen Soldaten, 75'000 Offiziere <strong>und</strong> 700 Generäle gestellt.<br />

Davon stand etwa die Hälfte in französischen Diensten. Sie nahmen an allen bedeutenden<br />

Feldzügen teil <strong>und</strong> genossen das höchste Vertrauen ihrer Auftraggeber.<br />

Das eidgenössische Verteidigungssystem basierte auf einem Milizsystem, das in Europa<br />

einzig war. Die Kriegstüchtigkeit der Schweizer sprach ein Bedürfnis der europäischen<br />

Herrscher an, denen das Lehensaufgebot nicht mehr genügte <strong>und</strong> denen es nicht gelang, die<br />

Untertanen zum Militärdienst verpflichten. Sie entschieden sich für die Anwerbung bezahlter<br />

Berufssoldaten <strong>und</strong> knüpften an eine Tradition an, die bis ins Altertum zurückreicht. So<br />

entstand das Militärunternehmertum, bei dem ein privater Zwischenhändler Truppen<br />

rekrutierte, diese aber oft nicht selber befehligte. In der Schweiz waren das die Kantone.<br />

Der Fremdendienst im 17. <strong>und</strong> 18. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

Das erste französisch-eidgenössische Bündnis von 1453 bildete eine dauerhafte diplomatische<br />

Gr<strong>und</strong>lage. Ludwig XI. stellte 1480 ein Schweizer Hilfskorps auf. 1497 wurde die<br />

Gardetruppe der H<strong>und</strong>ertschweizer in Paris geschaffen. Aber erst durch den Ewigen Frieden<br />

von 1516, den feierlichen Bündnisvertrag von 1521 <strong>und</strong> dessen spätere Neuauflagen wurde<br />

das Verhältnis zwischen der Eidgenossenschaft <strong>und</strong> Frankreich dauerhaft geregelt. Aber auch<br />

in anderen Ländern wie Spanien, Österreich, Savoyen <strong>und</strong> Ungarn dienten Schweizer. In den<br />

französischen Religionskriegen dienten Schweizer in grosser Zahl auf katholischer wie auf<br />

protestantischer Seite, ohne dass sie sich auf dem Schlachtfeld je begegneten. Zu den ersten<br />

herausragenden Schweizer Heerführern im Ausland zählten unter andern Kaspar Gallati,<br />

Wilhelm Frölich <strong>und</strong> Ludwig Pyffer (vgl. Abbildung Seite 7).<br />

4


Ludwig XIII. gründete 1616 als zweite ständige Schweizer Einheit das Regiment der<br />

<strong>Schweizergarde</strong> (vgl. Seite 48). Ausser mit Frankreich wurden auch mit anderen Staaten<br />

Kapitulationen ausgehandelt, so während des Dreissigjährigen Krieges mit Spanien, Savoyen,<br />

Venedig <strong>und</strong> Genua. Auch der nicht durch Kapitulationen geregelte Dienst nahm zu, in erster<br />

Linie für Schweden, Sachsen <strong>und</strong> Bayern. Ludwig XIV. schuf 1671 permanente Schweizer<br />

Regimenter, die den Namen ihres Obersten trugen. Das Berner Regiment von Erlach war das<br />

erste von zwölf Linienregimentern, die bis zur <strong>Revolution</strong> dem französischen König dienten.<br />

1777 wurde die Allianz mit Frankreich für weitere fünfzig Jahre erneuert. Daneben standen<br />

auch Schweizer im Dienst anderer Länder. So schlossen die katholischen Kantone bis zum<br />

Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts viele Kapitulationen mit Spanien, während die Reformierten neben<br />

Frankreich für die Vereinigten Niederlande kämpften. Ausserdem dienten Schweizer auch in<br />

England, Polen, Österreich (bis 1740), Piemont-Sardinien <strong>und</strong> in Venedig (bis 1719).<br />

Alle Schweizer Truppen im Ausland genossen einen Sonderstatus. Ihr Einsatz war, wie<br />

bereits erwähnt, durch Staatsverträge geregelt, wobei die Kantone die Oberhoheit behielten.<br />

Die Truppen waren also ihren Heimatkantonen verantwortlich, behielten ihren nationalen<br />

Charakter <strong>und</strong> konnten jederzeit in die Heimat abberufen werden. Sie waren von eigenen<br />

Offizieren <strong>und</strong> nach eigenem Recht befehligt, d.h. kein ausländisches Gericht hatte das Recht,<br />

einen Angehörigen eines Schweizerregimentes vorzuladen. Bei gleichmässiger Verteilung auf<br />

die Staaten garantierten die Militärverträge die Neutralität der Schweiz <strong>und</strong> stärkten durch die<br />

Tapferkeit <strong>und</strong> Disziplin der Regimenter deren Ansehen. Eine Klausel verhinderte, dass die<br />

Truppen offensiv, d.h. ausserhalb der Vertragsländer eingesetzt wurden. Damit sollte<br />

gewährleistet werden, dass sich keine Schweizer auf den Schlachtfeldern gegenüberstanden.<br />

Die Kriegsherren hielten sich jedoch nicht immer an diese Klausel, doch die<br />

Wahrscheinlichkeit eines Zusammentreffens unter Schweizern war gering. Kam es vor, traten<br />

die Schweizer in Ausstand. Lediglich Malplaquet bildete eine traurige Ausnahme.<br />

Der Niedergang des Fremdendienstes<br />

Erst gegen Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts setzte der Abstieg des Schweizer Fremdendienstes ein.<br />

Einerseits nahmen die finanziellen Risiken für die Besitzer der Truppeneinheiten zu,<br />

anderseits änderten die Verschärfung der Truppendisziplin die Attraktivität des Dienstes.<br />

Ausserdem vergrösserten die Reformen von 1764 den Einfluss des französischen Staates auf<br />

die Truppen. Schliesslich verlor die militärische Auswanderung infolge des wirtschaftlichen<br />

Wandels in der Schweiz an Bedeutung. Nicht zuletzt war das Ende des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts eine<br />

Zeit ohne grössere Kriegshandlungen. Die Französische <strong>Revolution</strong>, das napoleonische<br />

Kaiserreich, die zunehmende Demokratisierung <strong>und</strong> das entstehende Nationalgefühl stellten<br />

den Fremdendienst immer mehr in Frage. Zudem entwickelten sich neue Formen der<br />

Emigration, welche das Problem der Überbevölkerung lösten. Hinzu kamen unter dem<br />

Einfluss revolutionärer Propaganda disziplinarische Probleme. Das Massaker an der<br />

<strong>Schweizergarde</strong> während des Tuileriensturms rief in der ganzen Schweiz Entrüstung hervor<br />

<strong>und</strong> führte zur Entlassung aller Schweizer Truppen. Zwar wurde unter Napoleon der<br />

Fremdendienst für Frankreich mit vier Schweizerregimenter wieder aufgenommen, doch<br />

geschah dies unter Zwang, da die Franzosen die Schweiz seit 1798 besetzt hielten.<br />

Wiederaufleben des Fremdendienstes<br />

Nach dem Sturz Napoleons lebte die Tradition des Fremdendienstes wieder auf. So wurde<br />

unter Ludwigs XVIII. die <strong>Schweizergarde</strong> neu gegründet <strong>und</strong> 1816 die Kapitulation für vier<br />

Linien- <strong>und</strong> zwei Garderegimenter unterzeichnet. Allerdings wurde die Neubelebung der<br />

Fremdendienste durch das aufstrebende Bürgertum als ein Relikt des Ancien Régime schlecht<br />

gemacht, was sich unkritisch auch in der Literatur niederschlug. Während der Julirevolution<br />

5


von 1830 fielen bei der Verteidigung des Louvre <strong>und</strong> der Tuilerien erneut Schweizer. Die<br />

Tagsatzung rief daraufhin alle Regimenter zurück <strong>und</strong> setzte damit dem Fremdendienst für<br />

Frankreich ein Ende. Zwar dienten auch Schweizer in der 1831 gegründeten französischen<br />

Fremdenlegion, doch handelt es sich um Einzelpersonen ohne Beteiligung der Behörden. Der<br />

Dienst für Spanien wurde im Jahre 1823 abgeschafft, der für die Niederlande 1829, der für<br />

Sardinien-Piemont 1832 <strong>und</strong> der für England 1816. Am längsten hielten sich die Dienste für<br />

den Papst <strong>und</strong> das Königtum Neapel. Für Neapel dauerten sie bis 1859, während ein<br />

Regiment noch bis 1870 im Dienste des Vatikan stand. Die B<strong>und</strong>esverfassung von 1848<br />

verbot den Abschluss neuer Kapitulationen, ohne die bereits geschlossenen aufzuheben. Erst<br />

1859 wurde der Waffendienst für eine fremde Macht verboten. Kraft dieses Gesetzes sollten<br />

später die Schweizer Kämpfer im Spanischen Bürgerkrieg strafrechtlich verfolgt werden. Nur<br />

in der Päpstlichen <strong>Schweizergarde</strong> tritt heute der Fremdendienst in marginaler Form noch auf.<br />

Wertung<br />

Während Jahrh<strong>und</strong>erten galt der Schweizersoldat als Inbegriff der militärischen Ehre <strong>und</strong><br />

Treue zum geschworenen Eid. Die Gesetze waren ausserordentlich streng <strong>und</strong> nie fanden sich<br />

Schweizer bei militärischen Gräueltaten. Nicht umsonst wurde das Schweizerkreuz für eine<br />

humanitäre Organisation in umgekehrter Farbfolge übernommen. Der fremde Dienst war<br />

wirtschaftlich, sozial <strong>und</strong> kulturell für die Schweiz von grosser Bedeutung. Er stärkte das<br />

Nationalgefühl, weil sich fern der von Bürgerkriegen zerrissenen Heimat Männer<br />

verschiedener Schichten, Sprachen <strong>und</strong> Bekenntnissen unter derselben Fahne mischten. Im<br />

Fremdendienst sah die Schweiz einen Ausweg in ihrem Expansionsdrang, der ihr seit dem<br />

Scheitern des eidgenössischen Imperialismus versperrt war. Der Fremdendienst garantierte<br />

eine zeitgemässe Ausbildung, absorbierte das Zuviel der Bevölkerung sicherte die<br />

Staatseinnahmen insbesondere für die aristokratisch <strong>und</strong> katholisch regierten Orte. Sie boten<br />

für die Offiziere gesellschaftliche <strong>und</strong> diplomatische Kontakte <strong>und</strong> für die Soldaten<br />

Gelegenheit das Ausland kennenzulernen <strong>und</strong> in Zivildienste überzutreten.<br />

Durch den Fremdendienst hat die Schweiz den grossen Ideenströmungen die Tür geöffnet <strong>und</strong><br />

im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert eine hohe Blüte der Kunst, der Literatur, der Wissenschaften <strong>und</strong> des<br />

Gesellschaftslebens mitgemacht. Er verhinderte während Jahrh<strong>und</strong>erten die militärische<br />

Invasion ausländischer Mächte in der Schweiz, verband die durch religiöse <strong>und</strong> politische<br />

Händel zersplitterte Eidgenossenschaft stärker, als dies der B<strong>und</strong>esbrief vermochte <strong>und</strong> half<br />

nach 1848 ein starkes nationales Heer, die Schweizer Armee, aufzubauen. Insbesondere das<br />

Bündnis mit Frankreich war von Bedeutung, da Frankreich in den Verträgen neben<br />

Handelsvorteilen auch den militärischen Schutz des schweizerischen Territoriums garantierte.<br />

Mit dem Erstarken des Bürgertums <strong>und</strong> der zunehmenden Demokratisierung im 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert wurde der Fremdendienst immer stärker kritisiert. Immer wieder wurde <strong>und</strong> wird<br />

in der bürgerlichen bzw. links-ideologischen Geschichtsschreibung der abwertende Begriff<br />

Söldner verwendet. Diese Bezeichnung ist aber unzutreffend, da die Schweizer keine<br />

landlosen Reisläufer waren sondern B<strong>und</strong>esgenossen waren <strong>und</strong> auch stets so angesprochen<br />

wurden, nämlich: "Très chers Grands amis, Allies et Conféderés". Auch wurde das Wort<br />

Söldner nie in den Staatsverträgen <strong>und</strong> amtlichen Papieren erwähnt. Zudem geht aus<br />

unzähligen Briefen, Dokumenten <strong>und</strong> Tagebüchern hervor, dass die Schweizer sich jederzeit<br />

bewusst waren, dass sie für den König kämpfend, die Unabhängigkeit <strong>und</strong> Unversehrtheit<br />

ihrer Heimat verteidigten. Die Schweizer wussten zwischen staatlich geregeltem Solddienst<br />

<strong>und</strong> wildem Reislaufen zu unterscheiden, <strong>und</strong> es bestand auch kein obrigkeitlicher Zwang<br />

zum Dienst in der Fremde. Das bezahlte Soldatentum im Ausland galt als Handwerk, das<br />

jedem andern entlöhnten Beruf gleichgestellt war. (vgl. Seite 50)<br />

6


Von Charles IX. bis Ludwig XIII.<br />

Ludwig Pfyffer von Luzern<br />

1524-1594<br />

Rettete die Familie Charles IX vor den<br />

Hugenotten <strong>und</strong> geleitete sie mit 6.000<br />

Schweizern sicher von Meaux nach Paris<br />

Heinrich IV. aus dem Hause Bourbon<br />

mit dem Beinamen „der Gute“<br />

1553-1610<br />

Charles IX. aus dem Hause Valois<br />

1550-1574<br />

In seine Regierungszeit fallen die ersten<br />

vier Hugenottenkriege<br />

Ludwig XIII. aus dem Hause Bourbon<br />

mit dem Beinamen „der Gerechte“<br />

1601-1643<br />

7


König Ludwig XIV<br />

Ludwig XIV., 1638-1715, führte die Beinamen „der<br />

Grosse, der Gottgegebene, der Sonnenkönig“. Seine<br />

Herrschaft nennt man das „Grand Siècle“. Er gilt als<br />

klassischer Vertreter des höfischen Absolutismus,<br />

den er durch die Bekämpfung der Opposition des<br />

Adels <strong>und</strong> der Provinzstädte <strong>und</strong> durch die<br />

Förderung der Wirtschaft, der Künste <strong>und</strong><br />

Wissenschaften ausgebaut <strong>und</strong> verfestigt hat. Unter<br />

seiner Regierung gewann Frankreich die politische<br />

<strong>und</strong> militärische Vormachtstellung in Europa. Eine<br />

beachtliche Leistung war ebenso die Kunst- <strong>und</strong><br />

Repräsentationspolitik, mit deren Hilfe er eine<br />

Hegemonie der französischen Kultur über Europa<br />

etablieren konnte, die sich bis ins 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

erhalten sollte. Mit zwei<strong>und</strong>siebzig Jahren<br />

Regentschaft war er das am längsten amtierende<br />

Staatsoberhaupt der europäischen Geschichte. Er<br />

König Ludwig XIV.<br />

hinterließ ein mächtiges, großes <strong>und</strong> strategisch<br />

abgesichertes Frankreich, das als eine der führenden<br />

Seemächte anerkannt war. Allerdings musste<br />

Ludwig dafür lange Kriege führen, deren Kosten die Bevölkerung zu tragen hatte. Dennoch<br />

waren die Steuern nicht, wie so oft behauptet wird, ruinös. In der Innenpolitik zeichneten ihn<br />

die Stärkung der Zentralverwaltung aus, ebenso die grossen Gesetzeswerke. Zu den<br />

Schattenseiten seiner Herrschaft gehören die Repressionen gegenüber den Hugenotten. 1660<br />

heiratete er Maria-Theresia von Spanien <strong>und</strong> nach deren Tod im Jahr 1683 die Marquise de<br />

Maintenon.<br />

Schon als Vierjähriger wurde Ludwig am 14. Mai 1643 als König inthronisiert, lebte aber bis<br />

zum dreizehnten Lebensjahr unter der Regentschaft seiner Mutter Anna von Österreich. Die<br />

Macht wurde von Kardinal Mazarin ausgeübt. Durch die außenpolitischen Erfolge der<br />

Kardinäle Richelieu <strong>und</strong> Mazarin gestärkt, entfaltete<br />

Ludwig das absolutistische Königtum barocker<br />

Prägung in Frankreich. Negativ auf seine Herrschaft<br />

wirkten sich die Hugenotten-Verfolgung <strong>und</strong> der<br />

Spanische Erbfolgekrieg aus. Letzterer führte 1713<br />

fast zu einem Staatsbankrott.<br />

1648 war Frankreich der große Sieger des<br />

Dreißigjährigen Krieges. Doch dann brach die Fronde<br />

aus, ein Bürgerkrieg des Adels gegen den König. Die<br />

königlichen Prinzen <strong>und</strong> die Parlamente (Oberste<br />

Gerichtshöfe) waren weitgehend von der Macht<br />

ausgeschlossen <strong>und</strong> sahen gegenüber dem jungen<br />

König eine Chance ihre Privilegien auszubauen. Aber<br />

die Fronde scheiterte, <strong>und</strong> es erfolgte 1654 die<br />

Krönung <strong>und</strong> Salbung Ludwigs XIV. in Reims. Diese<br />

sollte bewusst machen: der König ist der Garant für<br />

Ruhe, Ordnung <strong>und</strong> Wohlstand, der einzige<br />

Stellvertreter Gottes auf Erden.<br />

Maria Theresia von Spanien<br />

8


Françoise-Athénaïs de<br />

Rochechouart de Mortemart<br />

Marquise de Montespan<br />

Als Ludwig XIV. die Herrschaft antrat, war Frankreichs<br />

Staatshaushalt angespannt. Sein Finanzminister, der<br />

Merkantilist Colbert, erliess eine Steuersenkung, um so ein<br />

schnelles Wachstum der französischen Wirtschaft zu<br />

erreichen. Das französische Steuersystem enthielt<br />

Regelungen, wonach der Adel <strong>und</strong> der Klerus von direkten<br />

Steuern befreit war. Unter Ludwig XIV. ist jedoch die<br />

Tendenz festzustellen, den Adel <strong>und</strong> Klerus der direkten<br />

Steuer zu unterwerfen. Zur Zahlung der indirekten Steuern<br />

waren diese ohnehin verpflichtet. Der König führte eine<br />

Kopfsteuer ein, von der die unteren Schichten kaum erfasst<br />

wurden. Auf diese Weise wurde der Hochadel zum ersten<br />

Mal unvermittelt an der Finanzierung des Staates beteiligt.<br />

Der Adelsaufstand, die Fronde, hatte Ludwig traumatisiert.<br />

Deshalb schwächte er jetzt den Adel, indem er die Adeligen<br />

lieber zu Mitgliedern seines Hofes als zu regionalen<br />

Provinzherrschern machte. Zu diesem Zweck baute er<br />

Versailles vor den Toren von Paris, den der Hof am 6. Mai<br />

1682 bezog. Die höfische Etikette nötigte die Adeligen dazu, immense Geldsummen für ihre<br />

Kleidung auszugeben, <strong>und</strong> ihre Zeit vor allem auf Bällen, Diners <strong>und</strong> anderen Festlichkeiten<br />

zu verbringen. Ludwig XIV. soll ein fotografisches Gedächtnis gehabt haben, so dass er beim<br />

Betreten eines Saales auf einen Blick feststellen konnte, wer anwesend war. Deshalb konnte<br />

kein Aristokrat, der auf die Gunst des Königs angewiesen war, seine Abwesenheit riskieren.<br />

Anstatt seine regionalen Angelegenheiten zu regeln <strong>und</strong> seine dortige Macht zu behalten,<br />

wetteiferte der Adel nun um solche trivialen Ehren wie die, dem König beim Ankleiden<br />

helfen zu dürfen. So ruhte die politische Macht fest in der Hand des Königs. Man kann nicht<br />

genug herausstellen, dass Versailles nicht als Ort für das persönliche Vergnügen des Königs<br />

diente, sondern ein politisches Machtinstrument war. Durch die Bindung des Hochadels an<br />

den Hof geriet dieser in persönliche Abhängigkeit vom König <strong>und</strong> wurde von Rebellionen<br />

ferngehalten. Das tägliche Leben Ludwigs XIV. vollzog sich weitestgehend in der<br />

Öffentlichkeit inmitten eines riesigen Hofstaates. In Versailles lebten nicht nur 1.000 Adlige<br />

<strong>und</strong> 4.000 Bedienstete, sondern auch 10.000 Soldaten <strong>und</strong> 5.000 Diener. Unter die vornehme<br />

Hofgesellschaft mischten sich Besucher, Schaulustige<br />

<strong>und</strong> eine beträchtliche Zahl von Bittstellern.<br />

Neben seinen Großprojekten in Versailles war es sein<br />

Ziel Paris in ein zweites Rom zu verwandeln <strong>und</strong> mit<br />

zahlreichen repräsentativen Bauten <strong>und</strong> Plätzen zu<br />

verschönern. Der französische Hof wechselte des Öfteren<br />

den Aufenthaltsort. Es gab einige Hauptresidenzen in der<br />

Umgebung der Hauptstadt, welche Ludwig XIV ausbaute<br />

<strong>und</strong> verschönerte. In Marly entstand ab 1678 eine<br />

imposante Anlage, wohin sich Ludwig vom öffentlichen<br />

Leben in Versailles zurückzog. In der Umgebung, der<br />

Anlagen von Versailles, entstanden Schlösser <strong>und</strong> Gärten,<br />

die von Angehörigen des <strong>Königshaus</strong>es <strong>und</strong> vom Hofadel<br />

errichtet wurden. Hier suchte man Ruhe vom Hof <strong>und</strong><br />

ging der Jagd nach, oder lud den König für ein Fest zu<br />

seinen Ehren ein. All dies verschlang ungeheure Mengen<br />

Geld.<br />

Françoise d’Aubigné<br />

Madame de Maintenon<br />

9


Ludwig XIV<br />

bei der Einnahme von Besançon 1764<br />

10<br />

Ludwig XIV besass Charme <strong>und</strong> seine<br />

Anziehungskraft auf schöne Frauen ist legendär.<br />

Er brachte jedem Höflichkeit entgegen. Selbst<br />

vor Mägden soll er den Hut gezogen haben. Seine<br />

wichtigsten Eigenschaften waren seine<br />

unerschütterliche Menschenkenntnis <strong>und</strong> der<br />

scharfe Verstand. Als Monarch besass er einen<br />

unvergleichlichen Arbeitseifer. Niemals<br />

ermüdete er in Sitzungen <strong>und</strong> hörte jedem<br />

aufmerksam zu. Seine hohe Bildung <strong>und</strong> seine<br />

Kenntnisse in Politik <strong>und</strong> Geschichte waren<br />

gefürchtet. Auch zeichnete ihn enorme<br />

Willenskraft aus; so begegnete er Schmerzen <strong>und</strong><br />

Situationen der Todesgefahr mit völliger<br />

Gelassenheit <strong>und</strong> Selbstbeherrschung. Dennoch<br />

war er im hohen Maße von Egozentrik<br />

beherrscht. Er wurde von einem starken Drang nach Ruhm <strong>und</strong> Reputation geleitet, aber auch<br />

vom Gefühl der Pflichterfüllung gegenüber dem Staat. Gegenüber seiner Familie war er<br />

fürsorglich <strong>und</strong> liebevoll, konnte aber auch hart <strong>und</strong> unnachgiebig sein. Seine unehelichen<br />

Kinder legitimierte er ausnahmslos. Als Liebhaber <strong>und</strong> Förderer des Hofballetts tanzte er gern<br />

in öffentlichen Aufführungen. Er war auch ein guter Reiter, liebte die Jagd, das Schauspiel<br />

<strong>und</strong> besonders die Musik In der Mode war Ludwig immer wieder stilbildendes Vorbild.<br />

Unter Ludwig XIV. war Frankreich der mächtigste <strong>und</strong> reichste Staat <strong>und</strong> kulturelles Zentrum<br />

Europas. Der König liess die besten Künstler, Architekten, Maler, Poeten, Musiker <strong>und</strong><br />

Schriftsteller für Frankreich arbeiten <strong>und</strong> entfaltete ein noch nie dagewesenes Mäzenatentum.<br />

Zahlreiche Königliche Akademien wurden auf allen Gebieten der Kunst <strong>und</strong> Wissenschaft<br />

gegründet. Der Vorwurf, Ludwig hätte sein Land in den Ruin geführt, ist unhaltbar. Eine<br />

wirtschaftliche Stagnation ließ sich nur während des Spanischen Erbfolgekriegs beobachten.<br />

Sowohl vorher wie danach, zeigte sich das Reich als ungemein produktiv <strong>und</strong> prosperierend.<br />

Die Staatsverschuldung von 1715 resultierte nicht aus einem übertrieben Hang zu Luxus,<br />

sondern war die Folge des Krieges. Aber bereits zehn Jahre später waren die Kriegsschulden<br />

getilgt.<br />

Als Ludwig XIV. 1715 starb, verlor Frankreich einen seiner größten, fähigsten <strong>und</strong><br />

bedeutendsten Herrscher. Andererseits war die Bevölkerung nach zwei<strong>und</strong>siebzig Jahren<br />

Herrschaft ihres alten Königs überdrüssig. Man freute sich auf die Herrschaft des neuen<br />

Königs <strong>und</strong> wollte die letzten harten Jahre des Kampfes um den spanischen Thron vergessen.<br />

Voltaire urteilte: „Er hat Mängel <strong>und</strong> Gebrechen gehabt, er hat Fehler begangen - aber<br />

würden die, die ihn verurteilen, ihn erreicht haben, wenn sie an seiner Stelle gewesen<br />

wären?“<br />

Versailles wurde unter den Nachfolgern Ludwigs XIV. vollends Symbol für die Entfernung<br />

der Macht von der Wirklichkeit des Landes <strong>und</strong> seiner Bewohner. Als am 14. Juli 1789 die<br />

Bastille, die alte Zwingburg im Osten von Paris, gestürmt wurde, notierte König Ludwig XVI.<br />

in Versailles, außer der Jagd sei heute nichts gewesen. Während der <strong>Revolution</strong> wurde das<br />

Schloss in monatelangen Auktionen leergeräumt.


König Ludwig XV<br />

Ludwig XV, 1710-1774, genannt „der Vielgeliebte“. Er war der dritte Sohn des Louis von<br />

Burg<strong>und</strong> <strong>und</strong> dessen Gemahlin Maria Adelaide von Savoyen sowie der Urenkel Ludwigs<br />

XIV. Da er bei dessen Ableben erst fünf Jahre alt war, übernahm sein Onkel Philipp II. von<br />

Orléans die Regierungsgeschäfte (diese Periode ist unter „La Régence“ bekannt). Der<br />

regierende Minister war Kardinal Fleury. 1722 war Ludwig, wie alle französischen Könige, in<br />

Reims gekrönt worden. Dabei hatte, entgegen der Tradition, das Volk keinen Zugang zur<br />

Kathedrale erhalten. Hier zeigt sich die Unnahbarkeit des Königs, der anders als sein<br />

Vorgänger die Privatheit schätzte <strong>und</strong> das steife Hofzeremoniell ungern erfüllte. Am 5.<br />

September 1725 heiratete er die polnische Prinzessin Maria Leszczynska.<br />

Unter Ludwig XV. setzte sich die wirtschaftliche <strong>und</strong> kulturelle Blüte Frankreichs im „Siècle<br />

des Lumières“ fort. Durch seine erfolglose Teilnahme an den Kriegen gegen England <strong>und</strong><br />

Preussen verlor er allerdings den größten Teil der französischen Kolonien in Nordamerika<br />

<strong>und</strong> Indien. Unter seiner Regierung wurde der Gegensatz zwischen Frankreich <strong>und</strong> Österreich<br />

beigelegt. Während seiner Regierung hatte Ludwig XV. mit dem Widerstand der Parlamente<br />

(Gerichtshöfe) zu kämpfen, die sich gegen jede Staatsreform sträubten. Im Jahre 1770 verbot<br />

er diese Parlamente, <strong>und</strong> die obersten Richter <strong>und</strong> führenden Abgeordnete wurden in die<br />

Verbannung oder ins Gefängnis geschickt. Außerdem gab es auch eine Adelsopposition<br />

angeführt vom Herzog von Orléans <strong>und</strong> unterstützt von den Fürsten von Condé <strong>und</strong> Conti.<br />

Ludwig XV. konnte alle diese Gruppen zu seinen Lebzeiten noch in Schach halten. Sein<br />

Nachfolger Ludwig XVI. sollte mit ihnen noch die allergrößten Probleme bekommen.<br />

Seine Frau <strong>und</strong> sein Sohn <strong>und</strong> ebenso seine Töchter waren sehr religiös eingestellt. wurden<br />

zum Haupt einer konservativen Opposition, die allerdings niemals eine Gefahr darstellte.<br />

Diese eher belächelte Minderheit am Versailler Hof störte sich vor allem an der<br />

Mätressenwirtschaft des Königs. Ludwig hatte zahlreiche Nachkommen, darunter ebenso<br />

zahlreiche illegitime Kinder. Letztere anzuerkennen lehnte er bis auf eine Ausnahme ab. Er<br />

sorgte aber für deren Erziehung <strong>und</strong> gesellschaftliche Stellung.<br />

Der Abbé de Véri urteilte: "Niemals war Frankreich so wohlhabend <strong>und</strong> so reich an<br />

Manufakturen, so ausgezeichnet durch eine Menge von Gelehrten, so gut bestückt mit<br />

angebauten Feldern <strong>und</strong> so vielen Einwohnern als unter der Regierung Ludwigs XV.“<br />

11


Madame du Barry<br />

Frauen am Hofe Ludwigs XV<br />

Madame de Pompadour<br />

Marie-Jeanne Bécu, comtesse du Barry, 1743-1793, war die uneheliche Tochter einer<br />

Näherin <strong>und</strong> eines Franziskanermönchs. In Paris arbeitete sie in einem Modehaus, wo sie dem<br />

Grafen du Barry auffiel. Er plante, sie dem König als Mätresse zu vermitteln. Dazu<br />

verheiratete er sie mit seinem Bruder. Der Einfluss Madame du Barrys beschränkte sich auf<br />

persönliche Intrigen. Als die Französische <strong>Revolution</strong> ausbrach, wurde ihr Schloss<br />

ausgeraubt. Da die Juwelen des Königs ihren ganzen Besitz darstellten, ließ sie in ganz<br />

Europa danach suchen. In England erfuhr sie von der Hinrichtung Ludwigs XVI. Die<br />

Situation als ungefährlich ansehend, fuhr sie nach Paris zurück. Im September 1793 wurde sie<br />

vor dem <strong>Revolution</strong>stribunal wegen Unterstützung der Konterrevolution, Kontakten zu<br />

Emigrierten <strong>und</strong> Verschwendung öffentlichen Eigentums angeklagt <strong>und</strong> zum Tode verurteilt.<br />

Um ihr Leben zu retten, verriet sie die Namen vieler Personen, die ebenfalls zum Tode<br />

verurteilt wurden. Marie-Jeanne du Barry wurde am 8. Dezember 1793 hingerichtet. Im<br />

Gegensatz zu Ludwig XVI. <strong>und</strong> Marie Antoinette verlief ihre Hinrichtung ungewöhnlich<br />

demütigend. Die Gräfin wurde weinend <strong>und</strong> schreiend auf dem Henkerskarren zur Guillotine<br />

gefahren <strong>und</strong> unter starker Gegenwehr <strong>und</strong> um ihr Leben flehend auf das Schafott geschleppt.<br />

Jeanne-Antoinette Poisson, Dame Le Normant d’Étiolles, Marquise de Pompadour,<br />

Duchesse de Ménars, 1721-1764, war bürgerlicher Herkunft. Als Neunjährige wurde ihr<br />

prophezeit, dass sie die Mätresse von Ludwig XV. werde. Obwohl ihre Beziehung zum König<br />

nur bis 1751 dauerte, behielt sie die Stellung als offizielle Mätresse bis zu ihrem Tod. Dies ist<br />

auf ihr diplomatisches Geschick zurückzuführen. Zum einen machte sie nicht den Fehler, sich<br />

die Königin zur Feindin zu machen. Zum andern knüpfte sie ein Netz von Verbündeten.<br />

Außerdem nutzte Madame Pompadour ihre Position zur Förderung zahlreicher Intellektueller<br />

<strong>und</strong> Künstler. Die Marquise nahm über den Herzog von Choiseul auch Einfluss auf die<br />

auswärtige Politik. Aufgr<strong>und</strong> ihrer bürgerlichen Herkunft blieb sie aber trotz ihres Adelstitels<br />

eine Außenseiterin am Hof, ihr Status hing vollständig von der wankelmütigen Gunst des<br />

Königs ab. Auch hatte sie sich ständig gegen zahlreiche Rivalinnen <strong>und</strong> missgünstige<br />

Höflinge zu behaupten. Die Mätresse liess ihre Familie an ihrem Wohlstand teilhaben. Die<br />

Ges<strong>und</strong>heit der Marquise war von Geburt an angeschlagen <strong>und</strong> durch zahlreiche Fehlgeburten<br />

stark geschwächt. Ab 1748 verschlechterte sich ihr Zustand, bis sie am 15. April 1764 starb.<br />

Ludwig XV bemerkte noch, wie schlecht das Wetter bei ihrer Beerdigung war.<br />

12


Die Töchter Ludwigs XV<br />

Madame Sophie, 1734-1782 Madame Victoire, 1733-1799 Madame Louise, 1737-1787<br />

Madame Adélaide, 1732-1800<br />

Madame Adélaide, 1732-1800<br />

Madame Adélaide war die vierte Tochter Ludwigs XV. von Frankreich <strong>und</strong> seiner<br />

polnischen Gemahlin Maria Leszczynska. Sie erwies sich schon seit frühester Jugend als sehr<br />

selbstbewusst <strong>und</strong> dickköpfig. Ihre Heimat betrachtete sie als größte <strong>und</strong> schönste Nation. Sie<br />

galt als so stolz <strong>und</strong> eitel, dass sie sämtliche Heiratsanträge ablehnte <strong>und</strong> lebte daher wie ihre<br />

Schwestern unverheiratet in Versailles. Der Ruf, eine der attraktivsten Frauen bei Hofe zu<br />

sein, eilte ihr voraus, ebenso ihre hohe Intelligenz. So sprach sie nicht nur fließend Italienisch<br />

<strong>und</strong> Englisch, sondern war auch eine hervorragende Mathematikerin <strong>und</strong> fertigte selbst Uhren<br />

an. Zudem hatte sie eine Vorliebe für H<strong>und</strong>e. Doch ihre größte Leidenschaft galt der Musik.<br />

Sie spielte fast sämtliche Instrumente. Zusammen mit ihren Geschwistern unterhielt sie auch<br />

ein Kammerorchester, das bedeutende <strong>und</strong> berühmte Konzerte bei Hofe veranstaltete.<br />

Ludwig XV. liebte seine Töchter über alles. Durch sie wurde seine Leidenschaft zum Sticken<br />

geweckt <strong>und</strong> er kochte sogar für sie Kaffee. Außerdem besuchte er sie täglich, spielte mit<br />

ihnen Karten oder ging mit ihnen auf die Jagd. Nach dem Tod ihrer älteren Schwestern Anne-<br />

Henriette <strong>und</strong> Louise-Elisabeth avancierte Adélaide zu seiner Lieblingstochter. Ihr Alltag war<br />

von Repräsentationsaufgaben <strong>und</strong> ihren musischen Interessen geprägt, doch begann sie bald<br />

wegen ihres ledigen Zustandes altjüngferlich <strong>und</strong> melancholisch zu werden. Um dies zu<br />

13


kompensieren, begann sie wie ihre Schwestern übermäßig viel zu essen. Ihre Schränke waren<br />

vollgestopft mit Schinken, Käse, Wurst, Brot, Kuchen <strong>und</strong> Wein. Zudem verabscheute sie die<br />

Strenge der Etikette. Das Leben am Hof von Versailles wurde von den Mätressen des Königs,<br />

von Madame de Pompadour <strong>und</strong> Madame du Barry, geprägt. Adélaide <strong>und</strong> ihre Geschwister<br />

bildeten mit ihrer Mutter eine konservativ-christliche Partei, die sich der Macht der Mätressen<br />

widersetzte. Adélaide hatte von ihrer Mutter nicht nur ihre geistigen Fähigkeiten geerbt,<br />

sondern auch die tiefe Frömmigkeit <strong>und</strong> tugendhaften Ansichten eines anständigen Lebens.<br />

Trotz der Bemühungen der Mätresse, ein fre<strong>und</strong>schaftliches Verhältnis zu den Töchtern des<br />

Königs aufzubauen, blieb dieses gespannt. Adélaide intrigierte auch gegen den Herzog von<br />

Choiseul, Frankreichs Außenminister <strong>und</strong> Günstling der Madame de Pompadour.<br />

Im Laufe der Jahre wurden Adélaide <strong>und</strong> ihre Schwestern immer mürrischer. Aus der<br />

einstigen Schönheit war eine alte Matrone geworden, die wegen ihres arroganten Wesens bei<br />

Hofe sehr unbeliebt war. Nach dem Tod ihres Bruders <strong>und</strong> dessen Ehefrau, mit denen sie ein<br />

stets fre<strong>und</strong>schaftliches Verhältnis gepflegt hatte, kümmerten sie <strong>und</strong> ihre Schwestern sich um<br />

ihre verwaisten Neffen <strong>und</strong> Nichten. Diese durften in ihren Gemächern wild herumtollen.<br />

Dabei baute Adélaide eine besonders intensive Beziehung zu ihrem ältesten Neffen auf, dem<br />

späteren König Ludwig XVI.<br />

1768 starb ihre Mutter <strong>und</strong> Adélaide stieg zur ersten Dame Frankreichs auf. Doch sie wurde<br />

schon 1770 wieder in die zweite Reihe gedrängt durch die Vermählung Ludwigs XVI. mit der<br />

österreichischen Erzherzogin Marie-Antoinette. Adélaide verabscheute die junge<br />

Habsburgerin. Doch erkannte sie ihre kindliche Naivität <strong>und</strong> versuchte sich diese zu Nutze zu<br />

machen. Zum Schein ließen sie <strong>und</strong> ihre Schwestern sich auf eine Fre<strong>und</strong>schaft mit ihr ein<br />

<strong>und</strong> wurden ihre einzigen Bezugspersonen am kalten Hofe von Versailles. Sie isolierten dabei<br />

die völlig ahnungslose Dauphine vom Rest der Hofgesellschaft <strong>und</strong> fädelten sie geschickt in<br />

ihr Intrigennetz gegen Madame du Barry ein.<br />

Ende April 1774 erkrankte Ludwig XV. von Frankreich an den Pocken. Wegen der hohen<br />

Ansteckungsgefahr war es den Mitgliedern der königlichen Familie nicht gestattet, sich dem<br />

Krankenzimmer des Königs zu nähern. Lediglich Adélaide <strong>und</strong> ihre jüngste Schwester, die<br />

Karmelitin Louise Marie, durften ihren im Sterben liegenden Vater pflegen. Nach dem<br />

Ausbruch der Französischen <strong>Revolution</strong> mussten Adélaide <strong>und</strong> Victoire Schloss Versailles<br />

verlassen. 1791 gingen sie nach Turin zu ihrer Nichte Clothilde, eine Schwester von Ludwig<br />

XVI <strong>und</strong> Gattin des Prinzen von Piemont, dann nach Rom zu Pius VI., der sie in der Villa<br />

Farnese beherbergte <strong>und</strong> anschliessend nach Neapel, wo eine Schwester von Marie-Antoinette<br />

regierte, die aber über den Besuch der beiden alten Damen nicht erfreut war. 1799 liessen sie<br />

sich in Triest nieder, wo sie unter ärmlichen Verhältnissen lebten. Unter Ludwig XVIII.<br />

wurden ihre Gebeine nach Paris in die Basilika Saint-Denis überführt.<br />

14


Ursachen <strong>und</strong> Auswirkungen der Französischen <strong>Revolution</strong><br />

Im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert, im Siècle des Lumières, wähnte man sich<br />

in der „besten aller möglichen Welten“. Alle<br />

Errungenschaften galten als unüberbietbar <strong>und</strong> mussten<br />

bewahrt bleiben. Das führte zu einer Überreglementierung des<br />

Lebens <strong>und</strong> damit zu einer allgemeinen Unfreiheit. Dem<br />

gegenüber stand die geistige Bewegung des neuen Zeitalters.<br />

Die größten Denker kämpften im Namen der Vernunft gegen<br />

die Erstarrung der Gesellschaft. Viele Menschen wanderten<br />

aus <strong>und</strong> fanden auf dem neue Kontinent eine Zufluchtsstätte,<br />

von wo sie nach Hause berichteten, dass die Armen <strong>und</strong> die<br />

Reichen sich einer „höchst angenehmen Gleichheit“ erfreuten.<br />

1776 erklärten die Amerikaner ihre Unabhängigkeit. Sie<br />

gaben sich eine demokratische Verfassung <strong>und</strong> rissen<br />

sämtliche sozialen Schranken zwischen den Völkern <strong>und</strong> den<br />

Menschen innerhalb ihrer Gemeinschaft nieder.<br />

In Preussen wurde Friedrich der Große zum Vorläufer der neuen Staatsform des aufgeklärten<br />

Absolutismus. Auch Joseph II. von Österreich <strong>und</strong> Katharina die Große von Russland<br />

verschlossen sich dem neuen Zeitgeist nicht. Jene Regenten Europas, die diesen Vorbildern<br />

folgten <strong>und</strong> den Toleranzgedanken in die Tat umsetzten, konnten Katastrophen vermeiden.<br />

Die Lage in Frankreich<br />

Nur in Frankreich tat sich die Regierung schwer. Durch die Weiterführung einer<br />

übersteigerten höfisch-absolutistischen Lebensweise <strong>und</strong> die Unterstützung des<br />

amerikanischen Unabhängigkeitskrieges stand Frankreich am Rande des Bankrotts. Der Erste<br />

<strong>und</strong> Zweite Stand, der Klerus <strong>und</strong> der Adel, war von Steuern befreit, während der Dritte Stand<br />

die finanzielle Hauptlast trug, aber politisch <strong>und</strong> gesellschaftlich bedeutungslos blieb.<br />

Der Dritte Stand umfasste das gesamte Bürgertum: darunter Juristen, Ärzte, Lehrer,<br />

Handwerker <strong>und</strong> Bauern. Auch der Adel war keine homogene Gruppe. Generell lässt er sich<br />

einteilen in „Noblesse de l’Epee“ <strong>und</strong> „Noblesse de Robe“. Letztere unterstützten den Dritten<br />

Stand <strong>und</strong> die <strong>Revolution</strong>, als diese noch gemässigt war. Nur erstere, die konservative<br />

Gruppe, war ein Gegner der <strong>Revolution</strong>. Doch waren die Grenzen durchlässig. Graf Mirabeau<br />

zum Beispiel war ein Fre<strong>und</strong> des Königs <strong>und</strong> gleichzeitig der Führer des Dritten Standes.<br />

Es herrschte beim Dritten Stand eine Ablehnung gegenüber den adeligen <strong>und</strong> kirchlichen<br />

Privilegien insbesondere von Seiten der Vertreter der Berufs- <strong>und</strong> Handelsverbände, die an<br />

die Macht strebten, aber auch von Seiten der grossen protestantischen Minderheit. Man war<br />

unzufrieden über die Fortsetzung des luxuriösen Lebens des Adels angesichts der<br />

Staatsverschuldung <strong>und</strong> der sozialen Missstände. Man war unzufrieden mit den Abgaben an<br />

die Kirche, dem grössten Landbesitzer, man vermisste eine Sozialversicherung für die<br />

Kriegsveteranen, <strong>und</strong> man hasste die teure <strong>und</strong> privilegierte <strong>Schweizergarde</strong>, die auf den<br />

König vereidigt war <strong>und</strong> gegen deren Entlassung sich der König wehrte. Man war unzufrieden<br />

mit dem veralteten Steuer- <strong>und</strong> Finanzsystem, empörte sich über die Entlassung der populären<br />

Finanzminister Turgot <strong>und</strong> Necker <strong>und</strong> war entsetzt über die fast totale Unfähigkeit Ludwigs<br />

XVI. <strong>und</strong> seiner Berater sich dieser Probleme anzunehmen. Hinzu kommt der Hass auf Marie-<br />

Antoinette, die sich durch politische Fehler viele einflussreiche Feinde geschaffen hatte, die<br />

gegen sie intrigierten <strong>und</strong> das Volk aufhetzten. Die hohe Arbeitslosigkeit <strong>und</strong> die hohen<br />

Brotpreise sowie die Hungersnot in den Monaten kurz vor Ausbruch der <strong>Revolution</strong> brachten<br />

15


die Menschen auf die Strasse, deren Erfolg durch viele Pannen bei den Machthabern<br />

begünstig wurde. Auch in der Aristokratie gab es Abtrünnige, zum Beispiel der Herzog von<br />

Orléans, der Marquis de la Fayette oder der Richter <strong>und</strong> Ankläger Fouquier-Tinville.<br />

Es handelt sich bei der französischen <strong>Revolution</strong> um ein vielschichtiges Phänomen, in dem<br />

sich die vom Bürgertum <strong>und</strong> liberalem Adel getragene <strong>Revolution</strong> mit den auf ganz andere<br />

Ziele gerichteten Aufstandsbewegungen der städtischen <strong>und</strong> bäuerlichen Massen überlagert.<br />

Aus der <strong>Revolution</strong> <strong>und</strong> den napoleonischen Kriegen ist nicht der Citoyen, sondern in<br />

ökonomisch-politischer Gesetzmässigkeit, der Bourgeois, der Finanzbürger, als Sieger<br />

hervorgegangen. Zusammen mit dem technischen, wissenschaftlichen <strong>und</strong> industriellen<br />

Fortschritt, hat er sich seitdem krebsartig über den ganzen Erdball verbreitet. Dabei ist es ihm<br />

gelungen, innerhalb von nur h<strong>und</strong>ert Jahren die Erde an den Rand ihrer physischen Existenz<br />

zu bringen. Kein Jahrh<strong>und</strong>ert war zudem blutiger <strong>und</strong> menschenverachtender als das<br />

bürgerliche 20. Jahrh<strong>und</strong>ert mit seinen Weltkriegen, Diktaturen <strong>und</strong> Völkermorden, <strong>und</strong> kein<br />

Zeitalter hat die „befreiten“ <strong>und</strong> vom Land in die Städte strömenden Menschen mehr<br />

ausgebeutet als dasjenige der Industrialisierung. (vgl. Seite 64)<br />

Jean Rodolphe von Salis schreibt: Die Anerkennung von Lebensrecht <strong>und</strong> Würde war am<br />

besten im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert gesichert, da adelige Aufklärer unter dem Ançien Regime die<br />

bürgerlichen Forderungen vertraten. Solange die Bourgeoisie von der politischen<br />

Machergreifung ferngehalten war, verlief die Aufklärung harmonisch <strong>und</strong> konfliktlos. Das 19.<br />

<strong>und</strong> 20. Jahrh<strong>und</strong>ert hat alles zurückentwickelt. Der aristokratisch-bürgerlichen<br />

Aufklärungsgesellschaft der vorrevolutionären Zeit darf daher ein grösserer <strong>und</strong> echterer<br />

Respekt für die Menschenwürde nachgesagt werden als dem untoleranten <strong>und</strong> härteren<br />

Bürgertum, dem die französische <strong>Revolution</strong> zur Macht verhalf.<br />

Von den <strong>Revolution</strong>en über die Belle Epoque ins 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

Das bürgerliche 20. Jahrh<strong>und</strong>ert zeichnete sich auch aus durch seine unvergleichliche<br />

Technologie aber auch durch seinen Niedergang in Kunst <strong>und</strong> Architektur. Einzig die<br />

viktorianische Ära bzw. die Zeit der Belle Epoque, die das Repräsentationsbedürfnis des<br />

aufstrebenden Bürgertums befriedigte, hatte eine kurze Blüte gezeigt. Man orientierte sich an<br />

den Prinzipien des englischen Gentleman, an der Kultur des französischen Ancien Régime, an<br />

der italienischen Renaissance, am deutschen Hochmittelalter <strong>und</strong> an der griechisch-römischen<br />

Antike, <strong>und</strong> es kam zwischen Adel <strong>und</strong> Bürgertum zu einem Ausgleich (1). Doch die Früchte<br />

dieser Jahrzehnte des Friedens, die zwischen den blutigen <strong>Revolution</strong>en des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

<strong>und</strong> der Katastrophe der beiden Weltkriege im 20. Jahrh<strong>und</strong>ert stehen, werden heute als<br />

minderwertiger „Historismus“ verachtet. Dafür erfreuen sich die seelenlosen Machwerke des<br />

20. Jahrh<strong>und</strong>erts höchster Wertschätzung.<br />

Zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>ert hiess es, die Maschine sei schöner <strong>und</strong> vollkommener als die<br />

Natur, <strong>und</strong> man erinnert sich, dass am Anfang dieser Entwicklung eine Maschine stand, die<br />

Guillotine. Diese sollte den Menschen befreien vom Respekt vor der Natur, von den Zwängen<br />

der traditionellen Kultur <strong>und</strong> von den ethischen <strong>und</strong> moralischen Bindungen der Religion.<br />

Damit sollte der Weg frei gemacht werden für einen blindwütigen technischen Fortschritt <strong>und</strong><br />

einen hemmungslosen materiellen Profit.<br />

__________<br />

(1) Der Adel, nach neuen Einkünften Ausschau haltend, suchte die Finanzkraft der Bourgeoisie, <strong>und</strong><br />

dieser wiederum fehlte die historische Legitimität, die ihm nur der Adel bieten konnte. Selbstbewusst<br />

geworden, befreite es sich schliesslich von ihm in zwei Weltkriegen. Doch ist es der siegreichen<br />

Meritokratie seither noch in keiner Weise gelungen, das Kulturniveau <strong>und</strong> Mäzenatentum der früheren<br />

Aristokratie zu erreichen. (vgl. Seite 64)<br />

16


1789<br />

Chronologie der Ereignisse zwischen 1789 <strong>und</strong> 1799<br />

5. Mai: Finanzminister Necker eröffnet die festliche Versammlung der Generalstände in<br />

Versailles, nachdem eine Protestwelle gegen den für die Lage Frankreichs verantwortlich<br />

gemachten Absolutismus das Königreich erfasst hat. Der Dritte Stand hat mit 578<br />

Abgeordneten die Mehrheit (gegen 291 bzw. 270 von Adel <strong>und</strong> Klerus), aber die<br />

Abstimmungen werden nicht nach der Anzahl der Stimmberechtigten sondern nach Ständen<br />

gewertet. Auch sonst wurde der Dritte Stand in jeder Hinsicht gedemütigt.<br />

9. Juli: Nachdem keine Einigung erreicht wurde, erklärt sich der Dritte Stand auf Antrag von<br />

Abbé Sieyès kurzerhand zur Nationalversammlung, d.h. zur verfassungsgebenden<br />

Versammlung.<br />

14. Juli: Sturm auf die Bastille (das alte Pariser Staatsgefängnis) nachdem Ludwig XVI.<br />

Truppen um Paris <strong>und</strong> Versailles zusammengezogen hat, um die Nationalversammlung<br />

gegebenenfalls gewaltsam aufzulösen. Die Nationalversammlung schafft die Vorrechte des<br />

Adels ab, bis dieser schließlich freiwillig verzichtet (Ballhausschwur). Durch die Erfolge in<br />

Paris beflügelt, griffen die Unruhen auch auf das Land über, Kirchen <strong>und</strong> Schlösser wurden<br />

gestürmt, die ersten Adligen verlassen das Land <strong>und</strong> konspirieren im monarchischen Ausland<br />

gegen die Entwicklung in Frankreich.<br />

5./6. Oktober: Mehrere Tausend bewaffneter Zivilisten <strong>und</strong> Soldaten holten am 5./6. Oktober<br />

1789 Ludwig XVI. <strong>und</strong> seine Familie von Versailles nach Paris<br />

20. August: Erklärung der Menschen- <strong>und</strong> Bürgerrechte.<br />

2. November: Säkularisierung der Kirchengüter, Umwandlung in Nationalgüter (Assignaten).<br />

1790<br />

Januar: Den Unruhen von 1789 folgte, begünstigt durch eine gute Ernte <strong>und</strong> die verbesserte<br />

Versorgungslage, das glückliche Jahr 1790, das seinen Höhepunkt am 14. Juli im<br />

Föderationsfest auf dem Champ de Mars zum Jahrestag des Sturms auf die Bastille hatte: Vor<br />

H<strong>und</strong>erttausenden Zuschauer leisteten 60.000 Nationalgardisten aus allen Teilen des Landes<br />

mit der Nationalversammlung den Eid der Treue für die Nation, das Gesetz <strong>und</strong> den König.<br />

Verwaltungsreform <strong>und</strong> Gliederung des Landes in 83 Departemente <strong>und</strong> Paris in 48<br />

Sektionen.<br />

1791<br />

20.-25. Juni: Fluchtversuch des Königs, dessen Festnahme in Varennes <strong>und</strong> Rückführung<br />

nach Paris durch eine Bürgermiliz.<br />

17. Juli: Der Girondist Brissot legt in Begleitung Dantons <strong>und</strong> tausender Bürger eine<br />

Bittschrift auf dem Champ de Mars (Exerzierplatz zwischen Seine <strong>und</strong> Militärakademie)<br />

nieder, um Unterschriften für die Bestrafung <strong>und</strong> Absetzung des Königs <strong>und</strong> für die<br />

Einführung der Republik zu sammeln. Die Nationalgarde schießt in die Menge.<br />

<strong>3.</strong> September: Die neue Verfassung tritt in Kraft, notgedrungen schwört der König auf diese.<br />

Frankreich erhält eine konstitutionelle Monarchie mit legislativen Befugnissen des Königs<br />

17


(aufschiebendes Veto gegenüber der Nationalversammlung). Unter dem Eindruck der Flucht<br />

des Königs <strong>und</strong> des Blutbades auf dem Champ de Mars mehren sich jedoch die Stimmen für<br />

die Schaffung einer Republik.<br />

1. Oktober: In der neugewählten gesetzgebenden Nationalversammlung stellen die radikalen<br />

politischen Clubs der Jakobiner, Girondisten <strong>und</strong> Cordeliers die Mehrheit. Bald entstehen<br />

scharfe Gegensätze zwischen dem gemäßigten Flügel (Girondisten) <strong>und</strong> der radikalen<br />

Bergpartei den Jakobinern (Montagnards).<br />

1792<br />

20. April: Frankreich erklärt Österreich den Krieg. Die ausländischen Monarchien fürchten<br />

die Ausweitung des revolutionären Gedankens in Europa. Der französische König hofft auf<br />

eine schnelle Niederlage Frankreichs <strong>und</strong> das damit verb<strong>und</strong>ene Ende der <strong>Revolution</strong>.<br />

10. August: Sturm auf die Tuilerien, den Königspalast in Paris (treibende Kraft ist Georges<br />

Jacques Danton), als Reaktion auf das Koblenzer Manifest des österreichisch-preußischen<br />

Oberbefehlshabers, das die Wiederherstellung der Monarchie in Frankreich als Kriegsziel der<br />

Koalition formuliert. Die <strong>Schweizergarde</strong>, die einzige Truppe auf die sich der König noch<br />

verlassen konnte, wird massakriert <strong>und</strong> Ludwig XVI. <strong>und</strong> seine Familie werden inhaftiert. Die<br />

konstitutionelle Monarchie ist beendet <strong>und</strong> die Wahl der Gesetzgebenden Versammlung, des<br />

Nationalkonvents, der eine republikanische Verfassung erarbeiten soll, wird beschlossen.<br />

Beginn der radikalen Phase der Französischen <strong>Revolution</strong>.<br />

2.-6. September: Septembermorde aus Angst vor Konspiration <strong>und</strong> konterrevolutionären<br />

Bestrebungen, mehr als 1000 politische Häftlinge werden in den Gefängnissen getötet<br />

hauptsächlich Geistliche <strong>und</strong> Royalisten. Die treibende Kraft ist Jean-Paul Marat.<br />

20. September: Die französische Armee bringt bei Valmy den Vorstoß der österreichischpreußischen<br />

Invasionstruppen zum Stehen. Danton hat zuvor in seinen Reden Zehntausende<br />

dazu gebracht, sich freiwillig zur Armee zu melden.<br />

21. September: Der Nationalkonvent tritt erstmals als Nachfolger der zuvor aufgelösten<br />

Nationalversammlung zusammen <strong>und</strong> ruft die Republik aus. Er besteht aus 750<br />

Abgeordneten, davon 200 Girondisten <strong>und</strong> 120 Jakobiner.<br />

22. September: Beginn des <strong>Revolution</strong>skalenders mit neuer Zeitrechnung.<br />

25. September: Robespierre klagt König Ludwig XVI. vor dem Konvent des Landesverrats<br />

an <strong>und</strong> verlangt seinen Tod. Beim König werden Papiere gef<strong>und</strong>en, die seine Verbindung mit<br />

den Kriegsgegnern bestätigen.<br />

1<strong>3.</strong> November: Debatten über den König, den man jetzt bürgerlich Louis Capet nennt. Erstes<br />

Hervortreten Saint Justs als öffentlicher Ankläger.<br />

1793<br />

18. Januar: Der König wird zum Tode verurteilt <strong>und</strong> am 21. hingerichtet.<br />

6. April: Auf Antrag Dantons wird der aus 25 Männern bestehende Wohlfahrtsausschuss als<br />

<strong>Revolution</strong>sregierung etabliert. Dieser ist nun das maßgebliche Exekutivorgan der Republik<br />

mit weitreichenden Vollmachten.<br />

18


Mai/Juni: Beginn der Jakobinerherrschaft im Konvent. Verhaftung der ersten girondistischen<br />

Abgeordneten, die ein Ende des Blutvergießens gefordert haben. Hinrichtung von 32 Führern<br />

der Gironde.<br />

Juli: Ermordung des Jakobinerführers Marat durch die Girondistin Juliette Corday.<br />

27. Juli: Danton scheidet aus dem Wohlfahrtsausschuss aus, dem nun Robespierre beitritt.<br />

Reduktion der Mitglieder auf 10.<br />

September: Beginn des <strong>Revolution</strong>sterrors. In ganz Paris finden Massaker statt.<br />

30. Oktober: 21 Girondisten hingerichtet.<br />

Dezember: Danton dringt auf das Ende des Terrors <strong>und</strong> die Einsetzung eines Gnadenaus-<br />

schusses. Angriffe Camille Desmoulins auf die Hebertisten, Robespierre <strong>und</strong> das<br />

Terrorregime in seiner Zeitschrift „Le vieux cordelier".<br />

1794<br />

14.-24. März: Verhaftung <strong>und</strong> Hinrichtung der Hebertisten. Für Robespierre bilden die<br />

Dantonisten die letzte Gefahr für den Fortgang der <strong>Revolution</strong>. Letzte erfolglose Unterredung<br />

Dantons <strong>und</strong> Robespierres.<br />

30. März: Robespierre erhält die Zustimmung des Konvents zur Verhaftung Dantons wegen<br />

angeblicher Verbindung mit dem Ausland.<br />

5. April: Hinrichtung von Danton, Desmoulin, Lacroix, Philippeau <strong>und</strong> anderer Anhängern.<br />

Robespierre wird zum Präsidenten des Nationalkonvents gewählt. Robespierre kann die<br />

soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Krise im Innern nicht kontrollieren. Nachdem er das<br />

Verdachtsgesetz erlassen sowie die Verteidigung <strong>und</strong> die Immunität der Abgeordneten<br />

abgeschafft hat, wird er am 9. Thermidor (27. Juli) im Konvent verhaftet <strong>und</strong> einen Tag später<br />

gemeinsam mit Saint Just ohne Prozess hingerichtet. In den nächsten Tagen enden über 100<br />

seiner Anhänger unter der Guillotine. Auch der Herzog von Orléans war 1793 unter der<br />

Guillotine gestorben <strong>und</strong> 1795 sollte auch der berüchtigte Ankläger Fouquier-Tinville folgen.<br />

11. November: Der Jakobinerclub wird geschlossen. Allein zwischen April 1793 bis Juli<br />

1794 wurden mehr als 17.000 Opfer in ganz Frankreich hingerichtet. Rechnet man die in den<br />

Gefängnissen Ermordeten hinzu, beläuft sich die Zahl auf 40.000. Der dritte Stand machte<br />

84%, der Adel 8,5% <strong>und</strong> die Geistlichkeit 6,5% der Toten aus.<br />

1795<br />

September/Oktober: Neue Direktorialverfassung <strong>und</strong> Auflösung des Nationalkonvents. Es<br />

wird ein Direktorium aus fünf Gemässigten gebildet. Die neue Volksvertretung besteht aus<br />

zwei Kammern, mit 500 bzw. 250 Mitgliedern. Das Besitzbürgertum (Bourgeoisie) wird zur<br />

neuen politischen Macht.<br />

1799<br />

9. November (18. Brumaire): Napoleon Bonaparte stürzt durch einen Staatsstreich das<br />

Direktorium, erklärt sich am 1<strong>3.</strong> Dezember zum Ersten Konsul <strong>und</strong> proklamiert am 15.<br />

Dezember das Dekret über die Beendigung der <strong>Revolution</strong>.<br />

19


Sturm auf die Bastille 1789<br />

Damals hatte der Kommandant der Bastille neben 52 Soldaten noch 30 Schweizer aus dem<br />

Regiment Salis-Samaden zur Verfügung. Diese Schweizer unterstanden dem Kommando<br />

des Kapitänleutnants Ludwig von Flüe. Wäre es nach ihm gegangen, <strong>und</strong> hätte der<br />

Kommandant nicht die Tore öffnen lassen, wäre die Bastille vielleicht nie eingenommen<br />

worden, zumal noch ein Detachement Schweizer zur Unterstützung unterwegs war.<br />

Zivilisten <strong>und</strong> Soldaten holten am 5./6. Oktober 1789 Ludwig XVI. von Versailles nach Paris.<br />

Eine wirre, tobende, trunkene Meute warf sich auf die Tore <strong>und</strong> umringte die Gitter.<br />

Schreckliche zerlumpte Gestalten, wüste Männer, freche Weiber, die Augen voll Wut <strong>und</strong><br />

Hass. Zum König drang Abordnung um Abordnung. Marquis de la Fayette, der einstige<br />

Adjutant Washingtons im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg <strong>und</strong> jetziger Kommandant<br />

der Nationalgarde, ein Fre<strong>und</strong> der <strong>Revolution</strong>, wartete betont lange mit seinem Eingreifen.<br />

Der Pöbel sprengte die Türen, die <strong>Schweizergarde</strong> des Königs, Minister, Offiziere <strong>und</strong><br />

Hofadel, den Degen entblösst, rang mit der eingedrungenen Menge. Gellende Schreie hallten<br />

durch die Räume. Gemetzel in den Höfen, Blut in den Gängen, die Möbel waren zerfetzt,<br />

Kalk <strong>und</strong> Mörtel fiel. "Nach Paris, nach Paris" schrien die Weiber, Gesichter <strong>und</strong> Hände in<br />

Blut getaucht, <strong>und</strong> die Männer steckten die Köpfe der Ermordeten auf die Picken. In<br />

teuflischer Freude umjubelte der bluttrunkene Pöbel die Gefangenen.<br />

20


Erzwungene Rückkehr der königlichen Familie nach dem gescheiterten Fluchtversuch<br />

In den Strassen wüteten <strong>und</strong> lärmten, mordeten <strong>und</strong> plünderten wilde, aufgehetzte<br />

Horden gemeinsten Abschaumes in nicht zu überbietender Bestialität. Eine<br />

unüberschaubare Zahl von Opfern wurde erschlagen, verbrannt, an Laternen<br />

aufgehängt <strong>und</strong> in Flüssen ertränkt. Die Leichen häuften sich zu Berge <strong>und</strong> dazwischen<br />

standen mit rotgefärbten Händen <strong>und</strong> bluttriefenden Säbeln, die Gesichter in Wut <strong>und</strong><br />

Hass verzerrt wie Rasende, die bezahlten Mörder, <strong>und</strong> durch dieses Blutbad wateten die<br />

blau-weiss-rot beschürzten Komissäre der „erwachten Nation“. Eine besondere Jagd<br />

machte man auf die Schweizer, die man, wenn man ihnen habhaft wurde, grausam<br />

niedermetzelte. Als wahre Meister der Massaker erwiesen sich die Frauen. Mit<br />

kannibalischem Sadismus marterten sie ihre Opfer zu Tode, schändeten <strong>und</strong><br />

verstümmelten sie <strong>und</strong> rissen ihnen die noch zuckenden Herzen aus dem Leib. Das Bild<br />

zeigt den Abtransport der Leichen der <strong>Schweizergarde</strong> nach dem Massaker in den<br />

Tuilerien vom 10. August 1792.<br />

21


Jeden Tag wurden bis zu 60 Todesurteile<br />

unterschrieben, ehe man die Angeklagten auch nur<br />

anhörte; da kamen Verwechslungen vor; da<br />

geschahen Grausamkeiten aller Art. Die letzten<br />

Briefe der in der Conciergerie Versammelten<br />

erreichte die Empfänger nicht.<br />

Ça ira, ça ira, ça ira-ça.<br />

Les aristocrates à la lanterne;<br />

Ça ira, ça ira, ça ira-ça,<br />

Les aristocrates on les pendra<br />

Der Pöbel dang in die Privathäuser <strong>und</strong> überfüllten Gefängnisse ein, wo<br />

bald das Blut überschwappte <strong>und</strong> mancherorts bis auf die Strasse floss.<br />

Dem mutigen Eintreten seiner Tochter verdankte der Marquis Charles de<br />

Sombreuil sein Leben. Sie musste dafür ein Glas Menschenblut leeren<br />

22


Blut floss jeden Tag <strong>und</strong> unaufhörlich in Strömen. Opfer waren Leute aus allen<br />

gesellschaftlichen Schichten. Es war kein Bürgerkrieg, sondern ein von der<br />

Staatsgewalt gesetzlich geregeltes Unrecht <strong>und</strong> Willkür einer bürgerlichen<br />

Diktatur, die sich die primitivsten <strong>und</strong> blutrünstigsten Instinkte des<br />

grosstädtischen Abschaums zu Nutze machte <strong>und</strong> ihre unvorstellbar grausamen<br />

Gräueltaten<br />

Das Werkzeug, dessen sich die <strong>Revolution</strong>äre bedienten, war das Volk. So nannte<br />

man es. In Wirklichkeit war es nicht das Volk, sondern zum grossen Teil der<br />

Abschaum davon.<br />

23


Die Guillotine steht für Frankreich. Sie<br />

auszulassen wäre, als würde man die Geschichte<br />

Deutschlands schreiben ohne die Gaskammern zu<br />

erwähnen. Ins Auge fällt das Gegensätzliche. Die<br />

Gaskammer wird versteckt, solange es geht. Die<br />

Guillotine hingegen soll eine Politik ideologisch<br />

legitimieren, die sich von der Vergangenheit<br />

radikal unterscheidet.<br />

Zur Zeit des stärksten Terrors bewältigte die<br />

Guillotine in Paris wöchentlich fast 200<br />

Hinrichtungen. 1793 wurde mit 21 Hinrichtungen<br />

binnen 26 Minuten sogar ein Rekord aufgestellt.<br />

Nach dem Vollzug blieb das Blut auf dem Platze.<br />

H<strong>und</strong>e kamen <strong>und</strong> tränkten sich darin,<br />

Gassenbuben wateten blossfüssig darin, <strong>und</strong> die<br />

Menge weidete ihre Blicke darin.<br />

Der Namensgeber Dr. Guillotin selbst war später<br />

von den Annehmlichkeiten seiner Maschine<br />

weniger überzeugt <strong>und</strong> liess unter die Gefangenen<br />

Giftpillen verteilen<br />

Fait tomber - ber, ber; Fait sauter - ter, ter;<br />

Fait tomber, fait sauter; Fait voler, la tête<br />

Reihenweise Köpfe von Schweizern, Edelleuten <strong>und</strong> Priestern, von Bürgern <strong>und</strong> einfachen<br />

Leuten – keine Jugend schützte, keine Schönheit – <strong>und</strong> wenn sie dann der Henker Sanson<br />

an den Haaren schwenkend emporhob, wenn über Balken <strong>und</strong> Brettern das Blut tropfte, war<br />

rings auf dem Platze ein Taumel der Freude, ein Geheul, ein Gelächter, ein Händeklatschen.<br />

Viele bestiegen das Schafott mit Würde <strong>und</strong> Fassung, doch allzu oft spielten sich unter dem<br />

Gejohle der Menge herzzerreissende Szenen ab.<br />

24


Marie-Louise Lamballe, die schöne Prinzessin von Savoyen, hatte ihrer Fre<strong>und</strong>in Marie-<br />

Antoinette Treue geschworen. Seit dem frühen Tode ihres Gemahls hatte sie das ganze Leben<br />

der Hilfe für die Armen geweiht. Als sie erkrankt <strong>und</strong> fiebernd darnieder lag, schleppte man<br />

sie vor das Tribunal. Dort zwischen Krügen Wein, zwischen blutbefleckten Kleidern war das<br />

Register aufgeschlagen. Darüber beugten sich mit finsteren Blicken in dreifarbigen Schärpen<br />

die Henker. Sie beschuldigten sie der lesbischen Liebe zu Marie Antoinette <strong>und</strong> verlangten<br />

von ihr Hass auf den König <strong>und</strong> die Königin zu schwören. Sie weigerte sich, ganz zitternd<br />

beim Anblicke der Äxte <strong>und</strong> des Blutes. Da zerrten sie die Mörder auf die Strasse <strong>und</strong> mit<br />

ihrem Kopf <strong>und</strong> ihrem Herzen auf Piken schleiften sie den aufgeschlitzten Körper zum<br />

Temple, um Marie-Antoinette zu zwingen, das Haupt der einstigen Fre<strong>und</strong>in zu küssen.<br />

25


Die Erklärung der Menschenrechte<br />

Die Menschenrechte sind die in Humanismus <strong>und</strong> Aufklärung<br />

(also im Ancien Régime) entwickelten, aus Naturrecht oder<br />

Vernunft abgeleiteten subjektiven Rechte jedes Menschen<br />

Die Erklärung der Menschenrechte<br />

ausgerechnet aus der Hand der <strong>Revolution</strong>äre<br />

ist angesichts ihrer Gräueltaten der Gipfel des Zynismus<br />

Die Parolen „Freiheit, Gleichheit <strong>und</strong> Brüderlichkeit“ finden sich<br />

bereits im Ancien Régime <strong>und</strong> zwar eingraviert auf dem<br />

Schultheissenthron des aristokratischen Bern<br />

Die Patrizier, so sagte Chateaubriand, begannen<br />

die <strong>Revolution</strong>, die Plebejer vollendeten sie<br />

26


Marie-Antoinette von Österreich, Königin von Frankreich<br />

Kindheit <strong>und</strong> Jugend<br />

Maria-Antonia, Erzherzogin von Österreich, erblickte am 2.<br />

November 1755 als letzte Tochter <strong>und</strong> fünfzehntes Kind<br />

von Maria-Theresia <strong>und</strong> Kaiser Franz I. von Habsburg-<br />

Lothringen (1708-1765) in Wien das Licht der Welt. Die<br />

schwere Entbindung <strong>und</strong> das Erdbeben von Lissabon, das<br />

am 1. November 1755 stattgef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> zahlreiche<br />

Menschenleben gefordert hatte, wurden als schlechte<br />

Vorzeichen für den Lebensweg der Erzherzogin gedeutet.<br />

Sie wurde nach der Jungfrau Maria, dem heiligen Anton<br />

von Padua, ihrem älteren Bruder Joseph <strong>und</strong> dem heiligen<br />

Johannes benannt. Maria-Antonia entwickelte sich zu<br />

einem hübschen Mädchen, das mit ihrem charmanten<br />

Verhalten die Erzieher beeindruckte. Schon sehr früh zeigte<br />

sie einen Hang zur Unruhe <strong>und</strong> mied oft die<br />

Unterrichtsst<strong>und</strong>en, um sich Zerstreuungen zu widmen. Die<br />

Erzherzogin zeigte keinerlei Neigung, sich zu<br />

konzentrieren oder sich ihren Aufgaben zu widmen. Der<br />

St<strong>und</strong>enplan der Kinder von Maria-Theresia enthielt<br />

Tanzst<strong>und</strong>en, Theateraufführungen, Geschichte, Malen, Rechtschreibung, Staatsk<strong>und</strong>e, ein<br />

wenig Mathematik <strong>und</strong> Fremdsprachen. Das Mädchen wurde zudem in Handarbeiten <strong>und</strong> in<br />

der Konversation unterwiesen.<br />

Sie liebte die Natur, <strong>und</strong> wenn sie<br />

Glanz <strong>und</strong> Festlichkeiten schätzte, so<br />

war dies bei einer jungen Frau<br />

vollkommen normal, zumal sie nach<br />

einem harmonischen Familienleben<br />

strebte <strong>und</strong> sieben Jahre auf ihr erstes<br />

Kind warten musste<br />

Marie-Antoinette im Jahre 1762<br />

Mit welchem Jubel hatte sie<br />

Frankreich einst begrüsst<br />

27<br />

Maria Theresia verfolgte das ehrgeizige Ziel, die<br />

politischen Beziehungen Österreichs zu den ausländischen<br />

Staaten <strong>und</strong> die Stellung Österreichs in Europa zu<br />

verbessern <strong>und</strong> versuchte, die kaiserlichen Kinder<br />

vorteilhaft zu verheiraten. Maria-Theresia schmiedete sehr<br />

früh Heiratspläne für ihre 14 überlebenden Kinder. In<br />

ständiger Angst vor Friedrich II. von Preußen <strong>und</strong> vor<br />

Russland konzentrierte sie sich bei diesen Eheplänen vor<br />

allem auf die Erweiterung der familiären Verbindungen zu<br />

den damals in Frankreich, Spanien, Neapel-Sizilien <strong>und</strong><br />

Parma regierenden Bourbonen. Maria-Antonia <strong>und</strong> ihre<br />

Geschwister mussten so Personen heiraten, die ihre Mutter<br />

für sie ausgesucht hatte.<br />

Im Zuge der traditionellen österreichischen Heiratspolitik<br />

wurde frühzeitig eine Eheschließung zwischen Marie<br />

Antonia <strong>und</strong> dem Dauphin Louis-Auguste (dem späteren<br />

Ludwig XVI. von Frankreich) ins Auge gefasst. Die<br />

Vermählung zwischen der österreichischen Erzherzogin <strong>und</strong><br />

dem französischen Dauphin sollte das letzte <strong>und</strong> zugleich<br />

ehrgeizigste Heiratsprojekt aus einer Reihe von<br />

Eheschließungen zwischen Habsburgern <strong>und</strong> Bourbonen<br />

sein <strong>und</strong> den Frieden zwischen Frankreich <strong>und</strong> Österreich<br />

besiegeln. Nach langwierigen Verhandlungen ersuchte 1769


Sie wurde das Ideal der guten Mutter. Von<br />

da aber wurde sie heruntergeholt <strong>und</strong> dem<br />

Pöbel in einer Flut von Schmutzschriften<br />

<strong>und</strong> obszönen Bildern <strong>und</strong> unter<br />

Enthemmung aller Kategorien des<br />

Anstandes als Pornokönigin präsentiert<br />

28<br />

König Ludwig XV. von Frankreich um die Hand der<br />

Erzherzogin Maria-Antonia für seinen Enkel <strong>und</strong> Erben,<br />

den Dauphin.<br />

Nachdem der Heiratsvertrag unterzeichnet worden war,<br />

analysierte Maria-Theresia die Erziehung ihrer Tochter<br />

Maria-Antonia <strong>und</strong> bemerkte gravierende Mängel in der<br />

Allgemeinbildung <strong>und</strong> in der Beherrschung der<br />

französischen Sprache. Erst jetzt wurden Erzieher,<br />

Tanzlehrer <strong>und</strong> Sprachlehrer engagiert, die die<br />

österreichische Erzherzogin innerhalb kürzester Zeit auf<br />

das Amt einer französischen Königin vorbereiten<br />

sollten. Am 19. April 1770 fand die Hochzeit per<br />

procurationem (Trauung per Stellvertreter) in der<br />

Augustinerkirche in Wien statt. In den folgenden Tagen<br />

wurde die Abreise von Maria-Antonia vorbereitet <strong>und</strong><br />

Maria-Theresia versuchte, das weinende Kind mit<br />

folgenden Worten zu beruhigen: „Seien Sie gut zu dem<br />

französischen Volk, damit man sagen kann, ich hätte<br />

ihm einen Engel geschickt.“<br />

Das 14-jährige Mädchen verabschiedete sich am 21.<br />

April 1770 von seiner Mutter <strong>und</strong> von den<br />

Geschwistern in Wien <strong>und</strong> trat mit einem<br />

imponierenden Brautzug seine Reise nach Frankreich<br />

an. Am 7. Mai erfolgte die Übergabe auf neutralem Gebiet, eine unbewohnte Rheininsel vor<br />

Straßburg. Im Rahmen dieser Übergabe musste sich das junge Mädchen von allen<br />

österreichischen Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Bekannten trennen. Anschließend wurde sie mit französischen<br />

Gewändern bekleidet. In diesem Moment verwandelte sich die österreichische Erzherzogin<br />

Maria-Antonia in die französische Dauphine Marie-Antoinette. In Strasbourg <strong>und</strong> in Saverne<br />

war Marie Antoinette Gast von Kardinal Louis de Rohan, der später eine wichtige Rolle in der<br />

Halsbandaffäre spielen sollte. Erst am 16. Mai fand die eigentliche Vermählung von Marie-<br />

Antoinette <strong>und</strong> dem Dauphin im Schloss Versailles statt <strong>und</strong> die Dauphine wurde offiziell am<br />

französischen Hof eingeführt.<br />

Am französischen Hof<br />

Am französischen Hof geriet die sehr junge <strong>und</strong> unerfahrene Marie-Antoinette schnell in<br />

Schwierigkeiten. Sie erschien gleichgültig, oberflächlich, hochmütig, <strong>und</strong>iplomatisch,<br />

verschwenderisch <strong>und</strong> unsolide in der Wahl ihrer Beschäftigungen. Sie hegte eine große<br />

Abneigung gegen die Mätresse des regierenden Königs, Madame Du Barry. Obwohl diese<br />

viele Verbindungen am Hofe hatte, weigerte sich Marie Antoinette, mit ihr zu sprechen <strong>und</strong><br />

der Du Barry war es nicht gestattet, das Wort an die künftige Königin zu richten. Erst<br />

nachdem sie dem schriftlichen Rat ihrer Mutter folgte, sich bei Hofe anzupassen, sprach sie<br />

nach zwei Jahren der Du Barry gegenüber die berühmten sieben Worte „Es sind heute viele<br />

Leute in Versailles“ aus. Dies waren die ersten <strong>und</strong> die letzten Worte, die die Dauphine an<br />

Gräfin Du Barry richtete. Zwei Jahre, nachdem sie in Versailles angekommen war, galt sie als<br />

Königin des Rokoko. Sie gab monatlich etwa 15.000 Livres aus. Ein Großteil der Franzosen<br />

hungerte, <strong>und</strong> diese Verschwendung trug nicht zur Beliebtheit Marie-Antoinettes bei. Die<br />

Prinzessin fühlte sich von Feinden umgeben <strong>und</strong> stützte sich fast ausschließlich auf den<br />

österreichischen Botschafter, den Grafen von Mercy-Argenteau (1727-1794). Dieser war ihr


von Maria Theresia als Mentor beigegeben <strong>und</strong> sollte zugleich Maria-Theresia auf dem<br />

Laufenden halten.<br />

Königin von Frankreich<br />

Die Thronbesteigung des jungen Königspaars nach<br />

dem Tod Ludwigs XV. am 10. Mai 1774 wurde<br />

enthusiastisch begrüßt. Doch fühlte sie sich noch viel<br />

zu jung <strong>und</strong> unvorbereitet. Ihre ersten Schritte<br />

brachten Marie-Antoinette denn auch bereits in offene<br />

Konflikte mit der anti-österreichischen Partei. So<br />

drängte sie auf die Entlassung des Herzogs von<br />

Aiguillon <strong>und</strong> tat alles, um den früheren<br />

Außenminister Choiseul zu berufen, der nach einer<br />

Intrige der Madame Du Barry sein Amt hatte<br />

aufgeben müssen. So hatte sie alle Feinde Choiseuls<br />

<strong>und</strong> der österreichischen Allianz gegen sich. Die<br />

Tanten des Königs nannten sie „l’Autrichienne“ (die<br />

Österreicherin, aber auch Wortspiel die andere<br />

Hündin). Ihr legerer Umgang mit der Hofetikette<br />

schockierte viele Höflinge, <strong>und</strong> ihr Hang zu<br />

Vergnügungen ließ sie die Gesellschaft des Bruders<br />

des Königs (dem späteren König Karl X.), <strong>und</strong> seines<br />

ausschweifenden Zirkels suchen. Ihr aufwendiger<br />

Lebensstil <strong>und</strong> die enormen Ausgaben für ihr<br />

Schlösschen Le Petit Trianon brachten sie zunehmend<br />

in Misskredit <strong>und</strong> wurden von ihren Feinden<br />

ausgeschlachtet. Zu diesen gehörten unter andern die<br />

Töchter des verstorbenen Königs Ludwig XV., der<br />

Marie-Antoinette war jung <strong>und</strong> unerfahren<br />

aus dem lustigen Wien gekommen, wo ein<br />

Lächeln nicht so schwere wog wie am<br />

steifen, abgemessenen französischen Hof.<br />

Sie war schön, geistreich, aber sie war<br />

auch unbedacht <strong>und</strong> leichtsinnig. So schuf<br />

sie sich Feinde, die schamlos gegen sie<br />

intrigierten <strong>und</strong> wilde Gerüchte<br />

verbreiteten<br />

Graf von Provence (der spätere Ludwig XVIII.), der Herzog von Orléans <strong>und</strong> seine Anhänger<br />

im Palais Royal. Da sie den Zugang zum Petit Trianon auf ihre Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong> Gönner<br />

reduzierte, beleidigte sie andere Mitglieder des Hofes. Ab Herbst 1774 wurden ihr in<br />

Pamphleten unter anderem homosexuelle <strong>und</strong> pornografische Neigungen vorgeworfen. Auch<br />

ihre fre<strong>und</strong>schaftlich-geschäftliche Beziehung zur Modistin Rose Bertin wurde ihr übel<br />

genommen.<br />

In dieser Zeit besuchte ihr Bruder, Kaiser Joseph II, Frankreich. Er hinterließ der Königin ein<br />

Memorandum, das ihr die Gefahren ihres Verhaltens aufzeigte. Eine Zeit lang zeigte das<br />

Drängen des Kaisers Wirkung, <strong>und</strong> nach der Geburt ihrer Tochter Marie-Therese-Charlotte im<br />

Dezember 1778 lebte die Königin zurückgezogener. Mit dem Tod ihrer Mutter Maria-<br />

Theresia am 29. November 1780 verlor Marie-Antoinette eine kluge <strong>und</strong> liebevolle Beraterin.<br />

Die Stellung Marie Antoinettes wurde durch die Geburt des Dauphins Louis-Joseph-Xavier-<br />

François am 22. Oktober 1781 gestärkt.<br />

Um den Ruf von Marie Antoinette zu schädigen, wurde vieles versucht, beispielsweise auch<br />

die folgende Geschichte in Umlauf gebracht. Sie habe auf die Vorhaltung, die Armen könnten<br />

sich kein Brot kaufen, geantwortet: "Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie Kuchen<br />

essen". Dieser Ausspruch stammt aber nicht von ihr. Er wurde von Jean-Jacques Rousseau<br />

viele Jahre vor Marie-Antoinettes Thronbesteigung geschrieben. Es handelt sich um eine<br />

Wanderanekdote, die schon der ersten Frau von Ludwig XIV. in die Schuhe geschoben<br />

wurde.<br />

29


In ihrer wienerischen Unbefangenheit<br />

<strong>und</strong> ihrem Hass gegen Zwang <strong>und</strong><br />

Regel begreift Marie-Antoinette nicht,<br />

dass Zeremonien <strong>und</strong> Vorschriften für<br />

den Nimbus eines Königtums von<br />

Gottes Gnaden nicht minder wichtig<br />

sind als für den Priester die Riten, mit<br />

denen er seine heiligen Handlungen<br />

30<br />

Wie unpopulär Marie-Antoinette war, zeigte sich auch in<br />

der Halsbandaffäre. An dieser Betrügerei war Marie-<br />

Antoinette zwar nicht beteiligt, doch ihr Lebenswandel<br />

machte es dem Volk nahezu unmöglich, an ihre Unschuld<br />

zu glauben. Mit ihrem Weiler beim Petit Trianon, in dem<br />

sie spielerisch das Leben einer einfachen Bauersfrau<br />

nachahmte, brüskierte sie den Hochadel ebenso wie das<br />

Landvolk. Marie-Antoinette war aber oft auch ein Opfer<br />

der Umstände, die ihr häufig keine Wahl zu umsichtigem<br />

Handeln ließen. Als sie sich, den ewigen<br />

Verschwendungsvorwürfen konfrontiert, in einem<br />

schlichten Leinenkleid porträtieren ließ, gingen die<br />

Seidenweber auf die Straßen <strong>und</strong> beklagten, eine Königin,<br />

die sich so schlecht kleide sei schuld, wenn die<br />

Seidenweber verhungerten.<br />

In der Gewalt des Pöbels<br />

Am 5. <strong>und</strong> 6. Oktober 1789 holten die <strong>Revolution</strong>äre die<br />

königliche Familie nach Paris, <strong>und</strong> quartierten sie im<br />

Tuilerienpalast ein. Hilflos <strong>und</strong> isoliert, stützte sich Marie-<br />

Antoinette auf ihre Fre<strong>und</strong>e außerhalb Frankreichs<br />

(Mercy, von Fersen <strong>und</strong> den Le Tonnelier de Breteuil).<br />

Am 20. Juni 1791 versuchte die königliche Familie zu fliehen. Marie-Antoinettes langjähriger<br />

Fre<strong>und</strong> Fersen spielte bei der Flucht nach Varennes eine führende Rolle. Doch in Varennes<br />

wurde der König erkannt, die königliche Familie aufgehalten <strong>und</strong> unter Bewachung nach<br />

Paris zurückgebracht.<br />

Am 10. August 1792 veröffentlichte der Herzog von<br />

Braunschweig ein Manifest, in dem Gewalt angedroht wurde<br />

für den Fall, dass der königlichen Familie etwas zustoße. Das<br />

Volk stürmte daraufhin die Tuilerien <strong>und</strong> brachte die<br />

königliche Familie in den Temple, eine ehemalige Festung des<br />

Templerordens. In geheimen Botschaften versuchte sie die<br />

Herrscher Europas zu einer bewaffneten Intervention zu<br />

bewegen. Wegen ihrer Unerfahrenheit <strong>und</strong> Unkenntnis sowie<br />

unsicherer Informationen aus dem Ausland war es aber<br />

schwierig für sie, eine klare Politik zu verfolgen. Ungefähr ein<br />

Jahr verhandelte sie mit Mercy <strong>und</strong> dem Kaiser Leopold II.,<br />

ihrem Bruder. Am 1. März 1792 starb Leopold II., <strong>und</strong> Marie<br />

Antoinette fürchtete, dass der neue Kaiser Franz II sie den<br />

Interessen Österreichs opfern würde.<br />

Während all dieser Ereignisse zeigte Marie-Antoinette Marie-Antoinette<br />

unverändert Mut <strong>und</strong> Würde, trotz ihrer nachlassenden<br />

Ges<strong>und</strong>heit <strong>und</strong> der Krankheit ihres Sohnes. Nach der Hinrichtung des Königs am 21. Januar<br />

1793 wurden von ihren Fre<strong>und</strong>en mehrere Versuche unternommen, sie <strong>und</strong> ihre Kinder zu<br />

retten, unter anderem durch Jarjayes, Toulan <strong>und</strong> Lepitre, <strong>und</strong> den Baron Baz. Man hatte ihr<br />

bereits ihren Sohn weggenommen <strong>und</strong> trennte sie jetzt auch von ihrer Tochter <strong>und</strong> Madame<br />

Elisabeth, der Schwester des Königs Am 1. August 1793 überstellte man sie in das<br />

Conciergerie-Gefängnis.


Prozess <strong>und</strong> Hinrichtung<br />

Am 14. Oktober begann der Schauprozess gegen die „Witwe Capet“. Man beschuldigte sie<br />

des Hochverrats <strong>und</strong> der Unzucht. Ihre Antworten während der langen Verhöre waren klar<br />

<strong>und</strong> gut durchdacht. Keinerlei Beweise konnten vorgelegt werden. Dennoch entschieden die<br />

Geschworenen einstimmig auf schuldig <strong>und</strong> setzten die Hinrichtung für den 16. Oktober 1793<br />

um 12 Uhr auf dem <strong>Revolution</strong>splatz (Place de la Concorde) an. Marie-Antoinette wurde in<br />

einem Massengrab in der Nähe der heutigen Kirche La Madeleine verscharrt. An diese erste<br />

Grablege erinnert heute die Chapelle expiatoire. Mehr als zwanzig Jahre nach ihrem Tod<br />

wurde ihr Leichnam exhumiert, wobei ein Strumpfband bei ihrer Identifizierung half.<br />

Anschliessend wurde Marie Antoinette wurde in der Basilika Saint-Denis in Paris, der<br />

traditionellen Grablege der französischen Könige, an der Seite ihres Gatten beigesetzt.<br />

Ich war Königin. Und ihr habt mich entthront; Ich war Gattin, <strong>und</strong> ihr habt mein<br />

Gemahl ermordet; ich war Mutter, <strong>und</strong> ihr habt mir meine Kinder entrissen. Es<br />

bleibt nur mein Blut; beeilt euch, es zu vergiessen, um euch darin zu ertränken<br />

31


Abschiedsbrief<br />

In der Nacht nach der Verkündung des Todesurteils schrieb Marie-Antoinette in ihrer Zelle in<br />

der Conciergerie folgenden Abschiedsbrief an ihre Schwägerin, Madame Élisabeth. Der Brief<br />

wurde jedoch vom Untersuchungsrichter nicht weitergeleitet <strong>und</strong> tauchte erst Jahre später<br />

unter der Herrschaft Ludwigs XVIII. wieder auf.<br />

Marie-Antoinette im Temple<br />

32<br />

„Dir, liebe Schwester, schreibe ich zum letzten Mal. Ich wurde<br />

soeben verurteilt, nicht zu einem schmachvollen Tod, der nur<br />

für Verbrecher gilt, sondern dazu, Deinen Bruder<br />

wiederzufinden. Unschuldig wie er, hoffe ich ihm in seinen<br />

letzten Augenblicken zu gleichen. Ich bin ruhig, wie man es<br />

ist, wenn das Gewissen dem Menschen keine Vorwürfe macht.<br />

Ich bedaure tief, meine armen Kinder zu verlassen. Du weißt,<br />

ich habe nur für sie gelebt <strong>und</strong> für Dich, meine gute zärtliche<br />

Schwester. Du, die Du aus Fre<strong>und</strong>schaft alles geopfert hast,<br />

um bei uns zu bleiben – in welcher Lage lasse ich Dich<br />

zurück! Durch das Plädoyer des Prozesses habe ich erfahren,<br />

dass meine Tochter von Dir getrennt worden ist. Ach, die<br />

arme Kleine! Ich wage es nicht, ihr zu schreiben, sie würde<br />

meinen Brief nicht erhalten – weiß ich doch nicht einmal, ob<br />

dieser hier Dich erreichen wird. Empfange für sie beide<br />

hierdurch meinen Segen. Ich hoffe, dass sie später einmal,<br />

wenn sie größer sind, sich mit Dir vereinigen <strong>und</strong> ganz Deine<br />

zärtliche Sorgfalt genießen können. Mögen sie beide an das denken, was ich sie unablässig<br />

gelehrt habe: dass die Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> die genaue Befolgung der eigenen Pflichten das<br />

wichtigste F<strong>und</strong>ament des Lebens sind, dass die Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> das Vertrauen, das sie<br />

einander entgegenbringen werden, sie glücklich machen wird. Möge meine Tochter, als die<br />

ältere, fühlen, dass sie ihrem Bruder immer beistehen müsse mit Ratschlägen, die größere<br />

Erfahrung <strong>und</strong> ihre Fre<strong>und</strong>schaft ihr eingeben werden. Möge mein Sohn hinwieder seiner<br />

Schwester alle Fürsorge <strong>und</strong> alle Dienste erweisen, die sich aus der Fre<strong>und</strong>schaft ergeben.<br />

Mögen sie endlich beide fühlen, dass sie in jeder Lage ihres Lebens nur durch ihre Eintracht<br />

wirklich glücklich sein werden. Mögen sie sich uns zum Beispiel nehmen! Wie viel Tröstung<br />

hat uns unsere Fre<strong>und</strong>schaft in unseren Leiden verschafft! Und das Glück genießt man<br />

doppelt, wenn man es mit einem Fre<strong>und</strong>e teilen kann. Wo aber kann man einen zärtlicheren,<br />

innigeren Fre<strong>und</strong> finden als in der eigenen Familie? Möge mein Sohn niemals die letzten<br />

Worte seines Vaters vergessen, die ich ihm mit Vorbedacht<br />

wiederhole: Möge er niemals danach trachten, unseren Tod zu<br />

rächen! Ich liebe ihn... Ich muss zu Dir von einer Sache<br />

sprechen, die meinem Herzen sehr wehe tut. Ich weiß, wie dieses<br />

Kind Dir Qual bereitet haben muss, verzeihe ihm, liebe<br />

Schwester, denk an seine große Jugend <strong>und</strong> wie leicht es ist, ein<br />

Kind das sagen zu lassen, was man will, <strong>und</strong> sogar das, was es<br />

selber nicht versteht. Ich hoffe, ein Tag wird kommen, da es um<br />

so besser den Wert Deiner Liebe <strong>und</strong> Zärtlichkeit begreifen wird,<br />

die Du beiden entgegenbringst. Ich muss Dir noch meine letzten<br />

Gedanken anvertrauen. Ich hätte sie vom Beginn des Prozesses<br />

an niederschreiben mögen, aber abgesehen davon, dass man mir<br />

nicht gestattete zu schreiben, verlief er so schnell, dass ich in der<br />

Tat keine Zeit dazu gehabt hätte. Ich sterbe im apostolischen,<br />

römisch-katholischen Glauben, der Religion meiner Väter, in der<br />

ich erzogen wurde <strong>und</strong> zu der ich mich immer bekannt habe. Da<br />

Marie Antoinette<br />

auf dem Henkerskarren


ich keinerlei geistliche Tröstung zu erwarten habe, da ich nicht weiß, ob es hier noch Priester<br />

dieser Religion gibt, <strong>und</strong> da auch der Ort, an dem ich mich befinde, sie allzu großen Gefahren<br />

aussetzen würde, wenn sie zu mir kämen, bitte ich Gott von Herzen um Vergebung für alle<br />

meine Sünden, die ich begangen habe, seit ich lebe. Ich hoffe, dass er in seiner Güte meine<br />

letzten Gebete erhören wird so wie alle jene, die ich seit langem an ihn richte, damit meine<br />

Seele seines Erbarmens <strong>und</strong> seiner Güte teilhaftig werde. Ich bitte alle, die ich kenne, <strong>und</strong> im<br />

besonderen Dich, liebe Schwester, um Verzeihung für jedes Leid, das ich ihnen unwissentlich<br />

etwa zugefügt habe. Ich verzeihe all meinen Feinden alles Böse, das ich durch sie erlitten<br />

habe. Ich sage hiermit den Tanten <strong>und</strong> all meinen Brüdern <strong>und</strong> Schwestern Lebewohl. Ich<br />

hatte Fre<strong>und</strong>e. Der Gedanke, dass ich von ihnen für immer getrennt bin, <strong>und</strong> das Bewusstsein<br />

ihres Schmerzes gehören zu den größten Leiden, die ich sterbend mit mir nehme. Mögen sie<br />

wenigstens wissen, dass ich bis zu meinem letzten Augenblick an sie gedacht habe. Leb wohl,<br />

gute zärtliche Schwester! Möge dieser Brief Dich erreichen! Vergiss mich nicht! Ich umarme<br />

Dich von ganzem Herzen sowie die armen lieben Kinder! Mein Gott, wie herzzerreißend ist es<br />

doch, sie für immer zu verlassen! Leb wohl, leb wohl! Ich werde mich nun nur noch mit<br />

meinen geistlichen Pflichten befassen. Da ich nicht frei in meinen Entschlüssen bin, wird man<br />

mir vielleicht einen Priester zuführen. Aber ich erkläre hiermit, dass ich ihm kein einziges<br />

Wort sagen <strong>und</strong> ihn wie einen völlig Fremden behandeln werde.“<br />

Auf einem Karren unter Schmährufen der Menge durch die Stadt<br />

geführt, stieg Marie-Antoinette würdig <strong>und</strong> gefasst die Treppe hoch<br />

zum Schafott, als ob sie die grosse Treppe in Versailles<br />

hinaufschritt. Als Marie-Antoinette auf dem Schafott versehentlich<br />

dem Henker auf den Fuss trat, sagte sie: Entschuldigen Sie mein<br />

Herr, ich tat es nicht mit Absicht<br />

33


Die Kinder von Marie Antoinette<br />

Marie-Therese, 1778-1851<br />

Madame Royale<br />

Louis-Joseph, 1781-1789<br />

Marie-Therese, 1778-1851<br />

Marie-Therese, 1778-1851<br />

Sie hatte als einzige überlebt<br />

vermählt mit Louis-Anton von Bourbon<br />

Herzog von Angoulême<br />

Sohn des Grafen von Artois<br />

dem nachmaligen Charles X.<br />

34


Charles-Louis, 1785-1795<br />

Dem Dauphin lachte die ganze Welt voll Glanz<br />

<strong>und</strong> Herrlichkeit. Das schönste Schloss gehörte<br />

ihm. Er hatte gute Eltern <strong>und</strong> eine Schwester, die<br />

er sehr liebte. Sie spielten in goldenen Zimmern<br />

mit glänzenden Spiegeln <strong>und</strong> hohen Fenstern,<br />

oder im grossen Park, wo sich samtene<br />

Rasenflächen breiteten, wo schattige Bäume<br />

standen <strong>und</strong> auf glitzernden Teichen weisse<br />

Schwäne schwammen. Er liebte auch seine<br />

Mama-Königin, der er alle Blumen seines<br />

Gartens weihte<br />

Sophie-Helene, 1786-1787<br />

35<br />

Gewaltsam seiner Familie entrissen wurde der Dauphin<br />

nun vom Schuster Simon <strong>und</strong> dessen Frau misshandelt<br />

<strong>und</strong> umerzogen. Er hörte nur noch Flüche,<br />

Schmähungen <strong>und</strong> Drohungen. Schliesslich verlor sich<br />

das Schicksal des todgeweihten Kindes in einer<br />

feuchten Kerkergruft. Mit ihm starb die jüngste <strong>und</strong><br />

lieblichste Knospe am Stamm des heiligen Ludwig.<br />

Marie-Therese <strong>und</strong> Louis-Joseph, 1784


Die Halsbandaffäre<br />

Louis René Prince de Rohan stammte aus einer der<br />

vornehmsten Familien Frankreichs. Diesem Rang<br />

entsprechend führte er einen glänzenden Hofhalt. Er war<br />

ein schöner, aber bis zur Dummheit eitler Mann mit<br />

bedenklicher Neigung zu den Frauen. Zwar voller Geist<br />

<strong>und</strong> Liebenswürdigkeit, gewählt gekleidet, galant <strong>und</strong><br />

von ausgesuchter Höflichkeit, legt er dennoch eine<br />

Leichtgläubigkeit an den Tag, die ihm schon teuer zu<br />

stehen gekommen ist. Als ehemaliger Gesandter in Wien<br />

war er von dort 1774 abberufen worden war, nachdem er<br />

das Missfallen von Kaiserin Maria Theresia erregt hatte.<br />

Der Gr<strong>und</strong> dafür war, sein Lebensstil pflegte <strong>und</strong> die<br />

Tatsache, dass er Maria-Theresia vom frivolen<br />

Lebenswandel ihrer Tochter Marie Antoinettes berichtet<br />

hatte. Marie-Antoinette hegte deshalb eine tiefe<br />

Abneigung gegen ihn, <strong>und</strong> dem Kardinal lag alles daran,<br />

wieder in Gnaden angenommen zu werden.<br />

Louis René Prinz de Rohan<br />

Einer seiner ehemaligen Geliebten, eine Gräfin de la Motte-Valois behauptete, ihn mit der<br />

Königin versöhnen zu können. Sie hatte aber nur die Absicht, den leichtgläubigen Kardinal<br />

für ihre eigenen Zwecke auszunutzen. Frau de la Motte wusste, dass die Hofjuweliere Böhmer<br />

<strong>und</strong> Bassenge in Paris ein herrliches Diamanthalsband im Wert von 1.600.000 Livres<br />

besassen, das Ludwig XV. einst für die Dubarry bestimmt hatte. Die la Motte machte nun<br />

dem Kardinal weis, dass die Königin entzückt sein würde, diesen Schmuck zu besitzen, sie<br />

habe aber das Geld nicht <strong>und</strong> würde sich glücklich schätzen, ihn aus der Hand des Kardinals<br />

zu empfangen, wenn dieser in Vorlage treten würde. Gegen eine Anzahlung würde ihm der<br />

Schmuck übegeben. Die la Motte stellte dem Kardinal eine Audienz bei der Königin in<br />

Aussicht; er solle sich zu einer bestimmten Nachtst<strong>und</strong>e, es war im August 1784, in den<br />

Gärten von Versailles einfinden. Dort werde er die Königin sprechen <strong>und</strong> Verzeihung<br />

erlangen. Die Begegnung fand im "Boskett der Venus" statt. Nur erschien anstatt der Königin,<br />

die von nichts wusste, eine tief verschleierte Vertraute der la Motte. Der Kardinal glaubte die<br />

Worter zu vernehmen, dass ihm verziehen sei. Davon profitierte die Comtesse, die sich vom<br />

Kardinal große Geldsummen lieh, die angeblich für wohltätige Werke der Königin bestimmt<br />

waren. Mit diesem Geld konnte sie eine achtbare Rolle in der Gesellschaft einnehmen, wo sie<br />

mit ihren angeblich guten Beziehungen zu Marie-Antoinette prahlte. Auch die Juweliere<br />

liessen sich täuschen.<br />

Am 21. Januar 1785 verkündete die Comtesse den Juwelieren, dass die Königin das Collier<br />

kaufen wolle, der Kauf aber über eine hohe Persönlichkeit abgewickelt werden solle. Rohan<br />

zeigte den Juwelieren eine Vollmacht der Königin angeblich in der Handschrift von Marie<br />

Antoinette. Rohan brachte das Collier in das Haus der Comtesse, wo es ein Mann in Empfang<br />

nahm, den er für einen Kammerdiener der Königin hielt. Sogleich schickte die la Motte ihren<br />

Ehemann mit einem Teil der kostbaren Steine nach London. Als die Juweliere nach längerer<br />

Zeit immer noch kein Geld sahen, wandten sie sich an den Hof. Marie Antoinette war ausser<br />

sich vor Zorn <strong>und</strong> Ludwig XVI. musste einschreiten. Im August 1785 wurde der Kardinal<br />

nach Versailles befohlen, wo er in Gegenwart des Königs erkannte, dass er das Opfer eines<br />

gross angelegten Betrugs geworden war. Seine Festnahme erfolgte vor versammeltem Hof,<br />

doch gelang es ihm noch, alle Papiere vernichten. Daher lag im folgenden Prozess kein<br />

36


Beweismaterial vor. Rohan kam in die Bastille, wo bald darauf auch Frau de la Motte<br />

eingeliefert wurde<br />

Damals schrieb Marie Antoinette ihrem kaiserlichen Bruder nach Wien: "Sie werden schon,<br />

mein lieber Bruder, von der Katastrophe des Kardinals Rohan gehört haben . . .Der Kardinal<br />

hat in meinem Namen auf Gr<strong>und</strong> einer Unterschrift, die er für die meinige hielt, ein<br />

Diamantcollier für 1.600.000 Francs gekauft. Er behauptet, durch eine Mme. Valois de la<br />

Motte getäuscht worden zu sein. Diese Intrigantin von niedriger Herkunft hat niemals nach<br />

hier gehört oder hat jemals Zugang zu mir gef<strong>und</strong>en. Sie ist seit 2 Tagen in der Bastille <strong>und</strong><br />

obgleich sie beim ersten Verhör zugegeben hat, mit dem Kardinal viele Beziehungen gehabt<br />

zu haben, leugnet sie standhaft, irgend am Handel des Halsbandes beteiligt zu sein. Die<br />

Artikel der Abmachung für den Kauf sind tatsächlich von der Hand des Kardinals<br />

geschrieben zur Seite eines jeden ist das Wort "approuvé" von der gleichen Handschrift, die<br />

auch zum Schluss mit Marie Antoinette de France unterschrieben hat. Man nimmt an, dass<br />

die Unterschrift von der besagten Valois de la Motte stammt, denn man hat die Schrift mit den<br />

Briefen verglichen, die bestimmt von ihrer Hand sind. Man hat sich keinerlei Mühe gegeben,<br />

meine Schrift zu fälschen, da diese jener in keiner Weise ähnelt, <strong>und</strong> ich habe niemals de<br />

France gezeichnet..."<br />

Friedrich der grosse soll zu Beginn des Prozesses gespottet haben, der Kardinal werde alle<br />

Geisteskräfte aufwenden müssen, um seine Richter zu überzeugen, dass er wirklich ein<br />

solcher Tölpel gewesen sei, wie er sich den Anschein gegeben habe. Tatsächlich wurde er<br />

freigesprochen, während La Motte öffentlich ausgepeitscht, gebrandmarkt <strong>und</strong> in das<br />

Gefängnis Salpétrière gebracht wurde, von wo sie später entfloh.<br />

Der Halsbandprozess ist nicht nur eine Katastrophe für den Kardinal gewesen, sondern mehr<br />

noch für die Monarchie. Man stand am Vorabend der <strong>Revolution</strong>, <strong>und</strong> man kann sich denken,<br />

welchen Auftrieb der Prozess den unzufriedenen Elementen, den <strong>Revolution</strong>ären gegeben hat.<br />

Man nutzte die Situation aus, um der Monarchie den Todesstoss geben zu können. In den<br />

Augen der Masse stand die Königin als Schuldige dar, die wenige Jahre später auf dem<br />

Schafott enden sollte. Der Kardinal musste sein glänzendes Schloss verlassen <strong>und</strong> über den<br />

Rhein fliehen, <strong>und</strong> die um die kostbaren Steine betrogenen Juweliere waren gezwungen,<br />

Konkurs anzumelden. Die Familie Rohan hat an die Erben der Juwelenhändler bis ins 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert hinein die Schulden des Kardinals für das Halsband abbezahlt.<br />

Die öffentliche Meinung wurde durch diesen Prozess heftig erregt. Es wird allgemein<br />

angenommen, dass Marie Antoinette in der Sache keine Verfehlung anzulasten sei <strong>und</strong> dass<br />

Rohan ein unschuldiger Trottel war, den die de La Mottes für ihre Zwecke täuschten. Das<br />

Volk hingegen beharrte auf der Überzeugung, dass die Königin die Comtesse als Werkzeug<br />

benutzt habe, um ihren Hass auf den Kardinal de Rohan zu befriedigen. Verschiedene<br />

Umstände bestärkten diese Annahme <strong>und</strong> trugen dazu bei, Marie-Antoinette zu diskreditieren:<br />

ihre Enttäuschung über Rohans Freispruch; die Tatsache, dass er seiner Ämter enthoben <strong>und</strong><br />

in die Abtei von Chaise-Dieu exiliert wurde; <strong>und</strong> schließlich die Flucht von Jeanne de La<br />

Motte aus dem Salpétrière, in die das Volk den Hof verwickelt glaubte. Als die Hochstaplerin<br />

ins Ausland geflüchtet war, veröffentlichte sie eine Schrift, in der sie die Königin<br />

beschuldigte.<br />

37


Maria-Josepha-Carolina, 1731-1767<br />

Tochter von August III. Kurfürst von Sachsen<br />

<strong>und</strong> Maria-Josepha von Österreich<br />

Die Eltern von Ludwig XVI<br />

Louis, Dauphin von Frankreich<br />

1729- 1765<br />

Sohn von Ludwig XV <strong>und</strong><br />

Maria Leszczyńska<br />

Louis, Dauphin von Frankreich, (1729-1765) war der Sohn von König Ludwig XV. <strong>und</strong><br />

dessen Gattin Maria Leszczyńska. Der Dauphin war eher ungraziös, dafür aber gebildet <strong>und</strong><br />

wohlerzogen. Auch zog er Konversation dem Jagen oder Festen vor, seine Moral war gut<br />

geschult. Er wurde zu einem großen Unterstützer der Jesuiten, seine Schwestern sahen in ihm<br />

den idealen christlichen Prinzen. Obwohl ihn sein Vater von jeder politischen Aktivität<br />

fernhielt, wurde der Dauphin zum Zentrum der christlich-religiösen Partei, die hoffte, nach<br />

seiner Thronergreifung an mehr Macht zu gelangen. Louis-Ferdinand starb 36 Jahren in<br />

Fontainebleau an Tuberkulose. Der Tod ihres Mannes traf Maria hart. Um ihr den Kummer zu<br />

ersparen allein in den Gemächern ihrer ehelichen Wohnung verbleiben zu müssen ließ<br />

Ludwig XV sie in die Appartements der 1764 verstorbenen Madame Pompadour ziehen. Dort<br />

besuchte er sie öfter <strong>und</strong> sie besprachen familiäre Probleme, wie die Hochzeit des neuen<br />

Dauphins. Maria-Josepha war von der Hochzeit ihres nunmehr ältesten Sohnes mit der<br />

Erzherzogin Marie-Antoinette nicht sehr angetan <strong>und</strong> sie erreichte beim König 1766 einen<br />

Aufschub der Verhandlungen mit Wien. Allerdings verschlechterte sich ihr<br />

Ges<strong>und</strong>heitszustand immer mehr. Sie litt an der gleichen Krankheit wie ihr verstorbener<br />

Ehemann. Sie starb am 1<strong>3.</strong> März 1766. Das Paar hatte 11 Kinder, darunter drei zukünftige<br />

französische Könige. Ihre gemeinsame Vorliebe galt jedoch dem ältesten, dessen Begabung<br />

früh zutage trat <strong>und</strong> der große Hoffnungen am gesamten französischen Hof hervorrief. Durch<br />

diese Bevorzugung wurden die jüngeren Söhne des Paares vernachlässigt was sich als großer<br />

Nachteil für die Könige Ludwig XVI., Ludwig XVIII. <strong>und</strong> Karl X. erweisen sollte, denn der<br />

älteste Sohn starb bereits am 22. März 1761 an Tuberkulose. Der neue Thronerbe wurde<br />

Louis, Herzog von Berry, der später als Ludwig XVI. den Thron besteigen musste <strong>und</strong> der<br />

sich dafür viel zu jung <strong>und</strong> zu unvorbereitet fühlte.<br />

38


Familie<br />

Ludwig XVI. von Bourbon, König von Frankreich<br />

Ludwig XVI. genannt „der Märtyrer“, 1754-1793, war von 1774 bis 1791 König von<br />

Frankreich <strong>und</strong> Navarra, <strong>und</strong> von 1791 bis 1792 König der Franzosen in einer<br />

konstitutionellen Monarchie. Seine Eltern waren der Dauphin Ludwig-Ferdinand <strong>und</strong> Maria-<br />

Josepha, Tochter von Friedrich August II. Kurfürst von Sachsen <strong>und</strong> König von Polen. Beide<br />

verstarben sehr früh. Als auch seine beiden älteren Brüder starben, rückte Ludwig, der nach<br />

alter Tradition den Titel Duc de Berry trug, mit 11 Jahren zum Thronfolger auf. Vier Jahre<br />

später, am 16. Mai 1770, heiratete er die habsburgische Prinzessin Marie-Antoinette, Tochter<br />

des Kaiserpaares Franz I. Stephan <strong>und</strong> Maria-Theresia.<br />

Nach dem Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792 wurde Ludwig abgesetzt <strong>und</strong> vor der<br />

Nationalversammlung des Hochverrats für schuldig bef<strong>und</strong>en. Während der Französischen<br />

<strong>Revolution</strong> wurde er mit dem Familiennamen Capet angesprochen, bezugnehmend auf Hugo<br />

Capet, den Gründer des französischen Herrschergeschlechts. Am 21. Januar 1793 wurde er als<br />

Bürger Louis Capet von Charles-Henri Sanson enthauptet.<br />

Regierung<br />

Als sein Großvater Ludwig XV am 10. Mai 1774 starb, wurde Ludwig XVI. mit 19 Jahren<br />

<strong>und</strong> völlig unvorbereitet König. Das Hauptproblem Frankreichs war die hohe<br />

Staatsverschuldung, <strong>und</strong> die radikalen Reformen von Turgot <strong>und</strong> Malesherbes stießen auf den<br />

Widerstand des Adels. Turgot wurde entlassen, Malesherbes trat zurück <strong>und</strong> wurde durch<br />

Jacques Necker ersetzt.<br />

In den ersten Jahren war der König allerdings noch äußerst populär, denn es war ihm als<br />

einzigem König im 18. Jahrh<strong>und</strong>ert gelungen einen Krieg gegen England zu gewinnen <strong>und</strong><br />

Frankreich als Seemacht zu stärken. Zudem hatte er 1776 den Amerikanern zur<br />

Unabhängigkeit verholfen. Doch zum Einen waren die Kosten des Krieges für die Staatskasse<br />

unerschwinglich <strong>und</strong> steigerten die Staatsverschuldung ins Unermessliche, zum Anderen<br />

brachten die in Amerika eingesetzten Soldaten das Gedankengut der Amerikanischen<br />

<strong>Revolution</strong> unter das französische Volk. Außerdem betrieben die Adligen, allen voran der<br />

Herzog von Orleans, <strong>und</strong> die von Ludwig 1774 zurückgerufenen Parlamente eine harte<br />

Oppositionspolitik gegen ihn <strong>und</strong> gegen Marie-Antoinette. Hinzu kam die zunehmende <strong>und</strong><br />

zusätzlich geschürte Unbeliebtheit der Königin <strong>und</strong> widrige Umstände wie zwei schlechte<br />

Ernten <strong>und</strong> ein harter Winter mit Versorgungsproblemen für die Bevölkerung.<br />

1789<br />

Um finanzielle Reformen zu verabschieden, berief der König am 5. Mai 1789 die<br />

Generalstände ein, die seit 1614 nicht mehr zusammengetreten waren. Wegen der<br />

demütigenden Behandlung <strong>und</strong> da man sich nicht einigen konnte, erklärten sich am 17. Juni<br />

die Abgeordneten des Dritten Standes zur Nationalversammlung. Deren Bestrebungen<br />

gipfelten am 20. Juni im Ballhausschwur, wo der Adel feierlich auf seine Privilegien<br />

verzichtete <strong>und</strong> schließlich am 14. Juli im Sturm auf die Bastille. Am 6. Oktober wurde der<br />

König gedemütigt <strong>und</strong> gezwungen, mit seiner Familie nach Paris in den Palais des Tuileries<br />

umzuziehen. In diesem anfänglichen Stadium der <strong>Revolution</strong> erließ die Nationale<br />

Versammlung am 10. Oktober 1789 über die Art, Gesetze zu verkündigen, die neue Formel:<br />

„Ludwig, durch die Gnade Gottes, <strong>und</strong> dem konstitutionellen Gesetz des Staates, König der<br />

39


Franzosen“. Ab diesem Zeitpunkt trug Ludwig, um dem Volk näher zu erscheinen, den Titel<br />

König der Franzosen. Er selbst stand den Reformen einer gemässigten <strong>Revolution</strong><br />

aufgeschlossen gegenüber. Doch die geforderte Volkssouveränität war ein zu grosser Bruch<br />

mit den damals gültigen Prinzipien der Monarchie. Entsprechend wurde die <strong>Revolution</strong> von<br />

der herrschenden Elite Frankreichs <strong>und</strong> den übrigen europäischen Herrschern abgelehnt.<br />

Konstitutionelle Monarchie<br />

Als die Demütigungen <strong>und</strong> Drohungen gegen Ludwig <strong>und</strong> seine Familie immer größer<br />

wurden, unternahm er am 20. Juni 1791 nach anfänglichem Zögern einen Fluchtversuch in die<br />

Österreichischen Niederlande. Der Versuch schlug fehl, <strong>und</strong> am 21. Juni wurde der König in<br />

Varennes-en-Argonne gefangengenommen <strong>und</strong> unter Bewachung nach Paris zurückgebracht.<br />

Von äußeren Kräften bedrängt, akzeptierte der König die Verfassung des <strong>3.</strong> September 1791.<br />

Frankreich wurde zur konstitutionellen Monarchie. Der König nahm nicht mehr die Rolle des<br />

„Gott-Gesandten“ ein, sondern war nur noch der erste Repräsentant des Volkes. Am 14.<br />

September blieb dem König nichts anderes, als dieser Verfassung die Treue zu schwören.<br />

Ende der Herrschaft<br />

Ludwig war nun faktisch in Gefangenschaft. Am 25. Juli veröffentlichte der Herzog von<br />

Braunschweig eine Proklamation, mit der er den Franzosen Krieg androhte, sollten diese<br />

Ludwig oder seiner Familie etwas antun. Dies wurde von den <strong>Revolution</strong>ären als Beweis<br />

einer Kollaboration von Ludwig XVI. mit den Feinden Frankreichs verstanden. Nach dem<br />

Sturm auf die Tuilerien <strong>und</strong> nach dem Massaker an der <strong>Schweizergarde</strong>, dem letzten noch<br />

verbliebenen Schutz des Königs, wurde die königliche Familie am 1<strong>3.</strong> August 1792 im<br />

Temple eingekerkert. Marie-Antoinette verhandelte in dieser Zeit insgeheim mit ihrem Bruder<br />

Kaiser Leopold II. von Österreich über eine Intervention der europäischen Monarchien. Am<br />

21. September 1792 rief der Nationalkonvent die Republik aus, <strong>und</strong> am 11. Dezember machte<br />

er dem König den Prozess wegen „Verschwörung gegen die Freiheit <strong>und</strong> Sicherheit des<br />

Staates“. Zu denen, die für das Todesurteil stimmten, gehörte auch der Herzog von Orléans,<br />

bekannt unter dem Namen Philippe Egalité, ein Vetter des Königs <strong>und</strong> einer der treibenden<br />

Kräfte des Umsturzes. Am 21. Januar 1793 wurde Ludwig XVI. <strong>und</strong> am 16. Oktober 1793<br />

Marie-Antoinette auf der heutigen Place de la Concorde mit der Guillotine hingerichtet. Bis<br />

zum Schluss gab es Pläne, beide noch auf ihrem letzten Gang zu befreien. Selbst der<br />

Scharfrichter Henri Sanson, ein Royalist, wurde mit einbezogen.<br />

Persönlichkeit<br />

Ludwig wuchs als Duc de Berry in einer fast bürgerlich anmutenden Familie auf, in der sich<br />

das Prinzenpaar persönlich um die Kinder <strong>und</strong> deren Erziehung kümmerten. Ludwigs Vater<br />

war gebildet <strong>und</strong> von hoher moralischer Integrität. Trotzdem litt Ludwig unter der<br />

Zurücksetzung hinter seinen älteren Brüdern. Ludwig erwies sich als intelligenter Schüler, der<br />

handwerklich begabt <strong>und</strong> wissenschaftlich interessiert war. Bildung <strong>und</strong> moralisches Handeln<br />

waren ihm wichtiger als höfische Repräsentation, wohl auch deshalb gab es Konflikte mit der<br />

Hofgesellschaft, seiner Frau <strong>und</strong> seinen reaktionären Brüdern. Ludwig XVI. war ein ehrlicher<br />

Mensch mit guten Absichten, dem es aber nicht möglich war, die Monarchie ausreichend zu<br />

reformieren <strong>und</strong> der deshalb zum Sündenbock gemacht wurde. Er war ein pflichtbewusster<br />

Mensch, dem zumindest am Anfang das Glück seiner Untertanen sehr am Herzen lag. Auch<br />

war er aufrichtig <strong>und</strong> fleißig <strong>und</strong> während den Unruhen in Versailles furchtlos. Obwohl er ein<br />

gutes Urteilsvermögen hatte, zögerte er zu lange es einzusetzen. Das, was ihm auch zum<br />

Nachteil wurde, war seine mangelnde Energie <strong>und</strong> Willenstärke <strong>und</strong> seine Schüchternheit<br />

40


Louis, Dauphin de France<br />

Duc de Berry, 1754-1793<br />

Der Nachfahre des hl. Ludwig hatte die Chance<br />

verpasst, Frankreich zur konstitutionellen<br />

Monarchie zu führen<br />

König Ludwig XVI<br />

war ein liebevoller Vater <strong>und</strong> Ehemann,<br />

der bis zum Schluss seine Güte <strong>und</strong><br />

Menschlichkeit bewahrte, wobei das Leben ihm<br />

nie die gleiche Geste zuteil werden ließ<br />

Ludwig XVI, Duc de Berry<br />

König Ludwig XVI. um 1775<br />

Wäre er den Ereignissen ab 1789 mit mehr<br />

Entschlossenheit begegnet, hätte die<br />

<strong>Revolution</strong> einen ganz anderen Verlauf<br />

genommen<br />

König Ludwig XVI<br />

Ein Mann, der zurecht die Bezeichnung<br />

"Heiliger" verdient hätte<br />

41


Louis Stanislas, 1755-1824<br />

Graf von Provence<br />

Der spätere Ludwig XVIII.<br />

Clothilde, 1759-1802<br />

Gattin von Karl Emanuel IV.<br />

König von Sardinien<br />

Die Geschwister von Ludwig XVI<br />

Charles Philippe, 1757-1836<br />

Graf von Artois<br />

Der spätere Charles X.<br />

Elisabeth, 1764-1794,<br />

umgeben vom Schatten des nahenden Todes<br />

42


Madame Élisabeth, die jüngere Schwester von Ludwig XVI<br />

Madame Elisabeth, geboren in Versailles am <strong>3.</strong> Mai 1764, war beim Ausbruch der <strong>Revolution</strong><br />

26 Jahre. Eheprojekte mit Erzherzog Joseph <strong>und</strong> dem Herzog von Aosta waren gescheitert<br />

<strong>und</strong> sie lebte allein auf ihrem Landsitz in Montreuil. Während der Großteil des Adels das<br />

Land verließ, entschied sie sich ihrer Familie beizustehen <strong>und</strong> ging nach Versailles: „Ich habe<br />

in guten Tagen so viele Wohltaten empfangen, dass ich es für schändlich hielte, in der St<strong>und</strong>e<br />

der Gefahr nicht an der Seite meines Bruders <strong>und</strong> seiner Kinder zu stehen.“<br />

Sie saß in der Kutsche von Marie Antoinette, als der König 1789 von Versailles nach Paris<br />

genötigt wurde; benahm sich mutig, als <strong>Revolution</strong>äre die Tuilerien stürmten <strong>und</strong> stellte sich<br />

wiederholt schützend vor ihren Bruder, wenn der wilde Pöbel ihn bedrängte. Sie gehörte zum<br />

Gefolge der missglückten Flucht nach Varennes <strong>und</strong> teilte die Haft der Königsfamilie im<br />

Temple. Am 9. Mai 1794 wurde sie vor das <strong>Revolution</strong>stribunal gestellt. Richter Fouquier-<br />

Tinville, selber von adeliger Herkunft, erzwang schon am Tag darauf ihre Verurteilung durch<br />

den Konvent. Ihre letzten Worte galten dem Gehilfen des Scharfrichters, als er ihr auf dem<br />

Schafott das Halstuch von den Schultern riss: „O Monsieur, haben Sie Mitleid!“<br />

43


Ludwig XVI. im Winter 1788 als Wohltäter<br />

„Des trois branches de la Maison Bourbon, sagte Marschall Richelieu, chacune a un<br />

goût dominant et prononcé: l’aînée aime la chasse, les Orléans les tableaux, les<br />

Condé la guerre“ - <strong>und</strong> Ludwig XVI., fragte jemand? „Ah, lui, c’est différant,<br />

antwortete Richelieu, il aime le peuple.“<br />

Ludwig XVI. war ein gütiger <strong>und</strong> frommer König. Marie-Therese, die spätere<br />

Herzogin von Angoulême, sagte über ihren Vater:<br />

Ich sah an ihm nur Frömmigkeit, Seelengrösse, Güte, Mut <strong>und</strong> Geduld, die<br />

unwürdigste Behandlung <strong>und</strong> grausamsten Verleumdungen zu ertragen, Milde,<br />

um von ganzem Herzen seinen Mördern zu verzeihen, Liebe zu Gott, zu seiner<br />

Familie <strong>und</strong> seinem Volke, Liebe, von welcher er bis zu seinem letzten<br />

Augenblicke Zeugnis gab.<br />

44


Vorgeschichte <strong>und</strong> Anlass<br />

Hans-Axel Graf von Fersen<br />

der Organisator der Flucht<br />

Die Flucht nach Varennes<br />

45<br />

Lange hatte sich Ludwig XVI. gegen eine Flucht, die ihm<br />

besonders von Marie-Antoinette nahegelegt wurde,<br />

ausgesprochen. Während die Königin die Erniedrigungen <strong>und</strong><br />

Lebensbedrohung, die sie <strong>und</strong> ihre Familie erdulden mussten,<br />

nicht mehr länger ertrug <strong>und</strong> hoffte, aus der Sicherheit <strong>und</strong><br />

Freiheit des Exils geeignete Maßnahmen gegen die <strong>Revolution</strong><br />

ergreifen zu können, zögerte Ludwig einmal mehr. Außerdem<br />

musste er annehmen, dass nach seiner Flucht möglicherweise der<br />

populäre Herzog von Orléans (Philippe Égalité) oder aber sein<br />

ehrgeiziger Bruder, der Comte de Provence (der spätere Ludwig<br />

XVIII.) versuchen würde, die Macht zu erringen. Am 2. April<br />

war der Graf Mirabeau, inoffizieller Berater des Königs,<br />

überraschend gestorben. Seine letzten Worte, die er mit<br />

ersterbender Hand auf einen Zettel schrieb, waren: “Fliehen!<br />

Fliehen! Fliehen!” Ludwig aber blieb. Ein Gesinnungswechsel<br />

stellte sich erst ein, als man ihn, aus Furcht er könne flüchten, am 18. April daran hinderte den<br />

alljährlichen Osterausflug der königlichen Familie nach Saint-Cloud zu unternehmen.<br />

Der Fluchtplan<br />

Es war geplant, dass die königliche Familie<br />

sich bei einer Flucht nicht trennen werde, wie<br />

es zweifellos sicherer gewesen wäre, sondern<br />

sich, gemeinsam in einem Reisewagen<br />

fahrend, zunächst in eine grenznahe Stadt mit<br />

Befestigung begeben werde, um nur im<br />

äußersten Notfall in die Österreichischen<br />

Niederlande (heute Belgien <strong>und</strong> Luxemburg)<br />

abzureisen. Die Gouvernante der Kinder, die<br />

spätere Duchesse de Tourzel, sollte unter dem<br />

Namen der Baronin Korff die Herrin der Reisegesellschaft mimen. Die Königin Marie<br />

Antoinette sollte die Kammerfrau, der König den Kammerdiener spielen. Madame Elisabeth,<br />

die Schwester des Königs, gab sich als die Kinderfrau des kleinen Dauphin (Ludwig XVII.)<br />

<strong>und</strong> der Madame Royal (Marie-Therese-Charlotte) aus. Zudem reisten drei Leibgardisten mit<br />

<strong>und</strong> Marie-Antoinettes Favorit Graf von Fersen (1), der die Flucht maßgeblich organisiert<br />

hatte <strong>und</strong> selber die Kutsche fuhr. Die echte Baronin Korff war zur Sicherheit die selbe<br />

Strecke mit der gleichen Anzahl von Begleitern gefahren. Niemand hatte sie nach ihrem Pass<br />

gefragt. Der Oberkommandierende für Lothringen, das Elsass <strong>und</strong> die Franche-Comté, der<br />

Marquis de Bouillé, ein Vertrauter des Königs <strong>und</strong> Cousin von Marquis de la Fayette. sollte<br />

die Flüchtlinge hinter Châlons mit Soldaten erwarten <strong>und</strong> sicher nach Montmedy begleiten.<br />

__________<br />

(1) Der gut aussehende Schwede Axel von Fersen war dank seines Charmes <strong>und</strong> seines Witzes ein<br />

gern gesehener Gesellschafter am französischen Hof. Er war Offizier, Diplomat <strong>und</strong> Philantrop, der<br />

sich nicht scheute auch einmal einem Bauern zu helfen. Doch die <strong>Revolution</strong> <strong>und</strong> der Tod von Marie<br />

Antoinette hatte seinen Charakter verändert. Er wurde zum Tyrannen in seinem Land <strong>und</strong> entwickelte<br />

einen Hass auf das einfache Volk.


Die Flucht<br />

Madame de Tourzel<br />

Kleinere Zwischenfälle hatten die Flucht, die zunächst vom 12. Juni<br />

auf den 15. Juni verschoben worden war, bis zum 20. Juni, einem<br />

Montag, verzögert. Um keinen Verdacht zu erregen, waren die<br />

Königin <strong>und</strong> die Kinder noch am Abend im Garten spazieren<br />

gegangen. Marie-Antoinette hatte Anweisungen für eine kleine<br />

Ausfahrt für den folgenden Tag gegeben <strong>und</strong> sich dann<br />

zurückgezogen. Hierauf wechselten alle ihre Kleidung, der Dauphin<br />

musste Mädchenkleider tragen, <strong>und</strong> begaben sich in einzelnen<br />

kleinen Gruppen durch den Personalausgang ins Freie, wo sie eine<br />

Droschke erwartete. Zunächst kam die Tourzel mit den Kindern,<br />

danach Madame Elisabeth mit einem Leibgardisten. Sie berichtete,<br />

dass sich kurzfristig der General Lafayette <strong>und</strong> der Bürgermeister<br />

Bailly zu einer Abendaudienz eingef<strong>und</strong>en hätten. Die Abfahrt<br />

verzögerte sich um fast zwei St<strong>und</strong>en bis Ludwig endlich kam <strong>und</strong><br />

wenig später Marie Antoinette.<br />

Doch auch jetzt ging nicht alles reibungslos vonstatten. Außerhalb der Stadt war die Familie<br />

in einen geräumigen Reisewagen umgestiegen, dessen Gespanne zwischen Nintré <strong>und</strong><br />

Châlons zwei Mal stürzten, wobei die Zügel rissen. Es brauchte mehr als eine St<strong>und</strong>e, den<br />

Schaden zu beheben. Die Verspätung der Flüchtlinge brachte währenddessen die Soldaten des<br />

Marquis de Bouillé in Verlegenheit. Sie hatten das Aufsehen der Bevölkerung erregt, <strong>und</strong><br />

Bouillé zog sie zurück. Gegen 8 Uhr abends des 21. Juni erreichte der Wagen unbehelligt<br />

Sainte-Menehould. Hier wurde der König vom Sohn des Postmeisters erkannt, der sofort nach<br />

Varennes ritt, um Alarm zu schlagen. Als die Kutsche in<br />

dem kleinen Ort ankam, wurde sie prompt angehalten.<br />

Am folgenden Tag wurden der König <strong>und</strong> seine Familie,<br />

begleitet von Angehörigen der Nationalgarde, nach Paris<br />

zurückgeschickt. Eine stets wachsende Menschenmenge<br />

begleitete den Wagen unter wüsten Beschimpfungen.<br />

Einmal mehr hatte sich der König wegen seiner<br />

schwächlichen Haltung <strong>und</strong> wegen seines Mangels an<br />

Entschlossenheit nicht durchsetzen können. Dies, die<br />

Verspätung <strong>und</strong> Bouillés Rückzug waren die Gründe für<br />

das Scheitern der Flucht.<br />

Folgen<br />

Da man zu diesem Zeitpunkt keine Alternative zur geplanten Einführung der konstitutionellen<br />

Monarchie hatte, einigte man sich darauf, in der Flucht eine Entführung des Königs zu sehen<br />

<strong>und</strong> diesen im Amt zu belassen. Dieses Vorgehen war noch dadurch erleichtert, dass Bouillé,<br />

der aus Frankreich geflohen war, die Verantwortung für die Entführung übernahm. Dem<br />

geschwächten König, der in einem in Paris zurückgelassenen Memorandum noch die<br />

gewaltsame Auflösung der Nationalversammlung angedroht hatte, blieb nichts anderes übrig<br />

als vor dieser Institution die Verfassung von 1791 zu beschwören, die die Herrschaft des<br />

Königs auf ein suspensives Vetorecht für von der Nationalversammlung ausgearbeitete<br />

Gesetze beschränkte. In Paris mehrten sich Stimmen, die die Absetzung des Königs forderten.<br />

Das Vertrauen der meisten Abgeordneten war erschüttert, <strong>und</strong> die extremen Gruppierungen<br />

hatten starken Auftrieb erhalten.<br />

46<br />

Louis d’Or mit dem Portrait des Königs<br />

an Hand dessen man Ludwig XVI.<br />

in Varennes erkannte


La Chapelle expiatoire <strong>und</strong> die Basilika Saint Denis<br />

Wenn man in Paris ein Denkmal für Ludwig XVI. <strong>und</strong> Marie-Antoinette sucht, findet man es<br />

auf dem Square Louis XVI. an der rue d’Anjou. Dort erhebt sich über dem ehemaligen<br />

Friedhof der Madeleine Kirche, wo während der <strong>Revolution</strong> die Guillotinierten begraben<br />

wurden, die Chapelle expiatoire. Obwohl Napoleon die französische Nation als solche von<br />

den Verbrechen der <strong>Revolution</strong> reinzuwaschen suchte, hat sich diese nie vom Geschehenen<br />

distanziert. Deshalb gibt es auch kein Sühnedenkmal aus öffentlichen Geldern. Die Chapelle<br />

expiatoire, entstanden während der Restauration unter Ludwig XVIII. ist eine rein dynastische<br />

Stiftung aus Mitteln des <strong>Königshaus</strong>es. Dort liegen auch die Gebeine der gefallenen<br />

Schweizer neben den Massengräbern der Enthaupteten. Die Reihen der symbolischen<br />

Grabplatten erinnern dabei an die gefallenen Schweizergardisten, die so, zusammen mit den<br />

übrigen Opfern, wie eine imaginäre Ehrenformation den Weg zum Ort des Königsgrabes von<br />

Louis XVI. <strong>und</strong> Marie-Antoinette säumen. Die Gebeine des Königs <strong>und</strong> der Königin wurden<br />

allerdings in die Basilika Saint Denis verbracht, wo alle Könige Frankreichs ruhen.<br />

Ludwig XVI <strong>und</strong> Marie Antoinette in der Kirche Saint Denis in Paris<br />

Grab in der Basilika Saint Denis in Paris Grab in der Basilika Saint Denis in Paris<br />

47


Das Schweizer Garderegiment in französischen Diensten<br />

Die Kapitulationen<br />

Die Schweizer im Dienste der französischen Könige<br />

betrachteten sich als Verbündete, da sie aufgr<strong>und</strong> von<br />

Kapitulationens- oder Allianzverträgen zwischen den<br />

französischen Königen <strong>und</strong> den schweizerischen<br />

Kantonen angeworben wurden. Es handelte sich um<br />

Staatsverträge, die Rechte <strong>und</strong> Pflichten aller Beteiligten<br />

regelten. Zwischen 1444 <strong>und</strong> 1816 wurden etwa 180<br />

derartige Verträge abgeschlossen. Gegen eine Million<br />

haben in den schweizerischen Regimentern in Frankreich<br />

Dienst geleistet, <strong>und</strong> über 600.000 sind gefallen. Die<br />

zuletzt 12 Regimenter, die mit Ausnahme der Garde den<br />

Namen der Regimentsinhaber trugen, haben an allen<br />

Kriegen der französischen Könige seit Karl IX.<br />

teilgenommen <strong>und</strong> zwischen 1616 <strong>und</strong> 1760 in weit über<br />

100 Schlachten <strong>und</strong> Belagerungen mitgefochten.<br />

Das Garderegiment<br />

Fähnrich der H<strong>und</strong>ertschweizer<br />

Ein innerhalb der ganzen königlichen Armeen bevorzugtes Korps war das 1616 in Tours von<br />

Ludwig XIII. aufgestellte "Régiment des Gardes Suisses". Es gehörte zum „Maison Militaire<br />

du Roi“ <strong>und</strong> bildete zusammen mit dem "Régiment des Gardes Françaises" die französische<br />

Gardebrigade. Die französischen Regimenter trugen blaue, die schweizerischen die rote<br />

Uniform. Stulpen <strong>und</strong> Aufschläge waren königsblau mit weissen Verzierungen. Die Füsiliere<br />

trugen weiss bordierte Dreispitzhüte mit weisser Kokarde, die Grenadiere die hohe<br />

Bärenmütze. Die weissgepuderten Haare waren auf beiden Seiten aufgerollt. Die Grenadiere<br />

<strong>und</strong> die Generalkompanien trugen auch nach dem Reglement von 1780 noch den Zopf. Die<br />

Offiziere zeichneten sich durch silberne Ringkragen, silberne Achselstücke, blaue <strong>und</strong><br />

goldene Schlagbänder <strong>und</strong> Halbschuhe mit silbernen Schnallen aus.<br />

1789 hatte das Regiment einen Bestand von 2.416 Mann, davon 90 Offiziere. Es war<br />

eingeteilt in einen Stab, vier Bataillone <strong>und</strong> eine Artilleriekompanie mit 8 Geschützen. Das<br />

erste Bataillon bestand aus sieben, die übrigen aus vier Kompanien mit je einer<br />

Grenadierkompanie. Die 1. Kompanie des 1. Bataillons war die sogenannte<br />

Generalskompanie, in die nur, wie übrigens auch in die Grenadierkompanien, Soldaten mit<br />

einer Körpergrösse von mindestens 1,80 m eingeteilt wurden. Bekannt war das aus 88 Bläsern<br />

bestehende Regimentsspiel, das regelmässig in Paris Konzerte gab. Die Mannschaft <strong>und</strong> die<br />

Offiziere rekrutierten sich im Gegensatz zu den übrigen Schweizerregimentern, für die immer<br />

ein oder mehrere Kantone zuständig waren, aus der ganzen damaligen Schweiz. Häufig waren<br />

Übertritte aus den andern Schweizerregimentern. Sie wurden in den Kompanien <strong>und</strong><br />

Bataillonen gemäss ihrer Herkunft zusammengefasst. In jedem Falle mussten Empfehlungen<br />

der bisherigen Vorgesetzten oder der Heimatbehörden beigebracht werden. Es galt als<br />

Auszeichnung, ins Garderegiment einzutreten. Das Regiment versah den Wachtdienst in den<br />

königlichen Schlössern des Louvre, in Versailles, Marly, St.-Cloud, Fontainebleau <strong>und</strong> in den<br />

Tuilerien. Der Paradedienst <strong>und</strong> die Mitwirkung bei allen Anlässen des Hofes nahmen viel<br />

Zeit in Anspruch. Daneben wurde Gefechtsausbildung in der Ebene von Sablons betrieben.<br />

Berühmt waren auch sein präzises Paradeexerzieren <strong>und</strong> die farbenprächigenVorbeimärsche,<br />

die in Paris immer ein grosses Publikum anzogen.<br />

48


Die Unteroffiziere des Garderegimentes waren den Leutnants <strong>und</strong> Oberleutnants der<br />

gewöhnlichen Linienregimenter gleichgestellt. Die Leutnants bekleideten den Rang eines<br />

Obersten, die Hauptleute den eines Brigadegenerals oder Maréchal de Camp, der<br />

Regimentskommandant <strong>und</strong> gelegentlich auch die Bataillonskommandanten hatten die<br />

Stellung <strong>und</strong> Vorrechte eines königlichen Generalleutnants. In allen Feldzügen der<br />

französischen Könige seit Ludwig XIII. wurde das Regiment in kritischer Lage als anerkannte<br />

Kampftruppe eingesetzt. Es bezog den höchsten Sold der ganzen Infanterie.<br />

Ein Eliteverband<br />

Es ist nicht verw<strong>und</strong>erlich, dass das Offizierskorps eines<br />

derart bevorzugten Verbandes, der während mehr als zwei<br />

Jahrh<strong>und</strong>erten Glanz <strong>und</strong> Macht des französischen<br />

<strong>Königshaus</strong>es verkörperte, als versnobt galt <strong>und</strong><br />

entsprechend beneidet war. Die Offiziersstellen waren<br />

ausschliesslich den Angehörigen der regimentsfähigen<br />

Familien in den Kantonen vorbehalten, deren Offiziere oft<br />

zu Generals- <strong>und</strong> Adelspatenten kamen, die ihnen die<br />

Heimat nicht geben konnte. Auch finanziell war der fremde<br />

Kriegsdienst interessant, jedenfalls so lange, als Regiments-<br />

<strong>und</strong> Kompanieinhaber Eigentümer ihrer Verbände waren<br />

<strong>und</strong> sie wie ein privates Geschäft betrieben. Die<br />

bekanntesten Familien der besonders nach Frankreich<br />

orientierten Kantone, wie Freiburgs, Solothurns, Luzerns,<br />

Berns, Graubündens, stellten während Generationen<br />

Offiziere im Schweizer Garderegiment. So die Affry,<br />

Besenval, Boccard, Castella, Courten, Diesbach, Erlach,<br />

Hallwyl, Maillardoz, Montmollin, Pfyffer, Planta, Reynold,<br />

Roll, Salis, Sonnenberg, Zurlauben, um nur einige zu<br />

nennen. Der Eid, der jeder Angehörige des Garderegiments<br />

leisten musste, lautete:<br />

„Comme nous tenons de Dieu notre être et toute notre substance et que nous ne pouvons rien<br />

sans Lui et sans le secours de sa Grace, nous devons l'avoir toujours present a nos yeux. Il<br />

doit être le but principal de nos services et l'unique objet de nos adorations...<br />

Vous jurez devant Dieu, par le Christ notre Seigneur, de conserver l'honneur de la nation<br />

suisse, d'avoir sans cesse devant les yeux sa gloire et son avantage, d'être obeissants et fideles<br />

au Corps helvetique, à vos superieurs, à sa Majeste le roi de France et de Navarre que vous<br />

servirez loyalement, de toutes vos forces tant que votre serment vous attachera à son<br />

service.“<br />

La Maison Militaire du Roi<br />

Ein Schweizer Gardist<br />

präsentiert das Gewehr<br />

Zur Zeit des Spanischen Erbfolgekrieges betrug die Französische Armee etwa 200.000 Mann.<br />

Sie war wie folgt organisiert: La Maison Militaire du Roi / La Gendarmerie / die Karabiniers,<br />

Artilleristen <strong>und</strong> Bombardiers / 111 Französische Infanterie-Regimenter / 21 Fremde<br />

Infanterie-Regimenter, wovon 12 Schweizer Linien-Regimenter / 60 Kavallerie-Regimenter /<br />

15 Dragoner-Regimenter<br />

La Maison Militaire du Roi bildete als Elitetruppe des Königs ein separater Teil der Armee<br />

<strong>und</strong> setzte sich wie folgt zusammen:<br />

49


4 Kompanien der Leibgarde, Gardes du Corps, die dem französischen Adel vorbehalten<br />

waren <strong>und</strong> im Feld den rechten Flügel bildeten<br />

1 Regiment Französische Garden, die ranghöchste Infanterieeinheit, die im Feld das<br />

Zentrum der ersten Reihe bildete <strong>und</strong> rechts neben der Schweizer Garde positioniert war<br />

1 Regiment Schweizer Garden, das unter eigenem Kommando stand <strong>und</strong> im Feld in der<br />

ersten Reihe links neben dem Regiment der Französischen Garden positioniert war. Ihre<br />

Offiziere rekrutierten sich aus den schweizerischen Adelspatriziaten. Es war das vornehmste<br />

<strong>und</strong> angesehenste Regiment in der französischen Armee. Die Französischen <strong>und</strong> die<br />

Schweizer Garden zusammen bildeten die französische Gardebrigade.<br />

1 Kompanie Gendarmen, Teil der königlichen Leibwache (war dem französischen Adel<br />

vorbehalten)<br />

1 Kompanie H<strong>und</strong>ert-Schweizer, Teil der königlichen Leibwache, unterstand französischem<br />

Kommando aber schweizerischer Rechtsprechung. Im Feld marschierte die Kompanie<br />

zusammen mit dem Schweizer Garderegiment.<br />

1 Kompanie Leichte Reiterei unter dem Kommando des Königs<br />

2 Kompanien Musketiere für junge französische Adelige, die am Beginn ihrer militärischen<br />

Karriere standen. Ins Feld zogen sie zu Pferd <strong>und</strong> standen unter dem Kommando des Königs<br />

1 Kompanie Grenadiere zu Pferd, stand im Feld rechts neben der Schottischen Garde (nur<br />

dem Namen nach „schottisch“). Sie hatte die Aufgabe, dem Garde du Corps, unter dessen<br />

Kommando sie stand, den Weg freizumachen.<br />

Kommentar<br />

Der glanzvolle Schweizer Militärdienst in der Fremde ist ein spannendes Heldenepos <strong>und</strong><br />

eines der wichtigsten <strong>und</strong> ehrenvollsten Kapitel in der Geschichte der Schweiz. Allerdings<br />

wird der Fremdendienst von der bürgerlichen Geschichtssschreibung in der Schweiz ganz<br />

anders wahrgenommen <strong>und</strong> kaum erwähnt, wohl deshalb, weil die Schweizer stets auf der<br />

Seite der Monarchen standen <strong>und</strong> weil sich das demokratische Bürgertum des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts mehr mit der eidgenössischen Heldenzeit von 1291 bis 1515 identifizierte als<br />

mit dem aristokratischen Ancien Régime.<br />

Umso mehr wurde diese Heldenzeit (vom Rütlischwur bis zur Schlacht bei Sempach) vom<br />

Bürgertum verklärt <strong>und</strong> als „demokratisch“ beschrieben, obwohl schon damals die Anführer<br />

der Eidgenossen aus den vornehmsten Familien stammten. Aus diesem Kreis sollte sich später<br />

auch die Schweizer Aristokratie entwickeln, aus der sich wiederum die Offiziere in fremden<br />

Diensten rekrutierten. Nach der Abschaffung der Fremdendienste um die Mitte des 19.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts instruierten die heimkehrenden Offiziere die nationale Schweizer Armee.<br />

Die heutige links-ideologische Geschichtsschreibung richtet sich nicht nur gegen den<br />

militärischen Fremdendienst sondern stellt auch die eidgenössische Heldenzeit <strong>und</strong> die<br />

moderne Schweizer Armee in Frage.<br />

Das Waffenhandwerk war für den Ritter <strong>und</strong> Adeligen ein ehrenvoller Beruf, der seinen<br />

Dienst auch einem fremden Fürsten zur Verfügung stellen konnte. Das war in der damaligen<br />

Zeit nichts Aussergewöhnliches, wie unter andern auch das Beispiel des in Paris geborenen<br />

Savoyers Prinzen Eugen zeigt, der in österreichischen Diensten stand, ohne dass er von<br />

irgendeiner Seite je als Söldner bezeichnet worden wäre. Diesen abwertenden Begriff findet<br />

man nur in der bürgerlichen Geschichtsschreibung der Schweiz. Gonzague de Reynold fragte<br />

einmal mit Recht, ob es denn so viel ehrenvoller sei, der Welt mit der Aktentasche unter dem<br />

Arm zu dienen als mit dem Degen in der Hand. (vgl. Seite 6)<br />

50


Galanterie mit Offizieren des<br />

Schweizer Garderegiments im<br />

Garten von Versailles<br />

Vor den Gitterzäunen des Schlossses Versailles<br />

Galanterie mit Offizieren des<br />

Schweizer Garderegiments im<br />

Garten von Versailles<br />

König Ludwig XV. <strong>und</strong> hohe französische <strong>und</strong> schweizerische Offiziere<br />

inspizieren eine Abteilung des Schweizer Garderegiments<br />

Hinten im äusseren Schlosshof befinden sich noch je drei Reihen<br />

der Gardes Françaises (links) <strong>und</strong> der <strong>Schweizergarde</strong> (rechts)<br />

51


Die Stadtseite des Corps de Logis von Versailles mit dem Marmorhof<br />

Im Flügel rechts unter dem privaten Schlafgemach <strong>und</strong> Uhrenkabinett des Königs<br />

befand sich im Parterre die Wohnung des Kommandanten der Garde<br />

François de Reynold, von Fribourg<br />

1642-1722<br />

Kommandant der <strong>Schweizergarde</strong><br />

Generaloberst der Schweizer <strong>und</strong> Bündner r<br />

Gemälde von Hyacinthe Rigaud, dem<br />

bekannten Hofmaler, von dem auch das<br />

Paradegemälde von Ludwig XIV stammt.<br />

Johann-Jakob von Erlach, von Bern<br />

1628-1694<br />

Kommandant der <strong>Schweizergarde</strong><br />

Einmal, es war in den Gärten von<br />

Versailles, fragte ihn Ludwig XIV: „Dites<br />

d’Erlach, on dit que vous me ressemblez,<br />

est-ce que votre mère était à Paris?“ „Non<br />

Sire, mais mon père“, war die prompte<br />

Antwort des Berners<br />

52


Medaille zum<br />

10. August 1792<br />

Der 10. August 1792<br />

Am 10. August 1792 bricht der Thron der Bourbonen zusammen. Die<br />

Armee bestand nicht mehr. Um den Monarchen wehrlos zu machen, hatte<br />

man es verstanden, sie auf alle Weise zu desorganisieren. Es blieben dem<br />

König nur noch einige treue Bataillone der Nationalgarde <strong>und</strong> das<br />

Schweizer Garderegiment, das am gleichen Tag in einem aussichtslosen<br />

Kampf um das königliche Schloss der Tuilerien in Paris gegen<br />

organisierte militärische Verbände der <strong>Revolution</strong> <strong>und</strong> unorganisierte,<br />

fanatisierte Massen fast vollständig vernichtet worden war.<br />

Am 7. August hatte man 300 Mann vom Regiment in die Normandie<br />

geschickt, um dem König bei einem geplanten Fluchtversuch zu Diensten<br />

zu sein. Sie waren für den entscheidenden 10. August verloren. Am 9.<br />

August waren die Schweizer Bataillone auf Befehl von ihren Kasernen in<br />

Rueille <strong>und</strong> Courbevoye nach Paris marschiert. Inzwischen war überall in<br />

der Stadt Bewegung. Man rüstete zum Zug auf das Schloss. Dort war der<br />

König, einmal mehr, ratlos. In der Nacht bezog die Garde ihre Posten. Lamartine schrieb:<br />

“Les uniformes rouges de ces huit cents Suisses assis ou couches sur les paliers sur les<br />

degrees sur les rampes, faisant ressembler d’avance l’escalier des Princes à un torrent de<br />

sang”. Tags darauf meinten die Minister des Königs, er solle sich in den Schutz der<br />

nahegelegenen Nationalversammlung begeben. Die Schweizer Offiziere rieten von einem<br />

solchen Vorhaben ab. Dennoch machte sich Ludwig XVI., hoffend damit ein Blutvergiessen<br />

zu verhindern, auf den Weg, nachdem er ein letztes Mal, traurig <strong>und</strong> schlecht gekämmt, die<br />

Truppe inspizierte <strong>und</strong> sie ermahnte nicht als erste zu schiessen. Nur vom Eid, den die<br />

Schweizer auf seine Person geleistet haben, hat er sie nicht entb<strong>und</strong>en. Es folgten ihm in die<br />

Nationalversammlung seine Familie, die Minister, der Stab des Schweizer Regiments sowie<br />

eine Eskorte von 100 Schweizern <strong>und</strong> 50 Nationalgardisten. Auf dem Weg begleiteten sie die<br />

Drohungen <strong>und</strong> Beschimpfungen der Menge. Viele Schweizer wurden unterwegs ermordet,<br />

<strong>und</strong> in der Nationalversammlung verhaftete man die Stabsoffiziere, de Maillardoz <strong>und</strong> von<br />

Bachmann, die beide ebenfalls ermordet wurden.<br />

So opferte der König sich <strong>und</strong> die Seinen, entledigte sich seines einzigen Schutzes <strong>und</strong> wurde<br />

zum Gefangenen der Nationalversammlung. Der Marseiller <strong>Revolution</strong>är Barbaroux schrieb<br />

in seinen Memoiren: “Alles sicherte dem Hof den Sieg, wenn der König nicht seinen Posten<br />

verlassen hätte”. Die Zurückgebliebenen Schweizer <strong>und</strong> eine Handvoll treugebliebener<br />

Nationalgarden taten nun W<strong>und</strong>er der Tapferkeit <strong>und</strong> Pflichttreue. Der Befehl führte der<br />

amtsälteste Hauptmann Jost von Dürler. Zu ungezählten Tausenden belagerten die Aufrührer<br />

das Schloss <strong>und</strong> unternahmen alle Anstrengungen, die Schweizer zum Abfall <strong>und</strong> zum<br />

Anschluss an den Aufruhr zu überreden. “Ich hielte mich entehrt, wenn ich mich Euch ergäbe.<br />

Last mich auf meinem Posten, ich werde Euch kein Leid antun. Aber wenn ihr mich angreift,<br />

werde ich mich zum Äussersten verteidigen. Ich bin für mein Verhalten den Kantonen, meinen<br />

Oberen, verantwortlich. Niemals werde ich die Waffen niederlegen.” (1)<br />

Todesmutig fochten nun die Verteidiger zusammen mit einer Handvoll Adeliger das von<br />

seinem Herrn verlassene Schloss gegen eine fünfzig bis h<strong>und</strong>ertfache Übermacht. Als der<br />

König die Schiesserei hörte, sandte er den Marschall d’Hervilly mit dem Befehl: “Der König<br />

befiehlt den Schweizern, sich in die Kasernen zurückziehen.” In der Aufregung teilte der<br />

Marschall dies nur mündlich mit <strong>und</strong> sagte, man habe sich zum König in die<br />

Nationalversammlung zu begeben. Dürler, der den König in Gefahr glaubte, trat mit 200<br />

Mann den Weg dorthin an. Unterwegs fielen 50 von ihnen im Kugelhagel. Angekommen in<br />

der Nationalversammlung lösten die Schweizer Angst <strong>und</strong> Schrecken aus <strong>und</strong> viele flüchteten<br />

53


durch die Fenster. Einige aber umringten den König <strong>und</strong> drohten diesen zu töten, falls die<br />

Schweizer sich nicht zurückzögen. Dem König blieb nichts anderes als ein neuer<br />

unglückseliger Befehl: “Der König befiehlt den Schweizern, augenblicklich die Waffen<br />

niederzulegen <strong>und</strong> sich in die Kasernen zurückzuziehen”. Wütend brachten die Schweizer das<br />

letzte Opfer des Gehorsams gegenüber ihrem Kriegsherrn. Aber in die Kasernen konnten sie<br />

sich nicht zurückziehen. So wurden sie das Opfer der fanatisierten Meute, die eine regelrechte<br />

Hetzjagd auf die nun unbewaffneten Schweizer veranstalteten.<br />

Im Schlosse waren noch 450 Schweizer verblieben, welche den Ruf zum Marsche in die<br />

Generalversammlung nicht gehört hatten. Sie waren einer an Zahl h<strong>und</strong>ertfach überlegenen<br />

Feinden preisgegeben <strong>und</strong> wurden, einer nach dem andern, gnadenlos niedergemacht. In der<br />

Nähe des Karusselplatz verfolgte der damals 23 jährige Artillerieoffizier Napoleon Bonaparte<br />

das Gemetzel. Am Kampf ist er nicht beteiligt, aber derart beeindruckt, dass er noch nach 24<br />

Jahren schreibt: “Das Schloss wurde von der gemeinsten Kanaille angegriffen. Nach der<br />

Erstürmung des Palastes <strong>und</strong> nachdem sich der König in die Nationalversammlung begeben<br />

hatte, wagte ich mich in den Garten .hinein. Auf keinem meiner Schlachtfelder habe ich<br />

seither den Eindruck erhalten, soviele Leichen zu sehen wie hier beim Anblick der grossen<br />

Masse toter Schweizer.” Dann beobachtet er um die Tuilerien herum Pariser Frauen, die sich<br />

in unanständiger Weise an Leichnamen von Schweizern vergreifen <strong>und</strong> Überlebende grausam<br />

hinschlachteten<br />

Die vollständige Vernichtung des Regimentes an einem einzigen Tag (viele Überlebende<br />

wurden in den Gefängnissen ermordet oder endeten unter der Guillotine) war eine<br />

menschliche <strong>und</strong> militärische Tragödie. Dies umso mehr als der aussichtslose Kampf den<br />

Verlauf der Französischen <strong>Revolution</strong> in keiner Weise beeinflusst hat <strong>und</strong> die Garde, die auf<br />

die Person des Königs vereidigt war, ein leeres Schloss verteidigte. Zweifellos wäre es anders<br />

gekommen, hätte der König nur mehr Entschlossenheit gezeigt. Sein heiligmässiger<br />

Pazifismus hatte die Aufständischen seit Beginn der <strong>Revolution</strong> zu immer grösserer Kühnheit<br />

ermutigt. Damit hatte er nicht nur seine Person sondern auch seine gesamte Familie, die<br />

Garde <strong>und</strong> letzlich viele Tausende von Unschuldigen mit in den Untergang gerissen.<br />

Das direkte politische Motiv der Schweizergardisten fehlte. Sie betrachteten die Vorgänge in<br />

Frankreich eher gleichgültig. Dagegen war der Wunsch massgebend, vor ihren<br />

Heimatkantonen, deren Behörden <strong>und</strong> Bevölkerung in der St<strong>und</strong>e der Gefahr zu bestehen. Der<br />

Dienst in Frankreich war auf Staatsverträgen abgestützt <strong>und</strong> mit der Zeit schienen Ehre <strong>und</strong><br />

Ansehen der Schweiz von der Haltung <strong>und</strong> Tüchtigkeit der schweizerischen Regimenter in<br />

Frankreich abzuhängen. Zudem bestand eine starke persönliche Bindung zwischen Regiment,<br />

dem König, der Königin <strong>und</strong> den Kindern, so dass sich die Frage der Loyalität des Regiments<br />

dem Monarchen <strong>und</strong> Marie-Antoinette gegenüber überhaupt nie stellte. Dass dies eine<br />

wirksame emotionelle Komponente war, geht aus allen geschriebenen Briefen <strong>und</strong><br />

Tagebüchern hervor. Entscheidend war aber das stark entwickelte Ehr- <strong>und</strong> Elitegefühl,<br />

welches diesen in einer starken Tradition verankerten <strong>und</strong> durch einen ausgesprochenen<br />

Korpsgeist zusammengehaltenen Soldaten überhaupt keine andere Wahl liess, als ihren<br />

Auftrag getreu ihrem Eid bis zur letzten Konsequenz zu erfüllen, auch wenn dieser sinnlos<br />

erschien. Im Kampf der Schweizergardisten liegt deshalb etwas wie antike Grösse, auch wenn<br />

man den 10. August nur als eine geschichtlich bedeutungslose Episode bewertet.<br />

__________<br />

(1) Diese Worte richtete Dürler an den Anführer der Angreifer, einen gewissen François-Joséph<br />

Westermann, der am 20. Juni 1793 in der Vendée den von 6.000 Royalisten verteidigten Ort<br />

Parthenay angriff <strong>und</strong> anschliessend dem Wohlfahrtsausschuss meldete: „Es gibt keine Vendée mehr.<br />

Sie ist mit unserem Säbel der Freiheit niedergemacht worden, mit samt Frauen <strong>und</strong> Kindern. Es gibt<br />

keine Gefangenen, die mich anklagen könnten. Ich habe alle ausgelöscht.“<br />

54


Gefecht zwischen den roten Schweizer Gardisten <strong>und</strong> den anstürmenden Massen im Cour<br />

Royale vor dem Tuilerienschloss. Das Kräfteverhältnis war etwa 100:1 zu Gunsten des<br />

Aufständischen, wobei diese noch schwere Geschütze mit sich führten <strong>und</strong> die Schweizer<br />

nur leicht bewaffnet waren <strong>und</strong> über beschränkten Munitionsvorrat verfügten. Ausserdem<br />

war der Bestand der Garde durch das in die Normandie abkommandierte Detachement<br />

erheblich reduziert. Das Ende der Garde bedeutete unmittelbar auch das Ende des Königs.<br />

Situationsplan der Tuilerien mit den Gärten links, dem nicht mehr bestehenden<br />

Königsschloss (1) in der Mitte <strong>und</strong> rechts die Gegend des heutigen Louvre. Die Pfeile<br />

markieren die Einfallsachsen Aufständischen gegen die das das Schloss verteidigenden<br />

Schweizer. Das Königsschloss brannte 1871 beim Aufstand der Pariser Kommune nieder.<br />

Beileibe nicht alle adeligen Schweizer waren königstreu, wie u.a. das Beispiel des Luzerner<br />

Patriziers Maurus Meyer von Schauensee zeigt, der der Aide de camp von La Fayette war<br />

<strong>und</strong> später als General unter Napoleon diente, sich dann aber mit diesem überwarf <strong>und</strong><br />

strafversetzt auf den Antillen am Fieber starb.<br />

55


Das von Karl Pfyffer von Altishofen in Auftrag gegebene <strong>und</strong><br />

von zahlreichen gekrönten Häuptern finanzierte Löwendenkmal von Luzern<br />

Gewidmet den ihrem Eid gehorchend, bei der Verteidigung der Tuilerien am<br />

10. August 1792 gefallenen 26 Offiziere <strong>und</strong> 760 Unteroffiziere <strong>und</strong> Soldaten des<br />

Schweizer Garderegiments<br />

Die Liste zeigt die in der Kapelle beim Löwendenkmal aufgeführten Offiziere<br />

In der Mitte links die Gefallenen, rechts die Entkommenen<br />

Jeweils ganz aussen die Namen derjenigen, die im Urlaub waren<br />

56


Das Innere der Kapelle beim Löwendenkmal in Luzern<br />

gestiftet von Marie-Therese, Herzogin von Angoulême<br />

Tochter von Marie Antoinette <strong>und</strong> Ludwig XVI<br />

Dargestellt sind die Fahnen des Schweizer Garderegiments sowie<br />

die Namen <strong>und</strong> Wappen der überlebenden <strong>und</strong> getöteten Offiziere<br />

O Louis, o mon Roi, si tout le monde t’abandonne,<br />

pour notre coeur c’est une lois d’être fidèle à ta personne<br />

Unbekannte Opfer des 10. August in den Katakomben von Paris<br />

57


Offiziere des Schweizer Garderegiments zur Zeit der <strong>Revolution</strong><br />

Louis-Auguste-Augustin Comte d'Affry, aus<br />

Fribourg, Seigneur de Saint-Barthélémy et Bretigny,<br />

1713-1793,. Generalleutnant <strong>und</strong> Administrator der<br />

Schweizer <strong>und</strong> Bündner Truppen in französischen<br />

Diensten, Oberst der königlichen <strong>Schweizergarde</strong>,<br />

Militärgouverneur von Paris <strong>und</strong> Botschafter der<br />

Eidgenossenschaft in Frankreich.<br />

Louis-Augustin entstammte dem alten Freiburger<br />

Adelsgeschlecht der Affry, die seit 1536 zahlreiche<br />

Offiziere der Schweizer Truppen in französischen<br />

Diensten gestellt hatten. Über seine Mutter, Marie<br />

von Diesbach-Steinbruck, war er mit der Berner<br />

Aristokratie verb<strong>und</strong>en. Sein Vater, François d'Affry,<br />

stieg in den Kriegen in Italien bis zum<br />

Generalleutnant auf <strong>und</strong> trug seit 1715 den Orden des<br />

Heiligen Ludwig. Er kam 1734 in der Schlacht bei<br />

Guastalla um. Da sein Onkel, Hans Friedrich von<br />

Diesbach-Steinbruck, Kabinettschef am Hof des<br />

deutschen Kaisers war, übernahm der Kaiser die<br />

Patenschaft von Louis-Augustin.<br />

Louis-August-Augustine Graf d’Affry<br />

Generalleutnant, Oberst der<br />

<strong>Schweizergarde</strong>, Militärgouverneur von<br />

Paris, Botschafter der Eidgenossenschaft<br />

in Frankreich<br />

Louis-Augustin trat 1725 als Kadett in die französische <strong>Schweizergarde</strong> ein <strong>und</strong> stieg 1744<br />

zum Brigadie auf. 1745 war er Kommandant der Schweizer Truppen in der Schlacht bei<br />

Fontenoy, 1748 Maréchal de camp <strong>und</strong> 1758 Generalleutnant. 1755 wurde er bevollmächtiger<br />

Minister <strong>und</strong> zwischen 1759 <strong>und</strong> 1762 Botschafter König Ludwigs XV. in den Niederlanden.<br />

Nach seiner Rückkehr wurde er 1767 Oberst der königlichen <strong>Schweizergarde</strong> in Paris <strong>und</strong><br />

1771 ständiger Gesandter der Eidgenossenschaft in Frankreich. Während der Minderjährigkeit<br />

des Bruders des Königs übernahm er den Oberbefehl über sämtliche Schweizer Truppen in<br />

Frankreich zwischen 1789 <strong>und</strong> 1792. Er erhielt vom französischen König unter anderem 1779<br />

den St.-Ludwigs-Orden <strong>und</strong> als einziger Schweizer 1784 den Orden vom heiligen Geist. Als<br />

aufgeklärter Aristokrat war er seit 1786 Mitglied der Freimaurerloge Société Olympique. In<br />

seinen Pariser Wohnsitzen an der Rue des Saints-Pères <strong>und</strong> der Place Vendôme empfing<br />

d'Affry häufig Vertreter der Pariser Salonwelt sowie zeitgenössische Freidenker <strong>und</strong><br />

Philosophen. So verkehrten bei ihm auch Voltaire <strong>und</strong> Madame Pompadour.<br />

Nach der gescheiterten Flucht Ludwig XVI. am 20./21. Juni 1791 wurde Louis-Augustin<br />

d'Affry zum Kommandanten der Militärdivision von Paris <strong>und</strong> der Île-de-France ernannt <strong>und</strong><br />

legte am 21. Juni den Eid vor der Nationalversammlung ab. Während der <strong>Revolution</strong>szeit fiel<br />

d'Affry sowohl Fre<strong>und</strong>en wie Gegnern der <strong>Revolution</strong> durch sein zögerliches Verhalten auf.<br />

Er versuchte, die Schweizer Truppen aus den Verwicklungen <strong>und</strong> Kämpfen um die<br />

<strong>Revolution</strong> herauszuhalten <strong>und</strong> widerstand starkem Druck aus aristokratischen Kreisen, einen<br />

Militärputsch gegen die Nationalversammlung anzuordnen. D’Affry wollte nur auf Befehl des<br />

Königs <strong>und</strong> nicht auf eigene Faust handeln. Zudem vertraute er den Beschwichtigungen<br />

einflussreicher <strong>Revolution</strong>äre. Angeblich wegen seines hohen Alters <strong>und</strong> von Krankheit<br />

gezeichnet, nahm Affry nicht an der Verteidigung der Tuilerien durch die <strong>Schweizergarde</strong> am<br />

10. August 1792 teil. Trotz der allgemein schlechten Stimmung gegen die Schweizer wurde<br />

d'Affrys Wohnhaus von der Nationalgarde gegen eine aufgebrachte Menge verteidigt, so dass<br />

er als einer der wenigen prominenten Vertreter der Garde den 10. August überlebte. Nach<br />

einem Prozess vor dem <strong>Revolution</strong>stribunal am 2. September wurde er freigesprochen, da er<br />

58


einerseits glaubhaft machen konnte, ein Gegner der Königin (?) zu sein <strong>und</strong> anderseits nicht in<br />

die Ereignisse um den Tuileriensturm eingriff. In der Schweiz wurde seine Rolle kontrovers<br />

diskutiert. Da Frankreich als Folge des 10. August alle Schweizer Truppen entliess, übernahm<br />

er die Heimführung der ca. 50.000 Mann <strong>und</strong> verliess am 20. Oktober 1792 Paris. Danach<br />

lebte er auf dem Familienschloss in Saint-Barthélemy. Louis-Augustin d'Affry war der Vater<br />

von Louis d’Affry, dem ersten Landamann der Schweiz 1803 <strong>und</strong> Grossvater von Charles<br />

d’Affry, Leutnant im Schweizer Garderegiment in Paris <strong>und</strong> Oberst des 4.<br />

Schweizerregiments unter Napoleon.<br />

Pierre-Victor Baron de Besenval, aus Solothurn,<br />

1721-1791. Etwa fünfzig Jahre stand dieser glänzende<br />

Offizier in Frankreichs Dienste <strong>und</strong> nahm an allen<br />

grossen Feldzügen Ludwigs XV. teil. Er war<br />

Ehrenoberstleutnant des Schweizer Garderegiments<br />

<strong>und</strong> Kommandant des 1. Bataillons. Neben seinen<br />

brillanten militärischen Talenten besass er einen<br />

ausgeprägten Sinn für die Künste <strong>und</strong><br />

Wissenschaften. Sein Vater war der Generalleutnant<br />

Peter-Hans-Viktor von Besenval, Gesandter Ludwigs<br />

XIV. bei Karl XII. von Schweden <strong>und</strong> Stanislas<br />

Leczinski von Polen <strong>und</strong> Oberst der Schweizer Garde.<br />

Die Tapferkeit Peter-Viktors, Adjutant des Marschalls<br />

von Broglie <strong>und</strong> des Herzogs von Orleans, hatte ihm<br />

das rote Ordensband von Saint-Louis eingetragen.<br />

1769 hatte Ludwig XV. ihn zum Generalinspektor der<br />

Schweizer <strong>und</strong> Graubündner ernannt. Mit seinen<br />

militärischen Talenten verband Besenval ein<br />

stattliches Aussehen, ein feines <strong>und</strong> regelmässiges<br />

Gesicht, eine umfassende Bildung <strong>und</strong> sehr viel Sinn<br />

Peter-Viktor von Besenval<br />

Generalinspekteur der Schweizer <strong>und</strong><br />

Bündner, Gouverneur der Isle de France<br />

Stadtkommandant von Paris<br />

für die Künste <strong>und</strong> die Literatur. In seiner Jugend ein blendender Offizier, dessen Tapferkeit<br />

an Tollkühnheit grenzte, unverheiratet, umfassend gebildet, Besitzer eines der bekanntesten<br />

Stadthäuser, Mitglied der Kunstakademie <strong>und</strong> anerkannter Naturwissenschafter.<br />

Ein Jahr vor den entscheidenden Ereignissen des Jahres 1792 ist er in seinem Palais an der<br />

Rue de Grenelle, der heute die schweizerische Botschaft beherbergt, gestorben. Sein Einfluss<br />

auf das Regiment <strong>und</strong> auf alle Schweizerregimenter in Frankreich, die 20.000 Rotröcke des<br />

Königs, war tiefgreifend. Als Generalinspekteur der Schweizer <strong>und</strong> Bündner hatte er ihre<br />

Ausbildung während Jahren geleitet <strong>und</strong> ihre Kriegstüchtigkeit verbessert. Bei Ausbruch der<br />

<strong>Revolution</strong> nahm er als Gouverneur der Isle de France <strong>und</strong> Stadtkommandant von Paris eine<br />

Schlüsselstellung ein. Die Erstürmung der Bastille hat er nicht verhindert. Es ist eine offene<br />

Frage, ob dieser kultivierte <strong>und</strong> brillante Schweizer den Verlauf der Weltgeschichte hätte<br />

anders gestalten können, wenn er im entscheidenden Jahr 1789 auf die Ereignisse mit mehr<br />

Entschlossenheit reagiert hätte. Aber man war ja in erster Linie Schweizer, <strong>und</strong> als solcher<br />

wollte man sich nicht in die innenpolitischen Vorgänge in Frankreich einmischen.<br />

Nach den tragischen Ereignissen im Juli 1789, insbesondere nach der Flucht des Königs nach<br />

Varennes, wurde er auf dem Weg nach Solothurn in Brie-Comte-Robert verhaftet <strong>und</strong> nach<br />

Paris zurückgeschleppt. Obgleich die Meute seinen Kopf verlangte, wurde er freigesprochen<br />

<strong>und</strong> starb in seinem Pariser Heim am 2. Juni 1791.<br />

59


Jean-Roch-Frederic Marquis de Maillardoz, aus Fribourg,<br />

1727-1792, trat 1743 in den Dienst Frankreichs, wo er die<br />

Feldzüge nach Flandern <strong>und</strong> den 7-jährigen Krieg mitmachte<br />

<strong>und</strong> bis zum Generalleutnant <strong>und</strong> Ludwigsritter aufstieg. Als<br />

Stellvertreter von Graf d’Affry inspizierte er am Morgen des 10.<br />

August 1792 mit dem König die Garde <strong>und</strong> begleitete die<br />

königliche Familie in die Nationalversammlung. Dort wurde er<br />

verhaftet <strong>und</strong> eingesperrt. Er starb während der<br />

Septembermorde in der Conciergerie. Aus seinen Eingeweiden<br />

wurden Kokarden hergestellt. Auch die Gattin von Jean-Roch-<br />

Frédéric de Maillardoz, Marie-Anne-Bénigne geborene Griset<br />

de Forell (Dame de l'Ordre de la Croix Etoilée), wurde vom<br />

Pariser Pöbel verfolgt. Am <strong>3.</strong> September 1792 hatte sie, versteckt hinter einem Schrank, mit<br />

anhören müssen, auf welche Art ihr Mann Tags zuvor massakriert worden war. Die<br />

Unglückliche musste sich derart zusammennehmen, dass sie Verstand <strong>und</strong> Sprache verlor. Ihr<br />

Sohn Philipp war Generalstabshauptmann unter Napoleon <strong>und</strong> Sonderb<strong>und</strong>sgeneral in Luzern.<br />

60<br />

Charles-Leodegar von Bachmann, aus Glarus, 1734-1792, trat<br />

1749 im 4. Schweizerregiment in den Dienst Frankreichs, wo er<br />

im Garderegiment zum Maréchal de camp aufstieg. Am 10.<br />

August 1792 gehörte er mit Marquis de Maillardoz zu der<br />

Gruppe von Schweizer Offizieren, die die königliche Familie in<br />

die Nationalversammlung begleiteten <strong>und</strong> verhaftet wurden.<br />

Obwohl die Militärverträge der Schweiz mit Frankreich die<br />

eigene Gerichtsbarkeit garantierten <strong>und</strong> die Angehörigen eines<br />

Schweizer Regiments der französischen Rechtssprechung<br />

entzogen, wurde Bachmann vor das <strong>Revolution</strong>stribunal gestellt<br />

<strong>und</strong> wegen „Beleidigung der Nation“ am <strong>3.</strong> guillotiniert. Er<br />

starb tapfer <strong>und</strong> stolz als mutiger Soldat des Königs.<br />

Jost von Dürler, aus Luzern, 1746-1802, trat 1763 ins<br />

Schweizer Garderegiment ein <strong>und</strong> brachte es dort bis zum<br />

Hauptmann im Range eines Oberst. Am 10. August 1792 war er<br />

der ranghöchste in den Tuilerien verbliebener Offizier <strong>und</strong><br />

befehligte die Garde an Stelle des verhafteten de Maillardoz.<br />

Dürler entkam nur knapp dem Massaker <strong>und</strong> gelangte<br />

schliesslich auf abenteuerlichem Weg heil in die Schweiz.<br />

Durch den Grafen von Lille (Ludwig XVIII.) wurde er in<br />

Verona zum Maréchal de camp ernannt., Er trat ins englische<br />

Schweizerregiment von Roll (Royal Etranger) ein <strong>und</strong> starb<br />

nach einer Verw<strong>und</strong>ung 1802 bei Alexandrien als Oberst in<br />

englischen Diensten. Er erhielt den Ludwigsorden, den<br />

türkischen Halbmondorden sowie einen Ehrensäbel. Anna-<br />

Elisabeth Dürler, die Gattin, ist die Tochter des Beat-Fidel<br />

Zurlauben aus Zug, 1720-1799, Generalleutnant in Frankreich, der den österreichischen<br />

Erbfolgekrieg <strong>und</strong> den 7-jährigen Krieg mitmachte, zahlreiche gelehrte Studien<br />

veröffentlichte <strong>und</strong> eine der grössten Sammlungen von Büchern <strong>und</strong> Handschriften besass. Er<br />

war eng befre<strong>und</strong>et mit dem Luzerner Generalleutnant in französischen Diensten Franz-<br />

Ludwig Pfyffer v. Wyher, 1716-1802, dem bekannten Innerschweizer Topographen.


Ludwig von Flüe, aus Sachseln, 1752-1817, war nicht Mitglied<br />

des Garderegiments, spielte aber beim Sturm auf die Bastille<br />

eine Rolle. Damals hatte der Kommandant der Bastille, Graf<br />

von Launay, neben 52 Soldaten noch 30 Schweizer aus dem<br />

Regiment Salis-Samaden zur Verfügung. Diese Schweizer<br />

unterstanden dem Kommando des Kapitänleutnants Ludwig<br />

von Flüe, der seinerseits die Weisungen Launays auszuführen<br />

hatte. Ludwig von Flüe, dessen Ahnen neben Bruder Klaus eine<br />

Reihe profilierter Politiker <strong>und</strong> Offiziere in fremden Diensten<br />

aufweist, erhielt den Beinamen „Louis le Bastillien“. Wäre es<br />

nach ihm gegangen, <strong>und</strong> hätte der Kommandant Graf Launay<br />

nicht (was ihm auch tatsächlich widerfuhr) den „Kopf verloren“<br />

<strong>und</strong> die Tore öffnen lassen, wäre die Bastille vielleicht nie<br />

eingenommen worden, zumal ein Detachement Schweizer unter<br />

der Führung des Luzerners Johann Göldlin v. Tiefenau (dem späteren Generalmajor in<br />

Holland) auf dem Marsch zur bedrohten Festung unterwegs war, durch einen Gegenbefehl<br />

aber auf das Marsfeld zurückbeordert wurde.<br />

61<br />

Rudolf von Reding von Biberegg, aus Schwyz, 1761-1792,<br />

Hauptmann im Schweizer Garderegiment. Am 10. August 1792<br />

wurde er in den Tuilerien schwer verw<strong>und</strong>et, gefangen<br />

genommen, eingesperrt <strong>und</strong> mit h<strong>und</strong>ert andern Schweizern im<br />

Gefängnis von l’Abbaye massakriert. Er war der jüngere Bruder<br />

1. des Generals Theodor von Reding, 1755-1809, Kommandeur<br />

des <strong>3.</strong> Schweizerregiments in Spanien, Gouverneur von Malaga<br />

<strong>und</strong> Sieger gegen Napoleon bei Baylen im Jahre 1808, 2. des<br />

Nazare von Reding, Gesandter des spanischen Königs in der<br />

Schweiz <strong>und</strong> <strong>3.</strong> des Aloys von Reding, Oberstleutnant in<br />

Spanien, Landeshauptmann in Schwyz, Befehlshaber des<br />

Heeres von Uri, Schwyz <strong>und</strong> Unterwalden gegen Napoleon<br />

1798 <strong>und</strong> erster Landammann der Schweiz.<br />

George-François de Montmollin, aus Neuenburg, 1769-1792,<br />

War ein schöner, hochgewachsener Jüngling <strong>und</strong> begnadeter<br />

Geigenspieler <strong>und</strong> Komponist von 23 Jahren. Er konnte es kaum<br />

erwarten, als er Mitte Juli endlich die Nachricht erhielt, dass er<br />

ins Garderegiment aufgenommen werde. Er kannte die Lage im<br />

revolutionären Paris, hatte er doch beim Regiment von Salis-<br />

Samaden den Sturm auf die Bastille erlebt, <strong>und</strong> er wusste auch,<br />

dass die Tage des Garderegiments gezählt waren. Trotzdem<br />

brach er eilends auf, <strong>und</strong> niemand konnte ihn halten. Am 7.<br />

August kam er in Paris an, liess sich sogleich Mass nehmen <strong>und</strong><br />

lieh sich derweil eine Uniform. Am Abend des 8. August verlor<br />

er im Spiel, doch kümmerte es ihn wenig, da er es wohl nicht<br />

mehr brauche. Um Mitternacht brach er mit seinem Regiment in<br />

Rueil auf <strong>und</strong> erreichte die Tuilerien über den Pont de Neuilly<br />

um 3 Uhr früh. Während des Massakers am 10. August gehörte er zu denen, die durch die<br />

Gärten in Richtung place Louis XV. verfolgt <strong>und</strong> hinterrücks niedergestreckt wurden.<br />

Montmollin wickelte sich dabei in die Fahne, die man ihm anvertraut hatte <strong>und</strong> starb als Held<br />

nicht ohne mehrere Feinde mit in den Tod zu reissen. Weiber fallen über in her <strong>und</strong> reissen


ihm das Herz heraus, <strong>und</strong> Zeugen beobachten wie kleine Knaben <strong>und</strong> Mädchen sich um die<br />

Köpfe <strong>und</strong> Glieder der Schweizer stritten <strong>und</strong> wie Fetzen von Fleisch auf Picken <strong>und</strong><br />

Bajonetten durch die Strassen getragen wurden. Um die Motivation des jungen Montmollin zu<br />

verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass es sich um das 18. Jahrh<strong>und</strong>ert handelt, ein<br />

aristokratisches Jahrh<strong>und</strong>ert, in dem die jungen Männer von nobler Geburt sich gegenseitig<br />

rivalisierten, um sich auszuzeichnen.<br />

Joseph von <strong>Schumacher</strong>, aus Luzern, 1773-1851, Offizier im<br />

französischen Schweizer Garderegiment in Paris sowie in<br />

sardinischen Diensten, vermählt mit der Tochter von Jost von<br />

Dürler, des Verteidigers der Tuilerien. Durch den Grafen von<br />

Lille (Ludwig XVIII.) zum Oberstleutnant <strong>und</strong> Ludwigsritter<br />

ernannt. Ritter des Mauritius- <strong>und</strong> Lazarusordens. Während der<br />

Ereignisse am 10. August befand sich <strong>Schumacher</strong> auf Urlaub in<br />

Luzern. Vater von General Felix <strong>Schumacher</strong>, des Verteidigers<br />

von Gaeta, dem letzten Bollwerk der spanischen Bourbonen in<br />

Italien 1860/61. Die Gattin von Joseph <strong>Schumacher</strong>, Sophie<br />

<strong>Schumacher</strong>-Dürler (1784-1852), hatte jeweils anstelle der<br />

Gattin des Landammannes Vinzenz von Rüttimann, der für seine<br />

glanzvollen Staatsempfänge berühmt war, die Rolle der<br />

Gastgeberin übernommen. Sie stand ebenso in regem<br />

Briefkontakt mit prominenten Persönlichkeiten Europas <strong>und</strong><br />

pflegte gute Kontakte zu König Louis-Philippe <strong>und</strong> dessen Schwester Adelaide, die beide<br />

während ihrer Emigrantenzeit in der Schweiz von Sophies Familie Hilfeleistung erhielt.<br />

König Louis Philippe war bekanntlich der Sohn jenes Louis-Philippe, der als Herzog von<br />

Orléans für den Tod Ludwigs XVI. stimmte, als „Philippe Egalité“ bekannt ist <strong>und</strong> selber<br />

unter der Guillotine endete, nachdem er unter Verdacht geriet, selber nach der Krone greifen<br />

zu wollen. Nach der Julirevolution von 1830 wurde König Karl X. zu Abdankung gezwungen.<br />

An die Macht gelangte das Finanzbürgertum <strong>und</strong> mit ihm dessen Schützling König Louis-<br />

Philippe, genannt der „Bürgerkönig“. Danach begann die Periode der „Julimonarchie“, die als<br />

Goldenes Zeitalter des französischen Bürgertums galt.<br />

Sophie <strong>Schumacher</strong>-Dürler,<br />

Tochter des Tuilerienverteidigers<br />

Jost von Dürler. Sie pflegte gute<br />

Kontakte zu König Louis Philippe<br />

<strong>und</strong> dessen Schwester Adelaide<br />

Adélaide, Schwester von<br />

Louis-Philippe, Tochter des<br />

Herzogs von Orléans (war für<br />

den Tod Louis XVI) <strong>und</strong> der<br />

Prinzessin Louise-Marie<br />

von Bourbon-Penthiève<br />

König Louis-Philippe<br />

genannt der „Bürgerkönig“<br />

klug verzichtet er auf das<br />

Königswappen auf seinen<br />

Goldmünzen, doch seine<br />

Habsucht machte ihn unbeliebt<br />

62


Von Napoleon über die <strong>Revolution</strong>en von 1830 <strong>und</strong> 1848 bis heute<br />

Hatte sich 1789 das Besitzbürgertum noch auf das Volk<br />

gestützt, warf es sich 1799 in die Arme Napoléon<br />

Bonapartes, der sich später zum Kaiser krönte, die<br />

Erbmonarchie wieder einführte <strong>und</strong> Europa in ein Zeitalter<br />

der Kriege führte. Mit der Unterwerfung Europas <strong>und</strong> dem<br />

Einmarsch der Franzosen in die Schweiz, mit deren<br />

Staatskassen er seine Feldzüge finanzierte, wurde das Land<br />

erstmals in seiner Geschichte von einem fremden Heer<br />

besetzt <strong>und</strong> musste zwangsweise vier Regimenter stellen.<br />

Diese blieben ihrem Ruf treu <strong>und</strong> verhalfen Napoleon zu<br />

seinen Siegen.<br />

Es ist auch fraglich ob Napoleon ohne seine Generäle, allen<br />

voran der Schweizer Jomini, wirklich das grosse<br />

Militärgenie gewesen war, für das er gehalten wird. Seit<br />

sich nämlich Jomini mit Napoleon überworfen hatte <strong>und</strong><br />

die Seiten wechselte, verliess Napoleon das Kriegsglück. In<br />

Russland hatte die Schweizerdivision an der Beresina noch<br />

einen Grossteil der Grande Armee gerettet, doch bei<br />

Waterloo war kein Schweizer mehr dabei. In Spanien hatte<br />

Napoleon die Schlacht bei Baylen verloren <strong>und</strong> war dort<br />

auf den erbitterten Widerstand des Schweizers Theodor von<br />

Reding gestossen. In Erinnerung an den ebenfalls von<br />

Napoleon Bonaparte<br />

1769-1821<br />

Wäre er nicht so unglaublich<br />

impertinent, er wäre wohl<br />

mehr lächerlich als erhaben<br />

einem von Reding angeführten Kampf bei Rothenturm rief Napoleon verzweifelt aus:<br />

“Partout où je vais en Europe, j`ai un von Reding en face de moi.” Mit dem Einmarsch in<br />

Spanien standen sich bei Baylen auf beiden Seiten Schweizer gegenüber. Aber das Schicksal<br />

von Malplaquet wiederholte sich nicht. Die Gewehre senkten sich zur Verbrüderung.<br />

Der 14. Juli markiert den Beginn des Terrors <strong>und</strong> der blutigen Greuletaten der <strong>Revolution</strong> <strong>und</strong><br />

ist gleichzeitig der Auftakt zur grossen Zahl von Toten, die Napoleon zu verantworten hat.<br />

Dennoch wird der 14. Juli von den Franzosen als Nationalfeiertag verehrt <strong>und</strong> gilt Napoleon<br />

als “ruhmreicher” Vater der “Grande Nation”. Für ihn hat man jenes Bauwerk als Mausoleum<br />

hergerichtet, das einst der grosse Ludwig XIV für sich als Grabstätte errichten liess.<br />

Positiv spricht für Napoleon, dass er sich mit dem Gedanken getragen hatte, den Ermordeten<br />

der <strong>Revolution</strong> ein Denkmal zu errichten “…pour rappeler à nos enfants qu’on ne tue pas les<br />

rois et qu’on ne les enterre pas comme des simple particuliers”. Er selber war als Kaiser dem<br />

monarchischen Gedanken nicht abgeneigt <strong>und</strong> suchte vergeblich den von ihm geschaffenen<br />

napoleonischen Adel mit dem alten Adel zu verbinden.<br />

Nach der Verbannung Napoleons <strong>und</strong> dem Wiener Kongress 1815, erlangten in Frankreich,<br />

im Zuge der Wiederherstellung der alten Ordnung in Europa, die Bourbonen-Dynastie unter<br />

Ludwig XVIII., einem Bruder Ludwigs XVI., wieder die Oberhand. Sogleich wurden mit den<br />

Schweizer Kantonen zwei Garderegimenter <strong>und</strong> vier Linienregimenter ausgehandelt.<br />

Angeführt von den H<strong>und</strong>ertschweizern der neuen Garde konnte Ludwig XVIII. in die<br />

Tuilerien einziehen. 1821 enstand in Luzern das Löwendenkmal, das an den Untergang der<br />

<strong>Schweizergarde</strong> in Paris vom 10. August 1792 erinnert. Als Ludwig XVIII. 1824 starb,<br />

bestieg Charles X., sein Bruder, den Thron von Frankreich. Als eine Regierungskrise den<br />

Juliaufstand von 1830 auslöste, war es wieder die <strong>Schweizergarde</strong>, die das Pflaster von Paris<br />

für die Bourbonen mit ihrem Blut rötete.<br />

63


1830 verteidigten wiederum königstreue Schweizer das<br />

Tuilerienschloss, wobei 300 fielen. Die Tagsatzung rief daraufhin<br />

alle Regimenter zurück. Viele wechselten ins Königreich Neapel.<br />

Andere liessen sich in der 1831 gegründeten französischen<br />

Fremdenlegion anwerben<br />

64<br />

Nach der Abdankung Charles X.<br />

<strong>und</strong> dem Thronverzicht seines<br />

Sohnes zu Gunsten seines noch<br />

unmündigen Neffen (Graf von<br />

Chambord) setzten die Liberalen<br />

eine konstitutionelle Monarchie<br />

unter Louis-Philippe, Herzog von<br />

Orléans durch. Gleichzeitig mit<br />

dem Ende der Bourbonen hat das<br />

französisch-schweizerische Bünd-<br />

nis nach vier Jahrh<strong>und</strong>erten einer<br />

in der Völkergeschichte einzigarartigen<br />

Waffenbrüderschaft zu<br />

bestehen aufgehört. Als Ersatz<br />

gründete Louis-Philippe 1831 die<br />

Fremdenlegion <strong>und</strong> stellte sie<br />

unter Schweizer Kommando.<br />

Als 1848 die Wahlen von den<br />

Konservativen <strong>und</strong> Liberalen<br />

gewonnen wurden, kam es am 24.<br />

Juni 1848 zum Aufstand der Arbeiter, die sich im Zuge der einsetzenden Industriellen<br />

<strong>Revolution</strong> zum Vierter Stand formiert hatte. Der Aufstand wurde niedergeschlagen <strong>und</strong> war<br />

der Auslöser für eine bürgerliche Konterrevolution in Europa. Nach der Niederlage<br />

Napoleons III. im deutsch-französischen Krieg, kam es 1871 mit dem Putsch der Pariser<br />

Kommune zu einer weiteren revolutionären Auseinandersetzung. Der Versuch, den Grafen<br />

von Chambord, der Enkel von Charles X., auf den Thron zu heben, scheiterte.<br />

1848 markiert die Abspaltung des Proletariats vom Bürgertum<br />

<strong>und</strong> bildet die Gr<strong>und</strong>lage der russischen <strong>und</strong> chinesischen<br />

<strong>Revolution</strong> von 1917 <strong>und</strong> 1966. Das Ende des Kalten Krieges<br />

1989 war das Ende der proletarischen <strong>Revolution</strong>. Seine<br />

Kapitulation führte zum alleinigen Triumph des<br />

Finanzbürgertums, dessen Ausbeutung <strong>und</strong> Naturverachtung<br />

ohnegleichen ist. Innerhalb von nur 100 Jahren ist es dem<br />

Bürgertum gelungen, eine ökologische Katastrophe globalen<br />

Ausmasses zu verursachen <strong>und</strong> eine gewaltige Blutspur zu<br />

hinterlassen: von der Französischen <strong>Revolution</strong> mit 40.000<br />

Toten, über die Kriege Napoleons mit 4 Millionen Toten <strong>und</strong><br />

den <strong>Revolution</strong>en von 1830 <strong>und</strong> 1848 mit vielen Tausenden<br />

von Toten bis zu den Weltkriegen <strong>und</strong> Diktaturen im 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert, die allein 100 Millionen Tote erreichten. Heute<br />

verhungern immer noch Millionen von Menschen, verlieren<br />

H<strong>und</strong>erttausende ihre Existenz <strong>und</strong> ist das Leben auf der Erde<br />

in seiner Gesamtheit bedroht.<br />

Kaiser Napoleon III<br />

Dem harmonischen Ausgleich zwischen Adel <strong>und</strong> Bürgertum zwischen 1871 <strong>und</strong> 1914 war<br />

nur eine kurze Blüte beschieden. Da das Bürgertum keine historische Legitimität hatte, suchte<br />

es zunächst die Nähe zum Adel. Aber es wollte die alleinige Macht, <strong>und</strong> dazu bediente es sich<br />

zweier Weltkriege <strong>und</strong> einer radikalen Veränderung im Kunst- <strong>und</strong> Kulturverständnis (vgl.<br />

Seite 16). Auch die kommunistische <strong>und</strong> nationalsozialistische Diktatur <strong>und</strong> die<br />

anschliessende Entchristlichung Europas sind das Werk bürgerlicher Kräfte.


Literatur<br />

Bodin, Jérôme Les Suisses au Service de la France, Paris 1988<br />

Bory, J.-R. Les Suisses au Service Etranger et Leur Musée, Nyon 1965<br />

Castelot, André Marie-Antoinette, Librairie Academique Perrin, Paris 1962<br />

Dürler, Jost, von Relation de Mr. Dürler, Capitaine au Régiment des<br />

Gardes Suisses, in der Publikation von Wolfgang von Mülinen<br />

Engler, Winfried Die Französische <strong>Revolution</strong>, RIAS Berlin, Stuttgart<br />

Fay, Bernard Louis XVI., Librairie Academique Perrin, Paris 1966<br />

Fiechter, Jean-Jacques Baron Peter-Viktor von Besenval, Rothus Verlag,<br />

Solothurn 1994<br />

France, Marie-Therese, de Narrative in “The Ruin of a Princess”, New York 1912<br />

Hensler, A. Frankreichs Lilien, Benziger 1905<br />

Jauch, Ursula-Pia Beat-Fidel Zurlauben, NZZ Verlag, Zürich 1999<br />

Mülinen, Wolfgang, von Das französische Schweizer Garderegiment am 10. August<br />

1792, Luzern 1892<br />

Tourzel, Madame, de Memoiren in: Die Französische <strong>Revolution</strong>. Ein Lesebuch mit<br />

zeitgenössischen Berichten <strong>und</strong> Dokumenten. Reclam, Stuttgart<br />

2000<br />

Vallière, P. Treue <strong>und</strong> Ehre, Geschichte der Schweizer in Fremden Diensten,<br />

Neuchâtel 1912, Lausanne 1940<br />

65

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