Schöne, neue Welt - redaktion werner GbR
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<strong>Schöne</strong>, <strong>neue</strong> <strong>Welt</strong><br />
Computer Zeitung<br />
Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH<br />
32 Jg./Nr. 42, 18.10.2001<br />
Nicht in Huxleys Sinn, sondern wortwörtlich nimmt die i³-Initiative diese Vision. Der Mensch<br />
soll nicht der Sklave seiner Technologien sein, sondern die Technik soll ihm den Alltag<br />
erleichtern. Mit Intelligent Information Interfaces versucht i³, die Schnittstellen zwischen<br />
Mensch und IT-Technologie zu harmonisieren.<br />
Der Anspruch ist hoch. i³ (ausgesprochen iCube), die 1996 gegründete Initiative for Intelligent<br />
Information Interfaces, hat sich zum Ziel gesetzt, IT-Technologien so einzusetzen, dass Menschen sie<br />
im Alltag nutzen können, ohne an den Schnittstellen zu scheitern. In vielen Bereichen ist dieser<br />
Umgang mit den Schnittstellen selbstverständlich geworden. Wer, egal wo auf der <strong>Welt</strong>, in einen PKW<br />
steigt, fährt mit ihm – ohne über Sinn und Zweck von Lenkrad und Pedalen nachdenken zu müssen –<br />
an den Ort seiner Wahl. Wer am PC einen simplen Brief schreiben oder eine E-Mail verschicken will,<br />
muss erhebliche Vorarbeit leisten, um sein eigentliches Ziel zu erreichen.<br />
Die Bedeutung der Schnittstellen im Zeitalter moderner Kommunikationstechnologie unterstreicht mit<br />
seiner Äußerung Franco Debenedetti, Präsident des Interaction Design Institute Ivrea in Norditalien.<br />
„Was das Industriedesign für mechanische Produkte bedeutet, das bedeutet Schnittstellendesign für<br />
den Kommunikationsservice. Schnittstellendesign, das ist die Verschmelzung von Design, Technik<br />
und Ergonomie."<br />
Diese und ähnliche Überlegungen dürften auch bei der Gründung von i³ von ausschlaggebender<br />
Bedeutung gewesen sein. Die i³ Initiative besteht aus circa 300 Wissenschaftlern aus etwa 100<br />
vorwiegend akademischen Organisationen, zu denen Forschungsbereiche von Lego, Alcatel oder<br />
Apple genauso gehören wie die Universitäten von Negev (Israel), Bremen oder Siena. Von der EU<br />
und industriellen Sponsoren mit etwa 80 Millionen Euro ausgestattet, versuchen die aus<br />
unterschiedlichsten Fachbereichen kommenden Mitglieder, interdisziplinär harmonische<br />
Verbindungen zwischen Mensch, Technologie und im weitesten Sinn Kunst herzustellen. Zwei<br />
Kernprojekte stehen im Zentrum der i³-Forschung. Eines davon ist das Programm Connected<br />
Community and Inhabited Information Spaces, kurz CI, in dessen Rahmen nach Einsatzmöglichkeiten<br />
der EDV für eine bessere Kommunikation im kommunalen Bereich geforscht wird. Das andere,<br />
Experimental School Environments (ESE), beschäftigt sich mit zukünftigen Lernumgebungen für 4 bis<br />
8-jährige Kinder.<br />
Die Bedeutung von Spielen für Kinder erläutert Edith Ackermann, Professorin für<br />
Entwicklungspsychologie an der Universität von Aix-Marsaile, bei einem Workshop in Porto im April<br />
dieses Jahres. „Bereits im Alter von zwei Jahren befassen sich Kinder mit symbolischen oder fiktiven<br />
Spielen. Diese Bühne mit den auf ihr befindlichen Requisiten ist von entscheidender Bedeutung, damit<br />
die Kinder herausfinden, was im Leben für sie wichtig ist.“<br />
<strong>redaktion</strong> <strong>werner</strong> <strong>Schöne</strong>, <strong>neue</strong> <strong>Welt</strong> (Ergodesign macht IT fit) Seite 1 von 5
Aktivitäten findet und der Dorfbewohner sich nicht lieber abends am Stammtisch mündlich austauscht.<br />
Die i³ Research Village zeigt zahlreiche Ansätze guter Ideen, doch die Umsetzung ist nicht eben<br />
überwältigend. Dies muss auch Walter Gammeter, Messeleiter der Orbit/Comdex, einräumen:<br />
„Vielleicht ist die Präsentation aufgrund des eher akademischen Backgrounds der Initiative nicht so<br />
spektakulär, aber die Research Village ist dennoch eines der Highlights dieser Messe. Es lohnt sich<br />
auf jeden Fall, sich etwas genauer mit den Ideen von i³ auseinanderzusetzen.“<br />
Computer für die Kids<br />
Das Ideenpotential, von dem Gammeter spricht, ist denn auch wirklich überzeugender als die<br />
Präsentation. Wer sich mit dem Broschürenmaterial und der weit verzweigten WebSite von i³<br />
beschäftigt, stellt schnell fest, dass hinter der Initiative keine „schlagkräftige“ Organisation, sondern<br />
ein loser internationaler Verbund von Universitäten, Organisationen und Einzelpersonen steckt. So<br />
sind die bisherigen Ergebnisse von i³ auch keine bahnbrechenden Entwicklungen, sondern sie setzen<br />
sich aus zahlreichen unspektakulären Einzelbausteinen zusammen, die vom Denkanstoss bis zum<br />
praktisch einsetzbaren „Tool“ reichen. Eines davon ist Caress (Creating Aesthetically Resonant<br />
Environments in Sound), das u.a. als therapeutische Ausdrucksmöglichkeit einsetzbar ist. Über den<br />
Anschluss einer Elektrode an einer beliebigen Körperstelle können durch minimalste<br />
Muskelbewegungen Töne erzeugt werden. Gerade behinderte Kinder können sich auf diese Weise<br />
mit minimalem Muskelaufwand „artikulieren“, was ihnen der Alltag deutlich erleichtert. Denn, so Göran<br />
Lassbo, Professor für Pädagogik an der Universität in Göteborg, die Schwierigkeiten behinderter<br />
Kinder stünden oft in enger Relation zu dem aufgrund der Behinderung gestörten<br />
Kommunikationsprozess.<br />
12 der 25 laufenden i³ Projekte sind unter dem Oberbegriff ESE zusammengefasst, welches das Ziel<br />
verfolgt, Kindern den sinnvollen Zugang zur EDV- und Telekommunikationstechnologie zu<br />
ermöglichen. Mit C3 (Children in Choros and Chronos) setzen 2 Kindergruppen spielerisch den PC,<br />
das Handy und die GPS-Technik ein. Während die eine Gruppe mit GPS-Sender und Handy<br />
unterwegs ist, sitzt die andere vor einem PC, auf dem beispielsweise ein Ortsplan mit dem jeweiligen<br />
Standort von Gruppe 2 angezeigt wird. Verbal kann so die statische Gruppe die mobile zu einem<br />
bestimmten Ort dirigieren. Ausdrucksfähigkeit, Umgang mit Karten und der selbstverständliche<br />
Einsatz von Hightech werden damit genauso geschult wie die Kommunikation.<br />
Ebenfalls eine Bereicherung fürs Klassenzimmer der Kleinsten dürfte NIMIS sein, wo statt der<br />
schwarzen Tafel ein elektronisches Clipboard steht und in jedem Pult ein interaktiver Bildschirm<br />
eingelassen ist. Die integrierte grafikorientierte Software übernimmt die Interaktion zwischen den<br />
kleinen und dem großen Bildschirm.<br />
Nicht ganz so schulisch ausgerichtet ist Pogo, das von der Interaktion zwischen realer und virtueller<br />
<strong>Welt</strong> lebt. Was mit realen Spielzeugen real passiert, wird über eine Funkschnittsstelle in die virtuelle<br />
<strong>Welt</strong> auf dem Bildschirm übertragen. Reale und virtuelle <strong>Welt</strong> beeinflussen sich so gegenseitig.<br />
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Auf Ähnliches zielt auch Puppet ab, wo Kinder mit virtuellen Marionetten spielen und in deren Rolle<br />
schlüpfen können. Alle Ansätze verfolgen entweder das Ziel, moderne Technologien in den Unterricht<br />
einzubringen oder alte Spiele mit den <strong>neue</strong>n Technologien wiederzubeleben oder zu erweitern. Ziel<br />
dabei ist, dass Kinder nicht mehr mit Computer und Software als komplizierte „Arbeitsmittel“<br />
konfrontiert werden oder diese Technologien nur als passives Unterhaltungsmedium nutzen, sondern<br />
ihre ureigensten Spiele unter selbstverständlicher Einbeziehung von moderner Technologie spielen.<br />
Virtuelle Führungspersönlichkeiten<br />
Der andere große Themenkreis von i³ widmet sich der Kommunikation in der Kommune. Die Rolle<br />
eines Fremdenführers spielt HIPS, das dem Besucher von Städten oder Museen personalisierte<br />
Informationen bietet. Die Informationen sind strukturiert nach dem typischen Verhalten des<br />
Besuchers. Seine Bewegungen und Reaktionen selbst geben den Ausschlag dafür, welche<br />
Informationen er erhält.<br />
Ebenfalls in die Kategorie der Informationssysteme gehört eSCAPE, das sich aus der Konstruktion<br />
elektronischer Karten entwickelte. Die bisherigen Resultate sind ein virtuelles Planetarium, eine<br />
virtuelle Stadt sowie ein „Info Space“ für eine Bibliothek.<br />
Zu den „führenden Persönlichkeiten“ gehört auch ALD (Agent-Like Device) des co-Nexus Projekts.<br />
Populäre Persönlichkeiten bzw. Komikfiguren dienen als Schnittstelle zwischen dem User, der über<br />
ein Device nach Informationen sucht und dem jeweiligen Informationsmedium, wie beispielweise dem<br />
Internet.<br />
Einen Schritt weiter ist COMRIS, ein Linux-PC in einem Maskottchen verpackt. Der Device steht in<br />
Funkverbindung mit einem lokalen Netzwerk, an das zahlreiche sogenannte Agents angeschlossen<br />
sind. Die Software-Infrastruktur macht es möglich, dass die Agents die für Ihren User interessanten<br />
Informationen „herauspicken“ und sie über das „Maskottchen“ weiterleiten. Dass die Erfinder erstaunt<br />
darüber waren, dass ihre ersten Versuchspersonen auf einen Abschaltknopf für das beredte<br />
Maskottchen bestanden, mag zwar wiederum erstaunen, doch Fakt ist, dass bei allen Projekten auch<br />
soziokulturelle Erkenntnisse gewonnen und ausgewertet wurden.<br />
Anspruch und Wirklichkeit<br />
So dürften die empirischen Ergebnisse über das Verhalten von Kindern und Erwachsenen oft von<br />
größerer Bedeutung sein als die bisherigen Prototypen. Denn interaktive oder personalisierte Systeme<br />
wie Stadt- oder Museumsführer haben nur dann Sinn, wenn es möglich ist, das Verhalten von<br />
Personen zu kategorisieren und über diese Kategorien dann die entsprechenden Informationen<br />
abzurufen. Gleiches gilt für Spielzeug und Unterrichtsmittel, die nur dann Sinn machen, wenn<br />
erwiesen ist, dass Sie von Kindern angenommen werden. So argumentiert auch Phil Ellis, i³ Forscher<br />
und Professor für Musikunterricht: „Wenn Technologie eingesetzt wird, um einen kurzfristigen<br />
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Neuigkeitseffekt zu erzielen und keinen nachhaltigen Vorteil für die Anwender bietet, dann werden die<br />
Menschen sie schließlich ablehnen.“ Wenn auch der Begriff vom „europäischen Flaggschiff der<br />
Erforschung von intelligenten Informationsschnittstellen“, wie es in einer Presseerklärung heißt, etwas<br />
hoch gegriffen ist, hat i³ als Ideenschmiede, die im Brainstorming-Verfahren nach menschlicheren<br />
Technologien sucht, durchaus seine Berechtigung. Ob i³ wirklich eine Vorreiterrolle spielen kann, wird<br />
sich wahrscheinlich kaum beantworten lassen. Denn woher die IT-Industrie die <strong>neue</strong> Idee bezieht, die<br />
dann plötzlich in einem Serienprodukt auf dem Markt ist, bleibt meist im Dunklen. Doch keine Zweifel<br />
dürften darin bestehen, dass es bei den Schnittstellen zwischen Mensch und Technik noch viel zu tun<br />
gibt - und manchmal genügt bereits ein Fingerzeig, damit aus Ideen praktikable Lösungen werden.<br />
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