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auch nicht förmlich einverleibt sind, so wie Luther sich<br />
das ursprünglich dachte, so daß sie ein Recht der Aufsicht<br />
über die Schwächeren hätten, strömt doch ihr Geist<br />
fortwährend den unteren Kreisen zu, wenigstens kann er es<br />
tun. Die Spitze der lutherischen Kirche wird sich immer in<br />
den Wolken verlieren; das aber ist kein Mangel, sondern ihr<br />
eigenstes Wesen, in dem Sichtbares und Unsichtbares eins<br />
werden. Sowie die Auserwählten sich zu einer sichtbaren<br />
Kirche formten, wären sie die Auserwählten nicht mehr; der<br />
Geist Gottes weht, wo er will, und läßt sich nicht binden.<br />
Nach Luther haben immer wieder hochgesinnte Geistliche<br />
versucht, wahre Christen zu finden und zur Hebung des öffentlichen<br />
Geistes zu vereinigen, woraus die Rosenkreuzer<br />
und ähnliche Verbindungen entstanden; aber das hat zu<br />
keinem Ziele geführt, während Goethe und Schiller, und<br />
natürlich nicht nur sie, mit ihren Werken dem <strong>Glaube</strong>n<br />
zugute gekommen sind, ja gerade lutherischen Geist ausgeteilt<br />
haben. Der erste Teil von Goethes Faust ist eine<br />
dichterische Gestaltung der wesentlichen Ideen <strong>Luthers</strong>.<br />
Luther wußte genau, was für ein Segen ihm der Kampf<br />
gegen die Priesterkirche sei. Es beglückte ihn, als er zu der<br />
Einsicht gekommen war, daß der Papst der in der Schrift<br />
geweissagte Antichrist sei. Als ein Teil seiner Anhänger,<br />
namentlich Melanchthon, die Wiedervereinigung mit der<br />
Kirche wünschte, sagte er zwar, daß man den Papst anerkennen<br />
könne, wenn er das Evangelium freiließe und darauf<br />
verzichtete, Stellvertreter Gottes auf Erden sein zu<br />
wollen; aber er setzte hinzu, daß der Papst das nicht könnte,<br />
selbst wenn er es wollte, da die Welt ihn so haben<br />
wollte. Wer recht haßt, muß wünschen, das Gehaßte zu<br />
vernichten; aber irgendwie wird er doch fühlen, daß das<br />
Gehaßte dennoch zu seinem Leben gehört, ja, er würde es<br />
sonst arg nicht hassen. Es hat Maler angezogen, Cromwell<br />
vor der Leiche des von ihm getöteten Königs zu malen: in<br />
jenem Augenblick muß ihm die Notwendigkeit des eigenen<br />
Unterganges bewußt geworden sein. Eine ähnliche dunkle<br />
Ahnung mag Wallenstein bewegt haben, als man ihm den<br />
blutigen Koller Gustav Adolfs brachte.<br />
Luther hat öfters den Wunsch ausgesprochen, sein Tod<br />
solle dem Papsttum Tod bringen; und wirklich hat die<br />
Kirche allmählich ihren mittelalterlichen Charakter abgetan,<br />
aufgehört Ketzer zu verbrennen. Ich bin zu selbstsüchtig,<br />
um zu wünschen, sie möchten wieder damit anfangen;<br />
das glaube ich aber, daß eine Erneuerung der Religion<br />
auch eine Erneuerung der religiösen Gegensätze mit sich<br />
bringen würde.<br />
Gibt es nicht eine andere Möglichkeit? Ja, wenn das Unmögliche<br />
wirklich würde, und der Papst darauf verzichtete,<br />
Stellvertreter Gottes sein zu wollen, damit Christus selbst<br />
das Haupt der Kirche würde. Es bleibt uns nichts, als<br />
dieses Urteil <strong>Luthers</strong> zu wiederholen, der ja keine neue<br />
Kirche gründen, sondern die alte erneuern wollte. Noch<br />
im siebzehnten Jahrhundert betonten die Evangelischen,<br />
daß sie die eigentlichen Katholiken wären, die Glieder der<br />
urchristlichen Kirche. Vielleicht wird einmal noch die Idee<br />
des Mittelalters verwirklicht: ein Kaiserreich des Sichtbaren,<br />
begeistert und beseelt durch das in ihm wirkende<br />
Reich des Unsichtbaren, die Kirche.