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Jinotega, Nicaragua, September 2007<br />

1. Monatbericht<br />

<strong>Hallo</strong> <strong>zusammen</strong>!<br />

Nun ist es also schon Zeit für den ersten Monatsbericht. Die<br />

meisten werden ja über meinen Blog oder sonstige Mitteilungen<br />

schon mitbekommen haben, das es mir hier wirklich gut geht.<br />

Zunächst einmal einen dickes Dankeschön an alle Spender (weitere sind natürlich immer<br />

willkommen). Durch Eure Hilfe ist mein Aufenthalt in Nicaragua ermöglicht worden. Auch<br />

vielen Dank für die positiven Rückmeldungen auf meine Blogeinträge. ¡Muchísimas gracias!<br />

Ich habe absolut das Gefühl mich gut eingelebt zu haben und der große „Kulturschock“ ist bei<br />

mir eigentlich komplett ausgeblieben. Es ist klar, dass, wenn man in eine neue Umwelt<br />

kommt, im Kopf andere und neue Gedanken auftauchen. Jedoch ist es bei mir kein<br />

schlagartiges Ereignis gewesen, vielmehr eine Entwicklung, die mit der Idee, für ein Jahr<br />

wegzugehen, aufgetaucht ist und beschleunigt wurde, an dem Tag, als ich hier ankam, dem<br />

23. August.<br />

Ich habe mir die Frage gestellt, wie und was ich in diesen Monatsbericht einbauen soll.<br />

Da die Monatsberichte auch für den SFD (Sozialer Friedensdienst Kassel e.V., meine<br />

Trägerorganisation) und für alle Leute gedacht sind, die nicht meinen Blog lesen, habe ich<br />

mich entschlossen, einfach von vorne anzufangen. Das bedeutet, dass alle diejenigen, die<br />

meinen Blog kennen, auch Teile des Inhalts dieses Berichts schon kennen. Ich bitte das zu<br />

entschuldigen, aber ich denke, dass dies die einzige Lösung ist, um meinen ersten Monat<br />

<strong>zusammen</strong>zufassen.<br />

Die Reise<br />

ging am 22. August morgens um halb sieben am Bahnhof in Solingen los. Nach<br />

Verabschiedung von meiner Familie, bin ich mit dem Zug losgefahren. Zusammen mit Jens,<br />

(ein Freiwilliger, der in Managua tätig ist) der in Köln zugestiegen ist, ging es dann weiter<br />

nach Frankfurt. Nach einer „Wanderung“ durch den<br />

Frankfurter Flughafen, musste ich am DELTA–Schalter<br />

erstmal meine Sachen umpacken, war aber alles kein<br />

Problem.<br />

Von dort sind wir nach Atlanta geflogen und dort waren<br />

die Sicherheitskontrollen wesentlich weniger schlimm,<br />

als erwartet; Fingerabdrücke abgeben, Foto machen und<br />

fertig, keine halbe Stunde. Beim Gepäckabholen gabs nen<br />

kleinen Schock, weil ein Rucksack von Jens fehlte...aber<br />

1


nach etwas umherirren durch den gigantischen Flughafen (größter Passagierflughafen der<br />

USA) und rumfragen ist er dann irgendwie wieder aufgetaucht. Erleichterung!<br />

Wir sind mit der U-Bahn nach Downtown Atlanta gefahren, ins<br />

Hotel eingecheckt und danach lecker Burgeressen gegangen. Früh ins<br />

Bett und am Donnerstag Morgen um halb acht wieder los zum<br />

Flughafen. Unser Flug hatte etwas Verspätung, war aber dann umso<br />

besser, weil 11000m über der Karibik zu<br />

fliegen war wirklich ein Erlebnis...<br />

In Managua am Flughafen angekommen,<br />

mussten wir zunächst 5 Dollar<br />

Solidaritätspauschale zahlen, wie jeder<br />

ausländische Einreisende, und ich wurde<br />

von Leo (Freiwilliger in Jinotega des<br />

vorherigen Jahrgangs, der am 1. September<br />

nach Hause geflogen ist) erwartet. Wir<br />

sind dann noch etwa ein Stunde durch Managua gefahren, haben<br />

drei Mitarbeiter der Cuculmeca abgeholt und haben uns dann auf<br />

den Weg in die Berge gemacht. Wir beide saßen hinten auf der<br />

Ladefläche camioneta (pick-up), zunächst bei Sonnenschein, doch<br />

wir fuhren in eine schwarze Wolkenwand hinein.<br />

Hier in Nicaragua ist gerade Regenzeit (Winter) und so durfte ich zwei Stunden nach meiner<br />

Ankunft direkt den ersten tropischen, sintflutartigen Regenschauer miterleben. Wir waren<br />

nach etwa 10 Minuten komplett durchnässt und es wurde uns leicht kühl, jedoch versuchten<br />

wir uns mit Bier bei Laune und Wärme zu halten. Ich habe noch nie solche Wassermengen<br />

gesehen; neben und teilweise auf der Straße liefen reißende Flüsse, ganze Äcker standen unter<br />

Wasser. Der Regen hielt ca. 1 Stunde an und etwa zur gleichen Zeit verließen wir auch die<br />

super ausgebaute Panamericana und es ging los über eine Hubbelpiste, weiter hoch in die<br />

Berge. Die Landschaft wurde immer beeindruckender, total grün und man sah nur noch selten<br />

die typischen Wellblechhütten und Menschen am Straßenrand. So langsam wurde es auch<br />

dunkel, die Straße ging auf und ab, ich musste mich gut festhalten, im Gegensatz zu Leo, der<br />

das Ausbalancieren beim camioneta-Fahren schon gewöhnt war. Wir kamen im Dunkeln in<br />

Jinotega an und wurden von unserem Fahrer bis vor die Haustüre gefahren.<br />

Die Reise war auf jeden Fall ein schönes Erlebnis, der Flug, Atlanta und natürlich die ersten<br />

Eigenheiten Nicaraguas...<br />

Die Gastfamilie<br />

ist wirklich total sympathisch und ich bin echt glücklich dort gelandet<br />

zu sein. Ich lebe dort <strong>zusammen</strong> mit Hanno, meinem Mitfreiwilligen,<br />

der am 28. August hier angekommen ist und teile mir mit ihm ein<br />

Zimmer.<br />

In der Familie leben Mutter (Gioconda), Vater (Ricardo) und Tochter<br />

(Darling) und noch Kater (Chita). Bis jetzt auch noch die Großmutter,<br />

weil sie krank ist und das Leben und die Arbeit auf der Finca<br />

(Landhaus/Bauernhof) zu hart wären.<br />

Gioconda ist Lehrerin, arbeitet sehr viel und managt nebenbei noch den<br />

Haushalt. Ihr Mann Ricardo erfüllt eigentlich das Klischee eines<br />

typischen Machos. Er ist seit zwei Jahren arbeitslos, versucht jedoch<br />

2


eine Arbeitsstelle als LKW-Fahrer zu finden, hat eine Wampe wie aus dem Bilderbuch und<br />

schnorrt gerne Zigaretten. Darling ist 14 Jahre alt und geht zur Schule. (Foto oben:<br />

„Comandante Darling“, Vorbereitungen für den Nationalfeiertag)<br />

Eine Tatsache, die echt erschreckend ist, ist,<br />

dass sie alle extremst übergewichtig sind. Das<br />

liegt zum einen daran, dass sie meistens<br />

dreimal täglich gallopinto (Reis mit roten<br />

Bohnen) essen und daran, dass hier alles in<br />

Fett fritiert wird. Ob Kochbananen, Hähnchen<br />

oder Eierpfannkuchen, nichts kommt ohne eine<br />

ordentliche Fettschicht auf den Teller... aber es<br />

schmeckt auch einfach verdammt lecker!<br />

(Foto links: gallopinto und Nudeln, fritierte<br />

Bananen...und Käse, dazu Limonen-Fresco,<br />

eine Art selbstgemachte Limonade, ¡muy sabroso!, wie man hier sagt, köstlich!)<br />

Von Montag bis Freitag gucken sie immer um halb neun ihre Telenovela, meistens kommen<br />

noch einige fernsehlose Nachbarn hinzu. Diese mexikanische Telenovela mit dem glorreichen<br />

Titel „Amor“ (Liebe), in der es hauptsächlich um eine hübsche junge Frau geht, die die<br />

Männer mit ihrem Lächeln bezirrzt, könnte selbst ein Gehörloser verstehen, denn es ist ein<br />

ständiges Hin und Her aus romantischen Szenen und tränenreichen, herzzerbrechenden<br />

Dialogen...manchmal ist das wirklich sehr amüsant, besonders, wenn man sieht, wie sich die<br />

Emotionen auf die Zuschauer übertragen.<br />

Die Verständigung<br />

hat mir im Vorhinein eigentlich keine Sorgen bereitet. Ich hatte ja drei Jahre Spanisch in der<br />

Schule und bin deshalb mit einem guten Gefühl hierher gekommen. Dieses, sowie meine<br />

Erwartung in Bezug auf die Aussprache der Nicas hat sich eigentlich bestätigt, zumal ich ja<br />

vorher schon viel von Jinotega gehört hatte.<br />

In den ersten Tagen war es schon recht schwierig die Leute zu verstehen, jedoch konnte ich<br />

ihnen mit meinen Spanischkenntnissen eigentlich von Anfang an meine Anliegen klarmachen.<br />

Aber das Verstehen wird immer besser und<br />

mittlerweile verstehe ich eigentlich das Meiste und<br />

kann mich auch in der Mehrzahl der Situationen<br />

adäquat ausdrücken. Jedoch gibt es auch eine Menge<br />

Nicas, die so was von übel vor sich hin nuscheln und<br />

die es einfach nicht auf die Reihe kriegen langsamer<br />

zu sprechen, auch wenn man sie dreimal darum bittet.<br />

(Foto: Der Ausblick beim Spanisch lernen in der<br />

Cuculmeca...)<br />

Wir legen täglich eine Schicht Spanisch lernen ein,<br />

wobei sich das bei mir im Moment hauptsächlich auf Nica-Vokabeln lernen konzentriert, weil<br />

sich das Spanisch Lateinamerikas/Nicaraguas einfach in einigen Teilen vom Castellano<br />

unterscheidet.<br />

3


Unser (Arbeits-)Alltag<br />

...ich beschreibe einfach mal beispielhaft einen Tagesablauf, wie er hier wochentags bis jetzt,<br />

meistens, nicht immer, aussieht.<br />

Drei- oder viermal die Woche klingelt morgens schon um 5.20 Uhr der Wecker. Aus den<br />

Träumen gerissen... nein, das kann nicht sein! Aber wir stehen freiwillig so früh auf (ja, wir<br />

sind bekloppt!) um morgens ne Runde Fussball zu spielen. 300 Meter von unserem Haus im<br />

estadio (Stadion) treffen sich morgens um halb sechs alle Fussballverrückten, weil es die<br />

einzige Zeit für die Nicht-Arbeitslosen ist (ich sage das so rum, weil die Arbeitslosigkeit in<br />

Nicaragua enorm hoch ist...~50%), um zu spielen, da es schon um 18 Uhr dunkel wird.<br />

Um ca. 6.20 Uhr geht’s nassgeschwitzt wieder nach Hause, wo einen der erste Schock des<br />

Tages erwartet, die kalte Dusche! Aber eigentlich sehr erfrischend und Kaltduschen stärkt ja<br />

bekanntlich die Abwehrkräfte...<br />

Danach einen nicaraguanischen Kaffee, der bei uns zu Hause mit soviel Zucker gekocht wird,<br />

dass nicht mehr viel vom eigentlichen Aroma übrigbleibt, aber <strong>zusammen</strong> mit ein paar<br />

galletas (Plätzchen) ergibt er doch ein ausreichendes Frühstück, welches wir durch<br />

gelegentliches Helfen in der Cuculmeca-Küche noch ausdehnen können...der Kaffee hier ist<br />

unglaublich schwach, man kann zehn Tassen trinken und das ist dann vom Koffeingehalt her<br />

soviel, wie bei uns eine Tasse.<br />

Um 7.10 Uhr geht’s los zur Cuculmeca. Für den Weg braucht man so ca. 20 Minuten,<br />

manchmal haben wir Glück und können ein Stück des Weges hinten auf einer camioneta<br />

mitfahren.<br />

Die Arbeit besteht daraus, die Bibliothek zu erweitern,<br />

d.h. Bücher oder Hefte im Computer-Verzeichnis zu<br />

suchen und wenn sie noch nicht vorhanden sind, Titel,<br />

Autor etc. einzugeben, zu nummerieren und<br />

einzusortieren. Auch sind wir für den Verleih zuständig,<br />

damit sich nicht, wie bisher, jeder einfach an den<br />

Büchern bedient und sie dann verschwinden. (Foto:<br />

Hanno bei der Arbeit in unserem Büro)<br />

Diese Arbeit ist auf jeden Fall förderlich für unser Spanisch, denn man lernt viele neue<br />

Wörter und außerdem etwas über die Arbeitsbereiche der Cuculmeca. Abgesehen davon<br />

arbeiten wir an der Internetseite der Cuculmeca (www.cuculmeca.org, aber bis jetzt sind wir<br />

noch für fast nichts verantwortlich ;) ). Zunächst haben wir die ganze Seite mal unter die Lupe<br />

genommen und versucht herauszufinden, was wir alles verbessern können. Es gibt ein Haufen<br />

Dinge, die wir ändern wollen und eine Schwierigkeit, die noch dazukommt, ist, dass wir die<br />

Seite auf Spanisch, Englisch, Deutsch und Französisch gleichzeitig auf dem Laufenden halten<br />

müssen. Meine Französisch-Kenntnisse haben mittlerweile soweit abgenommen, dass<br />

freiwillige Übersetzer gerne willkommen sind ;)<br />

Um 12.00 Uhr ist dann Mittagspause. Meistens<br />

gehen wir nach Hause, essen dort, kurz unter die<br />

Dusche springen...eine kleine Erfrischung! Ab und<br />

zu gehen wir auch ins Zentrum, nen leckeren Burger<br />

im „TICO“ essen (Foto) oder essen irgendwo an<br />

einem Stand am Straßenrand. Jedoch bleibt nie viel<br />

Zeit, da wir um 13.30 Uhr schon wieder in der<br />

Cuculmeca sein müssen, wo wir dann bis 18.00 Uhr<br />

verweilen.<br />

4


Mittwochs sind wir morgens in der Cuculmeca und fahren um 11.30<br />

Uhr auf die Fundadora um dort Englischunterricht, den wir während<br />

der Woche vorbereiten müssen, zu geben. Dorthin ist man eine<br />

dreiviertel Stunde mit dem Bus unterwegs + nochmal so lange über<br />

Feldwege durch die Pampa latschen (Foto). Wir sind also für eine<br />

Stunde Englischunterricht ca. 3 Stunden unterwegs...naja, aber<br />

vielleicht klappt das in nächster Zeit mal, mit dem Motorrad dorthin<br />

zu fahren (die ersten Übungseinheiten mit Ernesto, ein Mitarbeiter<br />

und sehr witziger Zeitgenosse, haben wir schon hinter uns).<br />

Manchmal haben wir auch Glück und werden ein Stück<br />

mitgenommen. Die Schüler, zumindest einige, sind auf jeden Fall<br />

daran interessiert ihr Englisch zu verbessern und auch die Kinder<br />

freuen sich immer, wenn sie uns sehen.<br />

Bis jetzt sind wir Donnerstags immer zu „Los Pipitos“ gegangen, eine Gruppe behinderter<br />

Kinder und Jugendlicher. Dort unterstützen wir Vilma, die Leiterin der Gruppe, beim Sport<br />

mit den Kindern. Es ist nicht immer leicht sich zu verständigen, weil die Jugendlichen alle<br />

möglichen Behinderungen haben (einige sind taubstumm, ein Junge mit Down-Syndrom),<br />

aber auf jeden Fall ist es sehr lustig mit der Gruppe und immer eine super Abwechslung zur<br />

Büroarbeit, die manchmal etwas langweilig wird.<br />

Abends sind wir dann meistens vom Kopf her schon nen bisschen fertig, durch das frühe<br />

Aufstehen und die Büroarbeit. Wir haben uns auch angewöhnt, dann manchmal noch ne<br />

Runde joggen zu gehen. Danach sind wir dann komplett im Sack, essen zu Abend, lesen noch<br />

was oder gucken fernsehen.<br />

Ich hätte vorher auch nicht gedacht, dass mein typischer Alltag hier durch Aufstehen um halb<br />

sechs morgens und um neun oder zehn abends ins Bett gehen eingerahmt sein wird, aber bis<br />

jetzt finde ich das nicht allzu schlimm...<br />

Am Dienstag hat es sich endlich mal ergeben, dass wir mit Rita, der Chefin der Cuculmeca,<br />

über unseren Arbeitsplan sprechen konnten. Sie hat extrem viel zu tun, weil sie die ganze<br />

Arbeit der Cuculmeca koordinieren muss und hat deshalb kaum Zeit für die Zivis. Wir werden<br />

wohl nur noch einmal die Woche abwechselnd zu „Los Pipitos“ gehen können, was wir beide<br />

bedauern, aber Rita will, dass wir nur noch in und mit der Cuculmeca arbeiten. Deshalb<br />

werden wir auch wahrscheinlich nicht, ab Februar um INACS (eine Schule in Jinotega, dessen<br />

Direktor Antonio auch in der Cuculmeca tätig ist) Englischunterricht geben, was ursprünglich<br />

geplant war.<br />

Ich werde zukünftig im Bereich educación (Bildung) mitarbeiten und Hanno im Bereich<br />

medio ambiente / agroecología (Umwelt). Das freut uns auf jeden Fall, weil wir dadurch<br />

bessere Einblicke in die Arbeit der Cuculmeca bekommen und Projekte auf dem Land<br />

kennenlernen werden, worauf ich sehr gespannt bin.<br />

Auch wird es zu unseren Aufgaben gehören, sogenannte<br />

folletos (d.h. kleine Broschüren) zu erstellen, d.h. wir<br />

bekommen (halb)fertige Texte von Kollegen und müssen<br />

diese dann in die „richtige Form bringen“. Layout-Arbeit,<br />

d.h. Inhaltsverzeichnisse erstellen und Bilder oder<br />

Zeichnungen einfügen.<br />

(Foto: in der Cuculmeca, links befindet sich der Eingang<br />

zu unserem Büro)<br />

5


All diese Informationen haben wir gerade erst erhalten, und ich habe keine Ahnung, inwiefern<br />

sich noch Dinge ändern werden oder ob wir beispielsweise noch neue Aufgaben<br />

hinzubekommen.<br />

Ich werde versuchen in den nächsten Monatsberichten genauer auf die Arbeit der Cuculmeca<br />

einzugehen und dann hoffentlich auch mehr über konkrete Projekte erzählen können.<br />

Sonstige Aktivitäten & Eindrücke<br />

Unter der Woche bleibt meistens nicht viel Zeit für große Aktionen, abgesehen von einer<br />

Runde Sport oder einem Abstecher in die Billardhalle. Das Billardspielen ist hier, wie fast<br />

alles, extrem billig; man bezahlt für ein Spiel 4 Córdobas, ca. 0,16€. Viele Nicas sagen<br />

übrigens anstatt Córdobas auch Pesos (die mexikanische Währung). In der Billardhalle trifft<br />

man nur auf männliche Spieler, eine Seite des machistischen Nicaragua. Die einzigen Frauen<br />

dort sind die Kellnerinnen, ansonsten traut sich kaum eine Frau dort herein, es sei denn, sie<br />

hätte Lust auf dumme Anmachsprüche und Hinterherpfeifen. Diesen Machismus kriegt man<br />

auch sonst häufig auf der Straße mit.<br />

Jeden Sonntag werden auf dem polideportivo (Foto),<br />

dem Fussballplatz, der mehr ein Acker ist und auf dem<br />

sonst Kühe weiden, die Partien ausgetragen. Wir spielen<br />

seit zwei Wochen in einem Verein mit und verstehen uns<br />

sehr gut mit den Leuten aus der Mannschaft. Die Teams,<br />

die das erste Spiel bestreiten (wozu wir auch schon<br />

gehörten), müssen die Linien ziehen, die Tornetze<br />

aufhängen und die größten Kothaufen der Tiere<br />

beseitigen. Da Jinotega, trotz seiner ca. 40.000-60.000<br />

Einwohner (die Angaben schwanken deutlich) mehr ein Dorf, als eine Stadt ist, wurden wir<br />

nach unseren zwei Spielen immer von irgendwelchen Leuten auf das Spiel angesprochen, die<br />

entweder selbst da waren oder aber über fünf Ecken von uns gehört haben.<br />

Auch letzten Sonntag war dies wieder der Fall. Auf der Straße wurden wir von einem Typen<br />

angequatscht, der unsere Leistung, als total außergewöhnlich dargestellt hat (womit er<br />

natürlich absolut Recht hatte... ;) ). Kurz danach stellte sich dann auch seine Intention heraus,<br />

als er meinte, ob wir nicht 20 Pesos für ihn hätten. Als wir ihn fragten wofür, antwortete er,<br />

dass er sich Bier kaufen will. Solche Situationen erlebt man ab und zu, d.h. man quatscht mit<br />

irgendwem und kurze Zeit später, merkt man, warum derjenige so freundlich ist. Viele sehen<br />

cheles (Weiße) als wandelnde Geldbeutel an. Das nervt schon ein bisschen, aber bei der<br />

überwiegenden Mehrzahl der Zeitgenossen hat man doch das Gefühl, dass sie aus Interesse an<br />

uns als Person und nicht aus materiellem Interesse mit uns reden.<br />

Auch wird man oft von Kindern angequatscht und dann um einen Peso gebeten oder um den<br />

Rest einer Cola oder eines Kekses...manchmal gebe ich ihnen was, manchmal nicht, je nach<br />

dem, weil oft ist es so, dass dann hinter der nächsten Ecke fünf weitere Kinder warten.<br />

___________________________________________<br />

Stunden vergehen...mein Kopf fängt an zu brummen, der Bericht wird immer länger; trotzdem<br />

fallen mir noch Sachen ein. Aber ich denke mir, dass ich jetzt am Anfang, wo ich selbst,<br />

glaube ich, noch viel sensibler auf Unterschiede reagiere und mir viel mehr Dinge auffallen,<br />

lieber mehr schreibe, damit das, was ich erlebe, für Euch einfach besser vorstellbar wird.<br />

___________________________________________<br />

6


Achja! Hurrikan Felix habe ich ganz vergessen...mein (Zweit-)Namensvetter hat uns hier,<br />

abgesehen von einem sehr heftigem Regenguss, glücklicherweise verschont. Viele Nicas<br />

haben sich vorher ziemliche Sorgen gemacht, in Gedanken an das<br />

Jahr 1998 und den Hurrikan Mitch, und hatten den ganzen Tag den<br />

Fernseher laufen, um Neuigkeiten „aufzusaugen“. Hier hatte es den<br />

ganzen Tag genieselt, à la Solinger Sauwetter, und so gegen 19 Uhr<br />

ging der Regen dann richtig los, sodass wir uns die Möglichkeit<br />

einer ausgiebigen Dusche nicht haben entgehen lassen (Foto -><br />

Hanno). Man konnte im Haus kaum noch ein Wort verstehen, weil<br />

es hier nur Wellblechdächer gibt und der Regen dermaßen aufs<br />

Dach getrommelt hat und es an vielen Stellen reingetropft hat. Auch<br />

unser Zimmer blieb nicht komplett trocken, weil sich etwas Wasser<br />

durch die Wand drückte, woraufhin sich eine kleine Pfütze bildete.<br />

Der Regen hielt die ganze Nacht an, jedoch hat uns starker Wind<br />

verschont.<br />

Im östlichen Teil Nicaraguas hat der huracán allerdings richtig zugeschlagen und große<br />

Verwüstungen angerichtet, wie Ihr wahrscheinlich aus den Nachrichten erfahren habt. Noch<br />

immer sind viele Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten und es wurden riesige Mengen an<br />

Mais, Reis und anderen Nahrungsmitteln vernichtet.<br />

Zur Sicherheitssituation in Jinotega kann ich nur sagen, dass man sich hier nicht mehr oder<br />

weniger fürchten muss, als beispielsweise in Solingen.<br />

Die einzige brenzlige Situation, die wir mitbekommen haben, ereignete sich abends so gegen<br />

22 Uhr auf der Straße vor der Cuculmeca. Wir wollten gerade nach Hause gehen als sich ein<br />

paar Besoffene angefangen haben, sich eine Schlägerei zu liefern. Der Wächter der<br />

Cuculmeca hat dann versucht die Polizei zu rufen, wo etwa 20 Minuten lang besetzt war.<br />

Irgendwann kam er dann doch durch und kurze Zeit später, wurden die Randalierer ins<br />

Polizeiauto verfrachtet. So konnten wir beruhigt nach Hause gehen.<br />

Auch wurden wir schon mal morgens(!) auf dem Weg zur Arbeit, von einem total besoffenen<br />

Typen mit „Ey my friend!“ angequatscht, den wir jedoch einfach ignorierten.<br />

Natürlich gibt es Viertel, die man, v.a. nachts, besser meiden sollte, aber eigentlich kann man<br />

sich hier sicher fühlen und es ist auch klar, dass man als chele einem höheren Risiko<br />

ausgesetzt, als die Einheimischen. Aber Nicaragua ist, laut Reiseführern, eines der sichersten<br />

Länder Lateinamerikas...und so nehme ich das hier bis jetzt auch wahr.<br />

Am 15. September wird in Nicaragua, so wie in ganz<br />

Mittelamerika alljährlich der Unabhängigkeitstag<br />

gefeiert, in Erinnerung an die Unabhängigkeit von<br />

Spanien am 15. September 1821. Dieser Tag hat für die<br />

Nicas eine große Bedeutung und hier in Jinotega, liefen,<br />

schon als wir ankamen, die Vorbereitungen und man<br />

hörte jeden Nachmittag die Trommeln in der ganzen<br />

Stadt, wobei wir uns zunächst gefragt haben, ob das<br />

jetzt das ganze Jahr so weitergehen wird. Aber wie wir<br />

bald erfuhren, hat jede Schule hat ihre eigene Parade vorbereitet, wobei die Jungs den Part der<br />

Marschmusik mit Trommeln und Trompeten übernommen haben und die Mädchen den<br />

Tanzpart. Natürlich haben wir auch einer Parade im Stadion zugesehen (Foto).<br />

7


Ausflüge<br />

Samstag vor zwei Wochen sind wir zum Peña de la Cruz gewandert.<br />

Dies ist ein beliebter Aussichtspunkt auf den Bergen, westlich von<br />

Jinotega. Dort steht ein Kreuz,<br />

dass in dem Glauben aufgestellt<br />

wurde, dass es die Stadt vor<br />

Unheil beschütze.<br />

Wir sind morgens um sieben<br />

losgegangen und waren etwa<br />

gegen acht Uhr oben angelangt.<br />

Von dort hat man wirklich eine<br />

tollen Blick über Jinotega und<br />

über den Lago de Apanas, die wir bei einem ausgiebigen Pick-Nick genossen haben. Der<br />

Lago de Apanas ist ein Stausee, wo ein großer Teil der elektrischen Energie Nicaraguas<br />

produziert wird.<br />

Eine Situation, in der man die Armut hier deutlich spüren konnte,<br />

erlebten wir auf dem Rückweg, als wir einen alten Mann trafen, der<br />

unter der Last eines großen Holzbündels <strong>zusammen</strong>zuklappen<br />

schien. Wir fragten ihn, ob er Hilfe brauche und er nahm das<br />

Angebot dankend an. Wir schleppten das Holz etwa 20 Minuten<br />

lang bis zu seinem Haus und er erzählte uns, dass er 80 Jahre alt ist<br />

und tagtäglich diese Strapazen auf sich nimmt, um das Holz auf<br />

dem Markt zu verkaufen und damit, wenigstens teilweise, den<br />

Lebensunterhalt für sich und seine Frau zu verdienen. Im ihrem<br />

Haus waren keinerlei Einrichtungsgegenstände mehr vorhanden,<br />

wahrscheinlich, weil sie schon alles verkauft haben. Zudem hatte er<br />

sich am Tag vorher mit der machete (langes Messer,<br />

Allzweckwerkzeug) den Daumen halb abgehackt, konnte jedoch, mangels Geld, nicht ins<br />

Krankenhaus.<br />

Es war schon ziemlich erschreckend zu sehen, in welcher Armut diese Leute leben und wie<br />

sie täglich ums Überleben kämpfen müssen. Dagegen kann man die Familie, in der wir leben,<br />

als „reich“ bezeichnen, obwohl es, im Bezug zu Deutschland, trotzdem unvergleichbare<br />

Standards sind.<br />

Auf dem Rückweg von dort haben noch einen Jungen getroffen, der im Flussbett<br />

Metallgegenstände gesammelt hat. Wir halfen ihm, den schweren Sack zu tragen und haben<br />

ihn zum Schrotthändler begleitet, wo er für den Sack ein paar Córdobas erhalten hat.<br />

Letzten Samstag haben wir einen Ausflug zum Naturschutzgebiet Selva Negra (Schwarzwald)<br />

gemacht. Der Name kommt daher, dass es von deutschen Einwanderern gegründet wurde und<br />

auch jetzt noch von Deutschen geführt wird. Außerdem gibt es dort Nadelbäume, die ich bis<br />

jetzt in Nicaragua noch nirgendwo gesehen habe und es gibt<br />

ein Hotel mit Restaurant im bayrischen Stil (es gibt z.B.<br />

Sauerkraut auf der Speisekarte), ein Jugendherberge und<br />

einige Bungalows. Dieses Reservat besuchen viele Leute der<br />

Oberschicht aus Managua und es ist ein beliebter Ort für<br />

Feierlichkeiten, wie Hochzeiten oder Geburtstage, so werben<br />

zuindest die Inhaber. Der Eintrittspreis beträgt gerade mal 25<br />

Pesos (1€), wobei noch Kaffee und Kuchen inklusive sind.<br />

8


Man gelangt dorthin, indem man von der Straße Jinotega-Matagalpa abzweigt, an einer Stelle,<br />

an der ein alter sowjetischer Panzer aus dem Krieg in den 80ern steht. Von dort läuft man gute<br />

20 Minuten bis zum Eingang, der von Sicherheitsleuten bewacht<br />

wird.<br />

Das Gebiet besteht zum einen Teil aus dem „Wanderwald“ und<br />

andererseits werden dort auch große Mengen an Kaffee angebaut.<br />

Es gibt dort viele ausgeschilderte<br />

Wanderwege, von einfach, d.h.<br />

normale Waldwege, bis schwierig,<br />

d.h. „Wege“, die beispielsweise von<br />

Bächen gekreuzt werden und wo<br />

man teilweise die Hände zu Hilfe<br />

nehmen muss, um den Berg hoch zu<br />

klettern.<br />

An einer Stelle haben wir etlichen Affen bei der Futtersuche und<br />

beim Klettern in den Baumkronen zusehen können (Foto links), sind<br />

unterwegs auf eine Schlange (...was wir in dem Moment nicht wussten: eine<br />

Korallenrollschlange, für Menschen absolut ungefährlich->Foto rechts) getroffen und haben<br />

echt abgefahrene Pflanzen gesehen.<br />

Wir sind während der gesamten 5 Stunden, die wir<br />

unterwegs waren, auf genau zwei weitere Personen<br />

getroffen. Im tiefen Urwald fühlt man sich wie in einer<br />

anderen Welt. Man hört nichts außer Vogelschreie,<br />

Bachgeriesel und das „Knatschen“ der Bäumen, durch den<br />

Druck des Windes.<br />

Der Ausflug dorthin war auf jeden Fall genial und es war<br />

mit Sicherheit nicht das letzte Mal, dass wir dort waren.<br />

Das einzig blöde ist, das ich in kurzer Hose unterwegs war und meine Waden seitdem<br />

komplett mit Stichen übersät sind, trotz Autan.<br />

All diese Erfahrungen erzeugen bei mir Neugierde und Lust auf<br />

mehr Nicaragua und ich blicke voller Spannung und<br />

Erwartungen auf die kommende Zeit!<br />

Wir werden wahrscheinlich bald Freiwillige in Matagalpa und<br />

León besuchen und mal nach Managua fahren, auch weil wir<br />

uns dann ein Jahresvisum besorgen wollen, da unser jetziges<br />

Touristenvisum nur für drei Monate gültig ist.<br />

Über Rückmeldungen und sonstige Erzählungen würde ich<br />

mich freuen! Auch wenn ich nicht versprechen kann, immer<br />

schnell zu antworten. Schreibt einfach mal, was in Solingen,<br />

oder wo auch immer Ihr gerade seid, so passiert.<br />

Mit den besten Grüßen<br />

Tilman<br />

9


P.S.:<br />

Mehr Fotos gibt’s unter:<br />

http://picasaweb.google.com/tilmanvogler<br />

Meine Postadresse: Tilman Vogler<br />

La Cuculmeca<br />

Jinotega<br />

Apartado Postal 6<br />

Nicaragua<br />

Internet: http://ein-jahr-nicaragua.blogspot.com/<br />

email: tilmanvogler@gmail.com<br />

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