pdf-Version - Star Wars Fanfiction Archiv
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S T A R W A R S<br />
W H A T L I E S B E N E A T H<br />
<strong>Version</strong> 1.2<br />
von Ihu la Seraphita, 2004-2008<br />
[ihuthiel@web.de] [laseraphita.livejournal.com]<br />
2
KURZBESCHREIBUNG<br />
Die Krise im Meridian-Sektor ist endlich beigelegt und Seti Ashgad<br />
in seine Schranken gewiesen. Für Talon Karrde und seine Schmugglerallianz<br />
jedoch bleiben es turbulente Zeiten. Piraten überfallen<br />
immer wieder Frachtschiffe der Gilde und erbeuten damit wertvolle<br />
Fracht. Um die Verteidigung seiner Schiffe aufzustocken entsendet<br />
Karrde seine Assistentin, Mara Jade, nach Ord Mantell.<br />
Nach und nach wird Mara in ein Netz aus Lügen und Intrigen<br />
gezogen, die bereits viele Jahre zuvor ihren Anfang nahmen – und<br />
sie zurück in ihre eigene Vergangenheit führen…<br />
ZEITLINIE<br />
13 NSY (Neue Republik)<br />
WARNUNGEN<br />
Gewalt, Mord, Szenen mit sexuellem Inhalt<br />
RATING / FREIGABE<br />
PG-13, FSK 12<br />
DISCLAIMER<br />
Dieses Werk basiert auf Figuren und Handlungen von Krieg der<br />
Sterne. Krieg der Sterne, alle Namen und Bilder von Krieg-der-<br />
Sterne-Figuren und alle anderen mit Krieg der Sterne in Verbindung<br />
stehenden Symbole sind einge-tragene Markenzeichen und/oder<br />
unterliegen dem Copyright von Lucasfilm Ltd.<br />
3
DRAMATIS PERSONAE<br />
AVARICE RINZA; Pirat, Pirate of the Perlemian (Mensch)<br />
BITHRAS MARJUMDAR; Kaufmann (Mensch)<br />
CASSEIA MATALE MARJUMDAR; Hausfrau (Mensch)<br />
ENYTH KOSTRYKA; Pirat, Pirate of the Perlemian (Twi'lek)<br />
ELASHIAR SELVA; Jedi-Ritter (Nautolan)<br />
ILYA JADE; Kaufmann (Mensch)<br />
IYLDIC; Bordadministrator, Daybreak (Twi'lek)<br />
KYLE KATARN; Jedi-Ritter (Mensch)<br />
LANDO CALRISSIAN; Geschäftsmann (Mensch)<br />
LAZ CARHIAN; Pirat, Pirate of the Perlemian (Mensch)<br />
LUKE SKYWALKER; Jedi-Meister (Mensch)<br />
MARA JADE; Agentin der Schmugglerallianz (Mensch)<br />
MAY LYNN MONTROSS; Piratin, Pirate of the Perlemian (Mensch)<br />
ORIANNA MATALE; Erbin (Mensch)<br />
RAJASTA DJAE; Captain, Imperialer Agent (Mensch)<br />
SARZAMIN SAIA; Händlerin (Mensch)<br />
SEENA SANDRAL; ein Mädchen (Mensch)<br />
SHIRLEE FAUGHN; Captain, <strong>Star</strong>ry Ice (Mensch)<br />
5
- INHALT -<br />
1: DEEP DRIVE (Prolog) Seite 13<br />
2: MAGICAL MYSTERY Seite 24<br />
3: ARTIFICAL HALLUCINATION Seite 41<br />
4: A DIVE INTO THE HEART Seite 70<br />
5: DEARLY BELOVED Seite 98<br />
6: CRIES IN THE DARK Seite 122<br />
7: A FLOWER OF CARNAGE Seite 158<br />
8: FRAGMENTS OF SORROW Seite 193<br />
9: TREASURED MEMORIES (Epilog) Seite 235<br />
10: NACHWORT Seite 240<br />
11: ANHANG Seite 243<br />
7
ES WAR EINMAL VOR LANGER ZEIT IN<br />
EINER WEIT, WEIT ENTFERNTEN GALAXIS<br />
11
Luke rührte sich nicht vom Fleck. »Ich weiß, dass du dich nicht sehr<br />
gut an deine Vergangenheit erinnerst«, sagte er leise. »Wenn du<br />
mich fragst, ich weiß genau, wie du dich fühlst.«<br />
»Danke«, grollte Mara. »Das ist mir wirklich eine große Hilfe.«<br />
»Möchtest du die Vergangenheit zurück gewinnen?«<br />
Sie sah ihn skeptisch an; plötzlich wallten widerstreitende Gefühle<br />
in ihr auf. »Was willst du damit sagen?«<br />
»Es gibt Techniken, mit denen Jedi verschüttete Erinnerungen<br />
ausgraben können«, erklärte er. »Und du könntest eine Jedi sein,<br />
Mara. Du könntest eine mächtige Jedi sein.«<br />
(Timothy Zahn, »Der Zorn des Admirals«)<br />
13
1: DEEP DRIVE<br />
P r o l o g<br />
RAUCH, DRECK, DÜSTERNIS UND DER ALLES BESTIMMENDE GERUCH VON<br />
Treibstoff. Das waren die vier Stichworte, die ihr als erstes einfielen,<br />
wenn sie eines der vielen Schankhäuser auf Ord Mantell betrat. Und<br />
zu jener Cantina, deren Eingang mit bunten Leuchtreklamen<br />
dekoriert war, passte diese Beschreibung ohne jeden Zweifel. Nur<br />
ein kurzer Blick in die Runde genügte der attraktiven rothaarigen<br />
Frau, um die Situation im Junk Palace zu überschauen: Die Theke<br />
war der Schauplatz eines allgemeinen Saufgelages; wer nicht von<br />
dort wich, war bereits im Suff vergammelt. Wenige hatten es jedoch<br />
eilig wegzukommen, manche davon unauffällige Droiden, die<br />
Getränke aller Art für Spezies aller Art in die kleinen, dunklen und<br />
verschwiegenen Nischen brachten.<br />
Fahle Lichter schimmerten durch den Dunst der Kneipe.<br />
Lichter von Spielkarten.<br />
Sieh mal an, ein kleines, illegales Casino! Wie kuschelig, dachte sie<br />
belustigt. Dennoch war sie nicht besonders überrascht.<br />
Einen Moment blieb sie am Fuß der Treppe vor dem Eingang<br />
stehen und nahm noch einmal einen tiefen Atemzug der von<br />
fremden Düften geschwängerten Luft.<br />
Mara Jade befand sich in einem der Außenbezirke der<br />
Hauptstadt zwischen den ausgedehnten Schrottplätzen des Planeten<br />
und dem Ten Mile Plateau. Der Dunst, der vom Ödland ausging<br />
15
schien sogar bis in die letzte Nische dieser Cantina zu dringen. Doch<br />
Mara gab sich große Mühe, ihn zu ignorieren.<br />
Sie war im Auftrag von Talon Karrde und der Schmugglerallianz<br />
hier und hatte vor weniger als vier Stunden sie ein paar neue<br />
Sensorsysteme für ihre Kampfschiffe auf die Jade’s Fire verladen.<br />
Anschließend hatte ihre Suche nach neuen Abfangsystemen für die<br />
Wild Karrde sie auf dem Schrottplatz, doch der Ärger, den sie in<br />
letzter Zeit immer wieder mit Piratenbanden hatte, machte derartige<br />
Strapazen unvermeidlich.<br />
Ihre Suche war jedoch nicht besonders erfolgreich gewesen. Erst<br />
nach einem längeren HoloCom-Gespräch hatte Karrde ihr<br />
versichert, dass er einen Kontakt zu einem ominösen Subjekt<br />
herstellen konnte, das ihnen in dieser Beziehung sicher weiter helfen<br />
konnte. Er sollte angeblich momentan ein sehr florierendes Geschäft<br />
in diese Richtung betreiben. Das war vor etwa 3 Stunden gewesen.<br />
Einige Zeit später hatte Karrde sie erneut kontaktiert und ihr<br />
mitgeteilt, dass ihr Kontaktmann sich östlich des Schrottplatzes und<br />
dessen Müllverbrennungsanlagen aufhielt und durch die Kneipen<br />
tingelte. Also hatte sich Mara an seine Fersen geheftet und fast<br />
weitere zwei Stunden damit zugebracht, jeden verdächtig<br />
aussehenden Geschäftsmann zu überprüfen, der ihren Weg kreuzte<br />
– jedoch ohne Erfolg. Sie musste gestehen, dass es ihr langsam auf<br />
die Nerven ging, sich in jeder Kneipe umsehen zu müssen, selbst<br />
wenn ihre Jedi-Sinne ihr die Arbeit ein wenig erleichterten.<br />
Und diese Spelunke hier gehört wohl zu den schlechtesten, die<br />
Mara bisher betreten hatte. Sie war wahrscheinlich sogar noch<br />
schlimmer also so manches Lokal, dass sie in den unteren Ebenen<br />
von Coruscant besucht hatte, um ihre Geschäfte abzuwickeln. Aber<br />
es wurde Zeit, sich wieder der Arbeit zu widmen!<br />
Mara brachte unter dem weißen Mantel eine Hand zum<br />
Vorschein und warf einen Blick auf das Chronometer an ihrem<br />
Handgelenk.<br />
22 Uhr, Standardzeit.<br />
Sieht so aus, als käme ich wohl pünktlich zur Prime Time, schoss es<br />
ihr durch den Kopf. Das könnte lustig werden!<br />
16
Sich der Macht bedienend, sah sie sich etwas eingehender in den<br />
Nischen um. Viele menschliche und nichtmenschliche Präsenzen<br />
streiften ihre Sinne, manche davon mehr oder weniger bekannt. Sie<br />
fühlte zum Beispiel die Präsenz der drackmanischen Kriegsherrin<br />
Omogg, einer berühmten und reichen Spielerin. Sie saß am anderen<br />
Ende der Bar und atmete wie üblich Methan durch ihren dichten<br />
Helm. Ihr gegenüber saßen zwei Gotal, ein Bothan und ein<br />
Rodianer. Mehrere Twi'leks gruppierten sich schaulustig um die<br />
Spielerrunde.<br />
Unwillkürlich lächelte Mara und legte ebenso unwillkürlich<br />
unter dem Mantel eine Hand an die Gürteltasche, wo etwa eine<br />
halbe Million Credits ruhten. Die bescheidene Summe, welche sie<br />
für die neuen Abwehrsysteme verwenden würde.<br />
Nein, noch nicht, sagte sie sich. Noch nicht!<br />
Nachdem sie mit ihrer Überprüfung fertig war und ihre Sinne<br />
sich wieder fokussiert hatten, trat sie zu den Menschen und<br />
Nichtmenschen an der Bar, drängelte sich dazwischen und hob die<br />
Hand.<br />
Ein Humanoide mit türkisfarbener Haut tauchte unmittelbar vor<br />
ihr auf. Seine grünbraunen Augen schienen im Dämmerlicht zu<br />
glühen und die schummrige Beleuchtung der Cantina<br />
zurückzuwerfen wie polierter Kristall.<br />
»M-Meine D-D-Dame, wie k-k-k-kann ich Ihnen he-he-helfen?«,<br />
sagte er in gebrochenem Basic und musterte sie eingehend.<br />
Klasse, ein Barkeeper mit Sprachfehler!<br />
»Ein Mal...« Sie warf einen flüchtigen Blick auf eine verschmierte<br />
Tafel über dem Tresen, dann wieder auf den Barkeeper. »Corellianischen<br />
Brandy.«<br />
»Ein sehr st-st-st-starkes Getränk!« sagte der Barkeeper. »Ein D-<br />
d-d-d-doppelter-r?!«<br />
Mara nickte schlicht, sagte aber nichts.<br />
Gerade in diesem Moment drang ein weiterer, sehr betrunkener<br />
Rodianer durch die Menge an der Bar und säuselte eine Bestellung,<br />
bevor er Mara von ihrem Platz verdrängen wollte. Ein grunzte ihr<br />
eine niveaulose Bemerkung entgegen, von der sie nicht ganz sicher<br />
war, ob der Rodianer sie schmeichelhaft meinte oder nicht. Doch<br />
17
Mara machte sich noch nicht einmal die Mühe, ihren Blaster aus<br />
dem Halfter an ihrem Unterarm zu ziehen: gekonnt hob sie einen<br />
Arm und traf mit ihrem Ellbogen die rüsselartige Schnauze des<br />
Rodianers, der ermattet nach hinten sank und verschwand.<br />
Der humanoide Barkeeper pfiff durch seine spitzen Zähne.<br />
»Sie sind wir-wirklich ri-ri-risikofreudig, junge D-D-Dame!«<br />
Dann machte er sich an die Arbeit, goss den Brandy ein und<br />
richtete Maras Getränk her.<br />
Sie lehnte sich lässig gegen die Theke und betrachtete<br />
gelangweilt die blasse Leuchtschrift über der Bar, die Werbung aller<br />
Art darbot. Ihre Gedanken richteten sich mit dem Klirren ihres<br />
Glases, als es vor ihr auf die Theke geknallt wurde, wieder auf den<br />
Barkeeper. Mara öffnete den Mund um etwas zu antworten, als sie<br />
eine dunkelhäutige, menschliche und gepflegte Männerhand auf<br />
ihrer Schulter spürte und jemand rief: „Den bezahle ich!“<br />
Eine Creditmünze flog an Maras Gesicht vorbei zum Barkeeper<br />
und im selben Augenblick wusste sie mit unumstößlicher Sicherheit,<br />
wer ihr Gönner war. Sie wirbelte herum.<br />
»Calrissian!« rief sie aus, als sie sein Gesicht fixierte. »Was, bei<br />
allen Sternen, machen Sie denn hier?«<br />
Mit einem für ihn so typischen charmanten Lächeln hob Lando<br />
Calrissian ihre Hand und küsste diese sanft. »„Ich freue mich auch<br />
Sie zu sehen, Mara«, erwiderte er.<br />
Nach dem ersten Schock beruhigte sich ihre Miene und sie setzte<br />
ein herausforderndes Lächeln auf.<br />
»Sie wollen wohl wieder versuchen mich rumzukriegen, was,<br />
Calrissian?« fragte sie und hob eine Augenbraue. »Na los, sagen Sie<br />
schon, wie Sie mich gefunden haben!«<br />
Calrissian runzelte verwirrt die Stirn und studierte einen<br />
Augenblick ihr Gesicht. »Komisch, irgendwie hatte ich den<br />
Eindruck, Sie hätten mich gefunden!«<br />
Nun war es an Mara, sehr verwirrt drein zu blicken! Doch sie<br />
gewann schnell wieder die Kontrolle. Und dann dämmerte es ihr…<br />
»Sagen Sie bloß nicht, dass Sie Karrdes Kontaktmann sind?«<br />
fragte sie und unterdrückte ihre Frustration. Warum hatte Karrde<br />
18
ihr das nicht sofort gesagt? Ein Mann wie Calrissian war wesentlich<br />
leichter zu finden, als ein großer Unbekannter.<br />
»Nun, ich fürchte, es ist ein wenig schwieriger, aber im Grunde<br />
bin ich ihr Kontaktmann, ja«, begann Calrissian und führte Mara<br />
sanft von der Bar weg. Seine Hand glitt sanft über ihre Schultern<br />
und den Rücken hinab. Doch er blieb höflich. »Allerdings ich bin<br />
eher der Kontaktmann des Kontaktmannes.«<br />
Er machte eine kurze Pause und spähte über seine Schulter, als<br />
wolle er sichergehen, dass ihnen niemand zuhören konnte. Dann<br />
zogen sie sich in eine der hinteren Nischen zurück und Mara sank<br />
auf die Bank, die in die Wand eingearbeitete worden war. Calrissian<br />
stellte gerade ihre Getränke auf dem Tisch ab, als Mara die<br />
Verschlüsse ihres Mantels löste und diesen dann von ihren<br />
Schultern gleiten ließ.<br />
„Einer meiner Arbeiter sollte mich über die Schiffe und deren<br />
Besitzer informieren, die momentan auf Ord Mantell angelegt<br />
haben. Schließlich muss man immer ein Auge auf die Konkurrenz<br />
haben und noch mehr auf seine potentiellen Kunden. Jedenfalls fand<br />
ich auf der Liste in meinem Datapad die Jade’s Fire und da war mir<br />
klar, dass Sie nicht weit sei konnten, oder? Und einen kurzen Anruf<br />
bei Karrde später wusste ich auch, was Sie hier wollen!“<br />
„Und voll ritterlichem Edelmut haben Sie entschlossen, der<br />
hilflosen Maid beizustehen?“ fragte Mara sarkastisch. Gleichwohl<br />
bemerkte Calrissian hinter ihren Worten die Saat des verletzten<br />
Stolzes, doch sein freundliches Lächeln blieb unverändert und seine<br />
weißen Zähne schimmerten im gedämmten Schwarzlicht der Bar.<br />
„Ritterlicher Edelmut?“ fragte er mit einer Spur von Belustigung.<br />
„Unsere Namen beginnen zwar mit dem gleichen Konsonanten, aber<br />
noch haben Lukes Ideale nicht zu sehr auf mich abgefärbt! Nein, ich<br />
habe Karrde selbst ein Geschäft unterbreitet. Nennen wir es einen<br />
Tauschhandel. Die Technologie nach der Sie suchen, ist nicht nur<br />
äußerst effektiv, sondern auch kostspielig und sicher nicht in einem<br />
galaktischen Loch wie Ord Mantell zu finden. Im Allgemeinen<br />
haben nur wenige Auserlesene überhaupt das Wissen über diese<br />
Neuerungen in der Schädlingsbekämpfung, wenn Sie verstehen, was<br />
ich meine. Nicht jeder dahergelaufene Freihändler wird in den Kreis<br />
19
der Eingeweihten aufgenommen. Und mit ihren Marktvoraussetzungen<br />
kann sich M. L. M. Engineering das auch leisten. Es tut mir<br />
außerordentlich leid, dass man Sie nicht zuvor darüber informiert<br />
hat.“<br />
„Ich hoffe nur, dass das, worüber wir jetzt sprechen werden, all<br />
die Unannehmlichkeiten vergessen macht“, kommentierte Mara und<br />
nippte an der bräunlichen Flüssigkeit, die wie Sirup am Glas zu<br />
haften schien. Ihr Gegenüber betrachtete ihr Gesicht über den Rand<br />
seines Bechers hinweg. Mara konnte sehen, wie sich seine<br />
Mundwinkel vage in die Höhe zogen.<br />
„Nun, ich denke, dass wir uns sehr einig sein werden!“<br />
DIE FÄULNIS IN DER SPELUNKE WAR KAUM ZU ERTRAGEN UND ALS EINE<br />
Gruppe dürrer Twi'lek-Mädchen an der rückwärtigen Seite des Junk<br />
Palace zu altmodischer Jizz-Musik zu tanzen begannen, kochten<br />
auch die Körpersäfte der vielen Spezies auf und ließen May<br />
angewidert die Nase rümpfen.<br />
Wie schon so oft an diesem Abend fragte sie sich, wie sie sich<br />
nach den Jahren harter, militärischer Ausbildung und unzähligen,<br />
ehrenvollen Einsätzen an einem Ort wie diesem wieder finden<br />
konnte. Eine imperiale Garnison voller gelangweilter Sturmtruppler<br />
und deren sexistische Vorgesetzte, wäre ihr lieber als der armselige<br />
kleine Mann mit seinen zwei gamorreanischen Leibwachen am<br />
Nebentisch, der nun zum dritten Mal versuchte, sie als Bettgespielin<br />
für eine Nacht zu gewinnen. Laz und Avarice, die beiden Kerle, die<br />
man ihr als Begleitschutz und Tarnung zur Seite gestellt hatte,<br />
erwiesen sich nicht gerade als eine große Hilfe. Beide hatten dem<br />
Gizerbier schon reichlich zugesprochen und zählten mittlerweile<br />
ihre übrigen Credits.<br />
„’Ne gute Runde Sabacc un’ wir könn’n uns vom Gewinn ’ne<br />
Flasche vom gut’n ylesianisch’n Rum kauf’n!“ nuschelte Avarice.<br />
Laz grunzte betrunken eine Erwiderung.<br />
„Den blutrot’n?“<br />
„Jupp, den blutrot’n Rum!“<br />
Flachzangen! dachte sie.<br />
20
May seufze stumm und wandte ihren Blick wieder auf die Bar.<br />
Sie streckte die Beine aus und legte die Füße auf einen Hocker, doch<br />
entspannte sie ihre Muskeln keine Sekunde. Man konnte nie<br />
vorsichtig genug sein. Ihr schwarzer, mit mikroskopisch-feinen<br />
Plastahlfäden durchwirkter Eriadu-Lederanzug schimmerte silbrig<br />
in der dumpfen Beleuchtung und wildes, rabenschwarzes Haar<br />
umrahmte ihr lang gezogenes Gesicht. Ihre blasse Haut, die hohen<br />
Wangenknochen und nicht zuletzt ihre lange dünne Nase verliehen<br />
May einen Ausdruck disziplinarischer Strenge, die schon so<br />
manchen das Fürchten gelehrt hatte. Und wenn ihr Verehrer am<br />
Nebentisch nicht bald Ruhe gab, würde auch er herausfinden wie<br />
tödlich sie sein konnte.<br />
Doch dann wurde all ihre Frustration mit einem Male beiseite<br />
gewischt. Als hätte man ihr pures Adrenalin injiziert, zuckten ihre<br />
Muskeln nervös und voller Energie. Es rang ihr einige Mühe ab,<br />
trotz alledem ruhig sitzen zu bleiben.<br />
Da war sie, voller Stolz und Anmut, wie sie die Cantina betrat<br />
und sich das rotgoldne Haar zurückwarf. Es war mehr als zwölf<br />
Jahre her, dass May sie zuletzt gesehen hatte, aber Mara Jade hatte<br />
sich seither kaum verändert. Zwar vermochte May selbst durch die<br />
trügerischen Schatten zu erkennen, dass Mara an Reife gewonnen,<br />
aber nichts von der würdevollen Eleganz verloren hatte, mit der sie<br />
schon früher auf Coruscant herumgeschlichen war.<br />
Mara sah sich um und als May die Intensität des Blickes beinahe<br />
greifen konnte, bündelte sie ihre Gedanken und richtete sie zu einer<br />
mentalen Barriere nach innen, um ihre Gedanken vor Jades Zugriff<br />
zu schützen. Zur Bewerkstelligung eines solchen Geistestricks<br />
musste man nicht einmal ein Jedi sein.<br />
„Hey, May!“ rief Avarice und wischte sich vergeblich den<br />
Bierschaum aus dem Bart. „Willste das noch trinken?“<br />
Er deutete mit einer verschmutzten Hand auf ein Glas billigen<br />
Wein, das vor May auf dem Tisch stand. Sie hielt sich seit fast 2<br />
Stunden daran fest, verspürte jedoch keinen Durst.<br />
„Nur zu!“ sagte sie leichthin und wedelte abwertend mit einer<br />
behandschuhten Hand. Und kaum, dass sie sich versah, leerten die<br />
beiden auch schon den Becher.<br />
21
Als sie wieder zu Mara sah, hatte diese gerade Gesellschaft<br />
bekommen.<br />
Gut. Calrissian hatte Mara also gefunden. Sehr gut.<br />
Als sich die beiden auf der anderen Seite ebenfalls in eine der<br />
Nischen zurückziehen wollten, befürchtete sie einen flüchtigen<br />
Moment lang, das Warten und die sorgfältige Vorbereitung wären<br />
umsonst gewesen. Von hieraus würde sie niemals erfahren, über<br />
was genau sie nun sprechen würden. Doch dann schob sich die<br />
mäßige Gestalt von Omogg durch ihr Sichtfeld und May hatte eine<br />
Idee.<br />
Wortlos schwang sie die Beine vom Hocker und stand auf,<br />
worauf Avarice und Laz sich überrascht verschluckten.<br />
„Braucht ihr das noch?“ fragte sie und griff im selben Augenblick<br />
schon nach den Credits, die die beiden auf dem Tisch ausgebreitet<br />
hatten. Sprachlos sahen sie zu, wie May sich das Geld nahm,<br />
hinüber ging und sich an einen Tisch direkt neben Maras Nische<br />
setzte.<br />
„Du! Droide!“ rief sie barsch und die gesellige Spielerrunde sah<br />
zu ihr auf, „Ich spiele! Wie hoch ist der Einsatz?“<br />
Sie zog einen Stapel elektronischer Sabacc-Karten aus der Tasche<br />
und legte sie neben das Interferenzfeld des Tisches. Der<br />
Kartengeben-Droide klickte mehrmals und teilte durch einen<br />
elektrischen Impuls die Werte der Karten aus. Und dann wurde<br />
gespielt.<br />
Allerdings versäumte May es keine Sekunde, ein Ohr offen zu<br />
halten und das Gespräch der beiden am Nachbartisch bis in die<br />
späte Nacht zu verfolgen.<br />
IN DIESER NACHT WAR MARA NICHT MEHR ZUR RUHE GEKOMMEN.<br />
Nach dem Treffen mit Calrissian war sie zur Landbucht der Jade’s<br />
Fire zurückgekehrt, immer noch aufgekratzt von den Ereignissen<br />
des Tages. Und anstatt zu schlafen hatte sie ihr Schiff startklar<br />
gemacht und Kontakt zur <strong>Star</strong>ry Ice aufgenommen, die im entfernten<br />
Orbit um einen der Monde von Ord Mantell kreiste.<br />
22
Faughn und der Rest der Crew schienen es zu begrüßen, dass<br />
Mara bald wieder zu ihnen stoßen würde, doch hatte diese ihre<br />
weiteren Pläne noch nicht enthüllt. Sie konnte sich gut vorstellen,<br />
dass alle an Bord darauf spekulierten zur Heimbasis zurück zu<br />
kehren, um danach für die getane Arbeit bezahlten Urlaub zu<br />
bekommen. Aber dem war nicht so. In der Tat war Mara mit<br />
Calrissian übereingekommen, auch wenn sie einige Verhand-lungen<br />
hatten führen müssen.<br />
Lando hatte ihr im Junk Palace enthüllt, dass er gegenwärtig mit<br />
einem kleineren Konvoi von Schiffen im System K11-J17RTS<br />
operierte. Offenbar baute er – ähnlich wie auf Bespin und Nkllon –<br />
ein Metall ab, das sich in diesem entlegenen Outer Rim-System fand.<br />
Nebenbei erwähnte er, dass er dies für ein Projekt auf Coruscant<br />
brauchte, ging jedoch nicht weiter darauf ein. Vielmehr drehte sich<br />
ihr Gespräch um einen gewissen Meelam – denn so hatte er den<br />
Inhabern und leitenden Ingenieur von M.L.M. Engineering betitelt.<br />
"Keine Ahnung, wofür die Initialien stehen. Wahrscheinlich leiten<br />
sie sich einfach aus seinem Namen ab", hatte Lando mit einem<br />
Schulterzucken angefügt. Anscheinend wusste niemand so genau,<br />
wer sich hinter diesem Namen verbarg, Calrissian wusste wohl nur<br />
soviel, dass diese ominöse Person neuerdings an eine Menge Geld<br />
gekommen war und damit die Hardware und Software-Bestände<br />
kleinerer Programmier-Firmen aufgekauft hatte und diverse gängige<br />
Technologien auf so effektive Weise miteinander verknüpfte, dass<br />
ein engmaschiges Verteidigungsnetz entstand. „Ja, ähnliche<br />
Informationen hat man mir auch vorgelegt, aber hat das mit dem<br />
erlesenen Kundenstamm zu tun, den Sie eben erwähnt haben,<br />
Calrissian?“ hatte Mara gefragt.<br />
Es schien wohl eine Firmentradition zu sein, dass sich Meelam<br />
seine Kunden aussuchte, und nicht umgekehrt. Er wollte<br />
offensichtlich genau wissen, wer seine Produkte verwendete,<br />
angeblich, um Nachahmern auf die Schliche zu kommen. Mara war<br />
in diesem Moment klar geworden, dass dieser Auftrag etwas mehr<br />
Zeit in Anspruch nehmen würde, als sie gehofft hatte, doch sie hatte<br />
sich schnell damit abgefunden. Es wäre nicht das erste Mal, dass sie<br />
einen Umweg in Kauf nehmen musste, um ihren Auftrag zu<br />
23
eenden. Außerdem hatte sie noch niemals jemanden enttäuscht,<br />
weder Palpatine, noch Karrde und sie würde jetzt nicht damit<br />
anfangen.<br />
„Wir haben kürzlich ähnliche Anlagen von ihm erstanden“, hatte<br />
Calrissian mit schicksalsschwerer Stimme erklärt, während er noch<br />
ein Getränk für Mara geordert hatte, „allerdings stellte er<br />
Anforderungen, die nicht immer monetärer Natur sein müssen.<br />
Aber entweder Sie lassen sich auf seine Bedingungen ein oder sie<br />
können wieder nach hause fahren. Seine Kaufverträge laufen nur<br />
nach seinen Regeln.“<br />
„Schön und gut“, sagte Mara und hatte ihn ins Auge gefasst,<br />
„aber wo kommen Sie da ins Spiel?“<br />
Eigentlich hatte sie sich schon denken können, was Calrissian<br />
sagen wollte, aber sie wollte ihm die Illusion lassen, dass er sie noch<br />
mit seinem Wissen beeindrucken konnte.<br />
Calrissian hatte daraufhin ein verschlagenes Grinsen aufgesetzt.<br />
„Nun, ich könnte Karrde und Ihnen den Gefallen tun, und Ihnen<br />
den Kontakt zu M.L.M. Engineering herstellen. Schließlich habe ich<br />
mich als zuverlässiger Kunde herausgestellt!“<br />
„Und was erwarten Sie für eine Gegenleistung?“<br />
Calrissians Grinsen war breiter geworden und seine weißen<br />
Zähne schienen im Dämmerlicht gerade zu leuchten.<br />
„Ein kleines Geschäft. Wie ich schon sagte: Ein Tauschhandel!“<br />
„Mit wem?“ hatte sie nach gehakt. „Karrde?“<br />
„Ich liefere ihm Meelam und im Gegenzug bekomme ich ein<br />
bisschen Rabatt auf einige seiner Waren – und das uneingeschränkte<br />
Recht, Ihrer Zusammenkunft mit Meelam beizuwohnen.“<br />
Mara musste zugeben, dass er sie doch noch verblüffen konnte.<br />
Allerdings war sie sich sicher, dass Calrissian doch einen<br />
Hintergedanken gehabt hatte, denn wenig später hatte er sie<br />
gebeten, mitsamt ihrer Crew sein neues Projekt zu besichtigen und<br />
sein Flaggschiff Daybreak gleichzeitig als neutralen Ort für ein<br />
Treffen mit M.L.M. Engineering zu nutzen. Keine schlechte Idee,<br />
doch wenn sie genauer darüber nachdachte, würde Lando die<br />
gemeinsame Zeit wohl für neuerliche Annäherungsversuche nutzen.<br />
Daher konnte Mara sein privates Flaggschiff kaum als neutralen Ort<br />
24
ezeichnen. Es entlockte ihr ein Lachen, wenn sie sich ausmalte, wie<br />
Calrissian sich um ihr Wohl sorgen würde, aber auch der Gedanke<br />
an die verdutzten Gesichter ihrer Mannschaft amüsierte schon jetzt.<br />
Ein helles Aufleuchten neben dem CommUnit lenkte ihre<br />
Aufmerksamkeit wieder zurück in das Hier und Jetzt. Per<br />
Knopfdruck öffnete sie den Komkanal, durch den auch sogleich die<br />
kratzte Stimme eines Nichtmenschen ächzte, der ganz offensichtlich<br />
Mühe damit hatte, Basic zu sprechen.<br />
„<strong>Star</strong>terlaubnis erteilt“, donnerte und dröhnte die Stimme aus<br />
dem Lautsprecher und verging dann röchelnd, ehe Mara noch etwas<br />
erwidern konnte.<br />
Ihr war es recht, also aktivierte sie die Repulsoren und ließ die<br />
Jade’s Fire sanft vom Boden abheben und dann in den rotbraun<br />
getränkten Morgenhimmel über Ord Mantell aufsteigen.<br />
25
2: MAGICAL MYSTERY<br />
„ICH BIN, IN DER TAT, BEEINDRUCKT!” SAGTE MARA ZU LANDO, NUR<br />
wenige Tage nachdem die Jade’s Fire auf dem Weg zu ihrem<br />
geheimen Treffen zusammen mit der <strong>Star</strong>ry Ice über Ord Mantell in<br />
den Hyperraum gesprungen war.<br />
Auch wenn die Crew Maras Befehlen anfangs nur äußerst<br />
widerwillig Folge geleistet hatte, war das Gejammer schon bald nach<br />
ihrer Ankunft verstummt. Und in jenem Moment, da Mara das<br />
Treiben von Calrissians Privatflotte durch die verstärkten<br />
Plastahlfenster der Brücke betrachtete, erfreuten sich Karrdes<br />
Schmuggler an exotischen Getränken und der amüsanten<br />
Gesellschaft der zweiten Besatzung der Daybreak.<br />
Landos Flotte schwebte zurzeit zwischen drei Sternen dahin,<br />
deren Licht von farbintensiven Nebeln überschattet wurde. Das<br />
leuchtende Rot, Gelb und Grün der fernen Nebel vermischte sich zu<br />
einem Farbenspiel, das beinahe romantisch wirkte. Überall glänzten<br />
und glitzerten Gesteinsbrocken und Felsen wie kleine Sterne, bis sie<br />
von Landos Sammler-Schiffen aufgelesen und stumm davon<br />
getragen wurden. Der dichte Sternenstaub war, wie Lando ihr<br />
erklärt hatte, der Rest einer bereits Jahrhunderte alten Supernova,<br />
deren Nachwirkungen noch immer fortlebten.<br />
Die Strahlung und nicht zuletzt die undurchdringlichen Nebel<br />
ließen das Projekt unter dem Deckmantel der Diskretion<br />
verschwinden. Ohne Landos genaue Anweisungen hätten Karrdes<br />
Schmuggler nicht einmal den einen Pfad zwischen den Systemen<br />
26
gefunden, der sie nach K11-J17RTS geführt hatte. Die Tarnung war<br />
nahezu perfekt!<br />
Auf der Brücke ging es ausgesprochen ruhig zu. Viele von<br />
Calrissians Angestellten waren Nichtmenschen, einer von ihnen der<br />
Twi'lek-Bordverwalter Iyldic, dessen Lekku ständig nervös zuckten,<br />
sobald jemand an seinem Becher Kaffee aus dem Speiseprozessor<br />
schlürfte.<br />
Hastig eilte er von einer Kontrollstation zu nächsten und<br />
speicherte Informationen auf seinem Datapad, als gäbe es nichts<br />
Dringenderes zu tun.<br />
Schlussendlich gesellte er sich zu Lando, den er um fast einen<br />
Kopf überragte, während dieser schweigend neben Mara stand und<br />
hinaus in die farbenerfüllte Leere des Weltalls hinaussah. Als Lando<br />
keine Anstalten machte, auf Iyldics Erscheinen zu reagieren, zog<br />
auch er es vor zu schweigen und Landos Blick zu folgen.<br />
Das Projekt bestand aus mehreren Sammlern, wie Calrissian sie<br />
schon auf Nkllon benutzt hatte, deren Trägerschiffen, mehreren<br />
kleineren Wartungsschiffen, drei mittelgroßen Transportern, die wie<br />
umgebaute und stark modifizierte Sternzerstörer der Victory-Klasse<br />
aussahen, und dem übergroßen Flaggschiff, der Daybreak.<br />
„Ich denke, es ist wohl das Beste für meine Gesundheit, wenn ich<br />
nicht frage, woher Sie schon wieder astronomischen Geldbeträge<br />
haben, um all das hier zu bezahlten, oder?“ fragte Mara und brach<br />
damit die Stille. Sie machte eine ausholende Geste, die das gesamte<br />
Privatprojekt vor den Sichtfenstern der Daybreak umfasste.<br />
„Nun, Sie würden mir auch nicht Ihre Firmengeheimnisse<br />
verraten, oder?“ stellte Lando die Gegenfrage.<br />
„Nein, vermutlich nicht.“<br />
Daraufhin flackerte wieder ein Grinsen über sein Gesicht und das<br />
genügte ihr als Antwort.<br />
Sie wandten sich vom Fenster ab und Lando entschloss Mara die<br />
Steuerungskonsole und die neue Software in Augenschein nehmen<br />
zu lassen, die er selbst von Meelam erstand hatte, um ihr die Zeit bis<br />
zur Ankunft der Nightflight zu verkürzen. Wieder einmal stellte sie<br />
fest, dass sowohl Calrissian, als auch Karrde einen Sinn für Stil<br />
hatten.<br />
27
„Sehr imposant, effektiv und relativ leicht in der Anwendung.<br />
Man muss sich nur erst einmal an die neuen Symbole gewöhnen“,<br />
kommentierte sie, als sie sich aus dem überdimensionalen Sessel<br />
erhob und dem zuständigen Sullustaner wieder seinen Platz<br />
überließ. „Aber ich kann mich nicht erinnern, dass die Installation<br />
von sechs Turbolasern an Bord eines zivilen Schiffes als zulässig<br />
gilt“, fuhr sie scherzhaft fort.<br />
„Nun...“, begann er, „Ich kann wohl von Glück reden, dass wir<br />
hier außerhalb des Restriktionsgebietes der Neuen Republik sind,<br />
vom kläglichen Rest des Imperiums ganz zu schweigen.“<br />
„Calrissian, Sir!“ donnerte Iyldic plötzlich los, die Stimme mit<br />
Entsetzen gefüllt, „Die Nightflight ist soeben aus dem Hyperraum<br />
getreten!“<br />
Verwirrt warfen sich Mara und Lando viel sagende Blicke zu.<br />
„Und?“<br />
„Ich bin mir nicht sicher, aber laut Protokoll sollte die Nightflight<br />
doch alleine kommen, oder?“<br />
Unheil verkündend deutete der Verwalter auf den Sensorschirm.<br />
„Was reden Sie denn da?“ fragte Lando unwirsch, als er sich mit<br />
ungehaltener Miene von der Fensterfront entfernte.<br />
„Transponder-Codes werden abgerufen“, schallte es von Seiten<br />
des Navigationscomputers, als sich der Sullustaner über seine<br />
Konsole beugte und hastig die Tasten anschlug.<br />
Mit zusammen gekniffenen Augen starrte Mara an Calrissians<br />
Schulter vorbei auf den Sensorschirm und versuchte der<br />
andersartigen Darstellung die Fakten zu entlocken.<br />
Wenn sie das richtig sah, dann befanden sich statt einem zwei<br />
Schiffe im parallelen Anflug auf die Daybreak und schienen sich in<br />
einander verkeilen zu wollen.<br />
Calrissian selbst war mitten in der Bewegung erstarrt, als hätte<br />
ihn die Erkenntnis wie ein Blitzschlag getroffen, noch bevor eine<br />
unbekannte Stimme an Maras Ohr drang.<br />
„Die Nightflight wird angegriffen! Anscheinend haben sie schon<br />
mehrere Treffer zu verzeichnen und die Antennen sind ausgefallen.<br />
Wir erhalten von ihnen nur Statik!“<br />
28
Na, herrlich! Es wäre auch wirklich unrealistisch gewesen, wenn einmal<br />
alles nach Plan verläuft! dachte Mara und eilte an Landos Seite, der<br />
eine Monstrosität von Schiff beobachtete, das sich längsseits der<br />
Nightflight genäherte hatte.<br />
„Es ist die Pirate!“ murmelte er konzentriert und strich sich<br />
abwesend mit den Fingerspitzen über seinen Schnauzbart, "Was, bei<br />
allen Sternen, tun die hier?"<br />
„Bitte, wer?“ fragte Mara unverhohlen in die düstere Stille<br />
hinein, die sich langsam über den Raum senkte wie ein giftiger<br />
Vjun-Nebel.<br />
„V-vielleicht“, begann Iyldic und klang dabei so angespannt wie<br />
Lando aussah, „sind sie Meelam gefolgt und wollen ihn erpressen.<br />
Für diesen Abschaum wäre es nicht schwer, einen Funkpeilsender<br />
am Schiff anzubringen, die Signale zu orten und ihnen nach<br />
zufliegen!“<br />
„Das glaube ich nicht! Dafür ist Meelam zu clever“, sagte Lando<br />
kühl.<br />
„Wie können Sie da so sicher sein, Sir?“<br />
„Ich schlage vor, Sie holen unsere Arbeiter und Droiden nach<br />
Hause und fahren die Schilde inklusive der neuen<br />
Abwehrmechanismen hoch. Noch interessiert sich die Pirate nur für<br />
Meelam, aber wer weiß, ob sich das nicht doch noch ändert“, befahl<br />
Lando mit der strengen Stimme eines Generals ohne dabei auf<br />
Iyldics Frage einzugehen. Er wandte sich vom Sichtschirm ab und<br />
sah Mara offen ins Gesicht.<br />
„Das könnte etwas rau werden!“<br />
Völlig verdattert starrte sie ihm nach, als er davon schritt und<br />
gab sich Mühe die aufkeimende Frustration zu verbergen.<br />
„Hätten Sie die Güte mich aufzuklären?“ verlangte sie gereizt,<br />
auch wenn das nicht ihre Absicht gewesen war, „Was passiert da<br />
draußen?“<br />
„Was da vor sich geht muss ich wohl nicht erklären, oder?“<br />
„Sparen Sie sich die Witze, Calrissian!“ mahnte sie, doch dann<br />
klang sie wieder ruhig und unterkühlt.<br />
29
„Bleiben Sie sachlich und geben Sie mir eine Grundlage, um<br />
angemessen zu reagieren. Wenn es wirklich zu einem Angriff auf<br />
Ihre Schiffe kommt, hängen meine Leute da auch mit drin!“<br />
Lando verstummte und sah Mara tief in die smaragdgrünen<br />
Augen, ehe er mit bedachten Worten wieder zu sprechen begann.<br />
„Wir haben nicht viel Zeit, daher müssen Sie sich mit der<br />
Kurzversion begnügen. Bei dem angreifenden Schiff da draußen<br />
handelt es sich um die Pirate of the Perlemian, die ihren Namen<br />
sicherlich nicht grundlos bekommen hat. Seit etwa einem Jahr<br />
plündern, rauben und morden diese Bastarde entlang der perlemianischen<br />
Handelsroute, aber bisher ist wenig über die Besatzung<br />
und Angriffstärke der Pirate bekannt... was wohl auch daran liegt,<br />
dass sich nur wenige ihrem Griff entziehen konnten.“<br />
„Die perlemianische Handelsroute?“ fragte Mara. „Dann sind<br />
diese Burschen entweder sehr weit vom Kurs abgekommen oder sie<br />
hatten Meelam schon länger im Visier. Jemand, der in kürzester Zeit<br />
an eine Menge Geld durch dubiose Machenschaften gelangt und<br />
potentielle Opfer mit einer besseren Verteidigung ausrüstet, würde<br />
mir als Pirat auch sauer aufstoßen.“<br />
Lando nickte.<br />
„Aber ihre Anwesenheit gefährdet mein ganzes Projekt. Noch<br />
scheinen sie nicht auf die Sammlerschiffe aufmerksam geworden zu<br />
sein. Aber wenn...“<br />
„...werden sie es sich alles unter den Nagel reißen“, ergänzte<br />
Mara mit einem kalten Blick aus dem Fenster. „Ich habe schon<br />
verstanden.“<br />
Mit einer fließenden Bewegung zog sie ihr Comlink aus der<br />
Gürteltasche und öffnete die Frequenz zu Corvus, dem<br />
Kommunikationstechniker der <strong>Star</strong>ry Ice. Lautes Gezeter und Fetzen<br />
von Musik ertönten, als er antwortete.<br />
„Was gibt's, Jade?“<br />
„Wir haben Besuch bekommen. Gib den anderen Bescheid und<br />
macht euch auf den Weg zur <strong>Star</strong>ry Ice. Die Daybreak wird jede<br />
Kanone gebrauchen können, die sie kriegen kann.“<br />
Corvus fragte gar nicht erst nach weiteren Instruktionen, sondern<br />
bellte die Nachricht der vergnügten Runde zu.<br />
30
Mit einem Klicken schaltete sie den Comlink aus und verstaute es<br />
wieder an ihrem Gürtel.<br />
„Eigentlich schade, Calrissian, dass keines Ihrer Projekte ohne<br />
einen solchen Zwischenfall auskommt.“<br />
„Ich sollte das wohl zu meiner neuen Firmenphilosphie<br />
ernennen“, erwiderte er trocken.<br />
Sie tauschten noch einen letzten Blick aus, ehe sich Mara auf dem<br />
Absatz herumdrehte und zum Turbolift eilte.<br />
ALS ES SHIRLEE FAUGHN, CAPTAIN DER STARRY ICE, ENDLICH GELANG<br />
mit Corvus, Torve und dem Rest wieder auf ihr Schiff überzusetzen<br />
und die magnetischen Verkabelungen zur Daybreak zu lösen, war die<br />
Jade’s Fire längst im Anflug auf die Angreifer. Mara war klar<br />
gewesen, dass die anderen eine ganze Menge Zeit brauchen würden<br />
die Systeme der Ice komplett hochzufahren und das Schiff in die<br />
Nähe der Pirate of the Perlemian zu bringen. Daher war ihre Aufgabe<br />
ganz klar: Sie musste Zeit schinden, bis sie mit doppelter Feuerkraft<br />
ihren Widersachern entgegen treten konnten.<br />
Erleichtert stellte sie an den vertrauten Kontrollen fest, dass die<br />
Nightflight noch über zwei Laserbatterien verfügte, die auf die<br />
Reflektorschilde der Pirate einhämmerten. Doch der Schaden, den<br />
die Piraten bereits angerichtet hatten, machte Meelams Schiff nicht<br />
gerade manövrierfähiger.<br />
Offenbar musste das Schiff schon vor dem <strong>Star</strong>t sabotiert oder<br />
beschädigt worden sein, denn anders konnte Mara sich nicht<br />
erklären, wie die hoch gelobten Abwehrsysteme von M.L.M.<br />
Engineering versagen konnten.<br />
Hastig band sie ihre Haare zurück, während die Fire der Ice<br />
voraus flog und mit maximaler Geschwindigkeit den Raum<br />
zwischen sich und dem Piratenschiff verkleinerte.<br />
Erst jetzt, da sie allein war und die Anspannung ihre Nerven<br />
zum flirren brachte, fragte sie sich, warum die Macht sie nicht schon<br />
früher gewarnt hatte. Warum hatte sie nicht kommen sehen, dass so<br />
etwas passieren würde?<br />
31
Anscheinend bin ich doch noch keine so gute Jedi, wie Skywalker immer<br />
behauptet, dachte sie bitter, wird wohl wieder Zeit für eingehende<br />
Meditationen, wenn das hier vorbei ist!<br />
Andererseits war dies nicht das erste Mal, dass ihre Jedi-<br />
Ahnungen sie im Stich ließen.<br />
Hastig überprüfte sie die Schilde und leitete zwei Drittel der<br />
verfügbaren Energie in die Waffen. Aus dem Augenwinkel nahm sie<br />
wahr, wie sich Landos Leute in Sicherheit brachten und Schutz im<br />
Schatten der unförmigen Daybreak suchten.<br />
Die Hände fest an den Kontrollen steuerte sie auf die Angreifer<br />
zu und öffnete einen Kommkanal, durch den zunächst nur Statik<br />
prasselte und setzte ein Headset auf. Offenbar störten die Piraten<br />
den gesamten Funkverkehr um die Nightflight.<br />
Es gab keinen Grund für Mara, länger zu warten. Die Finger auf<br />
dem Feuerknopf schoss sie ein paar schwache Salven auf die Pirate<br />
ab, ohne zu erwarten, dass sie wirklich etwas ausrichten würden.<br />
Und genau so geschah es auch, denn die Schüsse prallten an den<br />
Schilden der Pirate ab. Der Feind stellte das Feuer ein und es kam ihr<br />
so vor, als hätte sie einen schlafenden Krayt-Drachen geweckt.<br />
„Los, kommt schon“, flüsterte sie, „Hier bin ich! Kommt und holt<br />
mich doch!“<br />
Wie auf Kommando feuerten die vorderen Turbolaser der Pirate<br />
blindwütig auf die Stelle, an der sich die Jade’s Fire aufgehalten hatte.<br />
Wie eie Eidechse, die durch die mächtigen Massassi-Bäume auf<br />
Yavin 4 sprang, flog Mara Saltos und Überschläge, um den<br />
todbringenden grünen Strahlen zu entgehen, die durch das von<br />
farbenfrohen Nebeln erfüllte Weltall zuckten und lenkte die<br />
Aufmerksamkeit der Pirate weg von der quälend langsamen<br />
Nightflight.<br />
„Verkabel... löst“, vernahm sie Corvus’ raue Stimme aus dem<br />
CommUnit, „60 Proz... Sys... online!“<br />
Auf dem Scanner sah sie, wie die <strong>Star</strong>ry Ice Fahrt aufnahm und<br />
überall an der Außenhülle Lichter aufflackerten. Allerdings blieb die<br />
Daybreak stumm.<br />
Jetzt zeigen Sie mal, was Ihr Kasten auf Lager hat, Calrissian!<br />
32
Aber warum wunderte es sie überhaupt? Für Calrissian war es<br />
klüger einen Angriff bis zum letzten Moment hinauszuzögern. Der<br />
Schaden, den er und sein Projekt davon tragen würden wäre<br />
sicherlich um einiges größer als der, den Meelam verzeichnen<br />
durfte. Wäre sie an seiner Stelle gewesen, hätte sie es wahrscheinlich<br />
genauso gemacht. Trotzdem wünschte sie sich nichts sehnlicher als<br />
ein X-Wing-Geschwader der Neuen Republik oder Solos YT-1800-<br />
Frachter herbei.<br />
Hinter ihr explodierten die Laserstrahlen der Pirate in der<br />
Ionenspur, die Maras Schiff im All zog und rüttelten sie kräftig<br />
durch, aber ihre Schilde hielten Stand. Noch.<br />
„79...“, hörte sie Corvus durch das Knacken und Rauschen aus<br />
dem Kommkanal.<br />
Doch sie hatte keine Zeit darauf zu achten. Unmittelbar vor ihr<br />
verwandelte sich etwas in gleißend blaues Licht. Die Schockwelle<br />
warf Mara hart in die Gurte des Pilotensessels und presste ihr die<br />
Luft aus den Lungen.<br />
Autsch!<br />
Sie riss den Steuerknüppel nach hinten und zwang die Fire in<br />
einen engen Salto, als eine zweite blauweiße Explosion ihre Scanner<br />
überflutete und die Alarmsirenen aufheulen ließ.<br />
Seismische Bomben...<br />
Zum ersten Mal flackerten ihre Schilde. Mara zog sämtliche<br />
Energie von den Waffen ab und brachte die Schildleistung auf 100<br />
Prozent. Sie musste es nur noch ein bis zwei Minuten aushalten und<br />
die Pirate würde die gesamte Feuerkraft der <strong>Star</strong>ry Ice zu spüren<br />
bekommen. Sie durfte sich nur nicht von diesen Bomben erwischen<br />
lassen. Auf kurz oder lang würden die ihren robusten Headhunter<br />
zerlegen.<br />
Wieder einmal hatte Mara das Gefühl mit der Jade’s Fire zu<br />
verschmelzen, während das Schiff all ihren Vorgaben aufs Strengste<br />
Folge leistete und eine Reihe ausgeschmückter Manöver flog.<br />
Verbissen darauf konzentriert keine Treffer einzufahren, bemerkte<br />
sich nicht einmal das kleine Rinnsal kalten Schweißes, der ihr auf die<br />
Stirn trat und den Haaransatz befeuchtete.<br />
Selten waren ihr ein paar Minuten so endlos lang vorgekommen.<br />
33
Dann, endlich, zuckten vier rote Strahlen am Sichtfenster vorbei<br />
und brachten die nächste Bombe zur Detonation ohne die Jade’s Fire<br />
zu behelligen.<br />
Irritiert schreckte Mara auf.<br />
„Schönen Tag auch!“ drang eine neue, vertraute Stimme völlig<br />
frei von jeder Störung durch die Hörer ihres Headsets, „Sieht so aus,<br />
als könnten Sie Hilfe gebrauchen, Jade.“<br />
Perplex starrte Mara auf die Displays und entdeckte zwei<br />
silberne Punkte, die sich langsam grün färbten und pfeilschnell<br />
näher kamen. Die beiden benutzten eine militärische Frequenz, die<br />
nur wenige Schiffe in diesem Sektor entschlüsseln konnten. Damit<br />
erklärte sich auch, warum die Statik so plötzlich erstarb. Ihre<br />
Augenlider senkten sich und sie griff hinaus in die Macht.<br />
Vorsichtig streifte sie das Bewusstsein der beiden Piloten, die sich<br />
ihrem Kampf angeschlossen hatten und ein Lächeln stahl sich auf<br />
ihr Gesicht Anscheinend hatte man ihre Gebete erhört.<br />
„Hallo, Katarn! Hallo, Skywalker“ rief sie heiter, „Ja, ich könnte<br />
tatsächlich ein paar helfende Hände gebrauchen!“<br />
„Dafür sind wir da“, erklang nun Luke Skywalkers beruhigende<br />
Stimme.<br />
„Irgendwelche strategischen Vorschläge, Jade?“ fragte Kyle<br />
Katarn.<br />
„Wichtig ist nur, dass die Pirate von hier verschwindet!“ sagte<br />
Mara, „Sonst nichts!“<br />
„Darin sind sie Weltklasse“, kommentierte Luke, „Wir sind schon<br />
seit Brentaal hinter ihnen her. Aber bisher hatten wir leider nicht<br />
sehr viel Glück.“<br />
„Warum stecken Sie schon wieder in Schwierigkeiten,<br />
Skywalker? Ist die Jagd auf solche verruchten Piraten nicht Aufgabe<br />
der republikanischen Militär-Korps?“ Obwohl Mara sein Gesicht<br />
nicht sah, konnte sie sich sein jungenhaftes Grinsen nur zu gut<br />
vorstellen. „Ich will doch nicht Ihre Erwartungen enttäuschen, Mara.<br />
Aber den Rest erkläre ich Ihnen später!“<br />
Und damit war der Smalltalk vorerst beendet.<br />
34
Mara flog eine Schleife und reihte sich zwischen Katarns und<br />
Skywalkers X-Wing ein, so dass sie wie eine Miniatur-Phalanx auf<br />
die Pirate of the Perlemian zuflogen.<br />
„Leite alle Energie in die Frontdeflektoren“, sagte Skywalker,<br />
„wir müssen erst einmal nahe genug an sie heran kommen, um<br />
kritische Treffer zu erzielen.“<br />
Ohne weiteren Kommentar tat Mara es ihm gleich und über den<br />
Kommkanal hörte sie Kyles Bestätigung. Die Pirate nahm die drei<br />
Schiffe ins Kreuzfeuer, die nun mit synchronisierter Leichtigkeit den<br />
Attacken auswichen.<br />
„Alle Systeme online“, bellte Corvus, der sich nun ebenfalls auf<br />
der Frequenz von Skywalker und Katarn eingeklinkt hatte, um der<br />
Funkstörung zu entgehen. „Wir sind in 57 Sekunden in Reichweite<br />
und bereiten ein paar Protonentorpedos vor.“<br />
„Das wird ein prächtiges Feuerwerk!“ schallte es fröhlich aus<br />
dem CommUnit und Mara erkannte Torves Stimme. „Seismische<br />
Bomben sind 'n Witz dagegen!“<br />
„Halt die Klappe und mach deine Arbeit!“ schrie Faughn und<br />
rief ihre Männer damit zu Ordnung. Obwohl die Lage ernst war und<br />
der Beschuss das Äußerste von der Jade's Fire abverlangte, huschte<br />
ein unwillkürliches Lächeln über Maras Gesicht.<br />
Skywalker und Katarn scherten zu beiden Seiten aus, als eine<br />
breit gefächerte Salve auf sie zukam und Mara zwang ihr Schiff in<br />
einen radikalen Sturzflug.<br />
"Wir kommen näher", sagte Kyle und hielt kurz inne, "Werft mal<br />
einen Blick auf eure Sensoren. Täusche ich mich oder stimmt was<br />
mit der - wie war das? - Nightflight nicht?"<br />
Beunruhigt lenkte Mara ihre Aufmerksamkeit auf die Messgeräte<br />
und schaltete mit einem simplen Knopfdruck durch die<br />
verschiedenen Modi. Was sie selbst am Anfang als Schaden durch<br />
den erheblichen Beschuss interpretiert hatte, welcher die Nightflight<br />
nur minimal vorankommen ließ, erwies sich nun als etwas ganz<br />
anderes. Die starken elektromagnetischen Strömungen zwischen<br />
Meelams Schiff und der Pirate konnten nur eines bedeuten...<br />
„Ein Traktorstrahl“, meinte Luke als hätte er Maras Gedanken<br />
gelesen.<br />
35
„Sie dürfen die Nightflight nicht bekommen!“ sagte sie<br />
entschlossen und steuerte auf die Backbordseite von Meelams Schiff.<br />
Die Schilde waren zusammengebrochen und an der Hülle machten<br />
sich deutlich mehrere Risse bemerkbar, durch die das<br />
Sauerstoffgemisch der Lebenserhaltungssysteme ins All entwich.<br />
Die letzten beiden Geschütze waren zu schwarzen Durastahl-<br />
Klumpen geschmolzen worden und lieferten das Schiff der<br />
Piratenbande schutzlos aus. Hoffentlich hatte Meelam genug<br />
Raumanzüge dabei.<br />
Hinter ihr erhellten die ersten Protonentorpedos der <strong>Star</strong>ry Ice<br />
den Raum, während die beiden X-Wings unaufhörlich rotes Feuer<br />
auf die Pirate nieder regnen ließen. Doch Mara wusste mit<br />
unumstößlicher Sicherheit, dass das nicht genügen würde.<br />
„Jade, warten Sie!“ donnerte Katarn, „Das ist doch Wahnsinn!“<br />
Doch sie hörte ihn nicht mehr. Während die Nightflight immer<br />
näher den Hangartoren ihres Widersachers entgegen driftete, holte<br />
Mara noch einmal alles aus ihren Triebwerken heraus. Wenn die<br />
Piraten das Tor öffnen würden, brauchte sie vielleicht nur ein oder<br />
zwei gezielte Schüsse und würde die Wirkung des Traktorstrahls<br />
aufheben.<br />
„Das werden Sie nicht rechtzeitig schaffen, Mara!“, stimmte<br />
Skywalker mit ein, als er ihre Absicht erkannte, „Der Spalt zwischen<br />
den Schiffen ist zu klein!“<br />
„Ich weiß, was ich tue, Skywalker!“ presste sie hervor.<br />
„Aber Sie könnten die Nightflight treffen und...“<br />
Beiläufig nahm sie mit einer Hand das Headset ab und warf es in<br />
eine Ecke des Cockpits, wo es plärrend liegen blieb. Sie war nicht<br />
umsonst mehrere Standardtage durch den Hyperraum zu diesem<br />
galaktischen Loch geflogen, um sich alles von ein paar jämmerlichen<br />
Piraten vermasseln zu lassen! Sie blendete die blinkenden Dioden<br />
und Displays auf dem Armaturenbrett aus, schottete ihren Geist von<br />
allen Eindrücken ab und starrte verbissen aus dem Sichtfenster.<br />
Völlig in ihren Gefühlen und ihrer Intuition versunken, vergaß sie<br />
Skywalker, Katarn, sogar die <strong>Star</strong>ry Ice.<br />
Mit eiserner Konzentration zwang sie sich selbst zur Ruhe.<br />
36
Ohne es zu registrieren, breitete sich hinter ihr neues, weißblaues<br />
Wetterleuchten aus.<br />
Die sind wahnsinnig, so nah an ihrem Beuteschiff noch wild<br />
herumzuballern! dachte sie und schwenkte nach Backbord, die Hände<br />
so fest um den Steuerknüppel geklammerte, dass ihre Knöchel weiß<br />
hervortraten.<br />
Besessen von dem Gedanken, die Nightflight nicht in<br />
gegnerische Hände fallen zu lassen, machte sie einen ihrer wenigen<br />
Torpedos scharf und senkte den Blick auf das Fadenkreuz.<br />
Bei "Drei" wird geschossen, Jade, also streng dich an!<br />
Sie war nun so dicht an die beiden Schiffe heran geflogen, dass<br />
sie glaubte, das Metall der Nightflight ächzen zu hören. Ihr blieben<br />
nur noch wenige Sekunden.<br />
Eins.. Zwei...<br />
Das Fadenkreuz auf dem Display leuchtete grün auf, als es genau<br />
über der Öffnung des Hangars schwebte.<br />
...Drei!<br />
Wie von Geisterhand betätigte sie die Kontrollen und schickte die<br />
Protonenladung aus. Sie wartete, machte eine rasche Kehrtwende<br />
und verfolgte auf dem Sensor, wie der Torpedo sich durch die<br />
Schilde fräste und die Pirate gewaltig durchrüttelte. Sie selbst konnte<br />
es in ihrer Magengrube spüren.<br />
Doch ehe sie sich dem Gefühl des Triumphes hingab, sah sie<br />
hinüber zur demolierten Nightflight. Schockiert stellte sie fest, dass<br />
die Wirkung des Traktorstrahls nicht aufgehoben worden war.<br />
Verdammt!<br />
Sie kämpfte gegen die aufsteigende Wut. Tief und kontrolliert<br />
ausatmend versuchte sie das Gefühl loszulassen.<br />
Dann, als sie sich derart der Macht geöffnet hatte, spürte sie wie<br />
Bilder in ihren Geist drangen, Bilder, die ihr jemand schickte und die<br />
soviel sagten wie: Kommen Sie zurück! Sie können jetzt nichts mehr tun!<br />
Es konnte nur Skywalker sein, der die Dreistigkeit und<br />
Unverfrorenheit besaß, ihre eigens errichteten Geistesbarrieren<br />
einfach so zu überwinden, sobald sie ein wenig nachgab.<br />
Widerwillig musste sie mit ansehen, wie die Nightflight immer<br />
weiter ihrer Nemesis entgegen gezogen wurde. Die Tore der<br />
37
Hangarbucht standen offen, wie das weit aufgerissene Maul eines<br />
Rancors, der jeden Moment seine Beute verschlucken würde.<br />
Das Feuer wurde von beiden Seiten eingestellt, das Gefecht kam<br />
zu Stillstand.<br />
Und nur wenige Sekunden später verschwand die Pirate of the<br />
Perlemian im Hyperraum mit ihrer wertvollen Fracht an Bord.<br />
MAYS GESICHT WURDE LEDIGLICH VOM BLAUGRÜNEN LICHT DER<br />
Taktik-Konsole erhellt. „Macht die Hangarbucht dicht! Hier sind wir<br />
fertig!“<br />
Draußen hämmerten noch immer die Laserstrahlen der <strong>Star</strong>ry Ice<br />
mit kläglichem Erfolg auf die Schilde der Pirate ein während die<br />
Jade’s Fire wütend aus allen Rohren feuerte. Doch auf der Brücke<br />
blieb alles ruhig.<br />
Mit enormer Gelassenheit richtete sich May auf, rückte ihre<br />
Kleidung zurecht und leckte sich die vollen Lippen - das einzige<br />
Anzeichen ihrer heftigen Erregung. Allein die Gewissheit, dass sie<br />
Mara Jade soeben eine Lektion erteilt hatte, versetzte sie in einen<br />
Zustand geistiger und körperlicher Ekstase. Und du weißt nicht<br />
einmal, dass ich es war, Jade! dachte sie vergnügt. Doch dann zwang<br />
May sich zur Ruhe, damit dieses berauschende Gefühl sie nicht<br />
völlig einnahm und ihre Konzentration gefährdete.<br />
„May!“ rief Laz von seinem Platz aus, „Sprungpunkt ist<br />
berechnet und eingespeist.“<br />
Sie warf einen Blick über die Schulter und starrte den<br />
devorianischen Navigator durch das Halbdunkel der Brücke<br />
hindurch an. Dieser gab eine Reihe unverständlicher Laute von sich.<br />
„Er sagt, dass Schiff ist bereit und willens in den Hyperraum zu<br />
springen!“ dolmetschte ein grüner Twi'lek mit tätowierten Lekku.<br />
May vergaß ständig seinen Namen.<br />
„Dann los!“<br />
Sie winkte Avarice zu, der darauf eine Reihe von Hebeln<br />
umlegte. Vor dem Sichtfenster explodierten die Farben und die<br />
Sterne verformten sich zum bizarren Linienspiel des Hyperraums.<br />
38
„Gut Arbeit, Leute! Schickt mir eine Einheit runter in den<br />
Hangar. Die sollen die Nightflight sichern und alles erschießen, was<br />
sich regt.“ Ihre Absätze klackten laut auf dem Durastahlboden.<br />
„Wo willst’n hin?“ fragte Avarice.<br />
„Irgendjemand muss doch dem Captain Bescheid sagen, oder?“<br />
Er grunze dümmlich und ging nicht weiter darauf ein. Niemand<br />
in der Crew beneidete May um ihren Rang als erster Offizier und<br />
würde freiwillig mit ihr tauschen wollen. Denn der Captain – der<br />
von allen nur ehrfürchtig „der König“ genannt wurde – war ein sehr<br />
reizbarer und exzentrischer Mensch und keiner wollte sich seinem<br />
Zorn aussetzen. May hingegen spürte keine Angst, denn sie hatte in<br />
der Vergangenheit schon größeren Scheusalen ins Gesicht gesehen.<br />
Dagegen wirkte der König fast lahmfromm. Manchmal gab sie sich<br />
sogar der Vorstellung hin, wie der König und Captain Djae, ihr<br />
Mentor an der imperialen Akademie und Vorgesetzter beim I.I.,<br />
aufeinander trafen. Es wäre interessant zu wissen, welcher der<br />
beiden als Sieger hervorgehen würde.<br />
Sie stieg in den Turbolift und nannte die Decknummer und der<br />
Aufzug sank schwerfällig in die Tiefe.<br />
MIT GRIMMIGEM GESICHTSAUSDRUCK ENTSTIEG MARA DER JADE’S Fire<br />
und verriegelte das Schiff. Obwohl sie dagegen ankämpfte, drohte<br />
sie das Gefühl der Niederlage zu übermannen. Lang und tief<br />
einatmend schloss Mara die Augen und erinnerte sich an eine von<br />
Skywalkers Meditationsübungen, die er ihr auf Yavin 4 beigebracht<br />
hatte. Sie versuchte die Macht fließen zu lassen und ihren<br />
aufgewühlten Geist zu beruhigen, doch das Ergebnis war alles<br />
andere als zufrieden stellend.<br />
Mit dem altbekannten Brüllen und Jaulen der Ionentriebwerke<br />
sanken die beiden X-Wing-Jäger auf das Landedeck der Daybreak.<br />
Leise surrend gingen die Repulsoren aus und die Verdeckung der<br />
Pilotenkapsel des Jägers, der Mara am nächsten war, glitt auf. Sie<br />
beobachtete Skywalker, wie er sich dem Helm vom Kopf zog und<br />
langsam aus deinem Cockpit kletterte, während zwei Techniker<br />
herbei eilten, um seiner R2-Einheit aus dem Sockel hinter der<br />
39
Pilotenkanzel zu helfen. Als Luke sich dann in ihre Richtung drehte,<br />
entdeckte sie ein schmales, Verzeihung heischendes Lächeln auf<br />
seinen Lippen.<br />
„Der Notstand wurde wieder aufgehoben“, hörte sie Calrissian<br />
rufen, als dieser mit Kyle auf sie zukam. Mara sah ihnen freudlos<br />
entgegen.<br />
„Wir hätten die Nightflight nicht verlieren dürfen“, sagte sie ohne<br />
Einleitung. Keiner der Männer erwiderte etwas. Es schien mehr, als<br />
würden sie alle drei angestrengt nachdenken.<br />
„War dieser Job denn wirklich so wichtig?“ fragte Kyle und<br />
klemmte sich seinen Helm unter den Arm.<br />
„Er ist wichtig“, korrigierte Mara, „Karrde hat diesem Auftrag<br />
die zweithöchste Priorität eingeräumt. Andernfalls hätte er mich<br />
nicht persönlich geschickt. Aber diese verfluchten Piraten haben<br />
unsere Pläne durchkreuzt und es wird mehr als genug Zeit beanspruchen,<br />
sie zu finden!“<br />
„Keine Sorge“, klinkte sich Luke nun ein und kämmte sich mit<br />
einer Hand das dunkelblonde Haar zurück. Mara schnaubte<br />
angesichts seiner typischen Jedi-Gelassenheit.<br />
„Erfreulich ist jedoch, dass die Daybreak trotz mehrer er<br />
Querschläger und Streifschüsse noch vollkommen intakt ist. Ich<br />
kann nicht glauben, dass Meelams Schiff trotz seiner bewährten<br />
Technologie so leicht geentert werden konnte!“, sprang Lando bei.<br />
„Das Schiff muss vor dem <strong>Star</strong>t sabotiert worden sein“, vermutete<br />
Kyle, „Anders kann ich mir diesen Zwischenfall nicht erklären.“<br />
„Allerdings habe ich den Schatten der dunklen Seite gespürt. Das<br />
Ganze ist mir nicht geheuer!“ fügte Skywalker ernst hinzu. „Du<br />
spürst viel, wenn der Tag lang ist, Luke!“ kommentierte Kyle mit<br />
einem humorlosen Lächeln, „Und dieser Tag war verdammt lang.“<br />
Skywalker schürzte die Lippen, offensichtlich nicht sehr angetan<br />
von Katarns Erwiderung.<br />
„Sie denken also, das könnte eine Falle sein?“ fragte Mara an den<br />
Jedi-Meister gewandt. „Ich weiß es nicht“, gab Luke zu, „Vielleicht<br />
ist dieser Meelam von einem seiner Kompanions verraten worden.<br />
Es wäre nicht das erste Mal, dass Freihändler und Piraten<br />
übereinander herfallen wie ein Schwarm Tsac-Fliegen.“<br />
40
Sie nickte stumm. Wenn Skywalker bereits Probleme hatte die<br />
Hintergründe dieses Ereignisses mit Hilfe der Macht zu erspüren,<br />
konnte niemand genau sagen, was dies zu bedeuten hatte.<br />
„Warum seid ihr zwei eigentlich hinter diesen Piraten her?“<br />
fragte Lando und griff damit die Frage auf, die Mara bereits<br />
während des Gefechtes eingeworfen hatte.<br />
„Sagen wir einfach, die Neue Republik ist zu sehr mit anderen<br />
Dingen beschäftigt, um Teile ihrer Flotte im Inneren Rand<br />
abzukommandieren, um eine Piratenbande zu jagen. Entlang der<br />
Grenze zu den Imperialen Restwelten sind in letzter Zeit immer<br />
wieder Kämpfe aufgeflammt und halten die Flotte in Atem. In die<br />
Werften über Obroa-skai werden ständig republikanische Schiffe<br />
angeliefert, die zur Reparatur ins Dock müssen. Die Jedi machten<br />
allerdings das erste mal Bekanntschaft mit der Pirate of the Perlemian,<br />
als sie eines unserer Versorgungsschiffe angegriffen haben, das<br />
Waren von Talasea zur Akademie befördern sollte“, erklärte Luke.<br />
„Ich weiß nicht mehr, wie lange wir gebraucht haben, endlich einen<br />
Unteroffizier zu sprechen, der uns dann mitteilte, dass Wedge und<br />
Admiral Ackbar weder das Geld noch über die Schiffe verfügen,<br />
sich darum zu kümmern. Und so sind wir selber aufgebrochen. Wir<br />
haben auf Brentaal begonnen, waren auf Rhinnal, Rallthir und<br />
verschiedenen anderen Welten, bis die Piraten von ihrem<br />
Territorium abwichen und hierher kamen.“<br />
Maras Augenbraue glitt fragend nach oben: „Und womit habt ihr<br />
sie verfolgt? Die Macht kann dafür nicht ausgereicht haben!“<br />
„Sie würden sich wundern, was alles möglich ist, Mara“, sagte<br />
Luke. Wie oft habe ich mir diesen Satz jetzt schon von ihm angehört?<br />
schoss es ihr durch den Kopf.<br />
„Hiermit“, sagte Kyle und griff mit einer behandschuhten Hand<br />
in eine Tasche am Gürtel seiner Pilotenmontur. Er warf Mara ein<br />
kleines, flaches Datapad zu. Sie klappte den Holoschirm auf und<br />
betrachtete eine schier endlose Aneinanderreihung von Zahlen und<br />
Symbolen, die sich immer wieder erneuerte. Ein gieriges Glimmen<br />
funkelte in Maras Augen.<br />
„Ein Hyperwellen-Sender“, murmelte sie erfreut. Manchmal<br />
schien Erfahrung beim Geheimdienst durchaus hilfreich. „Damit<br />
41
haben Luke und ich die Pirate of the Perlemian verfolgt. Ich habe den<br />
Peilsender einem Crew-Mitglied untergeschoben, als eine kleine<br />
Gruppe auf Esseles Landgang hatte.“<br />
Luke warf Kyle einen wissenden Blick zu.<br />
„Sie können ihn haben, Mara“, begann Luke langsam. „Aber<br />
nur“, er machte eine schwerwiegende Pause, als wähle er seine<br />
Worte mit Bedacht, „wenn ich Sie begleite.“<br />
„Das heißt dann wohl, dass ich zurück zur Akademie fliegen und<br />
dort nach dem Rechten sehen soll, nicht wahr?“ hakte Kyle nach.<br />
Luke nickte bloß.<br />
Mara sah auf und blinzelte irritiert.<br />
„Glauben Sie etwa, ich brauche ein Kindermädchen?“<br />
„Nein“, meinte er mit beschwichtigender Miene, „Aber es ist<br />
doch so, dass auch die Jedi darin verwickelt sind. Außerdem wäre es<br />
viel zu auffällig mitsamt der <strong>Star</strong>ry Ice jedes Sternensystem<br />
abzuklappern. Die Pirate hätte Sie wahrscheinlich bereits erkannt,<br />
bevor sie in die Atmosphäre eintreten.“<br />
Da war etwas Wahres dran, wie Mara zugeben musste.<br />
„In Ordnung!“ sagte sie schließlich, „Wir sind Partner. Aber<br />
wenn Sie irgendwelche Anstalten machen meine Gouvernante zu<br />
spielen, werde ich Sie höchst persönlich aus meinem Schiff werfen –<br />
ohne Raumanzug. Also reißen Sie sich am Riemen!“<br />
Luke schmunzelte. „Ich werde versuchen mich zu benehmen.“<br />
42
3: ARTIFICAL HALLUCINATION<br />
DIE SANFTE MUSIK AUS DEM NEBENZIMMER DRANG DIFFUS AN MARAS<br />
Ohr, als sie langsam aus der Dusche der Erfrischungseinheit stieg<br />
und ihren Körper in ein Handtuch wickelte. Sie schloss die Augen<br />
und konzentrierte sich auf die ruhige, altbekannte Melodie.<br />
Sie liebte dieses Lied. Während ihrer Zeit auf Coruscant, als sie<br />
Palpatine treu ergeben war und als Agentin des Imperiums<br />
gehandelt hatte, hatte sie es das erste Mal bei einem Auftrag in einer<br />
kleinen Cantina gehört. Allerdings war sie erst Jahre später dazu<br />
gekommen, den Titel und den Namen der Band heraus zu finden.<br />
Leise summend trat sie vor den Spiegel und trocknete sich das<br />
rote Haar.<br />
Jetzt, da die Jade’s Fire mit Überlichtgeschwindigkeit durch den<br />
Hyperraum raste, den Piraten auf der Spur, die Meelam in ihrer<br />
Gewalt hatten, war ihre Anspannung mit dem warmen Wasser fort<br />
gespült worden. Mit Hilfe des Funkpeilsenders hatte Skywalkers<br />
Astromech-Droide einen ungefähren Vektor und die Sprungzeit der<br />
Pirate of the Perlemian berechnen können. R2-D2 hatte die Analyse<br />
der Daten auf den Bordcomputer von Maras Schiff überspielt und<br />
die Suche auf den Belderone-Sektor eingegrenzt. Dieser war recht<br />
dünn besiedelt und es gab nur eine Hand voll Sternensysteme, die<br />
dem Abschaum der Piraterie als guter Unterschlupf dienen konnten.<br />
Noch bevor Luke und Mara den Hangar der Daybreak verlassen und<br />
sich auf den Weg gemacht hatten, war die Liste auf lediglich drei<br />
Planeten zusammen geschrumpft.<br />
43
Calrissian hatte die Jade’s Fire auftanken lassen, ihnen noch ein<br />
wenig Proviant mitgegeben und alles Gute gewünscht. Katarn<br />
hingegen hatte genau das getan, worum Skywalker ihn gebeten<br />
hatte und war vermutlich schon auf dem Rückweg nach Yavin 4.<br />
Skywalker hatte sein Schiff an die Außenhülle der Jade’s Fire<br />
gekoppelt und war anschließend in einem Raumanzug an Bord<br />
geklettert. Seitdem saß er in der Messe und meditierte. So wie sie ihn<br />
kannte, war er wahrscheinlich noch immer dort.<br />
Mara hingegen hatte sich ein wenig ausgeruht und sich<br />
anschließend diese lange, äußerst wohltuende Dusche gegönnt.<br />
Mit halb getrocknetem Haar schlüpfte sie in neue Unterwäsche,<br />
dann in eine weite, bequeme Hose und ein eng anliegendes Oberteil<br />
aus ithorianischer Baumwolle, ehe sie ihre Kabine verließ und sich<br />
zu Skywalker in die Messe gesellte. Als sie eintrat ließ seine R2-<br />
Einheit ein kurzes Pfeifen hören, von dem sich Mara nicht sicher<br />
war, ob es sich dabei um eine Begrüßung handelte oder ob er bloß<br />
seinen Meister über ihr Erscheinen in Kenntnis setzen wollte.<br />
So oder so, Mara blieb im Türrahmen stehen und beobachtete<br />
Luke, der im Schneidersitz und mit geschlossenen Augen eine Hand<br />
breit über dem Boden schwebte. Er hatte die Jedi-Tunika, die er<br />
unter seinem orangefarbenen Raumanzug getragen hatte, gegen<br />
einen noch schlichteren, schwarzen Overall eingetauscht. Seine<br />
kniehohen Stiefel standen neben R2.<br />
„Sie meditieren ja immer noch“, stellte sie fest als sie des Wartens<br />
überdrüssig wurde, aber im Grunde war sie nicht wirklich<br />
überrascht. Zuerst schien Luke sich gar nicht zu regen, doch dann<br />
bemerkte sie, wie das Kräuseln in der Macht nachließ und er<br />
langsam zu Boden glitt.<br />
„Und Sie hören bestimmt schon zum hundertsten Mal das selbe<br />
Lied“, konterte er mit einem kleinen Lächeln und schlug die blauen<br />
Augen auf. „Wie kann ich Ihnen helfen, Mara?“<br />
Perplex zog sie die Augenbrauen zusammen.<br />
„Helfen? Wie kommen Sie darauf, dass ich Hilfe bräuchte?“<br />
„Nun ja, weil sie schon seit ungefähr fünf Minuten einfach nur da<br />
stehen und mir zusehen", erwiderte Luke, "Wenn es etwas<br />
Belangloses wäre, hätten Sie sich mit dringlicheren Dingen<br />
44
eschäftigt und wären später zurück gekommen, um mich dann zu<br />
fragen.“<br />
Als sie ihn immer noch fragend anstarrte, fügte er milde lächelnd<br />
hinzu: „Sie sind in dieser Galaxis nicht die einzige Person mit einer<br />
guten Beobachtungsgabe.“<br />
„Scheint wohl so“, gab sie zu und schüttelte den Kopf.<br />
„Also: Sie wollten mich etwas fragen?“ begann Luke von Neuem,<br />
erhob sich vom Boden und sah sie aufmerksam an. Mara hingegen<br />
machte eine wegwerfende Geste der Beiläufigkeit: „Ich mache mir<br />
nur so meine Gedanken über diese Mission, bevor wir auf Belderone<br />
landen.“<br />
Er streckte und dehnte sich, um seine starren Muskeln zu<br />
entspannen.<br />
"Und was für Gedanken sind das?"<br />
"Nun, Katarn hat ein Crew-Mitglied erwähnt, dem sie den<br />
Peilsender untergeschoben haben. Ich frage mich erstens wer und<br />
was er beziehungsweise sie, ist, und zweitens, wie sie sich sicher sein<br />
können, dass die Person den Sender nicht abgenommen hat."<br />
Im Sprechen war sie zu einer Sitznische rechts von ihr gegangen<br />
und hatte sich dort auf der eingearbeiteten Bank niedergelassen. Mit<br />
einem erwartungsvollen Blick wartete sie nun auf ihre Antworten.<br />
Luke kam, immer noch barfuss, zu ihr hinüber und setzte sich ans<br />
andere Ende der Sitzbank.<br />
"Er war ein Twi'lek. Hellgrüne Haut, tätowierte Lekku. Kyle hat<br />
ihn als Enyth Kostryka vorgestellt", erzählte er und sein Blick schien<br />
in die Ferne zu gleiten während er sich die Ereignisse in Erinnerung<br />
rief.<br />
"Enyth Kostryka?" wiederholte Mara den Namen als wolle sie<br />
sich seinen Geschmack auf der Zunge zergehen lassen. "Irgendwie<br />
kommt mir der Name bekannt vor."<br />
"Sollte er auch", stimmte Luke zu, "Soweit wir das<br />
herausgefunden haben, wollte Kostryka früher einmal für Karrde<br />
arbeiten.<br />
"Sie wollen alle für Karrde arbeiten", kommentierte Mara trocken<br />
und verzog den Mund, "Aber wie genau haben Sie nun den Sender<br />
angebracht?"<br />
45
"Nun", begann Luke erneut, "Eigentlich war das allein Kyles<br />
Verdienst. Er hat - woher auch immer, ich habe nicht weiter danach<br />
gefragt - diesen Mikrosender aufgetrieben. Diese Dinger sind etwa<br />
so dick und lang wie eine Bacta-Kapsel, werden in eine Art Injektor<br />
eingespannt und dicht unter die Hautoberfläche der Zielperson<br />
geschossen."<br />
Mara runzelte fragend die Stirn.<br />
"Dann müssen Sie beide auf Esseles ziemlich nah an den Twi'lek<br />
herangekommen sein. Aber eine solche Injektion muss doch<br />
schmerzhaft sein. Wie konnte er da den eindringenden Fremdkörper<br />
nicht bemerken?"<br />
"Ich weiß es nicht genau", gab Luke zu und schüttelte den Kopf,<br />
"aber er schien im Allgemeinen sehr schmerzresistent."<br />
"Vermutlich hatte unser Twi'lek-Freund ein paar Killersticks<br />
zuviel oder was man sich in dieser Branche sonst noch für tödlichen<br />
Mist reinzieht", kommentierte Mara humorlos. Sie erinnerte sich an<br />
einen von Karrdes Söldner auf Mykyr, der eines Abends bei der<br />
Wachablösung meinte, dass Gewürze das Leben erst wirklich<br />
lebenswert machten. Zwei Tage später hatte man ihn tot<br />
aufgefunden, das Röhrchen mit den letzten Resten Glitzerstim noch<br />
in seiner kalten Hand. Sie kannte solche Gestalten wie Kostryka<br />
besser als ihr lieb war, denn sie wusste genau, wo die<br />
Schwachstellen waren und wie man sie angehen konnte, um zu<br />
bekommen, was man haben wollte.<br />
"Was auch immer es war, bisher hat es uns einen Vorteil<br />
verschafft", erwiderte Luke.<br />
"Dennoch wird er unberechenbar sein, so wie alle Süchtigen",<br />
sagte Mara, "Aber mir wird schon noch etwas einfallen."<br />
Luke zog fragend die Braunen zusammen und eine Falte bildete<br />
sich in vertikaler Richtung auf seiner Stirn. "Ihnen wird etwas<br />
einfallen?" hakte er nach.<br />
Mara wedelte mit einer Hand und deutete mit dem Daumen auf<br />
ihre Brust. "Ich bin es gewohnt im Schatten zu agieren, ungesehen<br />
aufzutauchen, meinen Job zu erledigen und genauso wieder zu<br />
verschwinden. Sie hingegen sind so auffällig wie ein bunt<br />
geschecktes Bantha, selbst wenn Sie sich mit Hilfe der Macht tarnen.<br />
46
Außerdem habe ich Kostryka noch nicht von Angesicht zu<br />
Angesicht gegenüber gestanden, was uns einen weiteren Vorteil<br />
verschafft und ich kann im Notfall die Macht einsetzen. Ich habe also<br />
die eindeutig besseren Voraussetzungen für diesen Job."<br />
"Ja, schon", stimmte Luke zu, das Gesicht immer noch<br />
merkwürdig verzerrt, "aber haben Sie schon irgendeine Idee, wie sie<br />
Kostryka auf sich aufmerksam machen wollen?"<br />
Mara grinste ihn herausfordernd an. Die Aufmerksamkeit des<br />
Twi'lek zu erregen, würde sicherlich das kleinste Problem sein.<br />
"Sie werden schon sehen, Skywalker. Sie werden schon sehen."<br />
„SIE... SIE SEHEN AUS WIE EINE...“, STAMMELTE LUKE MIT EINER<br />
Mischung aus Empörung und Fassungslosigkeit in der Stimme. Sein<br />
R2-Astromech stieß gegen sein Bein und gab ein Heulen von sich,<br />
dass schon fast wehleidig klang, während Luke sich mit einer Hand<br />
an den Rahmen des äußeren Schotts der Jade's Fire klammerte. Sein<br />
Mund stand noch immer leicht offen und seinen Augen hatten sich<br />
geweitet, als Mara aus ihrer Kabine getreten war und sich zu ihm<br />
gesellt hatte.<br />
Sie waren vor nicht weniger als drei Standardstunden aus dem<br />
Hyperraum getreten und am äußeren Stadtrand von Beldankhali,<br />
der ehemaligen Hauptstadt des Planeten Belderone, gelandet. Die<br />
Sonne sank bereits dem Horizont entgegen und tauchte die<br />
Landebucht in gelbgoldnes Licht, dass durch das offene Schott<br />
hineinflutete und Maras Haare glänzen ließ wie flüssige Seide.<br />
Nach der Landung hatte sie Skywalker zur Hafenbehörde<br />
geschickt, um dort die Ankunft der Equinox Spirit zu bestätigen –<br />
eine der vielen Decknamen der Jade's Fire, die es Mara gestatteten<br />
ihre Aufträge für Karrde einfacher und effizienter erledigen zu<br />
können. Luke hatte sich dort als der Halter des Schiffes, Mara als<br />
seine Geschäftspartnerin ausgegeben und hatte sie anschließend<br />
beide bei der Behörde unter falschen Namen eingecheckt. Aber auch<br />
Mara war nicht untätig gewesen. Während Skywalker sich der<br />
Macht bediente, um sich zu tarnen, so hatte Mara die vergangenen<br />
47
drei Stunden genutzt, um sich eine sehr viel wirklichere Tarnung zu<br />
verschaffen.<br />
Und so stand sie nun vor ihm: Das rote Haar war unter einer<br />
Schicht dunkelbrauner, fast schwarzer Farbe verschwunden, die sie<br />
sich zu einem komplizierten Dutt nach oben geknotet hatte. Ihren<br />
grünen Augen hatte sie mit blauen Kontaktlinsen eine andere Farbe<br />
verliehen, bevor sie ihr Gesicht mit einer Menge Puder und Make-up<br />
bedeckt hatte. Das dunkelblaue Kleid, das sie am Leib trug, ließ tief<br />
genug blicken, um Lust auf mehr zu machen und bedeckte die<br />
nötigsten Teile ihres Körpers. Als sie am Ende ihrer Verwandlung in<br />
den Spiegel gesehen hatte, hätte sie sich bald selbst nicht erkannt.<br />
"Na los!" rief Mara mit einem gefährlichen Blitzen in den Augen,<br />
als Luke sie noch immer anstarrte wie eine Erscheinung. Sie schloss<br />
die Finger fester um die schwarze Lederjacke in ihrer Hand "Sagen<br />
Sie's schon, Skywalker!"<br />
Ihr Gegenüber öffnete und schloss seinen Mund mehrere Male,<br />
doch er überlegte sich seine Worte zweimal, ehe er schließlich sagte:<br />
"Sie sehen aus als wären Sie... nun ja... leicht zu haben."<br />
Mara seufzte und schüttelte den Kopf.<br />
"Manchmal frage ich mich ernsthaft, ob Sie wirklich so naiv sind,<br />
Skywalker."<br />
Lukes Brauen zogen sich zusammen und seine Lippen waren<br />
geschürzt, was Mara als eine Mischung aus Verwirrung und<br />
Missfallen deutete. Doch ansonsten blieb er stumm, ganz so, als<br />
erwarte er von ihr eine Erklärung für ihr neues Erscheinungsbild.<br />
Wieder seufzte sie.<br />
"Wir beide wissen doch, dass Twi'lek - genau wie einige<br />
Menschen - sich bei der Wahl ihrer Sexualpartner nicht nur auf ihre<br />
eigene Spezies beschränken. Männliche Twi'lek würden ebenso mit<br />
einer menschlichen Frau das Bett teilen wie mit einer Twi'lek-Frau.<br />
Ob das an der anatomisch ähnlichen Beschaffenheit der beiden<br />
Spezies oder an der erhöhten Paarungsbereitschaft der Twi'lek liegt,<br />
sei dahin gestellt", erklärte Mara sachlich, "Dennoch bleibt es eine<br />
Tatsache, dass sich mehr als die Hälfte aller Twi'lek auch zu<br />
Menschen hingezogen fühlt."<br />
Sie sah Luke offen in die Augen und er schien zu begreifen.<br />
48
"Das heißt", meinte er langsam, "Sie wollen sich diese Tatsache zu<br />
nutzen machen, und unserem Twi'lek-Freund so ein paar<br />
Informationen entlocken?"<br />
Sie nickte.<br />
"Ganz genau."<br />
"Und welche Rolle wollten Sie mir bei diesem Theater<br />
angedeihen lassen?" fragte er und verschränkte die Arme voller<br />
Erwartung vor der Brust.<br />
"Da ich Sie sowieso nicht davon abhalten kann, können Sie mir<br />
heimlich Deckung geben, falls es wider Erwarten brenzlig werden<br />
sollte", erwiderte sie beinahe gelangweilt, "Allerdings bezweifle ich,<br />
dass mir ein zugedröhnter Pirat großartig gefährlich werden könnte.<br />
Ach ja, und ich bestehe auf einhundert Meter Sicherheitsabstand<br />
ihrerseits, Skywalker."<br />
An seiner vernarbten Wange zuckte ein Muskel und sie konnte<br />
ihm ansehen, dass er damit absolut nicht einverstanden war. "Das<br />
gefällt mir nicht. Sie rennen im knappsten und kürzesten Outfit, das<br />
mir seit langem untergekommen ist durch die Stadt und wollen sich<br />
so an die Fersen eines Verbrechers heften? Ich habe kein gutes<br />
Gefühl bei dieser Sache, Mara."<br />
"Kommen Sie", rief sie mit einem ironischen Lächeln auf den<br />
Lippen, "Ich habe halbnackt für Jabba den Hutten getanzt, nur um<br />
an Sie heranzukommen! Viel schlimmer kann es nicht mehr<br />
kommen!"<br />
Mit diesen Worten drehte sie sich herum und stieg die Rampe<br />
der Jade's Fire hinab, doch ihr entging keineswegs das rote Glühen,<br />
dass schlagartig auf Lukes Wangen brannte, und sie lächelte noch<br />
ein wenig breiter.<br />
"Farmjunge!" murmelte sie amüsiert, als sie ihn stehen ließ und<br />
sich auf den Weg machte.<br />
BELDERONE WAR, WIE MARA FESTSTELLEN MUSSTE, WÄHREND SIE IHREN<br />
Marsch durch die ehemalige Hauptstadt fortsetzte, kein bisschen<br />
anders als Ord Mantell. Obwohl das System einen nicht annähernd<br />
so schlechten Ruf hatte wie die galaktische Schrottpresse Ord<br />
49
Mantell, so war der Planet übersät mit den Zeichen der Zeit. Vor<br />
allem der Angriff der Separatistenarmee vor fast 35 Jahren hatte<br />
einen Großteil der früheren Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt,<br />
als unerbittliche Salven aus rotem und grünen Licht aus dem<br />
Weltraum auf der Planetenoberfläche eingeschlagen waren. Nur<br />
wenige Berichte in den imperialen und republikanischen <strong>Archiv</strong>en<br />
kündeten von den unzähligen Toten. Belderones Einwohner hatten<br />
nicht einmal durch einen Konvoi gerettet werden können.<br />
Wie es schien, hatte sich das System seit diesem Tiefschlag nicht<br />
mehr erholen können.<br />
Nur wer sich auf den weiten Ebenen außerhalb der Städte ein<br />
neues Heim schuf, wurde noch mit Glück und Geld gesegnet. Oder<br />
man machte sich auf, in Beldankhalis alten Stadtkern.<br />
Es reihten sich Spelunken und andere billige Schankhäuser<br />
unaufhörlich aneinander, nur hier und da wurde die Kette von den<br />
verblassten Leuchtbuchstaben vor einem Motel oder einem<br />
Nachtclub unterbrochen. Über die alten Bordsteine torkelten bereits<br />
die betrunkenen Gestalten. Aus dem Augenwinkel sah Mara, wie<br />
drei Devorianer völlig von Sinnen aufeinander eindroschen. Immer<br />
darauf bedacht nicht aufzufallen, nutzte Mara die zunehmende<br />
Dunkelheit als ihre Tarnung und sie zog den Kragen ihrer schwarze<br />
Jacke mit einer Hand enger zusammen. Gelegentlich musste sie<br />
ausweichen und schlüpfte auf ihren hohen Stiefel so schnell es ging<br />
zur Seite, doch die Betrunkenen um sie herum waren nicht das<br />
einzige Problem – wie sie sehr bald feststellte. Am Rinnstein floss<br />
eine schlickige, braune Flüssigkeit ab, in der Fetzen von Flimsiplast<br />
und anderem Abfall schwamm und die einen Geruch zu ihr<br />
aufsteigen ließ, der ihr beinahe die Sinne raubte.<br />
Und in den Sternenkarten wird Belderone als friedlich eingestuft,<br />
dachte Mara mit trockenem Humor.<br />
Nach einer Weile duckte sie sich in eine kleine Seitengasse und<br />
hockte sich zwischen zwei quadratische Müllcontainer, um die<br />
Anzeige auf dem Display des Peilsenders zu überprüfen.<br />
Kostryka konnte nicht mehr allzu weit entfernt sein. Die<br />
Frequenz, mit der der Empfänger die Nähe zum Sender angab, war<br />
nun schneller als noch vor wenigen Minuten. Auf dem Bildschirm<br />
50
zeichnete sich nun ein dichtes Geflecht an Straßen ab und sie<br />
versuchte sich das Bild auf dem Display sehr genau einzuprägen.<br />
Rechts, zweimal links, die Dritte rechts... rechts, zweimal links, die<br />
Dritte rechts, wiederholte sie den Weg in ihren Kopf. Sie schloss die<br />
Augen und atmete tief durch. Rechts, zweimal links, die Dritte rechts.<br />
Dann schlug sie die Augen wieder auf und ließ den Empfänger<br />
mit einer raschen Bewegung wieder in der Innenseite ihrer Jacke<br />
verschwinden, ehe sie wieder auf die belebte Straße hinaustrat.<br />
Zu ihrer Linken bemerkte sie eine flüchtige Bewegung, wie ein<br />
Schatten, der sich nun zwischen zwei Häusern versteckte, in der<br />
Hoffnung nicht gesehen zu werden.<br />
Mara gestattete sich ein Schmunzeln.<br />
Skywalker...<br />
Sie hatte ihn die ganze Zeit über hinter sich gespürt, wie ein<br />
allgegenwärtiger Beschützer, der bereit war, sich auf angreifende<br />
Wildtiere oder andere Ungetüme zu werfen. Allerdings war seine<br />
Präsenz nicht durch körperliche Nähe bestätigt, sondern eher durch<br />
ein diffuses Kribbeln an ihrem Hinterkopf; ein Kribbeln, das ihr<br />
äußerst missfiel. Es erinnerte sie an ihre Zeit als Palpatines Hand.<br />
Wann immer ihr Meister durch die Macht mit ihr in Kontakt<br />
getreten war, hatte sie dasselbe Kribbeln gespürt.<br />
Sie schüttelte den Kopf leicht, um diesen lästigen Gedanken<br />
loszuwerden, wandte sich nach rechts und marschierte weiter die<br />
Straße hinunter.<br />
Einige Straßen weiter fand sie sich vor einem Nachtclub wieder.<br />
Als sie Halt machte, um die mit Leuchtfarbe bemalten Torbögen am<br />
Eingang näher zu betrachten, wandten sich bereits die ersten Köpfe<br />
nach ihr um.<br />
Im Inneren schlug ihr eine Flut süßlich-schwerer Gerüche<br />
entgegen und sie fühlte sich ein wenig benommen, während sie sich<br />
durch die Menge hindurch zur Garderobe drängte und ihre Jacke<br />
abgab, ehe sie sich an der Theke elegant auf den letzten freien<br />
Barhocker hinaufzog. Der Barkeeper nahm ihre Bestellung auf und<br />
Mara unterdrückte einen plötzlichen Würgreflex, als eine besonders<br />
intensive Duftwolke an ihr vorüber schwebte. Sie hustete kurz, doch<br />
das Geräusch wurde von Musik übertönt.<br />
51
Ich muss mich korrigieren, dachte sie, das Junk Palace ist angenehm,<br />
im Gegensatz zu diesem Ort.<br />
In aller Ruhe an ihrem Drink nippend, begann sie den Raum zu<br />
sondieren.<br />
Durch die Schar von Lebewesen, die sich an der Bar, in den<br />
Sitznischen und auf der Tanzfläche drängten, war es schwierig,<br />
einzelne Personen auszumachen. Das gedämpfte, farblich ständig<br />
wechselnde Licht machte es ihr jedenfalls schwerer, etwas zu<br />
erkennen und die Musik verschluckte jedes Geräusch. Es fiel ihr<br />
sogar schwer, den Barkeeper zu verstehen, der irgendwann lautstark<br />
sein Geld einforderte. Mit einem Seufzen ließ sie sich von ihrem<br />
Barhocker gleiten und leerte ihr Glas in einem Rutsch.<br />
Es war wohl das Beste, wenn sie sich ganz diskret in den Nischen<br />
umsah.<br />
Durch die Masse von hin und her wabernden Körpern, drängte<br />
sie auf die rückwärtige Wand und die eindeutig dunkelste Ecke des<br />
Nachtclubs zu. Sich der Macht öffnend, versuchte sie menschliche<br />
und nichtmenschliche Präsenzen zu selektieren und vielleicht einen<br />
Hinweis zu erhalten, der ihr sagen würde, welcher der anwesenden<br />
Twi'lek genau der war, den sie suchte.<br />
Sie hörte ein leises Knallen, dass trotz der Musik an ihr Ohr<br />
drang, und im selben Moment sah sie ein violettes Leuchten, das<br />
durch die Dunkelheit schimmerte...<br />
Der Lichtblitz des Glitzerstims erhellte das Gesicht eines Twi'lek<br />
mit tätowierten Lekku, der sich sogleich begierig über die schwarze<br />
Hülse lehnte und sich einen Faserstrang der knisternden Droge auf<br />
die Zunge legte.<br />
Jackpot, dachte sie mit einem sardonischen Lächeln.<br />
Mara atmete tief durch und rief die Macht erneut zu sich. Die<br />
bewusstseinserweiternde Wirkung des Glitzerstim konnte ihr<br />
gefährlich werden, wenn sie ihren Geist nicht vollkommen von ihm<br />
abschottete. Allerdings würde sie dadurch auch die Fähigkeit,<br />
Kostrykas Absichten zu sondieren, verlieren.<br />
Nun war schauspielerisches Talent gefragt.<br />
Sie trat aus der tanzenden Menge heraus und schritt langsam<br />
einige Stufen zu der Sitzecke aus purpurfarbenem Leder hinauf, wo<br />
52
sich der Twi'lek gemeinsam mit zwei menschlichen Männern<br />
niedergelassen hatte. Alle drei sahen heruntergekommen und<br />
abgehalftert aus. Schmutzige Finger kratzten an einem Glas voll<br />
corellianischem Whiskey, abgetragene Stiefel scharrten über den<br />
Boden und der Geruch von Kühlflüssigkeit lag in der Luft. Einer der<br />
beiden Männer trug eine Weste, wie Mara sie von Solo kannte, doch<br />
diese wies mehrere dunkle Streifen auf, als hätte er das<br />
Kleidungsstück an diesen Stellen verbrannt. Alle drei waren mit<br />
Blaster bewaffnet, die genauso schmutzig und zerkratzt waren, wie<br />
sie selbst.<br />
Kostryka hielt in seinem genüsslichen Kauen inne, als Mara sich<br />
neben ihm auf das weiche Lederpolster sinken ließ, und auch die<br />
beiden Männer starrten sie mit glasigem Blick an.<br />
"Hi", sagte sie und setzte die Maske eines strahlenden Lächelns<br />
auf.<br />
Die Männer sahen sie immer noch dümmlich an, doch Kostryka<br />
grinste und entblößte einen tiefen, vernarbten Riss in seiner<br />
Unterlippe und die verfärbten Zähne eines Glitzerstim-Junkies.<br />
"Hallo, meine Schöne", sagte er mit rauer, kratziger Stimme. "Was<br />
kann ich für ein so zauberhaftes Wesen wie dich tun?"<br />
Mara rutschte näher zu ihm hin, bis sich ihre Knie leicht<br />
berührten, und beugte sich kokett nach vorn.<br />
"Weißt du", sagte sie langsam und strich vorsichtig mit den<br />
Fingerspitzen über Kostrykas bloßen Unterarm, "du bist mir gleich<br />
aufgefallen, als ich herein kam. Die starken Muskeln, diese<br />
verwegene Narbe... und da dachte ich, ich versuche mal dich<br />
anzusprechen."<br />
War das wirklich sie, die all diese zuckersüßen Dinge sagen?<br />
Nach all den Jahren als Palpatines Attentäterin war dies Etwas,<br />
an das sie sich noch nie hatte gewöhnen können. Jedes Mal fühlte sie<br />
sich, als stünde sie neben sich und blickte kopfschüttelnd auf ihren<br />
Körper herab, einen Körper, der sich vollkommen zu<br />
verselbstständigen schien und eine eigene Dynamik entwickelte.<br />
Ihre Lehrmeister hatten immer gesagt, dass es so sein müsste. Man<br />
musste sich von sich selbst entfremden, um die Rolle eines anderen<br />
zu spielen. Und Mara war gut darin, jemand anderes zu sein, und<br />
53
dennoch bereitete es ihr kein Vergnügen, insbesondere nicht, wenn<br />
sie sich in die Rolle eines absoluten Dummchen versetzen musste.<br />
"Es ist dir geglückt, meine Schöne. Mein Name ist Enyth", sagte<br />
Kostryka und lächelte Mara an, als wäre sie sein neues Spielzeug.<br />
"Das hier sind Laz Carhian und Avarice Rinza."<br />
Die beiden Männer nickten knapp und wandten sich wieder dem<br />
Alkohol zu. Offenbar waren sie mit ihren Gedanken ganz woanders.<br />
"Ich bin Derya."<br />
Mit dem schönsten Augenaufschlag, zu dem sie fähig war, sah<br />
Mara zu dem Twi'lek auf und rückte noch ein wenig näher heran. Es<br />
schien ihm nichts auszumachen. Sie beugte sich vor, um in sein Ohr<br />
zu sprechen.<br />
"Stimmt es, was man sich über dich erzählt?" fragte Mara leise,<br />
doch sie wusste, dass er sie hören konnte.<br />
"Was erzählt man sich denn?" fragte er zurück und sie spürte,<br />
wie er versuchte, sie mental zu traktieren.<br />
„Dass...“, sie machte eine kurze Kunstpause, „du ein Pirat bist.“<br />
Seine Lekku zuckten einmal.<br />
„Der König wäre sicherlich nicht sehr erfreut, wenn ich mit dir<br />
darüber sprechen würde.“<br />
Der König? ging es Mara durch den Kopf. Welcher König?<br />
Sie zog eine Schnute: „Schade.“<br />
Wieder entblößte er seine Zähne, schob eine Hand unter Maras<br />
Schultern und presste sie fest an sich. Doch er schien ihr nicht nur<br />
körperlich nahe zu sein. Sie spürte, wie sich seine mentalen Fühler,<br />
die ihm das Glitzerstim verliehen, nach ihr ausstreckten und nach<br />
einem Eingang in ihr Bewusstsein suchten. Zum Glück war sie<br />
besser als das und ihre Schutzbarriere hielt stand.<br />
"Du könntest es herausfinden, Schätzchen", schlug er vor und<br />
platzierte seine freie Hand auf ihrem Oberschenkel. Plötzlich schien<br />
sein forciertes Drängen in der Macht schwächer und Mara sah die<br />
Begierde in seinen Augen aufleuchten.<br />
Das war schon mal nicht schlecht für den Anfang. Der Trick war<br />
es nun nur noch, ihn auf diesem Abstand zu halten.<br />
Sie sahen einander für eine Weile schweigend an und langsam<br />
spürte sie, wie die Wirkung des Glitzerstims nachließ – doch das<br />
54
war sicherlich kein Grund für übermäßige Freude. Irgendetwas<br />
stimmte nicht, doch sie konnte nicht sagen, woran es lag.<br />
Mit einem Nicken in Richtung Ausgang gab Kostryka Laz und<br />
Avarice zu verstehen, dass sie verschwinden sollten und die beiden<br />
wankten davon. Dann wandte sich der Twi'lek wieder Mara zu und<br />
strich mit rauen Fingern über ihr nacktes Knie. Seine Lekku zuckten<br />
immer häufiger.<br />
"Derya, Schätzchen, wie wäre es, wenn wir diesen Ort verlassen",<br />
schlug er vor, "und es uns wo anders gemütlich machen?"<br />
Mara nickte und grinste ihn dümmlich an, ehe er ihr beim<br />
Aufstehen behilflich war und beim Barkeeper seine Rechnung<br />
beglich. Auf dem Weg nach draußen rempelte er einen Rodianer<br />
beiseite und zückte den Blaster aus seinem Hüfthalfter, als dieser<br />
Widerworte gab. Mara zwang sich zu einem Lachen und klammerte<br />
sich an Kostrykas Arm. Sie holten ihre Jacken von der Garderobe<br />
und traten nach draußen auf die belebte Straße.<br />
Kostryka führte Mara nach rechts, die Straße hinunter, und schon<br />
bald wurde die Musik aus den Nachtclubs und Wirtshäusern leiser.<br />
Egal, was er ihr auch erzählte, sie lachte kreischend, um ihm das<br />
Gefühl zu geben, dass er ganz besonders attraktiv war, auch wenn<br />
Mara sich im tiefsten Inneren ihres Wesens gegen die Nähe des<br />
Twi'lek sträubte.<br />
Sie lachte gerade über einen äußerst anzüglichen Witz, als sie<br />
eine Gruppe Menschen passierten, die sich keinen Deut für sie zu<br />
interessieren schien, doch Kostryka warf einen prüfenden Blick über<br />
die Schulter.<br />
Plötzlich blieb er stehen.<br />
"Ehrlich, ich habe noch nie so gelacht", sagte Mara in<br />
glockenhellem Ton und drehte sich zu Kostryka um. Dieser stand da<br />
wie angewurzelt, starrte sie mit einem Blick an, der Carbonit<br />
geschmolzen hätte, eine Hand an seinem Blaster...<br />
...und Mara begriff.<br />
Leider kam ihre Erkenntnis eine halbe Sekunde zu spät.<br />
"Schluss mit diesem Theater, Jade!" rief Kostryka barsch und<br />
schaltete seinen Blaster von Betäuben auf Töten, ehe er ihn auf Mara<br />
richtete. "Hände hoch und langsam umdrehen!"<br />
55
Also wusste Kostryka, wer sie war. Und wenn er das wusste, war<br />
ihm auch klar, warum sie zu ihm gekommen war. Sie verfluchte<br />
sich, dass sie davon abgesehen hatte, ihre BlasTech-Pistole im Ärmel<br />
ihrer Jacke zu verstauen. Adrenalin rauschte durch ihre Blutbahn,<br />
während sie fieberhaft an einer Lösungsstrategie arbeitete. Die<br />
winzige Sekunde, die sie bräuchte, um an das Messer an der<br />
Innenseite ihres Oberschenkels zu kommen, hatte sie nicht, bis dahin<br />
hätte man sie wahrscheinlich längst erschossen. Außerdem war die<br />
Distanz zwischen ihnen zu groß, als das sie eine Nahangriffstechnik<br />
des Teras Käsi hätte anwenden können. Außerdem wollte sie ihn<br />
lebend, nicht tot. Kostryka bewahrte noch zu viele Geheimnisse, die<br />
er Mara preis geben konnte.<br />
Dir wird schon was einfallen, Mara, dachte sie und versuchte ihr<br />
wie wild schlagendes Herz zu beruhigen. Wo war Skywalker, wenn<br />
man ihn brauchte?<br />
Kostryka gestikulierte heftig in Maras Richtung und sie ging mit<br />
erhobenen Händen rückwärts, bis sie mit den Schultern gegen eine<br />
raue Wand stieß. Hinter dem Twi'lek erschienen zwei Silhouetten,<br />
die sich gegen die matte Straßenbeleuchtung absetzten. Laz und<br />
Avarice. Beide trugen Repetier-Blaster bei sich und richteten sie auf<br />
Maras Brust. Es war nur allzu offensichtlich, dass die drei Piraten ihr<br />
eine Falle gestellt hatten und sie schluckte einige wüste<br />
Verfluchungen an sich selbst hinunter, weil sie diesen Hinterhalt<br />
nicht hatte kommen sehen. Sehr töricht und anmaßend.<br />
Der Twi'lek kam auf sie zu, die Mündung des Blasters immer<br />
noch auf ihr Gesicht gerichtet, und fingerte an der Innenseite von<br />
Maras Jacke herum, bis er den Empfänger in einer der Taschen<br />
gefunden hatte. Mit einer abfälligen huttischen Bemerkung steckte<br />
er ihn an seinen Gürtel.<br />
"Wo ist Meelam?" verlangte Mara zu wissen und ließ ihre<br />
Maskerade damit endgültig fallen.<br />
Kostryka rümpfte die Nase und seine Lekku zuckten erneut,<br />
während Laz und Avarice ein gemeinsames Grunz-Lachen von sich<br />
gaben.<br />
"Sind Sie wegen ihm hier?" fragte Kostryka ungläubig. "Sie sind<br />
echt verdammt bescheuert."<br />
56
Zu ihrer Linken huschte eine weitere Männergestalt von<br />
Hauseingang zu Hauseingang und versuchte sich unbemerkt<br />
anzuschleichen – zumindest so unauffällig wie es einem Jedi-Meister<br />
mit einem Lichtschwert möglich war.<br />
Maras Herz machte einen Sprung. Sie hätte nie gedacht, dass sie<br />
sich einmal so über Skywalkers Anwesenheit freuen würde.<br />
"Nichtsdestotrotz war ihre kleine Vorstellung ganz amüsant.<br />
May sagte, dass Sie gut sein würden", erklärte Kostryka, ließ Mara<br />
dabei jedoch keine Sekunde aus den Augen.<br />
May?<br />
Der Name klang Mara in den Ohren nach und ihre Gedanken<br />
begannen sich zu jagen. Sie hatte ihn schon einmal gehört...<br />
"Offensichtlich war ich nicht gut genug", ergänzte sie trocken.<br />
Wieder grunzten die beiden Kerle hinter Kostryka vor<br />
Schadenfreude – Mara wartete nur noch darauf, dass sie sich<br />
gegenseitig dafür gratulierten, dass sie noch gerade stehen konnten<br />
– und auch der Twi'lek gestattete sich ein kehliges, fast hämisches<br />
Lachen.<br />
Dann geschahen mehrere Dinge gleichzeitig. Es gab ein grünes<br />
Aufblitzen und das Summen von Skywalkers Lichtschwert erfüllte<br />
die Luft. Mit dem typischen Zischen, wenn die Energieklinge auf<br />
Durastahl traf, durchschnitt Skywalker die Läufe der Blaster und<br />
entwaffnete Laz und Avarice, ehe sie bemerkten, was geschah.<br />
"Drei gegen Einen, das nenne ich wirkliche Fairness",<br />
kommentierte Skywalker trocken, als die beiden Piraten nach ihren<br />
Stiefelhalftern griffen und jeder eine zweite Waffe zum Vorschein<br />
brachte. Blasterschüsse zischten durch die Nacht und prallten an der<br />
grünen Klinge ab.<br />
Durch Skywalkers Erscheinen abgelenkt, wandte Kostryka seine<br />
Aufmerksamkeit von Mara ab und verschaffte ihr damit die<br />
Sekunde, die sie gebraucht hatte. Mit aller Kraft stieß sie sich von<br />
der Wand hinter ihr ab und stürzte sich auf den Twi'lek. Ein<br />
Handkanten-Schlag und ein gut gezielter Fußtritt raubten Kostryka<br />
den Atem, ließen ihn taumeln. Die BlasTech-Pistole entglitt seinem<br />
Griff und rutschte mit dem dunklen Schlick davon. Er keuchte und<br />
hieb mit beiden Fäusten auf sie ein. Sie duckte sich unter dem ersten<br />
57
Schlag hindurch, spürte dann jedoch etwas, das sie wie ein Stein in<br />
die Magengrube traf. Glitzerstim hin oder her, seine Körperkraft<br />
war kein bisschen geschwächt.<br />
Das Sirren von Skywalkers Lichtschwert, das das rote<br />
Blasterfeuer zurückwarf, erfüllte noch immer die Luft, als sie sich<br />
mit dem Kopf voran auf Kostryka warf und ihn zu Boden rang.<br />
Seine Lekku zuckten wieder nervös, während seine schmutzigen,<br />
Schlamm bespritzen Finger ihren Weg zu Maras Kehle suchten.<br />
Mara warf sich herum, wälzte sie beide durch den dickflüssigen<br />
Schlamm auf der Straße, und drückte Kostryka auf den Permabeton.<br />
Vom Gewicht ihres Körpers auf seiner Brust zu Boden gepresst, gab<br />
der Twi'lek jedoch nicht auf, sondern versuchte sich aus Maras Griff<br />
zu befreien. Zumindest bis er die kühle Klinge des Vibromessers an<br />
seiner Kehle spürte.<br />
"Okay, das reicht jetzt", sagte Mara, der ebenfalls der ölige<br />
Schlick aus dem braun gefärbten Haaren tropfte und über ihr<br />
Gesicht herab lief. "Wo ist Meelam?"<br />
Ein feines Rinnsal Blut sickerte aus der Nase des Twi'lek. Er<br />
atmete heftig ein und aus, als hätte er Angst zu Ersticken, doch der<br />
Ausdruck in seinen Augen blieb unleserlich.<br />
"Was ist? Wo ist er?" wiederholte sie, diesmal strenger, forcierter.<br />
Der Kampf zwischen Skywalker und Kostrykas Kameraden<br />
verklang in Maras Ohren wie fernes Rauschen. Sie blendete alles<br />
andere aus und konzentrierte sich voll und ganz auf den Twi'lek.<br />
Schließlich begann er ganz leise zu sprechen, als fürchtete er, dass<br />
ihnen jemand zuhörte. Mara beugte sich tiefer hinunter, bis ihre<br />
Gesichter nur noch wenige Zentimeter von einander getrennt waren.<br />
"Sie... sollten... sich in Acht nehmen", flüsterte er. "Sonst werden<br />
Sie in noch mehr Fallen tappen."<br />
Mara blinzelte ihn perplex an, sagte jedoch nichts.<br />
"Meelam ist niemand anderes..."<br />
Etwas streifte Maras Wange, nadeldünn und glühend heiß. Sie<br />
zuckte überrascht zurück, die Augen fest geschlossen, und spürte,<br />
wie ihr eigenes, warmes Blut sich mit dem Dreck in ihrem Gesicht<br />
vermischte. Kostrykas gab ein abscheuerregendes Gurgeln von sich<br />
58
und bäumte sich unter Mara auf, dann wurde er still, nahezu Todes<br />
ähnlich ruhig.<br />
Plötzlich erstarb die Kampfhandlung um sie herum. Der einzige,<br />
alles durchdringende Laut schien von Skywalkers Schwert<br />
auszugehen.<br />
Laz und Avarice gaben beide einen erstickten Schrei von sich.<br />
Ihre Blaster landeten geräuschvoll auf dem Straßenbelag und ihre<br />
Schuhe kratzten über den Boden.<br />
"Los, lass uns abhauen!" rief Avarice.<br />
"K-ka-keine schlechte Idee!" stimmte Laz hinzu. Skywalker sah<br />
den beiden nach, wie sie sich eilig aus dem Staub machten, folgte<br />
ihnen jedoch nicht.<br />
Mara hingegen, die das Vibromesser immer noch an Kostrykas<br />
Kehle hielt, starrte fassungslos zu dem Twi'lek hinunter, der mit<br />
aufgerissenen Augen da lag und ins Leere starrte. Seine Atmung<br />
war zum Erliegen gekommen und seine Hände waren plötzlich<br />
erschlafft. Leblos hingen sie an seinen Armen, die wie erlegte<br />
Dewbacks links und rechts von ihm ausgestreckt da lagen.<br />
Ein dünner, silbrig glänzender Pfeil, der etwa so lang war wie<br />
Maras kleiner Finger, hatte zwischen seiner Nase und dem linken<br />
Auge ins Fleisch gebohrt. Zweifelsohne war der Twi'lek vergiftet<br />
worden.<br />
Als sich die Erkenntnis in ihr Gehirn fraß, sprang Mara hastig auf<br />
und berührte den Schnitt in ihrem Gesicht. Mit geschlossenen<br />
Augen ließ sie die Barrieren ihres Geistes so weit fallen, um die<br />
Macht zu sich zu rufen, und ihr Blut von dem Gift zu befreien. Mit<br />
mikro-skopischer Präzision presste sie den winzigen Tropfen, den<br />
sie selbst abbekommen hatte, aus der Wunde und ein neuer, warmes<br />
Schwall der roten Flüssigkeit ergoss sich über ihre Wange.<br />
Sie atmete tief durch. Allerhand Sinneseindrücke kamen zurück<br />
in ihr Bewusstsein und das Herz schlug nun so gewaltsam in ihrer<br />
Brust, als wolle es aus ihrem Körper ausbrechen.<br />
"Skywalker..." begann sie, "lassen Sie uns..."<br />
Doch sie kam mit ihrem Vorschlag nie zu Ende.<br />
Luke starrte über Mara hinweg, den Blick auf die Dächer der<br />
flachen, klotzigen Bauten hinter ihr gerichtet. "Schauen Sie", meinte<br />
59
er dann abwesend und reckte das Kinn. Verwunderte wandte Mara<br />
sich um und folgten seinem Blick.<br />
Da hockte jemand. Am Rand des Daches kauerte eine schwarze,<br />
menschliche Gestalt, von der Mara nicht genau sagen konnte, ob sie<br />
männlich oder weiblich war. Wilde Strähnen schwarzen Haares<br />
fielen der Person ins Gesicht, doch mehr war gegen den<br />
Nachthimmel nicht zu erkennen.<br />
Die Gestalt erhob sich und berührte das rechte Handgelenk.<br />
Mara vermutete, dass sich dort die Abschussvorrichtung für den<br />
vergifteten Pfeil befand.<br />
Ein Schauer kroch Maras Rücken hinab und verteilte sich in<br />
ihrem Gliedern, als sie die schlanke Silhouette über sich mit<br />
prüfenden Blicken bedachte. Ihr war, als empfinge sie<br />
unterschwellig, ganz subtil, eine Botschaft aus der Vergangenheit.<br />
Sie war sich sicher: Sie kannte diese Person.<br />
Die Gestalt richtete sich auf, streckte den anderen Arm nach vorn<br />
und öffnete die Hand. Etwas, das aussah wie schwarze Splitter,<br />
fielen augenblicklich dem Erdboden entgegen.<br />
Als hätte ihn eine seiner Jedi-Ahnungen gewarnt, packte Luke<br />
ihren Oberarm und zerrte Mara einige Schritte zurück. Sie ließ es<br />
geschehen. Jeder Muskel in Maras Körper war angespannt, wartete<br />
auf den Moment des Einschlags.<br />
Es gab ein Geräusch, wie wenn Münzen auf Asphalt auftreffen,<br />
als die schwarzen Splitter einer nach dem anderen zu Boden fielen.<br />
Klirrend verteilten sich um Kostrykas Leiche wie ein Blütenregen<br />
und glitzerten in der Dunkelheit wie herab fallende Sterne. Luke<br />
und Mara drängten beide einen weiteren Schritt zurück. Sie konnte<br />
die Anspannung in ihm spüren als wie ihre eigene.<br />
Doch Sekunden vergingen und nichts geschah.<br />
Eilig wandte Mara ihren Blick wieder zum Dach hinauf, um zu<br />
sehen, was dies zu bedeuten hatte, darauf gefasst ein hämisches<br />
Lachen zu hören oder zu sehen, wie jemand einen Fernzünder<br />
betätigte.<br />
Die schwarze Gestalt war verschwunden.<br />
60
LAZ UND AVARICE WARTETEN BEREITS AM VEREINBARTEN TREFFPUNKT<br />
auf sie und beide sahen ein wenig mitgenommen und aufgekratzt<br />
aus. Offensichtlich unbewaffnet – von zwei Stiefelmessern, einer<br />
Ersatz-Vibroklinge und je einem versteckten Thermaldetonator<br />
einmal abgesehen – standen sie an der Kreuzung unter einer<br />
flimmernden Straßen-laterne, die fahle und verschwommene<br />
Schatten an die Hauswände warf. Sie schenkten jedem, der die<br />
Laterne passierte, einen mürrischen Blick, als hofften sie, dass sich<br />
jemand finden möge, der sich freiwillig von ihnen verprügeln ließ.<br />
May glitt wie eine Kreatur der Nacht ganz lautlos auf die zwei<br />
Nichtsnutze zu und ließ die jüngsten Ereignisse noch einmal Revue<br />
passieren.<br />
Sie war ein wenig überrascht gewesen, als sie Luke Skywalker als<br />
Maras ständigen Begleiter und Schoßhund ausgemacht hatte. Ihr<br />
war bewusst gewesen, dass Enyth dumm genug gewesen war, sich<br />
auf Esseles Jedi-Gesellschaft an die Fersen zu heften, doch sie hatte<br />
nicht erwartet, dass es direkt der Meister des Ordens sein würde,<br />
der dem verlausten, nunmehr toten, Twi'lek hinterher jagte. Doch<br />
letztendlich hatte sich der Jedi-Meister als überaus nützlich<br />
erwiesen. Immerhin hatte er Jade nach Belderone geführt – was er<br />
auch wieder nur Enyths Dummheit verdankte – und war<br />
anschließend brav, jedoch auffällig wie eine leuchtende<br />
Reklametafel, hinter Jade hergelaufen. Er hatte nicht einmal<br />
bemerkt, dass er selbst einen Verfolger hatte, so sehr war er auf Jade<br />
fixiert gewesen. Nur hin und wieder war er für einen kurzen<br />
Augenblick in die Macht abgetaucht und damit aus Mays Blickfeld<br />
verschwunden, doch es hatte nie besonders lange gedauert, bis er<br />
wieder auftauchte. Für einen Moment fragte May sich, ob Skywalker<br />
wohl besondere Gefühle für Jade hatte, doch irgendwie schien ihr<br />
der Gedanke absurd. Wer könnte Mara Jade schon lieben? Jetzt<br />
hoffte May nur, dass ihre Gegenspielerin das nächste Rätsel, dass sie<br />
ihr praktisch vor die Füße geworfen hatte, entziffern und dem<br />
Hinweis nachgehen würde.<br />
May trat in den schummrigen Lichtkegel der Straßenbeleuchtung.<br />
Laz und Avarice strafften im selben Moment die Schultern<br />
und May bemerkte, dass beide wieder einmal nach Alkohol rochen.<br />
61
"Gar nicht mal übel, Jungs.", kommentierte sie humorlos, "Hättet<br />
ihr euch noch ein bisschen mehr in die Hosen gemacht, wärst ihr<br />
von Skywalker filetiert worden."<br />
"Ey, Mann, ey, May, hö' ma', echt, wir ham ja nich' geahnt, dass<br />
sie 'nen Jedi dabei hat!" rief Avarice und hob abwehrend die Hände.<br />
May unterdrückte ihrerseits ein frustriertes Seufzen. Wenn sie nicht<br />
schon Pläne für diese beiden Nichtsnutze hätte, wären sie auf der<br />
Stelle von ihr umgeblastert worden. Dann wäre zumindest ein<br />
Problem gelöst, in diesem Falle gestorben. Aber was nütze es, sich<br />
aufzuregen. May hatte erreicht was sie wollte, und das allein war<br />
wichtig. Abgesehen davon hatte sie nie wirklich erwartet, dass Laz,<br />
Avarice und Kostryka Plan A erfolgreich umsetzen würden.<br />
"Aber muss'est du gleich den arm'n Enyth wegpusten?" fragte<br />
Laz und deutete mit dem Finger auf sie. "Das war nich' nett!"<br />
"Haltet die Klappe", herrschte sie Laz und Avarice an, "Seid froh,<br />
dass ich vor euch stehe und nicht der König. Der hätte Enyth<br />
erschossen und anschließend auf seinem Grab getanzt."<br />
"Du meins', schreiend un' brüllend un' so?" fragte Laz mit<br />
Abscheu in der Stimme.<br />
"Dem hätt' ich in'n Arsch getreten!", meinte Avarice. "Enyth<br />
war'n guter Mann."<br />
"Wie auf immer,", sagte May und machte eine beiläufige Geste,<br />
"Er ist im Dienste der Pirate gestorben. Sehr erstrebenswert. Und<br />
jetzt werden wir den Shuttle nehmen und zurück zum<br />
Sammeltreffpunkt fliegen. Danach erhaltet ihr neue Anweisungen."<br />
Laz und Avarice tauschten nervöse Blicke aus, wagten es aber<br />
nicht, irgendetwas zu erwidern. Immerhin hatten sie gerade den<br />
'König' beleidigt. Und so trotteten sie May hinterher, die das kleine<br />
Trio durch das unübersichtliche Straßengeflecht führte, als wäre sie<br />
hier zuhause.<br />
Sie verließen die Stadt und mittlerweile schimmerten die ersten<br />
Anzeichen des bevorstehenden Sonnenaufgangs am Firmament. Vor<br />
ihnen erstreckte sich eine Landschaft von karger Schönheit. Nur<br />
wenige Schwarzdorn-Akazien säumten den sandigen Boden, aus<br />
dem hier du da ein kleiner Busch emporwuchs. May nahm ihr<br />
62
Fernglas vom Gürtel und überprüfte die Umgebung, fand jedoch<br />
nichts als eine Schlange, die in der Nähe auf einem Felsen döste.<br />
Sie seufzte zufrieden, als der frische Wind durch ihre kinnlangen,<br />
schwarzen Haare strich.<br />
"Es ist nicht mehr weit", informierte sie Laz und Avarice und<br />
ging dann zügig weiter. Die beiden schienen mittlerweile ziemlich<br />
ausgelaugt zu sein, denn sie stützten sich gegenseitig oder rüttelten<br />
den jeweils anderen kräftig durch, wenn er kurz davor war<br />
einzuschlafen.<br />
Schließlich machten sie Halt. Hier war der Sand sprödem,<br />
aufgesprungenem Lehmboden gewichen, der am Tage der Sonne<br />
schutzlos ausgeliefert war.<br />
"Sin' wir endlich da?" fragte Laz träge.<br />
May betätigte ihr Comlink. "Wir sind zurück", sagte sie ein wenig<br />
ungeduldig. Einige Sekunden vergingen, dann erlosch die<br />
Tarnvorrichtung des Shuttles mit einem leisen Surren. May<br />
scheuchte die beiden Piraten hinein – die sich sofort in der Messe<br />
breit machten und laut schnarchend in einen komatösen Zustand<br />
hinüber glitten – und machte sich auf den Weg zum Cockpit. "Wir<br />
können los", verkündete sie ohne Einleitung und ließ sich auf den<br />
Copilotensitz fallen.<br />
Der devorianische Pilot gab eine Reihe unverständlicher Laute<br />
von sich, hämmerte auf die Konsole ein und eine Sekunde später<br />
erwachten die Repulsoren zum Leben.<br />
Zufrieden lehnte May sich zurück, griff in die Brusttasche ihres<br />
Anzugs und zog eine lange, silbrig weiße Kette hervor, an der ein<br />
kreisrundes Geflecht aus selbigem Material hing. Sie drehte den<br />
Anhänger zwischen ihren Fingern und bewunderte die kunstvolle<br />
Fertigung. Haardüne Fäden aus Perlmuttkristall waren so dicht<br />
miteinander verwebt, dass das Geflecht mehr wie eine Medaille oder<br />
eine Münze wirkte. Seltsam, dass etwas so Kleines ein so großes<br />
Geheimnis bewahren kann, dachte sie und strich sanft über das<br />
Medaillon.<br />
Ein kalten Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie daran dachte,<br />
dass Mara Jade eben jenes Geheimnis für sie entschlüsseln würde.<br />
63
Und dann würde sie endlich Rache üben, würde ihre Genugtuung<br />
bekommen, in vielerlei Hinsicht.<br />
Von diesem glücklichen Gedanken erfüllt, schloss May die<br />
Augen, spürte, wie der Shuttle in den Himmel über Belderone<br />
aufstieg, und ließ sich vom Schlaf übermannen.<br />
„HIER, BITTE SCHÖN.“<br />
Mara starrte den dampfenden Becher an, den Skywalker ihr<br />
hinhielt. „Was ist das?“<br />
„Heiße Schokolade", erwiderte er und zog die Augenbrauen<br />
voller Verwunderung nach oben. „Wieso? Haben Sie Angst ich<br />
könnte Sie vergiften?“<br />
Mara verzog ungehalten den Mund, nahm den Becher dann<br />
jedoch schweigsam an und trank einen Schluck. Skywalker ließ sich<br />
mit einem Seufzen neben sie in den Copilotensessel fallen und<br />
starrte gedankenverloren auf die Umrisse der alten Hauptstadt<br />
hinaus. Streifen von Purpur und Lavendel zeigten sich am Horizont<br />
und kündeten den neuen Tag an, während sie schweigend<br />
nebeneinander saßen. Und so blieb es, bis auf R2-D2s mechanisches<br />
Tuten und Gurren, ruhig. Der Astromech hatte sich in die Output-<br />
Buchse des Bordcomputers eingeklinkt und durchsuchte die<br />
öffentlichen <strong>Archiv</strong>e und das HoloNet nach Informationen über die<br />
schwarzen Splitter, die Luke und Mara aufgesammelt hatten.<br />
Beide waren noch immer verwundert darüber, dass die Jade's Fire<br />
bei ihrer Rückkehr absolut unberührt gewesen war. Niemand hatte<br />
während ihrer Abwesenheit besonderes Interesse an dem Schiff<br />
bekundet, noch versucht, sich gewaltsam Zugang zu verschaffen.<br />
Das hatte nicht nur Maras eindringliche Untersuchung ihres<br />
geliebten Schiffes ergeben, auch die Aufzeichnungen der<br />
Hafenbehörde hatten dies bestätigt. Erst nachdem sie sich<br />
einhundertprozentig sicher waren, dass alles in Ordnung war, hatte<br />
Mara einer Dusche zugestimmt.<br />
Und so saßen sie nun da: Sie mit einem Becher heißer Schokolade<br />
und die nassen Haare in ein Handtuch gewickelt, er in seinem<br />
schwarzen Overall, einen Splitter zwischen den Fingern drehend,<br />
64
den Blick in die Ferne gerichtet. Mara hatte immer noch das Gefühl<br />
nach einem Abflussrohr zu riechen, obwohl sie fast eine Stunde lang<br />
den Schlamm von sich herunter geschrubbt hatte.<br />
Immerhin, dachte sie trocken, habe ich so die Tönung wieder aus den<br />
Haaren bekommen.<br />
Mara spürte einen unangenehmen Knoten in ihrem Magen, als<br />
wollte sich etwas darin seinen Weg ins Freie suchen. Ihr war, als<br />
müsste sie etwas zu ihrem grandios misslungenen Plan und zu ihrer<br />
Verteidigung sagen, auch wenn Skywalker weder durch seine<br />
Haltung, noch durch eine einzige Silbe danach verlangt hatte. Aber<br />
vielleicht war es gerade das, was ihr so missfiel. Auf der anderen<br />
Seite wurde sie das Gefühl nicht los, dass dies nicht länger eine<br />
Mission der Schmugglerallianz oder der Jedi war. Irgendetwas<br />
schien sie, Mara persönlich, in diese Ereignisse verstricken zu<br />
wollen, doch sie konnte beim besten Willen nicht sagen was.<br />
Sie nahm einen weiteren Schluck Schokolade. Es war wirklich<br />
frustrierend.<br />
"Ich hoffe, R2s Analyse hilft uns weiter", sagte sie und sie wusste,<br />
es war ein lahmer Versuch Konversation zu machen. Schließlich<br />
mussten sie sich nun beratschlagen, wie diese wilde Banthajagd<br />
weiter gehen sollte. Skywalker brummte eine Zustimmung und<br />
betrachtete weiter den Splitter in seiner Hand, als könnte er dadurch<br />
das Rätsel lösen.<br />
„Ist Ihnen aufgefallen, dass die Splitter nicht aus Metall sind?“<br />
fragte er beinahe beiläufig, als Mara ihren Becher fast ganz geleert<br />
hatte.<br />
„Woraus sollten sie sonst sein, wenn nicht aus Metall?“ fragte sie<br />
und platzierte das Trinkgefäß vorsichtig auf der abgeschalteten<br />
Navigationskonsole neben sich.<br />
Luke zuckte mit den Schultern und sprach ohne sie anzusehen:<br />
„Keine Ahnung, aber es fühlt sich nach keinem Metall und keiner<br />
Legierung an, dass ich kenne.“<br />
„Die Galaxis ist groß, Skywalker“, meinte sie und klang dabei<br />
mürrischer, als sie wollte. Aber das reichte wohl, um seine<br />
Aufmerksamkeit wieder auf sie zu lenken. Er sah sie mit seinen<br />
blauen Augen durchdringend an.<br />
65
„Ich habe Ihnen gleich gesagt, dass ich es für keine gute Idee<br />
halte", meinte er ruhig, "aber was geschehen ist, ist geschehen.“<br />
Sie spürte, wie sich der Knoten in ihrem Magen enger zog und<br />
Zorn in ihr hoch wallte. Und offensichtlich konnte er es auch spüren,<br />
als sie sich ihm plötzlich zuwandte und seinen Blick offen erwiderte.<br />
„Schon gut! Sie hatten Recht, ich Unrecht. Ich hätte auf den<br />
großen, weisen Jedi-Meister hören sollen, anstatt auf mein inneres,<br />
einfältiges, törichtes Stimmchen oder weibliche Intuition. Zufrieden?<br />
Kein Grund mich daran zu erinnern!“, schleuderte sie ihm entgegen.<br />
"Zufrieden?" fragte er und klang weniger beleidigt, als vielmehr<br />
mitfühlend. "Ganz und gar nicht. Ich halte Sie weder für einfältig<br />
oder töricht. In der Tat haben sich ihre Instinkte in der<br />
Vergangenheit als äußerst zuverlässig erwiesen. Dieses Mal haben<br />
Sie sich bloß verschätzt."<br />
"Eine Fehleinschätzung kommt in meiner Branche einem<br />
Todesurteil gleich", kommentierte sie.<br />
"Jeder macht Fehler", beharrte Skywalker.<br />
"Dann häufen sie sich bei mir in letzter Zeit. Und zwar<br />
auffallend."<br />
"Könnten Sie bitte aufhören, sich selber fertig zu machen?"<br />
"Und was ist, wenn ich gerade Lust dazu habe?" konterte Mara,<br />
doch sie wusste in einer entfernten Ecke ihres Bewusstseins, dass sie<br />
sich wie ein bockiges Kind anhörte. Aber im Moment wollte sie<br />
nichts mehr, als ein bisschen Dampf ablassen, und wenn er das nicht<br />
ertragen konnte, stand es ihm frei zu gehen. Sie wäre die Letzte, die<br />
versuchen würde ihn davon abhalten. "Halten Sie lieber die Luft an,<br />
sonst klingen Sie gleich noch wie einer dieser romantisch<br />
unterbelichteten HoloNet-Prediger, die einem weismachen wollen,<br />
sie könnten mit Göttern reden."<br />
Sie hörte, wie er einen tiefen, kontrollierten Atemzug tat und sich<br />
dann wieder schweigend zurück lehnte, um die Landschaft zu<br />
betrachten. Die purpurnen Flecken breiteten sich immer weiter aus<br />
und machten Platz für ein helles, klares Blau, vermischt mit den<br />
ersten, gelbgoldenen Strahlen der Sonne.<br />
Mara folgte seinem Blick, ein wenig enttäuscht, dass er so schnell<br />
nachgegeben hatte, und starrte auf die Stadt hinaus.<br />
66
"Was finden Sie nur an diesem Ausblick?" fragte sie nach einer<br />
Weile. Unter anderen Umständen hatte sie den Sonnenaufgang<br />
vielleicht als hübsch empfunden, aber sie fühlte sich taub, als könnte<br />
sie die Schönheit nicht mehr wahrnehmen.<br />
Er verzog den Mund zu einem sardonischen Lächeln.<br />
"Sie haben wohl nicht viel für Romantik übrig, oder?"<br />
"Ich habe in meinem Leben keine Zeit für Romantik und ich lege<br />
auch keinen besonders großen Wert darauf", sagte sie streng. "Sie<br />
hingegen sind noch zu sehr mit Ihrer Callista beschäftigt, um..."<br />
Sie hielt inne, als sie sah, wie sich seine Miene kaum merklich<br />
verfinsterte, und wusste, dass sie einen empfindlichen Punkt<br />
getroffen hatte.<br />
"Sie halten mich also auch für romantisch unterbelichtet, ja?" fragte<br />
er und die Verärgerung schwang deutlich in seiner Stimme mit.<br />
"Ich sage nur, dass Sie immer noch Ihrem Mädchen nachtrauern,<br />
auch wenn sie nach Nam Chorios was anderes behauptet haben",<br />
konterte sie. "Sie machen sich etwas vor und trösten sich mit<br />
lächerlichen Poesiealbums-Sprüchen darüber hinweg, dass das<br />
Leben nicht fair ist. Vielleicht verbringen Sie deshalb so viel Zeit mit<br />
den Solo-Kindern, weil Sie so Ihre zerstörten Familienträume<br />
kompensieren können. Und vielleicht brauchen Sie sogar das<br />
Praxeum selbst, um ihr Ego zu stärken."<br />
Sie sah, wie sich Fassungslosigkeit auf seinem Gesicht<br />
ausbreitete. Er starrte sie an, als hätte sie ihn soeben geohrfeigt und<br />
seine Wangen röteten sich. Langsam er lehnte sich in seinem Stuhl<br />
vor.<br />
"Passen Sie auf, was Sie sagen, Jade", meinte er hitzig.<br />
Offensichtlich verlangte es ihm gerade all seine Jedi-Geduld ab, um<br />
sein eigenes Temperament im Zaum zu halten.<br />
Ein Funkeln trat in Maras Augen. "Das hier ist doch eine freie<br />
Galaxis, also darf ich ja wohl auch meine Meinung äußern, oder?"<br />
Auf eine nahezu sadistische Art und Weise amüsierte sie seine<br />
Verärgerung. Es war einfach köstlich zu sehen, dass sich Luke<br />
Skywalker immer noch aus der Reserve locken ließ.<br />
"Ja, schon", gab er zu und schob das Kinn trotzig nach vorne,<br />
sichtlich um Diplomatie bemüht. "Aber..."<br />
67
Mara hätte gern noch gehört, welches Gegenargument Skywalker<br />
zu seiner Verteidigung vorzubringen gedachte. Dank R2-D2 kam es<br />
nie dazu.<br />
Der Astromech-Droide war schneller, schob sich mit größter<br />
Beharrlichkeit zwischen die Sitze der beiden Streithähne und<br />
übertönte seinen Meister mit einer Reihe von aufgeregten Piepsern<br />
und Heulern. Skywalker verzog den Mund und legte R2-D2<br />
beruhigend eine Hand auf die blaue Kuppel. "Schon gut, R2."<br />
"Was hat er gesagt?" verlangte Mara zu wissen.<br />
"Das er mit der Analyse fertig ist", erwiderte Skywalker trocken,<br />
doch sie wusste, dass das nicht alles gewesen sein konnte.<br />
"Und weiter?" bohrte sie.<br />
Skywalker warf ihr einen Blick zu. Seine Wut schien wieder<br />
verflogen, was zurück blieb, war bloße Resignation.<br />
"Hat Ihnen schon mal jemand gesagt, dass Sie verdammt<br />
anstrengend sein können?" fragte er trocken und wandte sich wieder<br />
R2 zu, wodurch er Maras tödlichem Blick entging. Er beugte sich<br />
vor, löste die Abdeckung des Mainframe-Prozessors und verband<br />
R2 über ein Kabel mit einem der freien Ports.<br />
Mara hingegen presste die Lippen aufeinander. Vielleicht sollte<br />
sie es fürs Erste dabei belassen.<br />
Auf dem Holo-Bildschirm erschien eine exakte, detailgetreue<br />
Abbildung eines Splitters, kurz darauf erschienen die Titel mehrerer<br />
Einträge dazu im HoloNet. Skywalker bat seinem Astromech-<br />
Droiden, den ersten Eintrag aufzurufen.<br />
Die 'Steinerne Blume' (mandalor.: Oriaans, selk.: Xchulthu) zählt zur<br />
Pflanzengattung der Blüten-Gewächse und ist ausschließlich in der<br />
südlichen Steppe des Planeten Dantooine zu finden. Ihren Namen verdankt<br />
sie einer ihr eigenen Fähigkeit bei der Reproduktion. In ihrer Keimzeit<br />
während eines milden Frühlings ist die Blüte ungeöffnet, Stiel und Blätter<br />
erscheinen weiß. Während ihres Wachstums entwickelt sich das<br />
Chlorophyll entlang des Stiels, die Blüte öffnet sich. Die Farbgebung der<br />
Blüte kann unterschiedlich sein, je nachdem, mit welcher Untergattung die<br />
Spender-/Eltern-Generation gekreuzt wurde. Gelbrote und blaugrüne<br />
Verläufe zählen zu den am häufigsten auftretenden Blütenfarben. Am Ende<br />
68
des Herbstes beginnt der Degenerationsprozess und damit die<br />
Reproduktion, bei der Stiel und Blätter eine gelbliche Farbe annehmen. Die<br />
Blüte bleibt geöffnet, verändert jedoch ihre genetische Struktur. Primäre<br />
Merkmale wie die Form bleiben erhalten, jedoch ereignet sich ein spontaner<br />
Wandel in der Decodierung der DNS. Die pflanzeneigenen Proteine<br />
zersetzen die zellularen Membranen und Zellwände und bauen sie neu<br />
zusammen, so dass sich eine wetterresistente, feste Außenhülle bildet. Ist<br />
ein Blütenblatt vollständig umgewandelt, wird es abgeworfen. Im Inneren<br />
ist die Erbinformation sicher abgespeichert.<br />
Bereits während der Mandalorianischen Kriege wurden die gehärteten<br />
Blütenblätter bei zeremoniellen Bestattungsriten, als Schmuck und als<br />
Werkzeugbestandteil verwendet. Durch Plünderer und mandalorianische<br />
Söldner verbreiteten sich einzelne Arten auch auf Mandalore und im<br />
Manaan-System, wo sie jedoch rasch wieder ausstarben. Aufgrund ihrer<br />
außerordentlichen Seltenheit und der schwachen Reproduktion der Pflanze<br />
in der freien Natur von Forschungsbeauftragten und Paläobotanikern der<br />
Neuen Republik als äußerst gefährdet eingestuft...<br />
Als sie beide geendet hatten, warf Skywalker ihr einen fragenden<br />
Blick zu, als warte er darauf, dass sie ihre Meinung kundtat.<br />
Mara biss sich auf die Lippen und dachte angestrengt nach. Also<br />
waren die schwarzen Splitter keine Metallfragmente, sondern<br />
verwelkte Blütenblätter. Aber warum sollte jemand nach einem<br />
Attentat mit Blütenblättern um sich werfen? Sie konnte sich nicht<br />
vorstellen, dass es sich dabei um einen 'zeremoniellen<br />
Bestattungsritus' handelte. Auch hatte die Gestalt keins der<br />
typischen Merkmale eines Mandalorianers gezeigt, was vielleicht<br />
eine andere Verbindung zur Oriaans-Pflanze hergestellt hätte. Nein,<br />
es war etwas anderes.<br />
Sie erinnerte sich an den Schauer, der über ihren Rücken<br />
gekrochen war, als sich ihre Blicke getroffen hatte. Sie kannte diese<br />
Person und sie war hinter Mara her.<br />
"May sagte, dass Sie gut sein würden."<br />
Es durchzuckte sie wie ein heftiger Energiestoß, als sie sich an<br />
Kostrykas Worte erinnerte.<br />
69
Konnte das sein? Die Person auf dem Dach, konnte es sein, dass<br />
es May Lynn Montross gewesen war?<br />
Hatte Kostryka von ihr gesprochen?<br />
Wenn ja, was wollte May Montross von ihr? Welchen Nutzen zog<br />
sie daraus, Meelam in ihrer Gewalt zu haben?<br />
"Was ist los?" hörte sie Skywalker entfernt fragen. Sie blinzelte<br />
und ihr Herz nahm wieder seine Arbeit auf, nachdem es für eine<br />
Sekunde stehen geblieben war.<br />
Luke sah Mara mit einer Mischung aus ernsthafter Sorge und<br />
Verwunderung an.<br />
"Es ist ein Hinweis", meinte sie nur. "Die Blütenblätter sind ein<br />
Hinweis. Wer auch immer Meelam in seine Gewalt gebracht hat, sie<br />
will, dass wir ihr folgen. Sie wusste, dass wir die Splitter analysieren<br />
würden, genauso, wie sie gewusst hat, dass wir hierher kommen<br />
würden. Das bedeutet, sie wollte, dass wir diesen Eintrag finden,<br />
um uns zum nächsten Ziel zu locken."<br />
"Ich weiß nicht, ob das klug ist, immerhin können wir so leicht in<br />
einen Hinterhalt geraten", warf Skywalker ein und studierte noch<br />
einmal den HoloNet-Eintrag. "Andererseits", seufzte er, "haben wir<br />
sowieso keine andere Wahl."<br />
"Das hier ist meine Mission, Skywalker", erklärte Mara. "Sie<br />
müssen mich nicht begleiten."<br />
"Ich habe gesagt ich komme mit Ihnen, also werde ich bleiben",<br />
sagte er ruhig, aber bestimmt.<br />
Sie nickte bloß. Sie konnte ihn nicht zwingen zu bleiben, aber sie<br />
konnte ihn ebenso wenig dazu zwingen zu gehen. Nun, so musste<br />
sie wenigstens nicht allein durch diesen Schlamassel und vier Augen<br />
sahen bekanntlich mehr als zwei.<br />
Mara spürte ein seltsames Kitzeln in ihrer Magengrube. Sie<br />
waren nach Belderone gekommen, um Antworten zu finden, doch<br />
sie hatten stattdessen nur noch mehr Fragen gefunden. Es blieb<br />
ihnen nur übrig dem einzigen, stichhaltigen Beweis nachzugehen:<br />
Dem Herkunftsort der 'Steinernen Blume'.<br />
Also fasste Mara einen Beschluss. Es war egal, was an ihrem Ziel<br />
lauerte oder welches Übel May Montross ihr vielleicht zufügen<br />
wollte, sie durfte jetzt nicht aufgeben. Immerhin musste sie Karrdes<br />
70
Auftrag zu Ende bringen. Und die Antworten würden schon noch<br />
kommen, auf die eine oder andere Weise.<br />
Sie wandte sich der Konsole zu und tippte den Kenncode ein, mit<br />
dem sich die Triebwerke der Jade's Fire starten ließen, wobei Luke<br />
sie aufmerksam beobachtete.<br />
"Dantooine?", fragte er.<br />
Wieder nickte sie. "Dantooine."<br />
71
4: A DIVE INTO THE HEART<br />
SKYWALKER STOCHERTE SCHWEIGSAM IN SEINEM ROHKOSTSALAT AUS<br />
Rupyine-Bohnen und Elion-Paprika herum, die vom Küchenchef in<br />
der einheimischen Variante einer Vinaigrette ertränkt worden<br />
waren. Mara hingegen hatte ihr Nerf-Filet noch nicht einmal<br />
angerührt. Es stand immer noch da und wurde langsam kalt und<br />
Luke hatte es aufgegeben, sie zum Essen zu bewegen.<br />
Sie saßen auf der Dachterrasse eines kleinen, familiär wirkenden<br />
Restaurants ganz in der Nähe ihrer Landebucht. Die Siedlung lag<br />
friedlich zu ihren Füßen da und die Sonne tauchte die Häuser und<br />
Straßen in ein Licht von sanftem Gelb und Rosa. Die Luft war klar<br />
und trug noch die Kühle des vergangenen Winters mit sich. Auf<br />
dem Platz vor dem Restaurant fuhr gelegentlich ein Speeder vorbei<br />
und übertönte damit das leise Stimmengewirr auf der Straße. Der<br />
pastellblaue Himmel über Dantooine wurde nur vom Schleier<br />
kleiner Quellwolken bedeckt. Die Idylle hätte direkt aus einem<br />
Hotelzimmer-Gemälde stammen können.<br />
Mara, ganz versunken in die Lektüre eines Reiseführers, biss sich<br />
konzentriert auf die Unterlippe und versuchte das Szenario auszublenden,<br />
obwohl es angenehm war, nach all den verkommenen<br />
Welten wie Ord Mantell und Belderone solch natürliche Harmonie<br />
zu genießen.<br />
„Und?“, fragte Luke, der gerade eine weitere Gabel Bohnen in<br />
Essig-und-Öl-Sauce herunter geschluckt hatte. „Schon Etwas gefunden,<br />
das uns weiter helfen könnte?“<br />
72
„Nein“, sagte Mara gedankenverloren und wechselte die Karten<br />
in ihrem Datapad.<br />
Vorhin waren sie die einzigen Reisenden in dem winzigen<br />
Hafenbüro gewesen und eigentlich war seit dem alles ruhig und<br />
vollkommen normal verlaufen, auch wenn Skywalkers Erscheinen<br />
bei dem kleinen gedrungenen Mann hinter der Ladentheke fast<br />
einen Herzinfarkt verursacht hatte. Dies war eindeutig zuviel<br />
Prominenz für einen Tag, wie Mara still bei sich gedacht hatte.<br />
Der Hafenleiter selbst – ein schlaksiger Mann zwischen dem<br />
fünfzigsten und sechzigsten Lebensjahr, wie Mara schätzte – war<br />
daraufhin erschienen, um sie in Khoonda City zu begrüßen und sie<br />
mit seiner Ehrerbietung zu überschütten. Nachdem Luke ihm eine<br />
ganze Weile die Hand geschüttelt hatte, war er dann gewillt<br />
gewesen, ihnen einige elektronische Reiseführer und Landkarten der<br />
Umgebung zu verkaufen. „Ich kann Ihnen auch nur herzlichst die<br />
umfangreiche Medienbibliothek unserer Stadtverwaltung<br />
empfehlen. Unsere Geschichte reicht immerhin fast fünftausend<br />
Jahre zurück und selbst die alten Jedi hatten hier einst eine<br />
Enklave!“ hatte er sich, wild gestikulierend, ausgelassen. „Wir<br />
nehmen die hier, danke!“, hatte Mara sich entschlossen eingemischt<br />
und die Credits passend auf die Ladentheke geknallt, ehe Skywalker<br />
sich zu irgendwelchen historischen Ausflügen hinreißen ließ.<br />
Sie hörte, wie Luke seinen Teller leerte und sein Besteck<br />
ordentlich beiseite legte. Der Polsterbezug des Stuhls quietschte, als<br />
er sich zurücklehnte.<br />
„Mein letzter Besuch hier war nicht besonders erfreulich“, sagte<br />
Skywalker mit ernster Miene. „Dabei hatte ich gedacht, dass<br />
Gantoris' Leute hier sicher wären. Kaum zu glauben, wozu Daala<br />
fähig gewesen ist.“<br />
Mara sah von ihrem Datapad auf und zog verwundert die<br />
dünnen Brauen nach oben. Die Unterhaltungen zwischen Luke und<br />
ihr waren seit ihrem Streit auf Belderone genau so unterkühlt<br />
gewesen, wie die Frühlingsbrise, die gerade durch die Gassen<br />
wehte. Sie waren beide höflich, aber distanziert geblieben und<br />
hatten nur miteinander gesprochen, wenn es zwingend notwendig<br />
gewesen war. Die meiste Zeit war Mara ihm aus dem Weg gegangen<br />
73
und hatte sich in ihrer Kabine mit dem Papierkram für die<br />
Schmugglerallianz beschäftigt oder Nachrichten in ihrem Holo-<br />
Postfach beantwortet. Sie hatte es als Vereinbarung mit beidseitigem<br />
Einverständnis aufgefasst, als Skywalker keinerlei Anstalten machte,<br />
das Gespräch mit ihr zu suchen. Offenbar hatte sie falsch gelegen,<br />
denn nichts anderes war diese Äußerung: Der Versuch, ein<br />
Gespräch zu beginnen.<br />
„Wenigstens sind sie für ein paar Tage wirklich glücklich<br />
gewesen“, kommentierte Mara, die sich noch sehr gut an die<br />
Schreckensberichte über die Vernichtung der Eol Sha erinnerte. Sie<br />
selbst hatte vor zwei Jahren die Nachrichten zu Skywalkers Jedi-<br />
Akademie gebracht.<br />
Mara lege das Datapad beiseite und beschloss, ihr nunmehr<br />
lauwarmes Nerf-Filet endlich zu essen. „Vielen Lebewesen ist nicht<br />
einmal das vergönnt. Sie sollten sich deswegen keine Vorwürfe<br />
machen.“<br />
Mara wartete nur auf sein „Das tue ich doch gar nicht!“, doch zu<br />
ihrer Überraschung nickte Skywalker bloß und ließ es dabei<br />
bewenden.<br />
„Wir haben also keine näheren Hinweise?“ hakte er nach.<br />
Mara spülte einen trockenen Bissen Fleisch mit einem Schluck<br />
Wasser hinunter. „Nein, haben wir nicht.“<br />
„Aber es muss doch irgendetwas in diesem Reiseführer gestanden<br />
haben, oder?“<br />
„Ja, das schon", erwiderte Mara und spießte einige<br />
Kartoffelscheiben auf ihre Gabel auf, „zum Beispiel, dass Khoonda<br />
City eine von drei befestigten Siedlungen auf Dantooine ist; dass 67<br />
Prozent der Festlandvegetation aus Steppe besteht und dass<br />
zwischen dem fünften und dem achten Monat die Regenzeit<br />
einsetzt. Ansonsten ist Dantooine hauptsächlich von Nomaden<br />
bevölkert. Die zerstörte Rebellenbasis, die Ruine einer alten Jedi-<br />
Enklave und ein dunkler Hain aus Steinen zählen zum galaktischen<br />
Kulturerbe der Alten Republik und einmal alle vierundzwanzig<br />
Monate findet eine traditionelle Iriaz-Jagd statt. Wollen Sie noch<br />
mehr hören?“<br />
Er blinzelte sie an.<br />
74
„Äh, nein... danke“, sagte er langsam, als müsse er die ganzen<br />
Informationen erst einmal abspeichern. „Haben Sie denn auch schon<br />
eine Idee, was wir als nächstes tun sollen?“<br />
„Zuerst“, antwortete sie zwischen zwei Bissen, „werde ich<br />
aufessen. Dann werden wir unsere Rechnung bezahlen. Und danach<br />
bin ich für jeden Vorschlag offen, den Sie mir anbieten können.“<br />
Seine Mundwinkel zogen sich kaum merklich nach oben.<br />
Und so wartete er geduldig, bis sie ihre Mahlzeit ebenfalls<br />
beendet hatte, dann beglichen sie beim Wirt ihre Rechnung und<br />
traten hinaus auf den kleinen, runden Platz. Einige der Passanten<br />
warfen ihnen prüfende Blicke zu, da sie als Einzige nicht in blass<br />
gefärbten Leinenstoffen gewandet waren wie die Einheimischen.<br />
Skywalker kam mit seiner sandfarbenen Jedi-Robe dem lokalen<br />
Kleidungsstil schon nahe, doch Mara in ihrem schwarzen Bodysuit<br />
fiel völlig aus der Reihe.<br />
Sie wandten sich nach links und bogen in eine breite<br />
Fußgängerzone ein. An kleineren Ständen und in den Läden wurden<br />
importierte Waren von allen Welten des Middle und Outer Rim<br />
angeboten. Gelegentlich stand eine Hand voll Menschen vor einem<br />
der Stände und unterhielt sich angeregt.<br />
„Erinnert mich an Anchorhead“, warf Skywalker beiläufig ein,<br />
„nur nicht ganz so staubig und trocken. Wenn die Ernte auf der<br />
Feuchtfarm vorbei war, sind Onkel Owen und ich immer in die<br />
Stadt gefahren, um Geschäfte zu machen. Das waren in meiner<br />
Jugend die besten Tage des ganzen Jahres.“<br />
„Auf gewisse Weise sind doch alle Hinterwäldler-Systeme<br />
irgendwie ähnlich, oder nicht?“ fragte Mara, blieb stehen und besah<br />
sich einen Korb voll Barabelfrüchte. „Sie sind oft isoliert, haben eine<br />
schwache Infrastruktur und Industrie... aber das gehört wohl zu<br />
ihren Charme.“<br />
„Charme?“ wiederholte Luke ungläubig. „Ich wüsste nicht, was<br />
an Tatooine charmant sein sollte, auch wenn es weit schlimmere Orte<br />
in dieser Galaxis gibt.“<br />
„Sie sind dort aufgewachsen, Sie können das nicht verstehen“,<br />
meinte Mara und zählte ein paar Creditmünzen in die Hand des<br />
Obsthändlers. „Für jemanden, der auf Coruscant groß geworden ist,<br />
75
kann diese Ruhe und Abgeschiedenheit sehr erholsam sein.<br />
Zumindest gelegentlich.“<br />
Sie nahm zwei Barabelfrüchte vom Obsthändler entgegen und<br />
drückte Luke eine davon in die Hand, als sie weitergingen.<br />
„Und ich dachte immer, Sie bräuchten ständig Action und so<br />
weiter“, sagte Skywalker, „schließlich haben Sie es auch nicht lange<br />
auf Yavin 4 ausgehalten.“<br />
„Ich kann es nicht ertragen völlig von der Außenwelt<br />
abgeschnitten zu sein, wenn ich genau weiß, dass ich da draußen<br />
sein sollte, um mit anzupacken. Ich kann nicht tatenlos daneben<br />
stehen, während die gesamte Republik sich in einem politischen<br />
Dilemma verstrickt“, erklärte Mara ruhig und biss ins saftige,<br />
violette Fleisch der Barabelfrucht. „Das ist etwas vollkommen<br />
anderes, als sich in Zeiten des Friedens für ein paar Tage zurück zu<br />
ziehen und seinen Kopf frei zu bekommen.“<br />
„Ich verstehe, was Sie meinen“, stimmte Luke mit einem<br />
humorlosen Lächeln zu, „nur, dass es selten eine Zeit des Friedens<br />
gibt, in der man sich ausruhen könnte.“<br />
Mara nickte: „Das ist das Problem. Und wir sind ja auch nicht<br />
hierher gekommen, um Urlaub zu machen, oder? Auch wenn ich<br />
beim besten Willen nicht sagen kann, was genau wir hier vorfinden<br />
sollen.“<br />
Der Gedanke geisterte ihr schon seit dem Moment, da sie ihr<br />
Schiff verlassen hatte, durch den Kopf.<br />
Welchen Sinn sah May darin, sie hierher zu locken?<br />
Oder machte sich Montross nur einen abgöttischen Spaß daraus,<br />
Mara ohne Sinn und Verstand umherirren zu sehen?<br />
Sie bogen in eine weitere, noch breitere Straße ein. Zwischen den<br />
Häusern waren hier kleine Bäumchen gepflanzt worden, die das<br />
Stadtbild ein wenig auflockerten.<br />
„Scheint die Hauptstraße zu sein“, vermutete Luke und sah nach<br />
oben.<br />
Entlang der Straße waren Girlanden aufgespannt worden, die<br />
über und über mit Blüten besetzt waren. Die Farben und Formen<br />
waren zahllos. Selbst an den Bäumstämmen und an den<br />
Eingangstüren der Läden ringelten sich Blumengirlanden und<br />
76
ergaben ein farbenfrohes, aber dennoch geordnet wirkendes<br />
Durcheinander.<br />
Vor ihnen jagten sich sechs Kinder, drei Jungen und drei<br />
Mädchen, gegenseitig über die Straße und warfen mit Blütenblättern<br />
um sich. Alle Erwachsenen drehten die Köpfe und schauten den<br />
Kindern mit einer Mischung aus Staunen und Wohlwollen hinter.<br />
Mara blieb stehen und sah interessiert dabei zu, wie eines der<br />
Mädchen zu einer älteren Frau hinging und ihr eine einzelne Blume<br />
anbot. „Danke dir, mein Kind“, sagte die Frau mit knarrender<br />
Stimme. „Richte deiner lieben Mutter einen Gruß von mir aus.“<br />
Das Mädchen grinste breit und hüpfte dann weiter die Straße<br />
entlang, kam langsam in Maras und Lukes Richtung.<br />
Erst als sie knappe drei Meter von ihnen entfernt war, blieb das<br />
Mädchen stehen und starrte erst Luke, dann Mara an und taxierte<br />
sie von Kopf bis Fuß. Der Grinsen auf ihrem Gesicht erstarb.<br />
„Euch hab' ich hier aber noch nie gesehen“, stellte das Mädchen<br />
fest. „Seid ihr beide Außenweltler?“<br />
Mara zog die Augenbrauen hoch und warf Skywalker einen<br />
prüfenden Blick zu. Dieser lächelte sanft und ging in Knie, um mit<br />
dem Mädchen auf Augenhöhe zu sein.<br />
„Ja, wir sind nur zu Besuch hier“, bestätigte Luke und bot dem<br />
Mädchen seine Hand an. „Ich bin Luke und das hier ist...“, er<br />
machte eine Pause, als suche er nach der richtigen Bezeichnung, als<br />
was genau er die Frau neben sich vorstellen sollte, „das hier ist<br />
meine Kollegin Mara. Wie ist dein Name?“<br />
Bedächtig musterte sie Luke eingehend, unterzog dann erneut<br />
Mara einer gründlichen Prüfung und schüttelte schließlich Lukes<br />
Hand.<br />
„Ich bin Seena.“<br />
„Hallo, Seena“, antwortete Skywalker und lächelte noch breiter.<br />
„Das ist wirklich ein hübscher Name.“<br />
Mara verzog angesichts von Skywalkers rührigen Worten<br />
belustigt den Mund und verbarg ihre Grinsen hinter einer<br />
vorgehaltenen Hand. Wenn er den Kinderflüsterer spielen wollte<br />
würde sie ihn nicht davon abhalten.<br />
77
Das Mädchen kicherte verlegen und schwang mit dem<br />
Blumenkorb hin und her.<br />
„Kennst du dich gut mit Blumen aus, Seena?“ fragte Luke und<br />
nickte in Richtung Korb.<br />
Seena nickte äußerst enthusiastisch.<br />
„Jedes Jahr nach der Ernte gibt es ein großes Fest und überall<br />
werden Blumen aufgehängt. Das ist viel Arbeit, ich helfe immer.“<br />
„Dann hast du doch sicher schon einmal so etwas hier gesehen,<br />
oder?“ fuhr Skywalker fort und fingerte eins der 'versteinerten'<br />
Blütenblätter aus seiner Gürteltasche. Seena starrte das Blatt eine<br />
Weile an, musterte es genauso intensiv und eindringlich wie Luke<br />
und Mara.<br />
„Wer solche Blumen haben will“, sagte Seena schließlich, „der<br />
muss zu Sarzamin Saia gehen.“<br />
DIE SANDSTEINFARBENE FASSADE UND DIE EINFACHE RUNDE ARCHItektur<br />
ließen das Haus und damit Sarzamin Saias Geschäft<br />
ungewöhnlich klein aussehen, doch als Mara, Skywalker und Seena<br />
den Laden schließlich betraten, blieb sie einen Moment lang voller<br />
Verblüffung stehen. Der Blumenladen entpuppte sich als ein<br />
einziger, riesiger Garten, der viel breiter zu sein schien, als das<br />
Gebäude von außen vermuten ließ. Die Wände waren so voll mit<br />
Blumen, Büschen, Sträuchern, Gestecken und anderen botanischen<br />
Kunstwerken, dass die Regale auf denen sie standen, nicht mehr zu<br />
erkennen waren. Die Luft war nun feuchter und dicker als auf der<br />
Straße und war mit vielen, exotischen Düften geschwängert, die<br />
Mara unentwegt die Nase kitzelten, während das Mädchen sie<br />
zwischen Tischen voller Blumensträuße und Topfpflanzen durch<br />
den Laden führte. Seena schlich durch die Regalreihen, als wären sie<br />
ihr Zuhause.<br />
Skywalker setzte sich in Bewegung und folgte dem Mädchen auf<br />
Schritt und Tritt, Mara schlenderte als Schlusslicht hinter ihnen her.<br />
Sie passierten eine Glastür und fanden sich in einem Gewächshaus<br />
wieder. Flache, breite Tische voll Blumenerde, Dünger und<br />
Kräuterbeete schienen vom Eingang bis zur rückwärtigen Wand zu<br />
78
eichen. Mittendrin hockten drei Frauen und ein älterer Mann und<br />
jäteten Unkraut. Alle vier trugen khakifarbene Tuniken, dicke<br />
Gärtnerhandschuhe und einen Strohhut, der sie vor der künstlichen<br />
Bestrahlung von der Decke schützte.<br />
„Sarza!“ rief das Mädchen und ruderte heftig mit beiden Armen,<br />
um auf sich aufmerksam zu machen. „Sarza, ich hab' Besuch<br />
mitgebracht!“<br />
Die vier fleißigen Gärtner hielten in ihrem Tun inne und richteten<br />
sich langsam, fast mühselig auf. Der Mann rückte sich den Strohhut<br />
zurecht, wodurch seine dichten, buschigen, grauen Augenbrauen<br />
zum Vorschein kamen. Dann flüsterte eine der Frauen – klein und<br />
ein wenig dicklich – den anderen etwas zu, worauf sie ihre Arbeit<br />
mit akribischer Genauigkeit fortsetzten.<br />
Sarzamin Saia wirkte wie eine strahlend schöne Blume, die sich<br />
langsam dem Herbst ihres Lebens näherte. Um die Augen und den<br />
Mund herum, waren die ersten Fältchen zu erkennen und auch<br />
einige silbrig-weiße Strähnen hat sich wie Fäden durch ihren brauen<br />
Schopf gezogen. Doch obwohl sie wie eine Frau wirkte, die in ihrem<br />
Leben viel gelacht hatte, sah sie nun ernst und forschend drein,<br />
während sie sich ihren Weg durch die Beete zu ihnen bahnte.<br />
Anders als die beiden Männer von der Hafenbehörde, schien sie<br />
durch Skywalkers Anwesenheit ganz und gar beeindruckt.<br />
Seenas Laune hingegen schien sich durch nichts trüben zu lassen<br />
und sie herzte Saia heftig, als diese das wartende Grüppchen<br />
erreichte. Mara warf Skywalker einen flüchtigen Seitenblick zu und<br />
wartete darauf, dass er etwas sagte, doch er lächelte nur selig vor<br />
sich hin.<br />
Dann wandte Sarzamin Saia ihre Aufmerksamkeit den beiden<br />
Jedi zu. Mit einer Hand nahm sie den Strohhut ab und zog dabei die<br />
Augenbrauen so heftig zusammen, dass sich auf ihrer Stirn eine<br />
senkrechte Furche bildete. Sie schien nicht besonders erfreut über<br />
ihren Besuch.<br />
„Guten Tag“, sagte Mara schließlich. „Ich hoffe, wir stören Sie<br />
nicht bei der Arbeit. Seena hat uns geraten, uns an Sie zu wenden.<br />
Ich bin…“<br />
79
„Schon gut“, erwiderte Saia und wedelte mit einer behandschuhten<br />
Hand, „ich weiß, wer Sie beide sind. Man hat sie bereits<br />
angekündigt. Kommen Sie, lassen Sie uns in meinem Büro weiter<br />
reden.“<br />
Die Blumenhändlerin wandte sich kurz noch einmal dem<br />
Mädchen zu und flüsterte ihr etwas zu, worauf Seena nickte und zu<br />
den anderen drei Gärtnern im Gewächshaus hinüber hüpfte. Das<br />
Lächeln war von Skywalkers Gesicht verschwunden, als Mara ihm<br />
einen weiteren Blick zuwarf. Man hatte sie angekündigt?<br />
Wenn dem so war, dann gehörten ihre Nachforschungen hier<br />
zum Puzzle, das man für sie angefertigt hatte. Das brauchte sie der<br />
Lösung zwar nicht näher, allerdings wussten sie nun, dass sie auf<br />
dem richtigen Weg waren.<br />
Schweigend folgten sie Saia, die sie nun zurück in den<br />
Geschäftsbereich und dann links einen kleinen Gang hinunter<br />
führte. In ihrem Büro angekommen, welches mit Kisten und<br />
kleineren Frachtcontainern mit Düngemittel voll gestellt war, bat sie<br />
die beiden Jedi vor ihrem Schreibtisch Platz zu nehmen. Hastig<br />
sammelte sie einige Rechnungen und Bestellformulare von der<br />
Schreibtischplatte auf und verstaute sie in einer Kommodenschublade,<br />
ehe auch sie sich mit einem schweren Seufzen auf<br />
den einfachen Holzstuhl hinter ihrem Tisch fallen ließ und ihre<br />
Gärtnerhandschuhe abstreifte. Unruhig leckte Mara sich über die<br />
Lippen und beobachtete Saia sehr genau.<br />
„Nun“, sagte Saia und rieb sich müde die Augen, „ich hatte<br />
eigentlich später mit Ihrem Eintreffen gerechnet, obwohl ich nicht<br />
gedacht habe, dass Sie einen Jedi-Meister dabei haben würden.<br />
Aber, ich schätze, dieser Zeitpunkt ist wohl so gut wie jeder andere<br />
auch, nicht wahr? Ich würde Ihnen ja etwas zu trinken anbieten,<br />
aber unser Lieferant ist spät und wir haben zurzeit nur<br />
Leitungswasser im Angebot. Zwei Jedi wie Sie sind sicherlich<br />
Besseres gewohnt.“<br />
Sie lehnte sie mit den Ellbogen auf die Kante des Schreibtisches<br />
und ließ ihre Blicke von Luke zu Mara und wieder zurück wandert.<br />
„Wie kann ich Ihnen also zu Diensten sein?“<br />
80
Wieder flackerten Maras Blicke zu Skywalker hinüber, der mit<br />
unleserlicher Miene da saß und darauf zu warten schien, dass sie<br />
das Wort ergriff. Wahrscheinlich hatte sie ein wenig zu oft betont,<br />
das dies hier ihre Mission war und nicht seine.<br />
„Da Seena von Ihnen als Expertin für Pflanzenkunde gesprochen<br />
hat“, begann Mara, „möchten wir uns mit ein recht simplen Frage an<br />
Sie wenden. Was wissen Sie über die Steinerne Blume?“<br />
Saia schmunzelte freudlos.<br />
„Ich denke, alles Wissenswerte, das es über Orianna-Blumen zu<br />
wissen gibt, finden Sie sich auch im HoloNet, oder? Immerhin sind<br />
doch Sie diejenigen in diesem Raum, die Bekanntschaften zu den<br />
angesehensten Persönlichkeiten der Galaxis pflegen.“<br />
„Oh, derartige Recherche haben wir bereits hinter uns“,<br />
erwiderte Mara. „Uns locken weniger die Einzelheiten über die<br />
Pflanze hierher, als der Umstand, dass Sie die einzige, in der<br />
Hemisphäre bekannte Exporteurin eben jener Pflanze sind.“<br />
„Dann erhoffen Sie sich also Informationen bezüglicher meiner<br />
Kunden“, sagte Saia. Es war keine Frage. „Dann muss ich Sie<br />
enttäuschen, aber ich werde niemandem, nicht einmal zwei Jedi,<br />
derartige Firmeninterna verraten.“<br />
„Es geht auch nicht um all Ihre Kunden“, beharrte Mara,<br />
„sondern nur um einen, um einen ganz speziell. Die gleiche Person,<br />
die erst vor Kurzem eine Handvoll dieser Blumen – Orianna<br />
nannten Sie sie, ja? – bei Ihnen in Auftrag gegeben hat. Die gleiche<br />
Person, die, wie ich vermute, auch unser Eintreffen angekündigt hat.<br />
Und wenn es so ist, wie ich denke, wird diese Person Sie ebenfalls<br />
angewiesen haben, uns gerade soviel preiszugeben, dass wir wissen,<br />
wohin wir als nächstes gehen müssen, aber nicht, was uns dort<br />
erwartet. Abgesehen davon erwarte ich nicht, dass Ihre Kundenliste<br />
in Bezug auf dieses spezielle Produkt so überlang ist, dafür sind<br />
diese Pflanzen in der restlichen Galaxis zu exotisch und zu<br />
unbekannt.“<br />
Fahrig strich sich die ältere Frau durch den dichten Haar-schopf<br />
und ihre Augenlider begannen vor Nervosität zu flattern.<br />
„Glauben Sie uns“, warf Skywalker mit sanfter und wohl<br />
tönender Stimme ein, „wir sind nicht hier, um Ihnen Schaden<br />
81
zuzufügen. Ganz im Gegenteil, wir sind hier, um ihn zu verhindern.<br />
Diese Person, von der meine Kollegin eben sprach, hat eine Geisel<br />
genommen und zusammen mit einer Gruppe von Piraten bereits<br />
viel Ärgern in den Regionen des Middle Rim gemacht.“<br />
Saia betrachtete ihre Fingernägel und kratzte dann mit der<br />
rechten Hand den Handrücken ihrer linken, ehe sie langsam und<br />
flüsternd zu einer Antwort ansetzte. Sie beugte sich nach vorn und<br />
sah sich noch einmal im Zimmer um, als befürchtete sie belauscht zu<br />
werden.<br />
„Ja, diese Person, von der sie sprechen, war hier. Ich kann nicht<br />
genau sagen, ob es sich dabei um einen Mann oder eine Frau<br />
handelte, sie sah irgendwie androgyn aus. Jedenfalls kam sie in<br />
meinen Laden marschiert und machte sich nicht einmal die Mühe,<br />
den Blaster an ihrer Hüfte zu verbergen. Sie orderte ein Dutzend<br />
Orianna. Ich sagte ihr, dass wir erst in drei Wochen zur Ernte hinaus<br />
fahren, was sie ein wenig wütend machte. Sie bestand darauf, dass<br />
wir auf der Stelle diese Blumen besorgen, sie wollte dafür einen<br />
Aufpreis bezahlen. Des Weiteren bestand sie darauf mich zu dem<br />
Feld zu begleiten, wo die Blüten gepflückt werden.“<br />
„Und Sie sind dieser Bitte nachgekommen?“ hakte Mara nach.<br />
„Ja, wenn auch ein bisschen widerwillig. Diese… Person war mir<br />
nicht geheuer. Um ehrlich zu sein habe ich befürchtet, dass sie mir<br />
gleich den Laden in Schutt und Asche legt. Ihre Körpersprache war<br />
sehr beherrscht, aber sie hatte dieses Funkeln in den Augen, wissen<br />
Sie was ich meine?“<br />
Nun lächelte Mara humorlos.<br />
„Sie meinen Blutdurst?“<br />
„Ja, so könnte man es ausdrücken.“<br />
„Was passierte dann?“ fragte Skywalker.<br />
„Ich bat sie, bis zum Ladenschluss zu warten, dann trafen wir<br />
uns am Stadtrand und ich brachte sie zu der Aue, auf der die<br />
Orianna wachsen. Ich sammelte die Blüten und sie bezahlte bar. Sie<br />
sagte, ich würde schon bald Besuch von einer Frau namens Mara<br />
Jade bekommen, die ebenfalls nach den Pflanzen fragen würde.<br />
Dann fuhr sie auf einem Speederbike davon.“<br />
82
Stille trat ein und die Blumenhändlerin stieß erneut ihre<br />
Fingernägel in ihren Handrücken, während Mara als auch Luke<br />
versuchten, aus dem eben Gehörten eine logische Schlussfolger-ung<br />
zu ziehen.<br />
„Wo genau ernten Sie die Blüten?“ fragte Mara.<br />
„Die Aue auf der die Blume wächst, gehört zum alten Anwesen<br />
der Matales.“<br />
„Und Sie haben einen Pachtvertrag, dass Sie das Grundstück<br />
einfach so betreten dürfen?“<br />
„Mir gehört das Grundstück“, antwortete Saia und ihre<br />
Mundwinkel zogen sich für einen kurzen Moment nach oben, als sie<br />
Maras verwunderten Gesichtsausdruck sah. Es lag eine<br />
unterschwellige Traurigkeit in ihrem Lächeln. „Ich war mit der<br />
letzten Erbin der Matale-Familie gut befreundet. Sie hat es mir<br />
vermacht, kurz bevor sie starb.“<br />
Saia seufzte und der Ausdruck in ihren Augen ließ vermuten,<br />
dass ihre Gedanken für eine Sekunde in weite Ferne glitten. „Wie<br />
lange ist das jetzt her? 25, fast 30 Jahre.“<br />
Die Blumenhändlerin schüttelte sachte den Kopf und strich sich<br />
vorsichtig die Haare aus der Stirn, ehe sie sich mit angestrengter<br />
Miene wieder auf ihre Besucher konzentrierte.<br />
„Ich nehme an, dass Sie es sehr begrüßen würden, wenn ich Sie<br />
zu dem Platz führe, an dem ich mit ihrem Verdächtigen war.“<br />
„Da liegen Sie verdammt richtig“, erwiderte Mara mit einem<br />
entschlossenen Nicken, konnte jedoch nicht umhin, die ältere Frau<br />
mit einem gutmütigen Lächeln zu bedenken.<br />
GELBGOLDENES GRAS WIEGTE SICH IN DER LAUWARMEN NORDOST-<br />
Brise, die über die Ebene wehte und durch Maras Haare strich. Die<br />
untergehende Scheibe der Sonne entflammte den Himmel mit allen<br />
Nuancen von violett und dunkelblau, ein scharfer Kontrast zu der<br />
blutroten Erde, die sich unter dem Gelb des Grases verbarg.<br />
„Ich habe selten einen so schönen Sonnenuntergang gesehen“,<br />
murmelte Mara leise und sog erneut die süßliche Luft ein. Es roch<br />
ein bisschen nach frisch gemähtem Gras und frischen Lilien.<br />
83
Inmitten dieses farbengewaltigen Hinterlandes, am Fuß der<br />
Ebene, stand ein alter und ausgebrannter Gebäudekomplex. Doch<br />
selbst die Folgen des verheerenden Brandes, der das Anwesen<br />
heimgesucht hatte, verblassten angesichts des nagenden Zahnes der<br />
Zeit, der im Begriff war, ihr altes Territorium zurück zu erobern.<br />
Selbst Pla- und Durastahl konnte der Macht der Natur nicht<br />
widerstehen. Irgendwann kehrte alles zu der Erde zurück, der es<br />
entstammte.<br />
„Ja, er ist nicht schlecht“, erwiderte Skywalker halb im Scherz,<br />
während er den A-1 Deluxe Speeder sicherte, den sie am Hafen<br />
gemietet hatten. Mara sah in kurz an und verzog den Mund, als sie<br />
sein ironisches Schmunzeln bemerkte.<br />
„Wissen Sie“, meinte Sarzamin Saia, die nun an Maras Seite trat<br />
und einen Blick über die Ebene warf und zuckte nur mit den<br />
Schultern, „wenn man lange genug auf Dantooine war, gewöhnt<br />
man sich daran.“<br />
„Mag sein“, gab Mara zu, „aber so schön das Szenario auch ist,<br />
irgendwie ist es mir hier zu ruhig. Viel zu ruhig.“<br />
„Was meinen Sie?“ fragte Saia.<br />
„Nun, es ist zu ruhig. Die <strong>Star</strong>kstrom-Barrieren waren<br />
vollkommen intakt, kein Zeichen von Manipulation, Beschädigung<br />
oder sonstigen Sabotageakten, das Gleiche gilt für das Aggregat, an<br />
dem wir vor ein paar Minuten vorbei gekommen sind. Nachdem<br />
sich unsere kriminellen Freunde solche Mühe gegeben haben, uns<br />
hierher zu locken, lässt dieser Umstand vermuten, dass sie entweder<br />
noch nicht hier eingetroffen sind – was ich bezweifle – oder sich<br />
noch etwas sehr viel Schlimmeres als eine Sprengladung am<br />
Sicherheitszaun haben einfallen lassen.“<br />
„Nun, dann sollten Sie nicht unbewaffnet in das Haus gehen“,<br />
meinte Saia, „wobei ich mir eher Gedanken darüber machen würde,<br />
dass man die Kath-Hunde heute nicht schon aus der Ferne jaulen<br />
hört. Es ist ungewöhnlich, wenn diese Biester mal Ruhe geben.“<br />
„Glücklicherweise“, betonte Luke, „verlassen wir fast nie das<br />
Haus ohne mindestens eine Waffe am Körper zu tragen.“<br />
84
Wie um seine Worte zu unterstreichen, legte er eine Hand sachte<br />
auf den Griff seines Lichtschwertes, dass wie eh und je an seinem<br />
Gürtel baumelte.<br />
„Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich hier beim Speeder<br />
auf Sie warte und die Gegend im Auge behalte. Für den Fall der<br />
Fälle.“<br />
„Ist mir recht“, kommentierte Mara und überprüfte das Halfter<br />
an ihrem Unterarm. Gut, die Batterien waren voll aufgeladen.<br />
„Skywalker, sind Sie soweit?“<br />
„Bereit und willens“, sagte Luke. „Lassen Sie uns hoffen, dass<br />
das hier nicht so endet wie Belderone.“<br />
„Wollen wir etwas andeuten?“ fragte Mara scharf ohne den Jedi-<br />
Meister anzusehen, was Saia dazu brachte, verwirrt von ihr zu Luke<br />
und wieder zurück zu blicken.<br />
Skywalker ließ ein frustriertes Seufzen hören. „Lassen Sie uns<br />
gehen, Mara.“<br />
Ihren Abstieg hinunter zum alten Anwesen verbrachten sie<br />
schweigend. Gelegentlich nahm Mara ihr Fernglas vom Gürtel und<br />
suchte die Ebene nach potentiellen Bedrohungen ab, fand jedoch<br />
nichts weiter als eine Gruppe kleinerer Nagetiere, die auf ihrem<br />
Erdhügel standen und sich neugierig umsahen.<br />
„Die Aue, von der Sarzamin gesprochen hat, befindet sich auf<br />
der anderen Seite des Anwesens“, stellte Luke schließlich fest. Er<br />
hielt einen Moment inne und seine Lider senkten sich ein kleines<br />
Stück, während er sich nach der Macht ausstreckte und mit seinen<br />
mentalen Fühlern die Gegend erkundete.<br />
„Können Sie etwas spüren?“ fragte Mara mit neutral-professionellem<br />
Geschäftston.<br />
„Ja“, antwortete Skywalker langsam, „zwei menschliche<br />
Präsenzen im Anwesen. Sieht so aus, als warten die beiden Männer,<br />
die Kostryka auf Belderone begleitet haben, in einem der Räume des<br />
Anwesens.“<br />
„Laz und Avarice“, informierte sie ihn und taxierte das mit<br />
dunklem verkohltem Staub bedeckte Gebäude vor ihnen. „Ich hätte<br />
erwarten müssen, dass May mal wieder ihre Sandalenburschen<br />
schickt.“<br />
85
„May?“ fragte Luke verblüfft. „Sie haben diesen Namen auf<br />
Belderone auch schon einmal benutzt. Gibt es irgendetwas, dass ich<br />
wissen sollte?“<br />
Mara winkte ab. „Nicht jetzt.“<br />
In leicht geduckter Haltung schlich Mara die letzten Meter der<br />
grasbewachsenen Anhöhe hinunter, eilte mit katzenhafter Eleganz<br />
zu einem rechteckigen erhöhten Blumenbeet, das etwa zehn Meter<br />
vom Eingang des Anwesens entfernt war, und lauschte in die Stille<br />
der Wildnis hinein. Mit geschlossenen Augen versuchte sie alle<br />
Naturgeräusche herausfiltern, blendete das Rauschen des Windes in<br />
den Grashalmen oder das Knirschen der roten Erde unter ihren<br />
Füßen vollkommen aus. Und da war es, so leise, dass es wie ein<br />
heiseres Flüstern klang. Klick, Klick, Klick.<br />
Blinzend schlug sie die Augen erneut auf und richtete ihre Fokus<br />
auf den Rahmen des alten Eingangs zum Vorgebäude des<br />
Anwesens. Das Material war uneben von vielen verkohlten<br />
Ornamenten, die einst in den Durastahl gearbeitet worden waren.<br />
Vorsichtig suchte sie die mattgraue, schwarz befleckte Oberfläche<br />
ab, bis sie schließlich fand, wonach sie suchte. Direkt oberhalb des<br />
Rahmens, nicht einmal so groß wie ihre geballte Faust, sah sie eine<br />
Ausbuchtung, die nicht zu dem alten Kunstmuster im Rahmen<br />
passen wollte.<br />
„Was sehen Sie?“ hörte sie Skywalker plötzlich hinter ihr sagen.<br />
Er hatte die Stimme zu einem Flüstern gesenkt, als befürchtete er<br />
belauscht zu werden.<br />
„Einen Bewegungssensor“, erklärte Mara angespannt, „mit einer<br />
ziemlich kurzen Reichweite. Sobald wir uns der Tür nähern wird<br />
höchstwahrscheinlich ein Alarm ausgelöst und unsere Kumpels<br />
wissen, dass wir hier sind.“<br />
„Hm“, machte Luke, „das ist, in der Tat, ein Problem. Irgendwelche<br />
Vorschläge?“<br />
„Bis jetzt noch nicht“, erwiderte Mara, ihre Blicke immer noch<br />
starr auf den Sensor oberhalb des Türrahmens gerichtet. „Diese<br />
Dinger sind wirklich schwer zu umgehen.“<br />
Unbehagliches Schweigen trat ein, während sie beide fieberhaft<br />
eine kluge Taktik zu überlegen versuchten, mit der sie in das Haus<br />
86
eindringen konnten, ohne von diesem oder anderen elektronischen<br />
Überwachungsgeräten erfasst zu werden. Und Mara ging davon<br />
aus, dass dies nicht der einzige Sensor war, den die Piraten am<br />
Gebäude angebracht hatten. Vermutlich war jedes einzelne der<br />
zerborstenen Fenster mit einem solchen Detektor versehen.<br />
Doch während sie noch überlegte, wie sie am geschicktesten an<br />
diese Sache heran gingen – sie überlegte sogar, ob Skywalker sie<br />
nicht beide auf das Dach levitieren konnte, damit sie sich ihren Weg<br />
ins Innere mit ihren Lichtschwertern frei schnitten – kamen ihr von<br />
Zweifel erfüllte Gedanken. May wusste, wozu Mara fähig war,<br />
wusste, welche Fähigkeiten sie während ihres Trainings unter<br />
Palpatine erworben hatte. Sie kannte das Schema, nach dem Mara all<br />
ihre Mission erfüllte, egal, ob als Hand des Imperators oder Karrdes<br />
erster Offizier. Es war wie eine Doktrin, die man ihr seit dem Tage<br />
ihrer Geburt anerzogen hatte. Und eben jenes Wissen würde sie<br />
sicherlich zu ihrem Vorteil nutzen. Es war mehr als wahrscheinlich,<br />
dass sie Mara dazu zwingen wollte, nach diesem alt bekannten<br />
Muster zu agieren, um sie wohl möglich in eine sehr tödliche Falle<br />
zu locken.<br />
Rasch wandte sie den Kopf und musterte Skywalkers Gesicht für<br />
einen Moment. Er selbst war so tief in Gedanken versunken, dass<br />
ihm die Konzentration in jeden Gesichtszug geschrieben stand und<br />
einen flüchtigen Moment lang fragte sie sich, was wohl in seinem<br />
Kopf vorgehen mochte. Doch sie hatte sich bereits eine Lösung für<br />
ihr Problem überlegt.<br />
Um dieser Falle zu entgehen, musste sie einfach nur aus ihrem<br />
Muster ausbrechen.<br />
Sie inhalierte die süßliche Luft Dantooines mit einem scharfen<br />
Atemzug und spürte, wie sich die Muskeln in ihrem Körper<br />
anspannten.<br />
Dann trat sie hinter dem Blumenbeet hervor, hinaus auf den<br />
gepflasterten Bereich vor dem Eingangstor.<br />
Wenige Sekunden später hörte sie, wie der Sensor surrend zum<br />
Leben erwachte und die Wärme ihres Körpers und den Schall, den<br />
ihre Schritte erzeugten, berechnete. Nur einen Herzschlag später<br />
87
vernahm sie ein rasches, hoch taktiertes Piepen und eine kleine rote<br />
Diode flammte am oberen Teil des Sensors auf.<br />
Gut, Mays Handlager waren nun gewarnt. Doch dann mischte<br />
sich ein neues Geräusch unter die anderen. Ein tiefes, fast<br />
brummendes Rauschen, wie sie es früher schon oft gehört hatte.<br />
„Mara!“ rief Skywalker, der nun völlig vergaß seine Stimme zu<br />
senken. „Kommen Sie da weg!“<br />
Abrupt hielt sie inne und ließ ihren Fokus von der Diode am<br />
Sensor zu den Rändern des Eingangsschotts wandern. Die Stelle, an<br />
der die Tür in den Rahmen überging, mit ihm verschmolz, schien<br />
mit einem Mal weiß-glühend aufzuleuchten.<br />
Sie hatte weder die Zeit, sich wieder in den Schutz des<br />
Blumenbeetes zu begeben, noch sah sie eine näher liegende<br />
Möglichkeit, um in Deckung zu gehen. Also drehte sie sich hastig<br />
herum, sprang und ließ sich dann flach und mit dem Bauch gen<br />
Erde fallen.<br />
Gerade rechtzeitig, als die Tür in tausend Teile zerbarst.<br />
Schrapnell polterte mit einem Mal über den Vorplatz und der<br />
beißende Geruch von Rauch stieg ihr in die Nase. Das melodische<br />
Surren von Skywalkers Lichtschwert verriet ihr, dass er sein bestes<br />
Tat, die umher segelnden Splitter abzuwehren, während Mara sich<br />
mit verkrampften Muskeln fester gegen den Pflasterstein drückte<br />
und hoffte, von herumfliegenden, scharfkantigen Durastahlstücken<br />
verschont zu werden.<br />
Dann, so plötzlich wie die Explosion gekommen war,<br />
verstummte sie und hinterließ nichts weiter als Stille. Kein<br />
Blasterfeuer, kein aufgeregtes Rufen, kein Drohen. Alles was sie<br />
hörte waren Skywalker ungewöhnlich dumpfe Schritte, als er zu ihr<br />
hinüber eilte.<br />
„Ist alles okay?“ fragte er ernst. „Sie sind Sie unverletzt?“<br />
„Ja“, bestätigte Mara, die nun vor dem Hindernis stand, dass ihre<br />
verkrampften Muskeln ihr nur widerwillig gehorchen wollten, als<br />
sie sich aufsetzte. „Ja, ich bin in Ordnung.“<br />
„Was, bei allen Sternen, haben Sie sich bloß bei dieser Aktion<br />
gedacht?“ fragte Luke und beäugte sie voller Verwirrung, sein<br />
Lichtschwert immer noch einsatzbereit in einer Hand.<br />
88
Doch Mara kam nicht dazu, ihm zu antworten.<br />
Während sie sich in eine sitzende Position kämpfte und sich den<br />
Staub der Detonation von ihrem Bodysuit klopfte, bemerkte sie<br />
unwillkürlich einen schwarzen Schemen, der sich von der maroden<br />
Finsternis im Inneren des Hauses abhob. Erst glaubte Mara, dass die<br />
dunkle Silhouette nichts weiter war als ein Streich, den ihre Sehkraft<br />
ihr spielte, doch dann sah und spürte sie die raschen Bewegungen<br />
des Schattens gleichermaßen.<br />
„Skywalker!“ rief sie und reckte das Kinn in Richtung Tor, als der<br />
Schatten in die Hocke ging und rasch eine Hand ausstreckte. Luke<br />
wirbelte herum, das Lichtschwert in Defensivhaltung erhoben.<br />
Doch wieder erklang kein Blasterfeuer und keine roten<br />
Energiestrahlen ionisierten die Luft um sie herum. Alles, was sie<br />
hörte war das sanfte metallene Klingen als hätte jemand eine<br />
einzelne Creditmünze zu Boden geworfen. Rasch versuchte Mara<br />
die Macht zu sich zu rufen und richtete die mystische Energie auf<br />
den Schemen im Schatten. Doch sie spürte keine Gefahr, erhielt nicht<br />
einmal einen Hinweis auf die Absichten ihres schattenhaften<br />
Gegenübers. Alles was ihr zuteil wurde, war ein kurzes Aufflackern<br />
von Zufriedenheit.<br />
Skywalker, der wohl genau wie sie eine Granate oder ähnliches<br />
erwartete hatte, versteifte sich kurzzeitig, ehe er lossprintete und<br />
wenige Meter vor dem Tor wieder zum Stehen kam. Er streckte eine<br />
Hand aus und rief mit Hilfe der Macht ein glänzendes flaches Objekt<br />
in seine Hand, das für Mara im ersten Augenblick tatsächlich wie<br />
eine Creditmünze aussah.<br />
„Sithspucke“, fluchte sie und stemmte sich wieder auf ihre Füße,<br />
bereit, dem dunklen Schatten im Inneren des Hauses hinterher zu<br />
spurten.<br />
Doch als sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Dunkelheit<br />
jenseits des Eingangstors richtete, war er erneut verschwunden.<br />
„WÄREN SIE NUN GEWILLT, MIR ZU ERLÄUTERN, WER MAY IST?“ FRAGTE<br />
Skywalker und bedachte Mara mit einem durchdringenden Blick.<br />
89
„Wenn Sie mir das Amulett geben, verrate ich es Ihnen<br />
vielleicht“, erwiderte Mara leicht gereizt.<br />
„Sie bekommen es, wenn Sie mir gesagt haben was Sie wissen,<br />
Mara.“<br />
Die Nacht war mit einer beinahe abrupten Endgültigkeit über<br />
Khoonda City gefallen und das Licht von drei Monden tauchte nun<br />
die malerische Landschaft in einen silbrigweißen Schein, der die<br />
Idylle Dantooines noch unwirklicher erscheinen ließ. Und das<br />
flache, runde, münzenartige Amulett in Skywalkers Hand schien<br />
das Licht aufzusaugen und wie eine Aureole zurück zu werfen.<br />
Sie saßen auf einer kleinen Veranda hinter Sarzamin Saias Haus,<br />
welche dem Balkon des Restaurants, in dem sie am Mittag gespeist<br />
hatten, sehr ähnlich war. Der kühle Wind, der nun durch die Straßen<br />
und über die Steppe wehte, ließ die Fackeln flackern, die ihre<br />
Gastgeberin im Garten entflammt hatte. Hin und wieder drang das<br />
knisternde Rauschen der Flammen an Maras Ohr und verschaffte<br />
dem Moment eine seltsame deplatzierte Lagerfeueratmosphäre.<br />
Nachdem sie zu ihrem Speeder zurückkehrt waren, hatte die<br />
Blumenhändlerin darauf bestanden, ihnen zumindest für diese<br />
Nacht ein ruhiges Quartier anzubieten. „Kommen Sie. Ich habe so<br />
selten Gäste in meinem Haus. Für mich allein ist es ohnehin zu groß,<br />
daher freue ich mich, wenn es mit ein wenig Leben gefüllt wird“,<br />
hatte Saia gesagt und damit Skywalkers und Maras Aufmerksamkeit<br />
von ihrem neuerlichen Streit fort gelenkt. Denn Luke hatte Mara nur<br />
unter großer Mühe davon überzeugen können, dass es klüger war,<br />
sich diesem neuen Puzzleteil zu widmen, dass er vor dem Tor<br />
aufgelesen hatte, anstand das Anwesen nach den Piraten zu<br />
durchsuchen. Mara, die nun mehr als versessen darauf war, May<br />
Montross zur Rede zu stellen, war von dieser Idee nur wenig<br />
begeistert.<br />
„Womit haben wir nur solche Großzügigkeit verdient?“ hatte<br />
Mara auf Sarzamins Einladung hin gefragt, doch die Worte hatten<br />
bitterer und schärfer geklungen, als sie es beabsichtigt hatte. Doch<br />
Sarzamin Saia hatte Maras Sarkasmus einfach übergangen und so<br />
getan, als hätte sie ihn nicht bemerkt. Stattdessen hatte sie nur ein<br />
kühles, beinahe herablassendes Lächeln aufgesetzt.<br />
90
„Sie wollen genauso sehr wie ich, dass dieses Gesindel bekommt,<br />
was ihm zusteht.“<br />
Daraufhin war Maras Ärger ein wenig verpufft und sie und<br />
Skywalker hatten einstimmig Sarzamins Einladung angenommen.<br />
Zumindest in diesem Punkt waren sie sich einig gewesen.<br />
Dennoch ließ die friedliche Nacht sie ihren Eifer, endlich hinter<br />
des Rätsels Lösung zu kommen, nicht vergessen. So saßen sie nun<br />
und versuchten einander in diplomatischem Ton die Gedanken des<br />
anderen abzuringen. Doch obschon Skywalkers Gestalt größtenteils<br />
mit dem nächtlichen Schatten um sie herum verschmolz, glitzerten<br />
seine Augen wachsam.<br />
„Nun gut“, seufzte Mara und fügte sich in das Ferienausflugsambiente<br />
um sie herum. Er wollte eine Lagerfeuergeschichte hören,<br />
er würde sie bekommen. „May, beziehungsweise May Lynn<br />
Montross ist… nennen wir es eine alte Bekannte, wobei wir uns nie<br />
besonders nahe standen. Eigentlich weiß ich nicht sehr viel über sie,<br />
nur das, was in ihrer Akte stand. Und selbst die kam mir nur unter<br />
die Augen, weil es in ihrer Abteilung Probleme gegeben hat.“<br />
„In ihrer Abteilung?“, fragte Skywalker und seine Stimme klang<br />
nun wieder weich und weniger fordernd als zuvor. Voll aufrichtigem<br />
Interesse beugte er sich vor und stützte sich mit einem Arm<br />
auf die Tischplatte ohne dabei das Amulett aus der Hand zu legen.<br />
„Sie war eine Spionin beim Geheimdienst, dem Imperial<br />
Intelligence. Allerdings war sie dort nie ein so großes Licht wie Isard<br />
oder Daala.“<br />
Skywalker gestattete sich ein freudloses Lächeln. „Und da soll<br />
noch einmal jemand sagen, dass Imperium hätte nichts für Frauen<br />
im Militärdienst übrig gehabt.“<br />
„Ganz so einfach war ihr Fall leider nicht. Erinnern Sie sich, wie<br />
Sarzamin erwähnte, sie konnte nicht sagen, ob die Person, die in<br />
ihrem Laden war, männlich oder weiblich war, dass sie irgendwie<br />
androgyn wirkte? In der Tat ist es so, dass May Montross die<br />
Akademie nur bestand, weil man sie damals für einen Mann hielt.<br />
Und nicht nur auf der Akademie, auch eine ganze Weile danach hat<br />
sie es geschafft, ihre Vorgesetzten davon zu überzeugen, dass sie ein<br />
Mann wäre. Allerdings brachte es sie in entsprechend große<br />
91
Probleme, als man ihr Täuschungsmanöver durchschaute. Captain<br />
Djae von der Kommission für Interne Personalprüfung und<br />
Qualitätssicherung hat den Vorfall gemeldet, worauf sie wegen<br />
arglistiger Täuschung vor Gericht gestellt wurde.“<br />
„Was geschah dann?“<br />
„Ich weiß nur noch, dass sie unehrenhaft aus dem Dienst<br />
entlassen wurde, was eine ungewöhnliche milde Strafe ist, wenn<br />
man bedenkt, wie schnell manche Herzblut-Imperiale mit einem<br />
Todesurteil bei der Hand waren. Außerdem war Imperial Intel<br />
schon immer für seinen Blutdurst bekannt. In dieser Beziehung<br />
standen sie dem ISB in nichts nach.“<br />
„Klingt ganz so, als hätte jemand einen schützende Hand über sie<br />
gehalten“, kommentierte Skywalker.<br />
„Ja, das glaube ich auch. Nun, ich für meinen Teil bin ihr nur<br />
einmal begegnet. Ich gehörte zu der kleinen Einheit, die sie in ihrer<br />
Wohnung auf Coruscant festnehmen sollte, was wir auch getan<br />
haben. Von der Gerichtsverhandlung habe ich keine wirkliche<br />
Erinnerung und danach hat man auch nichts mehr von ihr gehört.<br />
Zumindest bis jetzt. Es war mir jedenfalls eine zu belanglose<br />
Angelegenheit, als das ich dieser Sache große Beachtung geschenkt<br />
hätte“, schloss Mara.<br />
Wieder lächelte Skywalker knapp: „Dann ist es ein Wunder, dass<br />
Sie sich nach all diesen Jahren noch an ihren Namen erinnern.“<br />
„Ich vergesse niemals ein Gesicht.“<br />
Halb sah sie, halb spürte sie, wie seine Augenbraue für einen<br />
kurzen Augenblick lang nach oben zuckten. Sicherlich erinnerte er<br />
sich daran, wie versessen Mara darauf gewesen war, ihn zu töten.<br />
Sein Gesicht würde sie wohl ihren Lebtag lang nicht mehr<br />
vergessen.<br />
„Zufrieden?“ fragte sie nach einer Weile und lehnte sich auf dem<br />
spartanischen Holzstuhl zurück, die Arme gebieterisch auf die<br />
Lehnen geschmiegt.<br />
„Absolut“, erwiderte Skywalker, legte die flache Münze auf den<br />
Tisch und schnippte sie quer über die Platte in Maras Richtung. Sie<br />
schlitterte die Zentimeter mühelos zu ihr hinüber, blieb dann jedoch<br />
neben ihrer Tasse Kräutertee liegen.<br />
92
„Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment“, erklärte<br />
Skywalker dann und erhob sich von seinem eigenen Stuhl. „Ich<br />
werde sehen, dass ich R2 auf der Jade’s Fire erreiche. Vielleicht kann<br />
er uns ein paar Informationen darüber beschaffen, was May Lynn<br />
Montross nach ihrer Suspendierung noch so getrieben hat – und<br />
warum sie so versessen darauf ist, mit Ihnen Katz und Maus zu<br />
spielen.“<br />
Ohne ihre Antwort abzuwarten, wandte er sich ab und trat durch<br />
die transparente Tür in das bescheiden eingerichtete Wohnzimmer<br />
von Sarzamin Saias Haus.<br />
„Ja, das wüsste ich auch gern“, murmelte Mara in die Stille,<br />
während ihre Blicke für einige Sekunden an ihm hängen blieben.<br />
Doch der Schein, der auf der Münze lag wie ein milchiger<br />
Nimbus, forderte gleich seinen Tribut und zwang sie dazu, das<br />
Amulett mit fragenden Blicken zu bedenken. Welchen Sinn nur sah<br />
May darin, ihr diesen Nippes zukommen zu lassen?<br />
Sie streckte die Hand nach dem Anhänger aus, konnte das<br />
eingefangene Mondlicht unter ihren Finger spüren, als wäre es ein<br />
lebendes Ding…<br />
… und wurde sogleich von einer Welle der Benommenheit<br />
überrollt, als ihre Haut das Metall berührte. Einen Moment lang<br />
glaube sie sich erbrechen zu müssen, während ihre Sicht immer<br />
weiter davon schwamm und sich farbige Linien in die Dunkelheit<br />
der Nacht mischten. Angestrengt zwang sie ihren Körper dazu, Luft<br />
in ihre Lungen zu pumpen, obgleich ihre Brust wie zugeschnürt<br />
schien. Wenn es sich so anfühlte, wenn Skywalker eine seiner Jedi-<br />
Ahnungen hatte, wollte sie nicht mit ihm tauschen.<br />
Beinahe zwanghaft klammerten sich ihre Finger um das Amulett,<br />
das plötzlich eine ungewöhnliche Hitze auszustrahlen schien. Doch<br />
selbst die Befürchtung, sich an dem Metall zu verbrennen, konnte sie<br />
nicht dazu bringen, die Münze loszulassen.<br />
Bei allen Sternen…, stöhnte sie stumm und schloss ihre Augen so<br />
fest sie konnte, um wieder Herr ihrer Sinne zu werden. Doch die<br />
Farben tanzten immer noch vor ihr, bildeten zunächst abstrakte<br />
Muster, verwoben sich dann miteinander und begannen ein Bild vor<br />
ihr zu malen, wie ein altes alderaanisches Moos-Gemälde. Und ohne<br />
93
zu ahnen, was sie erwartete, ließ sie los, ließ die Macht walten und<br />
gab sie sich der Vision, die ihren Weg aus der Vergessenheit suchte,<br />
voll und ganz hin:<br />
ES WAR KURZ VOR SONNENAUFGANG UND DER ROT STRAHLENDE, MIT<br />
Purpur befleckte Himmel über der weiten Steppe, erweckte den Planeten<br />
zum Leben. Die Luft war erfüllt vom fernen Geheul der Kath-Hunde, als<br />
ein aufgeschrecktes Iriaz sich majestätisch und auf mächtigen Schwingen in<br />
den Himmel erhob. Die Wärme der ersten Sonnenstrahlen streichelte<br />
zärtlich ihr Gesicht, wie aus weiter Ferne. Sie setzte sich langsam auf,<br />
blinzelte gegen das helle Licht an. Dann ließ sie die abdunkelnde Tönung<br />
der Fensterscheiben mit einem Knopfdruck erlöschen, strich sich eine<br />
lockige Strähne aus dem Gesicht und trat ans Fenster, um den neuen Tag<br />
zu begrüßen.<br />
Sie lächelte.<br />
Doch es war ganz so, als wäre sie nicht sie selbst. Maras Seele war nun<br />
gefangen im Inneren eines Gefäßes - eines Körpers - der nicht ihr gehörte.<br />
Jeder Atemzug kam ihr vor, als tät ihn jemand anderes und nicht sie.<br />
„Orianna!”<br />
Die Stimme einer Frau drang an ihr Ohr, gefolgt vom Donnern eiliger<br />
Schritte auf den Treppenstufen.<br />
„Orianna!”<br />
Es war ihre drei Jahre ältere Schwester Casseia, aufgeregt und<br />
stürmisch wie immer. Schwester? dachte Mara, Welche Schwester?<br />
Die Schritte näherten sich, bis die magnetische Versiegelung ihrer<br />
Zimmers klickte und die Tür mit beharrlichen Zischen aufglitt. Casseias<br />
tiefbraunes Haar fiel ihr in voluminösen, fülligen Wellen über die<br />
Schultern und rahmten ihr rundliches Gesicht mit den großen Augen und<br />
den vollen Lippen ein, wie ein antikes Gemälde.<br />
Offenbar war Casseia auch noch nicht lange wach, denn sie trug noch<br />
ihr cremefarbenes Nachtgewand, das im Licht der aufgehenden Sonne<br />
glänzte. Orianna drehte sich zu ihr um, das Lächeln auf ihrem Gesicht<br />
schmolz dahin und erstarb als eine freundliche Maske.<br />
„Orianna!“ keuchte Casseia atemlos, „Oh, wie schön, ich habe dich<br />
nicht geweckt! Ich sage dir, ich konnte kaum schlafen! Ich bin ja so<br />
94
aufgeregt!“ Nach Atem ringend sank sie auf Oriannas Bett, den Blick auf<br />
ein altes Hologramm der beiden Schwestern an der Wand gerichtet.<br />
Casseia hatte erst vor kurzem die Volljährigkeit erlangt, um die<br />
Orianna sie täglich beneidete.<br />
„Bithras ist noch gestern Abend mit Vater auf die Jagd gegangen!“<br />
informierte Casseia ihre kleine Schwester, die nach einem Streit mit ihren<br />
Eltern direkt nach dem Abendessen auf ihr Zimmer geschickt worden war.<br />
„Hoffentlich stimmt Vater der Verlobung zu!“<br />
Orianna konnte sich allzu gut vorstellen, wie ihr Vater den jungen<br />
Bithras mit abschätzigen Blicken bedachte und überlegte, welche Mitgift er<br />
ihm zusammen mit seiner Tochter vermachen sollte – und ob sich das<br />
Geschäft lohnen würde.<br />
Bithras Marjumdar, Casseias potentieller Verlobter, war ein Abkömmling<br />
der alten Sandral-Familie. Als Orianna und Casseia noch sehr kleine<br />
Mädchen gewesen waren, hatte ihre Mutter ihnen jede Nacht die alte<br />
Geschichte von der viertausend Jahre alten Blutfehde der Sandrals mit dem<br />
ebenso vermögenden Clan der Matales erzählen müssen, die durch eine<br />
geheime Romanze ebenso angefacht, aber schließlich beendet wurde.<br />
Aber Orianna wusste, dass die Zeiten mittlerweile sehr geändert hatten.<br />
Heute fürchtete sich der alte Cailetet Matale kaum davor, Casseia in die<br />
Hände eines Sandrals zu geben.<br />
Mara – oder war es Orianna? – betrachtete ihre Schwester, deren<br />
Wangen sich von Aufregung und Anstrengung rosig färbten. Ihre<br />
Mundwinkel zogen sich freudlos noch oben. Wieso konnte sie sich nicht<br />
einfach auf die beinahe sichere Hochzeit ihrer Schwester freuen?<br />
Da musste noch mehr sein! dachte sie und Mara wusste nicht, ob der<br />
Gedanke ihr selbst entsprang oder der jugendlichen Orianna.<br />
„Sieh nur!“ rief Casseia aus, als sie an Orianna vorbei aus dem Fenster<br />
sag. „Die Sonne steht schon so hoch am Himmel! Lass uns hinunter gehen<br />
und die Droiden das Frühstück zubereiten lassen! Vater und Bithras<br />
werden sich sicher freuen, wenn sie wieder nach Hause kommen!“<br />
Orianna nickte und schloss die Augen für einen Moment.<br />
Plötzlich wurde alles stumm und Mara erfuhr nicht, wie der Tag für<br />
das junge Mädchen weiter ging. Erst als sie wieder die Augen auftat<br />
drangen neue Sinneseindrücke auf sie ein. Leichtes Kopfweh plagte sie und<br />
95
wollte einfach nicht weg gehen. Orianna hatte nie viel von Medikamenten<br />
gehalten und würde die Schmerzen tapfer ertragen.<br />
Dumpfes Gemurmel rauschte durch die Korridore, vermischt mit dem<br />
Klang alter Musik. Es klang fast so wie Jizz, aber nicht ganz genau so.<br />
Orianna saß ruhig vor ihrem rahmenlosen Spiegel, das rotblonde<br />
Lockenhaar zu einer komplizierten Frisur aufgesteckt und geschmückt mit<br />
kristallenen Haarnadeln und Perlenketten. Sie war dezent geschminkt, so<br />
zart, dass man es nur erahnen konnte. Viel mehr als das hätten ihre Eltern<br />
ohnehin nicht gestattet.<br />
Prüfend strich sie sich über die Lippen, ihre Finger glitten an ihrem<br />
langen Schwanenhals hinab und berührten das flache Medallion, während<br />
sie ihre kindliche Erscheinung in der spiegelnden Fläche über dem<br />
Schminktisch ihrer Mutter betrachtete.<br />
Sie war schlanker als Casseia und ihr fehlten die rundlichen Züge, die<br />
ihrer Schwester eigen waren. Die weiblichen Rundungen ihrer Taille und<br />
Hüfte ließen sich bisher nur erahnen und ihr Busen würde, wie Orianna<br />
hoffte, in den kommenden Monaten noch ein wenig wachsen. Nur der Ausdruck<br />
in ihren dunklen Augen ließ sie älter wirken, als sie war.<br />
Dennoch, trotz all dieser Dinge, fand sich Orianna in ihrem kobaltblauen<br />
Gewand an jenem Abend vor langer Zeit wirklich schön und<br />
erwachsen. Möglicherweise schöner als ihre frauliche Schwester. Manche<br />
der Gäste mochten sie vielleicht noch immer für ein kleines Kind halten,<br />
doch sie wollte sich nur an die halten, die sie ihrem Alter gebührend<br />
behandelten. Wie töricht, dachte Mara beinahe belustigt, doch Orianna<br />
nahm keine Notiz davon. Die naiven Träume einer Fünfzehnjährigen.<br />
Die schrille Stimme ihrer Mutter rief sie, sie solle endlich heraus<br />
kommen und sich unter die Gesellschaft mischen. Orianna erhob sich,<br />
öffnete die Tür und trat hinaus auf den Flur zu ihrer Mutter.<br />
„Liebes! Geht es dir etwas besser? Los, komm, deine Tante würde dich<br />
gern sehen!“<br />
Mit wachsendem Desinteresse schüttelte sie alternden Freunden ihrer<br />
Eltern und entfernten Verwandten die Hände. Niemand schien ihr große<br />
Aufmerksamkeit zu schenken. Aber was hatte sie auch anderes erwarten<br />
sollen? Alle waren schließlich wegen der lang ersehnten Verlobung von<br />
Casseia Matale mit Bithras Marjumdar aus dem Haus der Sandrals<br />
gekommen.<br />
96
Ihre Schwester strahlte glücklich und ihre pausbackigen Wangen waren<br />
erneut von sanftem Rosa überschattet, während sie ihrem zukünftigen<br />
Gemahl hungrige Blicke zuwarf, die er glühend erwiderte. Doch beide<br />
wahrten höflichen Abstand zu einander und niemand schien die<br />
offensichtliche Liebe zwischen ihnen zu bemerken – außer Orianna.<br />
In ihrem Herzen spürte sie wieder ein diffuses Schmerzen nach dem<br />
Armen eines starken Mannes, der sie beschützte und liebte.<br />
Orianna ahnte nicht, dass eben dieser Mann sie bereits aus den<br />
Augenwinkeln beobachtete. Verzückt von Oriannas lieblicher und<br />
zerbrechlicher Erscheinung wandte er erst den Blick von ihr, als Bithras<br />
ihn mit lautem Gebaren begrüßte.<br />
„Casseia, schau!“ tönte er und führte den Mann hinüber zu seiner<br />
Verlobten, „Das hier ist mein alter Freund Ilya. Wir kennen uns von der<br />
Universität auf Corellia.“<br />
„Ja, und Dantooine ist wahrlich so schön, wie er es mir immer erzählt<br />
hat!“ sagte Ilya mit tiefer, sanfter Stimme, die wie Balsam in Oriannas<br />
Ohren widerklang.<br />
Überrascht sah sie von ihrem Glas Wasser auf, das sie sich gerade an die<br />
Lippen führen wollte, als habe sie der Schlag getroffen.<br />
Sie sah sich um und hörte ihn lachen, als Bithras einen bizarren Scherz<br />
machte und Orianna entdeckte ihn in der Menge,<br />
Er war groß und schlank. Sie reichte ihm vielleicht bis zu Schulter und<br />
sein langes, braunes Haar war schlicht zurück gebunden. Nur eine einzige<br />
Strähne fiel ihm ins Gesicht, im starken Kontrast mit seinen blassgrünen<br />
Augen.<br />
Offenbar bemerkte er Oriannas fasziniertes <strong>Star</strong>ren, denn nun spürte<br />
sie das ganze Gewicht und die Intensität seines Blicks auf sich. Scheu<br />
wandte sich Orianna ab und nippte am Wasserglas. Sie schloss die Augen<br />
so fest sie konnte, ihre Finger spielten wieder mit dem Anhänger um ihren<br />
Hals.<br />
Wenn sich der Augenblick doch nur für immer in ihr Gedächtnis<br />
brennen würde, so dass sie ihn niemals vergessen konnte. Sie wünschte es<br />
sich so sehr, dass es wehtat...<br />
„Mara!“ hörte sie Skywalker überrascht rufen und spürte seine<br />
Hand auf ihrem Oberarm. Er musste zurückgekommen sein, währ-<br />
97
end sie den machtvollen Bildern erlegen war, die das Medallion<br />
eingegeben hatte. „Mara! Was ist los?!“<br />
Sie riss abrupt die Augen auf und mit einem dumpfen Poltern<br />
fiel der Anhänger aus ihrer Hand rollte klirrend über den Tisch und<br />
fiel schließlich mit einem melodischen Klingen zu Boden. Weder sie,<br />
noch Luke, sahen ihm nach.<br />
„Was ist passiert?“ fragte Luke noch einmal mit milder und<br />
sorgenerfüllter Stimme.<br />
„Ihre Erinnerungen waren so mächtig, dass sie dem Medallion<br />
immer noch anhaften“, sagte Mara ohnmächtig und wunderte sich,<br />
wie schwach ihre eigene Stimme klang. Obwohl sie Oriannas<br />
Gefühle und Erinnerungen wie durch Watte empfunden hatte, war<br />
sie noch immer von den Eindrücken überwältigt.<br />
Sie schüttelte den Kopf, als wollte sie die Benommenheit<br />
verscheuchen, und sah Luke offen an. Noch immer voller Sorge,<br />
blickte Luke sie mit seinen treuen, blauen Augen an und ihr war<br />
bewusst, dass ihre kurze Antwort ihn nicht zufrieden stellte. Doch<br />
Mara wusste, dass er sie nicht dazu zwingen würde, ihm mehr zu<br />
berichten. Zumindest jetzt nicht.<br />
„Schon gut, Skywalker!“<br />
Ihre Beine zitterten wie bei einem Anfall plötzlicher Schwäche,<br />
als sie sich von ihrem Stuhl erhob und sich dabei Halt suchend auf<br />
den Tisch stützte. Für einen kurzen Moment verschwamm alles in<br />
ihrem Blickfeld und färbte sich an den Rändern schwarz. Die Welt<br />
um sie herum schien sich wie auf einem Karussell zu drehen und sie<br />
fühlte sich wie jemand, der zu schnell zu viel Gizerbier getrunken<br />
hatte.<br />
„Ich… bin müde“, sagte sie schlicht und übte sich darin,<br />
Skywalkers fragenden Gesichtsausdruck zu ignorieren, während sie<br />
sich zur Tür hinüber schleppte. Ihr war immer noch ein wenig übel<br />
und sie wurde von plötzlicher Müdigkeit übermannt, als hätten die<br />
Erinnerung der jungen Orianna ihr alle Kraft entzogen.<br />
Was war der Sinn? Sie verstand es nicht. In der Tat wurde das<br />
Rätsel, das May ihr aufgab, immer komplexer, immer<br />
undurchschaubarer. Vielleicht hatte May sie deshalb für diese<br />
Banthajagd ausgesucht, vielleicht hatte sie gewusst, dass dies<br />
98
geschehen würde. Sie musste gewusst haben, dass das Amulett eine<br />
Geschichte in sich trug, eine Geschichte, die sich nur Mara<br />
offenbaren konnte. Doch warum? Zu welchem Zweck?<br />
Und während sie sich auf dem Bett ausstreckte, in dem Zimmer,<br />
dass Sarzamin ihr zur Verfügung gestellt hatte, fühlte sie plötzlich<br />
eine klaffende Leere in ihrem Innern. Eine Leere, die nur darauf<br />
wartete gefüllt zu werden.<br />
Was geschah nur mit ihr?<br />
99
5: DEARLY BELOVED<br />
AM NÄCHSTEN MORGEN FÜHLTE MARA SICH IMMER NOCH EIN WENIG<br />
krank, schwach und von der Vision und der Anstrengung der<br />
Hetzjagd ausgelaugt. Eine Weile blinzelte sie angestrengt gegen das<br />
Sonnenlicht an, das durch die nicht abgetönten Fensterscheiben in<br />
das Gästezimmer flutete. Ihr Kopf fühlte sich seltsam taub an und<br />
die Welt um sie herum schien sich erneut im Kreis zu drehen, als sie<br />
sich mühselig in eine sitzende Position hinauf stemmte. Ruhe, dachte<br />
sie und versuchte ihre Gedanken auf die Macht zu richten, so wie<br />
Skywalker es sie in seinem Praxeum immer wieder gelehrt hatte. Sie<br />
rief die zeitlosen Lebensenergien zu sich und ließ sich von ihnen<br />
durchströmen und reinigen, bis der stumpfsinnige Nebel, der ihre<br />
Wahrnehmung trübte, durch kühle und gläserne Klarheit ersetzt<br />
wurde.<br />
Mit einem langen kontrollierten Atemzug löste sie ihren<br />
mentalen Griff und gestattete es der Macht wieder nach ihrem<br />
eigenen Willen zu fließen, ehe sie an sich hinunter sah und sich<br />
fragte, wann sie in der Nacht ihre Stiefel ausgezogen hatte. Und<br />
während sie so darüber nachdachte, bemerkte sie, dass die<br />
Augenblicke nach ihrer Vision hinter einem dunstigen Schleier<br />
verschwunden waren, der ihr nur wenige, farblose Eindrücke davon<br />
gab, was sie getan hatte.<br />
Zumindest vergewisserten ihr diese kurzen Momentaufnahmen,<br />
dass sie keine allzu großen Dummheiten gemacht hatte.<br />
100
Mit seinem Seufzen schwang Mara ihre Beine über die Bettkante<br />
und spürte den ausgekühlten Keramikboden unter ihren bloßen<br />
Füßen. Vorsichtig betastete sie ihre Schenkel. Die Beinmuskeln<br />
fühlten sich schwer und müde an.<br />
Auf einem Hocker neben dem Nachtisch entdeckte sie ihren<br />
Reisekoffer, von dem sie sich sicher war, ihn an Bord der Jade's Fire<br />
zurück gelassen zu haben, ehe sie am vorherigen Tag zu dieser<br />
neuerlichen Eskapade in der Steppe aufgebrochen waren. Ein<br />
unwillkürliches Lächeln der Dankbarkeit stahl sich auf ihr Gesicht.<br />
Skywalker musste zum Raumhafen zurück gefahren sein, um neue<br />
Kleidung für sie zu holen.<br />
Sie nahm ihren Gürtel samt ihren daran befinden Habseligkeiten<br />
ab und begann sich langsam aus ihrem Bodysuit heraus zu schälen.<br />
Was sie jetzt am dringendsten brauchte, waren Wasser und Seife.<br />
In einen grob gewebten Bademantel gekleidet, den Sarzamin ihr<br />
am Vorabend gegeben hatte, trat Mara aus dem Gästezimmer und<br />
wurde auf dem Flur von dem Geruch gebratener Eier begrüßt, der<br />
sich von der Küche aus im ganzen Haus zu verteilen begann. Sie<br />
hielt inne, lauschte dem leisen Prasseln von Bratfett und schlich<br />
dann beinahe lautlos den Gang hinunter zu einer kleinen<br />
Erfrischungszelle.<br />
Als sie eine Dreiviertelstunde später mit feuchten Haaren zurück<br />
zu ihrem Quartier ging, stieg ihr der rauchig-würzige Duft von<br />
Speck in die Nase und das leise Säuseln eine Entsafters erklang wie<br />
aus weiter Ferne. Interessiert schnupperte sie, sog den appetitlichen<br />
Geruch tief ein und versuchte sich den Geschmack auf ihrer Zunge<br />
vorzustellen. Von ihrem Hunger angetrieben, schlüpfte sie in frische<br />
Unterwäsche, eine dunkelgrüne Hose und streifte anschließend eine<br />
einfache weiße Bluse über.<br />
Dem immer intensiver werden Geruch des Essens folgend,<br />
verließ sie das Gästezimmer, bog am Ende des Ganges nach rechts<br />
ab und durchmaß mit wenigen Schritten die sich dort befindende<br />
Wohneinheit. Als sie schließlich zur Kücheneinheit kam, die<br />
geschickt hinter einen kleinen Durchreiche verborgen lag, entdeckte<br />
sie Sarzamin, die geschäftig in einer Pfanne rührte. Mara musste<br />
101
nicht einmal die Macht einsetzten, um zu spüren, wie sehr sich die<br />
Blumenhändlerin über ihren Besuch freute.<br />
„Guten Morgen“, sagte Mara und schritt zu einer freistehenden<br />
Küchentheke hinüber, vor der zwei Hocker standen. Überrascht<br />
wandte sich Sarzamin nach ihr um, die Stirn vor Verwunderung<br />
gerunzelt.<br />
„Oh, guten Morgen, Miss Jade“, gab sie zurück, „wobei Morgen<br />
in diesem Fall eine gelinde Übertreibung ist.“<br />
Sie deutete mit dem Kinn auf einen digitalen Chronometer, der in<br />
die Wand über der Kocheinheit eingelassen war. Es überraschte<br />
Mara nicht, dass es fast Mittag war.<br />
„Ich hoffe dennoch, dass Sie gut geschlafen haben?“ fuhr<br />
Sarzamin fort und beäugte Mara dabei skeptisch, „Meister Skywalker<br />
meinte, Sie hätten sich gestern Abend auf einmal nicht mehr<br />
besonders wohl gefühlt.“<br />
„Gestern war ein langer Tag“, erwiderte Mara schlicht. Sie sah<br />
keinen Grund, die genaue Ursache für ihre vorübergehende<br />
Erkrankung mit der älteren Frau zu diskutieren.<br />
„Dann können Sie eine Stärkung sicherlich gebrauchen, nicht<br />
wahr?“ meinte Sarzamin und schaufelte aus der Pfanne eine große<br />
Portion Rührei auf einen Teller, welchen sie Mara hinschob. Diese<br />
setzte sich auf einen der beiden Hocker und ließ sich von ihrer<br />
Gastgeberin Messer und Gabel reichen.<br />
„Wo ist Skywalker eigentlich? Haben Sie ihn heute Morgen schon<br />
gesehen?“ fragte Mara zwischen zwei hastigen Bissen. Nun, da sie<br />
vor einem gefüllten Teller saß, spürte sie ihren Hunger immer<br />
deutlicher.<br />
„Er war bereits wach als ich heute bei Morgengrauen<br />
aufgestanden bin“, gab Sarzamin zu „Ich bin mir nicht einmal<br />
sicher, ob er überhaupt geschlafen hat. Jedenfalls sagte er nur, dass<br />
er zum Hafen zurückfährt und noch einmal nach Ihrem Schiff,<br />
seinem X-Wing und seinem Astromech-Droiden sieht. Wollen Sie<br />
ein Glas frischen Barabelfruchtsaft?“<br />
„Ja, sehr gern.“<br />
Sarzamin beeilte sich, ein längliches Glas aus einem der Schränke<br />
zu fischen, ehe sie zum Entsafter eilte und eine tief violette, leicht<br />
102
trübe Flüssigkeit in das Glas laufen ließ. Sobald sie das Getränk vor<br />
Mara abgestellt hatte, sah diese ihrer Gastgeberin direkt in die<br />
Augen und fragte: „Müssen Sie heute nicht in Ihren Laden zurück?“<br />
„Dyue und La'mhak kommen auch einen Tag ohne mich<br />
zurecht.“ Sarzamin schaltete die Kocheinheit manuell ab, zog dann<br />
den zweiten Hocker neben der Theke zu sich heran und setzte sich.<br />
Ihre Blicken schweiften eine Weile im Raum umher, sahen alles an,<br />
nur nicht Mara, als wäre es der älteren Frau unangenehm sie<br />
anzusehen.<br />
„Wissen Sie“, begann sie langsam, „Sie erinnern mich an<br />
jemanden. Jemand, den ich sehr gut kannte und der vor sehr langer<br />
Zeit gestorben ist. Eigentlich haben Sie nicht besonders viel<br />
Ähnlichkeit mit ihr, weder vom Aussehen, noch vom Auftreten, und<br />
doch... Es kommt mir vor als wäre eine Ewigkeit vergangen, seit sie<br />
von uns ging. Die Republik ist gestürzt, ebenso das Imperium. Nun<br />
versucht sich die Neue Republik in die Geschichte einzuschreiben.“<br />
Sarzamin seufzte.<br />
Maras Augenbrauche zogen sich verwundert nach oben. „Darf<br />
ich so kühn sein und fragen, an wen ich Sie erinnere?“<br />
Sarzamin lächelte sie für einen Moment voller Traurigkeit an,<br />
dann sagte sie: „Ich habe sie Ihnen gegenüber bereits erwähnt. Ihr<br />
Name war Orianna Matale.“<br />
In Maras Innerem bereitete sich ein Gefühl aus, als hätte sie sich<br />
soeben einen Eimer voll Eiswasser in den Magen geschüttet.<br />
Orianna-Blüten. Orianna Matale. Das alte Anwesen der Matales,<br />
dass Sarzamin von Orianna geerbt hatte. Konnte es sein, dass<br />
Sarzamin ihre alte Freundin in ihr erkannte, weil sie jene Vision<br />
gesehen hatte? War vielleicht ein Teil von Orianna auf Mara<br />
übertragen worden? Eine Art Abglanz oder Aura? Sie machte sich<br />
im Geiste die Notiz Skywalker danach zu fragen, wenn er wieder<br />
auftauchte.<br />
„Sagen Sie“, fragte da Sarzamin und raubte ihr damit die<br />
Möglichkeit zum Nachdenken, "sind Sie auf Dantooine geboren<br />
worden? Oder vielleicht eines ihrer Elternteile?“<br />
„Ich weiß es nicht“, antwortete Mara wahrheitsgemäß und<br />
erstach einen Streifen Speck mit ihrer Gabel. Dies war eines der<br />
103
Mysterien ihrer Vergangenheit, mit denen sie sich nie befasste. Was<br />
kümmerte es sie, wer sie in die Welt gesetzt hatte? „Wie kommen Sie<br />
darauf?“<br />
„Nun, wie Sie schon bemerkt haben, fühlen sich alle Lebewesen<br />
auf Dantooine sehr mit der Natur verbunden. Deshalb geben Eltern<br />
ihren Kindern hier gerne die Namen von einheimischen Gewächsen<br />
– wie Orianna, zum Beispiel.“<br />
„In Ordnung, aber was hat das mit mir zu tun?“<br />
Mara schluckte den letzten Bissen Rührei hinunter und nippte an<br />
ihrem Glas voll violettem Fruchtsaft. Die Kälte in ihrem Inneren<br />
schien sich nur langsam und beschwerlich zu erwärmen.<br />
„Es gibt hier eine Pflanze, die in der restlichen Galaxis als Suyx<br />
bekannt ist. Hier nennen wir sie Mara, was soviel wie Bitterblüte<br />
bedeutet. Sie ist ein Ausdruck tiefer Traurigkeit und großer<br />
Verbitterung. In vielen volkstümlichen Sagen dieses Sektors heißt es,<br />
dass sie mit Vorliebe auf Blut getränkten Schlachtfeldern wuchs und<br />
sich vom Tod ernährte. Man sagt, wer eine Bitterblüte am Revers<br />
trägt, hat vor Kurzem ein geliebtes Familienmitglied in einer<br />
Schlacht verloren.“<br />
Mara lächelte freudlos. „Das klingt ja nicht besonders<br />
erheiternd.“<br />
Sarzamin machte eine wegwerfende Geste. „Oh, ich wollte Sie<br />
nicht beleidigen. Und keine Sorge, das ist alles bloß metaphorischer<br />
Unsinn, den die Mandalorianer über die Jahrhunderte hinweg<br />
immer weiter aufgeblasen haben, bevor sie Dantooine verließen. Im<br />
Bezug auf Kriegsgeschichten hatten die schon immer die blühendste<br />
Fantasie. Trotzdem hält sich dieser Volksglaube seitdem, daher kam<br />
mir irgendwie der Gedanke, dass Sie auch ein Sprössling Dantooines<br />
sein könnten.“<br />
„Mag sein“, sagte Mara bedächtig und strich sanft mit einem<br />
Finger über den dünnen Rand ihres Glases. Sie musste zugeben,<br />
dass ihr Name, Mara, in der Galaxis nicht besonders verbreitet war.<br />
Andererseits war sie auch noch niemandem begegnet, der ebenfalls<br />
Luke oder Lando hieß.<br />
Ein sanftes, tiefes Klingen erfüllte plötzlich das Haus, nur um<br />
dann erneut wieder abzubrechen.<br />
104
„Wenn Sie mich entschuldigen würden“, sagte Sarzamin, „einer<br />
muss ja die Tür öffnen.“<br />
„Warum haben Sie eigentlich keine Droiden hier, wenn Ihr<br />
Geschäft so gut läuft?“ fragte Mara.<br />
„Ich kann sie nicht ausstehen“, antwortete die Blumenhändlerin,<br />
die bereits auf dem Weg zur Tür war. „Sie erinnern mich irgendwie<br />
an die schrecklichen Taten der Handelsförderation. Diese<br />
verfluchten Neimoidianer!“<br />
Mit diesen Worten überließ sie Mara sich selbst. Entfernt hörte<br />
diese, wie Sarzamin Skywalker begrüßte und diesem seinen Jedi-<br />
Mantel abnahm. R2-D2 ließ sein beinahe vergnügtes Quietschen<br />
vernehmen. Doch Mara blieb stumm sitzen, drehte das Glas mit dem<br />
Barabelfruchtsaft zwischen ihren Fingern und starrte zu einem<br />
Punkt in weiter Ferne, der jenseits der Mauer von Sarzamin Saias<br />
Heim lag. Das Schmerzen ihrer Muskeln lag wie eine Last auf ihr,<br />
die ihr das Atmen schwer werden ließ. Wilde Gedanken und<br />
Erinnerungen drangen an die Oberfläche ihres Bewusstseins.<br />
Sie wurde einfach nicht schlau aus alledem: Meelam, May,<br />
Orianna, Dantooine. Was genau suchte sie an diesem verlassenen<br />
Flecken Galaxis? Alles, was sie gewollt hatte, waren ein paar<br />
Abwehranlagen für die Wild Karrde, mehr nicht! Was für ein<br />
Schlamassel und irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie<br />
selbst daran Schuld war, schließlich ließ sie sich immer wieder<br />
ablenken. Fokus, Konzentration, Präzision, das war es, was sie<br />
brauchte, doch je mehr sie sich bemühte ihre Gedanken zu ordnen<br />
und ihre Emotionen in den Griff zu bekommen, um so mehr schien<br />
sie sich selbst zu entgleiten – zum Leidwesen ihrer Umwelt. Doch es<br />
gab kein Heilmittel für dieses Chaos, nicht einmal die Macht. Ihre<br />
einzige Hoffnung war die Lösung, das Ende dieses Rätsels.<br />
Schritte näherten sich und sie konnte Skywalker voll aufrichtiger<br />
Höflichkeit lachen hören.<br />
„Ich danke Ihnen sehr, aber ich denke nicht, dass dies nötig sein<br />
wird“, betonte er, „wir Jedi haben unsere eigene Art derartige Dinge<br />
zu regeln.“<br />
Doch dann stockte er und seine Schritte erlahmten. Peinliche und<br />
deplazierte Stille trat ein, als Mara sich auf ihrem Hocker halb<br />
105
herumdrehte und Skywalker ein ermattetes Lächeln schenkte. „Ich<br />
habe mich schon gefragte, wo Sie wohl ab geblieben sind.“<br />
Es dauerte eine Weile, bis er in der Lage war, die Begrüßung und<br />
damit Maras Verfassung einzuschätzen und eine Erwiderung zu<br />
formulieren. Sie sah es an der Art, wie er sich bemühte, nicht die<br />
Stirn kraus zu ziehen. „Hallo“, sagte er langsam.<br />
Sarzamin, die halb hinter Skywalker stand, drängte sich nun an<br />
dem Jedi-Meister vorbei und begann das von Mara benutzte<br />
Geschirr beiseite zu räumen, während sie etwas von „das Fleisch<br />
einlegen“ murmelte.<br />
Lukes Blick flackerte einen Moment zu der Blumenhändlerin<br />
hinüber und Mara verstand. Offensichtlich zog er es vor, sich unter<br />
vier Augen mit ihr zu unterhalten, ganz gleich, wie<br />
vertrauenswürdig Sarzamin auch sein mochte.<br />
Mara glitt lautlos von ihrem Hocker herunter, stürzte die Reste<br />
des Fruchtsaftes hinunter und bedeutete Skywalker mit einer Geste<br />
ihr voraus zu gehen. „Ich denke, ein Spaziergang würde mir jetzt<br />
gut tun“, verkündete Mara laut, richtete die Äußerung jedoch nicht<br />
an Skywalker oder Sarzamin persönlich.<br />
Im Wohnbereich war R2 in eine Ecke neben dem CommUnit<br />
gerollt und in einen mechanischen Schlummer gefallen, bis Mara<br />
und Luke ihn auf ihrem Weg passierten. Nun war es Skywalker, der<br />
seinem Astromech mit nur einer Handbewegung mitteilte, dass er<br />
bleiben sollte, wo er war.<br />
Mara fand ihre Stiefel sorgsam neben der Eingangstür aufgestellt<br />
und schlüpfte hinein. Ein Teil von ihr hatte fast schon erwartet, dass<br />
Skywalker die Schuhe auch noch geputzt hatte, doch unter der Sohle<br />
haftete noch immer die rotbraune und fruchtbare Erde Dantooines.<br />
Luke verzichtete darauf, seinen Mantel erneut überzuwerfen,<br />
sondern reichte Mara nur ihre Jacke, ehe sie gemeinsam auf die<br />
Straße vor dem Haus traten. Wobei es sich dabei weniger um eine<br />
Straße, als viel mehr um einen verwilderten Naturpfad handelte.<br />
Steile, fast senkrechte, von Vegetation überfüllte Erdhänge, die<br />
beinahe doppelt so hoch waren wie Mara, begrenzten den Weg<br />
entlang des Südpfades, der zurück in die Stadt führte.<br />
106
Mit großzügigen Schritten marschierten sie durch einen<br />
schmucklosen Vorgarten und traten durch ein einfaches Tor in einer<br />
alten hüfthohen Mauer, die den Garten begrenzte.<br />
„Wie fühlen Sie sich?“ fragte Skywalker behutsam, doch Mara<br />
erahnte, wie lange ihm die Frage wohl schon auf der Zunge gelegen<br />
haben musste.<br />
„Besser“, meinte sie.<br />
„Besser, aber nicht gut, hm?“<br />
Ihre Blicke erforschten Skywalkers Gesicht, das für einen<br />
Augenblick mit einem sehr schmalen und sehr sorgenvollen Lächeln<br />
gezeichnet war. „Ja“, sagte sie mit einem langsamen Nicken.<br />
Ohne genau zu wissen wohin ihre Füße sie trugen, wanderten sie<br />
den Südpfad in Richtung Khoonda City entlang. Die Gegend war<br />
genau so stumm wie am Tag zuvor und nur dass Flüstern der Natur<br />
schien über Fels und Gras zu streichen, wie eine leise behutsame<br />
Melodie. Unter anderen Umständen hätte Mara diesem Lied ewig<br />
lauschen können ohne seiner jemals müde zu werden. Doch ihr<br />
Herz und ihre wirren Gedanken drängten sie weiter, wollten Worte<br />
formen und aus ihr heraus brechen. Wie lange gingen sie nun schon<br />
schweigend nebeneinander her?<br />
„Luke, hören Sie...“<br />
Erst begriff sie nicht, warum er mit einem Male langsamer wurde<br />
und sie mit einem Ausdruck der tiefsten Verblüffung anblinzelte.<br />
Doch dann verstand sie und auch ihre Schritte verlangsamten sich,<br />
bis sie schließlich inne hielt. Mit aller Deutlichkeit konnte sie<br />
beobachten, wie sich ein weiteres Lächeln auf seine Gesichtszüge<br />
stahl, doch dieses Lächeln war warm und gütig. Hatte sich ihr<br />
schlechtes Gewissen bereits ihres Sprachvermögens bemächtigt, dass<br />
sie ihn nun beim Vornamen nannte?<br />
„Offenbar haben wir endlich die feine Grenze zwischen Skywalker<br />
und Luke hinter uns gelassen“, sagte er, während seine Mundwinkel<br />
sich weiter sanft nach oben zogen.<br />
„Provozieren Sie mich nicht!“ raunzte sie, doch sie beide<br />
wussten, dass sie es nicht ernst meinte.<br />
„Entschuldigung“, meinte er vergeblich um ein ernstes Gesicht<br />
bemüht. „Was wollten Sie sagen?“<br />
107
Mara nahm einen langen kontrollierten Atemzug.<br />
„Ich wollte mich bei Ihnen bedanken... und mich entschuldigen.<br />
Ich weiß, wie schwer es Ihnen gefallen ist, sich auf Nam Chorios<br />
endgültig von Callista zu trennen. Nur weil es mir nicht gefällt Herr<br />
der Lage zu sein... Ich wollte Sie nicht kränken.“<br />
Er bedachte sie mit einem fragenden Blick, dann lachte er kurz<br />
und macht eine wegwerfende Geste. „Es gibt nichts zu vergeben.<br />
Immerhin hatten Sie Recht, doch mir geht es wohl nicht anders als<br />
Ihnen: Es ist schwer zu ertragen, wenn einem die eigenen Fehler mit<br />
einem Spiegel vorhalten werden.“<br />
Nun war es an ihr, verwirrt dreinzuschauen: „Was?“<br />
„Lassen Sie uns diese Sache einfach vergessen, in Ordnung?“<br />
wiederholte er und bot ihr eine Hand an.<br />
Zögernd starrte Mara seine behandschuhte rechte Hand an.<br />
„Um des Friedens willen“, sagte Mara und gewährte ihm einen<br />
kurzen Händedruck.<br />
„Um der Freundschaft willen“, korrigierte Luke und seine blauen<br />
Augen glitzerten.<br />
Sie blinzelte perplex, doch das sanfte Lächeln, das seine Lippen<br />
kräuselte, verschwand noch immer nicht.<br />
„Sie irritieren mich, Skywalker“, warf sie ein, doch sie spürte wie<br />
ihre Wangen krampfhaft ein Lächeln zu unterdrücken versuchten.<br />
„Oh, das tut mir leid. Es war keine Absicht“, erwiderte Luke<br />
unverblümt. Die Heiterkeit seines jungenhaften und aufrichtigen<br />
Grinsens ließ die eisige Kälte in ihrem Inneren für einen Augenblick<br />
dahin schmelzen.<br />
Nun gestattete auch Mara sich ein kurzen Lachen, dann entwand<br />
sie ihre Hand vorsichtig seinem Griff.<br />
„Sie sollten häufiger lächeln“, meinte Luke, „das macht Sie<br />
irgendwie aufgeschlossener und freundlicher.“<br />
„Wollen Sie jetzt etwa mit mir flirten?“ fragte Mara ironisch und<br />
stemmte spielerischen die Hände in die Hüften. „Nur, weil ich Sie<br />
einmal Luke genannt habe, heißt das nicht gleich, dass ich Sie<br />
heiraten werde.“<br />
„Das habe ich auch nicht erwartet“, sagte er, doch zu ihrer<br />
Überraschung schlich sich ein Hauch von zarter Röte auf seine<br />
108
Wangen. Es bereitete ihr immer eine diebische Freude, diese peinlich<br />
berührte Miene an ihm zu sehen.<br />
„Was genau ist eigentlich letzte Nacht passiert?“ fragte er dann<br />
sehr beherrscht und lenkte damit ihre Unterhaltung in eine andere<br />
Richtung. „Nachdem ich mit R2 gesprochen hatte und wieder auf<br />
die Veranda kam, waren Sie leichenblass und haben von Kopf bis<br />
Fuß gezittert. Ich dachte, Sie werden gleich ohnmächtig oder<br />
Schlimmeres! Und während der Nacht haben Sie sich ziemlich oft im<br />
Bett herum gewälzt, wie im Fieberwahn gesprochen und...“<br />
„Moment mal“, unterbrach Mara ihn, „soll das heißen, Sie haben<br />
die ganze Nacht neben meinem Bett verbracht?“<br />
„Nicht ganz. Kurz bevor die Sonne aufging, habe ich Ihre<br />
Reisetasche mit der Kleidung geholt und als ich mir später sicher<br />
war, dass Ihre Unpässlichkeit vorüber ist, habe ich R2<br />
eingesammelt.“<br />
Sie beäugte ihn kritisch, doch nichts an seiner Haltung, seiner<br />
Mimik oder seiner schillernden Präsenz in der Macht deutete<br />
daraufhin, dass es nicht so gewesen war, wie er gesagt hatte. Er<br />
hatte also wirklich die ganze Nacht lang über sie gewacht, hatte ihr<br />
die Stiefel und den Gürtel ausgezogen und sie zugedeckt.<br />
„Nun“, begann Mara, „wie viel konnten Sie denn aus dem<br />
schließen, das ich im Schlaf von mir gegeben habe?“<br />
„Nicht besonders viel“, sagte Luke und zuckte mit den Schultern,<br />
„Ilya, das ist das Einzige, das ständig über Ihre Lippen kam. Ist das<br />
ein Name?“<br />
Mara nickte: „Ja, es ist ein Name. Der Name eines Mannes, um<br />
genauer zu sein.“<br />
Skywalkers Augenbrauen zogen sich fragend zusammen.<br />
„Welcher Mann? Hat er etwas mit May Montross zu tun?“<br />
„Nein, leider nicht“, sagte Mara und schüttelte den Kopf, „Ilya ist<br />
Teil einer Erinnerung, einer Vision oder irgendetwas in der Art.“<br />
Und damit begann sie zu erzählen. So gut es ging, versuchte sie<br />
sich aller Details ihrer Vision zu entsinnen und ihm davon zu<br />
berichten, in der Hoffnung, dass er daraus vielleicht schlau werden<br />
würde. Doch sie wurde enttäuscht, denn da war nur ein tiefes<br />
109
Stirnrunzeln auf seinem Gesicht, das nicht gerade Anlass zur<br />
Hoffnung gab.<br />
„Seltsam, dass die Vision sich Ihnen offenbart hat, mir aber<br />
verschlossen blieb, wenn sie doch in dem Amulett abgespeichert<br />
war“, meinte Luke als sie schließlich geendet hatte.<br />
„Das dachte ich auch erst. Nichtsdestotrotz ist es wohl so, dass<br />
May dies gewusst hat. Sie wusste, dass nur ich in der Lage bin die<br />
Erinnerungen zu entschlüsseln und vielleicht will sie, dass ich genau<br />
das tue, damit ihr Plan von Erfolg gekrönt ist. Das Problem ist nur“,<br />
sagte Mara trocken, „dass wir wahrscheinlich diese Erinnerung<br />
entschlüsseln müssen, um ihren Plan zu durchkreuzen.“<br />
„Fühlen Sie sich denn bereit dazu? Würden Sie es noch einmal<br />
versuchen?“<br />
„Ich fürchte, ich habe keine Wahl, oder?“ erwiderte sie mit einem<br />
resignierenden Seufzen.<br />
„Keine Sorge“, meinte Skywalker und zog das silbrige Amulett<br />
aus einer Gürteltasche, „diesmal lass ich Sie nicht damit allein.“<br />
DREI JAHRE LANG HATTE SIE IHN NICHT MEHR GESEHEN UND DAS HERZ<br />
schlug ihr voller Eifer und Aufregung bis zum Hals, als sie am Morgen<br />
hinaus ging und den Flug der Iriaz beobachtete. Drei Jahre erfüllt von<br />
sehnsüchtigem Warten und es war nicht ein Tag vergangen, an dem sie<br />
nicht an Ilya gedacht hatte.<br />
Ob er sich wohl sehr verändert hatte?<br />
Der frische Wind fegte über die weite Steppe hinweg und schob triste<br />
Regenwolken vor die wärmenden Strahlen von Dantooines Sonne, doch<br />
Orianna stand einfach nur da und starrte in den Himmel.<br />
Mara spürte, dass die Zeit Orianna verändert hatte. Nicht nur, dass sie<br />
zu einer jungen Frau geworden war; die tyrannische Herrschaft ihrer<br />
Schwester über das Matale-Anwesen seit dem Tod ihres Vaters hatte sie<br />
härter gemacht und ihr beinahe jedes bisschen kindlicher Naivität geraubt –<br />
beinahe.<br />
Als die ersten Regentropfen zu fallen und das trockene Gras unter ihren<br />
Stiefeln zu tränkten begannen, ging Orianna zurück ins Haus. Bithras saß<br />
im Wohnbereich und hatte sich im Lieblingssessel seines verstorbenen<br />
110
Schwiegervaters breit gemacht, um die neusten Wirtschaftsnachrichten aus<br />
dem HoloNet zu studieren. Auf einem Beistelltisch neben dem Sessel<br />
qualmte eine dünne Zigarre fröhlich vor sich hin - eine lästige<br />
Angewohnheit, die er sich mit der Eröffnung seines eigenen Geschäfts in<br />
Khoonda City zugelegt hatte. Und wie jeden Morgen wunderte sie sich, wie<br />
er an die Datacards kam, die er gerade voller Aufmerksamkeit und<br />
Konzentration las, schließlich hatten die immer noch andauernden<br />
Klonkriege viele Welten des Outer und Middle Rim vom HoloNet<br />
abgeschnitten. „Ich habe halt Beziehungen“, rechtfertigte er sich jedes Mal,<br />
wenn sie ihn danach fragte, und die Art wie er das Wort Beziehung<br />
auseinander zog wie klebrige Kaumasse, machten Orianna nur zu deutlich<br />
klar, dass es bei Bithras' Geschäften nicht immer mit rechten Dingen<br />
zuging.<br />
Casseia scheuchte derweil die Droiden durch die Gänge, um alles für<br />
Ilyas Ankunft vorzubereiten. Orianna konnte ihre Schwester in hektischem<br />
Tonfall herum schreien hören, woraufhin Bithras nur genervt die Augen<br />
verdrehte, an seiner Zigarre zog und sich wieder seinem Studium widmete.<br />
Da ihr Schwager sie ohnehin keines Blickes würdigte, beschloss<br />
Orianna nachzusehen, was ihre Schwester schon wieder in helle Aufregung<br />
versetzte. Als sie die Küche betrat, war Casseia gerade dabei einen der<br />
Haushalts-Droiden beiseite zu schubsen und den Speiseprozessor manuell<br />
zu programmieren.<br />
Auch Casseia hatte sich verändert. Seit dem ersten Jahr ihrer Ehe mit<br />
Bithras, in dem sie allen Anscheins nach glücklich gewesen war, versuchte<br />
Casseia unentwegt schwanger zu werden, doch ihre Bemühungen waren<br />
bisher nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Voller Frustration und immer<br />
neuen Streitigkeiten mit ihrem Ehemann, hatte sich Casseia ihrem Freund,<br />
dem Essen, zugewandt, und seither deutlich an Gewicht zugelegt. Neben<br />
ihr wirkte Orianna mittlerweile noch zerbrechlicher und feingliedriger, als<br />
sie ohnehin schon war.<br />
„Da bist du ja!“ sagte Casseia in schnarrendem Ton, der Orianna<br />
unentwegt an ihre Mutter erinnerte. „Steh' nicht so unnütz herum,<br />
sondern sieh' zu, dass du dich frisch machst. So kann man dich doch<br />
keinesfalls unter Menschen lassen.“ Sie gestikulierte voller Empörung in<br />
Oriannas Richtung. Diese sah an sich herunter und fragte sich, was<br />
111
Casseia an dem cremefarbenen Hosenanzug und den hellbraunen Stiefeln<br />
auszusetzen hatte.<br />
Sie unterdrückte ein genervtes Seufzen und sagte nur: „Mir gefällt es<br />
so.“<br />
Casseia öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch keine der beiden<br />
Schwestern kam dazu einen Streit vom Zaun zu brechen. Mit einem Mal<br />
schlug der Türsummer an und ließ Casseia vor Schreck zusammen zucken.<br />
Einige Sekunden des Schweigens vergingen, dann rief sie Orianna barsch<br />
zu: „Na los, geh' und mach' die Tür auf!“ Diese ließ es sich nicht zweimal<br />
sagen, auch wenn ihr Herz schmerzhaft schnell gegen ihre Rippen schlug.<br />
Der Türmelder summte noch ein zweites Mal, ehe sie die Eingangshalle<br />
durchqueren und ihn mit einem Knopfdruck einlassen konnte.<br />
Ilya hatte sich kaum verändert. Seine Gesichtszüge waren zwar weniger<br />
jungenhaft und weich, sondern von Strenge und Reife gezeichnet, doch<br />
seine grünen Augen waren so schön wie damals. Immer noch stattlich und<br />
hoch gewachsen, sah er verblüfft auf Orianna hinunter und dann, ganz<br />
langsam, zeichnete sich ein Lächeln auf seinen Lippen ab.<br />
„Seid gegrüßt, Mylady“, sagte er und beugte sich vor, um ihre Hand zu<br />
küssen. Ihre Finger kribbelten, als seine Lippen ihre Haut berührten.<br />
„Gleichfalls, Sir“, erwiderte sie ein bisschen zittrig und flatterhaft.<br />
Just in diesem Moment stolperte Casseia um die Ecke und schob sich<br />
unwirsch einige Strähnen ihres Haars aus dem Gesicht. „Hallo, Ilya“,<br />
begrüßte sie ihn im herzlichsten Tonfall, zu dem sie fähig war – was in<br />
Oriannas Ohren immer noch wie eine Verwünschung klang – und<br />
umarmte ihren Gast knapp. „Nur so wenig Gepäck?“ fragte sie und stierte<br />
auf eine gut abgesicherte Aktentasche, die Ilya bei sich trug.<br />
Er lächelte.<br />
„Ich habe mir ein Zimmer in der Stadt gemietet. Ich erwarte heute<br />
Abend selbst noch Besuch.“<br />
„Oh“, machte Casseia mit zerknirschtem Gesichtsausdruck. „Warum<br />
setzt du dich nicht schon mal ins Speisezimmer, Orianna wird dich<br />
hinführen. Ich hole derweil meinen lieben Mann.“<br />
Ilya nickte nur und Casseia verschwand ebenso schnell, wie sie<br />
gekommen war. Schweigend führte Orianna ihn durch die Eingangshalle,<br />
durch den Flur im westlichen Flügel und zum Speisezimmer auf der<br />
Nordwest-Seite des Anwesens mit Blick über die Ebene.<br />
112
„Ein bezaubernder Anblick. Natur ist etwas, dass man auf Coruscant<br />
selten erlebt“, kommentierte er, als er seine Tasche einem Droiden übergab<br />
und den Blick aus dem Fenster wandte. Orianna gesellte sich zu ihm<br />
hinüber.<br />
„Ja, aber leider sind Sie in der Regenzeit hier eingetroffen. Bei<br />
Sonnenschein ist es noch viel schöner.“<br />
Er verzog seine schmalen Lippen zu einem schiefen Lächeln.<br />
„Das kann ich mir denken. Aber tut mir den Gefallen und nennt mich<br />
bei meinem Vornamen, Orianna.“<br />
Sie unterdrückte die plötzliche Hitze auf ihren Wangen. „Gut“,<br />
flüsterte sie. „Wenn du dasselbe für mich tust.“<br />
„Selbstverständlich.“<br />
Wieder verfielen sie in Schweigen und Orianna überlegte fieberhaft, wie<br />
sie die Konversation endlich ins Rollen bringen konnte. Doch es war nicht<br />
sie, die als Erste wieder das Wort ergriff.<br />
„Wie geht es deiner Mutter?“ fragte er mit einer seltsamen<br />
Ernsthaftigkeit. „Ich habe gehört, es ginge ihr seit Cailetets Tod nicht<br />
besonders gut.“<br />
Orianna schüttelte den Kopf. „Wir haben sie in der Siedlung in ein<br />
Med-Zentrum gebracht, wo man sich rund um die Uhr um sie kümmert.<br />
Casseia und ich wären einfach mit ihr überfordert gewesen, mit dem<br />
Haushalt und der Verwaltung des Anwesens. Wir können die Arbeit<br />
gerade so bewältigen und dennoch sieht es nicht gut aus. Ich denke, sie<br />
leidet unter Vaters Tod, immerhin kannten sie sich bereits ein ganzes Leben<br />
lang. Sie waren wie Seelenverwandte.“<br />
„Das sieht man im Tierreich oft. Wenn ein Partner stirbt, wird es der<br />
andere ihm bald nachtun. Solche Dinge sind von niemandem bestimmt, nur<br />
vom Herzen, und dagegen lässt sich leider nichts machen“, erklärte er und<br />
Orianna bewunderte seine weltmännische Art. „Es tut mir leid.“<br />
„Schon gut“, sagte Orianna und machte eine wegwerfende Geste. Auch<br />
wenn sie nie eine besondere Verbindung zu ihrer Mutter gespürt hatte, so<br />
kam sie doch nicht umher Trauer angesichts ihres nahenden Todes zu<br />
empfinden.<br />
Casseias und Bithras' Erscheinen machte weitere Bemerkungen<br />
überflüssig. Ilya half Orianna in den Stuhl und nahm dann links von ihr<br />
am einen Ende der Tafel Platz, direkt gegenüber von Bithras. Casseia setzte<br />
113
sich an die übrig bleibende Längsseite des Tisches und starrte ihrer<br />
jüngeren Schwester unmittelbar ins Gesicht. Diese hielt ihren Blick fixiert<br />
auf das Frühstück, dass von den Droiden aufgetragen wurde.<br />
Sie aßen in schweigsamer Atmosphäre und erst nach einer Tasse frisch<br />
gebrühten Kaffees, den Bithras sich immer von Chandrila importieren ließ,<br />
taute die Stimmung ein wenig auf. Ilya machte höfliche Komplimente über<br />
Casseias Äußeres, die Oriannas dickliche Schwester immer wieder erröten<br />
ließen, ehe sie kichernd rief: „So ein Charmeur!“<br />
Doch Oriannas Blicke hingen immerzu an Ilya, an seinen Augen, an<br />
seinem Mund, an seinen Fingern, die immer wieder rhythmisch gegen den<br />
Pokal seines Trinkkelches trommelten, an seinen breiten Schultern und an<br />
seinem Hals. Nach einer Weile fühlte sie sich ganz benommen und versank<br />
ganz und gar in ihrer Fantasiewelt, in der es nur sie und ihn gab. Mehrere<br />
Male bemerkte sie es nicht einmal, dass Ilya sie tatsächlich angesprochen<br />
hatte. Schamröte brannte wie Feuer auf ihren Wange, doch er grinste nur.<br />
Es war bereits früher Nachmittag, als Bithras beschloss seinen alten<br />
Freund in sein Büro zu führen, um sich ums Geschäft zu kümmern und<br />
Orianna sah ihm mit sehnsüchtigen Blicken hinterher.<br />
„Hoffentlich kann Bithras ihn dazu überreden uns zu helfen“,<br />
philosophierte Casseia herum, während sie beobachtete, wie die Droiden das<br />
restliche Geschirr zusammentrugen. Sie machte eine Pause und erwartete<br />
offensichtlich eine Antwort von Orianna, welche jedoch ausblieb.<br />
„Schlag' ihn dir aus dem Kopf!“ schnaubte Casseia da. „Er ist viel zu<br />
alt für dich. Außerdem will ich nicht, dass du Bithras Karriere ruinierst,<br />
nur weil deine Hormone verrückt spielen!“<br />
Oriannas Geist kehrte schlagartig in die Realität zurück. Erst wusste<br />
sie nicht, was sie empfinden sollte: Scham, weil ihre Schwester und<br />
sicherlich auch Bithras und Ilya sie ertappt hatten oder Wut, weil Casseia<br />
ihre Träume auf so rüde und plumpe Art zunichte machen wollte.<br />
„Was geht dich das denn an? Wäre dein Mann nicht so ein Versager,<br />
müsste er nicht seinen alten Kumpel von der Universität beknien, damit<br />
er ihm hilft. Er selbst verqualmt und versäuft doch ohnehin nur unser<br />
Geld. Und du! Nur weil du noch nicht schwanger bist gibt dir das kein<br />
Recht über mich zu bestimmen oder deine Frustration an mir auszulassen!<br />
Ihr seid beide so erbärmlich“, fauchte Orianna zurück und gab sich nicht<br />
114
einmal Mühe, ihre Stimme zu senken, ehe sie sich erhob und schnellen<br />
Schrittes das Zimmer verließ.<br />
Was für eine Familie, dachte Mara nur.<br />
Orianna wanderte zunächst ziellos durch die Gänge des Anwesens,<br />
ging dann in die Küche, um sich einen Trinkschlauch voll Mineralwasser<br />
aus der Kühlanlage zu nehmen, ehe sie hinaus ging.<br />
Er regnete in Strömen und nach wenigen Minuten war sie bis auf die<br />
Haut durchnässt. Der cremefarbene Anzug färbte sich dunkel, ihre Stiefel<br />
versanken in der aufgeweichten Erde und ihre roten Locken klebten an<br />
ihrem Kopf. Doch sie genoss den Regen und hoffte, dass er einen Teil ihrer<br />
Gefühle fortspülen würde.<br />
Sie entfernte sich immer weiter vom Anwesen, passierte die<br />
elektromagnetische Barriere, die das Grundstück abgrenzte und marschierte<br />
immer weiter in Richtung Stadt. Der Südpfad, wie die Einwohner ihn<br />
nannten, war jedoch verwaist. Nur die kleine Sarzamin, die auf einer<br />
niedrigen Mauer nahe ihres Elternhauses saß, schien sich vom heftigen<br />
Regenschauer nicht beirren zu lassen. Orianna sprach eine ganze Weile mit<br />
dem zehnjährigen Mädchen und begann ihren Kummer zu vergessen, bis<br />
sie jäh vom Jaulen der Kath-Hunde in der Ferne unterbrochen wurden. Mit<br />
verängstigten Blicken schaute Sarzamin sich um, rutschte von der Mauer<br />
hinunter und rannte zurück ins Haus und Orianna sollte es ihr gleich tun.<br />
In letzter Zeit waren die Kath-Hunde wieder besonders aggressiv und<br />
schreckten weniger den je davor zurück, jemanden anzugreifen.<br />
Sie ging den Weg, den sie gegangen war, zurück, doch ein Blick auf das<br />
Chronometer sagte ihr, dass mehr Zeit vergangen war, als sie gedacht hatte.<br />
Die zunehmende Dunkelheit hatte sie den immer stärkeren Regenfällen<br />
zugeschrieben, doch in der Tat neigte sich der Tag bereits dem Ende zu und<br />
der Abend war hereingebrochen. Wenn sie nicht vor Einbruch der Nacht<br />
wieder auf dem Grundstück der Matales war, würde sie in gewaltigen<br />
Schwierigkeiten stecken.<br />
Wieder hörte sie erneut die Kath-Hunde jauten und Angst kroch in ihre<br />
Glieder. Unruhig spielte sie mit dem Medallion und der Kette an ihrem<br />
Hals. Ihre Schritte beschleunigten sich und schließlich rannte sie, bis ihre<br />
Lungen rannten und der Regen die Bilder vor ihren Augen verschwimmen<br />
ließ. Es war nicht mehr weit..<br />
115
Sie rannte immer weiter, bis schließlich das diffuse blaue Leuchten der<br />
Begrenzungsfelder zwischen dem Grau um sie herum auftauchte. Hastig<br />
passierte sie die Barriere und aktivierte die Verteidigungsdroiden entlang<br />
der Anwesendsgrenze. Dann noch ein letzter Spurt und sie hatte es<br />
geschafft. Erschöpft hielt sie eine Sekunde inne und rang nach Atem. Nun<br />
war sie wieder in Sicherheit.<br />
Überall im Haus brannten die Lichter, um die erstickende Dunkelheit<br />
und den tristen Regen abzuhalten. Von Kopf bis Fuß durchnässt, tropfte es<br />
von ihren Haaren, ihrer Nase und den Fingerspitzen, als durch den<br />
Hintereingang schlüpfte und ihre Stiefel aus zog.<br />
„Wo ist sie nur wieder hingegangen?“ hörte sie Casseia in wütendem<br />
Ton fragen. „Es würde mich nicht wundern, wenn sie eines Tages wirklich<br />
von den Kath-Hunden zerfleischt wird!“ Orianna schnaubte und wandte<br />
sich nach links, weg von der Stimme ihrer Schwester und ihres Schwagers.<br />
Diese beiden waren das letzte, was sie heute sehen wollte. Wieder spielte sie<br />
mit ihrem Anhänger und warf einen Blick über ihre Schulter, ehe sie um<br />
die Ecke ging...<br />
... und gegen jemand stieß.<br />
Erschrocken wich sie zurück und erkannte voller Entsetzen, dass es Ilya<br />
war, dessen Anzug sie mit ihrem nassen Haar beschmutzt hatte. Doch sie<br />
brachte keine Entschuldigung hervor, sondern rief überrascht: „Du bist ja<br />
noch da! Hattest du nicht etwas von einem Termin gesagt?“<br />
Er starrte sie verdutzt an und es war ihr unmöglich seine Mimik zu<br />
deuten. Was dachte er wirklich? Das Einzige, was sie mit Sicherheit<br />
wusste, war, dass ihr Puls erneut in die Höhe schnellte und ihr Körper und<br />
ihre Seele, ihr ganzes Sein, sich nach ihm verzehrten.<br />
Plötzlich packte er ihre Schultern, so fest, dass es wehtat, zerrte sie<br />
weiter von Casseias Stimme fort und presste sie plötzlich gegen die nackten<br />
Korridorwand aus Orange gefärbtem Durastahl. Sie spürte seinen Atem<br />
auf ihrem Gesicht, welcher genauso schnell und stoßartig wie ihr eigener<br />
ging.<br />
„Ich konnte nicht…“, sagte er atemlos. „Ich konnte nicht gehen, ehe du<br />
nicht wieder in Sicherheit bist. Was hast du dir nur gedacht?“<br />
Schmerz jagte durch Oriannas Körper, als ihr Herz in ihren Hals zu<br />
springen schien. Sie zweifelte an der Realität des Augenblicks. Ihr Verstand<br />
116
weigerte sich zu glauben, dass dies wirklich passierte, doch der Rest von ihr<br />
wollte nicht, dass dieser Traum endete.<br />
Sie schloss die Augen, legte den Kopf in den Nacken, bot sich ihm an<br />
und lauschte seinem aufgeregten Atmen. Seine Hände zitterten, als er ihre<br />
Schultern losließ und seine Finger über ihren Körper gleiten ließ. Das<br />
Nächste was sie spürte, war, wie seine Arme kraftvoll ihre Taille umfassten<br />
und sich seine Lippen begierig und fordernd auf ihre senkten.<br />
Erst war Skywalkers mentaler Fühler nur ein sanftes Zwicken an<br />
der Oberfläche ihres Geistes, während er sie zurück in das Hier und<br />
Jetzt zu locken versuchte. Ein leises, fast zärtliches Echo aus weiter<br />
Ferne, das sie nach hause rief.<br />
„Ich glaube, Sie brauchen eine Pause, Mara“, hörte sie ihn wie<br />
durch Watte sagen. „Kommen Sie zurück.“<br />
Doch sie konnte nicht. Sie fühlte nur, wie ihr Geist zwischen den<br />
Bildern und Skywalkers Rufen hin und her geworfen wurde wie ein<br />
Boot, das vom Sturmwind erfasst worden war und im Begriff die<br />
Richtung zu verlieren.<br />
Das Zwicken schwoll an zu einem Stechen in ihrem Kopf und<br />
wurde immer lauter und eindringlicher wie ein donnerndes<br />
Stakkato, das unaufhörlich gegen ihre mentalen Barrieren prallte.<br />
„Moment!“ stieß Mara keuchend hervor. Ihr stand Schweiß auf<br />
der Stirn. Sie konnte die Feuchtigkeit an ihren Schläfen spüren.<br />
Atmen, dachte sie, atmen...<br />
Und mit einem Ruck warf sie Oriannas Erinnerung von sich fort,<br />
war sie ab wie einen alten Tarnmantel. Erneut von Schwäche<br />
übermannt, konnte sie an nichts anderes denken, als Luft in ihre<br />
Lungen zu pressen. Hätte Skywalker sie nicht festgehalten, sie wäre<br />
wohl einfach umgefallen. Daher überließ sie sich seinen Armen und<br />
rang einen Moment lang wie eine Ertrinkende um Atem.<br />
„Ganz ruhig“, sagte Skywalker und sie empfand ein warmes<br />
Prickeln als er die Macht um sie herum strömen ließ, damit Mara<br />
sich mit ihrer Kraft stärken konnte.<br />
„Danke“, murmelte Mara, während sich ihre Atemzüge wieder<br />
verlangsamten und der Schweiß auf ihrer Stirn immer kälter wurde.<br />
„Es geht schon wieder.“<br />
117
Langsam und zögerlich lockerte Skywalker den Griff um ihre<br />
Schultern und führte seine Hände zurück zu ihren Schulterblättern,<br />
wo sie anfangs geruht hatten.<br />
„Entspannen Sie sich, Mara“, sagte er von hinter ihr. „Ihr Geist ist<br />
ziemlich... nun ja... unstet.“<br />
„Was meinst Sie mit unstet?“ fragte sie und warf sich die Haare<br />
unwirsch über die Schulter, doch ihre Blicke klebten regelrecht an<br />
dem glänzenden runden Ding, das vor ihr, direkt zwischen ihren<br />
Knien im Gras lag.<br />
„Äußerlich betrachtet sind Sie ruhig, entspannt oder zumindest<br />
weniger angespannt als gewöhnlich. Aber in den Bereichen darunter<br />
spüre ich ein hohes Maß an Verwirrung und mentalen Turbulenzen.<br />
Als wollten ihre Gedanken und Gefühle einfach nicht zur Ruhe<br />
kommen.“, erklärte Luke. „Das ist natürlich nur eine oberflächliche<br />
Feststellung, aber wenn Sie Ihre Barrieren für mich senken würden<br />
und mich…“<br />
„Ah!“ machte sie und schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab,<br />
„die Tiefen meines Geistes sind kein Ort für Sie, Luke. Keine<br />
Diskussion.“<br />
„Aber wohlmöglich ist das der Grund, warum sie so tief in diese<br />
Visionen hinein gesogen werden. Es fehlt Ihnen an der nötigen<br />
inneren Ausgeglichenheit…“<br />
„Erzählen Sie mir nichts über meine innere Ausgeglichenheit.<br />
Wenn ich mich noch mehr entspanne, lösen sich meine Moleküle in<br />
ihre Bestandteile auf“, erwiderte Mara bestimmt, „und jetzt Schluss<br />
damit!“<br />
„Schon gut!“ gab Skywalker hastig zurück und drückte<br />
besänftigend ihre Schultern. „Also, was haben Sie gesehen?“<br />
Es dauerte einen Augenblick, ehe sie ihm antwortete. Stattdessen<br />
nahm sie noch einige köstliche Züge der süßlichen Luft und ließ ihre<br />
Blicke über die Ebene schweifen. Es war kaum zu glauben, dass<br />
Sarzamin Saias Haus direkt hinter dem Hügel vor ihnen lag, so<br />
unbelebt schien ihr die Gegend. Ihre Knie schmerzten ein wenig von<br />
den alten Grashalmen und Stöckchen, die sich dort und in die<br />
Schienbeine drückten, doch sie würde sich nicht vor Skywalker<br />
darüber beklagen.<br />
118
Wieder begann sie zu erzählen und wieder hörte er ihr mit<br />
großer Aufmerksamkeit zu. Es war ihr schon ein bisschen<br />
unheimlich, sogar Karrde lauschte ihr derart angestrengt und<br />
konzentriert.<br />
„Dann war Ilya also Oriannas Geliebter, so weit, so gut“,<br />
wiederholte Luke schließlich. Obwohl sie ihn nicht sah, konnte sie<br />
spüren wie er lächelte. „Ist doch sehr beneidenswert.“<br />
„Wenn Sie meinen“, erwiderte Mara nur, „wir werden ja sehen,<br />
was aus den beiden geworden ist.“<br />
„Was machen Sie denn?“ rief Skywalker als sie sich vorbeugte.<br />
„Mara, ich denke wirklich, dass Sie noch ein wenig Ruhe brauchen.<br />
Wir können später immer noch weiter machen.“<br />
„Versuchen Sie mich aufzuhalten“, meinte sie schnippisch und<br />
streckte die Hand erneut nach dem Amulett aus.<br />
Der Regen prasselte bereits seit Stunden gegen die Scheiben und ließ die<br />
Welt außerhalb des kleinen Herbergszimmers wie einen diffusen Traum<br />
verschwimmen. All das Leid, das die Klonkriege über die Galaxis gebracht<br />
hatten, schienen hier in Raum und Zeit entrückt und Orianna fand es gut<br />
so.<br />
„Sei so gut und schließ das Fenster, ja?“ sagte Ilya mit mürrischer<br />
Stimme. "Dieser Regen macht mich noch wahnsinnig."<br />
Ein wenig widerwillig löste Orianna sich aus seiner Umarmung, warf<br />
die Bettdecke beiseite und eilte, nackt wie sie war, zum Fenster hinüber und<br />
schloss es. Sie beeilte sich, wieder unter die Decke zu huschen und seine<br />
warme Haut an ihrer zu spüren. Begierig kuschelte sie sich an ihn, schlang<br />
einen Arm um seine Brust und Schultern und drückte ihm einen Kuss auf<br />
den Hals.<br />
„In diesem Laden gibt es nicht einmal eine Stimm-Codierung, damit<br />
man die Fenster vom Bett aus schließen kann“, murmelte Ilya genervt und<br />
rieb sich mit zwei Fingern den Schlaf aus den Augen. „Stört dich der<br />
Regen etwa nicht?“<br />
„Nein“, meinte Orianna nur und liebkoste weiter seinen Hals. „Er<br />
erinnert mich immer an den Tag, als wir uns das erste Mal geküsst haben.<br />
Es hat in Strömen geregnet, genau wie heute. Ich war ganz nass, als ich<br />
119
nach Hause kam. Und da hast du gestanden, ganz aufgeregt und hast mich<br />
an dich gepresst und geküsst.“<br />
Er lachte freudlos.<br />
„Du redest, als wäre das eine Ewigkeit her, dabei ist seitdem erst ein<br />
Standardjahr vergangen.“<br />
„Aber seitdem hat sich soviel verändert“, sagte sie. „Dantooine ist von<br />
der Außenwelt abgeschnitten und jeden Tag geht es uns hier schlechter.<br />
Und alles nur, weil sich die Separatisten und die Republik nicht einigen<br />
können.“<br />
„Ich weiß, Orianna, ich weiß“, erwiderte er. „Ich lebe auf Coruscant,<br />
schon vergessen?“<br />
Sie wurde still. „Nein, natürlich nicht.“<br />
Warum hatte er es erwähnen müssen? Wann immer etwas mit<br />
Coruscant zu tun hatte, erinnerte es sie unweigerlich daran, dass Ilya nicht<br />
bleiben würde, dass er zurück in die Hauptstadt musste, zu seinen<br />
Geschäften und seinen Pflichten. Sie wusste, nur so konnte er seinen<br />
Lebensunterhalt verdienen und nur so war es ihm möglich ihren Schwager<br />
Bithras monetär zu unterstützen, und doch fand sie es schreiend ungerecht.<br />
Nur etwa alle drei Monate war es ihr vergönnt in seiner Nähe zu sein und<br />
sich ihrer gemeinsamen Liebe hinzugeben. Und selbst dann schrumpfte ihre<br />
Zeit zu wenigen, kostbaren Momenten zusammen.<br />
Nach ihrem ersten verhängnisvollen Kuss hatte Orianna darauf<br />
bestanden, Bithras und Casseia nichts von alle dem zu erzählen. Ilya hatte<br />
nicht protestiert. Es war besser so, schließlich würde ihre Schwester sich<br />
lediglich mit dem Argument brüsten, dass Ilya zu alt für sie sei.<br />
Vermutlich würde sie sogar, im Namen ihres Vaters, anführen, dass Ilya<br />
gefälligst um ihre Hand anzuhalten hatte, bevor er Orianna berühren<br />
durfte. Es war also das Beste für alle Beteiligten und am Einfachsten für die<br />
beiden Liebenden, wenn sie sich heimlich trafen, ohne die kritischen Blicke<br />
irgendwelcher Anverwandten.<br />
Sie spürte, wie er sich neben ihr bewegte und ihr Kinn mit einer Hand<br />
seinem Gesicht entgegen hob. Willig ließ sie es geschehen, als er sie fest<br />
umarmte und ihr einen leidenschaftlichen Kuss auf die Lippen drückte.<br />
„Ich liebe dich“, sagte er dann, als sie bereits mit einem seligen Lächeln<br />
in seinen Armen lag und seinem Herzschlag lauschte. Er strich ihr sanft<br />
durch den dichten Lockenschopf.<br />
120
Orianna wagte nicht, etwas zu erwidern. Ihr war bewusst, dass Ilya<br />
wegen der ernsten Lage in den Kernwelten ziemlich angespannt war und<br />
vielleicht sogar um seine Existenz fürchten musste. Die kritische Lage des<br />
Handels im Middle Rim macht ihm Kopfzerbrechen, wie er ihr immer<br />
wieder in seinen Holonachrichten berichtete. „Es ist nur eine Frage der<br />
Zeit“, hatte er einmal mit ernsthafter Miene gesagt; „bis die Separatisten<br />
Coruscant angreifen. Count Dooku und General Grievous werden sicher<br />
nicht eher ruhen, bis Palpatine und die Republik geschlagen sind. Wenn<br />
das passiert wird meine Firma wahrscheinlich längst pleite sein und ich<br />
werde die Passagen nach Dantooine nicht mehr bezahlen können. Ich<br />
versuche ein paar Credits beiseite zu schaffen, aber es ist nicht einfach.“<br />
Orianna hatte keine weiteren Fragen gestellt, obgleich auch die Zukunft<br />
ihrer eigenen Familie durch den verheerenden Krieg gefährdet war. Wenn<br />
Bithras keine Unterstützung mehr durch Ilya bekam, würde er sein Handel<br />
mit den Kernwelten zum Erliegen kommen. Er würde mit Glanz und<br />
Glorie untergehen und Casseia und Orianna gleich mit. Dennoch galt ihre<br />
ungeteilte Aufmerksamkeit der Aufgabe, Ilya einen Teil seiner Last<br />
abzunehmen oder sie ihn zumindest für ein paar Augenblicke vergessen zu<br />
lassen.<br />
Viele Minuten vergingen, in denen sie bloß schweigend dalagen, den<br />
Körper des anderen zärtlich streichelnd und liebkosend. Erst als es draußen<br />
deutlich dunkler zu werden schien, setzte Orianna sich erneut auf und<br />
blickte auf ihren Chronometer.<br />
„Ich muss gehen“, stellte sie in bedauerndem Ton fest. „Ich habe<br />
Casseia gesagt, ich wäre zum Abendessen wieder zuhause.“<br />
Er rollte sich auf die Seite und spähte über ihre Schulter auf den<br />
Chronometer. Dann schlang sich sein kräftiger Arm um ihre Schultern und<br />
drückte sie zurück in die Kissen. Einen Atemzug später spürte sie das<br />
Gewicht seines Körpers auf ihrem und er küsste sie so lange und intensiv,<br />
als wollte er den Moment anhalten. Seine Hände schienen plötzlich überall<br />
zu sein und sie erwiderte seinen Kuss voll fiebriger Begierde. „Das ist noch<br />
mehr als genug Zeit“, erwiderte er.<br />
Sie wollte ihm widersprechen, wollte ihm sagen, dass sie des Todes<br />
wäre, wenn sie nicht pünktlich käme. All diese Heimlichkeiten wären ganz<br />
umsonst gewesen. Doch sie war völlig machtlos, denn die Bedürfnisse ihres<br />
Körpers ließen keine andere Meinung mehr zu. „Ilya“, keuchte sie atemlos<br />
121
und spreizte die Schenkel, um ihn, wie schon so oft, in ihren Körper<br />
einzulassen...<br />
Mara spürte wie ein unangenehm warmer Schauer ihren Rücken<br />
hinab kroch, während sich ihr Geist erneut mit aller Gewalt zurück<br />
in die Gegenwart kämpfte und die Verbindung zu Skywalker aufs<br />
Neue abbrach. Zitternd drängte sie die Bilder von Orianna und Ilya<br />
zurück und unterdrückte einen Laut der Abscheu, doch sie fühlte<br />
sich nun nicht mehr so schwach und halb erstickt wie eben noch.<br />
„Alles in Ordnung?“ fragte Skywalker, dessen warme Finger<br />
immer noch sacht auf ihren Schultern ruhten.<br />
„Wie man es nimmt", erwiderte Mara und schloss für einen<br />
Moment die Augen, um den Nebel aus Erinnerungen in ihrem Kopf<br />
zu lichten. „Ich glaube, ich muss mich nachher mit Desinfektionsmittel<br />
übergießen.“<br />
„Wieso? Was ist denn passiert?“ fragte Skywalker nun und Mara<br />
konnte sich bildlich vorstellen, wie er sie mit einer Mischung aus<br />
Neugierde und Argwohn ansah. Also schilderte sie ihm, was sie<br />
gesehen hatte, doch obwohl ihr keine Schamesröte auf die Wangen<br />
trat, fühlte sie sich schmutzig, als hätte sie diese intime<br />
Liebesszenerie zwischen Orianna und Ilya wie ein Voyeur<br />
betrachtet. Sie selbst wollte nicht, dass irgendjemand solch private<br />
Details aus ihrem Leben kannte, daher war sie auch nicht darauf<br />
erpicht, die Intimitäten anderer zu erfahren.<br />
„Oh“, sagte Skywalker nur, „das muss, in der Tat unangenehm<br />
gewesen sein.“<br />
„Nicht nur das, ich weiß nicht einmal welche Relevanz diese<br />
Erinnerung hat“, betonte Mara.<br />
„Nun, vielleicht war sie für Orianna etwas Besonderes“,<br />
vermutete Luke, „oder sie signalisiert eine Art Wendepunkt in ihrer<br />
Beziehung. Sie haben doch sicherlich auch derartige Erinnerungen<br />
an einen Mann?“<br />
Die Stirn zur fragenden Grimasse verfurcht, drehte sie sich halb<br />
zu ihm um und starrte ihn an. „Nein, aber wenn es so wäre, würde<br />
ich es Ihnen sicherlich nicht verraten.“<br />
122
Seine blauen Augen schienen einen seltsamen Glanz zu<br />
bekommen. War das etwa Mitleid?<br />
„Das tut mir leid“, sagte er nur.<br />
„Wie auch immer“, sagte Mara düster und strich sich erschöpft<br />
übers Gesicht. „Trotzdem werde ich dieses unglaublich miese<br />
Gefühl nicht los, dass uns das Schlimmste noch bevorsteht…“<br />
123
6: CRIES IN THE DARK<br />
GLEICH EINEM FLEDERHABICHT, DER IN DEN UNENDLICHEN STRAßENschluchten<br />
Coruscants aus vielen Kilometern Höhe mit scharfem<br />
Blick seine Beute erspäht, starrte May wachsam hinunter auf das<br />
hektische Treiben auf der Hauptstraße, auf der Menschen und<br />
Nichtmenschen gleichermaßen ihre Einkäufe für das bevorstehende<br />
Erntefest tätigten. Alle waren so sehr mit ihren Vorbereitungen oder<br />
freundlichem Geplänkel beschäftigt, dass niemand auch nur im<br />
Entferntesten den bohren Blick Mays eisblauer Augen im Nacken<br />
erahnte.<br />
Sie hatte sich bereits vor zwei Tagen in dem kleinen Motel im<br />
Stadtzentrum, dem Solely Inn, eingemietet, einem Etablissement, das<br />
sich ganz und gar nach den kargen Wünschen der wenigen<br />
Handelsreisenden richtete, die sich hin und wieder nach Dantooine<br />
zu verirren schienen. Die Zimmer und Korridore wirkten so steril<br />
und anonym wie eine Med-Station, nur gelegentlich heiterte eine<br />
farbige Holoprojektion – meist nur Kopien berühmter Kunstwerke –<br />
die grau-weiße Tristesse auf. Es erinnerte sie ein wenig an die guten<br />
alten Zeiten beim Imperial Intelligence. Jedes Hallen ihrer Schritte in<br />
den langen Fluren, jedes reservierte Räuspern, wenn zwei Gäste sich<br />
im Gang begegneten, gefolgt von einem knappen Nicken der<br />
Kenntnisnahme: Es war genau wie in ihrem alten Büro in Imperial<br />
City, bloß, dass hier keine Sturmtruppen patrouillierten.<br />
Inmitten all dieser klinischen Sauberkeit wären Laz und Avarice<br />
aufgefallen wie zwei bunt gescheckte Wompratten. Den anständigen<br />
124
und gutbürgerlichen Siedlern, die idyllische Ruhe Dantooines, all<br />
das machte nur zu deutlich klar, das dies kein Ort für zwei solch<br />
raubeinige Gundarks war. Es war allerdings nicht leicht gewesen,<br />
nach dem Einbruch ins Anwesen der Matales und Jades<br />
anschließendem Auftritt, die beiden dazu zu bewegen, einige<br />
Kilometer südlich des Grundstücks ihr Lager aufzuschlagen, anstatt<br />
mir ihr in die Siedlung zurück zu kehren. In der Tat hatte es<br />
ziemlichen Protest gehagelt, warum sie wie vogelfreie Banditen<br />
zwischen Felsen und Bäumen schlafen mussten, während sich May<br />
ein bequemes Zimmer in der Stadt leistete. „Weil ihr Banditen seid“,<br />
hatte sie gesagt, „und ihr werdet gefälligst hier bleiben und euch<br />
sofort mit mir in Verbindung setzen, sollte Jade noch einmal<br />
zurückkommen, um das Haus zu durchsuchen. Das ist ein Befehl!“<br />
Es war ihr von Anfang an klar gewesen, dass die beiden Männer<br />
ihren Plan nicht verstehen würden, dafür fehlte es ihnen an der<br />
nötigen Finesse, dem Fingerspitzengefühl und der Fähigkeit zum<br />
strategischen Denken. Sie waren es zu sehr gewohnt, nach Belieben<br />
ihre Blaster zu zücken und jeden umzupusten, dessen Gesicht ihnen<br />
gerade nicht gefiel. Es war etwa so als würde jemand versuchen ein<br />
filigranes Ornament mit einem Vorschlaghammer in Durastahl zu<br />
meißeln. Im Grunde hatte sie Laz und Avarice nur mitgenommen,<br />
damit sie ihr beim Anbringen der Bewegungssensoren und der<br />
Thermalsprengsätze halfen und diese Aufgabe hatten sie gemäß<br />
ihren Wünschen erfüllt. Außerdem – so hatte May vermutet – würde<br />
die Vertrautheit ihrer Auren in der Macht Jade sicherlich noch<br />
stärker anziehen als die Präsenzen zweier Fremder. Sie kannte die<br />
angeborene Neugierde der Hand des Imperators, die es ihr gebot,<br />
dieser mehr als heißen Spur nachzugehen.<br />
Und Mara Jade war ihr nachgegangen, ganz so, wie May es<br />
geplant hatte.<br />
Das bewusste Auslösen des Alarms durch den Bewegungssensor<br />
und die anschließende Zündung der Sprengsätze, hatte ihr ganz von<br />
allein verraten, wo Jade genau war und May damit die perfekte<br />
Gelegenheit gegeben, ihr Orianna Matales Amulett in die Hände zu<br />
spielen.<br />
125
Der Gedanke, dass Palpatines gefürchtete Agentin nun im<br />
Beisein von Luke Skywalker und ihrer neuen Freundin Sarzamin<br />
Saia dasaß und mehr und mehr an Mays Geisteszustand zu zweifeln<br />
begann, brachte ihre Lippen zum Kräuseln. Ich bin nicht verrückt,<br />
dachte sie bitter, aber wenn das alles hier vorbei ist, wirst du es sein, Jade.<br />
Dafür werde ich schon sorgen.<br />
Ein Prickeln rann wie ein warmer Schauer ihren Rücken hinab,<br />
während ihre eigenen Gedanken in ihrem Kopf widerhallten und<br />
sich ewig fortzusetzen schienen. Sie schloss die Augen, sperrte das<br />
Licht des Tages und die Stimmen der Lebenden aus und versuchte<br />
die Empfindungen zu erkunden, die plötzlich über sie hinweg zogen<br />
wie eine gewaltige Woge des Ozeans.<br />
Da war wieder diese Erregung. Eine fiebrige heiße Erregung, die<br />
sie immer überkam, wenn sie sich dem Sieg und der Rache so nahe<br />
fühlte. Aber da war auch Furcht, eine elementare Angst vor dem<br />
Versagen und dem Verlust, auch wenn es für sie nichts mehr zu<br />
verlieren gab. Sie war tiefer gesunken als ein Imperialer Agent<br />
jemals hätte sinken können. Sie hatte die tiefen schwarzen Abgründe<br />
ihrer eigenen Seele erblickt und sich ihnen gestellt. Doch wohin<br />
hatte sie dies gebracht? Sie umgab sich mit Abschaum, wertlosem<br />
Piratenpack. Sie selbst war eine Piratin geworden. Und von allen<br />
Emotionen, die nun für den Bruchteil einer Sekunde die Oberhand<br />
über ihr Sein gewannen, war die Sehnsucht nach der Vergebung für<br />
ihre unwürdigen Taten die stärkste. Und mit der Sehnsucht kam die<br />
Bitterkeit und mit ihr wiederum der Schmerz und die Wut... Sein<br />
Gesicht, wie es geisterhaft durch die Dunkelheit ihres Geistes<br />
aufblitzte.<br />
„Nein!“ keuchte sie und riss die Augen auf. Das Sonnenlicht<br />
schlug sie einen Augenblick mit Blindheit, doch sie begrüßte den<br />
Schmerz, der über ihre Sehnerven wie eine Vibroklinge in ihren<br />
Kopf vordrang, denn er vertrieb alle zehrenden Gedanken und<br />
brachte ihre Gefühle zum Schweigen. Sie schluckte, entließ die Luft<br />
in ihren Lungen mit einem langen und kontrollierten Atemzug.<br />
Erinnerungen durften nicht so real und lebendig sein wie die<br />
Wirklichkeit! Und doch war sie wegen eben jener Erinnerungen an<br />
diesen Ort gelangt. Dabei wollte sie nichts weiter, als einen einzigen<br />
126
Moment des Triumphes. Ein Triumph, dessen glückseliger Nachhall<br />
andauern würde, bis sie eines Tages starb. Einen Sieg, denn sie als<br />
May Lynn, nicht als Meelam errungen hätte.<br />
„Manchmal bist du wirklich ein erbärmliches Geschöpf, May<br />
Montross“, ermahnte sie sich selbst und ließ die Anspannung mit<br />
einem freudlosen Lachen ihrer Kehle entweichen.<br />
Ein durchdringendes Zirpen, welches von dem Nachttisch zu ihr<br />
hinüber hallte, tat ein Übriges, um ihre düsteren Gedanken zu<br />
verbannen. Ohne Umschweife trat sie neben das Bett, nahm ihr<br />
persönliches Comlink vom Nachttisch und öffnete die Frequenz.<br />
„Montross“, antwortete sie und zu ihrer Zufriedenheit klang sie<br />
so militärisch-streng wie man es ihr all die Jahre an der Akademie<br />
gezeigt hatte.<br />
„Wir sind im System“, meldete sich eine fiebrig klingende<br />
Männerstimme. „Ich habe gerade alle Daten der Hafenbehörde auf<br />
meinem Schirm.“<br />
„Bist du sicher, dass die Leitung sauber ist?“<br />
„Absolut. Nicht mal der GNR würde die Spur verfolgen können.<br />
Oder das ISB.“<br />
„Gut“, sagte sie und strich sich mit einer Hand den kurzen<br />
schwarzen Schopf zurück, „es reicht mir schon einen Jedi in meine<br />
Planungen mit einzurechnen. Check' alle Landeplätze nach der<br />
Jade's Fire und entriegele die <strong>Star</strong>trampe, damit wir freien Zugriff<br />
auf das Schiff haben.“<br />
„Nichts leichter als das. Aber was ist mit den internen<br />
Sicherheitsmechanismen? Nicht mal ein tölpelhafter Hinterwäldler<br />
würde hier sein Schiff einfach so stehen lassen.“<br />
„Entriegle die <strong>Star</strong>trampe der Landebucht und lass' den Rest<br />
meine Sorge sein. Ich will, dass ich ungestört an ihr Schiff komme,<br />
wenn ich beim Raumhafen eintreffe.“ May durchquerte das Zimmer<br />
mit wenigen Schritten, hinüber zu einer Kommode, über der ein<br />
Spiegel in äußerst simplem Design angebracht worden war und<br />
starrte für einen Moment ihr blasses Ebenbild an. „Danach will ich,<br />
dass du auf die Aufzeichnungen der Landungen und <strong>Star</strong>ts der<br />
letzten zwei Wochen zurückgreifst. Irgendwo in den Einträgen ist<br />
die Ankunft der Pride of Vengeance verzeichnet.“<br />
127
Es vergingen einige Momente der vollkommenen Ruhe, dann<br />
gluckste der Mann eine Bestätigung. „Hab' sie gefunden.“<br />
„In Ordnung. In exakt einer Stunde löschst du die<br />
Transpondercodes, die wir von der Pirate aus eingespeist haben.<br />
Zwei Standardstunden später fährst du einen Reset und setzt die<br />
Einstellungen des Transponders zurück.“<br />
„Wie bitte? Aber dann wird der...“<br />
„Tu’ es einfach!“<br />
„J-ja. Verstanden.“<br />
May unterdrückte ein Seufzen. Natürlich wusste sie, was dann<br />
passieren würde. Wenn die gefälschten Transpondercodes des<br />
Schiffes gelöscht wurden, wäre die Pride of Vengeance zwei Stunden<br />
lang ohne Identität. Wenn die Daten des Schiffs das nächste Mal<br />
überprüft wurden – und selbst die Großrechner einer drittklassigen<br />
Hafenbehörde taten dies etwa alle halbe Stunde – würde dies für<br />
genug Verwirrung sorgen, um ihr unbemerkten Zugang zu Jades<br />
Schiff zu verschaffen.<br />
„Sonst noch irgendwelche Anweisungen, May?“<br />
„Bringt die Pirate außerhalb dieses Sektors und wartet bei<br />
Aquilae auf meine Rückkehr“, sagte sie. „Und kümmert euch um<br />
Ersatz für den Twi'lek.“<br />
„Ja, selbstverständlich.“<br />
„Montross, Ende.“<br />
Sie wartete gar nicht auf eine weitere Erwiderung, sondern<br />
schaltete ihr Comlink ab und hakte es wieder in die Halterung an<br />
ihrem Gürtel, dann schritt sie zur Garderobe neben der Zimmertür<br />
und schlüpfte in einen aschgrauen Mantel. Während sie den Kragen<br />
umschlug und ein paar eingeklemmte Strähnen nach außen warf –<br />
sie ermahnte sich, bald wieder ihre Haare kürzen zu lassen – starrte<br />
sie ein kleines rechteckiges Päckchen an, welches auf der Kommode<br />
lag. Sie nahm es in die Hand, starrte es eine Weile gedankenverloren<br />
an, ehe sie es in eine Tasche ihres Mantels gleiten ließ und zur Tür<br />
ging.<br />
Es wurde Zeit, dass Mara Jade erfuhr, wer sich hinter Mays<br />
Geißel Meelam in Wahrheit verbarg.<br />
128
SIE KAM GERADE AUS DER STADT ZURÜCK, ALS ES PASSIERTE.<br />
Droiden halfen Orianna die Einkäufe vom Skipper zu laden und ins<br />
Haus zu bringen. Voller Frohsinn blickte sie auf den vergangenen Tag<br />
zurück, während sie eine Tüte mit neuen Kleidern aus dem Laderaum des<br />
Skippers hob und zum Haupteingang hinüber schlenderte. Nachdem sie<br />
früh am Morgen zum Med-Zentrum gefahren war, um nach ihrer Mutter<br />
zu sehen, mit ihr gemeinsam zu frühstücken und den Medis dabei zu<br />
helfen, sie zu waschen und anzukleiden, hatte sie sich am Mittag mit der<br />
mittlerweile dreizehnjährigen Sarzamin nahe der alten Jedi-Enklave<br />
getroffen. Während sie über die belebte Hauptstraße gewandert und sich die<br />
Auslagen der Händler an den Ständen angesehen hatten, hatten sie sich<br />
über dies und das unterhalten und kindliche Scherze gemacht. Es war für<br />
Orianna eine willkommene Abwechslung gewesen. Keine wilden<br />
Streitereien zwischen Bithras und Casseia, keine angespannten Mienen<br />
wegen neuer Kriegsmeldungen oder abgesprungenen Kunden. Nein, mit<br />
Sarzamin konnte sie vollkommen unbeschwert ihren Tagträumen<br />
nachhängen. Hin und wieder sah Orianna in ihr die Schwester, die Casseia<br />
niemals gewesen war und dank ihr konnte sie sogar ihre Sorge um Ilya<br />
einen Moment lang vergessen.<br />
Sechs Monate waren vergangen seit sie Ilya das letzte Mal gesehen<br />
hatte. Zwar hatte er, um die Zeit und die Distanz zwischen ihnen zu<br />
überbrücken, immer wieder Holonachrichten geschickt, doch seit zwei<br />
Standardwochen fehlte jede Spur von ihm. Er war unerreichbar für sie<br />
geworden, antwortete weder auf ihre, noch auf Bithras' Nachrichten und<br />
Orianna träumte jede Nacht aufs Neue, dass sie ihn nie wieder sehen<br />
würde.<br />
Selbst Casseia und Bithras spürten ihren wachsenden Unmut, auch<br />
wenn sie den Grund dafür nicht kannten. Vielleicht lag es daran, dass sie<br />
ebenfalls in Sorge um Bithras' alten Freund waren, doch vielleicht waren<br />
sie auch einfach selbst in so niedergedrückter Stimmung, weil ihr<br />
gemeinsames Leben nicht den Kurs genommen hatte, den sie sich<br />
gewünscht hatten.<br />
Orianna brachte die Tüte mit den Kleidern in ihr Zimmer, schlüpfte in<br />
ihre Hausschuhe und machte sich auf den Weg in die Küche. Der lange<br />
Einkaufsbummel hatte sie hungrig gemacht. Auf dem Weg dorthin konnte<br />
129
sie eine laute Stimme aus dem Wohnzimmer vernehmen. Einen flüchtigen<br />
Augenblick lang spielte sie mit dem Gedanken, Bithras zu fragen, ob er<br />
langsam schwerhörig wurde, dass er das HoloVid so laut abspielen musste.<br />
Doch dann hörte sie Worte, die ihr wie ein Faustschlag in die Magengrube<br />
schmerzten.<br />
°... sollen Truppen der Separatisten unter dem Kommando des Cyborg<br />
Generals Grievous in die Hauptstadt eingedrungen und den Obersten<br />
Kanzler entführt haben. Das Senatsviertel, Republica 500 und East Port<br />
wurden durch das gewaltsame Eindringen und den Beschuss durch<br />
Kanonenboote teilweise zerstört und unterliegen dem Ausnahmezustand.<br />
Im Orbit bieten sich die planetarischen Streitkräfte eine unerbittliche<br />
Schlacht, während die Armee der Rupublik auf Verstärkung aus dem<br />
Inneren Rand wartet. Die Jedi...°<br />
Weiter konnte sie dem Bericht nicht folgen. Erstarrt stand sie im<br />
Korridor und spürte förmlich, wie ihr die Farbe aus dem Gesicht wich. Ihre<br />
Knie fühlten sich an, als würden sie das Gewicht ihres Körpers nicht mehr<br />
lange tragen können.<br />
Coruscant stand unter Beschuss. East Port war den Schergen der<br />
Separatisten zum Opfer gefallen. Ilya arbeitete in East Port!<br />
Wie ein Geist, ein Schatten ihrer selbst, folgte sie der Stimme, die weiter<br />
über die Zerstörungen in der Hauptstadt berichtete. Bithras saß vor dem<br />
HoloVid im Sessel ihres Vaters und war ebenso kalkweiß wie sie. Seine<br />
Lippen zitterten und er strich sich fahrig mit den Fingerspitzen übers<br />
Kinn. Erst als Orianna neben ihm stand, bemerkte er ihre Anwesenheit.<br />
„Das... das ist schrecklich...“, brachte sie hervor ohne den Blick von dem<br />
farbigen Hologramm zu nehmen, dass nun über die Peripherie des<br />
Senatsviertels schwenkte und mächtige Rauchsäulen zeigte, zwischen<br />
denen todbringendes Blasterfeuer aufflammte.<br />
Bithras nickte knapp. „Ich habe viele Berichte über die bisherigen<br />
Krisengebiete gelesen, derentwegen die Handelsrouten verlegt wurden,<br />
doch dieser Stich ins Herz der Republik.“ Er seufzte. „Entweder wird der<br />
Senat alle Handelsstraßen in den Kern umleiten oder aber das Chaos, dass<br />
ohne Palpatines Führung entstehen würde, bringt die Wirtschaft außerhalb<br />
der Kernwelten völlig zum Erliegen.“<br />
130
Orianna presste die Lippen zusammen. War das alles, woran er dachte?<br />
Wirtschaft und Geld? Was war mit all dem Leben, dass auf Coruscant<br />
ausgelöscht worden war? Was war mit Ilya?<br />
„Wo ist Casseia?“ fragte sie dann, um sich selbst, als auch Bithras vom<br />
Thema des Krieges weg zu locken.<br />
„Schlafzimmer“, brummte ihr Schwager ohne sie anzusehen. „Offenbar<br />
hat es wieder nicht geklappt mit dem Baby.“<br />
Orianna wusste nicht recht, was sie schlimmer finden sollte: Dass er<br />
keinen Gedanken an Ilya, seinen Partner, verschwendete oder dass es ihm<br />
egal war, ob seine Frau traurig war oder nicht. Wie viele Male hatte<br />
Casseia nun schon versucht Bithras’ Kind zu empfangen? Sie wusste es<br />
nicht mehr. Und obwohl sie keine allzu sanften Gefühle für ihre Schwester<br />
hegte, so bedauerte sie Casseia doch für ihre Kinderlosigkeit, wo sie sich<br />
doch so sehr danach sehnte.<br />
Als Bithras schließlich wieder in Schweigen verfiel, wandte Orianna<br />
sich von ihm ab und verließ das Wohnzimmer. Ihr Hunger war nun<br />
vollkommen verflogen, also beschleunigte sie ihre Schritte, bis sie<br />
schließlich die letzten Meter des Flurs bis zu ihrem Gemach rannte. Sie<br />
verriegelte die Tür hinter sich, stieß die Tüte mit ihren Einkäufen von einer<br />
Kante des Bettes und ließ sich auf die weiche Matratze fallen. Bittere<br />
Tränen überkamen sie, Tränen der Trauer und des Verlustes, und sie gab<br />
sich ihnen willenlos hin. Der Gedanke, dass sie ihren Liebsten wohlmöglich<br />
während der Kämpfe auf Coruscant gefallen war und sie nie mehr<br />
wiedersehen würde, raubte ihr alle Kraft, alle Hoffnung, wenn nicht sogar<br />
ihren Verstand. Und so lag sie auf ihrem Bett, weinte und schrie den<br />
Schmerz in ihrem Inneren heraus, bis irgendwann eine kühle Dunkelheit<br />
Besitz von ihr ergriff...<br />
MIT EINEM SEUFZEN VERSUCHTE MARA SICH ZU ENTSPANNEN UND DIE<br />
ferne Realität der Erinnerung loszulassen. Wie ein stechender<br />
Schmerz hatten sich Oriannas Tränen in ihre eigenes Sein gebrannt,<br />
um dort eine Narbe zu hinterlassen und während die Bilder erneut<br />
an ihrem geistigen Auge vorbeizogen, ließ die Pein Mara zuckend<br />
zusammen fahren. Hastig schloss sie die Augen, konzentrierte sich,<br />
131
lichtete den Nebel, drängte den Schmerz zurück, bis sie ihn fast<br />
gänzlich abgeschüttelt hatte.<br />
Das Gesicht mit einer Hand bedeckend, lehnte sich Mara auf der<br />
Couch zurück und ruhte einen Moment ihre Augen aus. Sie<br />
versuchte sich auf ihre Umgebung zu konzentrieren, auf das Hier<br />
und Jetzt. So sehr Orianna auch nicht vergessen werden wollte,<br />
Mara konnte es sich nicht leisten, in der Vergangenheit zu<br />
verweilen. Und sie wollte es auch gar nicht.<br />
Langsam wurden die mannigfaltigen Eindrücke der Gegenwart<br />
intensiver. Die alte Couch roch nach abgewetztem Leder, ein<br />
lauwarmer Luftstrom strich über die Härchen an ihren Armen und<br />
auch ohne die geräuschverstärkenden Machttechniken, die Palpatine<br />
sie gelehrt hatte, konnte sie Skywalkers R2-Einheit hören, wie sie in<br />
einer Ecke des Zimmers vor sich hin tutete.<br />
Dann hörte sie Skywalker, wie er barfuss ins Zimmer zu<br />
schleichen versuchte. Doch es blieb auch bei dem Versuch.<br />
„Bitte entschuldigen Sie die Kargheit des Frühstücks“, meinte<br />
Skywalker und stellte einen Teller voll belegter Brotscheiben auf den<br />
Couchtisch, „aber ich wollte Sarzamins Vorratskammer nicht wie<br />
ein dreister Dieb plündern.“<br />
Mara warf dem Teller einen fragenden Blick zu. Deshalb war er<br />
also die letzten zwanzig Minuten verschwunden gewesen.<br />
„Wissen Sie noch, was ich Ihnen bezüglich des Verhaltens als<br />
Gouvernante gesagt habe?“ fragte sie, richtete ihre Aufmerksamkeit<br />
wieder auf den Jedi-Meister und schob dabei fragend eine<br />
Augenbraue nach oben. Skywalker zuckte kaum merklich und setzte<br />
sich langsam und mit Bedacht in einen Sessel, den Blick stur<br />
geradeaus gerichtet, wie ein Kind, dass man gerade bei einem<br />
Streich ertappt hatte.<br />
„Ja.“<br />
„Gut. Gleiches gilt jetzt nämlich auch für jede weitere karitative<br />
Handlungen im Bezug auf meine Person“, gab Mara zurück. Dann<br />
beugte sie sich vor und fischte sich eines der Sandwichs vom Teller.<br />
„Trotzdem danke.“<br />
„Keine Ursache.“<br />
Dann verstummte Skywalker erneut.<br />
132
Oh, da ist es wieder, dieses angenehme Schweigen, dachte Mara<br />
ironisch. Warum schien nur immerzu etwas Ungesagtes zwischen<br />
ihnen in der Luft zu hängen?<br />
„Irgendwie fühle ich mich auch nicht wohl dabei, Sarzamins<br />
Mildtätigkeit zu missbrauchen“, knüpfte Mara an seine anfängliche<br />
Bemerkung an, biss in das Sandwich und kaute für eine Weile<br />
genüsslich. „Wobei ich mich immer wieder frage, warum eine so<br />
sanftmütige Frau völlig allein am Rande der Wildnis in diesem<br />
riesigen Haus lebt. Muss ziemlich trostlos sein.“<br />
Skywalker bedachte sie mit einem durchdringenden Blick und<br />
machte ein Gesicht, als läge ihm eine Bemerkung auf der Zunge, die<br />
er nicht wagte auszusprechen. Mara schluckte ihren Bissen hinunter,<br />
hielt dann jedoch inne und sah ihn prüfend an.<br />
„Spucken Sie's aus, Luke“, sagte sie, „bevor Sie noch daran<br />
ersticken.“<br />
Er schluckte, beugte sich dann im Sessel vor und stützte die<br />
Ellbogen auf die Knie. Für einen weiteren Moment studierte er ihr<br />
Gesicht, als legte er sich die richtigen Worte zurecht.<br />
„Finden Sie nicht, dass wir Sarzamin zumindest befragen sollten?<br />
Vielleicht kann sie uns Auskunft darüber geben, was jeweils<br />
zwischen den Erinnerungen passiert ist, die Sie gesehen haben“,<br />
erwiderte er dann. „Immerhin war Orianna ihre beste Freundin.<br />
Eine beste Freundin, die ihr einfach so ein riesiges Anwesen<br />
hinterlassen hat.“<br />
„Damit würden wir sie nur unnötiger Gefahr aussetzen. Denn<br />
wenn wir sie befragen würden, würde sie uns wiederum fragen,<br />
woher wir derart intime Details aus dem Leben ihrer verstorbenen<br />
Freundin kennen. Und damit müssten wir sie auch über May<br />
Montross einweihen und ich möchte nicht das Risiko eingehen, dass<br />
sie das Opfer einer gescheiterten Imperialen Agentin wird, nur weil<br />
sie hilfsbereit war. Diese Leute vom Imperial Intel wollten von jeher<br />
selbst bestimmen, wer ihre wahre Identität kannte und wer nicht.<br />
Außerdem war May schon einmal in ihrem Laden, es wäre also es<br />
leichtes für sie, Sarzamin ausfindig und unschädlich zu machen.“<br />
„Aber...“<br />
133
„Skywalker“, schnitt sie ihm das Wort ab, „ich mag mir zwar in<br />
letzter Zeit einige Fehleinschätzung geleistet haben, aber ich kenne<br />
den Imperial Intelligence und seine Methoden besser, als mir lieb ist.<br />
Vertrauen Sie mir.“<br />
Während er sich über die Lippen leckte und Schweigen einer<br />
Erwiderung vorzog, widmete Mara sich erneut ihrem Frühstück.<br />
Obwohl sie in der vergangenen Nacht sehr lange geschlafen hatte,<br />
fühlte sie sich nicht ausgeruht. Ihre Visionen entzogen ihr mehr<br />
Kraft, als sie in einer Nacht zurück gewinnen konnte. Doch sie<br />
konnte sich nur schwer der Kraft des Medaillons entziehen. Als sie<br />
sich in der Nacht im Bett hin und her gewälzt hatte, war ihr sogar<br />
gelegentlich der Gedanke gekommen, sie würde von einer Art Sog<br />
oder Bann beeinflusst. Und diese Vorstellung missfiel ihr<br />
außerordentlich.<br />
Sie fühlte sich die Stirn, spürte jedoch keinerlei unnatürliche<br />
Wärme, keinen Fieberschub, nur eine unendliche Schwere. Je eher<br />
sie May in die Finger bekam, umso besser.<br />
„Sagen Sie, Luke, was ist aus den Untersuchungen geworden, die<br />
Sie Ihrer R2-Einheit aufgetragen haben? Die über May?“<br />
„Oh“, machte Skywalker und nickte R2-D2 zu, der sogleich an<br />
die Seite seines Sessels gerollt kam. Er öffnete eine kleine,<br />
unscheinbare Klappe an der Kuppel des Droiden und brachte zwei<br />
Datenkarten zum Vorschein. „Die sind hier.“<br />
Er reichte sie ihr, stand erneut auf und eilte aus dem Zimmer, um<br />
ein Datapad zu holen. Wenige Augenblicke später kam er wieder<br />
und übergab ihr auch dies. „Ich habe die Daten nur kurz überflogen,<br />
während sie geschlafen haben. Allerdings war nicht besonders viel<br />
zu finden.“<br />
„Das war zu erwarten. May ist immerhin eine Imperiale Agentin.<br />
Wir sind alle darin ausgebildet worden, wie ein Schatten<br />
aufzutauchen, unsere Arbeit zu erledigen und ohne Spuren zu<br />
hinterlassen wieder zu verschwinden. So waren wir in diesem<br />
Wirken am effizientesten“, erklärte Mara und schob die erste<br />
Datenkarte in das Pad. Dieses erwachte mit einem kurzer Summen<br />
und einem Aufflackern zum Leben. Skywalkers Astromech-Droide<br />
hatte lediglich drei offizielle Einträge in den ihnen zugänglichen<br />
134
Ressourcen finden können, allesamt Überbleibsel der alten<br />
imperialen <strong>Archiv</strong>e auf Coruscant. Auch dies war zu erwarten<br />
gewesen. May Montross war zu unbedeutend, um in die Annalen<br />
der Neuen Republik übernommen zu werden.<br />
Mit einem schnellen Tastendruck öffnete sie den ersten Eintrag,<br />
einen Artikel, der vom Imperialen Nachrichtendienst verfasst<br />
worden war. Es genügte ihr, den Artikel nur kurz zu überfliegen, da<br />
er nur vor Propaganda des ISB gegen die Rekrutierungsmethoden<br />
des Imperial Intel voll gestopft war. Eine eher enttäuschende<br />
Ausbeute. Ein paar Klicks später bauten sich die Daten des zweiten<br />
Eintrags vor ihr auf. Dabei handelte es sich offensichtlich um eine<br />
Art Aktennotiz des Imperial Intelligence, die einige Monate vor dem<br />
Artikel des ISB verfasst worden war.<br />
„Das Subjekt May Lynn Montross ist unverzüglich der Imperialen<br />
Gerichtsbarkeit zu überstellen“, las Mara gedankenverloren vor und<br />
studierte das Kürzel unterhalb der Notiz. „Gezeichnet von Ysanne<br />
Isard.“<br />
Auch die nächsten drei Einträge waren nicht weiter hilfreich. Die<br />
einzige Spur, die May in dieser Galaxis hinterlassen hatte, war ihr<br />
recht kurzer Prozess vor dem Imperialen Gericht auf Coruscant. Ihre<br />
gnädige Bestrafung, die sie erhalten hatte, schien jedoch vor der<br />
Öffentlichkeit geschützt und unter den Teppich gekehrt worden zu<br />
sein. In all dieser spärlichen Ausbeute gab es nicht einmal ihre alte<br />
Dienstnummer, das wäre durchaus hilfreich gewesen.<br />
„Dank der Dienstnummer hätte ich vielleicht über die<br />
Schmuggler Allianz an die alten Imperialen <strong>Archiv</strong>e gelangen<br />
können“, erklärte sie Skywalker, als sie das Datapad abschaltete und<br />
es neben den nun leeren Teller auf den Tisch stellte. Es fiel er<br />
schwer, ihre Enttäuschung zu verbergen.<br />
„Wäre dies ein einfacherer Weg?“<br />
„Einfacher, als Sie zurück nach Coruscant zu schicken, um dort<br />
Ihren Status in Waagschale zu werfen, um von den örtlichen<br />
Behörden autorisiert zu werden.“<br />
Skywalker nickte zustimmend und seufzte. „Wo Sie Recht haben,<br />
haben Sie Recht.“<br />
135
Dies war der Moment, da ein leises Zirpen die restliche Stille im<br />
Raum unterbrach. Beide blinkten sie sich mit gerunzelter Stirn an,<br />
dann sagte Mara: „Mein Comlink?“<br />
Sie erhob sich und durchquerte das Zimmer, wo auf einer<br />
Kommode ihr Comlink und all die anderen Habseligkeiten lagen,<br />
die sie gewöhnlich am Gürtel trug.<br />
„Mara Jade?“, meldete sie sich, einen fragenden Unterton in der<br />
Stimme.<br />
„Miss Jade“, begrüßte sie eine nervös klingende Männerstimme.<br />
„Hier spricht Captain B’laqua von der örtlichen Sicherheit von<br />
Solely City. Entschuldigen Sie die Störung, doch es hat hier… äh…<br />
einen kleinen Zwischenfall gegeben. Der Leiter der Hafenbehörde<br />
hat mich gebeten Sie zu kontaktieren.“<br />
Ihre Blicke flogen hinüber zu Skywalker, der auf die Kante des<br />
Sessels gerutscht war und sie aufmerksam ansah. Seine Miene<br />
spiegelte ihre eigene Skepsis und Sorge wider.<br />
„Ein Zwischenfall?“<br />
„Ja. Es sieht so aus, als hätte sich jemand unbefugt Zugriff auf Ihr<br />
Schiff verschafft.“<br />
WÄHREND SIE FUHREN VERDUNKELTE SICH DER HIMMEL ZUSEHENDS<br />
und schließlich begann es zu nieseln, als Luke und Mara mit dem<br />
Speeder in Solely City ankamen. Ohne Umschweife steuerte<br />
Skywalker das Fahrzeug durch die engen Gassen der Siedlung. Sie<br />
hatte ihm freiwillig das Steuer überlassen. Nicht nur, dass sie<br />
körperlich ausgelaugt war, nun mischte sich in ihre Frustration auch<br />
noch eine züngelnde Flamme der Wut. War es nicht genug der<br />
Hetzjagd, musste Montross nun auch noch ihr Eigentum<br />
beschmutzen? Damit war ihre Gegnerin eindeutig zu weit gegangen.<br />
Als sie schließlich beim Raumhafen ankamen, herrschte unter<br />
den anwesenden Sicherheitskräften und den Beamten der<br />
Hafenbehörde helle Aufregung. Auf ihrem Weg zum Büro des<br />
Hafenleiters passierten sie einige Zivilisten, die sich mit den<br />
Beamten stritten, während die Polizisten eine Landebucht nach der<br />
anderen untersuchten, ob auch diese von dem Überfall betroffen<br />
136
waren. Handelsvertreter verlangten, wieder zu ihren Schiffen<br />
gelassen zu werden oder über die genaue Lage informiert zu<br />
werden.<br />
„Sir, in diesem Augenblick können wir Ihnen noch nichts<br />
Genaueres sagen.“<br />
„Seien Sie unbesorgt, die Landebuchten werden so rasch wie nur<br />
möglich wieder freigegeben.“<br />
„Ich bedauere, doch ich bin nicht befugt…“<br />
Der Hafenleiter selbst schien nun weniger erfreut, als Skywalker<br />
und sie in das Büro eintraten. Er warf ihnen nur einen raschen,<br />
fahrigen Blick zu, während drei Männer über eine Konsole gebeugt<br />
standen und angeregt über etwas diskutierten. Schließlich drehte<br />
sich einer von ihnen um, ein kleiner, etwas untersetzter Mann, der<br />
bereits im Herbst seines Lebens angekommen war. Seine fliehende<br />
Stirn wurde von einem äußerst hohen Haaransatz abgeschlossen<br />
und sein Haar selbst schien ausgedünnt und verblichen.<br />
„Captain B’laqua, nehme ich an“, sagte Mara, als sie den Mann<br />
erreichte. „Mara Jade.“<br />
„Vollkommen korrekt“, erwiderte der Captain und schüttelte zu<br />
erst ihre, dann Skywalkers Hand. „Ich muss mich bei Ihnen für<br />
diesen Vorfall entschuldigen. Seit Jahren haben wir hier nicht mehr<br />
solche Unannehmlichkeiten gehabt.“<br />
„Das kann ich mir vorstellen.“ Die Kühle in ihrer Stimme wurde<br />
von Skywalker mit einem befremdeten Blick belohnt. „Was ist nun<br />
mit meinem Schiff?“<br />
B’laqua räusperte sich ausgiebig und strich sich dann sein<br />
dünnes Haar zurück. Dann erläuterte in knappen Worten, was den<br />
Aufruhr verursacht hatte: Ein Schiff, dessen Kennung und Daten<br />
einfach so vom Bildschirm und aus dem Sicherheitssystem des<br />
Raumhafens verschwunden war. Dieses ungewöhnliche Ereignis<br />
war zwar vom Computer gemeldet und an die örtliche Polizei<br />
weitergeleitet worden, weil ein Diebstahl oder ähnliches zu<br />
befürchten war.<br />
„Doch erst später, nachdem wir das betroffene Schiff überprüft<br />
hatten, machte sich eine Person auf den Schirmen verdächtigt. Der<br />
Eindringling betrat die von Ihnen angemietete Landebucht, wie wir<br />
137
vermuten ohne Ihre Befugnis. Als wir unsere Männer dorthin<br />
schickten, um den Eindringling zu stellen. Wir konnten jedoch an<br />
keinem der beiden Schiffe einen Schaden entdecken. Natürlich<br />
müssten Sie selbst den Innenraum Ihres Schiffes checken, aber wir<br />
konnten keine Anzeichen für gewaltsames Eindringen von Außen<br />
feststellen. Im Nachhinein zeigte sich dann, dass die Sperre für Ihre<br />
Landebucht durch einen Hacker manipuliert worden war. Man<br />
könnte sagen, die Tür stand sperrangelweit offen“, erklärte er. Mara<br />
starrte ihn einige Atemzüge lang an, ehe er sich zum Hafenleiter<br />
umwandte und diesen heran winkte. Die Männer tauschten etwas<br />
aus. Aus dem Augenwinkel sah es aus wie eine kleine, weiße Karte<br />
aus Flimsiplast.<br />
„Ein Täuschungsmanöver?“, vermutete Luke im Flüsterton.<br />
„Wenn ja, dann ein sehr schlechtes“, meinte Mara trocken. „Hätte<br />
May uns täuschen und über ihre Identität im Unklaren lassen<br />
wollen, hätte sie ihre Schergen angewiesen, sämtliche Landebuchten<br />
zu öffnen. Wahrscheinlich hätte sie auch einige Doppelgänger<br />
angeheuert, um die Aufmerksamkeit von sich fort zu lenken. Sie<br />
wollte, dass wir beide, Sie und ich, sehr wohl wissen, dass sie es<br />
war.“<br />
„Woher wollen Sie das so genau wissen?“ fragte Luke, die Stirn<br />
argwöhnisch in Falten gelegt.<br />
„Imperiale Standardprozedur.“ Sie wandte sich erneut an den<br />
Captain der Hafenaufsicht. „Haben Sie eine Ahnung, wo der<br />
Eindringling sich momentan aufhält?“<br />
„Nein, das wissen wir nicht“, sagte er peinlich berührt. „Als wir<br />
die Landebucht durchsuchten war keine Spur mehr zu sehen. Alles<br />
war wie ausgestorben.“<br />
Mara unterdrückt ein frustriertes Seufzen. Natürlich, die alte<br />
Imperial Intel-Masche. Eigentlich war es nicht verwunderlich, dass<br />
May den Sicherheitsleuten entkommen war, sie war für diese Leute<br />
zu gut ausgebildet. Wenn sie wollte, konnte sie nicht gesehen<br />
werden – zu einem formlosen Schatten werden.<br />
„Allerdings“, betonte er, „fanden wir das hier. Es war an die<br />
Außenhülle des Schiffs geklebt und das nicht einmal sehr<br />
professionell.“<br />
138
Mara zögerte einen Augenblick, dann nahm sie das Kärtchen von<br />
ihm entgegen. Es war auf einer Seite sehr kunstvoll beschrieben<br />
worden. Eine aalglatte Schönschrift, die nichts über die<br />
Persönlichkeit des Schreibenden ausgesagt hätte.<br />
Geboren am Morgen,<br />
Nur Leiden und Sorgen.<br />
Nachmittagskind,<br />
Im Leiden geschwind.<br />
Abends entbunden,<br />
Das Leiden schlägt Wunden.<br />
Geboren zur Nacht,<br />
Wird's wie morgens gemacht.*<br />
_______________<br />
(* aus Gregory Maguires Wicked – die Hexen von Oz)<br />
Mit zusammen gezogenen Augenbrauen starrte sie das Gedicht<br />
an und fragte sich, was May damit wohl wieder bezwecken wollte.<br />
Erquickende Poesie als Ausgleich für die Nerven, die sie Mara<br />
bereits gekostet hatte? Dann drehte sie das Kärtchen und fand zu<br />
ihrem Erstaunen auch auf der Rückseite eine Notiz.<br />
Café „Irinari“, 16 Uhr am morgigen Tag.<br />
IIBS-61 661<br />
„Wenigstens war sie so freundlich, uns ihre Dienstnummer zu<br />
geben“, murmelte Skywalker. Mara war sich nicht ganz sicher, ob er<br />
sie damit aufzuheitern versuchte.<br />
„Wie hieß das Schiff, dessen Kennung der Computer als<br />
fehlerhaft meldete?“ fragte sie aus einer Eingebung heraus.<br />
Daraufhin eilte der Captain hinüber zu einem Datapad und kam<br />
damit zurück zu ihnen.<br />
„Wollen sie den alten oder den aktuellen Namen?“<br />
Sie runzelte die Stirn und wusste, ohne hinzusehen, dass<br />
Skywalker dasselbe tat.<br />
„Wie bitte?“<br />
139
„Nun, vor einer halben Stunde wurden die Daten des Schiffes,<br />
das von unserem Eindringling wohl als Tarnmanöver verwendet<br />
wurde, wieder in das System eingetragen. Vor dieser temporären<br />
Löschung war das Schiff als die Pride of Vengeance registriert.“ Er<br />
machte eine vielsagende Pause. „Nun ist das gleiche Schiff unter<br />
dem Namen Nightflight eingetragen.“<br />
Augenblicklich spürte sie Skywalkers Hand in ihrem Rücken, als<br />
wollte er sie vor einem Sturz bewahren. Doch sie kämpfte gegen das<br />
gefährliche Schwanken an und sprach mit fester Stimme weiter.<br />
„Ich danke Ihnen“, sagte sie zu B’laqua, der den Kopf vor ihr<br />
neigte und sich abwandte. Er bellte bereits zwei junge Polizisten an,<br />
die etwas unkoordiniert in der Gegend umherstreiften, während<br />
Mara erneut das Kärtchen anstarrte und gegen den bitteren<br />
Geschmack in ihrem Mund ankämpfte.<br />
May war schon sehr gerissen, dass musste sie zugeben. Gerissen<br />
und allen Anscheins nach war auch eine Spur wahnsinnig. Der<br />
subtile Hinweis an ihrem Schiff, der Tumult im Hafenbüro, all das<br />
war eine regelrechte Einladung, eine Aufforderung zum Spiel zweier<br />
Schatten. Den Schatten des Imperiums.<br />
Gedankenverloren wandte sie den Blick ab, ließ ihn hinüber zu<br />
einem Fenster auf der anderen Seite des Büros wandern. Die<br />
Peripherie des kleinen Raumhafens und die Welt dahinter war nun<br />
vollständig durch einen grauen Schleier verhüllt. Einen Schleier, wie<br />
sie ihn aus Oriannas Erinnerungen kannte. Der Regen fiel<br />
unbarmherzig in großen Tropfen auf die Erde und schien alle<br />
anderen Geräusche zu ersticken. Als gäbe es auf Dantooine nichts<br />
weiter als den Regen und das satte Rot und Grün der Natur...<br />
„Und was jetzt?“ fragte Luke schließlich.<br />
„Was wohl?“, gab Mara zurück, „ich nehme ihre Einladung an.“<br />
ES REGNETE BEREITS SEIT TAGEN, BESTÄNDIG, UNAUFHÖRLICH, UNUNTERbrochen,<br />
als würde der Himmel über Dantooine all die Tränen weinen, zu<br />
den Orianna nicht mehr fähig war. Der graue Regenschleier schien die<br />
Leere in ihrem Inneren wie ein bleierner Vorhang zu bedecken.<br />
140
Es war für sie kaum vorstellbar, dass erst vor wenigen Wochen ein<br />
Krieg zu Ende gegangen war, der sie und ihre Familie nicht nur in eine<br />
finanzielle, sondern auch viele Monate lang in eine emotionale Krise<br />
gestürzt hatte. Wenig hatte sich seitdem in Solely City geändert, außer,<br />
dass man nun an jeder Straßenecke von den Neuerungen sprach, die<br />
Palpatine für sein Galaktisches Imperium vorgesehen hatte. Viele der<br />
Händler, deren Geschäfte ebenso schlecht gelaufen waren wie Bithras',<br />
waren deswegen schon in heller Aufregung.<br />
Eine dieser Neuerungen war der neue Ausweis, der in diesem<br />
Augenblick auf Oriannas Schoß ruhte. Ein langweiliges graues Ding, nicht<br />
einmal groß genug, um ihren Handteller auszufüllen und kaum dicker als<br />
ein einfaches Stück Flimsiplast. Gelangweilt betrachtete sie die kleine Karte<br />
und versuchte sich die Markierungen am oberen Rand genau einzuprägen,<br />
was ihr allerdings nicht wirklich gelang. Seit dem Tag, als die Separatisten<br />
über Coruscant hergefallen waren, fiel es ihr schwer, sich auf irgendetwas<br />
zu konzentrieren. Oft bemerkte sie weder das Kommen und Gehen ihrer<br />
Mitmenschen, noch Sonnenauf- oder Sonnenuntergang. Es konnte regnen,<br />
so wie heute, und es war ihr egal.<br />
Mit einem sanften Ruck ließ Bithras den Speeder nach rechts in eine<br />
Seitenstraße abbiegen, während Casseia auf dem Beifahrersitz<br />
gedankenverloren aus dem Sichtfenster in den Regen starrte. Orianna<br />
stemmte sich auf ihrem Sitz hinter Bithras kurz in die Höhe, um ihr<br />
Gewicht zu verlagern. Wenig später wurden sie langsamer und hielten<br />
schließlich an.<br />
„Wir sind da“, informierte er die beiden Schwestern und klang dabei,<br />
als würde er sich nicht ganz trauen, überhaupt etwas zu sagen. Orianna<br />
verübelte es ihm nicht; Casseia konnte in letzter Zeit öfters der<br />
Geduldsfaden reißen.<br />
Ohne große Eile löste sie die Sicherheitsgurte und stieg aus dem<br />
Speeder, das Gesicht unter einer schützenden Kapuze verborgen. Auf der<br />
anderen Seite tauchte Casseias Kopf auf. Auch sie beeilte sich, ihre Kapuze<br />
überzustreifen, um nicht weiter durchnässt zu werden. Ausdruckslos<br />
starrte Orianna die dicken Regentropfen an, die vom Wasser abweisenden<br />
Mantel ihrer Schwester perlten. Bithras sicherte das Fahrzeug, während die<br />
beiden Schwestern bereits die Treppenstufen vor dem Haupttor des Med-<br />
141
Zentrum empor klommen. Es war kein fröhlicher Tag, selbst wenn Ilya<br />
daheim auf die Rückkehr der Familie gewartet hätte.<br />
Denn endlich, nach mehr als vier langen Jahren des Leidens, war ihre<br />
Mutter auf die andere Seite der Macht übergetreten. Anfangs hatte<br />
Orianna sich gefragt, was sie wohl nun mit all der freien Zeit anstellen<br />
sollte. Sie war bereits so sehr daran gewöhnt jeden zweiten Tag – immer im<br />
ständigen Wechsel mit Casseia – in die Siedlung zu fahren, um ihrer<br />
Mutter dabei zuzusehen, wie sie langsam vor sich hin gestorben war, dass<br />
es ihr abwegig vorkam, die alte Frau könnte wirklich aus dem Leben<br />
geschieden sein. Nun gab es für Orianna nichts mehr, um das sie sich<br />
scheren musste. Das Anwesen – und damit ihr ganzes Leben – war nun so<br />
gut wie sicher in Bithras und Casseias Händen. Alles was ihr blieb waren<br />
wohl Sarzamins Besuche, wenn sie mit ihrem Vater am Ende der Woche<br />
zum Anwesen kam, um den Garten zu pflegen. Sie war ihre einzige<br />
Verbindung zu den Dingen außerhalb ihrer beschränkten kleinen Welt.<br />
Sarzamin schien manchmal aus einem anderen Universum zu stammen,<br />
aus einer wunderlichen Galaxis weit jenseits der blauen Energiebarrieren,<br />
die das Anwesen schützten.<br />
Und doch glaubte Orianna bereits das Getuschel der Siedler hören zu<br />
können, wie sie sich beim Einkaufen darüber unterhielten, was aus dem<br />
Hause Matale geworden war, der stolzen Familie, die sich seit mehr als<br />
4000 Jahren in die Geschichte Dantooines einschrieb.<br />
„Die Marjumdars sind nur ganz entfernt mit den Sandrals verwandt",<br />
hörte sie die Leute sagen. „Eine ganz dünne und schwache Blutlinie. Frex<br />
Sandral wird alles von seinem Vater erben, die Marjumdars sehen von dem<br />
Geld kein Stück.“<br />
„Natürlich nicht, darum haben sie ja auch den alten Cailetet dazu<br />
überredet, mit der älteren Matale-Tochter anzubandeln.“<br />
„Ja, und jetzt kann sie keine Kinder kriegen und wirft das Geld ihres<br />
toten Vaters zum Fenster raus. Erst neulich hat sie eine Bestellung für<br />
sündhaft-teure Rinkenseide bei uns in Auftrag gegeben. So treiben sie sich<br />
langsam in den Ruin.“<br />
„Nun, die Jüngere ist mir auch nicht geheuer. Die wandelt umher wie<br />
ein lebendiger Geist.“<br />
Voll Bitterkeit dachte Orianna daran, welches Loblied die Siedler von<br />
Solely City noch auf die Heirat zwischen Bithras und Casseia gesungen<br />
142
hatten. Wie sie alle angekrochen waren, die Kusinen dritten Grades oder die<br />
um viele Ecke angeheirateten Tanten und Onkel. Wie viele Siedler hatten<br />
sich vor 7 Jahren noch an eine alte, entfernte und längst vergessene<br />
Verwandtschaft erinnert, nur um als Gast zur Hochzeitsfeier eingeladen zu<br />
werden?<br />
Andererseits kam Orianna nicht umhin ihnen zuzustimmen, was<br />
Casseias Betragen betraf. Nachdem sie sich vom Essen abgewandt hatte, um<br />
nicht die Maße eines Hutts anzunehmen, war sie stattdessen dazu<br />
übergegangen, ihrem Unglück mit teuren Kleidern, Schmuck und<br />
sonstigen Luxusgütern entgegenzuwirken. Ganz gleich, ob ihr Mann<br />
angesichts der eingehenden Rechnungen kalkweiß im Gesicht wurde und<br />
zu überlegen begann, welches Erbstück sie am besten versetzen sollten, um<br />
nicht durch Casseias Konsum dem Bankrott anheim zufallen. Sie hatte eine<br />
Sucht durch eine andere ersetzt.<br />
Orianna hatte selbstverständlich keinen Einfluss auf derartige Dinge.<br />
Der Kampf um das Erbe, das Anwesen, das Geld, einfach alles war schon<br />
vor ihrer Geburt beigelegt worden. Casseia war nun einmal als Erste<br />
geboren worden und hatte stets das Wohlwollen und die Aufmerksamkeit<br />
der Eltern ganz für sich allein beansprucht. Schon früh hatte Orianna<br />
keinen Sinn darin gesehen, mit Casseia um die Gunst von Vater und<br />
Mutter zu wetteifern. Und nun war es ohnehin zu spät dafür...<br />
Im Inneren des Med-Zentrums schloss Bithras wieder zu ihnen auf, wo<br />
sie vom kühlen Durastahl und dem Geruch von Desinfektionsmittel<br />
begrüßt wurden. Überall in der Eingangshalle strömten Reinigungsdroiden<br />
umher und polierten den weißen Boden auf Hochglanz; der verzweifelte<br />
Versuch, die ärmliche Ausstattung der Behandlungsräume und den<br />
Mangel an Medikamenten und qualifizierten Arbeitskräften zu vertuschen.<br />
Würde Orianna hier nicht ein und ausgehen, hätte sie vielleicht noch einen<br />
Gedanken für diese sinnlose Effekthascherei übrig gehabt.<br />
Ihre Füße trugen sie beinahe automatisch zu den Turboliften hinüber.<br />
Bithras hielt Casseias Hand, sagte jedoch nichts. Auch die Schwestern<br />
schwiegen, während der Lift zur fünften Ebene aufstieg. In der Abteilung<br />
für Innere Medizin wurden sie sogleich von einer kleinwüchsigen<br />
Pflegerein empfangen und in das Büro des leitenden Arztes geführt. „Der<br />
Leichnam ihrer Mutter befindet sich im Augenblick noch in der Pathologie.<br />
143
Aber wir können Ihnen versichern, dass Sie nicht gelitten hat“, sagte die<br />
Pflegerin.<br />
Bei dem Wort „Leichnam“ ließ Casseia ein zunächst trockenes<br />
Schluchzen hören, als bräche ihre Trauer endlich aus ihr heraus, und sank<br />
dann ermattet auf einen Stuhl vor dem Schreibtisch des Arztes. Doch<br />
während Bithras sich beeilte, die Hand seiner Frau zu drücken und ihr<br />
beruhigende Worte ins Ohr zu flüstern, damit sie nicht in einen<br />
hysterischen Weinkrampf ausbrach, stand Orianna am Fenster und starrte<br />
teilnahmslos aus dem Fenster. Casseia weinte zu oft, um noch glaubhaftes<br />
Mitleid in ihr erwecken zu können.<br />
Die Pflegerin verließ das Zimmer. Wenig später erschien dann der<br />
behandelnde Arzt und begrüßte die Familie. Kaum hatte er das Wort an<br />
Casseia gewandt, gab es für diese kein Halten mehr. Hemmungslos<br />
schluchzend warf sie sich in die Arme ihres Ehemannes und ließ ihren<br />
Verstand mit ihren Tränen davon schwimmen. Bithras und der Arzt<br />
wechselten verdatterte Blicke. Mit einem „Vielleicht wäre es besser,<br />
wenn...“ schob der Arzt das Ehepaar langsam zurück zur Tür und riet<br />
ihnen, sich an die Pflegerin zu wenden, damit sie Casseia ein<br />
Beruhigungsmittel verabreiche. Er würde sich inzwischen mit Orianna<br />
unterhalten.<br />
Diese stand noch immer ungerührt am Fenster und starrte in den<br />
Regennebel, als der Mann schließlich zurückkam. Dennoch entging ihr<br />
nicht die Erleichterung auf seinem Gesicht, als er sich hinter seinen<br />
Schreibtisch setzte und ein paar Tasten an der Konsole bediente.<br />
„Möchten Sie etwas trinken?“ fragte er.<br />
„Nein, danke.“<br />
„Möchten Sie sich nicht setzen?“<br />
Orianna antwortete nicht.<br />
„Eigentlich ist es ganz gut, dass Ihre Schwester nicht hier ist“, gestand<br />
der Arzt und überging damit Oriannas Mangel an Reaktion, „immerhin ist<br />
manches von dem, was ich Ihnen nun anvertrauen werde, nicht gerade<br />
leicht zu verdauen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Es wäre ihrem<br />
seelischen Zustand nicht zuträglich.“<br />
„Sie ist ein schwacher Mensch“, sagte Orianna schlicht.<br />
„Vielleicht“, erwiderte der Arzt. Seine Finger huschten flink über ein<br />
Flüssigkristalldisplay, das in die Tischplatte eingelassen war. Aus dem<br />
144
Augenwinkel entdeckte sie einige Akteneinträge und Befunde. „Wie dem<br />
auch sei, Ihre Mutter ist in der vergangenen Nacht zwischen 1.15 und 1.30<br />
Uhr gestorben. Ihr Herz hat einfach aufgehört zu schlagen, während sie<br />
geschlafen hat. Ein sehr gnädiger Tod, wenn man bedenkt, wie lange sie<br />
nun schon bei uns war.“<br />
„Warum sollte dies meine Schwester so sehr entsetzen? Uns war klar,<br />
dass sie eines Tages stirbt“, sagte Orianna sachlich.<br />
„Das schon. Allerdings war nicht ihr Herzkreislaufsystem belastet,<br />
sondern ihre Nervenleitbahnen. Hätte sie einen Schlaganfall gehabt oder<br />
eine andere Störung im Zentralen Nervensystem, wäre sie eine<br />
schockartigen, schmerzhaften Tod gestorben. Sie waren ja dabei, als sie<br />
ihren ersten Anfall hatte.“ Er berührte einige Elemente auf dem Display<br />
mit einem dünnen Stift und blätterte durch die Patientenakte, die man für<br />
Oriannas Mutter angelegt hatte. Es dauerte eine Minute, ehe er langsam<br />
weiter sprach. „Das Besondere an ihrem Tod ist, dass sie eben nicht ihrer<br />
Krankheit erlag.“<br />
„Worauf wollen Sie hinaus?“<br />
„Wissen Sie“, sagte er langsam, „ich habe in den vergangenen 4 Jahren<br />
einige Theorien über den Zustand ihrer Mutter aufgestellt. Die meisten<br />
davon musste ich wieder verwerfen, weil ihre Beschwerden sich einfach<br />
nicht damit in Einklang bringen ließen. Eines machte mich immer stutzig.<br />
Ich glaube, Ihre Mutter war im Inneren zerrissen. Einerseits sehnte sie<br />
sich nach der Wiedervereinigung mit ihrem Ehemann, andererseits<br />
klammerte sie sich an einen Gedanken, der sie aufrecht hielt, der sie davor<br />
bewahrte zu sterben. Das allein ist, denke ich, der Grund dafür, dass sie<br />
einerseits so bald nach dem Tod ihres Mannes erkrankte und doch so lange<br />
weiterleben konnte.“<br />
Langsam drehte der Arzt den dünnen Stift zwischen den Finger und<br />
starrte ihn an, damit er Orianna nicht ansehen musste, welche nun ihre<br />
Blicke vom Regen jenseits des Zimmers abwandte.<br />
„Ihre Schwester selbst hat mir den Beweis dafür geliefert, wissen Sie.<br />
Als sie vor kurzem hier war wegen einer Untersuchung. Als man ihre<br />
Unfruchtbarkeit diagnostizierte, muss das irgendwie seinen Weg in das<br />
Krankenzimmer Ihrer Mutter gefunden haben. Zumindest würde es mit<br />
einem zusammenpassen.“<br />
„Und was soll das sein?“ fragte Orianna, die nun aufmerksam zuhörte.<br />
145
„In ihren klaren Momenten sprach Ihre Mutter oft von Casseia und<br />
Bithras. Sie sprach sogar ungewöhnlich oft davon, wie sehr sie sich einen<br />
Enkel wünsche und manchmal – so haben es mir zumindest die Pfleger<br />
gesagt – beschimpfte sie Casseia, dass sie sich nicht genug anstrenge, um<br />
ein Kind zu bekommen.“<br />
„Und als sie dann erfuhr, dass meine Schwester aus medizinischer<br />
Hinsicht keine eigenen Kinder empfangen kann...“, führte Orianna finster<br />
fort. „Ich verstehe schon.“<br />
„Und leider haben wir hier auf Dantooine oder in den umliegenden<br />
Systeme nicht die medizinischen Fähigkeiten, um ihre Schwester zu heilen,<br />
dafür ist ihr Problem zu selten und zu speziell. Eigentlich ist der ganze<br />
Sektor medizinisch unterentwickelt. Die wenigen modernen Einrichtungen,<br />
die wir haben, wurden entweder durch separatistische Streitkräfte zerstört<br />
oder werden weiterhin von den Kernwelten beansprucht. Ganz zu<br />
schweigen davon, dass dort exorbitante Behandlungskosten erhoben<br />
werden“, bemerkte er mit einem freudlosen Lächeln. „Daran merkt man<br />
wieder einmal, wie zurück geblieben dieser Planet eigentlich wirklich ist.“<br />
Orianna nickte bloß. Was sollte sie dazu schon sagen? So, wie er es<br />
dargelegt hatte, ergab es durchaus Sinn. Manches hatte sie sich selbst<br />
bereits gedacht, jedoch nicht so konkret in Worte fassen können.<br />
Es vergingen einige Augenblicke voll unbehaglichem Schweigen, bis<br />
Orianna sich von ihm abwandte und langsam zur Tür hinüber ging.<br />
„Wenn das alles ist, bitte ich Sie, mich zu entschuldigen. Ich muss nach<br />
meiner Schwester sehen und dann die weiteren Formalitäten in Angriff<br />
nehmen.“<br />
„Warten Sie!“ Er stand so schnell aus seinem Sessel auf, dass er schon<br />
ein wenig hektisch wirkte. „Da ist noch etwas!“<br />
Mit fragendem Blick kehrte Orianna noch einmal der Tür den Rücken<br />
zu. „Wie bitte?“<br />
„Vor einer Woche kam ein Versorgungsschiff von Garos IV nach<br />
Dantooine. Abgesehen von den Medikamenten, die wir bestellt hatten,<br />
brachten sie auch einen neuen Patienten, einen Mann. Menschlich, 31<br />
Standardjahre alt“, begann er zu erklären und berührte mit dem Stift<br />
erneut die interaktive Fläche seines Schreibtischs. „Seine Verletzung waren<br />
wohl recht arglistiger Natur, nun ja..“ Bei seiner Einlieferung wurde uns<br />
mitgeteilt, dass er vehement darauf bestanden hatte, nach Dantooine<br />
146
verlegt zu werden. Er war wohl fast einen Monat auf Aquilae im<br />
Bactatank, hat zwei weitere in der stationären Behandlung verbracht und<br />
wurde dann erst nach Garos IV und anschließend hierher verlegt. Er wäre<br />
sicherlich schon früher zu uns überwiesen worden, aber der lästige<br />
Papierkrieg dank Palpatines 'Neuer Ordnung'... Sie wissen schon...“<br />
„Worauf wollen Sie hinaus?“ fragte Orianna, die Augenbrauen so dicht<br />
und konzentriert zusammen gezogen, dass sich auf ihrer Stirn eine<br />
senkrechte Falte bildete.<br />
„Ich wollte Sie fragen, ob Sie ihn kennen. Er ist leider noch nicht<br />
vollständig mobil, deswegen konnte ich ihn von der chirurgischen<br />
Abteilung nicht herbestellen. Aber er hat nach Ihnen gefragt.“<br />
Der Arzt deutete mit dem Kinn auf das Flüssigkristalldisplay seines<br />
Tisches, auf dem nun das Bild eines Mannes zu sehen war. Während<br />
Orianna sich langsam dem Tisch näherte, schien ihr Herz mit jedem Schritt<br />
ein bisschen lauter zu schlagen.<br />
„Er hatte keinen Ausweis bei sich. Meinte, er hätte ihn bei den Kämpfen<br />
auf Coruscant verloren.“<br />
„Ilya“, flüsterte Orianna atemlos. „Sein Name ist Ilya.“<br />
„Dann kennen Sie ihn wirklich?“<br />
Es fiel ihr schwer, ihre Blicke, die hypnotisch auf der Projektion auf dem<br />
Display hafteten, auf den Arzt zu lenken.<br />
„Wo, sagten Sie, wird er behandelt?“<br />
„Chirurgische Abteilung“, antwortete der Arzt knapp und starr vor<br />
Verwunderung. „Ebene 1.“<br />
Aufregung pulsierte durch ihre Adern, heiß, brennend, wie damals, als<br />
sie vor den Kath-Hunden davon gelaufen war. Wie damals, als sie in seinen<br />
Armen geendet hatte.<br />
„Entschuldigen Sie mich“, rief sie auf dem Weg zur Tür. Sie entfernte<br />
sich so schnell, dass sie nicht mehr seine Entgegnung hörte.<br />
Vor dem Büro saßen Bithras und Casseia auf zwei Schalensitzen aus<br />
Spritzgussplastik. Sie hatte den Kopf in seiner Schulter vergraben und<br />
schluchzte noch immer herzerweichend, während er weiterhin scheu ihr<br />
Haar und ihre Schultern tätschelte. Erst als Orianna im Laufschritt an<br />
ihnen vorbeihastete und die Absätze ihrer Schule ein donnerndes Traben<br />
von den Wänden hallen ließen, schreckten sie auf und sahen ihr bestürzt<br />
nach. „Orianna?“<br />
147
Sie war bereits bei den Turboliften und wartete auf den Aufzug, als sie<br />
hörte, wie die beiden sich erhoben und ihr langsam folgten.<br />
“Orianna, was ist los? Was hat man dir gesagt? Orianna!?“<br />
Der Lift kam und sie schlüpfte hinein. Sie konnte noch für einen<br />
Augenblick Bithras und Casseia erspähen, ehe sich die Türen wieder<br />
schlossen. Sie beschleunigten nun ihre Schritte, erreichten den Turbolift<br />
jedoch nicht mehr rechtzeitig. „Orianna!“<br />
Ihre Sicht verschwamm. Ihre Erinnerung zerbrach in matt graue<br />
Scherben, die wie ein Nebel die Wirklichkeit verschleierten. Nur ihre<br />
Lungen brannten, doch es störte sie nicht. Sie lief nur, stieß Tür um Tür<br />
auf, suchte ihren Weg zu ihrem Liebsten – und fand ihn schließlich.<br />
Das Zimmer war karg, noch leerer als das, in dem ihre Mutter die Jahre<br />
der Krankheit verbracht hatte. Das matte Licht des Regens fing sich auf den<br />
weißen Wänden und schien sie erdrücken zu wollen. Und doch blühte sie,<br />
so wie es die Blumen taten, nach denen man sie benannt hatte. Sie war kalt<br />
und hart wie Stein gewesen, nur um nun wieder zu kehren, als ein neuer<br />
Mensch.<br />
Ilya lag auf einer Pritsche unterhalb des Fensters, den rechten Arm in<br />
einer provisorischen Schlinge. Narben musterten seine Wangen; eine strich<br />
scharf über seine Nasenwurzel, direkt unterhalb seiner Augen. Und zu<br />
ihrem Bedauern hatte man sein Haar geschoren, denn es war kaum länger<br />
als ein paar Millimeter. Doch er lebte, atmete und starrte fragend in den<br />
endlosen Regen.<br />
Orianna ließ die Woge aus Gefühlen über sich hinweg ziehen, rief<br />
seinen Namen, warf sich in weinend in seine Arme.<br />
„Gib' acht!“, rief er und verzog das Gesicht vor Schmerz. „Die Prothese<br />
ist noch nicht ganz angewachsen.“<br />
Sie hielt inne, starrte ihn an. Trotz des Schmerzes lächelte er, seine<br />
grünen Augen schimmerten freundlich und warm.<br />
„Orianna! Du dumme Kinrath, wirst du wohl...“, hörte sie Casseia nun<br />
auf dem Gang schimpfen. Ihre Stimme kam näher, ebenso ihre Schritte und<br />
kaum einen Atemzug später, erschienen ihre Schwester und ihr Schwager<br />
im Patientenzimmer. Wie vom Donner gerührt stand das Ehepaar da,<br />
starrte Ilya und Orianna mit großen Augen an.<br />
„Bei allen Sternen...“, flüsterte Bithras atemlos.<br />
148
Was auch immer sie nun sagten, Orianna hörte es nicht mehr. Alles,<br />
was nun noch zählte war, dass ihr Liebster am Leben und zu ihr<br />
zurückgekehrt war. Immer wieder küsste sie seinen Mund, seine Wangen,<br />
seine Augenlider, vergaß ihre Schwester und ihren Schwager, vergaß sogar<br />
ganz, warum sie heute eigentlich hergekommen war. Ihr und Ilya war eine<br />
zweite Chance geschenkt worden und dieses Mal würde sie ihn nicht wieder<br />
gehen lassen. Sie lachte und weinte gleichzeitig. Sie war endlich frei.<br />
Als eine Standardwoche später das Testament eröffnet wurde, schien es<br />
ihr fast so, als würde ihre lieblose alte Mutter das ähnlich sehen.<br />
„Hiermit übertrage ich, Timara Jhar Matale, allen Besitz, einschließlich<br />
der Wertpapiere, Grundstücksurkunden, Guthaben bei der Bank von<br />
Chandrila und alle anderen Hinterlassenschaften meines Mannes, Cailetet<br />
Matale, die Eigentum der Matales sind, auf meine Tochter“, sagte die<br />
Hologramm-Aufnahme ihrer Mutter mit sachlicher Stimme und man<br />
konnte hören, wie Bithras und Casseia den Atem anhielten, „Orianna<br />
Matale.“<br />
„FAUGHN? HIER IST JADE. ICH KÖNNTE EINE HELFENDE HAND<br />
gebrauchen“, meldete sich Mara, als der Bursche an der Comm-<br />
Einheit der <strong>Star</strong>ry Ice sie endlich zu seinem Captain durchgestellt<br />
hatte. Sie saß allein im Cockpit der Jade's Fire und wartete darauf,<br />
dass ihre Kollegin sich meldete.<br />
„Jade?“ Shirlee Faughn klang verblüfft. „Mit Ihrem Anruf habe<br />
ich nicht gerechnet. Wo stecken Sie? Wir haben seit Tagen nichts<br />
mehr von Ihnen gehört.“<br />
„Dantooine“, antwortete Mara schlicht. „Unser kleiner Ausflug<br />
nach Ord Mantell hat sich mittlerweile zu einer Art Kreuzzug<br />
ausgedehnt.“<br />
„Was machen Sie denn die ganze Zeit?“ fragte Faughn irritiert.<br />
„Ich meine, Sie sind der Boss, aber Karrde fängt schon an seltsame<br />
Fragen zu stellen.“<br />
„Sagen Sie ihm, ich bin wäre bald fertig, aber ich müsse vorher<br />
noch ein paar Quälgeister aus dem Weg schaffen.“<br />
„Mit der Antwort wird er sich wohl kaum zufrieden geben,<br />
Jade.“<br />
149
„Er wird es müssen“, sagte sie ruhig, aber bestimmt.<br />
Mit einem Seufzen fragte ihre Gesprächspartnerin dann: „Und<br />
wie kann ich Ihnen helfen?“<br />
Mara zeichnete ihr die Ereignisse so grob wie nur möglich nach,<br />
nannte ihr die Dienstnummer, die May auf ihrem Poesiekärtchen<br />
hinterlassen hatte und bat sie, über die geheimen Kanäle der<br />
Schmugglerallianz auf die alten Imperialen <strong>Archiv</strong>e zuzugreifen.<br />
„Verstanden“, bestätigte Faughn. „Aber versprechen kann ich<br />
nichts.“<br />
Es dauerte einige Stunden, ehe sie sich wieder meldete.<br />
Skywalker hatte sich die Zeit damit vertrieben, in der Messe der<br />
Jade's Fire Meditationsübungen abzuhalten, während Mara Oriannas<br />
Amulett immer wieder kritisch beäugte und sich auf den nächsten<br />
Schwächeanfall gefasst machte.<br />
„Das ist alles, was wir rausholen konnten“, sagte Faughn in<br />
entschuldigendem Tonfall. „Ich hoffe, es hilft Ihnen weiter.“<br />
„Danke, das wird es“, antwortete Mara. „Guten Flug.“<br />
„Ja, Ihnen auch.“<br />
Mara machte es sich im Pilotensessel bequem, als Skywalker ins<br />
Cockpit kam und sich zu ihr gesellte. „Gute Neuigkeiten?“<br />
„Das werden wir gleich sehen“, murmelte Mara hoch<br />
konzentriert und wühlte sich durch die codierte Datenmenge, die<br />
Faughn ihr geschickt hatte. „Eine Sekunde noch.“<br />
Die bizarren Codes entpuppten sich als eine weitere Aktennotiz<br />
des Imperial Intelligence, doch eine viel informativere als die erste.<br />
Sie war laut Datum wenige Wochen nach der Schlacht um Yavin<br />
angelegt worden.<br />
°INTERNE FAHNDUNGSMELDUNG<br />
Dienst-Nr: IIBS-61 661<br />
Name: Meelam Montross<br />
Spezies: Mensch<br />
Heimatwelt: Sulon<br />
Alter: 25 Standardjahre<br />
Letzter bekannter Aufenthaltsort: Imperial City, Imperiales Zentrum<br />
150
„Meelam! Meelam Montross!“, ereiferte sie sich und starrte auf<br />
die Zeile, in der Name eingetragen war. Ihr war, als hätte man ihr<br />
einen Faustschlag in die Magengrube versetzt. „Diese Frau hat nicht<br />
nur das Imperium zum Narren gehalten, sondern die<br />
Schmugglerallianz noch obendrein!“<br />
Und ganz besonders mich, fügte sie in Gedanken hinzu.<br />
Skywalker schien ähnlich verblüfft, zog jedoch nur die Stirn<br />
kraus und sah ungläubig auf das Dokument, während Mara wütend<br />
auf ihre Armlehne einhieb.<br />
„Aber natürlich! M.L.M. Engineering... Ich habe mich schon die<br />
ganze Zeit gefragt, wofür die Abkürzung steht. So einfach, so<br />
simpel, so unglaublich plump! Und ich bin auch noch drauf<br />
reingefallen! Es hat nie einen Ingenieur namens Meelam gegeben,<br />
das war allein sie.“<br />
„Was ist mit dem Mann, den Lando getroffen hat? Was ist mit<br />
dem Verteidigungsnetzwerk, dass man ihm verkauft hat?“<br />
„Vielleicht ein Prototyp, den May mit ihrer Piratenbande auf<br />
ihren Streifzügen über die perlemianische Handelsroute abgegriffen<br />
hat. Es würde mich nicht wundern, wenn nicht sogar sie die<br />
Überfälle auf die Transporter der Schmugglerallianz befohlen hat,<br />
die es nötig gemacht haben, dass Karrde mich überhaupt auf die<br />
Jagd nach neuen Abwehrsystemen schickt. Calrissian hat sie schon<br />
vorher als Kontaktperson in Stellung gebracht und siehe da...“, Mara<br />
fuchtelte mit den Händen in der Luft herum, um einen<br />
Trommelwirbel anzudeuten, „... hat sie mich am Nackenfell!“<br />
„Ganz schön viel Aufwand, um nur einer Person eine Falle zu<br />
stellen, finden Sie nicht?“<br />
„Wer sagt denn, dass May Montross in den Maßstäben eines<br />
Normalsterblichen denkt? Außerdem war Lord Vader auch nicht<br />
gerade klein kariert, als er sein Netz nach Ihnen ausgeworfen hat,<br />
Skywalker.“<br />
Er schürzte die Lippen und eine Spur von Verlegenheit huschte<br />
über sein Gesicht. „Wo Sie Recht haben...“<br />
„Und ich falle auch noch darauf herein!“<br />
151
„Sie konnten ja nicht ahnen, dass Montross noch am Leben war,<br />
geschweige denn, dass sie Ihnen nach dem Leben trachtet oder<br />
warum“, versuchte Luke sie zu beruhigen.<br />
„Es ist trotzdem frustrierend“, grollte sie, ehe sie sich wieder<br />
dem Fahndungsvermerk zuwandte. Sie konnte Skywalkers prüfende<br />
Blicke im Nacken spüren und wünschte sich, er würde stattdessen<br />
verträumt in der Gegend herum schauen oder den Himmel<br />
begutachten. Auf Belderone hatte er das noch so gut gekonnt!<br />
„’Das verdächtige Subjekt ist unverzüglich festzunehmen und<br />
der Gerichtsbarkeit des Imperial Intelligence zu überstellen. Jedem<br />
Agenten ist es gestattet, ihr bei diesem Unterfangen soviel Schaden<br />
wie nötig zuzufügen. Das Subjekt ist lebend in Gewahrsam zu<br />
nehmen. Gezeichnet von Captain Rajasta Djae’“, las Mara vor, deren<br />
Verstand bereits fieberhaft zu arbeiten begann. „Im Auftrag der<br />
Oberkommandantin Ysanne Isard... Rajasta Djae...“<br />
„Kennen Sie ihn?“<br />
„Er hat Montross bei der Leitung des Imperial Intel gemeldet<br />
und war, soweit ich mich erinnern kann, einer der Zeugen in ihrer<br />
Verhandlung. Nicht, dass es ihr irgendetwas genutzt hätte.“ Mara<br />
starrte die Buchstaben auf dem Display konzentriert an.<br />
„Anscheinend war er ihr direkter Vorgesetzter.“<br />
„Sonst noch etwas?“<br />
„Ja, er ist tot.“<br />
Luke runzelte in einer Mischung von Verwirrung und<br />
Verblüffung die Stirn. Wie gut sie diesen schafsköpfigen Blick doch<br />
kannte!<br />
„Ich habe ihn getötet“, fügte Mara mit einem freudlosen Lächeln<br />
hinzu. „Auf Palpatines Befehl hin. Er hat direkte Befehle verweigert<br />
und einige der unbedeutenderen Agenten an die Schwarze Sonne<br />
oder das ISB verkauft, was zu ein paar sehr hässlichen Problemen<br />
nach der Krise auf Teardrop geführt hat.“<br />
„Ich verstehe", sagte Luke schlicht. „Glauben Sie, dass May an<br />
ihm Rache nehmen wollte? Dafür, dass er sie vor das Imperiale<br />
Gericht gezerrt hat?“<br />
„Wozu ich ihr leider die Chance raubte, als ich ihn für Seine<br />
Majestät aus dem Weg geräumt habe?“ führte sie seinen Gedanken<br />
152
weiter vor und gestattete sich ein kurzes Kichern. „Möglich wär's.<br />
Mehr als wahrscheinlich sogar.“<br />
Mara rieb sich mit dem Finger über das Nasenbein und massierte<br />
die inneren Winkel ihrer Augen. Die seltsame Schlaffheit, die sie seit<br />
ihrer Ankunft auf Dantooine, seit den Visionen über Orianna Matale<br />
immer wieder befiel, kam diesmal sehr plötzlich. Ihre Muskeln<br />
schienen mit Gewichten beschwert worden zu sein, als sie sich im<br />
Pilotensessel aufrichtete und aufstand.<br />
„Morgen, wenn ich zurückkomme“, begann sie, „werden wir mit<br />
Sarzamin darüber sprechen. Vielleicht weiß sie mehr.“<br />
Luke sah überrascht auf. „Aber Sie haben doch gesagt…“<br />
„Ich weiß, was ich gesagt habe!“ fauchte sie. „Aber die Dinge haben<br />
sich geändert. Ich glaube, ich weiß jetzt, warum May es auf mich<br />
abgesehen hat. Was ich jedoch noch nicht weiß ist, welche die<br />
Verbindung zwischen ihr und Orianna besteht. Und Sarzamin ist<br />
vielleicht die Einzige, die mir das sagen kann.“<br />
Sie begann ihren Mantel und den Gürtel abzunehmen und ihre<br />
Habseligkeiten sorgsam auf einem Regal zu platzieren. „Und nun<br />
brauche ich etwas Schlaf. Diese Mission ist anstrengender als ich<br />
dachte.“<br />
„Sie werden May doch nicht ernsthaft allein gegenüber treten<br />
wollen?“ fragte Skywalker skeptisch.<br />
„Darauf können Sie Gift nehmen!“<br />
„Aber in Ihrer derzeitigen Verfassung...“<br />
Mara schnitt ihm mit einer heftigen Geste das Wort ab. "Meine<br />
derzeitige Verfassung könnte nicht besser sein!“ beharrte sie und das<br />
Funkeln in ihren Augen verriet ihm, dass die Diskussion damit für<br />
sie beendet war.<br />
Mit müden Knochen und schlaffen Glieder schleppte Mara sich<br />
zu ihrer Kabine und verriegelte die Tür hinter sich. Jede Faser in<br />
ihrem Körper schien erneut nach Schlaf zu schreien. Ihre Augen<br />
brannten, wirkten ein bisschen verquollen, und ihr Kopf lastete<br />
schwer auf ihren Schultern. Selten war ihr die Matratze auf der<br />
einfachen Pritsche so sanft und weich erschienen.<br />
Mara zog die Decke eng um sich, rollte sich wie ein schutzloses<br />
Kind darunter zusammen. Ihr Gesicht, ihre Haut, ihr ganzer Körper<br />
153
war vor Kälte fast erstarrt. Sie fühlte sich halb erfroren, wie von<br />
einer undurchdringlichen Schneedecke eingehüllt, dem ewigen,<br />
eisigen Winter des Herzens.<br />
ES WAR KALT, BITTERKALT. JEDER EINZELNE KNOCHEN IN IHREM LEIB<br />
schien bereits zu Eis gefroren zu sein. Hastig warf sich Orianna einen<br />
Mantel aus dünner Wolle über und drapierte ihre Stola so elegant, dass sie<br />
ihre Schultern zusätzlich wärmte.<br />
Überall im Haus verbreiteten die neuen Droiden Geschäftigkeit und<br />
Lärm, doch auch einen Hauch von Luxus und Dekadenz. Sie hatten die<br />
Familie zwar ein kleines Vermögen gekostet, doch die Ausgaben schmerzten<br />
nicht mehr so sehr im Geldbeutel wie zu Kriegszeiten. Wohlstand kehrte<br />
langsam zurück auf das Anwesen und Orianna sonnte sich ein ums andere<br />
Mal in ihrem Glanz als Gutsherrin. Natürlich war sie nicht ungnädig und<br />
überließ Bithras mehr als genug Credits, um sich weiter seinen Geschäften<br />
zu widmen und damit wiederum den Reichtum der Matales zu mehren.<br />
Doch sie musste zugeben, dass sie diese Entscheidung nicht ganz ohne<br />
Hintergedanken getroffen hatte.<br />
Sie fand Casseia im Wohnzimmer, wo sie von der HoloCom-Einheit<br />
hockte und den erloschenen Bildschirm anstarrte. Ihre Schwester war in<br />
Seide und Brokat gehüllt und hatte ihre dunklen, fülligen Locken<br />
kunstfertig nach oben gesteckt. Dennoch waren ihre dunklen Augen leer<br />
und sie kaute nachdenklich auf ihrer Unterlippe herum. Der Ehrgeiz und<br />
die vielen kleinen Süchte, mit denen Casseia sich die Zeit vertrieben hatte,<br />
waren versandet, wie ein Fluss, dem man urplötzlich das Wasser<br />
genommen hatte. Mit einiger Befriedigung stellte Orianna jeden Tag aufs<br />
Neue fest, dass Casseia zum ausdruckslosen Schatten ihres früheren Selbst<br />
zusammengeschrumpft war.<br />
„Irgendwelche Nachrichten?“ erkundigte sie sich sachlich und sank in<br />
den alten Sessel ihres Vaters, in dem sich ihr Schwager sonst so gern<br />
niedergelassen hatte.<br />
„Bithras lässt dir Grüße von Ilya ausrichten. Bisher laufen die<br />
Verhandlungen besser als geplant und sie rechnen damit, mehr als das<br />
Doppelte absetzen zu können. Allerdings zeigen sich die Eriadu wohl nicht<br />
154
sehr entgegenkommend, wenn es um die Aushandlung der genauen<br />
Vertragsbedingungen geht.“<br />
„Wann werden sie zurück sein?“<br />
„Er meinte, in drei Tagen. Vielleicht früher.“<br />
Orianna nickte und lehnte sich mit einem zufriedenen Seufzen zurück.<br />
Der Sessel war so groß und sie selbst so zierlich, dass sie sich genüsslich<br />
darin herumräkeln konnte wie in einem Bett.<br />
„Ich kann es kaum erwarten, dass Ilya zurückkommt.“<br />
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich Casseias Miene seltsam<br />
verzerrte und ihre Kiefer sich fest aufeinander pressten, als läge ihr wieder<br />
eine ihrer boshaften Bemerkungen auf der Zunge. Das mühsam beherrschte<br />
Missfallen im Gesicht ihrer Schwester bereitete ihr königliches Vergnügen.<br />
„Vielleicht heiraten wir ja schon bald. Wenn die Beziehungen wieder<br />
hergestellt, die Blutkirschen und Perlfrüchte geerntet sind und er und<br />
Bithras nicht ständig quer durch den Sektor reisen müssen, was würde ihn<br />
dann noch davon abhalten.“<br />
Sie formulierte es gezielt nicht als Frage, denn so waren ihre<br />
Provokationen stets am erfolgreichsten. Ganz davon abgesehen hegte sie<br />
keinen Zweifel, dass er sie schon bald fragen würde. Sie hatte schließlich all<br />
die Jahre zu ihm gehalten. Egal, was man ihr sagte, sie wusste, er würde<br />
sie zur Frau nehmen.<br />
„Und wer weiß, in ein oder zwei Jahren, wenn wir uns wieder alles<br />
erlauben können, werden wir süßen, kleinen Matale-Nachwuchs<br />
bekommen.“<br />
„Oh bitte!“ fauchte Casseia. „Kannst du auch an etwas anderes denken,<br />
als daran, ständig mit ihm zu schlafen?“<br />
„Wieso sollte ich?“ Orianna funkelte sie herausfordernd an. „Der Krieg<br />
ist vorbei, ich habe ein Dach über dem Kopf, Essen auf meinem Teller und<br />
Kleidung, die mehr gekostet hat, als sich die meisten Siedler hier im<br />
Standardjahr verdienen. Jetzt sehne ich mich nur noch nach dem Mann in<br />
meinem Bett.“<br />
Casseia erhob sich steif. „Du widerst mich an.“<br />
Die jüngere Schwester richtete sich im Sessel ihres Vaters auf und<br />
beobachtete mit scharfem Blick, wie Casseia wutentbrannt an ihr vorbei<br />
stürmen wollte. Damit bescherte sie ihr keine Heiterkeit, nur Unmut und<br />
155
Missfallen. Eine derart heftige Reaktion hatte sie von ihr gar nicht<br />
erwartet. „Was ist denn?“<br />
„Lass mich in Frieden mit deinen Perversionen!“<br />
Nun flammte echte Wut in Orianna auf und sie erhob sich aus dem<br />
Sessel, Mantel und Stola immer noch eng um ihren Körper geschlungen.<br />
„Wie kannst du es wagen...“<br />
„Nein, Orianna, wie kannst du es wagen?" rief Casseia mit verzerrter<br />
Stimme und deutete mit dem Finger auf sie. "Bei allen Sternen und bei der<br />
Macht, wenn Vater dich nun sehen könnte, das kleine verzogene Gör, das<br />
du geworden bist, dass sich älteren Männern hingibt. Und wenn Mutter<br />
gewusst hätte, dass du Ilyas Loyalität für uns gekauft hast, in dem du in<br />
sein Bett gekrochen bist; sie hätte dir niemals das gesamte Erbe unserer<br />
Familie anvertraut.“<br />
„Ilya hat sich selbst dazu entschieden Bithras zu helfen. Er tut es<br />
bestimmt nicht, weil ich es so wollte. Unsere Liebe hat mit alledem nichts<br />
zu tun.“<br />
„Oh, du bist so unglaublich naiv! Ilya ist ein Geschäftsmann. Glaubst<br />
du ernsthaft, er hätte sich einfach so Hals über Kopf in ein kleines,<br />
unbesonnenes Mädchen wie dich verliebt? Wohl kaum! Die Matales sind<br />
wohlhabend. Vielleicht nicht nach dem Maßstab der Kernwelten, doch in<br />
unserem Sektor sind wir eine reiche Familie, Orianna, sind es schon immer<br />
gewesen. Und wir genossen Einfluss, trotz aller Krisen. Doch letzten Endes<br />
hätte der Krieg deinen Liebsten und damit auch uns beinahe ruiniert! Nun<br />
sind wir der letzte Strohhalm, nach dem er noch greifen konnte, nachdem er<br />
von Coruscant geflohen ist. Es würde mich nicht wundern, wenn er<br />
weniger dich, als vielmehr dein Geld lieben würde.“<br />
„Du! Du bist doch nur verbittert, weil du unfruchtbar bist und dein<br />
Mann nicht mehr mit dir schlafen will!“ Orianna vergaß nun jede<br />
Zurückhaltung und ihr Gesicht war vom Zorn verhärtet. „Das ist der<br />
Grund, warum Mutter mich als Erbin eingesetzt hat, weil ich die Blutlinie<br />
fortführen werde. Und nun kannst du den Gedanken nicht ertragen, dass,<br />
obwohl du immer Mutters Liebling warst, sie am Ende mich ausgewählt<br />
hat. Deine Niederträchtigkeit und dein Selbstwertgefühl verbieten es dir,<br />
mir auch nur einen Hauch von Glück zu gönnen! Nur weil du nicht<br />
glücklich bist, willst du, dass ich es auch nicht bin. Aber du wirst nicht<br />
länger über mein Schicksal bestimmen, Casseia, weder über meines, noch<br />
156
über das meiner Kinder! Und nun kannst du dich damit abfinden oder auch<br />
nicht. Die Entscheidung liegt bei dir. Aber verschone mich und uns alle<br />
bitte mit deiner erbärmlichen Selbstgefälligkeit!“<br />
Darauf wusste ihre Schwester nicht mehr zu erwidern. Doch trotz ihrer<br />
Sprachlosigkeit blieb ihre Miene unleserlich, eine Maske aus Kälte.<br />
Den Rest des Tages trafen die Schwestern nicht mehr aufeinander. Als<br />
Orianna am Nachmittag eine kleine, kalte Mahlzeit im Esszimmer zu sich<br />
nahm, teilten ihr die Droiden mit, dass Casseia kurz zuvor das Haus<br />
verlassen hatte. Angeblich wollte sie sich die Pflanzung der neuen<br />
Perlfruchtbäume auf dem Osthang ansehen.<br />
„Selbstverständlich“, sagte Orianna glatt und widmete sich wieder<br />
ihrer Komposition aus Käse, Früchten und Brot. Während sie einen Bissen<br />
Brot in die Sauce tunkte und darauf herumkaute, war sie sich jedoch nicht<br />
sicher, ob sie verärgert oder besorgt sein sollte.<br />
Bald wurde es dunkel, die Droiden beendeten ihre Arbeit und kehrten in<br />
ihre Depots zurück. Nur zwei Service-Droiden blieben aktiv und brachten<br />
ihr eine Flasche saccorrianischen Blauwein. Den Abend vertrieb sie sich<br />
mit alten HoloVids, das meiste davon schlechte Seifenopern. Früher hatten<br />
diese Filme einen viel stärkeren Reiz gehabt, doch mittlerweile wurden sie<br />
ihr öde und plump. Und so sehr sie sich auch auf die Geschichten<br />
konzentrierte, sie konnten nicht die Leere aus dem großen Haus verbannen.<br />
Es war fast Mitternacht, als sie nach einer neuen Flasche Wein<br />
verlangte und ihr Nachtgewand anzog. Einer der Droiden brachte ihr einen<br />
dicken Kamm, damit sie ihre roten Locken entwirren konnte, nachdem sie<br />
ihre Haare so lange am Polster des Sessels platt gedrückt hatte.<br />
„Wo ist meine Schwester?“ erkundigte sie sich aus einer Laune heraus.<br />
„Dies ist uns nicht bekannt, Miss“, antwortete der Droide steif und<br />
wippte mit seinem steifgliedrigen Metallkörper ein wenig vor und zurück.<br />
„Wir sahen nur, wie sie am Nachmittag das Haus verließ, nicht wie sie<br />
zurück gekommen ist.“<br />
Alarmiert sah sie auf.<br />
„Sie ist immer noch da draußen?“ fragte sie entsetzt. „Bist du sicher?<br />
Vielleicht hat sie sich auch nur in ihrem Zimmer eingeschlossen.“<br />
„Nein, Miss“, antwortete der Droide. „Meine Sensoren nehmen keine<br />
Wärmeabstrahlung wahr außer Ihrer.“<br />
„Bring mir meinen Mantel und die Schuhe“, befahl sie. „Schnell!“<br />
157
Eilig rannte sie den Korridor entlang, stolperte um eine Ecke und<br />
schließlich in Bithras' Arbeitszimmer hinein, wo sie aus einem gesicherten<br />
Kästchen eine BlasTech-Pistole nahm. Auf dem Weg zum Haupteingang<br />
stopfte sie die Waffe provisorisch in ihren Hosenbund.<br />
„Miss, es ist kalt draußen, vielleicht...“<br />
„Ich weiß!“ fauchte Orianna den Droiden an, während sie sich ihren<br />
Mantel überwarf und in ihre Stiefel schlüpfte. „Überprüfe die<br />
Sicherheitssysteme des Zauns. Ich will da draußen auf keinen Kath-Hund<br />
oder Dantari treffen. Und schicke zwei Wachdroiden her, sie sollen mir<br />
leuchten und den Rücken decken.“<br />
Draußen erwartete sie ein schneidender Wind, der durch das hohe Gras<br />
strich und es rascheln ließ. Sie unterdrückte das Zittern ihrer Glieder und<br />
wunderte sich, warum es zu dieser Jahreszeit so kalt war. Wenig später<br />
tauchten zwei Wachdroiden aus der Finsternis auf. Es waren zwei ältere<br />
Modelle, die noch von der Technologie Union und der Handelsföderation<br />
vertrieben und den frühen Kampfdroiden nachempfunden worden waren.<br />
Sie folgten Orianna mit ein paar Schritten Abstand, warfen jedoch mit<br />
ihren Glühstäben Licht auf den Weg vor ihrer Herrin, damit sie sich nicht<br />
verirrte oder verletzte.<br />
Orianna lauschte angestrengt in die Nacht hinein und wagte es kaum<br />
zu atmen. Sehr bald spürte sie kalten Schweiß, der ihren Haaransatz<br />
befeuchtete oder zwischen ihren Brüsten zusammenlief. Es war still, viel zu<br />
still. Man hörte nichts außer dem Rascheln des Grases und dem Heulen des<br />
Windes. Keine Kinrath-Spinnen, keine Kath-Hunde, keine Dantari.<br />
Das Gelände stieg stetig an und Orianna wusste, dass sie den Osthang<br />
erreicht hatten. Durch den matten Schein der Glühstäbe zeichneten sich die<br />
Umrisse der Setzlinge, die hier gepflanzt worden waren, gegen den dunklen<br />
Himmel ab. Sie atmete tief durch, und spürte, wie ihr das Herz vor Furcht<br />
gegen die Rippen klopfte.<br />
„Casseia?“ rief sie unsicher in die Stille hinein. „Casseia? Kannst du<br />
mich hören?“<br />
Sie stiegen noch einige Meter weiter auf, erreichten die Hügelkuppe, wo<br />
die Perlfruchtbäume bereits Zeit zum Wachsen und Gedeihen gehabt<br />
hatten. Manche trugen bereits kleine Triebe an den schlanken, weißen<br />
Ästen.<br />
158
Und da lag sie, unter dem größten und majestätischsten Baum. Sie<br />
hatten ihn nach dem Ende des Krieges alle zusammen auf die Hügelkuppe<br />
gepflanzt, als Symbol für ihren gemeinsamen Neuanfang. Casseias Kopf<br />
ruhte auf einer ausgewucherten Wurzel und ihr braunes Haar schien über<br />
die Rinde zu fließen wie dunkles Wasser. Ihre Augen waren geschlossen,<br />
ihre Haltung entspannt und ruhig.<br />
„Casseia?“ rief Orianna nun lauter, um die Aufmerksamkeit ihrer<br />
Schwester zu erregen. Sie war ganz schön töricht, einfach so hier draußen<br />
einzuschlafen!<br />
Ihre Schritte beschleunigten sich, als sie keine Antwort erhielt.<br />
Vielleicht schlief sie so fest, dass man sie wachrütteln musste? Hinter ihr<br />
beeilten sich auf die Droiden, ihrer Herrin zu folgen und ihr den Weg zu<br />
leuchten.<br />
„Casseia, komm schon, wach auf!“ rief sie, als sie nur noch ein paar<br />
Schritte entfernt war. Sie bemühte sich, schnippisch zu klingen, doch in<br />
ihrer Magengrube braute sich ein Übelkeit erregendes Gefühl zusammen.<br />
Das Gesicht ihrer Schwester erschien ihr ungewöhnlich farblos und blass,<br />
als sie neben ihr auf die Knie sank. „Hey! Das ist wirklich nicht mehr<br />
witzig!“<br />
Ungehalten stieß sie Casseia mit einer Hand in die Seite, doch es ging<br />
nur ein Ruck durch ihren Körper und dann rührte sie sich nicht mehr. Ihr<br />
Blick fiel auf ein Glitzern, das sie in der Finsternis bisher übersehen hatte.<br />
Es umschmeichelte Casseia Hals, benetzte ihre Brust, das Gras und die<br />
Baumrinde, ihre Kleidung war voll davon. Sie konnte sehen, wo die letzten<br />
Tropfen der lebensspendenden Flüssigkeit aus einem tiefen Schnitt an ihrer<br />
Kehle gequollen und geronnen waren. Eine Hand umklammerte noch die<br />
Vibroklinge, mit der sie ihr Ende herbeigeführt hatte.<br />
Schrecken ließen die Farbe aus Oriannas Gesicht weichen und einen<br />
Moment lang glaubte sie sich übergeben zu müssen, als sie blauen Lippen<br />
ihrer Schwester sah.<br />
„Casseia“, sagte sie leise und nahm die kalte, leblose Hand ihrer<br />
Schwester in ihre eigene. „Casseia, was hast du nur getan?“<br />
Sie wandte sich ab, doch weniger um ihre Tränen, als viel mehr ihre<br />
Tränenlosigkeit zu verbergen. Ihre Schwester war tot und sie konnte nichts<br />
tun, konnte nicht atmen, konnte nicht weinen.<br />
Nur ihr Schrei zerriss die Dunkelheit.<br />
159
7: A FLOWER OF CARNAGE<br />
DIE NACHT ÜBER DANTOOINE HIELT NOCH IMMER AN, ALS MARA SICH,<br />
den Hals von Husten und Galle bereits wund, über das Waschbecken<br />
ihrer Erfrischungszelle beugte, um sich den Mund auszuspülen.<br />
Doch jedes Mal, wenn Casseias blasser, toter Körper vor<br />
ihrem geistigen Auge erschien und ihr den beißenden Geruch<br />
geronnenen Blutes in die Nase stieg, zermarterte ihr ein stechender<br />
Schmerz den Kopf. Und jedes Mal übergab sie sich von neuem, auch<br />
wenn ihr Magen inzwischen völlig leer war.<br />
Mit zitternden Händen trank sie einen Schluck Wasser und<br />
unterdrückte einen neuerlichen Hustenreiz. Wenn doch bloß die<br />
Magensäure ihren Hals nicht so sehr reizen würde! Und der<br />
Gallengeschmack trug nicht gerade dazu bei, dass sie sich besser<br />
fühlte. Es würde in diesem Sektor sicherlich nicht annähernd<br />
genügend Pflegeprodukte und Duschzellen geben, damit sie sich je<br />
wieder sauber fühlte. Zu ihrem Glück schien Skywalker zur<br />
Abwechslung einmal zu schlafen und ersparte ihr damit ein weiteres<br />
Übel, denn er hätte sicherlich mit höchst besorgtem Blick hinter ihr<br />
gestanden und ihr das Haar zurück gehalten.<br />
Sie wusste nicht, wie lange sie noch über dem Waschbecken<br />
stand und sich immer wieder mit kaltem Wasser übers Gesicht und<br />
durch die Haare fuhr; jegliches Zeitgefühl war ihr wieder einmal<br />
abhanden gekommen. Ihr nach Erholung schreiender Körper und<br />
das Pochen in ihren Schläfen erinnerten sie fortwährend daran, dass<br />
160
ihr Schlaf seit ihrer Ankunft auf Dantooine nicht besonders gut<br />
gewesen war.<br />
Erst als sich der nachtblaue Mantel über der Steppe hob und die<br />
ersten violetten und roséfarbenen Strahlen wie sanfte Schleier den<br />
Horizont bedeckten, ging sie vorsichtig zurück in ihre Kabine und<br />
schlüpfte in frische Kleidung. Sie wollte das Risiko nicht eingehen,<br />
noch einer dieser auszehrenden Visionen zum Opfer zu fallen, auch<br />
wenn sie noch zwischen dem Streben nach Erkenntnis und dem<br />
Streben nach Frieden hin und her gerissen war. Ihr war klar, dass sie<br />
in dieser Nacht keine weiteren Traumbilder mehr ertragen würde.<br />
Stattdessen schlich sie beinahe lautlos aus ihrem Quartier und<br />
den Hauptkorridor der Jade's Fire entlang zur Messe. Dort hatte<br />
Skywalker sich, der Gewohnheit zum Trotz, ein Nachtlager bereitet<br />
und schlief. Und es schien ihr nicht wie eine seiner kurzzeitigen<br />
Jedi-Trancen, sondern wie ein sehr tiefer, natürlicher Schlaf. Sein<br />
Kopf ruhte auf einer zusammen gerollten Jacke und er hatte seinen<br />
braunen Jedi-Mantel wie ein Laken auf dem kühlen Metallboden<br />
unter sich ausgebreitet. Sein Haar war zerzaust, während er einen<br />
Arm um seine eigene Taille gelegt und den anderen zur Seite von<br />
sich gestreckt hatte. Neben seinem provisorischen Kissen lagen noch<br />
ihr Datapad und mehrere DataCards. Allein die Macht wusste, wie<br />
lange er noch die Berichte studiert hatte, die Faughn ihnen<br />
übermittelt hatte.<br />
Sie kniete sich neben ihn und betrachtete die Umrisse seines<br />
Farmjungengesichts im abwechselnd blauen und roten Licht von<br />
R2s Dioden. Einen Moment lang spielte sie mit dem Gedanken ihn<br />
zu wecken und ihm von Oriannas letzter Erinnerung zu erzählen,<br />
aber sie ließ es bleiben. Wenn schon sie nicht genügend Schlaf<br />
bekam, dann sollte dieses Vergnügen zumindest ihm vergönnt sein.<br />
Er würde ohnehin schneller wieder zu Kräften kommen als sie.<br />
Nach einer Weile riss sie sich von seinem ungewohnten Anblick<br />
ab und trat im Cockpit an ein kleines Geheimfach, dass sie nach der<br />
Thrawn-Krise hatte installieren lassen. Sie öffnete es und zog einen<br />
länglichen, silbernen Zylinder heraus. Das Lichtschwert wog<br />
ungewohnt schwer, als sie fest mit der rechten Hand packte. Seit sie<br />
Skywalkers Jedi-Akademie frühzeitig verlassen hatte, war es in<br />
161
diesem Fach verschwunden und in Vergessenheit geraten. Erst May<br />
Lynn Montross hatte ihre Gedanken wieder auf das Schwert von<br />
Anakin Skywalker gelenkt.<br />
Früher, als sie noch die glorreiche Hand des Imperators gewesen<br />
war, hatte sie nicht mehr als ein Lichtschwert gebraucht, um eine<br />
ganze Piratenbasis auseinander zu nehmen. Es war ein nützliches<br />
Werkzeug gewesen, genau wie die Macht, und sie hatte ihre Talente<br />
im Umgang mit diesen Waffen in Palpatines Dienst gestellt. Aber<br />
Palpatine war tot, sein letzter Befehl ausgeführt. Nun benutzte sie<br />
die Macht oder Skywalkers Lichtschwert kaum noch. Der Gedanke,<br />
das Schwert bei sich zu tragen widerstrebte ihr. Sie war keine Jedi.<br />
Doch das bruchstückhafte Wissen, dass man ihr vor langer Zeit<br />
eingetrichtert hatte, mochte sie heute vielleicht schützen.<br />
Behutsam hakte sie das Lichtschwert an ihren Gürtel, versiegelte<br />
das Geheimfach und griff nach ihrer Jacke.<br />
Bei all den Geschichten über Blumen und Gedichtzetteln, die an<br />
ihrem Schiff klebten, begann sie langsam wirklich zu glauben, dass<br />
May Montross genügend Schaltkreise durchgebrannt waren, um<br />
ihre unkontrollierte Wut gegen Mara zu richten, weil sie ihr die<br />
Rache an ihrem Kommandanten geraubt hatte. Ihr Durst nach<br />
Vergeltung war nicht gestillt worden und nun hatte sich der Strom<br />
aus Hass und Verzweiflung einen neuen Weg durch den Stein<br />
gefunden und gelangte endlich ans Tageslicht. Mara erinnerte sich<br />
daran, wie es gewesen war, als die Worte „Du wirst Luke Skywalker<br />
töten!“ sie jede Nacht im Schlaf begleitet und jeden ihrer Schritte<br />
gelenkt hatten. Was hätte sie vor neun Jahren nicht für die<br />
Genugtuung gegeben auf Skywalkers toten Körper herabzublicken<br />
und zu wissen, dass dies ihr Werk war! Alles Denken war im Herzen<br />
auf diese eine Tat bestrebt gewesen und was danach sein würde war<br />
nicht weiter von Belang. Doch vielleicht gab es für May keine<br />
Erlösung, keine Heilung, so wie für sie.<br />
Mit einem sanften Zischen schloss sich die Rampe hinter ihr und<br />
versiegelte das Schiff von außen. Unbeeindruckt entfernte Mara sich<br />
Schritt für Schritt von der Jade's Fire, schloss ihre Jacke und blickte<br />
nicht zurück.<br />
Sie würde es bald herausfinden.<br />
162
OBWOHL ER NOCH VOR DEM ERWACHEN WUSSTE, DASS IRGENDETWAS<br />
nicht stimmte, war es R2-D2, der Maras Verschwinden als Erster<br />
bemerkte. Mit einer langen Reihe trillernder Töne, die sämtliche<br />
bekannten Oktaven durchliefen, riss der Astromech seinen Meister<br />
aus dem Schlaf.<br />
Ein wenig orientierungslos setzte Luke sich auf und strich sich<br />
den Schlaf aus den Augen. Nach und nach stellten sich Gehör,<br />
Geruch und Sehen wieder ein, doch ganz anders als bei einer<br />
Trance. Alle Empfindungen waren wie mit Watte gedämpft. Es war<br />
schon sehr lange her, dass er aus schlichter Müdigkeit eingeschlafen<br />
war.<br />
„Was ist los, R2?“ fragte er, während der Droide aufgeregt aus<br />
seinen Rollen hin und her zu tänzelte. „Warum die Aufregung?“<br />
Wieder sang R2 Tonleitern rauf und runter. Luke nahm einen<br />
tiefen Atemzug und rief die Macht zu sich, um seine Wahrnehmung<br />
zu schärfen und die Aufmerksamkeit auf den Astromech zu richten.<br />
„Deine Sensoren nehmen keine Wärmeabstrahlung war?“<br />
wiederholte er ungläubig. „Du meinst in der näheren Umgebung<br />
des Schiffes?“<br />
R2s Kuppelkopf schwenkte mit einem leisen Hu-hu nach links<br />
und rechts, die Andeutung eines Kopfschüttelns.<br />
„Auch keine biologische Wärmeabstrahlung an Bord der Jade's<br />
Fire – außer meiner?“, korrigierte Luke. „Bist du sicher, dass Mara<br />
ihre Kabine nicht einfach versiegelt und von innen isoliert hat?“<br />
Wieder verneinte der Droide. Er erklärte seinem Meister, dass er<br />
die Kabine schon überprüft, sie jedoch verlassen vorgefunden.<br />
Allerdings waren die Laken in der Koje bereits kalt, was darauf<br />
hindeutete, dass Mara schon eine ganze Weile nicht mehr da war<br />
und Oriannas Kette hatte unnachsichtig auf dem Fußboden neben<br />
ihrer Koje gelegen. Langsam fuhr R2 seinen Greifarm aus und hielt<br />
Luke das Schmuckstück entgegen.<br />
„Ich verstehe.“ Luke legte R2 eine Hand auf den Kuppelkopf und<br />
nahm mit der anderen das Medallion. „Danke, R2.“<br />
163
Er atmete noch einmal tief ein und streckte seine Sinne aus,<br />
tastete überall nach Maras Geist in der Macht. Doch er fand nichts,<br />
sie schien wie vom Erdboden verschwunden. Es war mehr als<br />
wahrscheinlich, dass sie sich wieder hinter ihren mentalen Mauern<br />
versteckte, mit denen sie ihn schon früher abgehalten hatte.<br />
Seine Resignation unterdrückend strich Luke sich mit einer Hand<br />
über das Gesicht und blieb noch einen Moment auf dem Boden der<br />
Messe sitzen. Offensichtlich war Mara zu der Einsicht gekommen,<br />
dass sie dieses Rätsel doch im Alleingang lösen wollte. Er konnte<br />
allerdings nicht abstreiten, dass er dies noch immer für keine gute<br />
Idee hielt. Doch was sollte er tun, er musste Maras Entscheidung<br />
respektieren und den Impuls, ihr zu Hilfe zu eilen, unterdrücken. Es<br />
blieb ihm nichts anderes übrig, als auf Maras Rückkehr zu warten...<br />
Falls sie überhaupt zurückkehrte.<br />
DAS IRINARI LAG NEBEN EINEM GEBÄUDE, DAS WIE EINE BUCHHANDlung<br />
aussah, mitten im Zentrum der Siedlung. Es war ein war<br />
kleines, verträumtes Café, dessen Dekor und Mobiliar mit sehr viel<br />
Sorgfalt und Fürsorge ausgesucht worden waren, auch wenn es ein<br />
wenig kitschig wirkte.<br />
Trotz des ungewöhnlich regen Treibens der Siedler in dem Café,<br />
fiel es Mara nicht schwer, ihre Nemesis auszumachen.<br />
May Montross hatte sich an einem der hinteren Tische<br />
niedergelassen und trank mit großer Ruhe einen Becher Klimmenkaffee.<br />
Ihre Blicke streiften Mara beinahe zufällig, als sie zur Tür<br />
herein kam, und wanderten dann mit geheucheltem Interesse über<br />
die einheimischen Kunstwerke an den Wänden.<br />
„Sicherheitslevel K-12“, sagte Mara mit gesenkter, doch gefasster<br />
Stimme, als sie an ihren Tisch trat. Mit einer knappen, unauffälligen<br />
Geste tastete sie nach dem Lichtschwert, um sicher zu sein, dass es<br />
noch da war. „Kenncode Hapspir Barrini.”<br />
Mays eisblaue Augen hoben sich und ein fremdartiges Glitzern<br />
spiegelte sich in ihnen. Die dünnen Lippen verzogen sich zu einem<br />
steifen Lächeln.<br />
164
„Willkommen, Hand des Imperators. IIBS-61 661. Wie schön,<br />
dass Sie noch immer diese schicklich-imperiale Art der Vorstellung<br />
beherrschen. Ich fürchte, Etikette ist in den letzten Jahren immer<br />
mehr aus der Mode gekommen.“<br />
Mara wartete nicht auf eine Aufforderung sich zu setzen und<br />
überging auch Mays höfliches, nichts sagendes Geplänkel. Mit<br />
flirrenden Nerven nahm sie Platz und fasste ihr Gegenüber fest ins<br />
Auge.<br />
„Wie schön, dass Sie sich für mich Zeit genommen haben,<br />
Montross“, erwiderte sie und ihr Ton triefte vor Sarkasmus. „Ich<br />
dachte schon, ich müsse noch eine Weile auf ein paar Antworten<br />
warten.“<br />
„Keine Sorge, die Antworten werden sich Ihnen schon noch<br />
erschließen“, sagte May kryptisch. „Kaffee?“<br />
Die schwarzhaarige Frau winkte den Kellner heran und bat ihn,<br />
Mara ebenfalls einen Becher zu bringen. Dieser studierte Mays<br />
blasse, kantige und äußerst maskulinen Gesichtszüge für einen<br />
Moment mit größter Sorgfalt.<br />
Nachdem der Kellner schließlich davon geeilt war, um der<br />
Bestellung nachzukommen, erwiderte May ihren prüfenden Blick.<br />
Sie schwiegen und versuchten, das Gesicht, die Augen und den<br />
Geist des jeweils anderen zu lesen. Ohne Erfolg.<br />
Sie sprachen kein Wort, bis schließlich der Kellner mit der<br />
Bestellung zurückkehrte. Ihm schien die eisige Stille zwischen den<br />
beiden Frauen unheimlich, denn sein Gesicht wirkte blass und<br />
beunruhigt, als er sich einem anderen Tisch zuwandte.<br />
„Was wollen Sie, Montross?“ fragte Mara schließlich. Sie sprach<br />
langsam, beinahe gedehnt, um ihrer Frage Nachdruck zu verleihen.<br />
„Was wollen Sie von mir?“<br />
May schmunzelte. „Oh, kommen Sie, Jade, das können Sie doch<br />
sicherlich besser! Beweisen Sie mir, dass all die Jahre, in denen man<br />
Sie als Palpatines kleines Schoßhündchen dressiert hat, nicht ganz<br />
umsonst gewesen sind. Beim Imperial Intel hieß es, dass Sie immer<br />
bekämen, was Sie wollten.“<br />
„Schluss jetzt“, fauchte Mara und beugte sie nach vorne. Woher<br />
kam nur Mays Gelassenheit, die Ruhe? Warum war sie selbst so<br />
165
aufgewühlt? „Ich habe keine Lust mehr auf Ihre kleinen Spielchen,<br />
Montross! Bizarre Beerdigungsriten, Gedichtzettel, verloren<br />
geglaubte Schmuckstücke irgendwelcher toter Frauen, was darf man<br />
als nächstes erwarten?“<br />
Mays Stimme war plötzlich wie gefrorenes Eis. „Wie wäre es<br />
damit?“<br />
Ihre Bewegung war schnell. So schnell, dass Mara gerade noch<br />
genug Zeit hatte, ihre Augen zu schließen und den Kopf zur Seite zu<br />
drehen. Klebriger Speichel klatschte gegen ihre linke Schläfe, tropfte<br />
von ihrer Wange und ihrem Kinn.<br />
Mara schluckte und versuchte, den in ihr aufwallenden Zorn mit<br />
einem kontrollierten Atemzug loszulassen.<br />
„Reizend“, sagte sie ironisch und wischte sich mit einem Ärmel<br />
Mays Speichel aus dem Gesicht. „Sehr reizend.“<br />
„Oh, das war nur ein kleiner Vorgeschmack“, säuselte May mit<br />
einer Unverfrorenheit, die es Mara schwer machten, sich auf die<br />
Gefühle und Gedanken hinter dieser kühlen, unnahbaren Maske<br />
verbargen.<br />
„Sehen wir es doch so“, fuhr May schließlich fort, nachdem sie an<br />
ihrem Kaffee genippt hatte, „Sie haben etwas, das ich will; ich habe<br />
etwas, das Sie wollen.“<br />
„Alles, was ich im Moment von Ihnen will, Montross“, sagte<br />
Mara mit zu Schlitzen verengten Augen, „sind ein paar verflucht<br />
gute Gründe für dieses Theater.“<br />
„Dann bleibt wohl nur noch die Frage“, begann May gedehnt<br />
und nahm noch einen Schluck Kaffee, ehe sie weiter sprach, „wie<br />
viel Ihnen die Antworten auf Ihre Fragen wert sind. Wären Sie bereit<br />
Ihr Leben dafür zu opfern?“<br />
Mara gab sich Mühe, nicht verwirrt zu blinzeln. War die andere<br />
Frau wirklich so sehr von sich selbst überzeugt oder spielte sie ihr<br />
gerade eine gründlich einstudierte Rolle vor? Selbst in der Macht<br />
konnte sie nichts wahrnehmen. Doch vielleicht konzentrierte sie sich<br />
auch nur nicht stark genug auf die Macht, um derartig feine Signale<br />
wahrzunehmen.<br />
„Haben Sie es bei sich?“ fragte May beinahe beiläufig. Als Mara<br />
jedoch nicht antwortete, sagte sie: „Natürlich nicht. Nicht bei dem<br />
166
Effekt, den das Amulett auf Sie hat, nicht wahr? Sicher haben Sie es<br />
bei Skywalker gelassen.“<br />
Mara beobachtete, wie ihr Gegenüber seelenruhig einen weiteren<br />
Schluck Klimmenkaffee nahm und sich diesen auf der Zunge<br />
zergehen ließ. Das Unbehagen in ihr wuchs und ihr Magen begann<br />
zu rebellieren.<br />
„Wissen Sie, es geht hier nicht um Orianna Matale“, fuhr May<br />
mit einem dünnlippigen Lächeln fort. Entweder hatte sie Maras<br />
Gedanken gelesen – was sie für äußerst unwahrscheinlich hielt –<br />
oder sie war so gut über die Mysterien des Amuletts informiert, dass<br />
sie das Thema von ganz allein anschnitt. „Es ging nie um sie. Sie ist<br />
nur ein weiteres Bindeglied zwischen Ihnen und mir. Sie hat mit<br />
ihrem kurzen, bedeutungslosen Leben lediglich ihren Zweck für den<br />
weiteren Verlauf der Geschichte erfüllt. Und wenn Sarzamin Saia<br />
eines Tages das Zeitliche segnet, wird ihr Andenken für immer<br />
vergessen sein. Aber meines nicht.“<br />
„Um wen geht es dann?“ verlangte Mara zu wissen. Es gelang ihr<br />
kaum die Frustration aus ihrer Stimme zu verbannen.<br />
„Strengen Sie Ihr Köpfchen an, Jade. Sie sind ihm schon<br />
begegnet.“ Mays Stimme senkte sich zu einem prophetischen<br />
Flüstern. „In Ihrem Träumen.“<br />
„Lassen Sie doch bitte die kryptischen Sprüche! Oder ist das ein<br />
Hobby, das sie sich beim Imperial Intel zugelegt haben? Vielleicht ist<br />
das ja eine perfide Vorliebe, die Sie sich angewöhnen mussten, als<br />
Sie sich der Galaxis als Mann verkauft haben.“<br />
Mays Züge verfinsterten sich. „Nicht alle von uns sind so<br />
privilegiert geboren wie Sie, Jade!“<br />
„Privilegiert?“ rief sie empört. „Sie finden, mein Leben war<br />
privilegiert? Haben Sie eine Ahnung…“<br />
„Beleidigen Sie mich nicht, Jade!“ May warf ihren Stuhl um, als<br />
sie aufsprang und mit einer Hand nach dem Blaster an ihrer Hüfte<br />
griff. Die beiden Keramiplast-Becher auf dem Tisch kippten um und<br />
verschütteten ihren brühenden Inhalt.<br />
May Montross’ Gesichtszüge waren zu einer grimmigen Maske<br />
erstarrt und ihre eisblauen Augen wirkten plötzlich eher tot als<br />
lebendig.<br />
167
Erst jetzt bemerkte Mara, wie still es in dem Café geworden war.<br />
Keiner der Gäste rührte sich. Manche starrten erschrocken zu ihnen<br />
hinüber, andere bemühten sich desinteressiert dreinzublicken. Das<br />
Personal verschanzte sich hinter der Theke und beäugte die<br />
Kontrahentinnen mit ängstlichen Blicken.<br />
„Na los, worauf warten Sie denn? Kommen Sie schon, blastern<br />
Sie mich doch einfach um“, sagte sie schnippisch und ignorierte die<br />
Mündung des Blasters, den May nun direkt auf ihr Gesicht gerichtet<br />
hielt. „Dann hätten wir es endlich hinter uns.“<br />
Doch May zögert, scheinbar hin und her gerissen zwischen dem<br />
Gedanken an Vergeltung und dem an den Nutzen, den sie vielleicht<br />
noch aus Maras Überleben ziehen würde. Vielleicht konnte sie ihre<br />
perfide Rache noch ein paar Tage mehr auskosten und damit das<br />
Leiden ihrer Feindin verlängern. Doch ihre Hände zitterten nicht<br />
und ihre Miene war noch immer wie in Stein gemeißelt. Würde sie<br />
jetzt abdrücken, würde sie ihr Ziel sicher nicht verfehlen.<br />
Maras Mund fühlte sich trocken an und ihre Lippen waren<br />
spröde. Sie rief die Macht zur Hilfe, formte mit ihrer Hilfe ein<br />
luftiges Kissen, mit dem sie das Lichtschwert vom Haken an ihrem<br />
Gürtel hol und langsam in Richtung ihrer linken Hand wandern<br />
ließ.<br />
„Ich werde Sie vernichten, Jade“, flüsterte May schließlich ohne<br />
zu blinzeln. „Ich weiß es und Sie wissen es.“<br />
„Aber nicht heute“, erwiderte Mara. Sie packte das Heft des<br />
Lichtschwertes so fest sie konnte, weil sie fürchtete, es könnte ihr<br />
aus der Hand gleiten.<br />
Ein Laut des Entsetzens durchfuhr die Gäste. Viele tauchten nach<br />
Schutz suchend unter ihre Tische. Andere starrten ehrfürchtig auf<br />
die blaue Klinge, die plötzlich aus dem silbernen Schaft in Maras<br />
Hand sprang und das Café mit einem geheimnisvollen Licht erfüllte.<br />
Mit einer katzenartigen Bewegung hatte Mara sich erhoben und<br />
auf die Platte des Tisches gesprungen, das Lichtschwert zur<br />
Verteidigung erhoben. Mit einem kleinen Ausfallschritt hoffte sie,<br />
den Lauf von Mays Blaster abzutrennen.<br />
168
Vergebens. Die andere Frau sprang, beinahe zeitgleich, über<br />
ihren umgeworfenen Stuhl hinweg, ließ sich rücklings fallen und<br />
rollte sich ab.<br />
Als sie außerhalb von Maras Reichweite wieder zum Stehen kam,<br />
eröffnete sie das Feuer. Mit hoher Konzentration griff Mara nach der<br />
Macht und überließ ihr die Führung. Zischend prallten die Schüsse,<br />
trotz ihrer tödlichen Präzision, von der Klinge ab und schlugen in<br />
die Decke ein, wo sie keinen Schaden anrichten konnten.<br />
May blinzelte verwirrt. Vielleicht hatte sie Mara doch<br />
unterschätzt.<br />
„Oh, kommen Sie“, sagte Mara spöttelnd. „Das können Sie doch<br />
sicher besser!“<br />
Wut flammte in den Augen ihres Gegenübers auf. Wilde<br />
Entschlossenheit plötzlich aus ihrer Miene.<br />
„Sie werden mich nicht noch einmal brechen!“ rief sie.<br />
Dann geschah etwas, das Mara nicht vorhergesehen hatte: Statt<br />
erneut ihren Blaster zu gebrauchen, griff May an den Gürtel ihres<br />
Anzugs aus Plastahlfaser. Und noch ehe jemand erkennen konnte,<br />
welches Utensil sie sich zur Hilfe nahm, warf eine Detonation Mara<br />
zu Boden. Das Lichtschwert glitt ihr aus der Hand, rollte ein paar<br />
Meter, bis es gegen ein Tischbein prallte und sich selbst deaktivierte.<br />
Überall im Café pressten die Leute ihre Hände auf die Ohren, in<br />
der Hoffnung, das unliebsame Klingeln abzuschirmen. Zwecklos.<br />
Ein hoher, schriller Laut dröhnte Mara plötzlich in den Ohren und<br />
sie wusste, ihr Trommelfeld würde noch eine Weile schmerzen. Als<br />
das schrille Kreischen langsam abklang, sie die Kraft fand sich<br />
aufzurappeln und nach May Ausschau zu halten, nur um<br />
herauszufinden, dass die ehemalige Imperiale Agentin wieder<br />
einmal die Flucht ergriffen hatte.<br />
„Dieser verfluchte Feigling!“ presste sie zwischen zusammen<br />
gebissenen Zähnen hervor. „Das sieht dir ähnlich, Montross.“<br />
Mit Hilfe der Macht befahl sie das Lichtschwert zurück in ihre<br />
rechte Hand, während sie mit der linken nach dem Comlink an<br />
ihrem Gürtel tastete. Sie musste Skywalker verständigen; er sollte<br />
sofort zu Sarzamins Haus kommen.<br />
169
Sie sind ihm bereits begegnet, hörte Mara ihre Stimme in ihrem<br />
Kopf. In ihren Träumen.<br />
SARZAMIN ÖFFNETE DAS EINMACHGLAS UND FISCHTE EINE DER BLAUgrünen<br />
Gurken heraus. „Sind die nicht ganz schön sauer?“ fragte sie voller<br />
Skepsis, als sie Orianna die Gurke reichte und dabei zusah, wie ihre beste<br />
Freundin sie mit süßem Murkhana-Nougat bestrich.<br />
„Ganz und gar nicht“, antwortete diese und biss genüsslich ein Ende<br />
der Gurke ab. „Das ist jetzt genau das was ich brauche!“<br />
Verwunderung stand Sarzamin ins Gesicht geschrieben, während<br />
Orianna sich eine Scheibe Wurst nahm und die Gurke darin einwickelte.<br />
Oder vielleicht ist es der Ekel, angesichts dieser seltsamen Kombination,<br />
dachte Orianna kurz.<br />
„Nochmals danke, dass du diese Samen für mich besorgt hast“, meinte<br />
Orianna und kaute auf ihrer kleinen Zwischenmahlzeit herum. „Wenn es<br />
jetzt schnell geht, könnten wir vielleicht nächstes Jahr schon die ersten<br />
Früchte ernten.“<br />
Als sie keine Antwort mehr bekam, stubste sie Sarzamin am Arm.<br />
„Hey! Alles in Ordnung?“<br />
„Ich denke schon“, sagte sie langsam, starrte aber immer noch<br />
entgeistert auf die ungewöhnlich garnierte Gurke in Oriannas Hand. „Es<br />
ist bloß, wenn ich deine Essgewohnheiten so sehe, dann hoffe ich, dass ich<br />
niemals schwanger werde.“<br />
Das entlockte Orianna ein heiteres Lachen. „Glaub mir, so schlimm ist<br />
es nicht“, rief sie amüsiert. „Ich habe auch erst gedacht, es wäre eine<br />
Katastrophe, aber ist man erst einmal schwanger, bekommen die<br />
seltsamsten Gerichte dieser Galaxis einen unvergesslichen Geschmack, von<br />
dem man nicht genug bekommen kann. Heute sind es Gurken mit<br />
Murkhana-Nougat, morgen ist es der Izzy-Schimmel wie ihn die Twi'leks<br />
zubereiten.“<br />
Sarzamin nickte und ihr Ekel wich einer ruhigen Ernsthaftigkeit. „Weiß<br />
Ilya es eigentlich schon?“ fragte sie. „Ich meine, dass du guter Hoffnung<br />
bist?“<br />
„Dass ich guter Hoffnung bin? Du liebe Güte, Sarza, wie alt bist du?<br />
Du klingst ja fast wie meine Mutter!“ kicherte Orianna. Doch die Miene<br />
170
ihrer Freundin blieb unbewegt, daher schlug auch sie nun einen ernsteren<br />
Ton an. „Nein, er weiß es noch nicht. Er ist seit drei Wochen in den<br />
Kernwelten unterwegs und versucht, seine alten Stammkunden zurück zu<br />
erobern oder zumindest was davon noch übrig ist. Dafür braucht er einen<br />
klaren Kopf. Außerdem wollte ich es ihm persönlich sagen, wenn er wieder<br />
heim kommt.“<br />
„Und wann wird das sein?“ fragte Sarzamin und klang dabei schon ein<br />
wenig entnervt, als hielte sie die Gründe für Oriannas Schweigen für<br />
fadenscheinig.<br />
„Heute Abend“, erwiderte diese kühl. „Außerdem habe ich keinen<br />
Grund zur Eile. Ich bin erst in der sechsten Woche und wer weiß, ob mir<br />
nicht das gleich passiert wie Casseia.“<br />
„Verstehe“, sagte Sarzamin entschuldigend. „Tut mir leid, ich wollte<br />
dich nicht kränken.“<br />
„Ah, schon gut“, lächelte Orianna und berührte die Jüngere sanft am<br />
Arm. „Das ist auch so eine Begleiterscheinung: Neben ständigem<br />
Heißhunger ist man nun auch nicht mehr Herr seiner Gefühle. Mach dir<br />
also nichts aus meinem spontanen Stimmungsschwankungen.“<br />
„Bring mir mein Datapad, du verfluchter Droide!“ polterte plötzlich<br />
jemand am anderen Ende des Korridors.<br />
„Oh weh“, machte Orianna und seufzte theatralisch, „da ist aber<br />
jemand mal wieder mit dem falschen Fuß aufgestanden.“<br />
„Was denn, er ist jetzt erst aufgestanden?“ fragte Sarzamin verblüfft<br />
und kontrollierte die Uhrzeit auf ihrem Chronometer.<br />
Orianna nickte knapp. „Er verschläft den halben Tag, bleibt jedoch bis<br />
spät in der Nacht auf. Bisher habe ich aber noch nicht rausgefunden, was er<br />
da treibt. Jedenfalls ist er in letzter Zeit immer ziemlich fies gelaunt, wenn<br />
er dann mal aufsteht. Das geht jetzt schon seit seinem Überfall auf Garlex<br />
Med so.“<br />
„Die Verletzung macht ihm wohl ziemlich zu schaffen, was?“<br />
erkundigte sich Sarzamin mit einem verlegenen Lächeln.<br />
„Nicht mehr als Casseias Tod“, erwiderte Orianna ungerührt.<br />
„DU SOLLST MIR ENDLICH MEIN DATAPAD BRINGEN!“<br />
donnerte Bithras in der Ferne und es folgte ein metallenes Scheppern, als<br />
hätte er den Servicedroiden soeben gegen die Zimmerwand geschmettert.<br />
171
„Es ist wohl besser, wenn ich gehe“, sagte Sarzamin und schlüpfte in<br />
ihre Jacke. „Ich hab sowieso noch zutun. Vater will, dass ich noch beim<br />
Umbau des Vivariums helfe.“<br />
Orianna nickte und rutschte von ihrem Hocker hinunter, um sich von<br />
ihr zu verabschieden. Die beiden Frauen schlossen einander in die Arme,<br />
dann drückte Orianna ihrer Freundin noch einen kurzen Abschiedskuss auf<br />
die Lippen.<br />
„Komm gut heim. Gib auf dich Acht.“<br />
„Danke. Du auch.“<br />
Nachdem Sarzamins Silhouette hinter der Hügelkuppe verschwunden<br />
war, beschloss sie ihrem Schwager ein wenig Gesellschaft zu leisten.<br />
Vielleicht würde ihn das auf andere Gedanken bringen.<br />
Sie fand ihn im Wohnzimmer, wo er wieder einmal im Sessel ihres<br />
Vaters saß. Doch diesmal wirkte er weniger wie ein motivierter,<br />
aufstrebender Geschäftsmann, den nur der Geldbeutel ein wenig drückte.<br />
Er saß zusammen gesunken da, hatte das linke Bein auf einem gepolsterten<br />
Schemel ausgestreckt und massierte mit verbitterter Miene seine schlaffe<br />
Oberschenkelmuskulatur.<br />
Seit seinem Unfall auf Garlex Med war sein Bein lahm, doch Bacta und<br />
andere Medikamente behoben diesen Zustand nur temporär. Manchmal<br />
glaubte Orianna, dass Etwas tief in seinem Inneren sich vehement weigerte<br />
zu verheilen. Ein Schatten war auf ihn und die ganze Familie gefallen und<br />
ihr blieb nur zu hoffen, dass er eines Tages vorüber ziehen würde. Der<br />
Gedanke, Casseias Tod markiere den Anfang des Endes, versetzt sie in<br />
panische Angst.<br />
Seit man Bithras aus dem Med-Zentrum entlassen hatte, war er dicker<br />
geworden, ließ sich manchmal wochenlang einen Bart stehen und verendete<br />
vor den HoloNet-Nachrichten, bis Orianna ihn schließlich dazu drängte,<br />
sich ein Bad und eine Rasur zu gönnen. Aber selbst dann, wenn er wieder<br />
wie ein Mensch aussah und nicht mehr wie ein muffiges Iriaz roch, so war<br />
er doch niemals mehr wirklich glücklich.<br />
„Ich hab Ilya gesagt, wir sollten lieber mit den Hutts Geschäfte<br />
machen“, sagte Bithras mit einem bitteren Lächeln und massierte weiter<br />
sein lahmes Bein. „Sie sind vielleicht hässlich und raffgierig, aber das<br />
Imperium hat weit weniger Skrupel.“<br />
172
Er schnalzte verächtlich mit der Zunge. „Palpatine und sein Kampf<br />
gegen die Korruption, dass ich nicht lache. Das Imperium ist nicht weniger<br />
korrupt als die Schwarze Sonne.“<br />
Orianna ließ sich vor der HoloCom-Einheit nieder und betrachtete<br />
Bithras' verhärmtes Gesicht. Alles, was sie sagte, erschien ihr in seiner<br />
Gegenwart bedeutungslos. Wann immer sie bei ihm saß, sei es nur, um ihm<br />
schweigend Gesellschaft zu leisten, fühlte sie sich schrecklich leer und<br />
einsam.<br />
Bithras schenkte ihr einen durchdringenden Blick, als wären seine<br />
Augen ein Durchleuchtungsgerät, das erfassen konnte, was Orianna in<br />
diesem Moment dachte.<br />
„Was nützt es am Leben zu sein, wenn man niemanden hatte, mit dem<br />
man dieses Leben teilen kann, nicht wahr?“ fragte er und seine Miene<br />
verzerrte sich zu einem gequälten Lächeln.<br />
Ilya kehrte erst nach Einbruch der Nacht zurück. Wie ein Dieb schlich<br />
er sich ins Haus, da fast alle Lichter gelöscht waren und eine geisterhafte<br />
Stille über dem Anwesen lag. Nur Orianna, die bei stark gedämpfter<br />
Zimmerbeleuchtung wach gelegen und auf ihn gewartet hatte, bemerkte<br />
sein Kommen. Rasch setzte sie sich auf und legte eine Hand auf ihren<br />
Unterleib.<br />
„Das ist dein Papa“, sagte sie mit einem vergnügten Lächeln.<br />
Sie stand auf und kämmte sich mit den Fingern durch die Haare, als die<br />
Tür zum Schlafzimmer aufglitt und Ilya herein trottete. Er sah müde und<br />
erschöpft aus und ließ seine Reisetasche unwirsch neben seine Seite des<br />
Bettes fallen.<br />
Orianna flog in seine Arme und bedeckte seinen Mund mit<br />
sehnsüchtigen Küssen. „Endlich bist du wieder da. Oh, ich hab dich<br />
schrecklich vermisst.“<br />
„Ich war doch bloß drei Wochen weg“, wandte Ilya ein und schob sie<br />
auf Armeslänge von sich. „Kein Grund nachts wach zuliegen und wie ein<br />
brunftiges Iriaz auf mich zu warten.“<br />
Langsam, als täten ihm alle Glieder weh, schälte Ilya sich aus seiner<br />
Kleidung, während Orianna ihn verletzt und wütend anstarrte. Ein<br />
brunftiges Iriaz? Hielt er sie etwa für promisk, so wie Casseia? Und wenn<br />
ja, seit wann störte er sich daran? Wenn sie sich recht erinnerte, hatte es<br />
genügend Gelegenheiten gegeben, bei denen er es nicht hatte erwarten<br />
173
können, ihr seine Manneskraft zu beweisen. Unwillkürlich glitt ihre Hand<br />
erneut zu ihrem Unterleib, der sich ungewöhnlich warm anfühlte, und sie<br />
warf ihm einen wütenden Blick zu.<br />
„Entschuldige“, sagte Ilya mit einem schlaffen Lächeln, als er ihren<br />
Gesichtsausdruck bemerkte. „Es ist anders heraus gekommen, als wie ich es<br />
sagen wollte.“<br />
„Oh, ich glaube, es ist genauso heraus gekommen, wie du wolltest“,<br />
schnappte Orianna beleidigt und sah mit einiger Zufriedenheit, wie sich<br />
seine Miene verfinsterte.<br />
„Hör zu!“ befahl Ilya streng. „Ich habe drei sehr anstrengende Wochen<br />
hinter mir und ich habe noch viel aufzuarbeiten. Eigentlich hatte ich mich<br />
darauf gefreut, friedlich neben meiner Frau einzuschlafen und noch zwei<br />
schöne und entspannte Tage zu verleben, bevor ich nach Carida fliege, aber<br />
anscheinend wird daraus ja nichts!“<br />
Ein Knoten schien sich in ihrer Kehle zu bilden bei diesen Worten. In<br />
zwei Tagen wollte er schon wieder von hier weg? Am liebsten hätte sie ihm<br />
an den Kopf geworfen, dass er mehr Zeit mit seinen Kunden verbrachte als<br />
mit ihr, dass er häufiger auf außerplanetarischen Reisen war als auf<br />
Dantooine. Doch stattdessen stapfte sie zurück zu ihrer Seite des Bettes.<br />
„Ich bin ja nicht mal deine Frau“, würgte sie hervor und schlüpfte<br />
erneut unter die Laken.<br />
Ilya seufzte frustriert und pfefferte sein Hemd in den Schrank. „Es ist<br />
nur zu unserem Besten“, beharrte er eisig.<br />
„Dann versuch wenigstens zur Geburt unseres Kindes da zu sein“,<br />
sagte Orianna ebenso kühl und zog die Decke bis zu den Schultern herauf.<br />
„Das wird ja nicht zuviel verlangt sein.“<br />
Ilya hielt erschrocken inne. „Wie bitte?“<br />
„Ach, nichts", murmelte sie und drehte sich zur Wand.<br />
LANGSAM ABER SICHER KAM ER ZU DER ERKENNTNIS, DASS SÄMTLICHE<br />
Ausrüstungsgegenstände, die sie bei sich trugen, der reinste Schrott<br />
waren. Hundert Jahre alter, abgenutzter Müll, den irgendein<br />
Imperialer vor der Schrottpresse bewahrt hatte, nur um ihnen jetzt<br />
das Leben schwer zu machen.<br />
174
Kaum etwas funktionierte noch. Die kleinen Kühleinheiten, in<br />
der sie ihre Proteinriegel und sonstige Verpflegung aufbewahrten,<br />
war in der vergangenen Nacht einfach ausgefallen und der Großteil<br />
des Essen inzwischen verdorben. Der Feldgenerator, der sowohl die<br />
im Kreis um ihr Lager aufgestellten Energieschilde als auch den<br />
Frequenzverstärker versorgte, war kurz davor zu verrecken. Drei<br />
der fünf Energiezellen waren einfach so durchgeschmort und hatten<br />
mit ihrem beißenden Ozon-Geruch die Tiere wie magisch<br />
angezogen. Da sie aber nur noch vier, äußerst schwache Schilde im<br />
näheren Umkreis mit Strom versorgen konnten, waren besonders<br />
die Karnivoren gefährlich nah herangepirscht. Es war nur eine Frage<br />
der Zeit, bis die Niederenergieschilde ganz versagten und ihr<br />
einziger Schutz gegen Dantooines Fauna ihre Blaster blieben.<br />
Spätestens seit letzter Nacht hatte er die Schnauze endgültig voll<br />
von diesem Planeten.<br />
„Dieses Zeug war zu Zeiten des Bürgerkriegs nicht mal mehr<br />
aktuell“, moserte Laz und beugte sich über den kniehohen,<br />
rechteckigen Frequenzverstärker, mit dem sie Mays Comlink, als<br />
auch die Pirate selbst anfunken konnten. Oder vielmehr können<br />
sollten. Weniger Energie bedeutete auch weniger Reichweite. "Ganz<br />
offensichtlich hat das Imperiale Militär an den falschen Ecken und<br />
Enden gespart."<br />
„Mach einfach, dass dieses verfluchte Ding wieder funktioniert“,<br />
gab Avarice zurück. „Wenn ich noch einen Tag länger auf diesem<br />
Brocken verbringe...“<br />
Einige sehr unschöne Verwünschungen ausstoßend, wandte Laz<br />
sich seiner Arbeit zu und begann den Verstärker mit dem<br />
Hydrospanner zu malträtieren. Hin und wieder schmetterte er das<br />
Werkzeug wütend ins Gras, wo es dann erst mal mit einem<br />
dumpfen Klonk liegen blieb, während Laz immer wüstere Flüchje<br />
ausspuckte.<br />
Avarice saß auf einem umgestürzten, mit dichten gelbgoldenen<br />
Flechten bedeckten Blba-Baum und reinigte sein Blastergewehr.<br />
Nachdem der Jedi seinen eigenen Repetierblaster auf Belderone mit<br />
dem Lichtschwert zerstört hatte, war er auf dieses – wie sollte es<br />
anders sein – abgehalfterte Modell angewiesen, das er sich aus der<br />
175
Waffenkammer der Pirate of the Perlemian geholt hatte. Überall war<br />
der schwarze Tarnlack abgekratzt und kleine Dellen zierten den<br />
Lauf des Gewehrs. Aber es war das Beste, das er hatte kriegen<br />
können. In den vergangenen zwei Tagen hatte er damit mindestens<br />
zehn Kath-Hunde geschossen, die sich zu nah an ihre Schilde<br />
herangewagt hatten. Nun musste er es allerdings reinigen, weil er<br />
nicht das Risiko einer spontanen Ladehemmung eingehen wollte. In<br />
ihrer derzeitigen Situation wäre das äußerst ungünstig.<br />
„Weißt du“, sagte Avarice gedehnt, während er die Gaspatrone<br />
im Gewehr auffüllte, „langsam frage ich mich, was May getan hat,<br />
dass der König ihr diese Sondermission überhaupt genehmigt hat.<br />
Mir kann keiner erzählen, wir würden hier nicht nach Mays<br />
Gutdünken operieren.“<br />
„Du weißt doch wie Frauen sind – sie und ihre schlagfertigen<br />
Argumente“, erwiderte Laz und widmete sich widerwillig einem<br />
Kabelbündel, welches aus dem Verstärker baumelte. „Vielleicht hat<br />
sie ihn mit ihren weiblichen Attributen überzeugt.“<br />
„Pff, das glaubst du doch selbst nicht“, spöttelte Avarice. „May<br />
hat mit einer Frau soviel gemeinsam wie ein Gundark.“<br />
„Was soll sie denn sonst gemacht haben? Ihn gefangen nehmen<br />
und foltern?“<br />
„Zum Beispiel.“<br />
Laz hielt inne und legte den Kopf ein wenig schief, während er<br />
über die unausgesprochene Vermutung seines Kompanions<br />
nachdachte.<br />
„Das ist der größte Haufen Banthamist, den ich je gehört habe“,<br />
sagte er schließlich und fuchelte unwirsch mit dem Hydrospanner<br />
herum.<br />
„Willst du's nicht begreifen?“ blaffte Avarice. „Denk doch mal<br />
nach, hast du den König jemals gesehen? Oder mit ihm persönlich<br />
gesprochen? Oder über den Komkanal? Nein. Man muss doch nur<br />
eins und eins zusammenzählen, Kumpel. Wer richtet uns sämtliche<br />
Befehle aus? Wer bekommt das Kommando im Gefecht<br />
zugesprochen? Wer hat bisher sämtliche Mitglieder der Crew im<br />
Auftrag des Königs rekrutiert? Und wer ist die einzige Person an<br />
Bord der Pirate, die den König jemals gesehen haben soll?“<br />
176
Verstehen dämmerte in Laz' Augen. „Ich glaube, mir gefällt<br />
nicht, was du damit sagen willst...“<br />
„Was ist“, fuhr Avarice unbeirrt fort, „wenn es gar keinen König<br />
gibt? Was ist, wenn das alles May war, die uns die ganze Zeit nach<br />
ihrer Pfeife tanzen lässt? Es macht alles Sinn! Und dieses alte,<br />
imperiale Equipment... was ist, wenn May was mit dem Imperium<br />
zu schaffen hat? Die Frau könnte uns alle in große Schwierigkeiten<br />
bringen.“<br />
Nun, da er diesen unausgegorenen Gedanken, der ihm seit<br />
einigen Tagen im Kopf herumspukte, zum ersten Mal in Worte<br />
kleidete, fühlte er sich um so mehr von May Montross benutzt. Er,<br />
Avarice Rinza, war von einer Frau, vielleicht sogar einer Imperialen,<br />
benutzt worden!<br />
„Ich konnte sie sowieso noch nie leiden“, sagte Laz gleichmütig.<br />
„Hätt' man sich eigentlich denken können, dass an der was faul ist.<br />
Obwohl du keine Beweise für deine Anschuldigung hast.“<br />
„Wir sind Piraten! Seit wann brauchen wir einen Grund, um<br />
jemanden abzuknallen?“ Avarice stand auf, schob eine neue<br />
Energiezelle in den Schaft des Gewehrs und entsicherte es mit einem<br />
Klicken, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.<br />
„Ey, Mann!“ brachte Laz in beschwichtigendem Ton hervor.<br />
„Hältst du das für eine kluge Aktion? Denk' dran, was sie mit Enyth<br />
gemacht hat!“<br />
„Ein Grund mehr das alte Miststück abzuknallen. Ich werde mich<br />
bestimmt nicht mehr von ihr herumschubsen lassen und sinnlos in<br />
der Wildnis Wache halten. So was Schwachsinniges. Ich bin nicht<br />
Pirat geworden, um mich von so einer falschen Schlange<br />
herumkommandieren zu lassen, da hätte ich gleich bei meiner Frau<br />
bleiben können. Von so einer werde ich mir meine Freiheit nicht<br />
mehr rauben lassen. May Montross hat uns lang genug für dumm<br />
verkauft.“<br />
Laz schwieg, doch es war schwer zu übersehen, wie angestrengt<br />
er über das soeben Gesagte nachdachte. Fest stand, dass sie es beide<br />
satt hatten, auf dem am meisten zurückgebliebenen Planeten des<br />
Sektors festzusitzen und auf die Befehle ihres ersten Maats zu<br />
warten.<br />
177
Ihres vermeintlichen ersten Maats.<br />
Schließlich stahl sich ein öliges Lächeln auf Laz' Gesicht und<br />
Avarice wusste, dass bald wieder jemand durch ihre Hand sterben<br />
würde.<br />
SKYWALKER HOLTE MARA EIN, ALS SIE GERADE DIE ALTEN,<br />
grasbewachsenen Landstraße zu Sarzamins Haus hinunter trottete.<br />
Er hatte noch einmal den A1-Deluxe beim Hafenbüro ausgeliehen<br />
und brache den Speeder einige Meter vor ihr am Straßenrand zum<br />
Stehen. Die Tür auf der Beifahrerseite sprang auf, als sie sich<br />
näherte.<br />
Sie sprachen nicht, wagten es nicht das Wort an den jeweils<br />
anderen zu richten, obgleich sie Skywalker seine Bemühung ansah,<br />
sie nicht mit Fragen zu löchern. Ein Teil von ihr hätte ihm gerne für<br />
seine Nachsicht gedankt, doch sie brachte die Worte nicht heraus.<br />
In Schweigen gehüllt stiegen sie schließlich aus, öffneten das<br />
Gartentor und durchquerten den Vorgarten. Ihre Ungeduld<br />
unterdrückend betätigte Mara den Summer.<br />
Es dauerte einige Sekunden, ehe sie die Verriegelung der Tür<br />
klicken hörten und die Schlossmechanismen aufschnappten. Mit<br />
einem leisen Surren öffnete sich die Tür und gab den Blick frei auf<br />
eine offensichtlich sehr verblüffte Sarzamin.<br />
Mara fühlte sich, als würde sie die ältere Frau nun auf einer ganz<br />
anderen Ebene wahrnehmen. Mit anderen Augen sehen.<br />
Unwillkürlich kehrten Oriannas Erinnerungen an ihre Freundin<br />
zurück in Maras Bewusstsein und sie war sich eine Sekunde lang<br />
nicht sicher, ob sie die jugendliche oder die gealterte Sarzamin vor<br />
sich sah.<br />
„Ich dachte schon, Sie wären abgehauen, ohne Auf Wiedersehen<br />
zu sagen“, meinte Sarzamin in dem Versuch, einen Scherz zu<br />
machen. „Nicht gerade die feine Old Core-Art.“<br />
„Wir müssen mit Ihnen sprechen“, sagte Mara gerade heraus.<br />
Sarzamins Stirn kräuselte sich. „Mit mir? Ich wüsste nicht, was<br />
ich Ihnen noch zu erzählen hätte, so gerne ich Ihnen helfen würde.“<br />
„Sie können“, korrigierte Mara. „Es geht um Orianna Matale.“<br />
178
Der Name schien einen emotionalen Schalter im Kopf der<br />
Blumenhändlerin umzulegen. Ihr Blick wirkte ein wenig verklärt<br />
und sie starrte Mara an wie eine Erscheinung.<br />
„Orianna?“ fragte sie.<br />
„Dürften wir eintreten?“ warf Skywalker ein. „Wir sollten dies<br />
vielleicht nicht zwischen Tür und Angel besprechen. Zur<br />
Sicherheit.“<br />
„Oh ja, natürlich. Bitte kommen Sie rein.“<br />
Sarzamin trat beiseite, um sie einzulassen. Da ihre Gäste<br />
inzwischen gut genug mit den Räumlichkeiten vertraut waren,<br />
verzichtete sie darauf, sie in die Wohneinheit zu führen, sondern<br />
verriegelte die Tür hinter ihnen und folgte ihnen anschließend.<br />
Mara nahm erneut auf dem Sofa Platz, Skywalker ließ sich in den<br />
Sessel sinken, indem er schon am Vortag gesessen hatte. Ihre<br />
Gastgeberin nahm Vorlieb mit dem zweiten Sessel, der Luke<br />
gegenüber auf der anderen Seite des Couchtisches stand.<br />
„Nun“, sagte Sarzamin gedehnt und verschränkte die Finger fest<br />
in einander, „wie kann ich Ihnen helfen? Was sind das für Fragen,<br />
die sie Orianna haben?“<br />
Mara warf Skywalker einen Blick zu, den er einen Augenblick<br />
lang erwidert. In ihren Eingeweiden schien sich ein unangenehmer<br />
Knoten zu bilder, der zu zuvor noch nicht da gewesen war.<br />
„Haben Sie es bei sich, Skywalker?“ fragte sie den Jedi-Meister.<br />
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich Sarzamins Augenbrauen<br />
fragend nach oben schoben.<br />
Luke nickte, öffnete eine der Taschen an seinem Gürtel und zog<br />
einen kleinen, schwarzen Beutel hervor, aus welchem er dann das<br />
silbrig-weiße Amulett hervor zog, das Mara in letzter Zeit solche<br />
Alpträume bereitete. Er beugte sich vor und legte das<br />
Schmuckstück, das einst Sarzamins bester Freundin gehört hatte, auf<br />
den Couchtisch und schob es in Richtung der Blumenhändlerin.<br />
„Woher“, hauchte diese atemlos, „woher haben Sie das?“<br />
„Das ist nicht weiter wichtig“, sagte Mara. „Sie erkennen es<br />
wieder?“<br />
179
„Selbstverständlich erkenne ich es wieder“, gab Sarzamin<br />
zurück. „Es gab nicht einen Tag, an dem Orianna es nicht getragen<br />
hat. Vom Tag ihres Todes einmal abgesehen.“<br />
Mara runzelte die Stirn. „Damals trug sie es nicht?“<br />
„Zumindest fand man es nicht, als man die Überreste des<br />
Anwesens nach Überlebenden durchsuchte“, sagte Sarzamin und in<br />
ihren Augen hatte einen traurigen Ausdruck angenommen. „Nicht,<br />
dass viel übrig geblieben wäre, das man hätte durchsuchen<br />
können.“<br />
„Wodurch haben Sie von ihrem Tod erfahren?“<br />
„Durch die Feuer auf den Feldern. Als die Angreifer abzogen,<br />
steckten sie das gesamte Anwesen in Brand. Es blieb nichts erhalten,<br />
selbst das kultivierte Ackerland und die Obstplantagen waren<br />
unbrauchbar. Alles, das auch nur den Anschein machte, noch ein<br />
paar Credits wert zu sein, wurde von den Nomaden, den Siedlern<br />
oder den Dantari geplündert.“<br />
„Ist das der Grund, warum sie nie wirklichen Anspruch auf das<br />
Anwesen oder die Ländereien erhoben haben?“ fragte Mara. „Außer<br />
um dort Pflanzen anzubauen?“<br />
„Nach Oriannas Tod gab es dort nichts mehr für mich.“ Ein<br />
Schatten huschte über Sarzamins Gesicht. „Es war nichts weiter, als<br />
ein verlassenes, totes Stück Land.“<br />
Mara schluckte. Es war ihr zuwider, die ältere Frau an diese<br />
tragischen Ereignisse zu erinnern und alte Erinnerung hervor zu<br />
locken, die die Händlerin vermutlich tief in sich vergraben hatte.<br />
„Hören Sie“, begann sie langsam. „Die Frau, die damals in Ihren<br />
Laden kam, damit sie Sie zum Anwesen der Matales führen, hatte<br />
das Medallion bei sich. Sie hat mir… uns mehr als genügen<br />
Hinweise hinterlassen, damit auch wir den Weg hierher finden. Sie<br />
hat uns das Medallion wissentlich in die Hände gespielt. Sie wollte,<br />
das wir es finden und es irgendwie benutzen.“<br />
„Benutzen?“ fragte Sarzamin verblüfft. „Wozu sollte es gut sein?<br />
Es ist nichts weiter als eine Kette mit einem teuren Schmuckstück<br />
daran. Und für manche hat es vielleicht einen sentimentalen Wert,<br />
aber mehr nicht.“<br />
180
„Das stimmt nicht ganz“, sprang Skywalker bei. „Es ist so, dass…<br />
nun ja… Oriannas Geist eine Art Spur auf dem Amulett hinterlassen<br />
hat. Eine Spur, die nur durch ein machtsensitives Wesen gelesen<br />
werden kann.“<br />
„Tatsächlich?“ Offensichtlich wallten in Sarzamin<br />
widerstreitende Gefühle auf, als wisse sie nicht so recht, was sie von<br />
dieser seltsamen Entwicklung der Ereignisse halten sollte. „Und was<br />
hat es ihnen so erzählt?“<br />
„Einiges“, sagte Mara und lenkte die Aufmerksamkeit der<br />
Händlerin damit wieder auf sich. „Zum Beispiel, dass Bithras<br />
Marjumdar, Oriannas Schwager, das Geschäft der Matales<br />
übernahm, nachdem Cailetet verstorben war. Dass Orianna nur<br />
durch die Unfruchtbarkeit ihrer Schwester zur Erbin des Anwesens<br />
wurde. Dass ihre Schwester Casseia sich das Leben nahm, weil sie<br />
kinderlos blieb, ein Jahr, nachdem ihre Mutter gestorben war. Soll<br />
ich noch mehr Details hervor graben?“<br />
Mara konnte sehen, wie der anderen Frau ein Schauer über den<br />
Rücken lief. „Nein, schon gut.“<br />
„Besaß Orianna Fähigkeiten in der Macht, von denen die übrigen<br />
Farmern oder ihre Familie nichts wussten?“<br />
„Nein“, sagte Sarzamin. Sie sah aus, als würde sie angestrengt<br />
nachdenken und jeden Moment, den sie mit ihrer Freundin geteilt<br />
hatte, noch einmal durchleben. Verwirrung machte sich auf ihrem<br />
Gesicht breit. „Nein. Und wenn, dann sprach sie jedenfalls niemals<br />
darüber. Obwohl… Vielleicht…“<br />
„Vielleicht was?“ fragte Mara. Ihre grünen Augen versuchten die<br />
äußere Hülle der anderen Frau zu durchdringen und ihre Gedanken<br />
zu lesen, doch ihr eigener Geist war dafür in zu großem Aufruhr.<br />
„Es war so, dass Bithras, ihr Schwager, eines Tages jemand in ihr<br />
Haus brachte“, erklärte die Blumenhändlerin langsam und rutschte<br />
auf dem Polster ihres Sessels herum. „Einen Jedi.“<br />
Wieder wechselten Mara und Luke eilige Blicke. Diese Tatsache<br />
war ihnen bisher verborgen.<br />
„Einen Jedi?“<br />
„Ja. Ein Überlebender der Order 66, glaube ich. Keine Ahnung,<br />
wie und wann Bithras ihn aufgelesen hat, er war eines Tages<br />
181
plötzlich da. Seit dem sah ich Orianna nicht mehr so oft, sie verbat<br />
mir, das Haus zu betreten. Zu meiner eigenen Sicherheit, wie sie<br />
immer wieder betonte.“<br />
„Das ist einleuchtend“, meinte Skywalker. „Selbst in diesem<br />
Sektor fürchtete man die Konsequenzen, die mit einem Verrat an der<br />
Neuen Ordnung des Imperators einhergingen.“<br />
„Das weiß ich!“ rief Sarzamin und durchbohrte Luke mit einem<br />
raschen Blick. „Das hat mir durchaus eingeleuchtet. Dennoch, ich<br />
begann mir Sorgen zu machen. Wir hatten uns zuvor fast jeden Tag<br />
gesehen, zusammen gekocht, ein wenig in der Stadt eingekauft und<br />
die Besorgungen für unsere Haushalte getätigt. Doch als sie sich so<br />
plötzlich zurück zog und den Kontakt nach außen zu scheuen<br />
begann, spätestens da wusste ich, dass etwas nicht stimmte.<br />
Orianna war seit dem Tod ihrer Schwester sehr verändert. Es war<br />
nicht so, als ob sie sich je besonders nah gestanden hätten, wo sie<br />
doch viele Jahre lang wie Rivalinnen gelebt hatten. Und dennoch<br />
hatte Casseias Selbstmord seine Spuren an ihr hinterlassen. Als hätte<br />
es eine Saite in ihr zum klingen gebracht, von der sie selbst nicht<br />
gewusst hatte, das sie existierte. Ich glaube, sie begann zu<br />
realisieren, wie einsam sie wirklich war, wie verlassen. Alle, ihre<br />
gesamte Familie, war inzwischen gestorben und alle die ihr blieben<br />
war Bithras und ein leeres Haus.“<br />
„Was ist mit Ilya?“ fragte Mara. „Sie hat ihn geliebt und er hat sie<br />
auch geliebt. Hat er jemals mit Ihnen über Orianna gesprochen?. “<br />
Sarzamins Augen funkelten. „Also wissen Sie auch über Ilya<br />
Bescheid?“ fragte sie argwöhnisch.<br />
„All ihre Erinnerungen sind in Oriannas Amulett gespeichert“,<br />
erklärte Mara. Sie wollte schon ein „Fragen Sie mich nicht, warum“<br />
hinzufügen, doch sie verkniff sich diesen Ausspruch. Stattdessen<br />
fixierte sie nun Skywalker mit festen Blicken. „Ich denke, Sie können<br />
das am besten erklären.“<br />
Luke blinzelte, schien um eine Antwort verlegen. Es dauerte eine<br />
Weile, eher er seine Worte gewählt und zu einer vernünftigen<br />
Antwort umgewandelt hatte.<br />
„Es gibt Techniken, mit denen die Jedi Erinnerung versiegeln<br />
können, ja“, sagte er langsam. „Sie können entweder in Objekten<br />
182
oder in Personen verborgen werden und sie bleiben solange<br />
verschollen, bis Derjenige kommt, dem es bestimmt ist, sie zu<br />
finden. Und vielleicht hat der Jedi, den Bithras und Orianna zu<br />
retten versuchten, dafür gesorgt, dass das Amulett die Erinnerungen<br />
speichert. Warum wissen wir nicht.“<br />
Es gibt so einiges, das wir nicht wissen, dachte Mara frustriert.<br />
„Und Miss Jade hier sollte bestimmt gewesen sein, Oriannas<br />
Erinnerungen zu entdecken?“ hakte Sarzamin nach. „Warum das?“<br />
„Das wüssten wir selbst zu gerne“, sagte Mara. „Deswegen sind<br />
wir zu Ihnen gekommen. Sie sind vielleicht die Einzige, die uns<br />
sagen kann, welche Verbindungen Orianna noch gehabt haben<br />
kann, kurz bevor sie starb. Vielleicht hat der Jedi, den sie erwähnten,<br />
etwas damit zu tun. Wir wissen es nicht.“<br />
„Und jetzt erhoffen Sie sich von mir eine Antwort?“<br />
„Nein.“ Mara schüttelte langsam den Kopf. „Keine Antwort. Nur<br />
ein paar Informationen, die nur eine beste Freundin wissen kann.<br />
Immerhin waren sie Oriannas engste Vertraute.“<br />
„So eng scheinbar auch wieder nicht.“ Sarzamin lehnte sich mit<br />
einem Seufzen in ihrem Sessel zurück.<br />
„Gibt es denn noch irgendetwas Ungewöhnliches, an das Sie sich<br />
erinnern?“ warf Skywalker ein und versuchte somit, die Händlerin<br />
sanft aber bestimmt in die richtige Richtung zu stoßen. „Wer war<br />
der Jedi? Haben Sie ihn je gesehen.“<br />
„Nur einmal“, erwiderte Sarzamin, die plötzlich ziemlich müde<br />
wirkte. „Ich weiß nur noch, wie er ausgesehen hat. Ein Nautolan mit<br />
einer Haut so grün wie die Blätter der Blba-Bäume. Er schien<br />
Orianna sehr zugetan, umschwirrte sie wie eine Motte das Licht.“<br />
Mara biss sich auf die Unterlippe. Konnte May den Nautolan<br />
gemeint haben, der das fehlende Bindeglied zwischen ihr und Mara<br />
darstellte? Es war unwahrscheinlich. Sie haben ihn bereits gesehen,<br />
in ihrem Träumen, wiederholte sie im Kopf die Worte der<br />
Imperialen Agentin. Der Nautolan jedoch war bisher in keiner ihrer<br />
Visionen aufgetaucht. Er musste tatsächlich er kurz vor Oriannas<br />
Tod in ihr Leben getreten sein, war für ihren Tod vielleicht sogar<br />
maßgeblich verantwortlich.<br />
183
„Das Anwesen wurde niedergebrannt, sagen Sie?“ wiederholte<br />
Mara. „Wissen Sie von wem?“<br />
„Nicht genau“, antwortete Sarzamin. „Doch ich glaube, es waren<br />
Imperiale Sturmtruppen.“<br />
Hatte jemand Wind von Oriannas und Bithras geheimen Gast<br />
bekommen und war mit dieser Information an die Imperialen<br />
Behörden heran getreten? Wieder einmal überschlugen sich Maras<br />
Gedanken, bis ihr schwindlig wurde.<br />
Nein, nicht ihre Gedanken verursachten den Schwindel. Es war<br />
etwas Anderes, etwas, das sich weiter übernatürlicherer Kräfte<br />
bediente.<br />
Ihre Sicht schwamm mit einem Male und die Welt war von<br />
schwarzen Schatten umrandet. Eine Ahnung bemächtigte sich ihrer,<br />
eine Ahnung, die ihr die Macht selbst einzugeben schien. Denn,<br />
ohne dass sie das Amulett berührte, zeichneten sich vor ihren Augen<br />
plötzlich die Umrisse des Matale-Anwesens ab. Sie konnte den<br />
Sessel sehen, in dem Bithras so gern zu sitzen pflegte, konnte sehen,<br />
wie Casseia an der HoloComm-Einheit saß und ihrer jüngeren<br />
Schwester vernichtende Blicke zuwarf.<br />
Das Anwesen, dachte Mara und kämpfte gegen die plötzliche<br />
<strong>Star</strong>re ihrer Glieder an. Dort wird sich alles aufklären.<br />
„Ich danke Ihnen“, würgte sie mit belegter Stimme hervor. Sie<br />
bot alle Konzentration, zu der sie fähig war, auf, um Vision zurück<br />
zudrängen. Ihre Arme und Beine fühlten sich jedoch schwer wie Blei<br />
an, als sie sich von der Couch erhob. Mit Hilfe eines kleinen<br />
Machtstoßes bugsierte sie das Amulett zurück in das Säckchen,<br />
indem Skywalker es hergebracht hatte, und schob dieses dann in<br />
eine ihrer eigenen Gürteltaschen. „Vielleicht kommen wir jetzt<br />
weiter mit unserem Rätsel.“<br />
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen und Sarzamin<br />
betrachtete sie prüfend und mit großen Augen. „Ist alles in<br />
Ordnung?“<br />
„Ja“, nickte Mara. „Schon gut. Ich denke, ich sollte jetzt gehen.“<br />
Mit einem Blinzeln erwachte Luke aus dem verwunderten<br />
<strong>Star</strong>ren, mit dem auch er sie bedacht hatte. Mara hatte die<br />
184
Eingangstür schon fast erreicht, bis er ihr eiligen Schrittes<br />
nachfolgte.<br />
„Wo wollen Sie hin?“ fragte Skywalker entgeistert.<br />
„Weg.“<br />
„Was meinen Sie mit weg? Mara!“<br />
„Ich brauche Zeit zum Nachdenken!“ fauchte sie ohne ihn<br />
anzusehen. „Ich muss zurück zum Anwesen der Matales. Allein!"<br />
Sie konnte hören, wie er scharf einatmete und einen Widerspruch<br />
mühselig herunter schluckte.<br />
Im Türrahmen hielt sie inne und wandte sich noch einmal zu<br />
ihm, ein bitteres Lächeln auf den Lippen. Ihr war klar, dass sie ihm<br />
Unrecht tat. Doch sie wusste, das Anwesen barg das letzte<br />
Geheimnis, das Puzzleteil, das ihr zur Lösung des Rätsels noch<br />
fehlte. Dort würde sie es ganz sicher finden, das letzte Bindeglied<br />
zwischen ihr und May Montross.<br />
„So unähnlich sind Montross und ich uns gar nicht“, sagte sie<br />
leise und gedankenverloren. „Beide waren wir Agentinnen des<br />
Imperiums und führten ein Leben im Schatten eines größeren<br />
Mannes. Wir hatten uns einer Sache verschrieben, die weit größer<br />
war als wir selbst. Und am Ende sind wir beide vom Imperium<br />
verraten worden.“<br />
DÜNNE WOLKEN LEGTEN SICH WIE EIN WEICHER SCHLEIER ÜBER DAS BLAU<br />
des Himmels an dem Tag, an dem Casseias Tod sich das zweite Mal jährte.<br />
Es lag der Duft von gemähtem Gras in der Luft und hier und da tanzten<br />
die Pollen der Blba-Bäume in der Luft.<br />
Das schwül-stickige Klima kam Orianna allerdings kaum zu gute. Es<br />
machte ihr das Atmen schwer und ließ sie bei der kleinsten körperlichen<br />
Anstrengung bereits in Schweiß ausbrechen. Selbst wenn sie sich,<br />
kugelrund wie sie inzwischen war, am Morgen aus dem Bett erhob, war ihr<br />
Haaransatz bereits feucht und ihr Hemd durchnässt. Und ihre Laune<br />
wurde damit zusehends zwischen euphorischer Vorfreude und missmutigem<br />
Klagen hin und her geworfen.<br />
Seit sich das Baby zum ersten Mal in ihrem Leib gerührt hatte, beschlich<br />
sie jedoch noch ein anderes, unbekanntes Gefühl. Oft schien die Welt um sie<br />
185
herum wesentlich intensiver, ihre Eindrücke kräftiger. An dem Tag, als es<br />
in der Siedlungen zu Krawallen wegen ausgebliebener Versorgungs-<br />
Frachter gekommen war, hatte sie den brodelnden Zorn förmlich spüren<br />
können. Doch nicht nur das, ihre Intuition war seither mehr als verlässlich,<br />
manchmal wusste sie noch vor dem Erwachen, ob es ein guter oder ein<br />
schlechter Tag werden würde, ob die Sonne schien oder Regen fiel oder wie<br />
viele erlegte Iriaz der Schützenkönig in diesem Jahr nachhause bringen<br />
würde.<br />
Nach dem Frühstück nahm sie sich die Zeit, den Droiden ihre Aufgaben<br />
für den Tag zuzuteilen und sich danach ausgiebig zu duschen. Das<br />
Ankleiden nahm inzwischen sehr viel Zeit in Anspruch, da sie etwa so<br />
beweglich war wie ein vollgefressener Hutt – und sie fühlte sich auch<br />
genauso. Das Kind war zu einer undenkbaren Last geworden.<br />
„Wie fühlt Ihr Euch heute, Mylady?“ fragte Eliashar, als Orianna sich<br />
schließlich in der Wohneinheit in den Sessel sinken ließ, eine Hand auf<br />
ihrem geschwollenen Bauch ruhend. Seine hochgesprossene, breitschultrige<br />
Gestalt zeichnete sich wie ein Schemen gegen das Sonnenlicht ab. Seine<br />
grüne Haut wirkte matt, seine schwarzen Amphibienaugen ausdruckslos.<br />
„Dick und fett“, brachte Orianna hervor. „Langsam kann dieses Kind<br />
zusehen, dass es den Weg in diese Galaxis findet. Ich bin es leid, schwanger<br />
zu sein. Sagt, schläft Bithras noch?“<br />
„Ich habe ihn heute noch nicht gesehen“, antwortete Eliashar. „Offenbar<br />
war er wieder sehr lang wach. Ich habe ihn vor dem Schlafengehen wieder<br />
vor der HoloComm-Einheit sitzen sehen.“<br />
„Mit wem er wohl diesmal gesprochen hat“, fragte Orianna, adressierte<br />
die Frage allerdings nicht direkt an den Jedi. Die Luft um Eliashar herum<br />
schien stets zu vibrieren, als wäre er von einer unsichtbaren, warmen Aura<br />
umgeben, und das jagte Orianna Ehrfurcht und Angst gleichermaßen ein.<br />
Bithras sagte immer, er spüre nichts dergleichen, vielleicht bildete sie sich<br />
dies auch nur aufgrund der vielen Heldenmythen ein, die man immerzu um<br />
die Jedi gesponnen hatte. Doch Orianna weigerte sich zu glauben, dass es<br />
bloße Einbildung war. Ein Teil von ihr konnte Eliashar spüren, streckte<br />
sich nach seiner einnehmenden Präsenz aus, ohne dass sie es kontrollieren<br />
konnte.<br />
Gedankenverloren kaute sie auf ihrer Unterlippe herum. Sie und Bithras<br />
würden in Malaks Küche geraten, sobald Ilya eintraf. Es würde ihn<br />
186
sicherlich nicht erfreuen, dass Orianna es Bithras gestattet hatte, einen<br />
flüchtigen Jedi, einen der letzten, in ihrem Haus aufzunehmen. Eliashar<br />
würde ihm anhaften wie ein unheilbarer Makel, der alles zunichte machen<br />
würde, alle Verträge mit dem Imperium, für die er so hart gearbeitet hatte.<br />
Orianna hingegen hatte den Jedi nicht abweisen können. Etwas in ihrem<br />
Inneren hatte es nicht über sich bringen können, den Nautolaner dem Tod<br />
zu überlassen, und sie fühlte sich ohnehin so schrecklich einsam. Wenn nur<br />
endlich ihr Kind geboren würde...<br />
Eliashar bedachte sie mit einem langen, jedoch unleserlichen Blick. Nicht<br />
einmal seine Kopftentakel rührten sich. Er stand einfach in seiner<br />
schlichten Tunika da, die Hände vor der Brust gefaltet, als würde er gerade<br />
sehr intensiv nachdenken.<br />
„Was ist denn?“ fragte Orianna und lehnte sich zurück. Ihr war, als<br />
hätte sie ein entferntes Flimmern seiner Gedanken aufgefangen.<br />
„Mylady...“, begann Eliashar langsam, als hätte er sie die Worte sorgsam<br />
zurecht gelegt. „Wir Jedi waren noch nie die Meister der Geheimniskrämerei,<br />
deswegen verzeiht bitte, falls ich etwas zu forsch erscheine. Als<br />
ich hier ankam, war ich dankbar, eine sichere Zuflucht gefunden zu haben,<br />
zumindest für den Moment. Ich wollte nur lang genug bleiben, bis ich<br />
einen anderen Ort gefunden hätte, an dem ich mich für ein oder zwei<br />
Monate durchschlagen könnte. Die Tage vergingen rasend schnell, aber ich<br />
hatte das Gefühl, dass ich nicht weiterziehen konnte, zumindest jetzt noch<br />
nicht, und als ich die Macht um Rat ersuchte, wurde mir klar, dass hier<br />
eine bedeutende Aufgabe auf mich wartet.“<br />
„Eine bedeutende Aufgabe?“ fragte Orianna und versuchte ihren Hohn<br />
zu verbergen. „Auf Dantooine gibt es nur die Ernte und den ewigen<br />
Wechsel der Jahreszeiten. Das hier ist nicht Coruscant. Was also sollte es<br />
für einen Jedi hier zu tun geben? Weswegen sollte die Macht Euch<br />
ausgerechnet hierher geführt haben?“<br />
„Euretwegen, Mylady“, sagte Eliashar, „oder vielmehr wegen Eures<br />
Kindes.“<br />
Oriannas Augenbrauen hoben sich skeptisch, also beeilte der<br />
Nautolaner sich seine Gedanken weiter auszuführen. „Der Tag, an dem<br />
mich Euer Schwager in dieses Haus brachte, wird mir wohl ewig im<br />
Gedächtnis bleiben und damit auch Euer Anblick. Ihr ward, wie sagt man<br />
hier noch, 'eine Blume, die in voller Blüte steht'? Die Einsamkeit und<br />
187
die Schwangerschaft machten euch längst nicht so zuschaffen wie heute,<br />
doch je länger ich Euch beobachtete, umso mehr fiel mir eine Veränderung<br />
an Euch auf. Nicht körperlich, sondern mental. Die Spur, die Ihr in der<br />
Macht hinterließt, wurde verschwommener und gleichzeitig auch<br />
intensiver. Auch jetzt spüre ich dieses Pulsieren in der Macht, das von<br />
Euch ausgeht... und doch seid nicht Ihr es, die plötzlich in der Macht<br />
gewachsen ist.“<br />
„Ihr meint“, sagte sie und ihre Kehle war mit einem Mal unendlich<br />
trocken, „dass mein Baby in der Macht begabt ist?“<br />
Der Nautolaner nickte langsam. „Möglich wäre es. Es würde<br />
zumindest den Zustand eines erweiterten Bewusstseins erklären, der Euch<br />
dann und wann zu überkommen scheint. Aber erst nach der Geburt kann<br />
ich Genaueres sagen. Erst dann lässt sich die Midichlorian-Zahl eines<br />
Menschen genau testen.“<br />
„Nein!“ Orianna spürte einen schmerzhaften Kloß, der sich in ihrer<br />
Kehle verdichtete und ihr die Luft abzuschnüren drohte. „Das kann nicht<br />
sein! Es darf nicht sein! Ich will nicht...“<br />
Sie brach ab, wagte es nicht die Befürchtung, die ihr auf der Zunge lag,<br />
auszusprechen, so sehr ängstigte sie der Gedanke. Für die Macht empfänglich<br />
zu sein war in diesen Zeiten, selbst an diesem Ort, keine gute Sache!<br />
Doch auch dies hatte der Nautolaner offenbar schon voraus gesehen und er<br />
zwang sich zu einem Lächeln.<br />
„Ihr solltet jetzt das Andenken Eurer Schwester ehren, Mylady“, sagte<br />
er leise. „Sonst wäre Eure harte Arbeit an dem Blumengesteck völlig<br />
umsonst gewesen.“<br />
„Ja, Ihr habt Recht“, murmelte Orianna benommen. „Würdet Ihr mir<br />
den Gefallen tun mich zu begleiten? Ich möchte nicht allein sein.“<br />
„Es wäre mir ein Vergnügen.“<br />
Gemeinsam gingen sie zu dem Hügel und lehnten einen Kranz aus<br />
Bitterblüten und Steinblumen an den Stamm des Perlfruchtbaumes, unter<br />
dem Casseia vor zwei Jahren ihrem Leben ein Ende gesetzt hatte. Die Leere,<br />
die sie beim Anblick ihres Leichnams verspürt hatte, kehrte mit nur<br />
langsam verblassender Deutlichkeit zurück und Orianna stand neben<br />
Eliashar, vom traurigen Andenken ihrer Schwester völlig taub und<br />
benommen.<br />
188
„Manchmal vermisse ich sie“, sagte sie leise und lauschte dem Rascheln<br />
des Windes in den jungen Baumkronen. „Es gibt vieles, das ihr hätte sagen<br />
sollen.“<br />
„Wir alle kennen das.“ Der Nautolaner legte ihr besänftigend eine<br />
Hand auf die Schulter. „Worte, die wir nie über die Lippen gebracht haben.<br />
Jedes Lebewesen weiß um diese unausgesprochenen Wahrheiten, nur leider<br />
erkennen wir sie erst, wenn es bereits zu spät. Alles was dann noch bleibt<br />
ist Bedauern.“<br />
Sie blinzelte überrascht und legte behutsam eine Hand auf ihren runden<br />
Leib. „Und was tut Ihr gegen diesen Schrecken? Wie haltet Ihr das<br />
Bedauern und die Verzweiflung in Schach?“<br />
„Ich finde meinen Trost in der Macht. Sie ist der Ursprung und das<br />
Ende, die Quelle und die Mündung, und alles fließt wieder in sie zurück.<br />
Angesichts dessen haben Worte und Taten keine Bedeutung mehr.“<br />
Mehr sagte Eliashar nicht und Orianna fragte sich, wie schon so oft seit<br />
dem Abend, an dem Bithras den Jedi ins Haus geholt hatte, was er wohl<br />
wirklich über sie denken mochte. Über sie und Ilya. Über sie und ihr Baby.<br />
Über das Leben, dass sie sich ausgesucht und in das ihr Jedi-Kind<br />
hineingeboren werden würde. Sie hatte sich die Geburt eines neuen Jedi<br />
immer dramatisch und schicksalhaft vorgestellt, nicht einsam und<br />
verlassen, nur mit Mutter und Onkel als Gesellschaft und einem Vater, der<br />
sich nur gelegentlich versicherte, dass sein Heim noch stand. Warum sollte<br />
die Macht ihre Gabe einem solchen Kind schenken, das nie mehr kennen<br />
würde als die Felder und Wiesen Dantooines?<br />
„Es gibt für alles einen Grund“, sagte Eliashar mit einem angedeuteten<br />
Lächeln, als er sie trotz der Hitze frösteln sah. „Nichts geschieht zufällig.“<br />
Drei weitere Tage kamen und gingen, doch der Fluss der Zeit schien zu<br />
dickflüssigem Schlick geworden zu sein, so unerträglich lang war das<br />
Warten. Zur Abenddämmerung des vierten Tages dann setzte ein<br />
stechender, alles beherrschender Schmerz ein und Orianna wusste, dass der<br />
Zeitpunkt endlich gekommen war.<br />
Die ersten Sterne der Unbekannten Regionen schimmerten bereits am<br />
Firmament, als man der erschöpften, in Schweiß gebadeten, jungen Matale<br />
ein warmes, strampelndes Bündel in die Arme legte und ihr klar wurde,<br />
wie unvorbereitet sie wirklich war. Doch obgleich sie der Gedanke an die<br />
Zukunft noch immer ängstigte, der Anblick ihrer Tochter war ein einziges,<br />
189
helles Strahlen, das alles Unheil zu bannen vermochte. Was auch immer<br />
nun kommen sollte, es war ihr gleich, solange sie das Mädchen nur fest im<br />
Arm hielt. Denn es war ihr Mädchen und sie war bereits jetzt<br />
wunderschön und vollkommen, mit ihrem weichen Haarflaum und den<br />
schillernd grünen Augen. Und würde Orianna morgen verarmen, Hunger<br />
leiden oder durch Tod und Krankheit gezeichnet werden – sie hätte ihre<br />
kleine Blume gegen nichts in der Galaxis eingetauscht.<br />
ES DAUERTE NICHT LANGE, BIS SIE DIE BLAU SCHIMMERNDE ENERgiebarriere<br />
erreichte, die die Grenze zum Land der Familie Matale<br />
darstellte, und eine Schwachstelle in dem veralteten Zaun fand, die<br />
es ihr leicht machte, die Ländereien zu betreten.<br />
Ihre Beine trugen sie wie auf Befehl eines anderen den flachen<br />
Abhang hinunter und auf das gebrandmarkte Haus zu, das noch<br />
immer mit der stillen Beständigkeit einer Ruine da lag. Seit diese<br />
Jedi-Ahnung über sie gekommen war, fühlten sich ihre Sinne wie<br />
betäubt an. Sie war dafür in gewisser Weise sogar dankbar, denn so<br />
zwang sie keine Müdigkeit und keine Benommenheit dazu über die<br />
letzten Visionen nachzudenken, die Orianna ihr beschert hatte.<br />
Sie wählte den gleichen Weg, den Skywalker und sie schon<br />
einmal zum Haupteingang des Hauses genommen hatte. Noch<br />
immer lag Schrapnell umher, das der von May installierte<br />
Bewegungssensor nach seiner Explosion hinterlassen hatte, doch<br />
Mara störte sich nicht daran, sondern berat nun ohne umschweife<br />
die Eingangshalle des Hauses.<br />
Die verkohlten Überreste von Perlfruchtbäumen zierten sowohl<br />
die Diele, als auch einige der Korridore. Gelbgoldene Moosflechten<br />
wucherten an ihren Wurzel und eroberten langsam die Fugen<br />
zwischen den Durastahlpaneelen, mit denen die Korridore<br />
verkleidet waren. Auch daran störte Mara sich nicht, die sich wie in<br />
einen neuen Traum zurück versetzt sah. Das ramponierte Antlitz<br />
des Hauses vermischte sich mit den Bildern, die sie mit Oriannas<br />
Augen gesehen hatte, und sie hatte das Gefühl, noch die<br />
Anwesenheit der ehemaligen Bewohner zu spüren.<br />
190
Ihr Weg führte sie ohne Umwege in die alte Wohneinheit, wo<br />
Orianna viele Tage ihres Lebens verbrachte hatte. Trotz des<br />
Schadens, den die Einrichtung bei dem Brand genommen hatte,<br />
konnte sie sehen, wie Orianna sich im alten Sessel ihres Vaters<br />
niederließ und gedankenverloren aus dem Fenster sah. Die alte<br />
HoloComm-Einheit in der Ecke war fast vollständig zerstört.<br />
Kabelbündel ragten aus der zertrümmerten Tastatur. Alles war von<br />
einer jahrzehnte alten Staubschicht bedeckt, selbst die großzügig<br />
angelegten Panoramafenster, die einst Ausblick auf eine fruchtbare<br />
Plantage geboten hatten.<br />
Ein Seufzen entkam ihren Lippen, während sie sich in dem<br />
Zimmer umsah und sich vorzustellen versuchte, wie es hier<br />
aussehen mochte, hätte Oriannas Leben nicht ein so unseligen Ende<br />
genommen. Es war seltsam, doch sie spürte eine seltsame<br />
Verbundenheit zu jedem Ding, dass sie in diesem Raum sah, als<br />
würde sie das Grab eines alten Freundes besuchen.<br />
Aber was genau glaubte sie nur hier zu finden? Warum hatte die<br />
Macht sie hierher geführt?<br />
Mit einer Hand brachte sie das Säckchen mit dem Amulett zum<br />
Vorschein und betrachtete es eine Weile.<br />
Sie war fast am Ende angelangt. Nicht mehr viel und alles würde<br />
endlich einen Sinn ergeben.<br />
EIN LETZTES MAL TAUCHTE MARA IN DAS LEBEN ORIANNAS EIN. EIN<br />
Leben, dessen letzte Stunden halb im Dunkel des Vergessens und der<br />
Verdrängung lagen. Und die Dunkelheit war erfüllt von Schreien, von<br />
Schmerz, von Angst und Hass.<br />
Der Hass, der aus Ilyas Augen sprach, als er die Wahrheit über den<br />
Nautolan herausfand. Die Angst, die Orianna lähmte. Der Schmerz, als er<br />
sie packte und seine Wut wie sauren Regen auf sie nieder regnen ließ.<br />
„Wie konntest du es wagen, diese Person ins Haus zu lassen?“<br />
herrschte er sie an. „Willst du uns alle umbringen?“<br />
Oriannas Mund war trocken, ihre Kehle wie zugeschnürt. „Ich... ich...“<br />
191
„Hast du eine Ahnung, was das Imperium mit Verrätern anstellt?<br />
Hm? Hast du irgendeine Ahnung, was du getan hast?“ Sein Griff<br />
schloss sich fester um ihren Oberarm.<br />
„Ilya, du tust mir weh!“<br />
„HÖRST DU, WAS ICH SAGE?“<br />
Tränen verschleierten ihre Sicht. Panik schien ihre Innereien zu<br />
verflüssigen. Sie fürchtete sich zu Tode vor dem Mann, den sie liebte.<br />
„LASST SIE GEHEN!“ rief Eliashar und zerrte Orianna vom Vater<br />
ihrer Tochter fort. Entfernt spürte sie, wie Bithras schützend einen Arm<br />
um sie legte.<br />
„EURETWEGEN SIND WIR DEM UNTERGANG GEWEIHT!“<br />
brüllte Ilya ohne seine Wut länger zu zügeln, doch Orianna war sich nicht<br />
sicher, ob er damit sie oder den Jedi meinte. „ICH HABE DIESER FRAU<br />
MEIN LEBEN GEOPFERT. UND WOZU? NICHT, DAMIT SIE ES<br />
EINFACH SO WEGWIRFT! FÜR EINEN JEDI!“<br />
„Du bist doch nicht ganz bei Trost!“ sagte Bithras entgeistert.<br />
„Was weißt du schon, du NICHTSNUTZ!“ blaffte Ilya, der seinen<br />
Zorn nun gegen seinen ehemaligen Freund wandte. „Die letzten zwei Jahre<br />
habe ich damit verbracht, unsere Position innerhalb des Imperiums zu<br />
festigen. Und als Dank fallt ihr beide mir in den Rücken!“<br />
„Oh, natürlich, Geschäfte mit Mördern und Kriegstreibern zu machen<br />
ist ja auch so eine noble Sache!“ gab Bithras zurück.<br />
Selbst durch ihre Tränen hindurch sah Orianna, wie die verzerrte,<br />
wutentbrannte Grimasse auf Ilyas Gesicht erstarrte. Ihr Herz setzte einen<br />
Schlag lang aus. Sie wagte es nicht zu atmen.<br />
Ilya kehrte in dieser Nacht nicht zurück, ganz gleich, dass Orianna<br />
Stunde um Stunde wach lag und auf ihn wartete, so, wie sie es immer<br />
getan hatte. Ihre Tränen kamen und gingen wie der Wechsel von Trockenund<br />
Regenzeit in einem Zeitraffer.<br />
„Er wird wiederkommen“, hörte sie jemanden sanft in ihr Ohr flüstern.<br />
„Er wird sich schon wieder beruhigen. Und dann kriegen wir das geregelt.“<br />
Der nächste Tag brach an, immer mehr Zeit verstrich und die Sonne<br />
stand schließlich fast auf dem Zenit, aber Orianna verspürte nicht genug<br />
Kraft in ihren Gliedern, um sich von ihrem Bett zu erheben. Sie wusste, so<br />
musste sich Casseia gefühlt haben. Sie hatte ihren Liebsten noch nie so<br />
192
wutentbrannt gesehen. Sein Zorn war noch heftiger gewesen, als selbst sie<br />
und Bithras hatten vorhersehen können.<br />
Immer wieder wurde sie von der Erschöpfung übermannt und fiel in<br />
unruhigen Schlaf. Irgendwann, als sie gerade genug bei Sinnen war, hörte<br />
sie auf dem Flur leises Raschen und Fußgetrappel, während Bithras und<br />
Eliashar eilige Reisevorbereitungen trafen.<br />
„Der alte Dúlamen ist einer der treusten Freunde der Matales“, hörte<br />
sie ihren Schwager irgendwann einmal flüstern. „Er wird Euch an Bord<br />
der Fortune Weaver bringen. Der nächste Halt ist dann Garlex Med.“<br />
„Wann können wir aufbrechen?“ fragte der Jedi.<br />
„Nicht vor der Abenddämmerung. Nautolaner sind keine oft gesehene<br />
Spezies auf Dantooine. Das allein würde mehr Aufmerksamkeit auf Euch<br />
lenken als gesund ist, Meister Jedi.“<br />
Dann fiel Orianna erneut in die Dunkelheit, die durchzogen war von<br />
grausamen Visionen der Verwüstung und Zerstörung. Die Welt um sie<br />
herum zerfiel, alles lag in Trümmern, und das Schreien eines Kindes<br />
erfüllte die interstellare Nacht.<br />
Das Schreien eines Kindes...<br />
In Angstschweiß gebadet kämpfte sie sich ins Bewusstsein zurück. Das<br />
Schreien hörte nicht auf. Es war laut und schrill. Es war ganz nah.<br />
„Oh Nein!“ stöhnte sie.<br />
Unter Aufbietung aller verbleibenden Kräfte stemmte Orianna sich in<br />
die Höhe, stürzte aus dem Zimmer und rannte den Korridor entlang zum<br />
Kinderzimmer. Die Tür stand offen und sie konnte Bithras' Stimme durch<br />
das gequälte Jammern ihrer Tochter hindurch hören. Die Luft brannte in<br />
ihren Lungen.<br />
Der Jedi hielt das schreiende Mädchen auf den Arm, eine amphibische<br />
Hand auf ihrem Schopf platziert und Bithras beobachtete ihn ungeduldig.<br />
Ihr Atem beschleunigte sich, je mehr sie gegen die erneut aufwallende<br />
Panik ankämpfte.<br />
„Was tut ihr da?“ fragte sie entsetzt.<br />
Sie sah, wie Bithras zusammen zuckte. Offenbar hatte er nicht damit<br />
gerechnet, dass sie aus ihrem Dämmerzustand erwachen könnte.<br />
„Orianna!“ keuchte er, fing sich dann aber. Er kämmte sein Haar<br />
zurück und bemühte sich, einen erklärenden Tonfall anzuschlagen.<br />
193
„Orianna, sie hat sich aus ihrer Wiege hinaus levitiert. Ich habe es selbst<br />
gesehen, wie sie schwebend in der Luft hing...“<br />
„Was?“<br />
„Das sollte Beweis genug für Euch sein, Mylady, dass dieses Mädchen<br />
über die Macht gebieten kann“, sagte Eliashar ruhig, aber bestimmt. Seine<br />
schwarzen Augen schienen sie bis zum Kern ihres Wesens zu<br />
durchleuchten.<br />
„Ich... ich kann nicht denken...“, sagte sie und sank auf einen Hocker<br />
neben der Wiege. Ihr Kopf warf wie leer gefegt. Sie war es müde, sich selbst<br />
einzureden, dass ihr Kind niemand besonderes war.<br />
„Gebt sie mir“, murmelte Orianna schließlich und der Jedi legte das<br />
Mädchen in die Armen seiner Mutter. Diese küsste es auf die Stirn und<br />
flüsterte beruhigende Worte, obwohl ihr eigenes Herz noch immer aufgeregt<br />
pochte. „Hab keine Angst...“, murmelte Orianna leise. Bithras und<br />
Eliashar warteten schweigend.<br />
Der Knall einer Explosion zeriss die Luft. Schreckerfüllt sprang<br />
Orianna auf, ihre Tochter immer noch fest an ihre Brust gedrückt. "Was<br />
war das?" fragte sie die beiden Männer ängstlich. Bithras war jedoch selbst<br />
zu erschrocken, um eine Antwort hervorzubringen.<br />
„Großes Unheil!“ rief Eliashar. „Uns bleibt keine Zeit.“<br />
Das Klappern vieler Fußschritte hallte durch den Korridor.<br />
Mechanische Stimmen, wie von einem Helm gefiltert, rauschten durch die<br />
Gänge des Anwesens. Konnte sie dort etwa hören, wie jemand einen Blaster<br />
aus dem Halfter zog und auflud?<br />
„Sturmtruppen“, bestätigte Eliashar ihre Gedanken.<br />
„Ilya wird doch nicht...?“, hauchte Orianna mit zitternden Lippen. „Er<br />
kann unmöglich...“<br />
„Orianna?“ hörte sie plötzlich jemanden eindringlich rufen. Es klang,<br />
als käme es aus der Wohneinheit. „Orianna?!“<br />
Eliashar schlich vorsichtig zur immer noch offenstehenden Tür hinüber,<br />
presste sich gegen die Wand und spähte vorsichtig um die Ecke. Orianna<br />
warf ihrem Schwager einen Blick zu, während das Mädchen in ihren<br />
Armen unruhig strampelte. Er sah genauso schlecht aus, wie sie sich im<br />
Moment fühlte.<br />
„ORIANNA!“<br />
„Antwortet ihm“, zischte Eliashar leise. „Rasch!“<br />
194
„Ich bin im Kinderzimmer!“ rief sie, das Zittern in ihrer Stimme<br />
unterdrückend.<br />
Sofort rückte das Fußgetrappel näher. Vor ihrem geistigen Auge sah sie<br />
bereits, wie die Sturmtruppler die Korridore sicherten und ihre Waffen zum<br />
Anschlag brachten, bereit alles und jeden zu erschießen. Eliashar zog sich<br />
langsam von der Tür zurück und trat an Oriannas Seite. Bithras beeilte<br />
sich, es ihm gleich zu tun.<br />
Schließlich lösten sich die Geräusche von zwei paar Stiefeln. Das<br />
Geräusch, welches die Sohlen auf dem gefliesten Boden erzeugten, erschien<br />
ihr bereits wie ein Pistolenschuss.<br />
Dann trat Ilya ein, aber er war nicht allein. Neben ihm stand ein<br />
hochgewachsener Mann mit einem kantigen, beinahe grobschlächtigen<br />
Gesicht und kurz geschorenem Haar. Auf seinem grauen Kampfanzug<br />
glänzten mehrere, Imperiale Abzeichen. Der Mann trug eine Miene zur<br />
Schau, die ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Hinter ihnen bezogen<br />
drei Sturmtruppler Position.<br />
„Ist er das?“ fragte der Mann mit rauer Stimme. „Der Nautolan?“<br />
Ilya nickte. Es war Orianna unmöglich, seinen Gesichtsausdruck zu<br />
deuten. Wenn sie ihn ansah, sah sie einfach nichts; sie erkannte ihn nicht<br />
wieder. „Ja, das ist der Jedi.“<br />
Multiples Klicken erfüllte den Raum, als die Sturmtruppler ihre<br />
Blastergewehre auf Eliashar richteten. Auch der Mann zog eine BlasTech-<br />
Pistole hervor und überprüfte die Energiezellen.<br />
„Nein!“ keuchte Orianna. Das Kind auf ihrem Arm gab ein gequältes<br />
Quietschen von sich.<br />
„Nimm das Kind da weg“, blaffte der Imperiale Agent ungehalten in<br />
Ilyas Richtung. „Und nimm dein Frauchen gleich mit. Sie steht eh nur<br />
unnütz in der Gegend herum.“<br />
Orianna kämpfte gegen den Knoten in ihrer Kehle an und Tränen<br />
verschleierten erneut ihre Sicht. Ilya trat vor, legte eine Hand auf Oriannas<br />
Oberarm und führte sie langsam in Richtung Tür. Ihre Beine wurden<br />
weich und sie war so kraftlos und verwirrt, dass sie ihm ohne Widerstand<br />
folgte.<br />
Er führte sie mit großen Schritten auf den Korridor, wo sich zu beiden<br />
Seiten Sturmsoldaten gegen die Wände pressten und abwarteten, ob der<br />
Jedi einen unüberlegten Fluchtversuch wagen würde.<br />
195
„Alles wird gut“, flüsterte er ihr ins Ohr. „Vertrau mir.“<br />
Orianna sah ihn verwirrt an und eine neue Emotion mischte sich unter<br />
ihre Angst: Unbändiger, ungezügelter Zorn.<br />
Wie konnte er sich noch erdreisten von Vertrauen zu sprechen?<br />
Blasterschüsse tauchten den Korridor immer wieder rotes, todbringendes<br />
Licht. Bithras' und Eliashars Todesschreie jagten ihr kalte Schauer<br />
über den Rücken, während sie mit zusammen gepressten Lippen lauschte.<br />
Einer der beiden versuchte ein paar letzte Worte hervorzupressen, doch<br />
über den Lärm des Schüsse hinweg konnte sie nicht verstehen, was gesagt<br />
wurde.<br />
Ilya zerrte sie in die Wohneinheit und schloss die Tür hinter ihnen. Die<br />
Geräusche erstarben abrupt. Noch immer wusste sie nicht, ob ihm klar war,<br />
was er soeben getan hatte oder ob er es bereute.<br />
„Sag, wann bist du zu einem Mörder geworden?“ fragte sie kühl. Eine<br />
Sekunde lang wunderte sie sich, welche Intensität die Abscheu ihrer<br />
Stimme verlieh. „Was haben deine neuen Freunde getan, um dich so zu<br />
verderben?“<br />
Eine Ohrfeige war die Antwort.<br />
„Halt den Mund!" fauchte er. „Du hast ja keine Ahnung!“<br />
„Dann erkläre mir doch, wovon ich keine Ahnung habe!“ blaffte sie<br />
zurück, den Schmerz in ihrer Wange ignorierend.<br />
„Ich wollte euch beschützen!“<br />
Für einen Augenblick hing nur das Schreien des Kindes zwischen ihnen<br />
in der Luft.<br />
„Und du erwartest jetzt von mir, dass ich dir glaube und Verständnis<br />
für dich habe?“ fragte Orianna eisig, ehe sie beruhigend den Schopf ihrer<br />
Tochter zurückstrich. Irgendetwas sagte Orianna, dass das Mädchen sehr<br />
genau wusste, was um sie herum passierte. „Tut mir leid, damit kann ich<br />
nicht dienen!“<br />
Mit einem Zischen glitt die Tür auf und der Imperiale Agent trat ein.<br />
Etwas Rötliches schimmerte am Ärmel seines Kampfanzuges,<br />
wahrscheinlich Blut. Orianna wollte sich die Gräuel nicht ausmalen, die er<br />
ihrem Schwager und dem Jedi zugefügt hatte. Seine Pistole hielt er noch<br />
immer fest umklammert und hinter ihm versammelten sich einige<br />
Sturmtruppler auf dem Gang.<br />
196
„Der Jedi hat noch ein paar sehr interessante Dinge erzählt“, begann er,<br />
richtete seine Worte dabei jedoch eher an Ilya, als an Orianna, „bevor er<br />
schließlich abgedankt hat.“<br />
Eine entsetzliche Vorahnung ließ Orianna erzittern.<br />
„Das kleine Mädchen dort“, der Agent nickte in ihre Richtung, „er<br />
schien großes Interesse daran zu haben, dass wir sie nicht in die Finger<br />
kriegen.“<br />
„Wie bitte?“ fragte Ilya verständnislos.<br />
„Wenn ein Jedi Interesse an einem Neugeborenen zeigt“, führte der<br />
Agent weiter aus, ohne auf eines der Elternteile zu achten, „dann beweist<br />
das nur eins: Das Kind hat einen besonderen Wert für den sterbenden<br />
Orden der Jedi. Einen Wert, den andere Kinder nicht haben...“<br />
Jeder Muskel in Oriannas Körper schien wie gelähmt, sie konnte sich<br />
einfach nicht von der Stelle rühren. Nur ihre Augen folgten gebannt, wie<br />
der Mann lässig durch die Wohneinheit schritt und sich in aller Seelenruhe<br />
umschaute. Er nahm die Holoprojektionen an der Wand in Augenschein,<br />
strich mit den Fingern über die Tastatur an der HoloComm-Einheit, seine<br />
BlasTech-Pistole weiterhin fest umschlossen.<br />
„An deiner Stelle würde ich ihr das Kind abnehmen“, sagte er<br />
schließlich an Ilya gewandt. Ein dämonisches Glitzern war in seine Augen<br />
getreten.<br />
Ohne weitere Umschweife – ohne auch nur einmal die Motive des<br />
Imperialen Agenten zu hinterfragen – packte Ilya Oriannas Arm und wand<br />
das Mädchen aus der Umarmung seiner Mutter.<br />
Orianna hätte ihn am liebsten angespukt, doch sie war zu sehr damit<br />
beschäftigt, sich ihre Tochter nicht wegnehmen zu lassen. Er war viel<br />
stärker als sie...<br />
Ein einziger Schuss setzte dem Kampf zwischen Mutter und Vater ein<br />
Ende. Finsternis verschluckte alle Empfindungen.<br />
Einen Moment lang glaubte Mara, sie könnte nicht mehr atmen, würde<br />
in die alles verschlingende Dunkelheit hinab gezogen werden. Doch dann<br />
gab es eine Verzerrung, ein Wechsel in der Perspektive. Und plötzlich sah<br />
sie nicht mehr mit Oriannas Augen, sondern starrte auf sie hinab und sah,<br />
wie die junge Matale regungslos am Boden lag. Der kleine Teil von Mara,<br />
der sich noch nicht ganz den machtvollen Erinnerungen ergeben hatte,<br />
197
wand sich, begehrte auf, sträubte sich gegen die Erkenntnis. Dies waren<br />
nicht länger Oriannas Erinnerungen.<br />
Es waren ihre eigenen.<br />
Rajasta Djae beugte sich über Oriannas Leichnam und warf Ilya die<br />
Kette mit dem Amulett zu. „Hier, nimm’s als Erinnerung an deine kleine<br />
Farmlady. Besser du suchst dir deine Frauen in Zukunft sorgfältiger aus.“<br />
Dann winkte er einem Soldaten zu, der Ilya das schreiende Kind abnahm.<br />
„Man wird sich für diesen Dienst am Imperium noch bei dir erkenntlich<br />
zeigen."<br />
„Was habt ihr mit ihr vor?" fragte Ilya entgeistert und vor Schreck<br />
ganz leichenblass. „Wo bringt ihr sie hin?“<br />
Als Antwort erhielt er das Klicken von Blastergewehren, die von Töten<br />
auf Betäuben umgeschaltet wurden. „Los, Bewegung“, befahl der<br />
Kommandant der Sturmtruppe barsch und stieß Ilya mit der Mündung<br />
seines Gewehrs in den Rücken.<br />
„Was tut ihr mit meiner Tochter?“ verlangte er erneut zu wissen,<br />
diesmal mit mehr Nachdruck und Verzweiflung in der Stimme.<br />
„Wenn sie wirklich in der Macht begabt ist, so wie der Jedi gesagt hat,<br />
dann wird der Imperator ein Auge auf sie werfen wollen“, erklärte Rajasta<br />
kühl. „Und falls sie seine Prüfung übersteht, darf sie weiterleben, anstatt<br />
der Order 66 gemäß exekutiert zu werden. Vielleicht wird Palpatine sogar<br />
Nutzen aus ihr ziehen können. Du selbst wirst Nutzen aus ihr ziehen<br />
können.“<br />
Der imperiale Agent sah auf das strampelnde Bündel auf dem Arm des<br />
Sturmsoldaten hinab und lächelte eiskalt. „Ihre Exekution wäre aber auch<br />
ein Jammer. Sie wird sicher eine Schönheit wie ihre Mutter. Das kupferrote<br />
Haar hat sie jedenfalls schon.“<br />
MIT ALLER KRAFT, DIE SIE NOCH AUFZUBRINGEN VERMOCHTE, SCHLEUderte<br />
Mara das Amulett ihrer Mutter von sich. Lautes Klingen<br />
erfüllte das Wohnzimmer, als das Schmuckstück von der Wand<br />
abprallte und irgendwo liegen blieb, doch sie weigerte sich<br />
hinzusehen.<br />
Hier war es passiert. Hier in diesem Zimmer war Orianna Matale<br />
von Rajasta Djae kaltblütig ermordet worden. Hier hatte man ihre<br />
198
Familie endgültig entzwei gerissen. Und nun – endlich – schloss<br />
sich der Kreis.<br />
Dennoch spürte sie keine Wut, nur Verzweiflung. Verzweiflung,<br />
und eine seltsame Traurigkeit, die ihr gewaltsam die Kehle<br />
zuschnürte. Ihr ganzer Körper zitterte und bebte unkontrollierbar.<br />
Mit zusammen gepressten Kiefern und noch fester zusammen<br />
gebissenen Zähnen klang ihr unregelmäßiger, stoßweise gehender<br />
Atem wie ein trockenes Schluchzen.<br />
Mara ballte eine Hand zu Faust und suchte in ihrem Inneren<br />
nach einem Fokus, so wie Skywalker ihr es immer gepredigt hatte.<br />
Es gibt keine Leidenschaft, es gibt Frieden, rezitierte sie in Gedanken<br />
den alten Jedi-Kodex. Denn alles was sie wollte, war ihr eigener<br />
Seelenfrieden, nicht die quälende Erinnerung an die Vergangenheit.<br />
Dort gab es keine Wahrheit zu finden, nur Leid und Schmerz. Vor<br />
neun Jahren hatte sie sich geschworen, diesen Schmerz hinter sich<br />
zu lassen, während der Imperial Intel sie quer durch die Galaxis<br />
gejagt hatte.<br />
Doch nun hatte sie keine Wahl mehr. Sie musste sich der<br />
Vergangenheit erneut stellen, so wie sie sich C'boath, Thrawn und<br />
Palpatines letztem Befehl gestellt hatte. Und sie würde diesem<br />
Wahnsinn ein Ende bereiten, selbst wenn es ihren Tod bedeutete.<br />
Plötzlich hörte sie etwas. Ein leises Scharren auf die Korridor und<br />
ein kaum vernehmbares Atmen. Schritte wirbelten den jahrzehnte<br />
alten Staub auf und zerstörten damit den Zauber der Vergangenheit.<br />
Sie war nicht mehr allein.<br />
199
8: FRAGMENTS OF SORROW<br />
WIEDER WAR SIE FORT UND IHM BLIEB ERNEUT NICHTS ANDERES ÜBRIG,<br />
als mit einem Seufzen zurück ins Haus zu gehen, nachdem sie mit<br />
dem Landspeeder hinter einer Biegung des Pfades verschwunden<br />
war. Langsam begann sich Maras Frustration auch auf ihn<br />
auszuwirken, denn nichts anderes rief ihr Verhalten in ihm hervor.<br />
Sie war störrischer als ein Bantha und er konnte sich nicht erklären,<br />
warum sie seine Hilfe nicht annehmen wollte. Es war ihm ein Rätsel.<br />
Sarzamin saß noch genau da, wo sie vor Maras überstürztem<br />
Abgang gesessen hatte, und wartete geduldig. Ihm entging jedoch<br />
nicht die Nachdenklichkeit, die sich ihrer Gesichtszüge bemächtigt<br />
hatte. Ihre Augen hatten diesen seltsamen Schimmer angenommen,<br />
den menschliche Augen immer bekamen, wenn man mit seinen<br />
Gedanken in weiter Ferne schweifte. Erst, als Luke sich setzte,<br />
erwachte sie aus ihrer Trance.<br />
„Ist sie fort?“ fragte sie ruhig.<br />
„Ja“, war die knappe Antwort. Er biss sich auf die Unterlippe<br />
und strich mit den Fingerspitzen über sein Kinn. Im Augenblick<br />
wusste er nicht, was er sonst noch hätte sagen sollen.<br />
„Ich muss Sie etwas fragen, Master Skywalker“, sagte Sarzamin<br />
und betrachtete ihn mit ernster Miene, „über etwas, das soeben<br />
gesagt wurde.“<br />
„Fragen Sie“, meinte Luke müde.<br />
200
„Sie sagten vorhin, dass nur Miss Jade die Erinnerungen in<br />
Oriannas Amulett wachrufen kann, nicht? Dass sie wie eine Art<br />
Schlüssel funktioniert.“<br />
„Richtig.“<br />
„Und sie vermuten, dass es vielleicht der Jedi gewesen sein<br />
könnte, der Oriannas Erinnerungen speziell für Miss Jade<br />
abgespeichert hat?“<br />
„Möglicherweise, wobei ich das für recht unwahrscheinlich halte.<br />
Erinnerungen in Objekten einzuspeisen ist selbst für einen Jedi eine<br />
schwierige Aufgabe, doch die Informationen dann auch noch so zu<br />
codieren, dass sie von nur einer bestimmen Person gelesen werden<br />
können, die – nebenbei bemerkt – zu diesem Zeitpunkt vermutlich<br />
nicht einmal geboren war, ist eine noch viel größere<br />
Herausforderung“, erklärte Luke.<br />
„Und sehen Sie“, meinte Sarzamin und beugte sich in ihrem<br />
Sessel leicht nach vor, „da glaube ich, irren Sie. Vielleicht ist nicht<br />
Mara der Schlüssel, sondern das Amulett. Vielleicht funktioniert<br />
dieses ganze Modell genau anders herum.“<br />
„Sie meinen, Mara trägt die Erinnerung und das Amulett fördert<br />
sie zutage?“ hakte Luke mit gerunzelter Stirn nach.<br />
„Ganz genau.“<br />
„Wie hätte der Jedi das anstellen sollen? Sie sagten selbst, dass er<br />
am gleichen Tag starb wie Orianna, dass er Dantooine also nie<br />
wieder verlassen hat. Er und Mara hätten zuvor in Kontakt treten<br />
müssen, damit diese <strong>Version</strong> der Geschichte funktionieren kann.“<br />
Sarzamin setzte ein trauriges Lächeln auf. „Es gibt da eine<br />
Möglichkeit. Eine, die ich für äußerst wahrscheinlich halte.“<br />
Luke warf ihr einen fragenden Blick zu. Er war sich nicht sicher,<br />
worauf sie hinauswollte. „Und die wäre?“<br />
„Sie ist Oriannas Tochter.“<br />
Das Herz sank ihm in der Brust und er konnte spüren, wie ihm<br />
die Farbe für einen kurzen Augenblick aus dem Gesicht wich. Wenn<br />
dem so war, wollte er nicht wissen, was geschah, wenn Mara dies<br />
erfuhr.<br />
„Es würde zumindest erklären, warum sie mich von Anfang an<br />
an Orianna erinnert hat“, fügte die Händlerin mit einem weiteren,<br />
201
traurigen Lächeln hinzu. „Charakterlich sind sie einander wohl<br />
kaum ähnlich, außer dass beide stur wie eine Kinrath sind, aber<br />
manchmal erinnerte mich die Art, wie sie sich bewegte an meine alte<br />
Freundin. Zumal Teint und Haarfarbe sich bis ins Detail gleichen.“<br />
„Das kann nicht sein“, erwiderte Luke, dessen Stimme sich<br />
plötzlich rau und belegt anhörte.<br />
„Anders kann ich es mir nicht erklären“, gab Sarzamin zurück.<br />
Ihre Haltung und Stimme vermittelten eine Sicherheit, an der es<br />
Luke im Augenblick mangelte. „Und Orianna hatte ein Mädchen zur<br />
Welt gebracht, wenige Monate vor ihrem Mord. Ich dachte, man<br />
hätte das Kind ebenfalls exekutiert, bloß, um an dieser Familie ein<br />
Exempel zu statuieren. Anscheinend habe ich mir geirrt...“<br />
Nun, da er darüber nachdachte, ergab Sarzamins Theorie<br />
durchaus Sinn. Es war die bislang schlüssigste Erklärung, die sie zur<br />
Hand hatten, für all die seltsamen Dinge, die mit Mara geschahen.<br />
Es erklärte sogar die tiefen Wunden, die Oriannas Erinnerungen an<br />
ihr hinterlassen hatten. Der ganze Prozess des Schmerzes rief in ihm<br />
die Bilder dessen wach, was einst mit ihm selbst auf Dagobah und<br />
auf Bespin geschehen war, als man ihm eröffnet hatte, wer Darth<br />
Vader wirklich war. Er war damals genauso unvorbereitet gewesen<br />
wie Mara jetzt, doch hatte es einen bezeichnenden Unterschied<br />
gegeben. Seine ganze Jugend hindurch hatte es ihn danach verlangt<br />
zu wissen, wer sein Vater gewesen war. Mara hingegen hatte nie<br />
nach einer Antwort auf die Frage ihrer Herkunft gesucht. Ihr Leben<br />
fing als Hand des Imperators an. Was davor gewesen sein mochte,<br />
war nicht weiter von Belang. Er hatte, im Gegensatz zu Mara, alles<br />
wissen wollen und deshalb traf sie die Wahrheit vermutlich um ein<br />
vielfaches tiefer als ihn.<br />
Seine Frustration wich schlagartig einer tiefschürfenden Sorge.<br />
Ob Mara eine derartige Verbindung zwischen sich und Orianna<br />
Matale bereits erahnte?<br />
„Ich... ich bin sprachlos“, sagte Luke und schüttelte dabei<br />
langsam den Kopf. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll.“<br />
„Also stimmen Sie mir zu?“<br />
„Ich muss Ihnen wohl zustimmen, weil dies die wohl<br />
plausibelste Erklärung ist, die wir bisher haben“, erwiderte Luke<br />
202
und biss sich erneut auf die Unterlippe. Es fiel ihm schwer, sich auf<br />
Sarzamin zu konzentrieren und ihrem abwartenden Blick zu<br />
begegnen. Seine Augen nahmen einen glasigen Ausdruck an, als<br />
seine Gedanken von dem Hier und Jetzt fort schweiften. Einen<br />
Moment dachte er daran, was wohl gewesen wäre, hätte Sarzamin<br />
ihre Vermutung schon in Maras Beisein vorgebracht. Hätte Mara ihr<br />
Glauben geschenkt? Das Thema war so überaus heikel und sensibel,<br />
dass er selbst es nur ein einziges Mal anzuschneiden versucht hatte,<br />
nur um auf die vehementeste Gegenwehr zu stoßen, die er je bei<br />
einem Menschen erlebt hatte. Daher hatte er es – bis jetzt – vergessen<br />
und diese Dinge sich selbst überlassen, so wie Mara es auch tat.<br />
Doch nun...<br />
„Ich hätte sie nicht gehen lassen dürfen“, murmelte er mehr zu<br />
sich selbst und sobald er diese Worte ausgesprochen hatte, breitete<br />
sich eine Unruhe in ihm auf, die selbst mit Hilfe der Macht nur<br />
schwer zu besänftigen war. „Ich hätte ahnen müssen, dass so etwas<br />
mit ihr passieren würde. Wenn sie doch bloß mit mir darüber<br />
gesprochen hätte. Über alles.“<br />
„Manche Frauen lassen sich nicht so leicht bändigen“, sagte<br />
Sarzamin, „und Jade machte auf mich nicht den Eindruck auf mich,<br />
als ob irgendetwas die Naturgewalten in ihrem Innern zähmen<br />
könnte. Nicht einmal ein Jedi-Meister.“<br />
„Vielleicht“, brummte Luke. „Doch wenn sie wirklich einen<br />
Partner will, dann sollte sie endlich aufhören, solo zu fliegen.“<br />
„Sie ist eine erwachsene, vernunftbegabte Frau. Denken Sie nicht,<br />
dass sie für sich selbst entscheiden kann?“<br />
Luke hielt inne, unterdrückte ein Seufzen. „Eigentlich ja, Mara ist<br />
eine starke Frau. Aber diesmal ist sie an ihre Grenzen gelangt und<br />
hat ihre körperlichen und mentalen Kräfte über die Maßen<br />
strapaziert.“<br />
„Wie meinen Sie das?“<br />
„Sie ist nicht mehr sie selbst. Oriannas Erinnerungen haben sie<br />
verändert, wühlen sie im Innersten auf, bringen ihr mentales<br />
Gleichgewicht vollkommen durcheinander. Ihre Sinneseindrücke<br />
sind von Schmerz überschattet und rauben ihr den Fokus, den sie<br />
203
äuchte, um ihre Fähigkeiten voll zu entfalten. Ich fürchte, dass sie<br />
diesmal ohne Hilfe nicht gewinnen kann.“<br />
ADRENALIN BREITETE SICH MIT ÜBERLICHTGESCHWINDIGKEIT IN IHREM<br />
Körper aus und ließ ihr Blut durch ihre Adern pulsieren wie die<br />
Lavaflüsse von Mustafar. Sie wagte es kaum zu atmen, damit das<br />
Geräusch nicht die Laute um sie herum übertönte. Das Herz schien<br />
ihr mit einem Ruck in den Hals gesprungen zu sein und pochte<br />
heftig gegen ihren Kehlkopf.<br />
Ihre Muskeln waren bis zum Zerreißen gespannt, während sie in<br />
leicht geduckter Haltung zur noch immer offen stehenden Tür der<br />
Wohneinheit hinüber schlich und sich unmittelbar neben dem<br />
Türrahmen mit dem Rücken gegen die staubige Wand drückte. Sie<br />
lauschte angestrengt in die Stille hinein, eine Hand bereits fest auf<br />
dem Griff des Lichtschwerts an ihrem Gürtel.<br />
Wieder hörte sie ein Scharren, als wenn jemand über Kies oder<br />
Glas ginge und dann unwirsch etwas mit dem Fuß beiseite schob.<br />
Der Moder und der Dreck kratzte über den Durastahl.<br />
Mit Hilfe der Macht versuchte sie das wilde Pochen ihres Herzes<br />
zu beruhigen und ihre Sinneswahrnehmung zu schärfen, doch es<br />
gelang ihr nicht ganz, den notwendigen Fokus zu finden. Ihr Puls<br />
flaute zwar langsam ab, doch sie spürte noch immer das Adrenalin<br />
wie eine Droge durch ihren Körper rauschen. Jede Faser ihres Seins<br />
war in höchster Alarmbereitschaft. Doch die Macht verklärte sich zu<br />
einem verschwommenen Nebel, der ihre Wahrnehmung umgab.<br />
Die ächzenden Schritte wurden lauter, zeichneten sich jedoch<br />
auch durch eine Leichtfüßigkeit aus, die Mara nur einer Person auf<br />
diesem Planeten zutrauen würde, außer sich selbst.<br />
„Machen Sie es sich doch gemütlich, Montross“; sprach sie mit<br />
fester Stimme in die Stille hinein, „und fühlen Sie sich wie daheim.<br />
Schließlich waren Sie ja schon mal hier.“<br />
„Zu gütig“, gab May zurück, „aber warum empfängt mich die<br />
Hausherrin nicht persönlich? Das ist ganz schön unhöflich.“<br />
„Ich erwidere nur die Höflichkeit, die Sie mir vorhin in dem Café<br />
erwiesen haben. Das werden Sie mir wohl kaum verübeln können.“<br />
204
„Ach ja“, säuselte Montross und Mara konnte förmlich sehen,<br />
wie die andere Frau ein aalglattes Lächeln aufsetzte, „das Prinzip<br />
der ausgleichenden Gerechtigkeit. Ich sehe, jetzt wir auf einem<br />
Level, Jade.“<br />
Mara hörte, wie Montross sich im Flur seufzend gegen eben jene<br />
Wand lehnte, auf deren anderer Seite sie selbst sich befand. Von<br />
außen betrachtet, musste die Szenerie den klischeehaften Anklang<br />
eines HoloVids haben: Die beiden Kontrahentinnen, deren Kampf<br />
kurz bevor stand und die nur durch eine einzige Durastahlwand<br />
voneinander getrennt waren. Blieb nur noch die Frage, wer von<br />
beiden den ersten Schritt machen würde.<br />
„Sagen wir, ich sehe die Dinge jetzt klarer“, sagte Mara. „Dafür<br />
haben Sie ja Sorge getragen.“<br />
„Also hat Orianna endlich ihr jämmerliches Leben bis zum<br />
bitteren Ende offenbart?“ fragte May. „Bedanken Sie sich nicht bei<br />
mir für diese segenvolle Erleuchtung. Auch Eliashar Selva und vor<br />
allem Sie selbst haben dazu beigetragen, dass die Geschichte diesen<br />
Lauf genommen hat. Sie hätten nach den Ereignissen auf Belderone<br />
genauso gut zurück nach Ord Mantell oder sonst wo hin fliegen<br />
können, wo sich Talon Karrde und sein Gesindel üblicherweise<br />
herumtreiben. Sie hätten einfach umkehren und die Sache vergessen<br />
können. Niemand hat Sie gezwungen meiner Spur zu folgen. Außer<br />
Sie selbst natürlich.“<br />
Mara knirschte mit den Zähnen. „Ich glaube kaum, dass Sie mich<br />
so einfach hätten gehen lassen, nicht wahr, Montross?“<br />
„Diese Frage habe ich mir gar nicht gestellt“, gab die andere Frau<br />
zurück. „Ich habe Sie studiert, Jade, lange bevor Sie kamen, um mich<br />
im Namen des Imperiums zu verhaften. Ihre Gewohnheiten waren<br />
leicht zu durchschauen, wenn man gewillt war auf Palpatines<br />
pompösen Empfängen einmal genauer hinzusehen. Gouverneure<br />
und einfältige Muftis konnte Sie vielleicht davon überzeugen, dass<br />
Sie eine Mätresse des Imperators waren, doch mich nicht. Mein<br />
Interesse an Ihnen ging weit über das vernünftige Maß hinaus, will<br />
ich meinen, und doch hat es mir bislang nur zum Vorteil gereicht.<br />
Ich konnte Ihre scheinbar angeborene Neugierde und Ihren<br />
Übereifer, der Sie immer weiter antreibt, nach meinem Belieben<br />
205
manipulieren. Sie würden mir folgen, egal wie abstrus meine<br />
Hinweise auch sein mögen, dessen war ich mir sicher.“<br />
„Ich fühle mich geschmeichelt“, brachte Mara in sarkastischem<br />
Ton hervor. „Womit hatte ich nur all die Aufmerksamkeit verdient?“<br />
Sie hörte, wie May verächtlich schnaubte. „Sie sind Ilyas<br />
Tochter.“<br />
„Und womit hatte er Ihr Augenmerk auf sich gelenkt? Waren Sie<br />
sein Schützling, den er in den Imperial Intel hinein geschleust hat,<br />
damit Rajasta Djae ja nicht vergas, dass er ihm noch einen Gefallen<br />
schuldig war?“<br />
„Weit gefehlt“, erwiderte Montross kalt und hielt dann inne.<br />
Traurigkeit und Bedauern verzerrten ihre Worte. „Woher nehmen<br />
Sie sich bloß die Dreistigkeit, ihn für so herzlos zu halten?“<br />
Plötzlich dämmerte es Mara.<br />
„Sie haben ihn auch geliebt, nicht wahr?“ Eine Spur von Mitleid<br />
mischte sich in ihre Stimme. May schwieg, was einer Zustimmung<br />
oder vielmehr einem Bekenntnis gleichkam.<br />
„Dann waren Sie ebenso töricht wie Orianna Matale. Sie hielt ihn<br />
auch für das Zentrum ihres Universums und Sie wissen ja, was es<br />
ihr genützt hat. Offenbar scheint Ilya Jade seinen Frauen kein Glück<br />
zu bringen.“<br />
Obwohl ihre Wahrnehmung in der Macht gedämpft war, so<br />
spürte sie doch die brennende Wut, die in May Montross aufstieg<br />
und an die Oberfläche ihres Bewusstseins kochte. Mara konnte<br />
kaum verstehen, wie sich eine Frau nach all den Jahren des Mühsals<br />
noch solche Illusionen machen konnte.<br />
„Ich war dabei, als er Sie das erste Mal sah“, fuhr May fort. „Er<br />
hatte nie genau gewusst, was mit Ihnen passiert war, nachdem man<br />
Sie an Palpatine übergeben hatte. Vermutlich hoffte er insgeheim,<br />
dass seine letzte Verbindung zu Orianna Matale nicht durchtrennt<br />
worden war, da er auch sonst alles wie einen Schatz hütete, das ihn<br />
an sein altes Leben erinnerte. Vielleicht hoffe er auch auf eine<br />
Chance zur Wiedergutmachung. Ilya sprach niemals über den Tag,<br />
an dem Sie praktisch von den Toten wieder auferstanden sind. Doch<br />
ich wusste genug über ihn und auch über seine erste Geliebte, um<br />
zu wissen, welchen Schaden Sie anrichten konnten.<br />
206
Ziemlich quicklebendig und munter stolzierten Sie eines Tages<br />
einfach so in das Büro des Imperial Intel, als gehörte Ihnen der<br />
ganze Laden. Sie kamen herein, fünf Kohorten von Palpatines besten<br />
Sturmtruppen im Schlepptau, um irgendeinen kleinen Wicht zu<br />
verhören, den wir im Shelsha-Sektor aufgegriffen hatten. Ihre<br />
Selbstsicherheit und ihr Stolz waren Übelkeit erregend.“<br />
„Ich habe aber noch nie von einem Agenten Jade beim Imperial<br />
Intel gehört“, sagte Mara langsam und wälzte in ihrem Gedächtnis.<br />
Kein Gesicht, an das sie sich noch erinnerte, wollte passen. „Was<br />
also hatte er mit dem Geheimdienst zu schaffen?“<br />
„Oh, er war kein Imperialer Agent“, informierte May sie. „Nein,<br />
Sie fortzugeben hat ihm weit mehr eingebracht als einen<br />
militärischen Dienstgrad. Er wurde zu einem anderen Mann mit<br />
einem anderen Namen.“<br />
„Wenigstens hatten Sie darin was gemein“, sagte Mara, die sich<br />
den bissigen Kommentar nicht hatte verkneifen können.<br />
Eine neue Weller der Wut und der Frustration ging über May<br />
hinweg. „Ihnen“, fuhr sie mit beherrschter Stimme fort, „ist er wohl<br />
besser als Fermor Fingal bekannt.“<br />
Mara fühlte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht strömte. Ja, diesen<br />
Namen kannte sie tatsächlich. Zur Zeit des Galaktischen<br />
Bürgerkriegs hatte es nur wenige gegeben, die ihn nicht kannten.<br />
„Der Besitzer der Corleil Corporation?“ hauchte Mara. „Das war<br />
also der Preis für mich?“<br />
„Jedi sind schon eine Menge wert, nicht?“ Schadenfreude verlieh<br />
Mays Stimme neue Kraft. „Djae verschaffte ihm die Aktienmehrheit<br />
über die Firma, und er lebte damit viele Jahre nicht schlecht. Er<br />
zählte zu den reichsten Männern des Inneren Randes und konnte es<br />
auch mit den Tycoons der Kernwelten aufnehmen. Allerdings durfte<br />
er nie wieder er selbst sein.<br />
Doch selbst wenn Sie gewusst hätten, wer er war und was Sie ihm<br />
bedeuteten, Sie hätten vermutlich nicht einmal einen Blick für ihn<br />
übrig gehabt. Er hingegen ließ sie nie wieder aus den Augen. Da<br />
wusste ich, dass Orianna noch immer Macht über ihn hatte... und<br />
dass er nie ganz mein sein würde, solange er sich an sie erinnerte.“<br />
„Das ist doch krank!“ spuckte Mara.<br />
207
„Ihretwegen ließ Djae ihn hinrichten. Ilya wollte Sie wieder<br />
haben, wollte seine kleine Tochter aus den Klauen des Imperiums<br />
entreißen und einen Teil seines alten Lebens zurück gewinnen. Was<br />
für ein törichter Gedanke und er war besessen davon!“ Mays eigener<br />
Zorn nahm ihr den Atem und sie presste die Worte mühsam hervor.<br />
„Djae brauchte nur eine Entschuldigung für Kommandantin Isard,<br />
um einen ihrer wichtigsten Geschäftsfreunde ermorden zulassen.“<br />
„Und den fand er in Ihnen“, vollendete Mara, „weil Sie nicht die<br />
Person waren, die Sie vorgaben zu sein.“<br />
„Oh, ich war genau die Person, die ich vorgab zu sein!“ Ein<br />
bedrohliches, mechanisches Klicken drang an Maras Ohr. Eine<br />
Vorahnung, wie ein eisiger Windhauch, aktivierte ihre Reflexe. „Ich<br />
war nur kein Mann.“<br />
In eben jenem Moment, da May Montross ihren Blaster zückte<br />
und herumwirbelte, drückte Mara sich von der Wand ab und warf<br />
sich Cailetet Matales altem Sessel entgegen. Sie sprang darüber<br />
hinweg und ging Schutz suchend in die Hocke. Tod bringende rote<br />
Laserstrahlen zuckten durch den Raum auf sie zu, schlugen in die<br />
Rückenlehne des Sessel ein und ließen Asche aus dem alten<br />
Polsterbezug bröckeln. Ozon stach ihr in die Nase.<br />
Mara tastete nach dem Lichtschwert. Es würde in dieser Situation<br />
wenig bringen, ihren Blaster aus dem Halfter an ihrem Unterarm zu<br />
ziehen. Beide Frauen waren mit viel zu guten Reflexen ausgestattet,<br />
um mit einem jämmerlichen Fernschuss erledigt zu werden. Es<br />
musste ihr gelingen, so nah wie möglich an ihre Gegnerin<br />
heranzukommen. Montross wäre zwar sicherlich nicht dumm<br />
genug, sich auf einen Nahkampf mit einem Lichtschwertträger<br />
einzulassen. Dennoch musste sich Mara auf den einen<br />
unschätzbaren Vorteil stützen, den sie hatte: Die Macht.<br />
Immer wieder perforierten Blasterschüsse den Sessel und die<br />
Überreste des Teppichs. Für die ehemalige Hand des Imperators<br />
war es nicht schwer, anhand der Streuung der Schüsse und deren<br />
Einschlagwinkel Mays genaue Position zu bestimmen. Montross<br />
stand immer noch im Türrahmen, hinter dem sie zur Sicherheit<br />
verschwinden konnte. Sie wartete nur darauf, Mara mit ihrer<br />
Schießerei endlich hinter dem Möbelstück hervor zu locken. Zum<br />
208
Glück war Montross nie in den Genuss gekommen, Mara während<br />
ihrer Missionen zu studieren, sonst hätte sie vielleicht geahnt, was<br />
nun auf sie zukam.<br />
Unbeirrt vom Jaulen des Blasters, konzentrierte sich Mara auf die<br />
zerstörte HoloCom-Einheit. Mit Hilfe der Macht rüttelte sie an<br />
einem scharfkantigen Stück Metall, das an einer Seite der Konsole<br />
herunter baumelte. Sie versuchte, ihre körperliche und mentale<br />
Erschöpfung beiseite zu schieben. Das kleine Stückchen Durastahl,<br />
das einmal Teil der Tastatur gewesen war, musste zum Zentrum<br />
ihres Universums werden.<br />
Maras Muskeln zitterten, als sich das Bruchstück endlich von der<br />
Konsole trennte. Doch sie gestattete sich keine Erleichterung,<br />
sondern lenkte den Fluss der Macht um, richtete all ihr Denken auf<br />
May, die jenseits des Sessels immer noch wie eine Besessene feuerte.<br />
Sie hatte vermutlich nur einen Versuch.<br />
Mit größtmöglicher Präzision steuerte sie das Bruchstück und<br />
malte vor ihrem geistigen Auge ein genaues Abbild der Flugbahn<br />
aus. Als sie sich ihres Ziels sicher war, schleuderte sie es quer durch<br />
den Raum, direkt auf Mays Kehle zu.<br />
Sie hörte, wie Stoff zerfetzte und May einen spitzen Schrei<br />
ausstieß. Das Blasterfeuer verstummte. Mit Schweiß auf der Stirn<br />
und an den Schläfen gestattete sich Mara einen Blick über die Lehne<br />
des Sessels hinweg, das Lichtschwert mit einer Hand fest<br />
umklammert.<br />
Fluchend griff May nach einem langen Riss in ihrer glänzenden<br />
Jacke knapp unterhalb ihres Schlüsselbeins. Der schwarze Stoff<br />
entlang des Risses nahm in Sekunden eine eher bräunliche Farbe an<br />
und dunkles, dickflüssiges Blut ergoss sich über Mays Hand, als sie<br />
Maras provisorisches Geschoss aus ihrem Fleisch zog.<br />
Mara lag ein Fluch auf den Lippen. Sie hatte sich nur um wenige<br />
Zenitmeter verschätzt. Wenige, jedoch entscheidende Zentimeter.<br />
Plötzlich war sie sich nicht mehr so sicher, ob sie May wirklich<br />
besiegen konnte.<br />
„Nicht schlecht, Jade“, keuchte diese zwischen zusammengebissenen<br />
Zähnen hervor. Ihr Gesicht hatte sich zu einer Grimasse der<br />
209
Abscheu verzerrt, während sie aufmerksam die Verletzung untersuchte.<br />
„Wirklich nicht schlecht.“<br />
Mara tauchte wieder in Deckung. Ihre Gedanken überschlugen<br />
sind. Es wäre das Klügste, sich auf das Raubtier zu werfen, solange<br />
es frisch verwundet war. Doch hatte nicht einst einer ihrer Trainer<br />
zu ihr gesagt, dass der Vorsk, der sein Ende nahen sah, stets der<br />
gefährlichste war?<br />
Ihre Hand umschloss das Heft des Lichtschwertes so fest, dass<br />
ihre Knöchel weiß hervortraten. Sie musste es versuchen.<br />
„Es gibt noch Nachschlag, wenn Sie wollen!“ rief Mara und<br />
hoffte, dass die Drohung nicht so leer war, wie sie klang.<br />
Mit einem Schrei sprang sie auf und wirbelte herum. Wie ein<br />
gleißender Blitz erwachte die Klinge des Schwerts zum Leben. Der<br />
Staub in der Luft verteilte das blaue Licht wie einen Schleier. Sie<br />
sprang behände über den Sessel hinweg, direkt auf die blasse<br />
Gestalt Mays zu. Diese riss ihren Blaster wieder in die Höhe, aber es<br />
war zu spät. Mit nur einen Hieb trennte Mara den Lauf der Waffe<br />
ab, so dass er qualmend zu Boden viel.<br />
Erschrocken warf May die nun nutzlosen Reste des Blasters von<br />
sich und machte einen Satz nach hinten. Ihre rechte Hand zuckte zu<br />
ihrem linken Ärmel hinüber. In dem Moment, da sie mit den Rücken<br />
gegen die vom Ruß geschwärzte Wand des Korridors prallte, zog sie<br />
ein Vibromesser hervor.<br />
Mara hielt inne, starrte erst die makellos polierte Klinge des<br />
Messers an, dann die entschlossene Miene ihrer Gegnerin. Das<br />
Lichtschwert hielt sie in einer niedrigen Standardkampfpose vor<br />
sich.<br />
„Wollen Sie mich etwa mit dem Zahnstocher da ernsthaft<br />
bedrohen?“ fragte Mara ungläubig. Und sie hatte Skywalker immer<br />
für naiv gehalten.<br />
„An Ihrer Stelle würde ich nicht so eine dicke Lippe riskieren,<br />
Jade“, versetzte May ätzend.<br />
Dann kam der Gegenangriff. Jedoch nicht von oben, wie Mara<br />
vermutet hatte. Zu spät sah sie Montross’ Bein hervorschießen. Der<br />
Tritt traf ihr Schienbein so heftig, dass es sie in die Knie zwang. Sie<br />
hatte ihren sicheren Stand aus lauter Arroganz geopfert.<br />
210
Der nächste Tritt traf die Wurzel von Maras Handgelenk und<br />
schickte einen stechenden Schmerz ihren Arm hinauf. Das<br />
Lichtschwert entglitt ihrem Griff und rollte davon. Die Klinge<br />
deaktivierte sich selbst und hinterließ nichts als schummrige<br />
Dunkelheit.<br />
Staub wurde aufgewirbelt, als Mara mit beiden Händen ihren<br />
Sturz abzufangen versuchte. Glücklicherweise entging sie damit<br />
einem Hieb, den May ihr mit dem Vibromesser versetzen wollte. In<br />
einer fließenden Bewegung drückte sie sich erneut vom Boden hoch<br />
und warf sich mit ausgestreckten Gliedern auf ihre Kontrahentin. Sie<br />
konnte Mays Blut riechen, das noch immer ungehindert aus dem<br />
Schnitt in ihrer Brust quoll.<br />
Sie prallten wieder gegen die Wand und tänzelten dann in einem<br />
bizarren Faustkampf den Korridor hinab. Einzig ihr keuchender,<br />
angestrengter Atem lag in der Luft.<br />
Es gelang Mara ihrer Feindin einige Schläge gegen Bauch und<br />
Brust zu versetzen, kassierte allerdings ebenfalls schmerzhafte<br />
Treffer. Ein Fausthieb traf sie in die Magengegend, ein anderer im<br />
Gesicht und riss ein Stück Haut von ihrer Unterlippe. Heißes Blut<br />
benetzte ihren Mund und rann über ihr Kinn hinab. Das<br />
Vibromesser streifte ihren Ärmel und schlitzte den Stoff ihrer Jacke<br />
auf. Ein Prickeln an ihrem Oberarm wies sie darauf hin, dass May<br />
sie auch dort getroffen hatte.<br />
Von Kopf bis Fuß mit Staub und Blut bedeckt gelang es May<br />
Mara erneut gegen die alten Durastahlpaneelen der Wand zu<br />
schmettern. Schmerz marterte von deren Schulterblättern abwärts<br />
durch ihr Rückgrat bis zum Steißbein und trieb ihr den Atem aus<br />
den Lungen. Diese eine Sekunde der Kampfunfähigkeit genügte<br />
May, um in diesem Kampf die Oberhand zu gewinnen. Mit einem<br />
tiefen Schlag schickte sie Mara zu Boden und warf sich dann mit all<br />
ihrem Körpergewicht auf sie.<br />
Mara hatte keine Zeit sich mit der einer Lähmung<br />
gleichkommenden Pein zu beschäftigen. Der Staub, der ihr plötzlich<br />
in die Atemwege geriet, ließ sie heftig husten. Dann spürte sie schon<br />
kühles Metall an ihrer Kehle, als May das Vibromesser gegen Maras<br />
211
Hals drückte. Finger versenkten sich in ihrem Schopf und krallten<br />
sich daran fest. Ihr war, als wollte man ihr den Schädel spalten.<br />
„Na los, kommen Sie schon, Montross“, brachte Mara hervor und<br />
rang mit ihrem Hustenanfall. „Das hier ist es doch was Sie wollten,<br />
oder? Jetzt bringen Sie’s endlich zuende.“<br />
Es folgte ein Ruck, der jeden Haarfollikel bis zum Zerreißen<br />
spannte. Unwillkürlich stellte Mara sich vor, wie May ihr die<br />
Kopfhaut vom Schädel trennte. Dem Stechen und Ziehen in ihrem<br />
Kopf nach zu urteilen konnte es nicht mehr lange dauern, bis May<br />
sie skalpierte.<br />
„Ich entscheide, wann Sie den Löffel abgeben“, zischte diese,<br />
„und noch ist nicht der geeignete Zeitpunkt dafür gekommen.“<br />
„Sie haben mein Leid wohl noch nicht zu genüge ausgekostet,<br />
was?“<br />
„Nicht einmal annähernd, Jade. Nicht einmal annähernd.“<br />
ER SCHALTETE DAS GETRIEBE DES SPEEDERBIKES AUF DIE HÖCHSTE STUFE<br />
und hörte, wie die Repulsoren widerspenstig aufjaulten. Auch der<br />
Motor ächzte sorgenerregend. Hoffentlich würde er noch lange<br />
genug durchhalten. Sarzamin hatte ihm das überholungsbedürftige<br />
Bike angeboten, denn selbst für einen Jedi-Meister war es eine lange<br />
Strecke bis zum Anwesen der Matales. „Wenn Sie es zu Schrott<br />
fahren, soll’s mir auch egal sein“, hatte sie gesagt. „Was will ich<br />
schon mit diesem alten Ding.“<br />
Lukes düstere Vorahnungen verdichteten sich mehr und mehr<br />
und nahmen langsam die Form einer schrecklichen Gewissheit an.<br />
Seine den Lehren der Jedi geschuldete Ruhe konnte er nur mit<br />
größter Anstrengung aufrecht erhalten.<br />
Also donnerte das Speederbike über die Steppe Dantooines<br />
hinweg. Der Wind schnitt ihm hart ins Gesicht und bauschte seine<br />
Jedi-Tunika auf, Luke nahm jedoch keine Notiz davon. Alles was<br />
zählte, war Mara zu helfen. Vielleicht konnte er dann noch das<br />
Schlimmste verhindern, obgleich er noch keine genaue Vorstellung<br />
davon hatte, was dies sein sollte. Er fühlte sich an seine eigene<br />
Machtlosigkeit im Kampf gegen den Geist Exar Kuns erinnert.<br />
212
Das Herz sank ihm in der Brust, als er das Speederbike um eine<br />
Biegung des Pfades steuerte und die Überreste des Energiefelds vor<br />
ihm auftauchte. Er brachte das Bike nahe dem Zaun zum Stehen,<br />
stieg ab und warf einen flüchtigen Blick auf die verwüstete<br />
Energiekupplung des Feldes, die jemand mutwillig mit einem<br />
Blaster zerschossen hatte.<br />
Mara war es jedenfalls nicht gewesen. Sie hatte den Landspeeder<br />
hier zurückgelassen und dann ihren Weg wohl zu Fuß fortgesetzt.<br />
Der Motor war inzwischen völlig erkaltet und hatte sie nichts<br />
Nennenswertes zurück gelassen.<br />
Luke ging neben dem Speeder in die Hocke und untersuchte ihn<br />
auf etwaige Sabotage, die nach Maras Verschwinden an dem<br />
Vehikel vorgenommen worden war. Doch weder so noch mit Hilfe<br />
der Macht ließ sich eine Gefahr ausmachen. Das Einzige, das ihm ins<br />
Auge fiel, als er aufstand, war eine diffuse Spur im Gras. Der<br />
Rückstoß eines Repulsors, wie sie beispielsweise in den alten,<br />
Imperialen Düsenschlitten verwendet wurden, hatte die Halme<br />
unter sich zu Boden gedrückt und eine schmale Schneise<br />
hinterlassen. Aber es war mehr als das. Mit seinen Jedi-Sinnen nahm<br />
er auch die Rückstände einer Präsenz wahr. Einer schrecklich<br />
vertrauten Präsenz...<br />
Hastig wirbelte er herum und sprang zurück auf das<br />
Speederbike. Stotternd kam das Getriebe wieder in Gang und mit<br />
einem Satz nahm das Bike wieder Fahrt auf.<br />
MARAS GEDANKEN ÜBERSCHLUGEN SICH IN SEKUNDENSCHNELLE.<br />
Fieberhaft spielte sie ihm Geiste alle möglichen Szenarien durch, alle<br />
möglichen Wendungen, die dieser Kampf nehmen konnte. Wenn sie<br />
jedoch nicht bald etwas unternahm, tendierten ihre Chancen auf<br />
einen Sieg gegen Null.<br />
Die Klinge des Vibromesser schnitt sauber durch die oberste<br />
Schicht ihrer Haut. Sie konnte spüren, wie ein schmales Rinnsal Blut<br />
langsam ihren Hals hinab lief und lautlos zu Boden tropfte. Mays<br />
heißer Atem strich unangenehm über ihre Wange.<br />
213
Sie leckte sich über die blutigen Lippen. Ihr war klar, sie musste<br />
ihre Gegnerin abschütteln. Es musste ihr gelingen, May abzuwerfen,<br />
zu entwaffnen und unschädlich zu machen. Aber wie?<br />
Immer hübsch der Reihe nach, schalt Mara sich. Ihre Hände<br />
zitterten, während sie sie mit gespreizten Fingern wenige Millimeter<br />
über dem Boden schweben ließ.<br />
„Was meinen Sie, womit sollte ich anfangen?“ fragte May, deren<br />
Stimme ebenso sadistisch klang wie sie sich aufführte. „Einen<br />
sauberen Schnitt durch die Luftröhre, und dann? Vielleicht sollte ich<br />
Ihnen die Daumen abschneiden und noch ein paar andere<br />
unwichtige Körperteile, während ich dabei zusehe, wie Sie langsam<br />
ersticken.“<br />
„Lassen Sie mich raten“, begann Mara mit rauher Stimme. Sie<br />
versuchte so gelassen wie möglich zu klingen, während sie sich zum<br />
Sprung bereitmachte. „Sie haben den Folter-Workshop auf Carida<br />
damals als Klassenbeste abgeschlossen, oder?“<br />
„Mit Auszeichnung“, fügte May hinzu.<br />
Mit dem Rest an Körperkraft, die Mara noch aufbieten konnte,<br />
stemmte sie sich plötzlich in die Höhe. Ehe May sich mit beiden<br />
Armen an ihr festklammern konnte, ließ sie eine Hand in die Höhe<br />
schnellen. Sie schob Mays Hand, welche das Messer hielt, von ihrem<br />
Hals fort. Mit dem Ellbogen hieb sie nach Mays Solarplexus und<br />
versetzte dem Knie ihrer Kontrahentin einen Tritt mit dem Absatz<br />
ihres Stiefels. Montross heulte auf und auch Mara war übel zumute,<br />
als Mays Kniescheibe mit einem Nacken heraussprang.<br />
May war sich auf den Rücken, die blutbespritzten Hände um ihr<br />
Kniegelenk geschlungen. Dies war Maras Gelegenheit und sie nutzte<br />
sie. Ihre Beine schienen weich wie Butter, doch sie hatte genug Zeit<br />
wieder auf die Füße zu kommen und sich mit einem kleinen Sprung<br />
in Sicherheit zu begeben. Ein weiteres, Übelkeit erregendes Knacken<br />
kam ihr zu Ohren, als May die Luxation ihrer Kniescheibe behob<br />
und der Knochen zurück an seine richtige Position schnappte. Bis<br />
May genügend Kraft gesammelte hatte, um sich vom Boden zu<br />
erheben, hielt Mara ihren eigenen Blaster bereits fest in einer Hand.<br />
Mit der anderen wischte sie das kribbelnde Rinnsal an ihrer Kehle<br />
fort.<br />
214
„Okay, jetzt herrscht wieder Chancengleichheit“, sagte sie und<br />
entsicherte die Waffe. May rührte sich nicht, sondern starrte Mara<br />
nur mit regungsloser Miene an.<br />
„Ganz so würde ich das nicht bezeichnen“, schallte plötzlich eine<br />
raue Männerstimme von der rechten Seite her. Das glucksendes<br />
Kichern eines anderen Mannes stimmte ein.<br />
Das Herz rutschte Mara in die linke Stiefelspitze. Sie hatte Mays<br />
Schergen Laz und Avarice ganz vergessen. Verflucht! Wie hatte ihr<br />
nur ein derartigen Fehler unterlaufen können?<br />
Ein selbstgefälliges und selbstsicheres Lächeln umspielte Mays<br />
Mundwinkel, während die beiden Piraten schlurfend näher kamen.<br />
Nur aus dem Augenwinkel erkannte Mara zwei imperiale<br />
Blastergewehre, entsichert und geladen. Vielleicht hatte sie es ja<br />
verdient wie ein reudiges Bantha abgeknallt zu werden, so dumm<br />
wie sie war. May stand geschmeidig wie eine Raubkatze auf und<br />
richtete erneut die Vibroklinge auf Mara.<br />
„Waffe fallen lassen“, bellte Avarice und hob das Gewehr<br />
schussbereit an seine Brust.<br />
Widerwillig ließ Mara ihren Blaster zu Boden fallen und nahm<br />
die Hände hoch. Selbst sie musste es einsehen, wenn eine Situation<br />
ausweglos war.<br />
„Ich sagte Waffe fallen lassen!“ wiederholte Avarice barsch. „Und<br />
zwar alle beide.“<br />
Es war eine Freude zu sehen, wie die Farbe plötzlich aus Mays<br />
Gesicht wich und ihre Selbstsicherheit durch eine Mischung aus<br />
Verblüffung und Verärgerung ersetzt wurde. „Wie bitte?“ blaffte sie.<br />
„Los, runter mit dem Messer!“ brüllte Avarice zurück. „Na,<br />
wird’s bald?“<br />
„Schluss mit dem Unsinn!“ keifte May. „Habt ihr zwei zuviel<br />
Gewürz durch die Nase gezogen und euch dabei das Gehirn<br />
verbrannt oder was?“<br />
Avarice lächelte grimmig. Seine Miene sah im Halbdunkel sogar<br />
für Mara bedrohlich aus. „Wir haben keinen Bock mehr uns von dir<br />
für dumm verkaufen zu lassen, May“, sagte er. „Such dir wen<br />
anderes, den du verarschen kannst.“<br />
215
Verblüffung wurde zu blankem Entsetzen. „Wie könnt ihr es<br />
wagen?“<br />
Avarice deutete mit seinem Kinn in Richtung Mara, woraufhin<br />
Laz sich in Bewegung setzte und sie mit seinem Gewehr ins Visier<br />
nahm. „Lass uns vorgehen, Missy“, sagte er mit einem öligen<br />
Grinsen und drückte die Mündung des Blastergewehrs gegen ihre<br />
Brust.<br />
Mara wollte gerade den Mund öffnen, um etwas zu erwidern, als<br />
wider Erwarten helles, grünes Licht hinter ihr mit einem vertrauten<br />
Summen aufflammte. Ihr Herz machte vor schlagartiger<br />
Erleichterung einen noch größeren Sprung.<br />
„Ich habe da eine bessere Idee“, sagte Skywalker mit hoch<br />
erhobenem Lichtschwert. In den Schein der glühenden Klinge<br />
getaucht sah er wie eine äußerst machtvolle Erscheinung aus. Mit<br />
langen, entschlossenen Schritten kam er zu Maras Linken den Gang<br />
herunter.<br />
„Oh, nee“, stöhnte Laz. „Nicht der schon wieder.“<br />
„Ey, Typ“, fügte Avarice hinzu, „langsam fängst du echt an, mich<br />
zu nerven. Gibt’s nichts anderes, in das du dich einmischen kannst?”<br />
„Ich fürchte nein“, erwiderte Skywalker ruhig. „Aber wir können<br />
diese Angelegenheit auch ohne einen Kampf beenden.“<br />
„Ach ja? Was willst du?“ fragte der Pirat unfreundlich.<br />
„Lassen Sie Mara frei“, erklärte Luke, „dann verschwinden wir<br />
und Sie können tun, wonach Ihnen der Sinn steht. Ich werde Sie<br />
nicht aufhalten.“<br />
Laz und Avarice tauschen einige verwirrte Blicke aus. Dann<br />
zuckte beide nacheinander mit den Schultern. „Von uns aus“,<br />
meinte Laz.<br />
„Nein!“ kreischte May dazwischen. „Noch hab ich das<br />
Kommando, ihr verfluchten Eidechsenaffen! Wenn ihr sie an den<br />
Jedi übergebt, bringe ich euch beide um.“<br />
„Ach, halt doch die Klappe!“ fluchte Avarice.<br />
„Schein so, als gäbe es zwei Interessenten für dich, Missy“, sagte<br />
Laz an Mara gewandt und presste die Mündung des Gewehrs so fest<br />
gegen ihre Rippen, dass es schmerzte. „Mal sehen, wer bereit ist<br />
mehr zu zahlen. Momentan hat der Jedi das höhere Gebot getätigt.“<br />
216
Unkontrollierter Zorn entstellte Mays Gesichtszüge. „Ihr kleinen,<br />
widerlichen...“<br />
„Tja, May, hättest du uns mal unseren Anteil von der Beute<br />
ausbezahlt, als dieser ganze Job losging“, meinte Avarice. „Und<br />
hättest du mal Enyth nicht einfach so umgeblastert.“<br />
„Oh, bitte!“ sagte May. „Ihr seid Piraten. Seit wann schert ihr<br />
euch denn darum, was mit anderen Piraten passiert? Ihr seid nichts<br />
weiter als ehrlose kleine Würmer, die nur auf ihren eigenen Vorteil<br />
bedacht sind.“<br />
„Richtig erkannt, Schätzchen. Und so wie ich das sehe“, fuhr<br />
Avarice fort, „ist Jade hier die einzige Beute, die uns noch geblieben<br />
ist.“<br />
„Ich bin niemandes Beute“, warf Mara ein. „Noch bin ich der<br />
Preis für irgendetwas.“<br />
„Natürlich nicht, Missy.“<br />
Sie spürte Skywalkers durchdringenden Blick auf sich ruhen, wie<br />
er ihre Emotionen behutsam zu ergründen versuchte.<br />
Es war May, die das Handgemenge begann. Wie eine Furie, die<br />
man entfesselt hatte, stürzte sie sich auf Laz und versuchte ihm das<br />
Gewehr zu entreißen. Skywalker als auch Avarice zuckten<br />
zusammen und gingen beinahe automatisch in eine Kampfhaltung<br />
über. Mara duckte sich und ballte die Hände zu Fäusten.<br />
Ein Schuss löste sich und Laz heulte auf, als ihn der rote<br />
Laserstrahl in den Oberschenkel traf. Das Gewehr entglitt seinem<br />
Griff und May bekam es endlich in die Finger. Avarice hob sein<br />
eigenes Gewehr an begann drauf los zuschießen. Die Querschläger<br />
wurden von Skywalkers Lichtschwert abgelenkt und brannten<br />
weitere schwarze Löcher in die Wand, richteten aber ansonsten<br />
keinen Schaden an. Mit dem Griff des Gewehrs versetzte May dem<br />
verwundeten Piraten einen Schlag gegen die Schulter. Laz ließ sich<br />
unvorteilhaft fallen und rammte Mara von der Seite. Sie taumelte.<br />
Auch der nächste Schlag verfehlte sein Ziel nicht. Weißes Licht<br />
schien vor Maras Augen zu explorieren, als May das Gewehr gegen<br />
ihre Schläfe stieß. Allumfassender Schmerz zermarterte ihr das Hirn.<br />
Das nächste, was sie spürte, war, wie sie mit Laz gemeinsam zu<br />
Boden ging. Übelkeit überkaml sie und die Ränder ihres Sichtfelds<br />
217
verschwammen, wurden langsam dunkler. Sie sah nur halb, wie<br />
Skywalker einen Satz auf sie zu machte und dabei Avarices<br />
Blasterfeuer zurückwarf. Dann schmeckte sie nur noch Galle in<br />
ihrem Mund und erbrach sich.<br />
Ein Schrei ließ sie ein letztes Mal aufblicken. Sie sah nur noch,<br />
wie May Montross‘ Gesichtszüge sich plötzlich entspannten und<br />
ihre Augen einen seltsam leeren Ausdruck annahmen, dann wurde<br />
sie von vollkommener Dunkelheit übermannt.<br />
ALLE GERÄUSCHE SCHIENEN SCHLAGARTIG ZUM ERLIEGEN ZU KOMMEN,<br />
als Avarices Schuss May direkt in den Rücken traf. Selbst der<br />
verwundete Laz, der vor Schmerzen gezetert hatte, verstummte.<br />
Dann fiel die ehemalige Agentin des Imperial Intel auf die Knie und<br />
ihr Körper sackte zur Seite weg. Luke spürte, wie ihre Lebensenergie<br />
in der Macht dahin schwand und schließlich vollends versiegte.<br />
Alles war so schnell gegangen, dass er für einen Augenblick lang<br />
vergessen hatte zu atmen.<br />
Avarice starrte Mays tote Gestalt mit einiger Zufriedenheit an,<br />
während Laz sich langsam wieder aufrappelte. Keuchend hielt er<br />
seinen Oberschenkel umklammert und humpelte auf seinen<br />
Kumpan zu.<br />
„Nehmen Sie Ihr Mädchen“, sagte Avarice nur und sicherte sein<br />
Gewehr. „Wir haben, was wir wollten.“ Damit drehte er sich um<br />
und die beiden Piraten marschierten in die Richtung davon, aus der<br />
er und Laz soeben gekommen waren.<br />
Luke hatte keine Zeit, sich über ihre Motive Gedanken zu<br />
machen. Er deaktivierte die pulsierende Klinge in seiner Hand und<br />
hackte das Lichtschwert zurück an seinen Gürtel. Mit nur zwei<br />
Schritten war er bei Mara.<br />
Ihre Stirn war heiß, glühte wie bei einem Fieber. Die Augenlider<br />
waren geschlossen, flatterten jedoch unruhig. Blut tropfte von ihrem<br />
Kinn und rann aus der frischen Platzwunde an ihrer Schläfe.<br />
Vorsichtig rollte er sie zu einer Seite und strich eine blutige Strähne<br />
beiseite, die an ihrer Wange klebte. Alles in allem schien sie nicht<br />
stark verletzt, doch sie war schwach und krank. Ihre Präsenz war<br />
218
nur noch ein dahinschwindendes Flimmern in der Macht. Er musste<br />
sich beeilen.<br />
„BEI ALLEN STERNEN!“ RIEF SARZAMIN AUS UND SCHLUG BEIDE HÄNDE<br />
über dem Mund zusammen, als sie Luke die Tür geöffnet hatte. Der<br />
Anblick von Maras über und über mit Blut und Dreck<br />
beschmutztem Gesicht trieb ihr die Farbe aus dem Gesicht. „Was ist<br />
passiert?“<br />
„Keine Zeit für Erklärungen“, erwiderte Luke kurz angebunden<br />
und drängte an ihr vorbei ins Haus. Beinahe im Laufschritt trug er<br />
Mara zu dem Zimmer, in dem sie in den vergangenen Nächten<br />
geschlafen hatte und legte sie auf das Bett. „Haben Sie ein Medset<br />
im Haus?“ fragte er an Sarzamin gewandt, während der Maras<br />
Verletzungen noch einmal untersuchte. „Wir müssen die Wunden<br />
reinigen.“<br />
Die Händlerin protestierte nicht, sondern verschwand in der<br />
Kücheneinheit, um dann wenige Augenblicke später mit einem<br />
kleinen weißen Kasten zurückzukehren. Gemeinsam desinfizierten<br />
sie die Platzwunde an Maras Schläfe und den Schnitt an ihrem<br />
rechten Oberarm. Die rote Flüssigkeit an ihrer Unterlippe war<br />
inzwischen geronnen.<br />
„Sie ist ganz bleich“, stellte Sarzamin fest und wusch den<br />
Schmutz mit einem feuchten Tuch von Maras Gesicht. „Wir sollten<br />
einen Arzt aus der Siedlung holen.“<br />
Luke schüttelte langsam den Kopf. „Es sind nicht die<br />
Verletzungen, die ihr schaffen machen.“<br />
„Sie meinen“, sagte Sarzamin gedehnt, „es hat was mit diesen<br />
Erinnerungen zu tun?“<br />
„Ich fürchte ja.“<br />
„Und was sollen wir jetzt tun?“<br />
Er wünschte, er wüsste die Antwort auf diese Frage. Was sollte er<br />
schon tun? Der Kampf gegen Montross, diese auslaugende<br />
Schnitzeljagd durch die halbe Galaxis und die ungewollten<br />
Erkenntnisse, die Mara hier auf Dantooine gewonnen hatte, all das<br />
hatte ihrem Geist großen Schaden zugefügt. Es hatte sie für immer<br />
219
verändert. Um den zugefügten Schaden zu reparieren hätte er die<br />
Zeit zurück drehen und all diese Geschehnisse verhindern müssen.<br />
Doch das konnte er nicht. Die Erinnerungen waren in sie<br />
eingebrannt.<br />
Plötzlich rastete ein neuer Gedanke ein. Ihre Erinnerungen…<br />
Vor langer Zeit hatte Palpatine die dunkle Seite benutzt, um<br />
Maras Erinnerung an ihre Kindheit und ihre Herkunft aus ihrem<br />
Gedächtnis zu tilgen. Seine Motive waren damals alles andere als<br />
edel gewesen. Damals hatte der Imperator die Macht benutzt, um<br />
Mara zu seiner loyalen Dienerin zu machen, die ihm allein ergeben<br />
war.<br />
Doch was wäre, wenn er die Macht benutzt, um die jüngsten<br />
Ereignisse in ihrem Gedächtnis zu verwischen? Wenn er Orianna<br />
und Ilya und all die anderen auslöschen würde, wie man mit einem<br />
Kauter eine Wunde ausbrannte? Die Vorstellung jagte ihm ein<br />
eisiges Frösteln den Rücken hinab.<br />
Aber er war nicht Palpatine. Er tat es nicht, um Mara zu<br />
manipulieren oder zu seiner Marionette zu machen. Er wollte bloß<br />
den Schmerz eindämmen, die Erinnerungen wieder in ihr<br />
verschließen, so wie früher. Wenn er es nicht tat, würde sie wohl<br />
möglich nie wieder zu der Stärke zurück finden, die sie sich in all<br />
den Jahren seit dem Fall des Imperiums so hart erkämpft hatte. Es<br />
war ihre einzige Chance.<br />
Vorsichtig ließ er sich auf der Bettkante nieder und berührte mit<br />
den Fingerspitzen seiner linken Hand Maras glühend heiße Stirn.<br />
Ein neuer Schauer ließ ihn frösteln.<br />
„Wenn irgendetwas schief geht“, informierte er Sarzamin, die ihn<br />
mit weit aufgerissenen Augen beobachtete, „rufen Sie einen Arzt.“<br />
Sie nickte nur stumm, und er schloss die Augen. Behutsam<br />
tastete er mit seinen Jedi-Sinnen nach Maras Bewusstsein. Die<br />
granitartigen Barrieren, die ihren Geist sonst so gut abschirmten,<br />
schienen zusammen gestürzt. Keinerlei Widerstand hielt ihn davon<br />
ab in sie einzudringen. Vor einem Monat noch hätte er sich über<br />
diesen Umstand gefreut, doch nun beunruhigte es ihn nur noch<br />
mehr. Also versengte er sich tiefer in die Überreste ihrer Präsenz,<br />
220
stieß immer weiter vor, bis sich seine eigene Bindung zur Realität<br />
vollkommen aufgelöst hatte.<br />
Sein Geist wanderte durch dichten weißen Nebel, der<br />
empfindlichen Grenze zwischen dem Bewusstsein und dem Unterbewusstsein.<br />
Ihre Gedanken waren formlos geworden und hallten<br />
nur noch als gedämpftes Echo durch den Äther. Eine seltsame<br />
Beklommenheit lastete ihm schwer auf der Brust und raubte ihm<br />
den Atem. Dennoch setzte er einen Fuß vor den anderen, wanderte<br />
als mentales Abbild seiner selbst durch den Nebel und ließ ihn sanft<br />
zwischen seinen Fingern hindurch gleiten.<br />
Dann – endlich! – klärte sich die Luft, hinterließ nichts als<br />
unbeflecktes Weiß und gab den Blick frei auf etwas, das unendlich<br />
und unergründlich war.<br />
Ein Schritt und dann noch einen. Trockenes ersticktes Schluchzen<br />
lag in der Luft. Es war ein Laut, der ihm sehr vertraut und<br />
gleichzeitig beängstigend fremd vorkam. Hastig blickte er umher,<br />
suchte im unendlichen Weiß um sich herum nach einem Hinweis.<br />
Schließlich entdeckte er die Quelle des Klagens: ein kleines<br />
Mädchen, das sich in weiter Ferne zusammen gekauerte und die<br />
Arme schützend um ihren kleinen Leib geschlungen hatte. Sie<br />
konnte nicht älter als seine Nichte und Neffen sein, vielleicht 5 oder<br />
6 Jahre alt.<br />
Er beschleunigte seine Schritte und lief schließlich so schnell er<br />
konnte auf das weinende Mädchen zu, um die Distanz zwischen<br />
ihnen zu überwinden. Doch obwohl sie seine Gegenwart sehr wohl<br />
spürte, wagte sie es nicht aufzusehen oder sich gar zu bewegen. Das<br />
würde nur noch mehr Schmerz verursachen.<br />
Voller Mitgefühl sank er neben ihr auf die Knie, doch er zögerte<br />
die Hand nach ihren bebenden Schultern auszustrecken oder ihr<br />
kupferfarbenes Haar beruhigend zurückzustreichen.<br />
Dies war der Kern ihrer Seele und der eine Teil von ihr, der dank<br />
Palpatine niemals den Weg an die Oberfläche ihres Bewusstseins<br />
gefunden hatte.<br />
„Mara…“, flüsterte er behutsam. Er wagte es nicht lauter zu<br />
sprechen. „Lass mich dir helfen.“<br />
221
Sie haben mich immer davor gewarnt, hörte er ihre Stimme wie die<br />
eines körperlosen Geistes durch den Äther hallen. Erinnerungen sind<br />
nur Leid und Schmerz, haben sie gesagt. Blicke niemals zurück in die<br />
Vergangenheit, haben sie gesagt. Aber ich hab nicht auf sie gehört…<br />
„Ja, manchmal ist das so“, antwortete Luke. „Aber nicht alle<br />
Erinnerungen sind böse. Wenn wir niemals gelitten hätten, woher<br />
sollten wir dann wissen, wann wir glücklich sind?“<br />
Kannst du machen, dass es aufhört?<br />
„Ich werde tun, was ich kann“, sagte Luke und seine Brust war<br />
wie zugeschnürt, „aber du musst mir den Weg zeigen, Mara. Den<br />
Weg zum Ursprung.“<br />
Stille senkte sich auf sie wie ein Leichentuch. Nur ihr gequältes<br />
Schluchzen hing in der Luft und rührte an sein Herz.<br />
„Mara!“ sagte er noch einmal, lauter diesmal. Und diesmal<br />
blickte das kleine hilflose Kind mit zitternden Lippen zu ihm auf,<br />
während es seine Tränen zurückdrängte.<br />
„Hier“, sagte sie und reichte ihm eine Hand.<br />
Eine überwältigende Energie trieb ihm den Atem aus den<br />
Lungen. Die weißte Leere wurde überflutet mit Bildern, Stimmen<br />
und Empfindungen, die zu lange verschlossen gewesen waren und<br />
brachen über ihm zusammen wie ein Sturzbach. Das Wissen lastete<br />
als bleierne Schwere auf ihm und drückte ihn zu Boden.<br />
„Warte!“<br />
Oriannas Erinnerungen regneten auf ihn herab, entfalteten sich<br />
vor seinen Augen zu voller Blüte, mit all dem Glück und dem Leid,<br />
das sie enthielten.<br />
„Warte!“<br />
Er schloss die Augen und suchte nach einem Fokus. Er musste<br />
den Mahlstrom ordnen und kanalisieren. Er musste eine Ordnung<br />
aus dem Chaos schaffen, um es von Mara fortzulenken. Sie hatte<br />
keine Kraft mehr dazu es selbst zu tun.<br />
Genau da! Er hatte ihn!<br />
Er fand sich selbst wieder, wie er den Strom begradigte und in<br />
eine stetige Bahn lenkte. Dann folgte er dem Fluss aus Bildern bis zu<br />
ihrer Quelle, dem Ort in Maras Geist, dem sie entsprangen. Sie<br />
222
leistete keinen Widerstand, als er die Quelle wie einen Stausee<br />
zurückdrängte und in ihre Schranken wies.<br />
Nach Atem ringend kämpfte er sich zurück in die Wirklichkeit,<br />
bevor er die Verbindung mit Maras Geist nicht mehr lösen konnte<br />
und sie wohl beide wohlmöglich für immer in einer Trance gefangen<br />
blieben. Sarzamins Haus erschien ihm plötzlich grell und laut und er<br />
blinzelte gegen die Sinneseindrücke an. Schweiß stand ihm auf der<br />
Stirn, sammelte sich an seinen Schläfen, rann seinen Nacken hinab.<br />
„Was haben Sie gemacht?“ fragte Sarzamin erschrocken. Sie<br />
stand noch immer am fernen Ende des Bettes und beobachtete den<br />
Jedi-Meister mit großer Furcht.<br />
Es dauerte einige Atemzüge lang, ehe Luke ihr zu antworten<br />
vermochte. „Ich habe die Erinnerungen an Orianna isoliert und tief<br />
in ihrem Inneren verborgen. Sie werden dort verschlossen und<br />
verschüttet sein, bis Mara die Stärke und vor allem den Willen<br />
erworben hat, sie wieder zu entdecken.“<br />
„Aber...“, begann Sarzamin, als wagte sie nicht, ihm diese Frage<br />
zu stellen. „Woran wird sie sich dann erinnern?"<br />
„An eine Rivalin, die Himmel und Hölle in Bewegung versetzen<br />
wollte, um an ihr Rache zu üben. Dafür, dass sie auf Palpatines<br />
Befehl hin den Mörder ihres Liebsten aus dem Weg geräumt hat“,<br />
erklärte Luke und strich sich den Schweiß von der Stirn. Nun hatte<br />
er eine Ahnung davon, wie müde Mara sich durch Oriannas<br />
Erinnerungen gefühlt haben musste. „An mehr braucht sie sich nicht<br />
zu erinnern.“<br />
„Ich hoffe, Sie wissen, was Sie tun.“<br />
Das hoffte er auch. Er hatte gesehen, wie viel Schaden Maras<br />
Geist bereits genommen hatte. Nicht nur wegen May Montross und<br />
all der Dinge, die sie ihr gezeigt hatte. Als er in ihren Geist<br />
eingedrungen war, hatte er auch die entbehrungsreichen Jahre nach<br />
Palpatines Sturz gesehen. Sie hatte einen Überlebenskampf geführt,<br />
ehe Karrde sie gefunden hatte, und sie war siegreich daraus hervor<br />
gegangen.<br />
Nein, Mara brauchte das Wissen um ihre Herkunft nicht, um die<br />
zu sein, die sie war, dessen war er sich sicher. Niemand würde je<br />
erfahren, wer sie hätte sein können, und das war vermutlich besser<br />
223
so. Sie hatte selbst einen Weg gefunden, ein Leben, das sie selbst<br />
gestaltet hatte und das sie ausfüllte. Sie war zu einer besonderen<br />
Persönlichkeit geworden, auch ohne das Wissen über Ilya und<br />
Orianna. Es hatte keinen Sinn in einer Welt des Was wäre, wenn zu<br />
verweilen. Dies war eine der Lektionen, die sie ihn gelehrt hatte.<br />
Trotzdem würde die Zeit allein zeigen, ob er das Richtige getan<br />
hatte.<br />
Mit einem Seufzen ließ Luke der plötzlichen Erschöpfung ihren<br />
Lauf und sank neben dem Bett zu Boden. Voller Mitgefühl sah er,<br />
wie Flüssigkeit unter ihren geschlossenen Lidern hervor perlte und<br />
die silbernen Tränen der Erlösung ihre Wangen benetzten.<br />
ES DAUERTE ZWEI VOLLE TAGE, EHE MARA ZUM ERSTEN MAL AUFwachte.<br />
Es kostete sie einiges an Kraft ihre schweren Lider zu öffnen<br />
und sich blinzelnd im taghellen Zimmer umzusehen. Nach und nach<br />
kehrte das Gefühl in ihren Gliedern und in ihrem Kopf zurück. Sie<br />
fühlte sich, als hätte sie wie eine Tote geschlafen. Ihr ganzer Körper<br />
schien und geheuer Schwer, drückte sie in die Kissen und machte es<br />
ihr unmöglich sich zu bewegen. Und dennoch fühlte sie sich von<br />
einer ungeheuren Last befreit, auch wenn ihr nicht einfallen wollte,<br />
um welche Last es sich dabei handeln mochte. Schon bald glitt sie in<br />
einen Dämmerzustand zwischen Erwachen und Schlafen. Sie hörte<br />
entfernt, wie hin und wieder jemand ins Zimmer kam, um nach ihr<br />
zu sehen.<br />
Als sie das nächste Mal die Augen aufschlug, hatten sich die<br />
Lichtverhältnisse im Zimmer verändert. Das grelle Licht der<br />
Mittagssonne war einem sanften Abendrot gewichen, das ihr nicht<br />
so sehr in die Augen stach. Vorsichtig stützte sie sich auf die<br />
Ellbogen und drückte sich in eine sitzende Position hoch.<br />
Es dauerte nicht lange und Skywalker erschien ihm Raum. Er<br />
brachte eine Flasche Wasser und ein Glas und trug eine Miene der<br />
Erleichterung zur Schau, als er diese auf den Nachttisch neben<br />
Maras Bett abstellte.<br />
„Wie fühlen Sie sich?“ fragte er sanft und füllte das Glas mit dem<br />
Wasser. „Besser?“<br />
224
Sie nahm das Getränk und nickte vorsichtig. Ihr Nacken war vom<br />
Liegen ein wenig steif. Vorsichtig führte sie das Glas an die Lippen<br />
und ließ einige Tropfen Wasser in ihren ausgetrockneten Mund<br />
rinnen. „Ich habe bestimmt schon mal besser ausgesehen“, kommentierte<br />
sie, „aber ich werde schon wieder.“<br />
„May muss Sie ziemlich erwischt haben“, meinte Skywalker und<br />
deutete auf die Schwellung über ihrer Braue. Unwillkürlich hob sie<br />
eine Hand zu ihrem Gesicht und befühlte die Platzwunde.<br />
Ja, richtig. Das war die Stelle, an der May sie mit dem Griff des<br />
Blastergewehrs getroffen hatte. Plötzlich kam ihr das ganze groteske<br />
Szenario wieder in den Sinn.<br />
„Was ist passiert?“ fragte sie und sah Skywalker durchdringend<br />
an. „Ich erinnere mich nur noch, wie es mich erwischt hat und dass<br />
dieser Avarice wie ein Schwachsinniger um sich gefeuert hat.“ Und<br />
da war noch der seltsam leere Ausdruck auf May Montross’ Gesicht,<br />
kurz bevor Mara die Besinnung verloren hatte. „Ist sie tot?“<br />
„Ja“, bestätigte Skywalker. „Einer der Blasterstrahlen traf sie in<br />
den Rücken.“<br />
Was für ein jämmerliches Ende für eine Frau mit solch ambitionierten<br />
Plänen, dachte Mara. Andererseits würde sie die andere Agentin<br />
sicherlich nicht vermissen. Sie hatte Mara lediglich in einen Haufen<br />
unnötiger Probleme verwickelt, die sich letzten Endes in einer<br />
Rauchwolke aufgelöst hatten. Sie freute sich nicht gerade auf den<br />
Moment, da sie Karrde erzählen musste, dass er keine neuen<br />
Verteidigungsanlagen bekommen würde und seine beste<br />
Mitarbeiterin ihre Zeit mit einer sinnlosen Banthajagd vergeudet<br />
hatte.<br />
„Sie sollten sich noch etwas ausruhen“, schlug Skywalker vor.<br />
„Sie sind immer noch ein wenig blass um die Nase.“<br />
„Kein Wunder!“ rief Mara. „Immerhin liege ich seit Stunden,<br />
wenn nicht sogar seit Tagen in diesem Bett und bekomme die Sonne<br />
nicht zu Gesicht. Es wird Zeit, dass ich aufstehe und mich nützlich<br />
machte.“<br />
Skywalker lächelte mild. „Dann machen Sie aber halblang.<br />
Frische Kleidung liegt dort drüben auf der Anrichte. Ich werde dann<br />
in der Zwischenzeit alles für unsere Abreise vorbereiten. Sarzamin<br />
225
wird es sich aber wahrscheinlich nicht nehmen lassen, Ihnen noch<br />
eine vernünftige Mahlzeit zu servieren, ehe wir aufbrechen.“<br />
Sarzamin Saia. Mara musste daran denken, sich bei der älteren<br />
Frau in aller Form und Demut zu bedanken.<br />
„Ja, danke“, sagte sie und schlug die Bettdecke beiseite. Kühle<br />
Luft strich über ihre nackten Beine. Behutsam stellte sie einen Fuß<br />
nach dem anderen auf den Boden und bewegte alle Zehen, um<br />
sicher zu sein, dass sie noch alle vorhanden und funktionstüchtig<br />
waren. „Ich werde duschen und mich anziehen. Ich fühle mich, als<br />
hätte man mich mit Öl übergossen.“<br />
„Sie sind der Boss“, sagte Skywalker. „Sagen Sie einfach<br />
Bescheid, wenn Sie soweit sind und wir brechen auf. Ich werde<br />
Sarzamin bitten uns in die Siedlung zu fahren, da ich den<br />
Landspeeder gestern zurückgebracht habe. Aber es dürfte nicht<br />
allzu lange dauern, die Formalitäten am Raumhafen abzuwickeln<br />
und aus diesem System zu verschwinden.“<br />
„Klingt gut“, stimmte sie zu und rang sich zu einem Lächeln<br />
durch. „So schön es hier auch sein mag, langsam habe ich genug von<br />
diesem Planeten.“<br />
SKYWALKER BEHIELT MIT SEINER VERMUTUNG NICHT GANZ UNRECHT.<br />
Die Unruhe wegen des von May angezettelten Vorfalls am Vortag<br />
hatte sich zwar noch nicht gänzlich gelegt – kleinere Gruppen von<br />
Technikern huschten geschäftig umher und überprüften alle<br />
möglichen Sicherheitslücken im System – doch es gab niemand<br />
behinderte sie auf ihrem Weg zum Büro des Hafenverwalters.<br />
Sarzamin wartete geduldig vor der Tür und hüllte sich in<br />
Schweigen. Seit Maras Erwachen am späten Nachmittag hatte sie<br />
kaum ein Wort gesprochen, sondern lediglich vieldeutige Blicke mit<br />
Skywalker gewechselt. Was auch immer in der älteren Frau<br />
vorgehen mochte, sie wollte es für sich behalten, und Mara war dies<br />
nur Recht.<br />
„Miss Jade! Master Skywalker!“ wurden sie voller Überschwang<br />
begrüßt. „Ich hoffe, Sie sind nicht hier um Anzeige gegen uns zu<br />
erstatten?“<br />
226
Mara warf Luke einen fragenden Blick zu. „Wie kommen Sie<br />
darauf?“ fragte sie.<br />
„Nun, wegen der Unannehmlichkeit, die Sie gestern erdulden<br />
mussten“, sagte der Verwalter mit Entschuldigung heischender<br />
Miene. „Ich bedauere dies zutiefst.“<br />
Mara winkte ab. „Machen Sie sich darüber keine Gedanken. Wir<br />
sind nur hier, um eine <strong>Star</strong>terlaubnis einzuholen.“<br />
„Selbstverständlich.“ Er beugte sich über eine der Konsolen und<br />
bediente einige Tasten. „Wissen Sie, gestern ist das Schiff<br />
verschwunden, dessen Transpondercodes verändert worden sind.<br />
Wie vom Erdboden verschluckt! Ich kann nur hoffen, dass dieser<br />
Fall bald aufgeklärt wird. Ich schwöre Ihnen, in den achtundzwanzig<br />
Jahren, die ich hier schon tätig bin, ist mir ein derartigen<br />
Vorfall noch nie untergekommen.“<br />
„Ich bin mir sicher, das wird er“, versicherte Mara dem Mann.<br />
„Da würde ich mir nicht allzu viele Gedanken machen.“<br />
Wenige Minuten später verließen sie das Büro mit den besten<br />
Wünschen und weiteren Entschuldigen des Hafenverwalters, sowie<br />
einer gültigen <strong>Star</strong>terlaubnis. Schweigend begleiteten Sarzamin und<br />
Mara Skywalker zu der Landebucht, in der sein X-Flügler<br />
untergebracht war. Seine R2-Einheit wurde soeben von zwei<br />
Technikern des Raumhafens auf den Sockel hinter der Pilotenkanzel<br />
gehoben.<br />
„Das war’s dann wohl“, sagte Skywalker langsam und drehte<br />
sich zu den beiden Frauen um. Er reichte der Händlerin eine Hand<br />
und schüttelte sie beherzt. „Ich danke Ihnen nochmals für die<br />
Gastfreundschaft.“<br />
„Keine Ursache“, erwiderte Sarzamin. „Jetzt habe ich wenigstens<br />
etwas zu erzählen. Man trifft ja nicht alle Tage einen Jedi-Meister.“<br />
Luke lächelte verschmitzt. „Mir fällt immer wieder auf, wie<br />
ähnlich sich Dantooine und Tatooine doch sind“, stelle er fest.<br />
„Nicht nur des Namens wegen.“<br />
„Passen Sie auf sich auf“, sagte Sarzamin.<br />
„In Ordnung“, nickte Skywalker und warf Mara einen Blick zu.<br />
„Wir sehen uns im Orbit, nehme ich an?“<br />
„Ja, ich werde mich gleich auch auf den Weg machen.“<br />
227
Der Jedi nickte noch einmal, wandte sie dann um und ging in<br />
Richtung seines X-Flüglers fort. R2 begann aufgeregt zu trillern, als<br />
er seinen Herren entdeckte.<br />
„Kommen Sie“, sagte Sarzamin. „Ich begleite Sie auch noch zu<br />
Ihrem Schiff.“<br />
„Nicht nötig“, antwortete Mara. „Sie haben in der vergangenen<br />
Woche schon genug gute Taten für ein ganzes Leben vollbracht –<br />
wofür auch ich Ihnen meine Dankbarkeit aussprechen möchte.“<br />
„Wie schon gesagt, es war nichts“, gab Sarzamin zurück und<br />
machte eine wegwerfende Geste. „Wenn Sie mich fragen, so sollte<br />
man seine Mitmenschen immer so behandeln, wie man selbst von<br />
ihnen behandelt werden möchte.“<br />
„Ein ziemlich noble Einstellung“, meinte Mara mit einem<br />
sardonischen Lächeln. „Ich fürchte, solche Ideale sind inzwischen<br />
aus der Mode gekommen.“<br />
Sarzamin tätschelte Maras Schulter. „Ich hatte noch nie viel für<br />
Mode übrig. Das ist was für die Reichen und Schönen von<br />
Coruscant, nicht für eine kleine Händlerin von Dantooine.“<br />
„Wo Sie gerade von Handel sprechen“, begann Mara und griff<br />
nach einer Tasche an ihrem Gürtel. Sie zog ein kleines Stück<br />
Flimsiplast hervor und reichte es an die ältere Frau weiter. „Dies<br />
hier wollte ich Ihnen noch geben.“<br />
Die Händlerin nahm das Stück Flimsi mit zusammen gezogenen<br />
Augenbrauen an sich und warf einen Blick darauf. „Was ist das?“<br />
„Nur ein paar Adressen, die Sie Ihrem Kundenstamm<br />
hinzufügen sollten“, erklärte Mara. „Diese Herrschaften haben einen<br />
ziemlich extravaganten Geschmack und werden Ihre Dienste<br />
sicherlich ausreichend zu würdigen wissen. Nennen Sie einfach<br />
meinen Namen, wenn Sie anrufen.“<br />
„Herzlichen Dank“, sagte Sarzamin und verstaute das Flimsi in<br />
der Brusttasche ihres einfachen Overalls. „Aber das wäre nicht nötig<br />
gewesen.“<br />
„Ich glaube doch“, entgegnete Mara und nickte in Richtung<br />
Ausgang. „Wollen wir? Die Maschinen er Jade’s Fire brauchen ein<br />
wenig länger zum Hochfahren als Skywalkers kleiner Sternenjäger<br />
und ich will ihn ja nicht im Orbit versauern lassen.“<br />
228
Sarzamin lachte. „Wo Jedi doch einen bekanntermaßen so kurzen<br />
Geduldsfaden haben“, sagte sie ironisch und sie setzen sich in<br />
Bewegung..<br />
„Sie wissen doch was ich meine.“<br />
„Ja, natürlich“, meinte die Händlerin. „Geben Sie gut auf<br />
Skywalker Acht. Er hat ziemlich viel für Sie übrig.“<br />
„Das will jetzt überhört haben!“ rief Mara.<br />
Den Rest der Strecke bis zur Andockbucht der Jade’s Fire legten<br />
sie wieder schweigend zurück. Mit vor der Brust verschränkten<br />
Armen schaute Sarzamin dabei zu, wie Mara noch einmal das Schiff<br />
von außen untersuchte und sich vergewisserte, dass sich seit ihrem<br />
letzten Besuch am Vortag niemand daran zu schaffen gemacht hatte.<br />
„Scheint soweit alles in Ordnung zu sein“, sagte sie, als sie ihre<br />
Inspektion beendet hatte und sich die Rampe des Schiffs langsam<br />
senkte, um sie einzulassen.<br />
„Passen Sie auf sich auf, Jade“, sagte Sarzamin.<br />
„Keine Sorge, das werde ich.“<br />
Mit einem Lächeln wandte Mara sich ab und marschierte die<br />
Rampe hinauf. Gebannt beobachtete Sarzamin, wie die Repulsoren<br />
der Jade’s Fire zum Leben erwachten, die Rampe sich schloss und das<br />
Schiff sanft wie eine Feder vom Boden der Andockbucht abhob. Es<br />
gewann gleichmäßig an Höhe, stieg immer weiter und verschmolz<br />
schließlich mit dem violett schimmernden Abendhimmel über<br />
Dantooine.<br />
„Es ist alles in Ordnung, Orianna“, flüsterte Sarzamin in die Stille<br />
der hereinbrechenden Nacht. „Deinem Mädchen geht es gut.“<br />
ALLEIN IN DER COCKPITKANZEL SEINES X-FLÜGEL-JÄGERS ERSCHIEN<br />
Luke die unendliche Schwärze des Weltalls plötzlich trist und leer.<br />
Es war schon seltsam, wie schnell man sich an die pastellfarbene<br />
Schönheit Dantooines gewöhnen konnte. Und auch an die<br />
Gegenwart einer anderen Person. Auf die ein oder andere Weise<br />
würde er Maras Gesellschaft bestimmt vermissen.<br />
Nun, er war ja nicht ganz allein. R2 war ja noch immer da, um<br />
die Einsamkeit des Fluges zur Jedi-Akademie zu vertreiben.<br />
229
Wie auf Kommando gab er Droide ein Trillern von sich und die<br />
Übersetzung flimmerte in roten Buchstaben über das Display.<br />
„Leg das Gespräch auf den Hauptkanal“, befahl er ihm. „Das ist<br />
nur Mara.“<br />
Knisternd öffnete sich der Komkanal und Maras Stimme drang<br />
durch aus dem mikroskopischen Lautsprecher in seinem Helm. „So,<br />
da bin ich“, sagte sie in beiläufigem Ton. „Wollte nur schnell Auf<br />
Wiedersehen sagen.“<br />
„Das dachte ich mir schon“, erwiderte er. „Vermutlich ist Ihr<br />
Holo-Postfach bereits mit wütenden Nachrichten von Karrde<br />
überschwemmt, wo Sie abgeblieben sind.“<br />
„Ja, so in etwa“, stimmte sie zu. „Aber wollen Sie mal etwas<br />
Interessantes hören?“<br />
„Nur zu.“<br />
„Nach der letzten Übertragung hat Faughn noch einmal etwas<br />
tiefer in die Trickkiste gegriffen und versucht, weitere Informationen<br />
über May Montross zu beschaffen“, informierte sie ihn. „Und raten<br />
Sie mal, was sie dabei entdeckt hat?“<br />
„Eine Auflistungen ihrer Aktivitäten, ehe sie die Pirate of the<br />
Perlemian unter ihre Kontrolle brachte?“ riet Luke.<br />
„So was in der Art, aber Sie waren schon nah dran“, sagte Mara.<br />
„Halten Sie sich fest, das wird ihnen gefallen. Sie hat mehrere<br />
Arztrechnungen und Pharmarezepte gefunden. Einige sind schon<br />
etwas älter und reichen bis zur Schlacht von Yavin zurück. Andere<br />
sind erst vor wenigen Wochen eingelöst worden, eine davon sogar<br />
auf Belderone. Sieht so aus, als wäre Montross medikamentenabhängig<br />
gewesen.“<br />
Luke runzelte unwillkürlich die Stirn. „Das ist in der Tat mal was<br />
Neues.“<br />
„Das können Sie laut sagen. Hier mal ein kleiner Abriss ihrer<br />
Hausapotheke: Vicodin, Trilozitin, Lenilium… Das ganze Sortiment<br />
der Corleil Corporation.“<br />
„Das sind alles ziemlich starke Psychopharmaka“, stellte Luke<br />
fest.<br />
230
„Ganz genau“, erwiderte Mara. „Sie litt wohl schon eine ganze<br />
Weile unter Depressionen. Kein Wunder, dass sie irgendwann den<br />
Verstand verloren hat.“<br />
„Die wird sie jetzt wohl kaum noch brauchen“, schloss er.<br />
„Ja, den Sternen sei dank.“<br />
„Es tut mir leid, dass ich Ihnen während dieser Unternehmung<br />
nicht gerade eine große Hilfe war“, gestand Luke. „Ich hätte schon<br />
viel eher eingreifen sollen.“<br />
„Ach, halten Sie die Klappe!“ schalt Mara ihn. „Wären Sie nicht<br />
gewesen, hätte Montross mich vermutlich kalt gemacht. Und Sie<br />
haben dafür gesorgt, dass sich Mays Schläger verzogen haben ohne<br />
weitere Schwierigkeiten zu machen. Dafür schulde ich Ihnen wohl<br />
jetzt etwas. Aber anscheinend stehen Sie ja darauf, dass Ihnen<br />
ständig etwas leid tun muss.“<br />
Ein knappes Lächeln huschte über Lukes Gesicht. „Kann sein.<br />
Aber wenn Sie mir jetzt einen Gefallen schuldig sind, würde ich ihn<br />
auch gerne sofort einlösen.“<br />
„Aha“, machte Mara. „Und was für ein Gefallen soll das sein?“<br />
„Mir wäre es ganz recht, wenn wir endlich einmal zum du<br />
übergehen könnten“, sagte er.<br />
Einen Augenblick lang blieb der Komkanal stumm.<br />
„Wenn das dein Wunsch ist“, erwiderte sie schließlich, „dann<br />
kann ich ihn dir wohl kaum abschlagen.“<br />
„Ich danke dir.“<br />
„Und wohin fliegst du jetzt?“<br />
„Nach Yavin. Zurück zu meinen Pflichten, zurück zu meinen<br />
Schülern und zurück zu einer verlassenen Schlafkammer.“ Er<br />
unterdrückte ein trauriges Lachen. „Ich werde bald sicherlich<br />
wieder genug Zeit für eingehende Meditationen und Schwertkampfübungen<br />
haben.“<br />
Selbst durch den Kopfhörer konnte er hören, wie sie sich ein<br />
entnervtes Aufstöhnen verkniff. „Ich kann es nicht oft genug sagen,<br />
Luke: trag die Erinnerung an Callista nicht mit dir herum wie ein<br />
Seelenstigma“, sagte Mara. „Andere Mütter haben auch schöne<br />
Töchter.“<br />
231
Luke lächelte wehmütig. Interessant, dass sie gerade diese Redewendung<br />
benutzte. „Ich werde bei Gelegenheit daran denken“,<br />
erwiderte er sanft.<br />
Für eine Weile blieb der Komkanal stumm. „Nichts zu danken“,<br />
erwiderte sie schließlich. Ihre Stimme klang nun anders – weicher,<br />
beinahe zärtlich. „Schließlich sind wir doch so etwas wie Freunde,<br />
nicht wahr? Auch wenn dies wohl die seltsamste und verrückteste<br />
Freundschaft ist, von der ich je gehört habe. Die Ex-Imperiale und<br />
ihr Rebellenfreund.“ Über den Lautsprecher ließ sich ein vages<br />
Kichern vernehmen.<br />
Luke spürte eine sanfte Wärme in seinem Inneren aufsteigen. Es<br />
tat gut wieder ihre Sticheleien zu hören. Das bedeutete, dass es ihr<br />
gut ging und dass sie sich in ihrer Haut wohlfühlte. Sie war nicht<br />
länger der blasse, dem Fieberwahn erlegene Schatten ihrer selbst.<br />
Und er würde lügen, würde er behaupten, dass er nicht erleichtert<br />
war. Es tat gut, die alte Mara Jade wieder zu haben.<br />
„Wirst du mich auf Yavin 4 besuchen?“ fragte er.<br />
„Dich oder die Jedi-Akademie?“ erwiderte sie scharfsinnig.<br />
„Beides, um ehrlich zu sein.“<br />
Er konnte ihr Lächeln in der Macht spüren. „Wer weiß solche<br />
Dinge schon, Skywalker? Wenn es der Wille der Macht ist, wird<br />
mich mein Weg vielleicht des Öfteren mal ins Yavin-System führen.<br />
Und nun sieh zu, dass du zurück zu deinen eifrigen Schülern<br />
kommst. Es liegt noch eine Menge Arbeit vor dir. Und vor mir<br />
auch.“<br />
Nachdem sie ihr Gespräch beendet und sich von einander<br />
verabschiedet hatten, beobachtete Mara, wie Skywalkers X-Flügler<br />
Geschwindigkeit aufnahm und schließlich mit einem kurzen<br />
Aufblitzen in den Hyperraum sprang. Sie ließ den Navcomputer der<br />
Jade’s Fire durch die Astrogationskarten wälzen und die kürzeste<br />
Route in Richtung Coruscant berechnen. Eine Hand um den<br />
Steuerknüppel gelenkt, gab sie Schub auf die Backbordtriebwerke<br />
und brachte das Schiff weiter von Dantooine weg, weiter auf den<br />
Tiefraum zu. Dann wandte sie sich erneut den Nachrichten in ihrem<br />
232
Holo-Postfach zu, die immer noch auf einem Display der<br />
Hauptkonsole angezeigt wurden.<br />
Neben den Informationen von Faughn fanden sich noch einige<br />
andere Nachrichten in dem Postfach. Einige davon waren nichts<br />
weiter als Zwischenberichte einiger Einheiten der<br />
Schmugglerallianz, die irgendwo im Inneren und Mittleren Rand<br />
unterwegs waren. Andere kamen aus Karrdes Büro und zeigen eine<br />
höhere Prioritätskennung an.<br />
Sie wusste, sie sollte sich eine gute Erklärung für Karrde<br />
überlegen, warum sie so lange verschollen gewesen war. Immerhin<br />
hatte sie sich seit ihrem Aufbruch von Ord Mantell nicht mehr bei<br />
ihm gemeldet und das war nun schon fast einen vollen Monat her.<br />
War denn wirklich soviel Zeit vergangen, seit Calrissian sie als Gast<br />
auf die Daybreak eingeladen hatte?<br />
Mit einem Piepen beendete der Navcomputer seine<br />
Berechnungen. Mit nur einem Tastendruck speiste sie die<br />
Information in den Hauptrechner ein und steuerte das Schiff auf den<br />
berechneten Sprungpunkt zu. Der Hyperantrieb erwachte mit einem<br />
schwachen Jaulen zum Leben und die Sterne um sie herum<br />
verschwammen zu Linien und wurden schließlich zu der<br />
strahlenden surrealen Welt des Hyperraums. Mit einem zufriedenen<br />
Seufzen lehnte sie sich im Pilotensessel zurück, verschränkte die<br />
Arme hinter ihrem Kopf und betrachtete das abstrakte Farbenspiel<br />
jenseits des Cockpitfensters.<br />
Karrde würde noch ein paar Stunden warten müssen. Sie würde<br />
erst einmal aus diesem Sektor springen und sich danach um neue<br />
Vorräte und eine Ladung Treibstoff kümmern. Bis dahin würde sie<br />
sich in der Messe ein wenig körperlich ertüchtigen.<br />
Sie absolvierte gerade eine Reihe komplexer Dehnübungen, als<br />
der Bordcomputer ein Gespräch über den Hyperwellensender<br />
meldete. Eilig trocknete sie den Schweiß auf ihrer Stirn mit einem<br />
Handtuch und nahm den Anruf dann in ihrem Quartier entgegen.<br />
„Na, endlich“, begrüßte sie die vertraute Stimme Lando<br />
Calrissians. „Ich habe mich schon gefragt, wo Sie wieder stecken.“<br />
„Ich freue mich auch von Ihnen zu hören“, erwiderte Mara<br />
sarkastisch. Gut, dass es sich bei dem Gespräch lediglich um eine<br />
233
Audio-Übertragung handelte, sonst hätte ihr schelmisches Grinsen<br />
sie wohl verraten. „Was kann ich für Sie tun?“<br />
„In erster Linie wollte ich nur nachfragen, ob Sie und Luke bei<br />
ihrer Suche inzwischen Erfolg gehabt haben“, begann Lando. „Man<br />
hat eine ganze Weile nichts mehr von Ihnen gehört.“<br />
„Lassen Sie mich raten“, sagte Mara, „Karrde hat Sie angerufen<br />
und sich über meinen Verbleib erkundigt, nicht wahr?“<br />
„Erkundigen würde ich das nicht nennen“, meinte er. „Aufregen<br />
wäre wohl der bessere Ausdruck dafür. Also hat er mich beauftragt,<br />
weiter nach Ihnen zu forschen und Ihnen ihren nächsten, äh,<br />
Auftrag zu übermitteln. Sie sollen sich aber trotzdem so bald wie<br />
möglich bei ihm melden.“<br />
„Auftrag?“ hakte Mara nach.<br />
„Erinnern Sie sich an die Fernbedienung, die Luke während der<br />
Thrawn-Krise auf Dagobah gefunden hat?“<br />
„Ja, wieso?“<br />
„Es hat neue Entwicklungen in dieser Sache gegeben“, erwiderte<br />
er. „Möglicherweise lässt sich herausfinden, woher die<br />
Fernbedienung stammte und wofür sie bestimmt war. Und die Spur<br />
ist noch heiß, man sollte also keine Zeit verlieren und die<br />
Verfolgung aufnehmen.“<br />
„Interessant“, murmelte Mara. „Und woher hat Karrde diese<br />
Infomation?“<br />
„Von einem meiner Geschäftspartner auf Kalarba“, erklärte<br />
Calrissian. „Das ist auch der Grund, warum er mich ebenfalls in<br />
diese Mission einbeziehen möchte.“<br />
„Und ich dachte schon, Karrde wollte sie als mein neues<br />
Kindermädchen abkommandieren“, versetzte sie. „Kalarba sagten<br />
Sie?“<br />
„Ja, genau.“<br />
„Wann könnten Sie im Doldur-Sektor sein?“<br />
„Wenn ich hier alles stehen und liegen lasse, in drei<br />
Standardtagen“, erwiderte Calrissian. „Was ist mit Karrde? Sollten<br />
Sie sich nicht zuerst einmal bei ihm melden?“<br />
234
„Er hat die ganze Zeit lang gewartet, da kann er sich noch ein<br />
paar Tage länger gedulden. Außerdem weiß er, dass ich am besten<br />
funktioniere, wenn ich dort draußen bin und mich nützlich mache.“<br />
„Verstehe.“ Calrissian war offensichtlich zwischen seinem<br />
geschäftlichen und persönlichen Interesse hin und her gerissen.<br />
„Nun, ich bin immer für ein Abenteuer zu haben, das wissen Sie.“<br />
„Dann schlage ich vor, Sie machen die Lady Luck startbereit und<br />
machen sich auf den Weg in den Doldur-Sektor. Ich werde meine<br />
Vorräte auf Bandomeer auffüllen und komme dann umgehen nach.“<br />
Calrissian schwieg einen Augenblick lang. „In Ordnung“, sagte<br />
er langsam. „Ich werde mich dann bei Ihnen melden und Ihnen<br />
meine genauen Koordinaten geben, damit wir auf dem Planeten<br />
nicht an einander vorbei rennen.“<br />
„Gute Idee“, antwortete sie. „Wir sehen uns dann in ein paar<br />
Tagen, Calrissian.“<br />
„Sehr gerne. Ich freue mich schon darauf.“<br />
Mit einem leisen Knistern riss die Verbindung ab und die<br />
Komkonsole verstummte. Sie lehnte sich in ihrem Sessel zurück,<br />
legte eine Hand in ihren Nacken und drehte den Kopf um etwaigen<br />
Verspannungen vorzubeugen.<br />
Damit ist die Dantooine-Episode wohl endgültig abgeschlossen, dachte<br />
sie. Nun war Schluss mit der sinnlosen Zeitverschwendung.<br />
Sie erhob sich und kehrte ins Cockpit zurück, um den<br />
Navcomputer die neue Route berechnen zu lassen.<br />
235
9: TREASURED MEMORIES<br />
E p i l o g<br />
8 Jahre später…<br />
SIE KAMEN. AM HORIZONT KONNTE SIE BEREITS DIE ZÜNGELNDEN<br />
Flammen sehen, die der Trupp nach sich zog, während er alles nieder<br />
brannte, das einmal für sie von Bedeutung gewesen war.<br />
Jemand schrie um sein Leben, flehte vergeblich um Gnade. Getrieben<br />
von unendlicher Angst lief sie los. Das Senffarbene Gras und die blutrote<br />
Erde glitten unter ihr hinweg.<br />
„Ich komme!“ schrie sie aus vollem Halse, aber kein Laut kam über ihre<br />
Lippen. Ihre Stimme versagt ihr den Dienst.<br />
„Ich komme!“ versuchte sie es erneut, doch wieder geschah nichts<br />
Die Flammen kamen immer näher, hatten sie schon fast erreicht. Sie<br />
konnte bereits die Hitze des Feuers auf ihrer Haut spüren.<br />
Wieder hörte sie jemanden schreien. Es war die Stimme einer Frau.<br />
„Nein! Nein, nicht sie!“ kreischte die Frau verzweifelt. „Ihr dürft sie<br />
mir nicht wegnehmen! NEIN!“<br />
Lauf, Mara.<br />
„NEIN! BITTE NICHT!“<br />
Lauf, Mara!<br />
Sie konnte nicht laufen. Die Kraft verließ sie, wurde von dem<br />
vernichtenden Feuer aufgesogen, das über die einst so fruchtbaren<br />
Ländereien wütete. Ihre Knie wurden weich und sie stolperte.<br />
Ihre Beine gaben nach. Sie landete mit dem Gesicht im Gras. An der<br />
Wange spürte sie versteinerte Blütenblätter.<br />
236
Das Feuer kam immer näher. Sie waren unaufhaltsam.<br />
Lauf weg, Mara!<br />
„Ich kann nicht!“ würgte sie hervor. Tränen sammelten sich in ihren<br />
Augen und rannen unaufhaltsam über ihre Wangen. „Ich kann nicht<br />
mehr.“<br />
Unbeschreiblicher Schmerz stach von ihren Füßen an ihren Körper<br />
hinauf, als die Flammen über sie hinweg gingen. Ein irres Lachen mischte<br />
sich mit dem Knistern des Feuers.<br />
„Habt ihr mein Leid noch nicht zu genüge ausgekostet?“ presste sie<br />
mühsam hervor, aber es war kaum laut als ein zaghaftes Flüstern.<br />
„Nicht einmal annähernd, Jade. Nicht einmal annähernd…“<br />
MIT EINEM ERSTICKTEN SCHREI AUF DEN LIPPEN UND VON KALTEM<br />
Schweiß überströmt, kämpfte Mara Jade Skywalker sich zurück ins<br />
Bewusstsein. Anfangs spürte sie nur fiebrige Hitze, die ihren Körper<br />
erfasst hatte. Erst nach und nach schärften sich die matten Konturen<br />
im fahlen Licht der coruscantischen Nacht.<br />
Erleichterung ließ einen Großteil ihres Entsetzens augenblicklich<br />
von ihr abfallen. Mit einem leisen Seufzen sank sie zurück in ihr<br />
Kissen und starrte zur Decke hinauf. Die Macht half ihr dabei, isch<br />
zu beruhigen und das Chaos in ihrem Kopf vollends zu vertreiben.<br />
Es war nur ein Traum gewesen. Sie war daheim. Sie lag in ihrem<br />
Bett und war sicher. Der verheerende Brand war nur Einbildung<br />
gewesen, nichts weiter.<br />
Mit einem Blick zur Seite vergewisserte sie sich, dass Luke nicht<br />
aufgewacht war. Völlig ungerührt lag er neben ihr und schlief, das<br />
Gesicht vollkommen entspannt. Eine Weile beobachtete sie, wie sich<br />
sein Brustkorb langsam hob und senkte, und lauschte dem Geräusch<br />
seines friedlichen, ruhigen Atmens.<br />
Was für ein Traum, dachte sie.<br />
Offensichtlich war die Nacht für sie nun zu Ende, denn es wollte<br />
ihr einfach nicht gelingen, erneut einzuschlafen. Selbstverständlich<br />
hätte sie sich durch die Macht in eine Trance zwingen können, so<br />
wie Luke es immer machte, doch sie war in solchen Dingen<br />
237
sicherlich pragmatischer veranlagt als ihr Mann. Also schlug sie die<br />
Bettdecke beiseite und stand auf.<br />
In der Erfrischungszelle beugte sie sich über das Waschbecken<br />
und wusch den Schweiß mit kaltem Wasser von ihrem Gesicht. Sie<br />
nahm sich die Zeit, ihre Erscheinung genau im Spiegel zu<br />
betrachten. Zum ersten Mal fielen ihr die kleine Fältchen, die sich<br />
langsam um ihre Augen und die Mundwinkel herum bildeten,<br />
wirklich auf.<br />
Warum hatte sie gerade heute von Dantooine geträumt? Seit<br />
vielen Jahren hatte sie nicht daran gedacht. Sie hatte niemals wieder<br />
darauf zurück geblickt oder einen Gedanken an die Frau<br />
verschwendet, die damals das Leben zur Hölle machen wollte.<br />
Warum also kehrte die Erinnerung an May Lynn Montross<br />
ausgerechnet in dieser Nacht zurück? Lag es an ihrer Erschöpfung?<br />
Immerhin war dies der erste Abend seit langer Zeit gewesen, den sie<br />
und Luke allein verbracht hatten, ohne irgendwelche Würdenträger<br />
oder Bittsteller, die sie ihm einen Gefallen ersuchten. Noch waren sie<br />
durch ein Problem an der Akademie behelligt worden.<br />
Mit diesem Gedanken schlenderte sie in die Wohneinheit des<br />
Apartments, welches sie und Luke für ihre eher unregelmäßigen<br />
Aufenthalte auf Coruscant gemietet hatten. Auf dem Couchtisch<br />
standen noch zwei halbvolle Gläser Wein, die sie vor dem<br />
Schlafengehen getrunken hatten.<br />
Sie trat an das großzügige Panoramafenster, welches einen<br />
atemberaubenden Blick auf Coruscants Skyline darbot, und<br />
verschränkte die Arme vor der Brust. Endlose Straßenzüge von<br />
Frachtern und Lufttaxen zogen daran vorbei. Und mit einem<br />
wehmütigen Seufzen betrachtete sie die Milliarden Lichter, die die<br />
Nacht erhellten. Sie hörte nur halb, wie Luke sich mit leise<br />
tapsenden Schritten näherte.<br />
„Was ist los?“ fragte er leise in die Stille hinein, als er ins Zimmer<br />
kam. „Ist irgendwas passiert?“<br />
„Es war nichts“, gab Mara zurück ohne den Blick von der<br />
bizarren Schönheit Coruscants abzuwenden. „Nur ein böser<br />
Traum.“<br />
238
Mit nur wenigen Schritten war Luke bei ihr, trat hinter sie und<br />
legte vorsichtig die Hände auf ihre Schultern. „Möchtest du darüber<br />
reden?“ fragte er, während er ihrem Blick mit seinem folgte.<br />
„Ich weiß nicht“, sagte Mara. „Der Traum war ziemlich…<br />
merkwürdig. So voller Schmerz. Ich weiß auch nicht…“<br />
Luke schlang seine Arme fest um ihre Schultern und zog sie<br />
näher an sich. Sie konnte spüren, wie er sein Gesicht in ihrem Haar<br />
versenkte und tief einatmete. Ihr war, als wollte er sie mit seinem<br />
ganzen Sein umfangen und Mara empfand Trost und Erleichterung<br />
in seiner Gegenwart.<br />
„Weißt du noch, was damals auf Dantooine war, Skywalker?“<br />
fragte sie ihn. „Als May Montross es auf mich abgesehen hatte?“<br />
Luke hielt einen Moment inne. „Ja, ich erinnere mich“, sagte er<br />
angespannt. „Hast du etwa von ihr geträumt.“<br />
Mara nickte langsam. „Es ist seltsam. Für gewöhnlich habe ich<br />
ein ausgezeichnetes Gedächtnis, aber in Bezug auf die Zeit auf<br />
Dantooine tun sich vor mir einige Lücken auf. Wie schwarze Löcher,<br />
die alles aufgesogen haben“, sagte sie nachdenklich.<br />
Mara fühlte, wie er ihre Haare küsste und sie sanft an sich<br />
drückte.<br />
„Wenn ich als Jedi eines gelernt habe“, sagte er, „dann, dass man<br />
Träumen nicht immer eine Bedeutung beimessen sollte. Nur wenige<br />
bergen Einsichten oder Wahrheiten in sich. Meist sind es nur kleine<br />
Regungen in der Macht selbst, die einen in eine bestimmte Richtung<br />
zu schubsen versuchen.“<br />
„So wie deine Vision von mir auf Nirauan?“ fragte sie.<br />
„Ja, so in etwa.“<br />
„Aber was sagt mir, dass dieser Traum nichts weiter als ein<br />
Hirngespinst war?“ fuhr Mara fort. „Was ist, wenn da noch mehr ist.<br />
Etwas wichtig. Etwas, das ich tief vergraben liegt und das ich<br />
vergessen habe?“<br />
Luke versuchte zu lächeln, sagte jedoch nichts. Sie wusste<br />
ohnehin, wie er über diese Sache dachte.<br />
„Ach, weißt du was?“ rief seine Frau da und schüttelte energisch<br />
den Kopf. Sie wandte sich in seinen Armen herum und sah ihn offen<br />
239
an. „Ich will es gar nicht wissen. Soll die Vergangenheit doch zum<br />
Teufel gehen.“<br />
Ihr Ehemann blinzelte verblüfft. „Wenn das dein Wunsch ist...“,<br />
erwiderte er vorsichtig, „werde ich nicht versuchen, dich vom<br />
Gegenteil zu überzeugen.“<br />
Mara grinste. „Ah, sieh an, der Meister ist noch lernfähig“, sagte<br />
sie in neckischem Ton und stubste mit ihrem Zeigefinger an seine<br />
Nasenspitze. „Du weißt endlich, was gut für dich ist, Skywalker.“<br />
„Ich hatte eine gute Lehrerin“, gab er milde lächelnd zurück.<br />
Sie legte die Arme um seine Schultern und erwiderte sein<br />
Lächeln. Dann hob sie ihr Gesicht dem seinen entgegen und schloss<br />
die Augen.<br />
Luke akzeptierte die Einladung und küsste sie zärtlich. Fest<br />
umschlungen standen sie da und ließen einander die Zeit vergessen.<br />
Für einen wertvollen Moment lang gab es in diesem Universum nur<br />
sie beide.<br />
Dies waren die Momente, die sie in Erinnerung behalten wollte.<br />
Und wenn sie ihm tief in die Augen sah, wusste sie, dass er Dinge in<br />
den Tiefen ihres Herzens gesehen hatte, von denen sie nicht einmal<br />
selbst Kenntnis hatte. Doch durch die Liebe und all die anderen<br />
kleinen Dinge, die er sie gelehrt hatte, hatte sie erkannt, dass es<br />
keinen Grund gab, die Vergangenheit zu fürchten. Es gab nichts,<br />
weswegen sie sich schämen oder schuldig fühlen musste. Sie war,<br />
wer sie war und die Vergangenheit würde keine Macht mehr über<br />
sie haben.<br />
Nie wieder.<br />
~ ENDE ~<br />
240
~ NACHWORT ~<br />
A FEW WORDS FROM THE AUTHOR<br />
Endlich ist es vollbracht! »What Lies Beneath« hat noch vier endlos<br />
langen Jahren ein Ende gefunden. Erstaunlich, wie sehr sich doch<br />
die Geschichte verselbstständigt und ein eigenes Leben entwickelt<br />
hat. Umso erstaunlicher, dass ich es doch noch zu einem Ende<br />
gebracht habe! Nach der ganzen Arbeit am Plot und dem vielen<br />
Schreiben erscheint es mir noch ein bisschen surreal, am Ziel<br />
angekommen zu sein. Als ich 2004 die ersten Worte für die<br />
Geschichte schrieb – damals noch unter dem Titel »Jade Sabacc«, in<br />
Anlehnung an eine Kurzgeschichte von Maras Schöpfer Timothy<br />
Zahn – hatte ich wirklich nicht geahnt, was einmal für ein Monstrum<br />
aus »What Lies Beneath« werden würde. Und bis zum Schluss hatte<br />
ich nicht wirklich eine Ahnung davon, was genau ich da eigentlich<br />
tue.<br />
Aber ich hatte meinen Spaß und ich liebe die Geschichte, bis hin<br />
zu allerletzten Zeile. Meine Arbeit wird wohl nie ganz beendet sein,<br />
da ich bereits jetzt die erste verbesserungswürdige Passagen in den<br />
Kapiteln 1 bis 4 ausmachen kann, doch alles in allem empfinde ich in<br />
diesem Augenblick nichts weiter als reine Freude.<br />
Gegen Ende der Schreibarbeit kam ich langsam zu dem<br />
Eindruck, dass die ganze Story vielleicht nicht mehr mitreißend und<br />
gut war, wie ich mir das selber ausgemalt hatte. Oriannas Charakter<br />
schien sich mehr und mehr zu verselbstständigen und damit auch<br />
ihre Sidestory. Mir war von Anfang an klar, sie würde nicht zum<br />
Sympathieträger in dieser Geschichte werden, und doch übte sie<br />
eine ungeheure Faszination auf mich aus. Das soll nicht heißen, dass<br />
ich sie als Figur mochte, aber vielleicht war es gerade das, was mich<br />
so ungeheuer fesselte. Ich wollte aus ihr keinen durch und durch<br />
liebenswürdigen Charakter machen, möglicherweise damit Mara<br />
noch besser und positiver zu Geltung kommt. Andererseits auch,<br />
um mich von einfältigen Stereotypen zu entfernen, ich weiß es nicht<br />
mehr. Letzten Endes war ich jedenfalls glücklich, als ich sie<br />
241
umbringen durfte. Das hat mir eine tiefe, innere Befriedigung<br />
verschafft.<br />
Ilya hingegen sah ich als Mischung aus Dorian Gray, J.R. Ewing<br />
und Sweeney Todd (womit May in etwa die Rolle der Mrs. Lovett<br />
zufallen dürfte), leider kam das nicht wirklich zum tragen, wo doch<br />
er und Mara die Dreh- und Angelpunke für das gesamte<br />
Handlungsgefüge sind. Das mag wohl daran liegen, dass ich ihn<br />
stets aus Oriannas oder Mays Sicht charakterisierte, ihn aber niemals<br />
für sich selbst sprechen ließ. Und auch jetzt bin ich mir noch uneinig<br />
darüber, ob ich dies nachträglich tun sollte. Immerhin ist auch May,<br />
genau wie Ilya, für mich eine weit tragischere Figur als Orianna, was<br />
sie um ein vielfaches interessanter macht. Die Skizzierungen und<br />
Notizen zu »A Murder and its Afterlife« (Ein Mord und seine<br />
Folgen) liegen zurzeit sicher verstaut, während ich mit mir selbst<br />
noch im Widerstreit bin, ob ich diese Geschichte ebenfalls erzählen<br />
sollte.<br />
Was Mara angeht, so wird sie auf jeden Fall zur Protagonistin<br />
einer weiteren Story mit dem Titel »Schattenspiele«. Dort gibt es<br />
keinen Luke Skywalker, keine May Montross (?) und ganz<br />
besonders keine Orianna Matale. Nein, mit dieser Geschichte<br />
möchte ich zurück zu dem, was sich in den ersten vier Kapiteln von<br />
»What Lies Beneath« abgezeichnet hat: Etwas mehr Action, etwas<br />
weniger Drama. Stilistische Vorlage und Auslöser für diese<br />
Entscheidung ist der EU-Roman »Treueschwur« von Timothy Zahn.<br />
Demnach ist die neue <strong>Fanfiction</strong> auch in der Ära der Rebellion<br />
angesiedelt und präsentiert Mara erneut in der Rolle als Hand des<br />
Imperators.<br />
Ein letzter Dank geht an<br />
Sol Deande, meine wundervolle Betaleserin, die sich mit so viel<br />
Hingabe durch die Geschichte gekämpft und mich mit ihren<br />
aufmunternden Kommentaren immer weiter vorangetrieben hat.<br />
Benjamin, für seine Kommentare, die mir ebenfalls gezeigt haben,<br />
dass die Geschichte doch nicht der Unsinn ist, für den ich sie hielt.<br />
Hoffentlich es das bis zum Schluss auch so geblieben.<br />
242
Ayu the Messiah, die zwar nicht so viel für das <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>-Fandom<br />
übrig hat wie ich, sich aber trotzdem immer wieder meine<br />
überschwänglichen Ausbrüche zu »What Lies Beneath« angetan hat.<br />
So, und jetzt ist Schluss. Genug Selbstbeweihräucherung, genug<br />
eigennützige Werbung. Ich bin raus aus der Nummer. Vielleicht liest<br />
man sich bei einer der neuen Geschichten, die darauf warten, aus<br />
meinem Kopf und ins nächstbeste Word-Dokument hineinzufließen.<br />
Ich hoffe, ihr hattet genauso viel Spaß wie ich.<br />
Ihu la Seraphita, 12. Oktober 2008<br />
243
~ ANHANG ~<br />
D I E C H A R A K T E R E<br />
Name: Mara Jade<br />
Geburtsdatum: 18:4:27 [NRS]<br />
Geburtsort: Khoonda City, Dantooine<br />
Heimatwelt: Coruscant<br />
Haarfarbe: Rot<br />
Augenfarbe: Grün<br />
Körpergröße: 160 cm<br />
Sprachen: Basic I, Basic II (Huttisch)<br />
Name: Luke Skywalker<br />
Geburtsdatum: 16:5:26 [NRS]<br />
Geburtsort: Polis Massa (Asteroidenkolonie)<br />
Heimatwelt: Tatooine, Coruscant, Yavin 4<br />
Haarfarbe: Dunkelblond<br />
Augenfarbe: Blau<br />
Körpergröße: 172 cm<br />
Sprachen: Basic I, Basic II (Huttisch)<br />
244
Name: May Lynn (Meelam) Montross<br />
Geburtsdatum: 8:10:35 [NRS]<br />
Geburtsort: Abbusyn, Sulon<br />
Heimatwelt: Carida<br />
Haarfarbe: Schwarz<br />
Augenfarbe: Eisblau<br />
Körpergröße: 159 cm<br />
Sprachen: Basic I<br />
Name: Orianna Matale<br />
Geburtsdatum: 958:9:25 [NRR]<br />
Geburtsort: Khoonda City, Dantooine<br />
Heimatwelt: Dantooine<br />
Haarfarbe: Rotblond<br />
Augenfarbe: Braun<br />
Körpergröße: 157 cm<br />
Sprachen: Basic I<br />
Name: Sarzamin Saia<br />
Geburtsdatum: 1:5:11 [NRS]<br />
Geburtsort: Khoonda City, Dantooine<br />
Heimatwelt: Dantooine<br />
Haarfarbe: Dunkelblond<br />
Augenfarbe: Braun<br />
Körpergröße: 162 cm<br />
Sprachen: Basic I, Grundkenntnisse Mandalorianisch<br />
Name: Casseia Matale Marjumdar<br />
Geburtsdatum: 955:3:11 [NRR]<br />
Geburtsort: Khoonda City, Dantooine<br />
Heimatwelt: Dantooine<br />
Haarfarbe: Braun<br />
Augenfarbe: Braun<br />
Körpergröße: 156 cm<br />
Sprachen: Basic I<br />
245
Name: Bithras Marjumdar<br />
Geburtsdatum: 949:5:3 [NRR]<br />
Geburtsort: Östl. Ebene von Khoonda, Dantooine<br />
Heimatwelt: Dantooine<br />
Haarfarbe: Braun<br />
Augenfarbe: Blaugrau<br />
Körpergröße: 175 cm<br />
Sprachen: Basic I, Grundkenntnisse Basic II (Huttisch),<br />
Grundkenntnisse Mandalorianisch<br />
Name: Ilya Fermor Jade / Fermor Fingal<br />
Geburtsdatum: 947:5:9 [NRR]<br />
Geburtsort: Coronet, Corellia<br />
Heimatwelt: Coruscant<br />
Haarfarbe: Dunkelblond<br />
Augenfarbe: Grün<br />
Körpergröße: 180 cm<br />
Sprachen: Basic I, Basic II (Huttisch)<br />
[NRR] = Republikanische Zeitrechnung (Ruusan Reformation)<br />
[NSR] = Republikanische Zeitrechnung (ReSynchronisation)<br />
[NSY] = Zeitrechnung der Neuen Republik (Schlacht von Yavin)<br />
246
Anmerkungen zur Zeitrechnung und Datierung:<br />
Für die Gliederung des <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong>-Universums in die verschiedenen<br />
Ären hat sich, nachdem eine Weile die Schlacht von Endor der Drehund<br />
Angelpunkt aller zeitlicher Berechnung war, die Schlacht von<br />
Yavin – genauer gesagt <strong>Star</strong> <strong>Wars</strong> Episode IV: Eine Neue Hoffnung – als<br />
Nullpunkt für die Einteilung der Zeitalter eingebürgert. Daher wird<br />
dort der Einfachheit halber auf die Jahre VSY und NSY datiert (genau<br />
wie v.Chr. und n.Chr.). Diese leicht verständliche und übersichtliche<br />
Einteilung wurde auch für die nachfolgende Timeline beibehalten.<br />
Innerhalb des Universums, betrachtete man dieses so, wie wir unsere<br />
Zeitrechnung betrachten, so ist die genaue Bestimmung eines Datums<br />
nicht ganz so simpel. Zwischen der Zeitrechnung der Alten Republik<br />
und der des Imperiums kann es zu Differenzen bezüglich der<br />
jeweiligen Daten kommen, da die Republik zunächst alle Geschehnisse<br />
auf das Jahr der Ruusan Reformation (1.000 VSY) zurück datierte, bis<br />
im Jahre 35 VSY eine Resynchronisation des Galaktiktischen Standard-<br />
Kalenders durchgeführt wurde. Die Gründung des Imperiums fand<br />
daher im Jahre 16 NRS (Nach der ReSychronisation) statt.<br />
Das Imperium setzte jedoch in weiten Teilen der Galaxis die Datierung<br />
am Tag seiner Gründung komplett auf Null zurück. Die Ausrufung des<br />
Imperiums fällt damit auf den Tag 0:1:1 (JJ:MM:TT) der Imperialen<br />
Zeitrechnung. Dennoch ließ sich das Kalendersystem der Republik<br />
nicht ganz ausmerzen, da es weiterhin für die Datierung historischer<br />
Ereignisse in Gebrauch war.<br />
Die Neue Republik übernahm 25 NSY schließlich den laufenden<br />
Kalender, datierte fortan allerdings ab dem Jahr, in dem der erste<br />
Todesstern bei der Schlacht von Yavin vernichtet wurde (Nach der<br />
Schlacht von Yavin). Daher ist es nötig, dass eine Datierung nach der<br />
vorangegangenen Zeitrechnung zugelassen wird. Aller Ereignisse, die<br />
demnach vor der Schlacht von Yavin (VSY) stattfanden, wurden, genau<br />
wie während der Imperialen Herrschaft, auf die republikanische<br />
ReSynchronisation (NRS) zurückdatiert.<br />
247
D I E T I M E L I NE<br />
248
249
250
Quellen:<br />
251
252
Knights of the Old Republic, Knights of the Old Republic: The Sith Lords, The<br />
New Essential Chronology, Wookieepedia, Jedipedia.de<br />
253
WEITERE WERKE DER AUTORIN<br />
~ STAR WARS ~<br />
Onehundred <strong>Star</strong>s & Skies*<br />
A Murder and its Afterlife*<br />
Days of Calamity*<br />
No Good Deed*<br />
Schattenspiele*<br />
~ WICKED – DIE HEXEN VON OZ ~<br />
In Memoriam<br />
Silent Requiem<br />
Bittersweet Symphony<br />
~ VAMPIRE THE MASQUERADE ~<br />
(BLOODLINES)<br />
Born To Darkness<br />
~ QUEER AS FOLK (US) ~<br />
10 Dinge über Brian Kinney<br />
~ HARRY POTTER ~<br />
D.A.: Dumbledore’s Army*<br />
In Zeiten wie diesen<br />
* work in progress<br />
254
255