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Biografie von Reinold Hagen - Dr. Reinold Hagen Stiftung

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<strong>Dr</strong>. h. c. <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong><br />

(Text <strong>von</strong> 1966)<br />

Wahrscheinlich ist es nur wenigen Menschen bewusst, wie sehr sich die wechselvollen<br />

Schicksale, die Kriege und Revolutionen, die Wirtschaftskrise und Wirtschaftsaufstiege<br />

unseres Jahrhunderts in den oft so dramatischen Lebenswegen führender<br />

Männer der Wirtschaft spiegeln. In ihren Lebenswegen finden wir in erstaunlicher<br />

Weise bestätigt, wie viel Tüchtigkeit, Tatkraft und ungebrochener Optimismus im<br />

deutschen Volk in Erscheinung treten, wenn es die Zeitläufe erfordern.<br />

Ein klassisches Beispiel hierfür ist <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>, der Alleininhaber der Kautex-<br />

Werke in Hangelar/Siegburg bei Bonn. Die Erzeugnisse seiner Fabrik, die verschiedensten<br />

Hohlkörper aus Kunststoff samt den dazu notwendigen Maschinen sind<br />

heute in der ganzen Welt bekannt, und die <strong>von</strong> ihm entwickelten Patente beherrschen<br />

den Herstellungsprozess in weiten Bereichen der Kunststoffindustrie. Die<br />

Kautex-Werke sind eine der letzten großen Familienbetriebe in Deutschland. Einst<br />

stellten sie das Rückgrat der mittleren Industrie dar, auf der die deutsche Wirtschaftskraft<br />

ruhte. Heute sind sie in einen fast verzweifelten Kampf um Selbstbehauptung<br />

gegenüber Großbetrieben und Großkonzernen anonymer Aktiengesellschaften<br />

verwickelt, den zu bestehen, <strong>von</strong> einer gewissen Größenordnung an, fast<br />

nicht mehr möglich ist. Auch <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> sieht mit einem spürbaren Anflug <strong>von</strong><br />

Resignation dem tag entgegen, an dem er bei weiterer Ausweitung seiner Fabrik, zu<br />

der ihn die Konkurrenz und die gebotene Rationalisierung zwingen, auf Grund des<br />

wachsenden Kapitalbedarfes die bisher gewahrte Unabhängigkeit aufgeben muss.<br />

Seine Lage ist typisch für die unausweichliche Alternative: Bewahrung der Freiheit<br />

als Familienbetrieb und Rückgang der Konkurrenzfähigkeit oder Anpassung an die<br />

technische und industrielle Entwicklung und damit Preisgabe der Souveränität.<br />

Gerade weil die Eigenart <strong>von</strong> Familienbetrieben innerhalb der deutschen Wirtschaft<br />

immer eine besondere soziale und wirtschaftliche Bedeutung besaß, stellt ihr allmähliches<br />

Verschwinden einen schweren Verlust im Bild der Gesamtstruktur unserer Gesellschaft<br />

dar. Es charakterisiert Reinhold <strong>Hagen</strong>, dass er eigentlich ohne<br />

Sentimentalität dieser Wirklichkeit ins Auge blickt; denn über seinem persönlichen<br />

1


Schicksal steht im das seines Werkes. Wenn er heute mit berechtigtem Stolz auf sein<br />

leben zurückblickt und auf sein Werk, das er in wenigen Jahrzehnten, und zwar<br />

zweimal, buchstäblich aus dem Nichts heraus geschaffen hat, verweilt er gern bei<br />

den Jahren seiner Jugend, deren Härte und bittere Erfahrungen jene Charakterzüge<br />

in seinem Wesen vertieft haben, die für den Erfolg seiner Arbeit entscheidend waren<br />

und auch heute noch das fast ein wenig patriarchalische Verhältnis bestimmen,<br />

welches man im Arbeitsklima seiner Fabrik spürt.<br />

Ein Jahr vor Ausbruch des ersten Weltkrieges, am 1. Januar 1913, wurde <strong>Reinold</strong><br />

<strong>Hagen</strong> in Siegburg als Ältester <strong>von</strong> 8 Geschwistern, 5 Jungen und 3 Mädchen, geboren.<br />

Vater <strong>Hagen</strong>, dessen Vorfahren seit Generationen in Siegburg ansässig<br />

waren, übte den Beruf eines freischaffenden Architekten aus. Mutter <strong>Hagen</strong>, eine<br />

geborene Goergens, deren Vorfahren aus Schweich an der Mosel und Blankenheim<br />

an der Ahr stammten, zog schon als Kind mit den Eltern nach Krefeld. Als der kleine<br />

<strong>Reinold</strong> gerade eineinhalb Jahre alt war und der Familie das zweite Kind geboren<br />

wurde, musste Vater <strong>Hagen</strong> als Soldat in den 1. Weltkrieg, den er vier Jahre lang an<br />

der russischen Front mitmachte. Nach seiner Heimkehr stand er mit der inzwischen<br />

weiter gewachsenen Familie inmitten der Wirtschaftskrise, der Inflation und eines in<br />

sich zerrissenen Deutschlands vor der schweren Aufgabe, sein Architektenbüro neu<br />

aufzubauen. Vielleicht hat sein Sohn <strong>Reinold</strong> schon in diesen Jahren, in denen er die<br />

Volksschule besuchte, jene wesentlichen Eindrücke empfangen, die sein eigenes,<br />

künftiges leben mitbestimmten. Das Vorbild, das ihm der Vater beim Aufbau einer<br />

neuen Existenz gab, die dafür notwendige eiserne Energie und Sparsamkeit, aber<br />

auch das Beispiel der hilfsbereiten und um ihre Familie besorgten Mutter, die trotzdem<br />

noch Zeit fand, sich als Mitglied des Kreistages um die Interessen der Allgemeinheit<br />

zu kümmern, übten frühzeitig auf den Sohn großen Einfluss aus. Die<br />

Familie hatte schwere Sorgen. Nicht nur über den Eltern, sondern auch über den<br />

älteren Kindern stand <strong>von</strong> frühester Jugend an das Gebot harter Arbeit. Sie alle<br />

mussten Entbehrungen auf sich nehmen und mit mancherlei Rückschlägen fertig<br />

werden. Die große Familie, die im christlichen Geist erzogen wurde, war für den<br />

Sohn <strong>Reinold</strong> eine gute Schule, die ihn lehrte, Verantwortung zu tragen und als<br />

Ältester seinen Geschwistern ein Vorbild zu sein. Acht Kinder aufzuziehen, zu ernähren,<br />

zu kleiden und auszubilden, erforderte für alle manchen Verzicht. Auf den<br />

Spuren des begabten Vaters entdeckte der Jüngling <strong>Reinold</strong> schon früh seine Be-<br />

2


gabung und Leidenschaft für die Technik und für alles, was mit ihr zusammenhing. In<br />

Siegburg absolvierte er das Realgymnasium. Sein Ziel war es, Ingenieur zu werden.<br />

Nach Abgang vom Realgymnasium wurde er zunächst Volontär in einem Eisenhüttenwerk,<br />

den Klöckner-Mannstaedt-Werken in Troisdorf. Wenn <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong><br />

<strong>von</strong> jenen Jahren erzählt, in denen er als junger Mann arbeitete, erinnerte er sich<br />

schmunzelnd an jenen Tag, an dem er seine erste Lohntüte erhielt. Es waren genau<br />

10,40 Reichsmark, die dem Volontär in der Woche ausbezahlt wurden. Gut erzogen,<br />

wie er war, nahm er die Tüte in Empfang und bedankte sich höflich bei dem Mann,<br />

der sie ihm überreichte hatte. Erstaunt sah derselbe <strong>von</strong> seinem Schreibtisch hoch,<br />

schüttelte verwundert den Kopf und sagte streng: „Wozu dankst du für das Geld? Es<br />

steht dir doch zu, du hast es verdient.“<br />

Damals, so meint <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>, habe er das erste Mal das Selbstbewusstsein begriffen,<br />

das den arbeitenden Menschen erfüllen muss und er habe das Gefühl dafür<br />

erhalten, dass der Lohn für Arbeit kein Almosen oder Geschenk darstelle, sondern<br />

einen stolzen Rechtsanspruch. Etwas <strong>von</strong> diesem Geist ist auch heute in seinem<br />

Verhältnis zu seinen Mitarbeitern, Angestellten und Arbeitern lebendig, für die er sich<br />

immer mitverantwortlich fühlt. Da der kleine Verdienst des Volontärs dem jungen<br />

Mann <strong>Reinold</strong> nicht genügte, und er daran denken musste, sich Geld für sein Studium<br />

zu ersparen, verwendete er seine Freizeit für verschiedene Bastelarbeiten. Er<br />

baute Radioapparate, Tonverstärker und sogar Weihnachtskrippen. Dann wurde aus<br />

dem Volontär des Hüttenwerkes der fleißige und erfolgreiche Schüler der Höheren<br />

Technischen Lehranstalt in Schwäbisch-Gemünd, an der er 1935 sein Abschlussexamen<br />

ablegte. Da für ein weiteres Studium die finanziellen Mittel nicht reichten, trat<br />

er seine erste größere Stellung im Laboratorium für Oberflächentechnik der Firma<br />

Robert Bosch AG in Stuttgart an. Jetzt waren jeden Monat in seiner Lohntüte schon<br />

240,- Reichsmark. Ein <strong>Dr</strong>ittel da<strong>von</strong> sparte er sich vom Munde ab, verzichtete auf die<br />

Freuden der meisten seiner gleichaltrigen Kollegen; denn er wollte vorwärts kommen<br />

und vor allem jenen Traum verwirklichen, dem er schon im Gymnasium angehangen<br />

hatte, nämlich selbständig zu werden. Aufmerksam sah er sich in den Betrieben der<br />

Firma Bosch um, versuchte zu erkunden, welche Herstellungszweige Erfolg versprachen,<br />

und wie man eine eigene Werkstatt aufbauen müsse.<br />

3


Durch seine Hoffnungen schien das Schicksal jedoch vorerst einen jähen Strich zu<br />

machen. Völlig unerwartet brach das Unglück über die Familie <strong>Hagen</strong> herein. Der<br />

Vater starb nach einer Gehirntumor-Operation. Das einzige, was er hinterließ, war<br />

das haus der Familie <strong>Hagen</strong> in Siegburg. Noch drückten sieben Geschwister <strong>Reinold</strong><br />

<strong>Hagen</strong>s die Schulbank oder bereiteten sich auf ihren Beruf vor. Die Lage, in der sich<br />

die Mutter befand, war katastrophal. Physisch und seelisch leistete sie Unglaubliches,<br />

um ihre Kinderschar durchzubringen, und das verpflichtete alle Kinder, ihr je<br />

nach Möglichkeit dabei zu helfen. Auf <strong>Reinold</strong> fiel die größte Last. Und nun tat er etwas<br />

in dieser Lage ganz Ungewöhnliches, gleichsam den Traum seiner Jugend mit<br />

dem Zwang des Schicksals verbindend, in das der Tod des Vaters die Familie gestürzt<br />

hatte. Das bedingungslose Vertrauen der Mutter in den ältesten Sohn half ihm<br />

dabei. Er gab seine sichere, wenn auch karg bezahlte Stellung in Stuttgart auf und<br />

gründete in Siegburg eine kleine Fabrik, die eigentlich höchstens den Namen Werkstatt<br />

verdiente. Auf das elterliche Haus wurde eine Hypothek <strong>von</strong> 10000 Reichsmark<br />

genommen. Sie bildeten das einzige Kapital, das für die Betriebsgründung zur Verfügung<br />

stand. Das Risiko, das der junge unerfahrene Mann auf sich nahm, schien am<br />

Anfang erschreckend; denn es war ja nicht nur ein Risiko für ihn, sondern für die<br />

ganze Familie, deren Schicksal vom Erfolg oder Misserfolg des Unternehmens entschieden<br />

wurde.<br />

Die „Galvanischen Werkstätten <strong>Reinold</strong> hagen“, die der junge Mann damals in einer<br />

kleinen Halle errichtete, waren der Ursprung der Kautex-Werke <strong>von</strong> heute, die in der<br />

ganzen Welt ein begriff sind. Neben galvanischen Arbeiten stellte <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong><br />

auch Stanz- und Ziehartikel her, deren Produktion bald im Mittelpunkt des Betriebes<br />

stand. 20 Mitarbeiter waren es nach einem Jahr! Zwar gab es in jener Zeit der aufblühenden<br />

Wirtschaft in den ersten Jahren des <strong>Dr</strong>itten Reiches kein nennenswertes<br />

Absatzproblem; denn <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> fand sofort zahlreiche ständige Kunden, die<br />

dem jungen Unternehmen ihre Aufträge anvertrauten, aber der Betrieb hätte sich<br />

seiner primitiven Anlagen nach und mit seinen traditionellen Herstellungsmethoden<br />

kaum nennenswert weiterentwickeln können, wenn <strong>Reinold</strong> hagen nicht ein ganz besonderes<br />

Gespür für den Fortschritt, für die technische Entwicklung und ihre Zukunftschancen<br />

gehabt hätte. Damals, Mitte der dreißiger Jahre, machte erstmals in<br />

Fachkreisen ein neuer Werkstoff <strong>von</strong> sich reden: der thermoplastische Kunststoff Polyvinylchlorid.<br />

Das Zeitalter der Kunststoffe begann, und <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> begriff als<br />

4


einer der ersten, welche Möglichkeiten es bot. Noch haftete damals in der Vorstellung<br />

selbst großer Industriebetriebe dem Kunststoff der Charakter eines Ersatzproduktes<br />

an, dem man mit Vorsicht und Zurückhaltung gegenüberstand. Es schien<br />

unvorstellbar, Maschinenteile, Instrumente und Behälter, die bisher aus Metall und<br />

Stahl und festen Werkstoffen gemacht worden waren, plötzlich aus einem Kunststoff<br />

anzufertigen, der seine Bewährungsprobe noch nicht bestanden hatte. Doch der<br />

neue Kunststoff zeichnete sich durch seine Beständigkeit und Unangreifbarkeit gegen<br />

Chemikalien aus und war außerdem leicht zu bearbeiten. Die beginnende Rüstungswirtschaft<br />

machte Metalle aller Art außerdem zur Mangelware, was der Verbreitung<br />

des Kunststoffes entgegenkam. <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> gelang es, vielerlei<br />

technische Dinge, wie Dichtungen, Manschetten und Instrumente, für die Chemieindustrie<br />

herzustellen, die rasch Anklang fanden, und er entwickelte vor allem die<br />

Herstellung neuartiger Schläuche und Profile aus dem neuen Kunststoff. Der fast<br />

unbegrenzte Absatzmarkt ermöglichte es <strong>Reinold</strong> hagen, seine ganze Kraft dem<br />

technischen und organisatorischen Ausbau seines Betriebes zu widmen. Schon nach<br />

kurzer zeit war die Mutter aller Sorgen enthoben. Die Geschwister konnten dank der<br />

Tatkraft ihres Bruders eine ungestörte Erziehung und Ausbildung genießen. Da es für<br />

die neuen Herstellungsmethoden mit Kunststoffen keine passenden Maschinen gab,<br />

begann <strong>Reinold</strong> hagen sie selbst zu konstruieren und mit Hilfe tüchtiger Ingenieure<br />

und Handwerker auch selbst zu bauen. So entstanden die ersten Extruder, in deren<br />

nachfolge heute fast in der ganzen Welt Kautex-Maschinen in Hunderten <strong>von</strong> Kunststoffwerken<br />

im Einsatz sind. Je mehr sich der Betreib entwickelte, desto ausschließlicher<br />

konzentrierte sich <strong>Reinold</strong> hagen auf den technischen Ausbau seiner Fabrik. Er<br />

gab nicht nur selbst die Ideen für die Konstruktion neuer Maschinen, sondern rationalisierte<br />

und modernisierte die Produktion, um mit einem Mindestmaß an Arbeitskräften<br />

ein Höchstmaß an Herstellung zu erreichen. Offen gesteht <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>,<br />

dass er auch heute noch kein Organ für den Verkauf, die Finanzgebarung und Buchführung<br />

seines Betriebes habe. Dieser wichtige Zweig seines Unternehmens hat ihn<br />

niemals interessiert. Vielleicht wäre dies für den Aufstieg seiner Fabrik eine schwere<br />

Behinderung gewesen, wenn ihm das Schicksal nicht eine Hilfe gewährt hätte, die<br />

noch heute für ihn und sein Werk wirksam ist. In die kleinen galvanischen Werkstätten<br />

des 24jährigen <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> trat nämlich schon kurz nach Gründung des<br />

Unternehmens die junge Buchhalterin Aenne Lütz ein. Sie besaß einen sicheren, ja,<br />

fast genialen Blick für das Finanzielle und für alles, was mit Geld und zahlen zu-<br />

5


sammenhing. Ihr verdankte <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>, dass die innere Organisation des Betriebes<br />

und seine finanzielle Struktur mit dem technischen Aufstieg und der<br />

wachsenden Produktion Schritt hielten und einwandfrei funktionierten. So wurden<br />

<strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> und Aenne Lütz fast wie <strong>von</strong> selbst gute Kameraden, beide in der<br />

gemeinsamen Arbeit aufgehend und beide <strong>von</strong> der Vorstellung besessen, dem<br />

kleinen Betrieb Format, Umfang und Zukunft zu geben. Beinahe selbstverständlich<br />

führte die Gemeinsamkeit der Arbeit und Unteressen auch zur menschlichen<br />

Bindung, und im Sommer 1938 heirateten sie. Zwei Jungen und drei Mädchen entsprossen<br />

der Ehe; eine Familie, die ganz dem Geist des Elternhauses <strong>von</strong> <strong>Reinold</strong><br />

<strong>Hagen</strong> entspricht. Eltern und Kinder sind in der Sorge um den Betrieb schon heute<br />

miteinander verbunden. Die Söhne bereiten sich darauf vor, an die Seite des Vaters<br />

zu treten.<br />

Noch immer würde sich <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> lieber in den Maschinenhallen und Konstruktionsbüros<br />

aufhalten, als in seinem Chefbüro. Er hofft, dies im Jahre 1967 wieder<br />

verwirklichen zu können. Und was macht ihre Frau?<br />

„ Sie ist meine Finanzministerin“, sagt er mit zärtlicher Ironie, „und ich fahre noch<br />

heute sehr gut damit.“<br />

Mit zwei Mann begann <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> seinen Betrieb im Jahre 1935, 1936 waren es<br />

zwanzig. Bei Kriegsende beschäftigte er bereits 220 Menschen. Heute sind in seinen<br />

Fabriken 1400 Angestellte und Arbeiter tätig. 2400 qm groß war das Grundstück mit<br />

der alten Fabrikhalle, in die <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> vor 30 Jahren seine galvanischen Werkstätten<br />

begann. 30,- Reichsmark zahlte er damals Miete dafür. Heute stehen moderne,<br />

vielstöckige Fabrik- und Verwaltungsgebäude auf einem Gelände <strong>von</strong> 40 000 qm.<br />

Da es im bereich <strong>von</strong> Hangelar/Siegburg keine entsprechende Ausdehnungsmöglichkeit<br />

gab, hat reinold <strong>Hagen</strong> in Duisdorf eine Zweigfabrik errichtet, die nach<br />

den modernsten Fertigungsmethoden arbeitet und ein Musterbeispiel der<br />

Rationalisierung im bereich der Kunststoffindustrie darstellt. In der Stadt Linden bei<br />

New York hat <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> ein eigenes Fabrikgebäude, das als Zentrum für die<br />

Auslieferung seiner Maschinen an amerikanische Kunden dient und gleichzeitig den<br />

Kundendienst an den gelieferten Maschinen versieht. Über ein weitgespanntes Vertreternetz<br />

werden heute in fast allen Staaten der Erde Kautex-Maschinen zur Her-<br />

6


stellung <strong>von</strong> Kunststoffgegenständen geliefert, während mit der Produktion dieser<br />

Kunststoffprodukte in den deutschen Fabriken <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>s überwiegend der Inlandsmarkt<br />

beliefert wird.<br />

Hinter diesen nüchternen Feststellungen wird allerdings nicht das ganze Ausmaß der<br />

Leistung <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>s sichtbar, die nur unter schweren Rückschlägen und oft<br />

kaum überwindbaren Widerständen vollbracht werden musste. Das Schicksal hat<br />

<strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> und seiner Frau kaum etwas <strong>von</strong> dem erspart, was Millionen Deutschen<br />

widerfuhr. Wenige Wochen vor Kriegsende wurden die gesamten Fabrikanlagen<br />

bei einem Luftangriff zerstört. <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>s Lebenswerk war in wenigen<br />

Sekunden vernichtet. Er stand genau dort, wo er 1935 begonnen hatte. Wenige Wochen<br />

danach, in den dramatischen Tagen der Kapitulation, 7. mai 1945, wurde sein<br />

jüngster Sohn geboren. Eine Familie mit fünf Kindern, eine vollkommen vernichtete<br />

Existenz, wirtschaftliches und politisches Chaos in Deutschland, das war die Wirklichkeit,<br />

der <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> und seine Frau im Mai 1945 gegenüberstanden. Das Gespenst<br />

der Sorge, das ihm in seinen Jugendjahren so vertraut gewesen war, stieg<br />

wieder vor ihm auf. Um das Unglück vollzumachen, beschlagnahmte die britische<br />

Besatzung das Wohnhaus der Familie <strong>Hagen</strong>, das einzige, was ihm, wie seinerzeit<br />

seiner Mutter, geblieben war.<br />

Heute kann <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> <strong>von</strong> dieser zeit schon wieder mit einem Anflug <strong>von</strong> Humor<br />

sprechen und sie in ihren seltsamen Erscheinungsformen, der improvisierten Organisation<br />

eines neuen Lebens für alle, beinahe heiter schildern.<br />

„Unsere große Familie musste ein paar Jahre lang wie Zigeuner leben. Wir hausten<br />

in kleinen Räumen, ohne eigene Möbel. Die Fabrik kam schneller in Gang als unser<br />

privates Leben. Wenn Sie mir damals erzählt hätten, dass in 20 Jahren hier die Kautex-Werke<br />

stehen und 1400 Menschen beschäftigen würden, hätte ich Sie wahrscheinlich<br />

ausgelacht. So trostlos und hoffnungslos war damals unsere private Lage<br />

und die unseres Unternehmens. Was blieb uns anderes übrig, als selbst, und zwar<br />

mit unseren Händen Arbeit, damit anzufangen, womit damals Millionen Menschen<br />

ihre Tage hinbrachten: den Schutt wegzuräumen und die spärlichen Reste der Maschinen<br />

oder besser gesagt, der Maschinenteile aus den Trümmern auszugraben,<br />

die noch verwendbar waren. Sieben Getreue meiner Arbeiterschaft fanden sich<br />

7


schon wenige Tage nach Kriegsende bei uns ein, und mit ihnen gemeinsam schufen<br />

wir die ersten Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme der Produktion. Wir kamen<br />

uns vor wie Pioniere in einer Wüste und hatten noch keinerlei Vorstellung, wie wir<br />

das Unmögliche schaffen sollten. Mit Geld konnte man ja nichts kaufen, weder Maschinen<br />

noch Rohstoffe. Löhne an Arbeiter zu bezahlen, war beinahe sinnlos, weil<br />

sie sich da<strong>von</strong> fast nichts kaufen konnten. Nun, meine Frau und ich dachten nur immer<br />

daran, dass wir schon einmal mit Nichts begonnen hatten, obwohl es jetzt vielleicht<br />

noch schlimmer war, und wir ja außerdem noch für 5 Kinder zu sorgen hatten.<br />

Im Rückblick <strong>von</strong> heute muten die Erinnerungen an jene Tage, Wochen und Monate<br />

beinahe gespenstisch an. Die Arbeiter und Angestellte, die allmählich in immer größerer<br />

Zahl zu uns zurückkehrten, vertrauten darauf, dass wir ihnen halfen. Mit dem<br />

Lohn konnten sie nur in unzureichender Weise die paar Lebensmittel Und Gebrauchsgegenstände<br />

kaufen, für die es Bezugsscheine gab. Mit den Lebensmittelkarten<br />

eine Familie zu ernähren, war kaum möglich. Wir haben heute schon vielfach<br />

vergessen, wie groß das Elend damals war und mit welchen Mitteln sich der einzelne<br />

über Wasser halten musste. Diese Mittel musste auch ein Betrieb anwenden, der<br />

wieder hochkommen wollte. Unsre Arbeiter brauchten zum Beispiel Schläuche und<br />

Reifen für ihre Fahrräder, um aus ihren oft weit entfernten Notquartieren zur Arbeit zu<br />

fahren. Sie brauchten Arbeitshosen und feste Schuhe. Aber all dies gab es oft nur im<br />

Tausch gegen eine Packung Zigaretten oder gegen irgendeinen Rohstoff, den der<br />

Tauschpartner brauchte. Es war notwendig, unseren Arbeitern also nicht nur Lohn in<br />

Geld, sondern auch in Natura zu bezahlen. Dabei half uns der Zufall. Wir hatten<br />

außerhalb Siegburgs größere Materialvorräte verlagert; sie waren <strong>von</strong> Bombenangriffen<br />

und auch <strong>von</strong> den späteren Plünderungen verschont worden. Dieses Materiallager<br />

wurde zur eigentlichen Bank und zum Hauptkapital unseres Betriebes. Aus<br />

vorhandenen Kunststoffplatten wurden Schuhsohlen, die wir gegen andere Dinge<br />

tauschten oder zu Geld machen konnten, mit dem wir unsere Löhne bezahlten. Aus<br />

vielen halbzerstörten Maschinen bastelten wir mühsam einige so weit zusammen,<br />

dass wir in der Lage waren, mit der Produktion zu beginnen. Wir isolierten Kupferdraht<br />

und fertigten Wasserschläuche an und gaben einen teil unserer Produktion unseren<br />

Arbeitern und Angestellten für Tauschzwecke. So konnten sie sich Lebensmittel<br />

und Kleidung besorgen und heizmaterial für ihre Wohnungen. Eigentlich<br />

wurden wir, meine Familie und unsere Arbeiter, in diesen Jahren zu einer großen<br />

8


Familie, die sich gegenseitig half und mit echter Anteilnahme gemeinsam am Aufbau<br />

unserer Fabrik beteiligt war.<br />

In jenen Tagen des allgemeinen politischen Chaos und der verzweifelten Lage in den<br />

zerbombten und wirtschaftlich ruinierten Gemeinden erinnerte ich mich daran, wie<br />

selbstlos meine Mutter sich bis 1933 trotz ihrer schweren Belastung mit der Familie in<br />

der Kommunalpolitik betätigt hatte. Ihr Beispiel veranlasste mich, dasselbe zu tun.<br />

Ich übernahm die Amtsvertretung unserer Gemeinde und übernahm später ehrenamtlich<br />

den Posten des Amtsbürgermeisters <strong>von</strong> Menden und den des Gemeindebürgermeisters<br />

<strong>von</strong> Holzlar. Auch wenn mir damit sehr viel Arbeit und Verantwortung<br />

aufgebürdet wurde, und ich oft nicht mehr wusste, wie ich den Aufbau der Fabrik und<br />

die Tätigkeit für die Gemeinde zugleich bewältigen sollte, schaffte mir dieser Einsatz<br />

für die vielen notleidenden Menschen meiner Umgebung doch eine tiefe Befriedigung.<br />

Die Weiterarbeit in der Fabrik wurde besonders erschwert durch die Tatsache, dass<br />

die Besatzungsmächte die Herstellung <strong>von</strong> Kunststoff verboten und die Zulieferung<br />

an Fabriken streng rationierten. Mit einiger List und aus heutiger Sicht mit recht abenteuerlichen<br />

Methoden besorgten wir uns Rohstoffe aus der französischen Zone, <strong>von</strong><br />

dort, wo die <strong>von</strong> uns benötigten Rohstoffe schon in kleinen Mengen hergestellt wurden.“<br />

Wenn <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> über diese Zeit der Improvisation berichtet, spürt man, wie sehr<br />

er in jenen Jahren in seinem Element als genialer Initiator und Improvisator war und<br />

sich in seinem Wirken die Leidenschaft für die Bewältigung technischer Aufgaben mit<br />

der Sorge für die ihm anvertrauten Menschen verband. Der eigentliche Wiederaufbau<br />

nach den Aufräumungsarbeiten auf dem alten Grundstück in Siegburg vollzog sich<br />

jedoch in Hangelar, dem heutigen Sitz der Kautex-Werke, wo <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> schon<br />

1940 ein geeignetes Grundstück, das entsprechende Ausdehnungsmöglichkeiten<br />

erlaubte, mit dem Gebäude einer ehemaligen Keramikfabrik erworben hatte. Da diese<br />

Fabrik jedoch bis Kriegsende <strong>von</strong> der Luftwaffe belegt war, konnte dort nur in den<br />

letzten Kriegsmonaten eine kleine Produktion mit wenigen Maschinen in Gang gebracht<br />

werden, die nun zusammen mit den aus den Trümmern in Siegburg geborgenen<br />

Maschinenresten die Grundlage für den Aufbau einer neuen Produktion<br />

9


ildeten. Dabei war <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> ganz auf sich selbst gestellt. Weder neue<br />

Maschinen, noch Rohstoffe waren zu erhalten. Die großen Kunststofferzeugungsstätten<br />

lagen fast alle in der russisch besetzten Zone, die wenigen Herstellerwerke in<br />

Westdeutschland deckten kaum 10% des Bedarfes. Für den Laien ist es schwer vorstellbar,<br />

welcher Anstrengungen, welcher Erfindergabe und welcher oft grotesken<br />

Improvisation es bedurfte, um trotzdem eine Produktion größeren Umfangs in Gang<br />

zu bringen. Es war erforderlich, sich jede einzelne Maschine selbst herzustellen und<br />

sich hinter dem Rücken der Besatzungsbehörden all das zu beschaffen, was für den<br />

Betrieb und seine Belegschaft notwendig war. Bereits 1947 konnte Reinhold <strong>Hagen</strong><br />

wieder 47 Mitarbeiter beschäftigen. Nach der Währungsreform 1948 setze dann mit<br />

der Normalisierung der Rohstofflage und mit der Wiederherstellung der normalen<br />

Kaufkraft des Geldes der rasche und unaufhaltsame Aufstieg des Unternehmens<br />

ein. Er erfolgte nicht nur im Rahmen des allgemeinen Wirtschaftswunders der<br />

Bundesrepublik, sondern erforderte auch einfallreiche Initiativen und neue<br />

Produktionsprogramme, die der Konkurrenz überlassen waren. Der allgemeinen<br />

technischen Entwicklung und dem Siegeszug der Kunststoffindustrie gemäß, verstand<br />

es <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>, auch hierin beispielgebend voranzugehen. Auf der Suche<br />

nach immer neuen Verarbeitungsmethoden kam er als erster auf die Idee, Kunststoff-<br />

Flaschen und Kunststoff-Behälter aller Art, wozu neben Verpackungsflaschen für die<br />

Waschmittel und Parfümindustrie vor allem auch Bremsbehälter und Behälter für die<br />

Scheibenwaschanlagen der Autoindustrie gehörten, im Blasverfahren herzustellen,<br />

wobei im Prinzip ähnlich verfahren wurde, wie beim Blasen einer Glasflasche. Damit<br />

erschloss <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> technisches Neuland, auf dem es bisher weder Vorbilder<br />

noch Erfahrungen gab. Für die Kunststoff-Fachleute war es eine Sensation, als die<br />

Firma Kautex als erste Firma der Welt 1949-1950 ein zehn Liter fassenden geblasenen<br />

Kunststoff-Ballon herausbrachte. Ein patentiertes Verfahren, nach dem<br />

heute fast in der ganzen Welt Kunststoff-Behälter angefertigt werden. Hinter diesen<br />

Erfolgen standen jeweils langwierige und kostspielige Entwicklungsarbeiten in<br />

eigenen Maschinenwerkstätten und Laboratorien, zu denen <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> die<br />

wichtigsten Anregungen gab. Heute besitzt das Unternehmen in 30 Ländern mehr als<br />

120 Patente, die für das Kunststoff-Blasverfahren <strong>von</strong> grundsätzlicher und größter<br />

wirtschaftlicher Bedeutung sind.<br />

10


Das führte zu einer Erschließung neuer Absatzgebiete und zu einer gewaltigen Produktionserweiterung.<br />

Allein in jenem Jahr stieg die Zahl der Beschäftigung <strong>von</strong> 180<br />

auf 300. Umfangreiche Erweiterungsbauten bildeten in den nächsten Jahren das<br />

Hauptproblem <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>s und erforderten erhebliche finanzielle Aufwendungen.<br />

1959 erzeugte das Werk mit über 1000 Beschäftigten bereits viele tausend Tonnen<br />

an Fertigprodukten aus Kunststoffen und wurde damit zum größten Produzenten für<br />

geblasene Hohlkörper auf dem europäischen Kontinent. Die Entwicklung überstürzte<br />

sich; denn die Fertigung konnte mit der steigenden Nachfrage nicht Schritt halten.<br />

Das Gelände in Hangelar ließ weitere Neubauten nicht zu. Daher entschloss sich<br />

<strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>, eine ehemalige Porzellan-Fabrik in Duisdorf zu erwerben und baute<br />

den Betrieb nach modernsten Gesichtspunkten aus. 1960 wurde die gesamte Hohlkörperproduktion<br />

dorthin verlegt. In dem neuen Werk stehen, in äußerster Rationalisierung<br />

durchdacht, lange Reihen <strong>von</strong> Kautex-Automaten in Reih und Glied und stoßen<br />

pausenlos täglich Millionen <strong>von</strong> Kunststoff-Flaschen, Tuben und Ampullen aus.<br />

Die Gefäße reichen <strong>von</strong> der kleinsten Medikamenten-Phiole bis zum 200-Liter-Faß<br />

aus Kunststoff. Im Gepäckraum <strong>von</strong> über einer Million europäischer Autos liegen die<br />

Benzin-Kunststoff-Reservekanister aus den Automaten der Kautex-Werke. In den<br />

meisten Haushalten stehen die Kunststoff-Flaschen für Wasch- und Reinigungsmittel<br />

und Kunststoff-Verpackungen <strong>von</strong> Kosmetikas aller Art aus den Kautex-Werken. Im<br />

Maschinen- und Automobilbau werden die Produkte der Kautex-Werke als technische<br />

Bauteile verwendet. Flakons und Spritzflaschen für alle Zwecke und Konstruktionselemente<br />

für den Apparate- und Gerätebau fast aller Fabrikationsbranchen<br />

stammen aus der Fertigung der Kautex-Werke. Die Maschinen für diese Produktion<br />

sind nach eigenen Konstruktionen in der Maschinenfabrik in Hangelar gebaut. Hier,<br />

in dem eigentlichen Hauptwerk, das <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> besonders ans Herz gewachsen<br />

ist, entstehen nicht nur technisch ausgereifte Blasautomaten verschiedenster Typen<br />

und <strong>Dr</strong>uckmaschinen zum Bedrucken der mannigfaltigsten Hohlkörper, sondern auch<br />

Maschinen für die Bearbeitung und Aufbereitung der Kunststoffe: Beflammungsanlagen,<br />

Granuliermaschinen und Mischer. Diese Maschinen, Grundlage der eigenen<br />

Produktion, gehen heut in fast alle Länder der Erde. Viele Millionen Hohlkörper, wie<br />

oben aufgezählt, werden heute in Amerika und Japan, in fast allen Ländern Europas,<br />

Asiens und Australiens auf den Automaten und Maschinen der Kautex-Werke täglich<br />

hergestellt und tragen dazu bei, den Ruf der deutschen Technik und seiner Maschinenindustrie<br />

in der Welt zu stärken.<br />

11


Es ist ein reizvolles Erlebnis, mit <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> durch die Montagehallen, die Versuchsstationen,<br />

die Konstruktionsbüros der Fabrikanlagen in Hangelar zu wandern.<br />

Für den Aussenstehenden scheint es ein Chaos an Maschinen, Ersatzteilen, Gussformen<br />

und technischen Wundern zu sein. <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> entwirrt das Chaos mit ein<br />

paar sicheren Sätzen und Erklärungen und zeigt es in seinen wohldurchdachten Zusammenhängen<br />

auf. Es ist erstaunlich, wie sehr er bis zur letzten Schraube über jede<br />

Einzelheit Bescheid weiß, wie er jede Weiterentwicklung und Neukonstruktion verfolgt<br />

und oft seinen Ingenieuren durch einen Einfall den Weg zur Lösung eines technischen<br />

Problems weist, das bisher unlösbar schien. Diese Übersicht und Vertrautheit<br />

mit allem, was ein Betrieb <strong>von</strong> 1400 Mitarbeitern mit sich bringt, sind nur möglich,<br />

wenn man selbst mit Herz und Seele dem Unternehmen verbunden ist und es <strong>von</strong><br />

Anfang an aufgebaut und gestaltet hat. Dass ein derartiger Großbetrieb auf den<br />

Schultern des Mannes ruht, ist heute sehr selten geworden. Die Mitarbeit seiner Frau<br />

mag der Ausgleich dafür sein, dass für das Leben in der Familie bei dieser Arbeitsfülle<br />

und den täglichen Sorgen und Anforderungen noch Raum bleibt.<br />

Unmittelbar gegenüber dem Eingang des Werkes, in wenigen Schritten erreichbar,<br />

betritt man einen kleinen Park mit alten Bäumen, in dessen Mitte das fast bescheiden<br />

zu nennende Haus der Familie <strong>Hagen</strong> liegt. Auch wenn <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> abends mit<br />

Gästen oder seinen schon fast erwachsenen Kindern bei Kerzenlicht und einem guten<br />

Wein auf der Terrasse seines Hauses sitzt, kann er zwischen den Bäumen hindurch<br />

die Front der Fabrikgebäude sehen, und diese Nähe zu seinem Lebenswerk ist<br />

wohl nicht nur äußerlich.<br />

„ Wie in allen großen Betrieben“, gesteht <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>, „ gibt es neben dem Erfolg<br />

Widerwärtigkeiten und Enttäuschungen, Die mir anvertrauten Menschen erfordern<br />

Verständnis, Fürsorge und menschliche Anteilnahme. Seit Jahren habe ich eine Sozialhelferin<br />

eingestellt, die nur dazu da ist, sich um die Sorgen und Nöten meiner Mitarbeiter<br />

und vor allem ihrer Familien zu kümmern und mir darüber zu berichten, wenn<br />

Not oder unlösbare Probleme Hilfe erfordern. Mein Verhältnis zu den Gewerkschaften<br />

ist <strong>von</strong> wohltätigem Abstand bestimmt; denn das, was in den Sozialgesetzen<br />

heute verwirklicht wurde oder erst für die Zukunft gefordert wird, praktiziere<br />

ich schon seit vielen Jahren in den Kautex-Werken. Unser Prämiensystem gilt als<br />

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vorbildlich. Im Krankheitsfall zahlen wir bereits freiwillig in seinem Umfang Vergütungen,<br />

die selbst die Forderung der Gewerkschaft übertrifft. Ein eigener<br />

Unterstützungsfond besorgt die Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall bei verheirateten<br />

Männern oder verwitweten Frauen mit Kindern.<br />

Die zum Lohn gewährten Prämienzulagen, um eine weitere Sozialleistung unseres<br />

Betriebes zu nennen, werden auf der Grundlage der Produktivität des Betriebes bezahlt.<br />

Sie beträgt derzeit 6% des Jahresverdienstes. Unsere Prämiensystem ist auf<br />

das Ziel gerichtet, die Leistungen zu steigern und arbeitsfreudige und verantwortungsbewusste<br />

Mitarbeiter zu fördern. Meine besondere Fürsorge gilt auch der<br />

Erziehung und Ausbildung der Lehrlinge, die für gute Leistungen ebenfalls Prämien<br />

erhalten. Mein Augenmerk habe ich auch auf besonders preiswerte und gute Leistungen<br />

unserer Kantine und Werksküche gerichtet, die für das leibliche Wohl unserer<br />

Mitarbeiter sorgt. Trotz der Größe des Betriebes bemühe ich mich, das Zusammengehörigkeitsgefühl<br />

aller Betriebsangehörigen zu stärken und allen Mitarbeitern das<br />

Gefühl zu geben nicht nur eine Arbeits-Interessengemeinschaft, sondern eine große<br />

Werksfamilie zu sein. Betriebsfeiern, die unser seit zehn Jahren bestehender Werkschor<br />

verschönt und die Mitarbeit der Jugend daran, sind, wie ich glaube, für alle Höhepunkte<br />

unserer Zusammenarbeit. Mitarbeiter, die unserem Unternehmen 5 Jahre<br />

angehören, werden mit einem 14tägigen kostenlosen Ferienaufenthalt in einem unserer<br />

Vertragshäuser belohnt. Wie in den meisten großen Betrieben ist auch bei uns<br />

der Wechsel der Arbeitskräfte groß, doch besitzen wir eine Stamm <strong>von</strong> Mitarbeitern,<br />

die oft schon mehr als ein Jahrzehnt unserem Unternehmen angehören und ihm in<br />

echter Mitverantwortung verbunden sind. „Sogar eine kleine Reihe <strong>von</strong> Mitarbeitern<br />

sind 25 Jahre und länger als Facharbeiter und Meister in dem noch jungen Unternehmen<br />

tätig.<br />

Auch für <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong> gehört es bei dem Umfang seiner Verantwortung zu den wesentlichen<br />

Problemen, diese Verantwortung auf tüchtige Mitarbeiter zu verteilen.<br />

Hierin sieht auch er die Hauptaufgabe einer Betriebsführung <strong>von</strong> heute, die für so<br />

viele Menschen zu sorgen hat. Trotz der Überfälle seiner Arbeit, die ihm kaum noch<br />

Zeit lässt für ein persönliches, privates Leben, steht er in tätiger Anteilnahme den<br />

politischen und geistigen Aufgaben unserer Zeit aufgeschlossen gegenüber. Er ist<br />

Mitglied des Bundes katholischer Unternehmer und fühlt sich verpflichtet, dessen<br />

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sozialethische Grundsätze in seinem Arbeitsbereich zu verwirklichen. Aus der Mitarbeit<br />

an den Interessenverbänden der Arbeitgeberverbände hat er sich zurückgezogen.<br />

An ihrer Tätigkeit bemängelt er auf Grund eigener Erfahrungen das<br />

fehlende Mitspracherecht der kleinen und großen Privatbetriebe und beklagt das<br />

Diktat, das als Ergebnis der Verhandlungen <strong>von</strong> Funktionären oft ohne Rücksicht auf<br />

regionale Besonderheiten ausgeübt werde. Er will auch hier seine Selbstständigkeit<br />

bewahren, die Notwendigkeiten des Werkes in wirtschaftlicher Beziehung und unter<br />

Berücksichtigung der Rentabilität und Produktion in Einklang mit sozialpolitischen<br />

Forderungen bringen, da er die Ansicht vertritt, dass nur ein in dieser Hinsicht<br />

gesunder Betrieb, auf die Dauer gesehen, die Sicherheit aller Mitarbeiter gewährleistet.<br />

<strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>s Welterfahrung, die er auf vielen Reisen rund um den Erdball gewonnen<br />

hat, und vor allem die Einsicht in die Probleme notleidender<br />

Entwicklungsländer haben bei ihm ein außerordentliches Verständnis für alle Fragen<br />

der Entwicklungshilfe, der Missionsarbeit, des Bildungs- und Erziehungswesens in<br />

diesen Ländern geweckt, und er fühlt sich verpflichtet, in dieser Beziehung auch<br />

einen persönlichen Beitrag zu leisten, in dem er dafür erhebliche Mittel an Spenden<br />

aufwendet. Wofür er sie gibt, und wozu sie verwendet werden, das verfolgt er mit<br />

kritischem Interesse. Für ihn ist diese Hilfe nicht Ausdruck sentimentaler oder<br />

romantischer Wohltätigkeit, sondern der Erkenntnis, dass mit dieser Hilfe Projekte<br />

gefördert verwirklicht werden sollen, die strukturell und soziologisch sinnvoll und<br />

wirksam sind. Er sieht darauf , dass die Mittel, die er dafür spendet, gezielt eingesetzt<br />

und nicht in kleinen Aktionen verzettelt werden.<br />

In Anerkennung seiner hervorragenden Verdienste in der Wirtschaft, seiner internationalen<br />

Arbeit und seiner Förderung humanitärer Aufgaben in Übersee hat ihm<br />

die San-Carlos-Universität der Philippinen die Würde des Ehrendoktors verliehen.<br />

Wohltuend empfindet man die Bescheidenheit der Lebensführung und die persönliche<br />

Bedürfnislosigkeit <strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>s und seiner Familie. Beinahe abgeschieden<br />

und ohne jeden gesellschaftlichen Ehrgeiz ist er fast ausschließlich für sein Lebenswerk<br />

tätig. In seinem Arbeitszimmer, das ebenfalls ganz ohne Prunk als nüchterne<br />

Stätte der Arbeit wirkt, entdeckt der Besucher an der Wand einen Spruch, der für<br />

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<strong>Reinold</strong> <strong>Hagen</strong>, für seine Persönlichkeit und sein Wirken charakteristisch ist. Er lautet:<br />

„ Kraft macht keinen Lärm. Sie ist da und wirkt.“<br />

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