Golem FAZ.htm - Wolf Euba

Archivar des jüdischen Rathauses und Vater einer Tochter, deren Liebreiz es Pernath angetan hat.
Meyrink steigert die schablonierte Charakterzeichnung zu einer grotesken Überdeutlichkeit, die ans
Parodistische grenzt. Man ahnt hier, was einer Literatur, die allen Stereotypen korrekt ausweichen
möchte, an Plastizität verlorengeht.
Meyrink selbst war im übrigen - bei aller Faszination, die das Judentum auf ihn ausübte - nicht
jüdischer Herkunft. 1868 als unehelicher Sohn eines württembergischen Ministers und einer
bayrischen Hofschauspielerin geboren, wirkte er eine Weile als Bankdirektor und wurde in
Ehrenhändel und Duelle verwickelt, ein Mensch, der Aufsehen erregte. Nach der Pleite seines
Bankhauses kam er wegen Betrugsverdachts ins Gefängnis - wie die Erzählerfigur des "Golem".
Später wandte sich Meyrink der Schriftstellerei zu und kam als Satiriker des "Simplizissimus" bald zu
Ruhm. Gelegentlich schimmert das komische Talent im "Golem" angenehm durch.
Mit dem aus Lehm erschaffenen künstlichen Menschen der jüdischen Legende hat der Roman nur
noch wenig zu tun. Hier hat sich der Golem spiritualisiert und psychologisiert, als Kollektivseele des
uralten Judengettos, dessen schiefe Mauern Albträume ausdünsten. Es herrscht schwüle, vergiftete
Luft; selbst der Fluß schäumt "voll Haß gegen die Fundamente". 1885 wurde das heruntergekommene
Getto assaniert. Die Handlung des Romans ist exakt auf dieser Schwelle angesiedelt; am Ende
beginnen die Baumaschinen ihr Abbruchwerk. Die alte Gettowelt der dunklen Höfe und Winkel, der
labyrinthischen Gänge und geheimen Zimmer, der dämmrigen Gotteshäuser und Kneipen, der
Puppenspieler, Wahrsager, Bänkelsänger und Beter spukt jedoch herüber in die neue Zeit. Die
Grenze zwischen Traum, Wahn und Wirklichkeit ist hier besonders durchlässig.
Bei aller Neigung zur Zahlen- und Buchstabenmystik, zu parapsychologischen Zusammenhängen und
okkulter Symbolik vermeidet Meyrink den raunenden Stil. In den besten Passagen ist seine Prosa von
luzider Intensität, und das macht sie zur guten Hörbuchvorlage. Zwar ist die Handlung verwinkelt wie
die Gäßchen des Gettos, und der Hörer, der ein paar Sätze verpaßt, verliert schnell die Orientierung.
Aber wozu gibt es die Rücklauftaste? Und immerhin haben wir es bereits mit einer aufgeräumten
Fassung des Stoffes zu tun. Nachdem Meyrink in einem Atem die ersten achtzig Seiten
niedergeschrieben hatte, wußte er zunächst nicht weiter. Bis ein Freund ihm das Handlungsgewirr
ordnete und von den 120 Figuren erst einmal neunzig entfernte.
"Niemand würde die Hände ringen, wenn es nicht vom Theater erfunden worden wäre", heißt es an
einer Stelle. Theatralisches Bewußtsein und forcierte Gebärden kennzeichnen den ganzen Roman.
Da spricht jemand mit "mimenhaft erstickter Stimme", Student Charousek "schluchzte, als könne er
vor Ergriffenheit kaum weitersprechen", dann wieder liegt "ein komödiantenhafter Zug von
Schmerzlichkeit in seiner Fratze". Wolf Euba, geborener Nürnberger, liest dergleichen mit Nachdruck,
aber ohne jede expressionistische Steilheit. Eher setzt sein süddeutscher Zungenschlag einen
Kontrapunkt zur überspannten Textur der Vorlage. Am Schriftbild des Romans fällt das Unruhige,
beinahe Zerhackte auf; lauter kleine Abschnitte mit oft nicht mehr als ein oder zwei Sätzen. Der
akustische Erzählfluß des Hörbuchs bringt eine Glättung, die dem Text gut bekommt.
Eubas Ton bildet die aufgewühlten Seelenregungen ab (anstatt sie etwa ironisch von sich abzurücken
oder zu verfremden), ohne daß der Vortrag je hektisch und zerfahren würde. Die Ereignisse
überschlagen sich, nicht die Stimme des Vorlesers. Den Formulierungen psychischer Extremwerte
("würgende Verzweiflung", "lähmende Schrecknis des Unfaßbaren", "es schrie auf in mir vor Weh und
wilder Sehnsucht"), an denen man sich bei der Lektüre stören kann, gibt Euba suggestive Plausibilität
- als könnte es gar nicht anders sein. Daß er das Pathos nicht ins Lächerliche zieht, treibt die
untergründige Komik um so mehr hervor. Man höre nur die kuriose Moritat vom Raubmörder Babinsky
oder die kafkaeske Rühr-Groteske über den Rechtsgelehrten Dr. Hulbert und sein "Batallion", eine
Organisation der Prager Trinker und Parkbank-Existenzen.
Die Rezitation holt auch aus den trivialen Schlaglöchern des Textes das Letzte heraus. Euba verdünnt
die Figuren nicht ins Chargenhafte; die Spannweite seiner stimmlichen Charakterisierung reicht von
sanften Mädchengemütern über die Arroganz einer "Durchlaucht Fürst Ferri Athenstädt" bis zu den
Abgründen verfluchter Seelen. Auch die Sprachvielfalt Prags wird problemlos bewältigt, ob es sich um
fiesesten österreichischen Schmäh oder unterschiedliche Ausprägungen des Jiddischen handelt.
Kurzum: Besser als Wolf Euba kann man dieses Buch nicht lesen.