zaha hadid architects parametric tower research - Hamburg - AIT ...
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Das Medium der <strong>AIT</strong>-ArchitekturSalons<br />
ZAHA HADID ARCHITECTS<br />
PARAMETRIC TOWER RESEARCH<br />
Die <strong>AIT</strong>hesen zu den Ausstellungen in den <strong>AIT</strong>-ArchitekturSalons<br />
Die Zeit ist reif | Der Parametrismus als Antwort<br />
Interview | Zaha Hadid & Patrik Schumacher im Gespräch<br />
Eine Frage an Zaha | Von Architekten, Journalisten und Kulturschaffenden<br />
Salonpartner<br />
Strähle: Räume!<br />
Ausgabe Dezember 2011<br />
Zaha Hadid Architects | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | 1
EDITORIAL<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser …<br />
AUSSTELLUNG<br />
Zaha Hadid Architects – Parametric Tower Research<br />
ein bisschen ist es ja wie damals mit Helmut Kohl. Es gab seinerzeit junge Menschen, die<br />
hatten einfach noch nie einen anderen Bundeskanzler erlebt. Eine politische Welt ohne den<br />
Mann aus der Pfalz war schwer vorstellbar. Bei Zaha Hadid ist es ähnlich - und doch ganz<br />
anders. Auch sie dominiert bereits seit Jahrzehnten die internationale Architekturszene. Der<br />
Unterschied: Man wird ihrer deshalb nicht überdrüssig.<br />
Doch kann man solange als Avantgarde gelten? Sollte man dies? Oder geht jedes engagierte<br />
Büro einmal in den gesteuerten Sinkflug des lukrativen Mainstreams über, des routinierten,<br />
retardierend eingesetzten Leitmotivs, als Markenzeichen einer auf maximale Verwertbarkeit<br />
angelegten Architektur? Wer auf der folgenden Doppelseite verwundert das kartographisch<br />
übersetzte Oeuvre von Zaha Hadid Architects (ZHA) betrachtet, der stellt jedenfalls fest, dass<br />
die vermeintlich immer noch an kaum baubaren Visionen arbeitende Architektin inzwischen<br />
ein beeindruckendes Werkverzeichnis vorzuweisen hat, das wohl nur in Deutschland<br />
weitestgehend unbemerkt geblieben ist. Hier wird sie noch immer mit ihrem Feuerwehrhaus<br />
in Weil am Rhein identifiziert – oder bestenfalls mit dem Phaeno in Wolfsburg. Tatsächlich<br />
ist Europas Mitte nicht unbedingt der geographische Schwerpunkt ihres Werkes. Dass ihre<br />
Visionen jedoch ebenso baubar wie durchgesetzt sind, zeigen ihre Werke - und dass Sie sich<br />
kaum auf dem Ruhm vergangener wilder Jahre ausruhen will, beweist das Engagement Ihres<br />
Büropartners Patrik Schumacher. Er hat das Bauen von ZHA auf ein stabiles und keineswegs<br />
nur gestalterisch architekturtheoretisches Fundament gesetzt. Sein „Parametrismus“ will<br />
mehr sein, als ein neuer Ismus, der seine Berechtigung aus den üblichen individuell-künstlerischen<br />
oder den kultursoziologischen Rahmenbedingungen herleitet. Er leitet daraus auch<br />
entscheidende Veränderung im konstruktiven Bereich und der funktionalen Organisation<br />
von Gebäuden ab – und nimmt deshalb auch für den Parametrismus in Anspruch, eine nicht<br />
nur temporäre Erscheinung zu sein, sondern eine neue und globale Epoche.<br />
<strong>AIT</strong>-ArchitekturSalon Köln<br />
Vernissage mit Werkvortrag 18. Januar 2012<br />
Workshop für Kinder 21. Januar 2012<br />
Finissage 08. März 2012<br />
Ausstellungsdauer: 16. Januar bis 08. März 2012<br />
<strong>AIT</strong>-ArchitekturSalon München<br />
Vernissage 29. März 2012<br />
Ausstellungsdauer: 29. März 2012 bis 10. Mai 2012*<br />
*Termin kann sich noch verschieben<br />
<strong>AIT</strong>-ArchitekturSalon <strong>Hamburg</strong><br />
Vernissage 24. Mai 2012<br />
Ausstellungsdauer: 24. Mai 2012 bis 19. Juli 2012*<br />
*Termin kann sich noch verschieben<br />
Mit den Ausstellungen in den deutschen <strong>AIT</strong>-Architektursalons zeigen Zaha Hadid und Patrik<br />
Schumacher in Deutschland erstmals den aktuellen Stand ihres Werkes, erläutern den<br />
Parametrismus und stehen zur Diskussion bereit. Mit den Ausstellungen, Vernissagen und<br />
Finissagen über das Werk von Zaha Hadid Architects leiten die <strong>AIT</strong>-ArchitekturSalons das<br />
Jahr 2012 ein und setzen gleich einen der Höhepunkte. Wir freuen uns auf Ihr Kommen.<br />
coming soon 2012<br />
Mit freundlichen Grüßen<br />
Dr. Dietmar Danner<br />
Chefredakteur & Verlagsleiter<br />
Kristina Bacht<br />
Kuratorin ArchitekturSalons<br />
Parametric Tower Research | ZHA<br />
Titel: Entwurf für das Finanzzentrum von Peking | ZHA<br />
2 | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | Zaha Hadid Architects
Zaha Hadid Architects | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | 3
GLOBAL PLAYER<br />
Dreißig Jahre nach der Gründung des Büros Zaha Hadid Architects (ZHA) blickt man auf eine Vielzahl unterschiedlicher<br />
und anspruchsvoller Projekte weltweit. Das gedankliche Fundament dafür lieferte das bemerkenswerte architekturtheoretische<br />
Schaffen von Zaha Hadid und Patrik Schumacher.<br />
4 | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | Zaha Hadid Architects
Zaha Hadid Architects | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | 5
DIE ZEIT IST REIF<br />
Der Parametrismus als Antwort. Von Patrik Schumacher<br />
Der Parametrismus ist die Antwort der Architektur auf die Dynamik und Komplexität der postfordistischen, vernetzten<br />
Gesellschaft. Dieser neue Stil mit seinem Anspruch auf universale Relevanz findet weltweit mehr und mehr Anhänger. Im<br />
Gegensatz zu diesen neuen Entwicklungen scheint der Typus des Hochhauses noch im Fordismus festzustecken und sich<br />
dem aktuell notwendigen Komplexitätszuwachs zu verweigern. Hochhäuser werden noch immer primär von quantitativen<br />
Kriterien bestimmt. Ihr Volumen wird durch Extrusion geschaffen und der Innenraum ist nichts weiter als die Addition<br />
identischer Geschosse. Moderne Hochäuser sind vertikale Sackgassen, deren Böden durch einen Sockel abgetrennt sind. All dies<br />
geschieht aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, und dennoch scheint die Zeit reif, die Hochhaustypologie neu anzugehen – mit<br />
den Konzepten und Ambitionen des Parametrismus.<br />
ZHA – wie in der Tat der Großteil der zeitgenössischen Avantgarde<br />
– hat sich lange gegen das Entwerfen von Hochhäusern<br />
gewehrt. Wann immer wir in die Höhe gehen mussten, bevorzugten<br />
wir die Scheibe, die uns mehr Spielraum für räumliche<br />
Manipulationen gab. Im Jahr 1994 haben wir erstmals<br />
ein Hochhaus entworfen – für ein Großprojekt in Manhattans<br />
42. Straße. Wir vermieden Extrusionen, Wiederholungen<br />
und Vorhangfassaden, stattdessen schlugen wir einen<br />
vertikalen Stapel aus ineinander verschränkten Blöcken<br />
vor, die durch unterschiedliche Oberflächenstrukturen und<br />
Zwischenräume differenziert wurden. Im Inneren setzten wir<br />
auf John Portmanns Konzept hoher Atrien, die im Hochhaus<br />
emporwachsen. Rückblickend erscheint unser 42nd Street-<br />
Hochhaus-Entwurf sowohl prophetisch als auch primitiv. Es<br />
war das erste Hochhaus-Design, das eine radikale Differenzierung<br />
des Turms entlang der vertikalen Achse vorsah, und<br />
zwar sowohl auf der Außen- als auf der Innenseite. Portmanns<br />
Atrium-Konzept wurde zu einem rhythmisch bespielten Navigationsraum<br />
radikalisiert, der die Fahrt nach oben interessant<br />
gestaltete und Orientierung bot.<br />
Unser Entwurf war primitiv in Bezug auf seinen Collage-Modus<br />
der Differenzierung durch bloße Gegenüberstellungen.<br />
Zudem war die Einbindung in das städtische Umfeld nicht<br />
entwickelt. Wir haben diesen Wettbewerb verloren, und erst<br />
in der Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001<br />
unternahmen wir im Zusammenhang des internationalen<br />
Diskurses über ein neues Hochhaus am Ground Zero einen<br />
Neuanfang hinsichtlich der Untersuchungen zum Potenzial<br />
der Hochhaus-Typologie.<br />
Unser Entwurf für einen neuen Ground-Zero-Turm sah ein<br />
Gebäude vor, das als ein Bündel mehrerer schlanker Röhren<br />
konzipiert war. Diese Kompositionsmethode war geeignet,<br />
den Turm mit der komplexen Geometrie und den Bewegungsflüssen<br />
des städtischen Umfeldes zu verbinden. Die<br />
Variation im Zusammenspiel der Röhren erzeugte eine Differenzierung<br />
des Hochhauses entlang der vertikalen Achse.<br />
Der modulierte Raum zwischen den Röhren wurde als Navigationsraum<br />
genutzt. Einige Jahre später wurde das Bündel-<br />
Konzept in unserem Entwurf für die Dancing Towers in Dubai<br />
erneut untersucht. Das Projekt sollte den Mittelpunkt einer<br />
Reihe von konzentrischen Ringen aus Hochhäusern an Dubais<br />
Business Bay markieren. Hier interpretierten wir die geforderte<br />
Mischnutzung mithilfe von drei Türmen, die sich auf<br />
verschiedene Weise aneinander annähern und voneinander<br />
entfernen, zusammentreffen und sich trennen, um gleichzeitig<br />
eine Groundlobby sowie eine Skylobby oberhalb des Mittelpunkts<br />
gemeinsam zu nutzen. Wiederum bestimmen Atrien<br />
dynamische Navigationsräume im Inneren. Dieses Bündel<br />
breitet sich in unterschiedliche Richtungen am Boden aus<br />
und schafft zusätzliche Flächen sowie Verbindungen zum<br />
Kontext. Während dieses ehrgeizigste unserer Hochhausprojekte<br />
aufgeschoben wurde, wird unser erster gebauter Turm<br />
in diesem Jahr fertiggestellt: die Hauptverwaltung einer großen<br />
Reederei im Hafen von Marseilles.<br />
ZHA realisiert derzeit weitere Türme in Mailand, Barcelona,<br />
Bilbao, Bratislava, Beijing und Singapur. Diese ersten Beispiele<br />
signalisieren, dass der Hochhaustypologie eine neue Vitalität<br />
gegeben werden kann. Von besonderem Interesse für uns<br />
ist dabei auch die umgekehrte Wirkung: Die technisch und<br />
ökonomisch anspruchsvolle Bauaufgabe Hochhaus wirkt<br />
disziplinierend sowohl auf unseren Stilanspruch als auch<br />
auf unsere parametrische Gestaltungsmethode. Hochhäuser<br />
erfordern ein höheres Maß an Präzision als horizontal<br />
ausgedehnte Gebäude sowie eine engere Einbeziehung aller<br />
Subsysteme. Dies verschiebt den Schwerpunkt weg von einer<br />
freien, spielerischen Entfaltung der räumlichen Formen hin<br />
zu einem ausgeprägten Sinn für kompakte, übergreifende<br />
Artikulation. Das bedeutet eine strenge, geometrische Koordination<br />
aller Subsysteme und Komponenten, allerdings<br />
ohne in die Monotonie des Modernismus zurückzufallen.<br />
Parallel zu den oben erwähnten, beauftragten Hochhäusern<br />
hat ZHA ein Forschungsprojekt initiiert, die Parametric Proto<strong>tower</strong><br />
Research, die von unserer Computational-Design-Forschungsgruppe<br />
CODE betrieben wird 1 . Gleichzeitig wird eine<br />
verwandte Hochhaus-Forschungsarbeit am AA Design Research<br />
Lab durchgeführt. Die Forschungsagenda geht davon<br />
aus, dass es nicht länger Aufgabe der Architektur ist, individuelle<br />
Gebäude als Reaktion auf einzigartige Grundstücke und<br />
Vorgaben zu gestalten. Was stattdessen gefordert wird, ist die<br />
Konzeption anpassungsfähiger, parametrischer Proto-Typen,<br />
die allgemeine topologische Schemata bei parametrisch spezifizierbaren<br />
Standortbedingungen und Vorgaben intelligent<br />
variieren. Diese Proto-Designs können verglichen werden mit<br />
der kleinen Zahl von grundlegenden Körperbauplänen, die<br />
der Mannigfaltigkeit biologischer Lebensformen, die sich in<br />
der Evolution des Lebens herausgebildet haben, zugrunde liegen<br />
– jede innerhalb einer komplementären Umweltnische.<br />
Der prinzipielle Körperbauplan des Proto-Turms umfasst die<br />
folgenden vier wesentlichen Subsysteme: Tragsystem (Skelett)<br />
/ Fassadensystem (Hülle) / System der Nutzflächen (Geschosse)<br />
/ Navigationssystem (Lufträume, Aufzüge).<br />
Die Unterscheidung dieser Subsysteme gliedert die Gestaltungsforschung<br />
zum Proto-Turm. Es ist eines der grundlegenden<br />
Axiome dieses Forschungsprojekts, dass diese funktional<br />
definierten Subsysteme zu Beginn klar unterschieden<br />
werden. Der gesamte Proto-Turm ist ein komplexes Multi-<br />
System-Gebilde, wobei jedes Subsystem nach seiner eigenen<br />
Logik intern differenziert werden muss, und zwar sowohl entlang<br />
der vertikalen Achse, von innen nach außen und entlang<br />
seines Umfangs. Wir wollen eine vielschichtige Komplexität<br />
mit einem hohen Grad an gesetzmäßiger Differenzierung innerhalb<br />
jedes Subsystems aufbauen und dann mittels spezifischer<br />
Korrelation zwischen den verschiedenen Subsystemen<br />
das gesamte Proto-System bilden. Jede interne Differenzierung<br />
der Subsysteme reagiert jeweils auf die Differenzierungen<br />
innerhalb der anderen Subsysteme. Zum Beispiel steht die<br />
Differenzierung des Tragwerks in Wechselbeziehung mit der<br />
Differenzierung der Hülle, und die Differenzierung des Systems<br />
der Geschossplatten steht in Wechselbeziehung mit der<br />
Differenzierung des Navigationssystems mit seinen Lufträumen.<br />
Gleichzeitig werden Korrelationen zwischen Tragsystem<br />
und Navigationssystem definiert. So entsteht eine Kaskade<br />
der Beziehungen und Anverwandlungen.<br />
Anfangs wird jedes System begründet und differenziert gemäß<br />
seiner spezifischen Logik. Zum Beispiel wird das strukturelle<br />
Skelett entlang seiner vertikalen Achse differenziert<br />
gemäß der differentiellen Kräfteverteilung, die aus den ver-<br />
ZHA – wie in der Tat der<br />
Großteil der zeitgenössischen<br />
Avantgarde – hat sich<br />
lange gegen das Entwerfen<br />
von Hochhäusern gewehrt.<br />
6 | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | Zaha Hadid Architects
tikalen Eigengewichten sowie den horizontalen Windlasten<br />
resultiert. Die Hülle wird vorrangig entlang ihres Umfangs<br />
differenziert, gemäß ihrer differentiellen Exponiertheit<br />
gegenüber Umweltfaktoren wie Sonnenlicht, Temperatur,<br />
Wind usw. Allerdings wird die jeweilige innere Differenzierung<br />
des Subsystems dann im Weiteren überformt von ihrer<br />
Anpassung an die Differenzierungen der anderen Subsysteme.<br />
Auf diese Weise akzentuieren die Subsysteme gegenseitig<br />
ihre Differenzierung – sie bilden sich gegenseitig ab. Der<br />
Begriff der Abbildung greift hier in seiner Doppeldeutigkeit<br />
als Spiegelung und als mathematische Funktion: Die mathematische<br />
Abbildung soll hier anschaulich werden. Das<br />
ist ein wesentlicher Programmpunkt des Parametrismus.<br />
Der parametrische Turm ist komplex differenziert. Diese<br />
Komplexität/Differenzierung ist regelbestimmt. Sie basiert<br />
auf einer systematischen Reihe gesetzmäßiger Korrelationen,<br />
die zwischen den Elementen und Subsystemen definiert sind.<br />
Diese Wechselbeziehungen stellen einen sichtbaren Zusammenhang<br />
und eine Einheit über die verschiedenen Systeme<br />
her. Es ist das Gefühl der regelbestimmten Komplexität, die<br />
dieses Werk angleicht an organische Systeme, bei denen alle<br />
Formen das Ergebnis der interagierenden Kräfte sind. Genau<br />
wie organische Systeme können parametrische Kompositionen<br />
nicht einfach in unabhängige Teile zerlegt werden – ein<br />
bedeutender Punkt im Vergleich zum modernen Beharren<br />
auf der scharfen Trennung und der Gleichgültigkeit der Teile.<br />
Die Grenze der Rationalität des Modernismus wird deutlich,<br />
wenn wir die moderne Typologie der Tragsysteme analysieren.<br />
Mit zunehmender Höhe und Schlankheit der Türme<br />
muss das Tragsystem auf die erhöhten Stabilitätsanforderungen<br />
reagieren. Die moderne Tragwerkslehre postuliert<br />
eine geordnete Reihe struktureller Systeme in Abhängigkeit<br />
von den Schlüsselparametern Höhe und Schlankheit. Auf der<br />
untersten Anforderungsstufe wird Stabilität mittels eines<br />
zentralen Kerns garantiert, dann mittels eines Kerns im<br />
Verbund mit Auslegerstützen und schließlich mittels einer<br />
tragenden Röhre. Das Problem ist, dass die A-priori-Annahme<br />
eines homogenen, repetitiven Systems unhinterfragt<br />
vorausgesetzt ist. Die Möglichkeit der graduellen, internen<br />
Systemdifferenzierung bleibt von den Überlegungen ausgeschlossen.<br />
Kontinuierliche Systemdifferenzierung schien im<br />
Zeitalter der Fordistischen Massenproduktion undenkbar zu<br />
sein. Laut der modernen Tragwerkslehre soll ein Hochhaus<br />
bis zu einem gewissen Schlankheitsgrad ohne Röhrenwirkung<br />
auskommen. Jenseits dieses Grenzwertes soll dann der<br />
gesamte Turm als Röhre konstruiert werden, durchgängig<br />
vom Boden bis zur Spitze. Dies ist offensichtlich unlogisch,<br />
irrational. Sobald wir den dogmatischen Ausschluss der Differenzierung<br />
überwinden, wird deutlich, dass die Röhrenwirkung<br />
nur am Boden des Hochhauses notwendig ist, wo<br />
die Momente am höchsten sind. Die angemessene, rationale<br />
Lösung der Aufgabe ist daher eine Systemdifferenzierung der<br />
Turmstruktur entlang der vertikalen Achse. Das führt zu einem<br />
„Phasenwechsel“ im Tragsystem des Turms.<br />
Dancing Towers Dubai | ZHA<br />
Parametric Tower Research | ZHA<br />
Die von mir entwickelte Hochhaus-Forschung – sowohl bei<br />
ZHA als auch bei AADRL – geht von einer radikalen Prämisse<br />
aus: Das Tragsystem des Proto-Hochhauses soll als Skelett<br />
(Netz) aus rein linearen Elementen gestaltet sein, dessen Stabilität<br />
nicht auf einen massiven Kern angewiesen ist. Es geht<br />
mir dabei darum, das Tragsystem in seiner Tragfunktion von<br />
allen anderen Systemen zu isolieren. Selbst die Geschosse sollten<br />
nicht als Teil des Tragsystems betrachtet werden. Sowohl<br />
das System der beziehbaren Flächen als auch das Navigationssystem<br />
sind damit von der Bürde befreit, zur Stabilität<br />
des Turms beitragen zu müssen. Der traditionelle Kern wird<br />
damit zur Disposition gestellt. Diese radikale These der Monofunktionalität<br />
der Systeme ist entscheidend, um das stereotype<br />
Turm-Schema aufzubrechen. Jedes System muss zunächst<br />
seine eigene, einzigartige Prägung in Übereinstimmung mit<br />
Parametric Tower Research | ZHA<br />
Parametric Tower Research | ZHA<br />
Zaha Hadid Architects | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | 7
seiner exklusiven Funktionsverantwortlichkeit entwickeln.<br />
Das Skelett füllt das Volumen des Hochhauses mit einem<br />
strukturellen Netz. Die Aufzüge, Treppenhäuser und Rolltreppen<br />
dürfen danach durch die Lufträume „fliegen“, die sie<br />
innerhalb des Skeletts vorfinden. Geschosse können in das<br />
Skelett „hineinfallen“. Ihre Anordnung hängt ab von der gewünschten<br />
Raumkonfiguration. Das Geschoss-System „besiedelt“<br />
gleichsam das Skelett nach seiner eigenen Logik sowie in<br />
Übereinstimmung mit den Erfordernissen des sich kontinuierlich<br />
verändernden Skelettzustands. Das Geschoss-System<br />
deutet also das Skelett als vorgegebenes Universum der Möglichkeiten<br />
mit spezifischen Vorgaben und Freiheitsgraden. Es<br />
passt sich anhand von je zu definierenden Deutungsregeln an<br />
das Skelett an. Diese Dialektik funktionaler Differenzierung<br />
und korrelativer Adaptation erzeugt sowohl mehr Unabhängigkeit<br />
als auch mehr gegenseitige Abhängigkeit. Es schafft<br />
auch ein neues, riesiges Universum an Möglichkeiten für kreative<br />
Hochhauslösungen. Das Projekt ist konzipiert als eine<br />
Korrelationskaskade, die ursprünglich unabhängige Subsysteme<br />
vereinigt: Die Fassadenmuster-Artikulation korreliert<br />
mit dem Tragsystem, das wiederum mit der äußeren Form<br />
sowie mit den formabhängigen Lufträumen im Inneren korreliert<br />
etc. Das Ergebnis ist eine tiefer angelegte Relationalität.<br />
Die funktionale Isolierung der Systeme erschließt mehr Freiheitsgrade<br />
in allen Systemdimensionen. Der zweite Schritt<br />
der systeminternen, kontinuierlichen Differenzierung bringt<br />
sowohl technisch-funktionale Vorteilen, als auch Artikulations-<br />
und Orientierungsvorteile.<br />
Der dritte Schritt, die Methode der Korrelationen, ist zum<br />
einen technisch-funktional bedingt, im Sinne einer wechselseitigen,<br />
technisch-funktionalen Anpassung der Systeme.<br />
Darüber hinaus geht es uns dabei aber auch wesentlich um<br />
das wechselseitige Verdeutlichen und Veranschaulichen der<br />
Systeme. Die Abbildungsbeziehungen bieten sichtbare Anhaltspunkte,<br />
die zu systematischen Schlussfolgerungen über<br />
unsichtbare oder noch nicht sichtbare Aspekte des Gebäudes<br />
genutzt werden können. Das Gebilde ist hochgradig artikuliert,<br />
mit einer hohen Informationsdichte.<br />
Der Vorteil der Entflechtung von Konstruktion und Verkehrsströmen<br />
ist, dass die Verkehrssysteme nun zu einem Navigationssystem<br />
werden können, was visuelle Durchdringung<br />
und damit Orientierung bietet, statt in einem tragenden<br />
Kern eingeschlossen zu bleiben. Aufzüge können zu Panoramaaufzügen<br />
werden. Diese Möglichkeit der Navigation wird<br />
immer notwendiger, da der Turm nicht länger ein System der<br />
Wiederholung ist, bei dem alle Stockwerke das gleiche Programm<br />
bieten. Die Forschung unterstellt gemischt genutzte<br />
Hochhäuser, die viele unterschiedliche Veranstaltungsarten<br />
im gesamten Gebäude erlauben. Navigationsräume sind erforderlich,<br />
um diese Vielfalt für den möglichen Nutzer erfahrbar<br />
zu machen.<br />
Eine Definition der „Ordnung“ für moderne Architektur: Sehr<br />
allgemein ausgedrückt, kann Ordnung als das Gegenteil von<br />
Beliebigkeit verstanden werden. Diese sehr grundlegende<br />
Definition ist mein Ausgangspunkt. Während traditionelle<br />
Vorstellungen von Ordnung von einer handvoll vorgefasster,<br />
idealer Muster oder Schemata ausgingen, zum Beispiel der<br />
Ordnung, die durch Raster, Proportionen und Symmetrien<br />
vorgegeben wird, sind zeitgenössische Vorstellungen von<br />
Ordnung viel offener im Hinblick auf den Mechanismus, der<br />
Beliebigkeit einschränken könnte. Diese Mechanismen sind<br />
eher bestimmt vom Aufbau interner Abhängigkeitsverhältnisse<br />
zwischen Teilen als von den Abhängigkeiten der Teile<br />
von externen Schemata.<br />
Sowohl klassische als auch moderne Architekturen beschränken<br />
sich auf Kompositionen, die eine Handvoll vorgefasster,<br />
identifizierbarer Teile – geometrische Figuren wie Rechtecke<br />
Der Vorteil der Entflechtung<br />
von Konstruktion und<br />
Verkehrsströmen ist, dass<br />
die Verkehrssysteme nun zu<br />
einem Navigationssystem<br />
werden können.<br />
/ Würfel, Kreise / Zylinder / Halbkugeln und Dreiecke / Prismen<br />
/ Pyramiden – nach Maßgabe einfacher Beziehungen /<br />
Verfahren anordnen. Klassische Architektur nutzt Wiederholung,<br />
Symmetrie und Proportion. Die Moderne nutzt weniger<br />
Beschränkungen, ermöglicht Asymmetrie sowie gestreckte<br />
Proportionen ohne proportionale Koordination. Die Moderne<br />
erlaubt eine zunehmende Heterogenität innerhalb großer<br />
architektonischer Konfigurationen wie institutionellen Gebäuden<br />
oder Ensembles. Normalerweise werden orthogonale<br />
Beziehungen durchweg eingehalten sowohl in der globalen<br />
Konfiguration als auch in all ihren Teilen und Details. Modernes<br />
Design funktioniert durch die Trennung von Teilen und<br />
indem es zulässt, dass jedes Teil eine unabhängige Morphologie<br />
in Übereinstimmung mit seinen funktionalen Erfordernissen<br />
entwickelt. Innerhalb jedes abgetrennten Einzelteils<br />
der Komposition wird Wiederholung angewendet. Um diesen<br />
Kompositionen ein gewisses Gefühl von umfassender Einheit<br />
zu geben, nutzt die Moderne das vage Konzept des dynamischen<br />
Gleichgewichts.<br />
Moderne Kompositionen sind offener als klassische Kompositionen.<br />
In diesem Sinne können wir sagen, dass moderne<br />
Kompositionen weniger geordnet sind im Vergleich zu klassischen<br />
Kompositionen. Dieser Kurvenverlauf der abnehmenden<br />
Ordnung durch die Beseitigung von Einschränkungen<br />
setzt sich fort mit der Postmoderne und dem Dekonstruktivismus.<br />
Dekonstruktivismus beseitigt die Voraussetzung der<br />
Orthogonalität und erlaubt neue Schritte – wie das Überlappen<br />
geometrischer Figuren und die gegenseitige Durchdringung<br />
von unterschiedlichen Rastern – die beide das Repertoire<br />
ausweiten und damit die Vorhersehbarkeit von Design<br />
verringern. Mit Vorhersehbarkeit meinen wir hier zwei miteinander<br />
verbundene Aspekte: erstens die Vorhersehbarkeit des<br />
Designverlaufs einerseits und zweitens die Fähigkeit durch<br />
das Hindurchbewegen zu antizipieren wie sich das Gebäude<br />
fortsetzt. Die Vorhersehbarkeit der Konfiguration beruht auf<br />
dem Grad der Artikulation des architektonischen Gebildes.<br />
Wir können den folgenden Verlauf in der Stilgeschichte beobachten:<br />
Die sukzessive Ausweitung des Gestaltungsrepertoires,<br />
die ein neuer Stil errungen hatte, musste mit einem<br />
Rückgang an Ordnung und damit Navigierbarkeit in der gebauten<br />
Umwelt bezahlt werden. Es stellt sich die Frage, ob dieser<br />
Kompromiss unumgänglich ist oder ob es möglich ist, die<br />
notwendigen Zunahmen in der Vielfalt des architektonischen<br />
Gestaltungsrepertoires mit einer gleichzeitigen Zunahme an<br />
Ordnung zu verbinden.<br />
Unsere These besagt, dass der Parametrismus gerüstet ist, diesen<br />
simultanen Vormarsch von Vielseitigkeit und Ordnung<br />
zu vollbringen. Der Bezug auf Verständlichkeit/Navigierbarkeit<br />
ist notwendig, um das Konzept der Ordnung an eine<br />
funktionale Leistung zu binden. Allerdings verkompliziert<br />
dies die Sache. Es verwandelt das Konzept der Ordnung von<br />
einer Kategorie, die lediglich eine objektive Eigenschaft einer<br />
architektonischen Konfiguration beschreibt, in eine Kategorie,<br />
die eine Beziehung beschreibt, die zwischen einem architektonischen<br />
Artefakt und einem (sozialisierten) Nutzer/<br />
Betrachter besteht, der dieses Artefakt (Konfiguration) wahrnimmt<br />
und (hoffentlich) begreift. Das Konzept der Ordnung<br />
und Ordnungsgrade erhält dadurch einen objektiven und<br />
einen subjektiven Aspekt. Der objektive Aspekt ist Organisation<br />
innerhalb einer Konfiguration. Der subjektive Aspekt<br />
ist Artikulation innerhalb einer organisierten Konfiguration,<br />
d. h. inwieweit die Organisation von einer navigierenden<br />
/ betrachtenden Person wahrgenommen und verstanden<br />
werden kann.<br />
Im gleichen Maß, in dem Systemdifferenzierungen artikuliert<br />
und ablesbar werden, trägt ihre Organisation zur Erstellung<br />
einer architektonischen Ordnung bei. Zum Beispiel liefert die<br />
visuelle Differenzierung des Skeletts Hinweise darauf, ob man<br />
sich innerhalb eines Gebäudes relativ weit oben oder unten<br />
befindet, oder die sichtbare Differenzierung des Sonnenschutzes<br />
der Fassade entlang des Turmumfangs informiert<br />
über Himmelsrichtungen auch bei bedecktem Wetter oder<br />
bei Nacht. Wiederum: in dem Maße, in dem die Korrelation<br />
zwischen diesen beiden Subsystemen des Turms ablesbar ist,<br />
d. h. in dem Maße, in dem die Skelettdifferenzierung durch<br />
die Fassade scheint oder darüber hinaus durch die Fassade<br />
betont und offengelegt wird, in diesem Maße wird die Organisation<br />
zur Ordnung überhöht. In diesem Fall werden die<br />
Subsysteme, die an den vorgegebenen Korrelationen beteiligt<br />
sind, tatsächlich zu gegenseitigen Abbildungen. Ein parametrischer<br />
Entwurf verwandelt einen mehr oder weniger willkürlichen<br />
Anfang in eine aufwendige, komplexe Ordnung, die<br />
mit dem Fortschritt des Entwurfs mehr und mehr zu einer<br />
Notwendigkeit wird. In dem Maße, in dem dieses zunehmend<br />
organisatorisch gestraffte Netz der Korrelationen sich artikuliert<br />
und damit sichtbar wird, entsteht die Wirkung ehrfurchteinflößender<br />
Eleganz. 2<br />
1 Bei dieser Gruppe handelt es sich eher um eine wahre Forschergruppe als<br />
um eine Arbeitsgruppe aus Spezialisten. Die wesentlichen Mitwirkenden<br />
bei CODE sind u. a.: Nils Fischer, Shajay Bhooshan, Danilo Arsic, Suryansh<br />
Chandra, Goswin Rothenthal, Michael Grau, Mostafa El Sayed. Die Turm-<br />
Forschung wurde von Danilo Arsic betrieben.<br />
2<br />
Siehe: Patrik Schumacher, Arguing for Elegance, in: Elegance, AD (Architectural<br />
Design), January/February 2007, Herausgeber: Helen Castle,<br />
Gastherausgeber: Ali Rahim & Hina Jamelle<br />
8 | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | Zaha Hadid Architects
INTERVIEW<br />
Zaha Hadid & Patrik Schumacher (ZHA) im Gespräch<br />
In Zeiten gelegentlicher Orientierungslosigkeit machen Zaha Hadid und ihr Büropartner Patrik Schumacher deutlich,<br />
dass es auch anders geht. Mit ihrer Theorie des Parametrismus formulieren sie einen umfassenden und optimistischen<br />
Gestaltungsansatz. Im Gespräch mit Dr. Dietmar Danner verdeutlichen sie ihren Standpunkt und zeigen<br />
die Beziehungen zwischen den Megatrends Globalisierung und Ökologisierung und dem neuen Stil des<br />
Parametrismus auf.<br />
Zaha Hadid | Simone Cecchett<br />
DD: Schlägt man bei Wikipedia Parametrismus (Parametricism)<br />
nach, so findet sich dort immer noch eine Erläuterung<br />
über das „Erzeugen von Geometrien mithilfe von<br />
Parametern.“ Ist es Ihr Ehrgeiz, den von Ihnen ausgerufenen<br />
architektonischen Parametrismus eines Tages bei<br />
Wikipedia auf Platz eins zu positionieren?<br />
ZHA: Obwohl ich den Artikel nicht geschrieben habe,<br />
enthält der englische Wikipedia-Artikel zu „Parametricism“<br />
viele meiner Thesen. Das macht Mut. Aber Wikipedia<br />
ist mir weniger wichtig als die Expertendiskussion<br />
innerhalb des Architekturdiskurses.<br />
DD: Zu den aktuellsten und weltweit am heftigsten diskutierten<br />
Themen gehört derzeit die Forderung nach „nachhaltiger<br />
Architektur“, die sich entsprechender Konstruktionen<br />
und Materialien bedient. Inwiefern bietet Ihr Parametrismus<br />
darauf Antworten?<br />
ZHA: Der Parametrismus ist seinen Prinzipien und Methoden<br />
nach kongenial in Bezug auf das Programm einer nachhaltigen<br />
Architektur. Die parametrische Adaptionsfähigkeit<br />
des Parametrismus lässt sich insbesondere auch auf regional<br />
und saisonal variierende Klimaparameter anwenden. Wir<br />
postulieren eine morphologische und tektonische Differen-<br />
Patrik Schumacher | Alex Telfer<br />
ein temporäres Phänomen des Epochenumbruchs<br />
als eine permanente Eigenschaft der Welt von heute<br />
und morgen. Der Rest an permanenter Heterogenität<br />
kann von der erhöhten, inhärenten Vielgestaltigkeit<br />
des Parametrismus absorbiert und produktiv verarbeitet<br />
werden. Die Kohärenz des Parametrismus ist<br />
eine Kohärenz der abstrakten Prinzipien und Werte<br />
und nicht eine formale Gleichmacherei. Im Bann<br />
der Prinzipien des Parametrismus eröffnen sich neue,<br />
bisher ungeahnte Freiheitsgrade der Gestaltung und<br />
damit auch die Möglichkeit vieler weiterer subsidiärer<br />
Stile innerhalb des epochalen Stils des Parametrismus.<br />
DD: Nach dem vorläufigen Ende der Moderne in den<br />
80ern und dem Aus für die Postmoderne nur wenig später<br />
glaubte man schon an ein Ende aller „Ismen“. Sie fordern<br />
seit Jahren mit viel Einsatz in der öffentlichen Debatte den<br />
Parametrismus als neue globale Stilrichtung. Ist dies in<br />
einer heterogenen Welt noch zeitgemäß?<br />
ZHA: Ein guter Teil der Heterogenität der Welt, von<br />
der Sie sprechen, ist meiner Einschätzung nach eher<br />
Die Architektur des<br />
21. Jahrhunderts ist dezidiert<br />
eine Weltarchitektur.<br />
Zaha Hadid Architects | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | 9
zierung von urbanen und architektonischen Strukturen in<br />
Abhängigkeit von klimatisch-energetischen Parametern.<br />
Statt mit effizienteren Maschinen unter der Haube arbeiten<br />
wir mit der adaptiven Modulation der urbanen und architektonischen<br />
Form. Wir lernen dabei von den vorindustriellen<br />
Baustrukturen der Welt, die evolutionär eine erstaunliche<br />
baulich-materielle Klimaintelligenz entwickelt hatten, bevor<br />
mechanische Systeme diese Subtilitäten vom Markt fegten.<br />
Das heißt wir privilegieren passive Systeme. Die haben<br />
auch den großen Vorteil, dass diese Systeme und Parameter<br />
die Architektur morphologisch gesetzmässig weiter differenzieren<br />
und damit die Lesbarkeit und Navigierbarkeit der<br />
gebauten Umwelt erheblich steigern. Der Parametrismus ist<br />
in der Lage, diese verschüttete Intelligenz auf wissenschaftlicher<br />
Basis wiederzugewinnen und auf neue, subtile Weise<br />
gestalterisch zu verwerten, nicht zuletzt auch im Sinne einer<br />
neuen, hoch artikulierten, architektonischen Ordnung.<br />
DD: Lassen sich Herausforderungen wie „kultureller Regionalismus“<br />
in den Parametrismus integrieren? Oder hat der Parametrismus<br />
bewusst einen absoluten und globalen Anspruch?<br />
ZHA: Die Möglichkeit von Regionalismen ist im Parametrismus<br />
von vornherein mitgedacht. Regionale Variation ist<br />
Programm. Das stellt den Anspruch auf globale Relevanz<br />
nicht in Frage. Die parametrische Adaptionsfähigkeit des<br />
Parametrismus gilt für Kultur und Klima. Das heißt aber<br />
nicht, dass in den Regionen alles beim Alten bleiben kann.<br />
Die Architektur des 21. Jahrhunderts ist (mehr noch als die<br />
Architektur des 20. Jahrhunderts) dezidiert eine Weltarchitektur.<br />
Jeder beobachtet jeden. Parametrismus ist revolutionäre<br />
Erneuerung der Weltarchitektur nach abstrakten,<br />
universal gültigen Prinzipien im Sinne der Prinzipien der<br />
Differenziering und Korrelation. Das schließt eine erhöhte<br />
Sensitivität in Bezug auf diverse Kontexte ein. Nur<br />
wenn man glaubt, dass manche Regionen absolut und ausnahmslos<br />
rückständig sind, kann man glauben, dass dort<br />
der Parametrismus unangebracht ist. Meine Erfahrung ist<br />
aber, dass in allen Teilen der globalisierten Weltgesellschaft<br />
(progressive) Aspekte der post-fordistischen, vernetzten<br />
Gesellschaft zu finden sind und deshalb keine Ecke der<br />
Welt vom Fortschritt der globalen Best Practice, die der Parametrismus<br />
in der Architektur darstellt, ausgeschlossen<br />
werden sollte. Der Iran ist ein gutes Beispiel dafür. Die heranwachsende<br />
Generation von iranischen Architekten hat<br />
sich zu einem guten Teil dem Forschungsprogramm des<br />
Parametrismus verschrieben.<br />
DD: Einige Kritiker warfen Ihnen in der Vergangenheit vor, die<br />
Baugeschichte zu verkürzen und offensichtliche Vorläufer wie<br />
Mendelsohn oder Scharoun zu ignorieren? Haben Sie diese<br />
übersehen – oder sehen Sie sich nicht in dieser baugeschichtlichen<br />
Abfolge?<br />
ZHA: Mendelsohn und Scharoun sind wichtige Referenzpunkte.<br />
Das Gleiche gilt für Niemeyer. Man muss allerdings<br />
zwischen Regel und Ausnahme unterscheiden, wenn man<br />
epochale Stile definieren will. Scharouns Werk war eine Ausnahme,<br />
die den Dekonstruktivismus (nicht aber den Parametrismus)<br />
antizipiert hatte. Frei Otto war der einzige echte<br />
Vorreiter des Parametrismus.<br />
DD: Sie beklagen, dass sich Hochhäuser noch immer der<br />
konzeptionellen Weiterentwicklung verweigern und nach<br />
rein quantitativen (also wirtschaftlichen) Gesichtspunkten<br />
entworfen und bewertet werden. Hochhäuser zählen tatsächlich<br />
zu den teuersten und zugleich kommerziellsten Bauten.<br />
Handelt es sich hier nicht um den falschen, weil schwierigsten<br />
Ansatz, Ihre Parametrische Architektur in der Praxis zu erproben?<br />
Wären öffentliche Bauten wie Museen oder Konzerthäuser<br />
nicht geeigneter?<br />
ZHA: In der Tat, Museen (insbesondere Museen für Gegenwartskunst)<br />
und öffentliche Kulturbauten generell sind Als solchefunktioniert sie mittels ihrer Ästhetik, d. h. mittels<br />
nikation und ist selber eine Form von Kommunikation.<br />
aufgrund mehrerer Gesichtspunkte ideale Vehikel für die ihrer Sichtbarkeit, Lesbarkeit, Atmosphäre und Attraktivität.<br />
experimentelle Erarbeitung und Verbreitung neuer Architekturstile.<br />
Öffentliche Kulturbauten erreichen meist höhere<br />
Budgets als kommerzielle Projekte. Kunstbauten sind von Ordnung und gleichzeitiger Vielseitigkeit. Und Sie merken<br />
DD: Sie beschreiben in Ihrem Grundlagentext das Verhältnis<br />
oft freier in ihren Anforderungen als andere Bauten. Dazu an, dass der sozialisierte Nutzer diese Bauten „(hoffentlich)“<br />
kommt eine positive Erwartungshaltung und Neugier in der begreift. Ist die architektonische Ordnung bereits abgekoppelt<br />
Öffentlichkeit. Ein öffentlicher Kulturbau ist eine gute Gelegenheiten<br />
für Architektur mit Manifestcharakter. Hier wird zialisierten Zustand zu begreifen, oder vollzieht die Architektur<br />
vom Nutzer und seinen Möglichkeiten, diese auch im nichtso-<br />
architektonische Innovation erwartet, wahrgenommen und lediglich eine Entwicklung nach, die in der breiten Massenkultur<br />
des Internets schon längst gelebt wird.<br />
diskutiert. Kulturbauten sind deshalb für die Architektur besonders<br />
wichtig und als Einstieg in die Verwirklichung von<br />
neuen Stilen besonders geeignet. Dabei kann es allerdings ZHA: In meinem Buch und theoretischen Hauptwerk „The<br />
nicht bleiben, wenn es um die Möglichkeit eines epochalen Autopoiesis of Architecture“ schlage ich vor, dass die Architektur<br />
– verstanden als akademische Diziplin und Profes-<br />
Stils geht. Da der Anspruch des Parametrismus nicht nur<br />
global, sondern auch universal ist – muss der Stil seine Vorteile<br />
und potenzielle Überlegenheit in allen Gebäudekatego-<br />
sollte, und zwar entlang der drei Dimensionen von Organision<br />
– sich mit neuen theoretischen Ressourcen aufrüsten<br />
rien und für alle Lebensbereiche unter Beweis stellen. Das sation, Phänomenologie und Semiologie. Dem entspricht<br />
inkludiert auch die Kategorie des Hochhauses.<br />
die Tatsache, dass Architektur in dreifacher Hinsicht für<br />
und mit uns funktionieren muss: für uns als sich durch den<br />
DD: Schon vor Jahren versuchte Foster, die traditionelle Hochhausstruktur<br />
aufzulösen. In Deutschland am bekanntesten jekte und für uns als sozialisierte, kommunikative Akteure.<br />
Raum bewegende Körper, für uns als wahrnehmende Sub-<br />
sind die Himmelsgärten des Commerzbank-Turms in Frankfurt<br />
– in dem durchaus völlig neue innenräumlichen Or-<br />
von Körpern. Es muss Artikulation hinzukommen, sowohl<br />
Ordnung involviert mehr als nur die physische Organisation<br />
ganisationen erprobt wurden. Ist dieser Foster-Versuch für phänomenologische als auch semiologische Artikulation.<br />
Sie gescheitert?<br />
Deshalb lässt sich in meinem System die architektonische<br />
Frei Otto war der<br />
einzige echte Vorreiter<br />
des Parametrismus.<br />
ZHA: Nein, dieses Projekt zeigt Möglichkeiten auf, die wir auf Ordnung nicht vom Nutzer abkoppeln. Der Nutzer ist immer<br />
parametristischer Grundlage weiterentwickeln wollen. Das vorausgesetzt, sowohl als (vor-sozialisiertes) wahrnehmendes<br />
Subjekt als auch als sozialisierter Akteur. Auffälligkeit<br />
Gleiche gilt für Fosters Entwurf der Hong Kong and Shanghai<br />
Bank sowie für seinen Entwurf für Swiss Re in London. für unsere Wahrnehmungskapazität ist Voraussetzung für<br />
John Portmans fantastische Atrien sind gleichfalls wichtige Lesbarkeit. Sozialisierung in Hinsicht auf semiotische Deutungssysteme<br />
muss in allen komplexeren Gebilden hinzu-<br />
Referenzpunkte unserer Hochhausforschung. Wir wollen<br />
allerdings noch mehr Komplexität, mehr Differenzierung kommen.<br />
und eine Intensivierung der internen und externen Beziehungen.<br />
Alles soll mit allem kommunizieren.<br />
DD: Ihr Parametrismus habe das Zeug dazu – sagen Sie – eine<br />
neue „architektonische Ordnung“ entstehen zu lassen. Verabschieden<br />
Sie sich damit endgültig von der einstigen Rolle in<br />
DD: Sie erforschen unter anderem völlig neue Konstruktionsweisen<br />
für Hochhäuser und kommen zum Ergebnis, die der einsamen Avantgarde?<br />
traditionellen Hochhauskerne durch Skelette abzulösen,<br />
Konstruktion und Zirkulation wieder zu trennen. Ergibt sich ZHA: Die Ambition kann nicht ausbleiben. Eine Avantgarde,<br />
dadurch eine Einschränkung im ewigen Wettstreit um das die nicht den Mainstream erobern kann oder will, ist keine<br />
höchste Gebäude?<br />
Avantgarde. Ohne Nachhut keine Vorhut.<br />
ZHA: Das mag sein. Dieser Wettlauf interessiert uns allerdings<br />
auch gar nicht. Das hat mit Architektur nichts zu tun.<br />
DD: Der entscheidende Vorteil Ihrer Grundlagenforschungen<br />
im Hochhausbau ist die wiedergewonnene gestalterische Freiheit.<br />
Wofür soll diese Freiheit genutzt werden? Geht es Ihnen<br />
ausschließlich um Ästhetik?<br />
ZHA: Ästhetik ist wichtig, aber es geht uns keinesfalls nur<br />
um Ästhetik. Letztendlich kann es in der Architektur nur<br />
um die Ordnung von Lebensprozessen gehen. Ästhetik ist<br />
insofern involviert, als es sich bei diesen Lebensprozessen<br />
immer im Wesentlichen um gesellschaftliche Kommunikation<br />
handelt. Architektur rahmt soziale Kommu-<br />
Parametric Tower Research | ZHA<br />
10 | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | Zaha Hadid Architects
Zaha Hadid Architects | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | 11
EINE FRAGE AN ZAHA<br />
Von Architekten, Journalisten und Kulturschaffenden<br />
„Welche Frage würden Sie Zaha Hadid<br />
stellen, wenn sich Ihnen eine Möglichkeit<br />
bieten würde?“ Für diese Ausgabe<br />
der <strong>AIT</strong>hesen haben wir elf ausgewählten<br />
Persönlichkeiten die Möglichkeit gegeben,<br />
ihre persönliche „Frage an Zaha“<br />
zu formulieren. Nicht alle Fragen wurden<br />
direkt beantwortet. Indirekt geschah dies<br />
jedoch durchaus. Deshalb empfehlen wir<br />
die Lektüre dieser Antworten und bedanken<br />
uns bei allen Fragestellern.<br />
Ihre frühen Entwürfe leiteten sich aus<br />
bemerkenswerten Zeichnungen ab und<br />
haben in vielerlei Hinsicht die digitale<br />
Revolution mit ihren überdehnten Perspektiven<br />
und den mit Zeitrafferaufnahmen<br />
vergleichbaren, gefrorenen Einstellungen<br />
vorweggenommen. Ihr Büro hat<br />
das Digitale in den letzten 20 Jahren mehr<br />
und mehr für sich vereinnahmt – hat der<br />
gerade stattfindende Durchbruch der parametrischen<br />
Entwurfswerkzeuge Ihre<br />
Architektur von den herrschenden Beschränkungen<br />
hinsichtlich der Komplexität<br />
und Baubarkeit befreit?<br />
Tobias Walliser, LAVA, Stuttgart<br />
Meine eigene Arbeit wurde zu Beginn von der frühen russischen<br />
Avantgarde inspiriert, besonders beschäftigte mich<br />
das Werk Kasimir Malewitschs. Seine Arbeit machte aus<br />
der Abstraktion ein investigatives Prinzip, das kreatives<br />
Arbeiten antreibt und zu verschlossenen Sphären vordringen<br />
lässt. Er war ein Vorreiter der Abstraktion und durch<br />
seine bahnbrechenden tektonischen Skulpturen auch im<br />
Verknüpfen von abstrakter Kunst und Architektur. Jedoch<br />
waren seine Skulpturen in ihrer geometrischen Erscheinung<br />
nicht in dem Maße frei wie seine Malerei. Sie blieben in den<br />
strikten, orthogonalen Prinzipien der Verbindung kubischer<br />
Körper und Flächen stecken. Diese kubistischen Einschränkungen<br />
sind für die moderne Architektur in Russland und<br />
auch sonst charakteristisch.<br />
Meine Arbeit hat bei diesen einschränkenden Prinzipien<br />
angesetzt. Ich begann den gekrümmten und schwerelosen<br />
Raum der russischen Avantgardemalerei und Bildhauerei<br />
in eine mir eigene Architektursprache zu übersetzen. Ein<br />
Ergebnis meiner Faszination an der russischen Malerei war<br />
auch, dass ich die Malerei als Entwurfswerkzeug einsetzte.<br />
Sie wurde der erste Bereich räumlicher Intervention. Das<br />
traditionelle Wesen der Architekturzeichnung, das zur damaligen<br />
Zeit vorhanden war, schränkte mich ein, und ich<br />
suchte nach einer neuen Möglichkeit der Darstellung. Malewitschs<br />
Werk führte zu einer Phase des intensiven Experimentierens,<br />
sowohl was die Form als auch die Bewegung<br />
anging, was sich zu unserem Anspruch, eine neue Architektursprache<br />
zu kreieren, entwickelte. Für mich ist klar, dass<br />
die russischen Avantgardisten – im besonderen Malewitsch<br />
– auch Kenntnis von arabischen Kalligraphien hatten. Das,<br />
was man davon in heutigen Plänen wiedererkennt, ist ebenfalls<br />
mit der Idee der Dekonstruktion und Fragmentierung<br />
des Raumes verbunden.<br />
Während der Wirtschaftskrise der 1970er-Jahre, als kaum<br />
Arbeit für Architekten vorhanden war, haben wir sehr<br />
viele Zeichnungen produziert. Diese wurden als Papierarchitektur<br />
kritisiert – als ob wir uns nicht mit der realen<br />
Welt auseinandersetzen wollten oder keine Ahnung<br />
von Hausbau hätten. Aber für uns war es eine wichtige<br />
Phase. Die 1970er-Jahre waren eine entscheidende Zeit<br />
unserer Untersuchungen und unterstützten die Entwicklung<br />
der folgenden dreißig Jahre. Es haftet dieser theoretischen<br />
Arbeit aber ein gewisses Stigma an, da wir kaum<br />
etwas realisieren konnten – dies trübt eventuell die öffentliche<br />
Wahrnehmung. Dennoch war es eine fruchtbare<br />
Arbeit und die Studien halfen, die erstaunlichen Fortschritte<br />
in Architektur und Konstruktion heutzutage zu<br />
verwirklichen.<br />
Im Jahre 2008 veröffentlichten wir das Konzept des Parametrismus,<br />
das davon ausgeht, dass alle Elemente der Architektur<br />
in Zusammenhängen gestaltbar sind und sich<br />
durch computerbasiertes Arbeiten aneinander und an<br />
den Kontext anpassen lassen. Dies führt zu einer Verdichtung<br />
der Beziehungen innerhalb des Gebäudes und dem<br />
umgebenden Kontext. Konzeptionell und formal ist der<br />
Parametrismus in der Lage, architektonische Neuerungen<br />
zu formulieren, die der postfordistischen Netzwerkgesellschaft<br />
entsprechen.<br />
Sie sind Pritzker-Preisträgerin, darüber<br />
hinaus vielfach ausgezeichnet und haben<br />
zuletzt den UNESCO-Preis „Künstlerin für<br />
Frieden“ erhalten. Gibt es eine UNESCO-<br />
Welterbestätte, mit der Sie sich gerne baulich<br />
auseinandersetzen würden? Welche<br />
wäre diese?<br />
Axel Streitberger, Stadtbaudirektor Köln<br />
Diese Frage wurde nicht beantwortet.<br />
Warum sind alle Ihre Konzeptionen auf<br />
der Flucht? Die Kraft der Bewegung Ihrer<br />
Bauwerke ist bestechend. Ist es das „pantha<br />
rei“ oder die „Emotion der Flucht“, die<br />
Sie inspiriert?<br />
Reiner Kresing, Kresings, Münster<br />
Für mich war schon immer interessant zu sehen, wie die<br />
Bewegung die Architektur beeinflusst. Ähnlich wie sich die<br />
Einzelbilder zu einem Film zusammensetzen und somit aus<br />
verschiedenen Blickwinkeln eine komplexe Sicht entsteht.<br />
Unsere Wahrnehmung lässt sich nicht festlegen – wir sehen<br />
die Welt aus verschiedensten Perspektiven und niemals von<br />
einem einzelnen Standpunkt aus!<br />
Eine Aufgabe, die ich mir selbst gestellt habe, war die Weiterführung<br />
des unbeendeten Projekts der Moderne, indem<br />
ich die Methoden der frühen Avantgarden wie Schichtung<br />
und Fragmentierung, radikalisiert habe. Meine Arbeit betraf<br />
vor allem die Aktivierung der Erdgeschosszone. Diese besitzt<br />
das größte städtische Potential, wurde aber von der traditionellen<br />
Architektur vernachlässigt. Es ist von entscheidender<br />
Bedeutung die Erdgeschossebene zu öffnen und<br />
zu erweitern. Dies geschieht mit dem Konzept der künstlichen<br />
Landschaft, dass die Erdgeschossebene mit Aktivitäten<br />
durchdringt ohne das die fließende und nahtlose städtische<br />
Geometrie zerstört wird.<br />
Ich bin fasziniert von den Ideen der ersten Modernen. Nehmen<br />
wir zum Beispiel die neo-corbusianischen Scheiben<br />
und Blöcke der Tecton Gruppe in London. Sie sind großmaßstäblich<br />
Fragmente einer unbeendeten Intervention, welche<br />
die bestehende Stadt ersetzen sollte. Das Unvollendete interessiert<br />
mich daran. Sie stehen für den Beginn der Idee, wie<br />
die Geometrie der Stadt die städtischen Aktivitäten durch<br />
Straßen und Hausform vorgibt. Der Modernismus hat das<br />
Erdgeschossniveau durch dessen Aufstockung den Schafen<br />
preisgegeben. Wir müssen zurück auf die Erde, müssen<br />
sie studieren, müssen lernen, wie wir sie als Erlebnisraum<br />
gestalten und dies nicht nur in formaler, sondern auch in<br />
programmatischer Hinsicht. In meinen Experimenten habe<br />
ich versucht, durch die Setzung umfangreicher, programmatischer<br />
Strukturen diesen Raum zu nutzen und die Barrierenfunktion<br />
abzubauen. Von meinen ersten Projekten<br />
an der Architectural Association bis zu den Projekten an denen<br />
wir heute arbeiten – Hochhäuser, öffentliche Bauten,<br />
Wohnanlagen – ist die Beziehung zum Bodenniveau wichtig<br />
geblieben. Das Konzept der Fragmentierung und die Ideen<br />
von Abstraktion und (Auf-)Sprengung waren entscheidend<br />
für meine Arbeit, in der wir die Konzepte der Wiederholung<br />
und Massenproduktion dekonstruiert haben. Nicht nur das<br />
Brechen der Regeln war entscheidend, sondern das Verlassen<br />
der Gesetzmäßigkeiten von Wiederholung und Massenproduktion,<br />
die wir von der Moderne und ihren Vorläufern<br />
übernommen haben.<br />
Was flüstert Ihnen die Stadt am Abend zu?<br />
Prof. Dr. Elisabeth Merk, Stadtbaudirektorin München<br />
Ich denke, dass in den vergangenen Jahren eine negative<br />
Entwicklung hin zu abgeschirmten, privatisierten Bereichen<br />
innerhalb der Stadt erfolgte. Allerdings versuchen die<br />
Menschen seit mehr als 300 Jahren auf unterschiedlichen<br />
Wegen, durch das Schaffen von Parks und öffentlich zugänglicher<br />
Bereiche, die jedermann ermöglichen sie zu besetzen,<br />
die Stadt zu öffnen, sie poröser und zugänglicher zu machen.<br />
Geschlossene Bereiche – ähnlich dem Kreml – zu errichten<br />
ist ein Rückschritt. Wir müssen darauf reagieren, denn diese<br />
12 | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | Zaha Hadid Architects
Entwicklung führt zum Phänomen der Gated Communities,<br />
was eine sehr rückständige Form des Zusammenlebens<br />
darstellt.<br />
Im Gegensatz zu früher nutzen wir die Stadt heute auf andere<br />
Art. Die Organisation hat sich durch den Verlust der<br />
homogenen Einwohnerstruktur geändert. Heute findet<br />
man in Städten eine Fülle von Lebensweisen und Einflüssen,<br />
genauso wie eine veränderte Einstellung zum Leben.<br />
Die „eine“ Typologie ist verschwunden und ich denke,<br />
dass dieser Umstand die Art des Wohnens stark verändert<br />
hat. Als Architekt hat man es nun mit einer Vielzahl unterschiedlicher<br />
Bauherren zu tun, die keine homogene<br />
Gruppe mehr darstellen und dies schafft eine Vielzahl<br />
räumlicher Lösungen.<br />
Heutzutage wollen die Menschen ein Raum-Erlebnis. Die<br />
Gebäude sollen nicht mehr nur aus einer Art von Räumen<br />
bestehen, sondern aus einer Ansammlung verschiedenartiger<br />
Räume. Es ist auch interessant zu sehen, wie sich<br />
Menschen heutzutage begegnen, wo sie sich niederlassen<br />
und wo sie sich in öffentlichen Bereichen treffen. Die Benutzungshierarchie<br />
der Räume hat sich aufgelöst. Kulturelle<br />
und öffentliche Bereich sind besonders wichtig für<br />
eine Stadt. Und das gilt auch für Hochhäuser, unabhängig<br />
davon, ob sie eine offene Struktur haben oder nicht. Wichtig<br />
sind auch verschiedenartige soziale Bereiche, in denen<br />
sich Menschen treffen und verlieren können und in denen<br />
Ereignisse stattfinden. Diese kulturellen Bereiche sind entscheidend<br />
und deshalb müssen sie von Städten gefördert<br />
werden. Gärten, Parks, Kunstbetriebe und Sportanlagen<br />
sind ausschlaggebende Faktoren, die städtisches Leben<br />
und Stadt überhaupt ermöglichen. Natürlich dürfen wir<br />
darüber hinaus das Wohnen, die Schulen, Büros und Geschäftshäuser<br />
nicht vergessen. Und dieser Umstand rückt<br />
hybride Strukturen in den Fokus. Die klassische Zonierung<br />
des Lebens – man lebt hier, arbeitet dort und vergnügt sich<br />
irgendwo ganz anders – muss überwunden werden.<br />
In dem man die Funktionen an einem Ort überlagert, verändert<br />
sich die Art, wie wir die Stadt wahrnehmen. Das<br />
verbindende Element sind dabei die „sozialen“ Räume.<br />
Egal, ob ein Opernhaus, eine Kultureinrichtung oder eine<br />
Tanzschule, diese Programme aktivieren die Erdgeschossebene<br />
und sind, was ihre Wichtigkeit betont, für jedermann<br />
zugänglich. Dieser Schritt überwindet die Trennung der<br />
räumlichen Bereiche aus der Stadtplanung des 20. Jahrhunderts.<br />
Mich würde interessieren, wie Sie Ihre<br />
Entscheidung getroffen haben, Architektin<br />
zu werden. Gibt es einen bewussten<br />
Moment, der diese Entscheidung hervorgerufen<br />
hat, oder ist es eine stetige Entwicklung<br />
gewesen?<br />
Christoph Monschein, Hollein Architekten, Wien<br />
Für meine Entwicklung als Architektin waren die Ideale<br />
meiner Erziehung ausschlaggebend. Mein Vater war fortschrittlich<br />
und weltgewandt und in meiner Heimat Bagdad<br />
war damals ein starker Einfluss der modernistischen<br />
Ideen zu spüren, was in den Gebäuden von Frank Lloyd<br />
Wright und Gio Ponti seinen Ausdruck fand, die beide dort<br />
gebaut hatten.<br />
Wie in anderen Entwicklungsländern herrschte zur damaligen<br />
Zeit ein ungebrochener Glaube in den Fortschritt und<br />
ein Gefühl des Optimismus. Die 1960er-Jahre in denen ich<br />
aufwuchs, waren die Jahre der Staatengründungen, die<br />
sich mit einem Glauben an die Architektur verbanden und<br />
dies nicht nur in der arabischen Welt, sondern ebenso in<br />
Südamerika und Asien. Man kann in dieser Wiederkehr des<br />
Städtischen Parallelen zur Situation Heute ausmachen. Die<br />
Ideale der damaligen Zeit – Veränderung, Befreiung und persönliche<br />
Freiheit waren maßgeblich für meine Entwicklung.<br />
Die Generation meines Vaters brach ins Ausland auf. Er<br />
selbst studierte bei Fabian und Laskian an der London School<br />
of Economics und überall waren die sozialen Veränderungen<br />
spürbar, was auch für mich von Bedeutung war. Diese Dinge<br />
haben mich beeinflusst, meine Erziehung war in jeder Hinsicht<br />
prägend. In meiner Kindheit reist ich jeden Sommer<br />
mit meinen Eltern nach Europa und meinem Vater lag sehr<br />
daran, dass ich jedes Museum, jeden Palast und jede Kathedrale,<br />
die erreichbar waren, erkundete. Einmal besuchten wir<br />
die große Moschee von Cordoba – für eine Siebenjährige der<br />
großartigste Raum überhaupt. Natürlich war es nur einer<br />
von vielen beeindruckenden Räumen, aber dieser hinterließ<br />
in mir den bleibendsten Eindruck.<br />
Bevor ich nach London ging, studierte ich an der amerikanischen<br />
Universität von Beirut Mathematik, was mein<br />
Interesse an der Geometrie weckte. Ich begriff, das eine<br />
Verbindung zwischen mathematischer Logik, Abstraktion<br />
und Architektur bestand. Geometrie und Architektur sind<br />
stark miteinander verknüpft, heute noch mehr als früher.<br />
Es dauerte dennoch bis zu meinem vierten Jahr an der Architectural<br />
Association bis ich mir im Klaren darüber war,<br />
auf was meine Arbeit hinauslaufen sollte. Aber dann wurde<br />
die Welt der Architektur für mich spannend und aufregend.<br />
Der wunderbare Alvin Boyarsky – der während meiner Zeit<br />
als Student und Lehrer der Architectural Association vorstand<br />
– gab mir erstmals die Gelegenheit meine Ideen zu<br />
präsentieren. Und Rem Koolhaas und Elia Zenghelis waren<br />
wichtige Lehrer für mich. Ihr Wissen und Enthusiasmus<br />
befeuerten meinen Ehrgeiz, und sie zeigten mir, dass man<br />
den eigenen Ideen, mochten sie noch so absurd erscheinen,<br />
Glauben schenken sollte.<br />
Friedrich Schiller hat Goethes Gedanken<br />
über Architektur 1795 wie folgt zusammengefasst:<br />
“Der schöne Architekt arbeitet<br />
wie der Dichter für den Idealmenschen,<br />
der in keinem bestimmten, folglich auch<br />
keinem bedürftigen Zustand sich befindet,<br />
also sind alle architektonischen Werke<br />
nur Annäherungen zu diesem Zweck.“<br />
Sind Sie eine „schöne“ Architektin und ist<br />
Ihre Architektur Poesie? Wenn ja, wie weit<br />
nähert sich Ihre Architektur diesem von<br />
Goethe auch als „höchstem Zweck“ der Architektur<br />
bezeichneten Ideal?<br />
Prof. Dr. Klaus Jan-Philipp, Universität Stuttgart<br />
Diese Frage wurde nicht beantwortet.<br />
Welche Bilder der Stadt und ihrer Architektur<br />
sind Ihnen bei den Besuchen in<br />
Rom als Kind in Erinnerung geblieben<br />
und haben vielleicht sogar Ihr Architekturstudium<br />
beeinflusst?<br />
Sebastian Redecke, Bauwelt<br />
Ich halte die Porosität für die eindrücklichste Erfahrung.<br />
Diese Stadt ist voller vielfältiger Schichten und unerwarteter<br />
Schätze. Man kann eine Menge vom Rhythmus und der<br />
Energie dieser organisch gewachsenen Städte lernen. Städte<br />
brauchen Orte, an denen sich Dinge ausdehnen und zusammenziehen<br />
können. Ich bin überzeugt, dass man etwas<br />
schaffen muss, das dieses organische Wachstum ermöglicht.<br />
Ich denke auch nicht, dass Städte wie zum Beispiel Venedig<br />
nicht mehr weiter wachsen und unverändert bleiben sollten.<br />
Es ist wichtig, auf eine zeitgemäße Art gestalterisch tätig zu<br />
werden, allerdings muss man sehr exakt dabei vorgehen. Bei<br />
der spannenden Arbeit am MAXXI (Museo nazionale delle<br />
arti del XXI secolo) in Rom stellten wir fest, dass die Verbindung<br />
zu unserer eigentlichen Arbeitsweise spürbar wurde.<br />
Diese Stadt besteht aus unzähligen Schichten architektonischer<br />
Entwicklung, die sich aus dem Kontext heraus entwickelt<br />
haben. In diesem Sinne prägte der römische Kontext<br />
den Entwurf für das MAXXI. Diese Verbindung zwischen<br />
dem Bestehenden und unserem Entwurf schuf den Raum<br />
für die Überlagerungen, Schichtungen und die organische<br />
Erscheinung des MAXXI – ein Umstand der den Erfolg des<br />
Konzepts erklärbar macht. Dies ist jedoch in keiner Hinsicht<br />
ein willkürlicher Ansatz, vielmehr ist das MAXXI ein Urban<br />
Graft, etwas, das sich wie eine zweite Haut über das Grundstück<br />
legt. Dieser Ort hat uns in der Tat befreit.<br />
Ein häufig vorkommender Begriff in Zusammenhang<br />
mit Ihrer Arbeit ist das<br />
„Digital design“. Nützen sie diese Technik<br />
vorwiegend zur baulichen Umsetzung<br />
Ihrer expressiven „top down“ Entwürfe<br />
oder gibt es Ihrerseits auch Ansätze zum<br />
„bottom up“ Entwurfsprozess im Sinne<br />
Nicholas Negropontes „ soft architecture<br />
machine“?<br />
Martin Haller, Caramel Architekten, Wien<br />
Diese Frage wurde nicht beantwortet.<br />
Ist das nicht irgendwann ermüdend, immer<br />
den rechten Winkel zu bekämpfen?<br />
Woher nehmen Sie Ihre Kraft für diesen<br />
Kampf?<br />
Mike Meiré, Meiré und Meiré, Köln<br />
Ich bin davon überzeugt, dass Architektur eine Möglichkeit<br />
bietet, soziale Sachverhalte zu thematisieren. Die Gesellschaft<br />
verändert sich stetig – und ebenso müssen unsere<br />
Bauten neue Aspekte antizipieren, um die Bedürfnisse der<br />
Nutzer zu befriedigen. Die gesteigerte soziale Komplexität<br />
stellt die wichtigste Neuerung unserer Zeit dar und dies<br />
sollte auch in der Architektur ihren Niederschlag finden.<br />
Wir müssen die orthogonale und repetitive Architektur<br />
und Stadtplanung des 19. und 20. Jahrhunderts überwinden<br />
und Gebäude schaffen, die der Komplexität und den<br />
Ansprüchen der heutigen Gesellschaft entsprechen. Das<br />
Zusammenführen verschiedener Notwendigkeiten in einer<br />
Lösung hat meine Arbeit radikalisiert, eine Nicht-Euklidische-Geometrie<br />
entstehen lassen. Man fragt mich: „Wieso<br />
sehen wir keine geraden Linien, wieso keine 90° Winkel?“<br />
Und ich entgegne, dass das Leben nicht in ein Raster passt.<br />
Es kann spannend sein, ein Raster über ein Gelände zu legen,<br />
aber eine Landschaft ist nicht eben und regelmäßig. Und<br />
Menschen empfinden gerade diese Orte als natürlich und<br />
entspannend. Man kann das in Architektur und insbesondere<br />
auf öffentliche Gebäude übertragen, in denen die Bewegung<br />
von einem Ort zum anderen und das Zurechtfinden<br />
innerhalb des Gebäudes eine große Rolle spielt. Öffentliche<br />
Gebäude müssen nicht mehr wie in vergangenen Jahrhun-<br />
Zaha Hadid Architects | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | 13
derten linear strukturiert sein, der moderne öffentliche<br />
Raum ist nicht mehr strikt an einzelne Gebäude und Räume<br />
innerhalb dieser gebunden. Die Gliederung der Formen<br />
wird verräumlicht und ihr Inneres durchlässig. Der Raum<br />
fließt von Innen nach Aussen und durchdringt alles. Unsere<br />
Architektur gestaltet den Raum durch die Verbindung von<br />
Volumina und Ebenen in der dritten Dimension.<br />
Heutzutage hat die Gesellschaft einen neuen Grad der<br />
Komplexität erreicht, der nicht mehr einer Anordnung in<br />
orthogonalen Blöcken entspricht. In dieser Konsequenz arbeitet<br />
unsere Architektur mit neuen Konzepten, Logiken<br />
und Methoden. Der eine Raum wird durch ein sich ständig<br />
veränderndes Feld ersetzt.<br />
Dear Zaha, we‘d like to meet you again. Do<br />
you have time for a lecture at the Stuttgart<br />
State Academy of Art and Design next to<br />
the famous Weißenhofsiedlung next year<br />
Mark Blaschitz, Splitterwerk, Graz<br />
WERKSCHAU<br />
Ausgewählte Projekte in Deutschland<br />
Mit der Fertigstellung der Feuerwache für den Campus der Firma Vitra im<br />
Jahre 1993 manifestierten sich die Ideen Zaha Hadids zum ersten Mal in<br />
gebauter Architektur. Auch wenn die Stimmen, die der Architektin ihre<br />
Unbaubarkeit vorwarfen, nie komplett verstummten, bildete dieser Bau<br />
den Auftakt zu einer beispiellosen Serie aufsehenerregender Projekte<br />
rund um den Globus.<br />
Diese Frage wurde nicht beantwortet.<br />
Ihre gebauten Körper erfinden Sie selber –<br />
gibt es Vorbilder? Aus welcher Quelle speisen<br />
Sie Ihre Lust? Ist es die erotische Liebe<br />
zum Menschen oder zum Objekt?<br />
Jan Störmer, Störmer und Partner, <strong>Hamburg</strong><br />
Ich erinnere mich daran, dass es für mich eine einschneidende<br />
Erfahrung war, als ich damals vor Christos verhülltem<br />
Reichstag in Berlin stand. Tausende Menschen sangen<br />
und tanzten, sie hatten sich versammelt, um die Verhüllung<br />
dieses Gebäudes zu beobachten, weil es so außergewöhnlich<br />
war. Damals wurde mir bewusst, dass die Menschen<br />
durchaus empfänglich für andersartige Konzepte sind. Es<br />
war ein außergewöhnliches Ereignis von entscheidender<br />
Bedeutung, denn man war nicht nur von der Idee der Verhüllung<br />
begeistert, sondern auch davon wie es geschah und<br />
wie man aus etwas Vertrautem etwas Neuartiges entstehen<br />
lassen konnte – das schien den Menschen davor nicht bewusst<br />
gewesen zu sein.<br />
Feuerwehrhaus, Zaha Hadid | Olivo Barbieri © Vitra<br />
VITRA FEUERWACHE<br />
Ort: Weil am Rhein / Vitra Campus / Bauzeit: 1991 – 1993 /<br />
Bauherr: Vitra International AG / Fläche: 852 m²<br />
Mein Ziel war immer, einen fließenden, ebenenübergreifenden<br />
Raum zu schaffen. Wie ich vorhin bereits erwähnte<br />
,begann es mit der Abstraktion, der Gegenüberstellung und<br />
der Überlagerung, die wir auf Fläche und Volumen übertrugen.<br />
Es hat uns geholfen, dass wir begannen, mit sehr<br />
umfangreichen Programmen zu arbeiten - wir wollten weg<br />
von den Scheiben und Türmen mit den aufgeständerten<br />
Erdgeschossen und die Architektur als Landschaft denken.<br />
Eine künstliche Landschaft, die den Boden berührt, ohne ihr<br />
Programm und die Verbindungen innerhalb zu unterbrechen,<br />
die ultimative Auflösung der festen Grenzen.<br />
Ein Großteil unserer Arbeit gründet auf unserer zeichnerischen<br />
Arbeit, beeinflusst von Abstraktion, Geologie, Topographie<br />
und Archäologie. In letzter Zeit untersuchen wir in<br />
unserer Arbeit organische Formen, Zellen und den inneren<br />
Aufbau der Dinge, mit den Mitteln der Geometrie. Die Wissenschaft<br />
ist für uns eine ergiebige Inspirationsquelle, vor<br />
allem die Idee von Komplexität und Selbstorganisation, aus<br />
Physik und Biologie, die uns neue Wege aufgezeigt hat.<br />
Es hat uns sehr geholfen, diese Ideen zeichnerisch zu<br />
verarbeiten. Frei Ottos Formfindungsprozesse waren Teil<br />
dieser Revolution der Wissenschaft.<br />
Phaeno | Clemens Ortmeyer © phaeno<br />
PHAENO SCIENCE CENTER<br />
Ort: Wolfsburg / Bauzeit: 2000 – 2005 / Bauherr: Neulandgesellschaft mbH<br />
im Auftrag der Stadt Wolfsburg / Fläche: 27.000 m²<br />
Innenansicht des Zentralgebäudes | © BMW AG<br />
BMW ZENTRALGEBÄUDE<br />
Ort: Leipzig / Bauzeit: 2001 – 2005 / Bauherr: BMW AG / Fläche: 25.000 m²<br />
14 | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | Zaha Hadid Architects
STRÄHLE: RÄUME!<br />
Salonpartner – diese Unternehmen engagieren sich für die Baukultur, Teil 2<br />
Eine Trennwand ist keineswegs eine simple Angelegenheit, sondern Vertrauenssache – und<br />
deshalb setzen Architekten gerne auf jenen schwäbischen Mittelständler, der seine Architekturkompetenz<br />
seit vielen Jahren in zahlreichen Bürohausprojekten beweist. Seit der<br />
Gründung der <strong>AIT</strong>-ArchitekturSalons ist das Unternehmen auch Partner von Deutschlands<br />
großer Architekturgalerie. An dieser Stelle porträtieren wir mit der Strähle Raum-Systeme<br />
GmbH ein ganz und gar ungewöhnliches Unternehmen.<br />
Strähle mit Partnern und Kunden pflegt. Die „gute und faire<br />
Zusammenarbeit“ beschere dem Unternehmen nicht nur<br />
immer wiederkehrende Auftraggeber, sondern rege auch die<br />
Innovationsprozesse in seinem Unternehmen an.<br />
Rasterteilungen. Diese Formensprache wird auf die Innenwandsysteme<br />
übertragen, d. h. sehr viele Flurtrennwände sind<br />
als Ganzglaslösungen gefordert, filigrane Türzargen usw. Die<br />
Zwischenwände werden häufig durch Glasschwertanschlüsse<br />
auch transparent an die Fassade angeschlossen, auf der anderen<br />
Seite ebenso durch Glasschwertanschlüsse transparent an<br />
die Flurtrennwand.<br />
Die Innengestaltung der Büroräume soll eine großzügige Offenheit<br />
vermitteln, teilweise auch durch offene Spacebereiche,<br />
die nicht durch Raum- oder Wandsysteme mit Raum- und<br />
Türelementen unterteilt werden, sondern durch Wandscheiben,<br />
die offene Zonen zu den Fluren schaffen.<br />
Ada | Strähle Raumsysteme<br />
Die Branche der Büromöbelhersteller – und Trennwandsysteme<br />
zählen wir hier einfach mal dazu – wird immer übersichtlicher.<br />
Denn die Internationalen Konzerne verleiben<br />
sich stetig neue Marken ein. „Konzentration“ nennt sich dieser<br />
Prozess. Was bleibt, sind wenige global agierende „ganz<br />
Große“ und einige national oder europäisch ausgerichtete<br />
„Mittelgroße“. Gerade diese sind es jedoch, die in architektonisch<br />
anspruchsvollen Projekten ihre wirklichen Stärken ausspielen.<br />
Und Strähle gehört hier zu den Vorzeigefirmen – mit<br />
einem fast schon an ein Alleinstellungsmerkmal grenzenden<br />
Vertrauensvorschuss bei Architekten. Ein solches Vertrauen<br />
läßt sich indes nicht erkaufen. Es muss in langer Arbeit aufgebaut<br />
und in vielen persönlichen Kontakten immer wieder<br />
aufs Neue bewiesen und vertieft werden.<br />
Strähle (der echte Schwabe – und damit auch der Autor dieser<br />
Zeilen – spricht den Firmennamen mit drei kehligen und aufeinanderfolgenden<br />
„ä“ aus), ist ein durchaus landestypisches<br />
Unternehmen. Vor 100 Jahren vom Großvater des jetzigen<br />
Inhabers als Schreinerei gegründet, wurde es in der dritten<br />
Generation in einen industriellen Maßstab überführt und<br />
durch bahnbrechende Erfindungen zu dem, was man heutzutage<br />
als Innovationsführer bezeichnet. Werner Strähle entwickelte<br />
zuerst eine modulare und versetzbare Systemwand<br />
auf Basis von Holzrahmenelementen. Diese „Strähle-Wand“<br />
wurde zum Verkaufsschlager. 1986 wurde dann sein aus einem<br />
Stück gewalztes Stahlprofil patentiert – das Kernelement<br />
der neuen Systemwand, die mit verschiedensten einzuhängenden<br />
Modulen jedem organisatorischen, funktionalen und<br />
architektonischen Anspruch angepasst werden kann.<br />
Heute sind Strähle-Wände regelrechte Hightech-Produkte<br />
und werden im Zuge integraler Gebäudeplanung immer<br />
mehr zu Trägern von Gebäudetechnik. Die Namen der Architekturbüros,<br />
mit denen Strähle zusammenarbeitet, sind<br />
beeindruckend, die Liste der Referenzen ist lang. Allein entscheidend<br />
sind jedoch nicht die modernen Fertigungsstätten<br />
im Stuttgarter Umland und in der Berliner Peripherie oder<br />
die neu eröffnete Trennwand-Ausstellung am Firmensitz in<br />
Waiblingen. Beeindruckend ist auch der Umgang, den Werner<br />
Die seit Jahrzehnten kultivierte Fähigkeit, Architektur nicht<br />
nur mit Produkten auszustatten, sondern „mit zu denken“<br />
macht Strähle aus. Die daraus entstehenden Anforderungen<br />
werden innerhalb der verschiedenen, miteinander kompatiblen<br />
Modulsysteme gelöst oder in Sonderentwicklungen. Diese<br />
Kernkompetenzen des Unternehmens wurden auf Dauer gesichert,<br />
denn die nächste Generation ist schon aktiv. Der ältere<br />
Sohn, Paul Strähle, Architekt mit fünf Londoner Berufsjahren,<br />
ist seit 2009 Mit-Geschäftsführer, der jüngere Sohn, Florian,<br />
verantwortet als Betriebswirt das Marketing.<br />
Die oben beschriebenen Eigenschaften der Strähle-Wände<br />
können in den <strong>AIT</strong>-ArchitekturSalons überprüft werden.<br />
Denn in den Produktausstellungen sind die modernsten<br />
Trennwandlösungen zu sehen. Und wer die Strähles oder deren<br />
kompetente Mitarbeiter persönlich kennenlernen möchte,<br />
der hat dazu bei vielen Veranstaltungen in den <strong>AIT</strong>-Salons<br />
die Gelegenheit.<br />
von Dietmar Danner<br />
Salon-Partner im Gespräch<br />
Zahlreiche Unternehmen unterstützen die <strong>AIT</strong>-ArchitekturSalons<br />
als verlässliche Partner und beweisen damit,<br />
dass ihnen an der dauerhaften Förderung der Baukultur<br />
gelegen ist. An dieser Stelle in den <strong>AIT</strong>hesen präsentieren<br />
wir diese Marken. Dieses Mal führen wir unser Gespräch<br />
mit Werner Strähle (WS) von Strähle Raumsysteme .<br />
Als architekturaffiner Trennwandhersteller sind Sie näher an der<br />
Gegenwartsarchitektur als viele andere Unternehmen. Schlagen<br />
neue Gestaltungsansätze im Hochbau immer auch auf den<br />
Innenraum durch? Oder kommen diese bei den Anforderungen<br />
an die Trennwände nur noch in abgeschwächter Form an?<br />
Paul, Werner und Florian Strähle<br />
WS: Wir stellen fest, dass die neuen Gestaltungsansätze im<br />
Hochbau sich auch im Innenausbau ganz deutlich durchsetzen.<br />
Bei der Gestaltung der Fassade wird größtmögliche Transparenz<br />
bevorzugt, d. h. großzügige Fensterflächen, großzügige<br />
Trennwände werden immer mehr zu Trägern von Haus- und<br />
Elektrotechnik. Wann wird diese Tendenz ihren Höhepunkt<br />
erreichen?<br />
WS: In gleicher Weise hat sich der Anspruch an die multifunktionalen<br />
Eigenschaften der Wandsysteme deutlich erhöht.<br />
Zusätzlich zu den bestehenden Forderungen an Schall- und<br />
Brandschutz werden heute in die Wandsysteme vor allem Absorptionselemente<br />
integriert, um die akustische Befindlichkeit<br />
zu verbessern, aber auch Klimasysteme oder integrierte<br />
Beleuchtungsflächen werden gefordert. Gerade im Hinblick<br />
auf Akustik und Absorption werden die Anforderungen an die<br />
Wandsysteme erhöht, da Absorberflächen in den Trennwandflächen<br />
angenehmer wahrgenommen werden als abgehängte<br />
Deckensegel und ähnliche zusätzliche Absorptionsmaßnahmen.<br />
Auch im Hinblick auf den Schallschutz werden bei verglasten<br />
Systemen die Anforderungen etwas reduziert.<br />
Es ist festzustellen, dass diese neue Gestaltungstransparenz<br />
ganz wesentlich dazu beiträgt, dass solche Gebäude besser<br />
nutzbar und vermietbar sind als ältere Gebäude, die diese<br />
Helligkeit und Transparenz nicht bieten. Das wiederum hat<br />
zur Folge, dass bestehende Bürogebäude im Inneren saniert<br />
werden müssen. Im Hinblick auf unseren Tätigkeitsbereich ist<br />
es eine erfreuliche Entwicklung, dass auch in Bestandsgebäuden<br />
neue, weiterentwickelte und transparente Trennwandsysteme<br />
eingebaut werden.<br />
Sie sind auf dem Weg in die Internationalisierung. Sind komplexe<br />
Trennwandsysteme für jede Architektur und jeden<br />
Markt geeignet oder suchen Sie künftig auch lokal angepasste<br />
Lösungen?<br />
WS: Im Hinblick auf die Internationalisierung stellen wir fest,<br />
dass der qualitative Anspruch an die Wandsysteme sich europaweit<br />
erhöht hat. Früher war es so, dass qualitativ hochwertige<br />
Systeme vor allem in Deutschland, Österreich und der<br />
Schweiz eingesetzt wurden. Wir stellen nun fest, dass gerade<br />
auch in anderen europäischen Ländern wie Großbritannien,<br />
Frankreich, Luxemburg, Italien, Niederlande usw. der Anspruch<br />
an eine höhere Qualität besteht. Dies wiederum bietet<br />
Chancen für Hersteller, wie wir es sind, dass höherwertige<br />
Systeme auch zum Einsatz kommen und auch entsprechend<br />
geschätzt werden. Es schließt jedoch nicht aus, dass lokal<br />
angepasste Lösungen in einer soliden Grundkonstruktion<br />
mit reduzierten Eigenschaften ebenfalls gefordert werden.<br />
Zaha Hadid Architects | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | 15
FOKUS<br />
Gestaltungsanspruch bis ins Detail<br />
Auch in kleinem Maßstab lässt sich die Idee des Parametrismus umsetzen.<br />
Zusätzlich nehmen die Projekte dieser Seite auch die neuen Möglichkeiten<br />
der Architekturproduktion vorweg. So sind avancierte 3-D-Druckverfahren<br />
und Rapid Prototyping zwar schon fest im Vokabular des computerbasierten<br />
Entwerfens verankert, doch steht der Maßstabssprung in den alltäglichen<br />
gebauten Raum bis jetzt noch aus.<br />
AQUA TABLE<br />
Für den Möbelhersteller Established & Sons<br />
schuf Zaha Hadid ein Möbel, das durch seine<br />
fließenden Formen die Handschrift ihres<br />
architektonischen Schaffens in den Wohnbereich<br />
überträgt.<br />
Aqua Table | ZHA<br />
GLACE COLLECTION<br />
In einer kompletten Schmuckserie verschmilzt<br />
die Klarheit und Reinheit von<br />
Swarowski Kristallen mit einer organischen<br />
Hülle zu einem neuen Ganzen.<br />
Glace Collection | ZHA<br />
MELISSA<br />
Mittels Rapid Prototyping und avanciertem<br />
3-D-Druckverfahren entstand diese<br />
Neuinterpretation des Frauenschuhs.<br />
Frauenschuh | ZHA<br />
Die sind ein Supplement der und erscheinen unregelmäßig.<br />
Architektur Innenarchitektur Technischer Ausbau<br />
1890 gegründet als „Innen-Dekoration“,<br />
bis 1979 „Architektur und Wohnwelt“ – 119. Jahrgang<br />
Herausgeber:<br />
Dipl.-Kfm. Karl-Heinz Weinbrenner<br />
Dipl.-Kfm. Claudia Weinbrenner-Seibt<br />
Verlagsleitung:<br />
Dr.-Ing. Dietmar Danner<br />
Redaktion:<br />
Dr.-Ing. Dietmar Danner (DD),<br />
(verantwortlich für den Gesamtinhalt)<br />
Verlagsanstalt Alexander Koch GmbH<br />
Fasanenweg 18, 70771 Leinfelden-Echterdingen,<br />
Postfach 10 02 56, 70746 Leinfelden-Echterdingen<br />
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16 | <strong>AIT</strong>hesen Dezember | Zaha Hadid Architects