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UNGLAUBLICH - Yang - Ju - Bang

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4<br />

St. Antonius Düsseldorf 2007 1<br />

Verzeichnis Nummer<br />

51.231094 6.754294 40m<br />

Dezimalgrad<br />

Über N.N.<br />

schließt das Autobiografische so gut wie vollständig aus und unterwirft<br />

Raumzusammenhänge einem weitgehend standardisierten Verfahren<br />

mit der Digitalkamera. Das ermöglicht die Totale eines umfassenden<br />

Panoramablicks, wie er ab sofort für das künftige Werk, bestimmend wird.<br />

2007 betritt das Duo, auf Anregung seiner damaligen Galeristin Ulla<br />

Sommers, zum ersten Mal die St. Antoniuskirche in Düsseldorf-Oberkassel.<br />

Die Kamera richtet sich auf den neo-romanischen Kirchenraum. 2 Jahre<br />

später wiederholen die Koreaner, durch einen Reifeprozess in den<br />

bedeutenden romanischen Kirchen und im gotischen Dom von Köln,<br />

dazu an zahlreichen anderen Sakralbauten geschult, die Aufnahme mit<br />

anderer Belichtung. Im Kern bleibt die Methode indes seit 7 Jahren<br />

gleich: Mit allseitigen Panorama-Fotografien nimmt das Paar mehr<br />

oder weniger hervorragende Kircheninterieurs in den 20-fingrigen Griff<br />

einer feststehenden Folge von Aufnahmen. Das Ergebnis sind über 200<br />

ausladend zerdehnte, hoch gereckte oder in Wirbeln verdichtete, kreisende<br />

Kirchenräume: eine Einheit vom Deckengewölbe bis zum Bodenbelag,<br />

dazwischen (darüber, darunter) Wandpartien, Pfeiler, Säulen, mit größter<br />

Variabilität flexibel und dem Anschein nach beweglich gemacht, für<br />

ornamentales Kurvenspiel aufgeschlossen, Pfeiler wie Säulen, je nach<br />

Blickwinkel, nach innen gekrümmt und verflochten.<br />

Es wird Zeit, sich dieses Verfahren genauer anzusehen. Die fotografische<br />

Technik und Handhabung treten im magisch irritierenden Resultat zwar<br />

zurück, bleiben aber als unabdingbare Voraussetzungen in jedem Bild<br />

präsent. Deshalb umreiße ich zunächst das zugrunde liegende Schema, um<br />

es später wieder zu negieren.<br />

An einer weitläufigen Stelle in der Kirche, oft im Vierungsquadrat oder<br />

Chor, wird ein Stativ aufgestellt. Die Kamera lässt sich um 360 Grad drehen<br />

und gradweise nach oben wie unten schwenken. Sie richtet sich in einem<br />

Winkel von 60 bzw. 45 Grad schräg auf Decke und Boden und kreist auf<br />

einer bestimmten Höhenlinie mit einer Drehung von 6 x 60 Grad rundum.<br />

Insgesamt ergeben sich auf diese Weise 20 Aufnahmen. Den Abschluss<br />

bildet eine 21. Einstellung senkrecht vom Stativ mit Nodal-Adapter abwärts,<br />

was die Zusammenführung der ausgeschnittenen Architekturpartien zu<br />

einer kontinuierlichen Bildeinheit vereinfacht und erleichtert. Die Endfassung<br />

entsteht dann auf dem Bildschirm, wo der Computer die Einzelbilder<br />

umordnen lässt. Diese Fotomontage ist mit realen Baubeständen ebenso<br />

gesättigt wie mit irrealen Dehnungen, Verschiebungen und Verdichtungen<br />

abgewandelt und in ihrem expressiven Potenzial ausgeschöpft. Dabei zielen<br />

Insook <strong>Ju</strong> und Sukyun <strong>Yang</strong> auf soviel wie möglich Fotografie pur und reale<br />

Substanz bei gleichzeitig maximaler Raumbewegung und Ausdrucksenergie<br />

der labyrinthischen Bahnen unserer Wahrnehmung im Verein mit dem<br />

Kameraauge.<br />

Jedes fertige Bild versammelt also insgesamt 6 Unter- und 7 Aufsichten,<br />

einschließlich der letzten Ausrichtung auf den Boden. Dazu kommen 8<br />

Rundumblicke, die sich in der Fläche zunächst nebeneinander reihen.<br />

Zwischen diesen Blickwinkeln bieten sich sehr verschiedene Kombinationen<br />

an: in die Breite gerückt und gezogen, als ausladendes Panorama mit<br />

dem Eindruck offener Weite, fast wie in einer Hallenkirche statt in einer<br />

Basilika. Außerdem 2 x die Deckengewölbe, senkrecht und spiegelverkehrt<br />

gegeneinander gestellt, mit dem Boden als unterer und oberer Besetzung<br />

des Raums, das Ganze im Verhältnis 2 : 1 zum Hochformat gelängt.<br />

Schließlich als „kleiner Planet“, wie im Inneren einer Kugel gerundet, die für<br />

den Augenschein geradlinig aufwachsenden Wände und Stützen zur Mitte<br />

hin gebeugt und gebogen und doch von unverminderter Stabilität.<br />

Am Beispiel des Kölner Doms, einer vergleichsweise frühen Panorama-<br />

Montage von 2009, stellen diese Wahrnehmungsformen sich eindrucksvoll<br />

dar. Letztlich fundieren sie jedoch sämtliche Sakralräume, die das Duo<br />

fotografiert.<br />

Ich bleibe beim Kölner Dom. Die Kamera erfasst den rückwärtigen östlichen<br />

Bereich der Basilika: Umgang, Dreikönigsschrein, Chorgestühl. An den<br />

Altarraum reiht sich, obgleich räumlich vorgelagert, beidseitig ein Anschnitt<br />

der Bänke. Dadurch verändert der schmalhohe Abschluss des Mittelschiffes<br />

seinen Charakter grundlegend. Er weitet sich nach Westen hin und öffnet<br />

sich luftig, in voller Breite nach Westen. Die hochschießenden Spitzbögen<br />

um den Altar flachen sichtlich ab und wirken wie gestaucht. Mit einem Mal<br />

herrschen Horizontalen vor und verkehren den gotischen Höhenzug in sein<br />

Gegenteil, ohne dass sich an der architektonischen Vorgabe das Geringste<br />

geändert hätte. Nebenbei gesagt sind diese Fotos auch ein schlagender<br />

Beweis für die Sinn stiftende und aufhebende Macht der Blickrichtung unter<br />

dem Gesetz unserer Wahrnehmung.<br />

Besonders nachdrücklich tritt die Verbiegung angesichts des nördlichen<br />

Querhauses im Kölner Dom hervor. Die Wanderung der Kamera beginnt<br />

bei der Orgel rechts, verläuft über die östliche Querhauswand und den<br />

nördlichen Eingang weiter, um den Kreis bei der Orgel wieder zu schließen.<br />

Dabei verwandelt sich die Struktur des Raumes fundamental: Vertikale<br />

Strebepfeiler neigen sich, wie in einer optischen Linse, stark zur Mitte hin,<br />

der Raum scheint in sich zu kreisen und ruft in seinem Muster Maßwerk<br />

wach, vor allem Fischblasenornamente. Die Einrundung zieht ganze Partien<br />

des Kircheninneren in eine schwingende, kurvende Dynamik. Kreuzrippen,<br />

Lisenen und Profile differenzieren diese Energie kleinteilig aus. Aber auch<br />

die zweite, mittig im Chorgestühl aufgenommene Fotoarbeit stellt eine<br />

ähnliche Tendenz zur kraftvoll geschmeidigen Umklammerung des Raumes<br />

durch ein muskulös profiliertes Monster unter Beweis. Die Metapher mag<br />

überzogen dramatisch erscheinen, doch der gerippte „Leib“ einer Spinne<br />

zwischen aufgestemmten Pfeilerbeinen ermutigt mich, einer expressiven<br />

Deutung der Montagen auch diesen kräftigen Vergleich anzumuten. Dass<br />

der ganze Chorraum sich um das Deckengerüst regelrecht zu krümmen<br />

scheint, stärkt die Assoziation. Jedenfalls entfernen wir uns mit derartigen<br />

Wirkungen gründlich vom standardisierten Schema in seiner wohlbedachten<br />

Systematik.<br />

Neben der Rundumwanderung der Kamera unter dem Gesetz der<br />

Breitenausladung setzt der Schwenk nach oben und unten das Gesetz<br />

der Höhe in Kraft. Je nachdem, welche Richtung bestimmend ist, kommt<br />

es zu einem lagernden Quer- oder einem steilen Hochformat. Gleichen<br />

die Richtungskräfte sich aus, tendiert das Bildformat zum Quadrat. Für<br />

viele Kirchen wählt das Duo entweder das Prinzip Dehnung oder die<br />

Zentralisierung mit Verwirbelungen. Gerade in diesem Fall erwächst aus dem<br />

Zusammenspiel die vollkommene Verwandlung zu einer Fülle ineinander<br />

greifender Rundungen, die Sitzreihen, Bodendekoration, Strebepfeiler,<br />

Kreuzrippengewölbe gleichsam als Schwungrad zusammenhalten und<br />

antreiben.<br />

Zum Verständnis der Panorama-Montagen fehlt noch ein Hinweis<br />

darauf, dass der Druck auf den Auslöser nicht genügt, um ein Bild zu<br />

perfektionieren. Das geht weit über ästhetische Bereinigungen und<br />

kosmetische Korrekturen hinaus. Die Entscheidung, ob das Panorama<br />

die Wände aufrollt oder sich zwischen Boden und Decke spannt, fällt vor<br />

dem Bildschirm. Auch der eigentliche Zusammenbau der Einzelansichten<br />

findet dort statt. Der digitale Zugriff hat so auch an der kompositionellen<br />

Basisstruktur teil. Darüber hinaus vernähen Nacharbeiten aber auch<br />

unsauber überlappende Ränder und verschleifen gleitende Kurvaturen. Auch<br />

die Auswahl unter den zahlreichen belichteten Ansichten erfährt auf dem<br />

Bildschirm ihre Überprüfung. Selbst die Farben können verstärkt, aufgehellt<br />

oder eindeutiger herausgeholt werden. Erst das exponierte digitale Blau<br />

sichert dem oberen Fensterkranz im Kölner Chorhaupt den Kontakt mit dem<br />

Himmel.<br />

Bei all dem machen die beiden Koreaner keinen Unterschied zwischen<br />

hochbedeutenden und weniger bedeutenden Architekturen, künstlerischen<br />

Gipfelwerken und provinziellen Nachläuferbauten oder historistischen Neo-<br />

Stilen des 19. Jahrhunderts. Ebenso wenig kümmert sie, ob das Bauwerk<br />

nun für den jüdischen, buddhistischen, christlichen oder islamischen<br />

Gottesdienst gedacht ist. Insofern versammeln sie eine fiktive Ökumene,<br />

weit über die christlichen Spaltungen hinaus. 2010, in ihrem intensivsten<br />

Reisejahr, nehmen sie u. a. den großen Buddhatempel in Gwangju und die<br />

christliche Geburts- und Grabeskirche in Jerusalem und Bethlehem auf. Die<br />

Künstler selber bleiben indes explizit indifferent gegenüber religiösen oder<br />

konfessionellen Gegensätzen wie Brückenschlägen.<br />

Hier ist nicht der Ort, dennoch gemeinsamen Strukturen von Architektur<br />

im Schnittpunkt von Andacht, Ritus, Repräsentation und religiösem<br />

Alltag nachzugehen, was gerade die neutrale fotografische Analyse<br />

und Zusammenführung unter den Bedingungen des Kameraauges<br />

nahe legen könnte. Dass wir Kirchenräume neu erfahren, muss nicht<br />

unbedingt religiöse Empfindungen auslösen, kann aber ein Gefühl für<br />

die mannigfachen dynamischen Strömungen und Gegenströmungen im<br />

Spiegel der Architektur aktivieren, das sonst in Konvention und Gewöhnung<br />

untergeht. Insook <strong>Ju</strong> und Sukyun <strong>Yang</strong> bewirken, gerade weil sie zu nichts<br />

bekehren wollen, eine Steigerung im mehrdimensionalen Raumerlebnis, bei<br />

dem die Kirche stehen und doch kein Stein auf dem anderen bleibt.<br />

Manfred Schneckenburger<br />

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