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Vom "Recht auf Faulheit" in Zeiten des Rankings - Pressestelle der ...

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„Faulheit<br />

Höchstes Gut, wer dich nur hat,<br />

<strong>des</strong>sen ungestörtes Leben –<br />

Ach! ich gähn`,– ich – werde – matt<br />

Nun so magst du mirs vergeben,<br />

Dass ich dich nicht s<strong>in</strong>gen kann;<br />

Du verh<strong>in</strong><strong>der</strong>st mich ja dran.<br />

Dass die Faulheit Thema für e<strong>in</strong>e Abschiedsvorlesung werden konnte, hat<br />

se<strong>in</strong>en Grund dar<strong>in</strong>, dass das „<strong>Recht</strong> <strong>auf</strong> Faulheit“ auch <strong>der</strong> Titel e<strong>in</strong>er <strong>der</strong><br />

geistreichsten und bis heute provozierendsten frühsozialistischen Schriften<br />

ist. Ihr Verfasser war Paul Lafargue. Mit <strong>der</strong> sehr ernsten Satire über die<br />

Vergötzung <strong>der</strong> Arbeit auch durch die eigenen Ges<strong>in</strong>nungsgenossen, <strong>in</strong>sbeson<strong>der</strong>e<br />

durch se<strong>in</strong>en Schwiegervater Karl Marx, hielt er diesen e<strong>in</strong>en<br />

so klaren, man könnte sagen Vergrößerungs-, dabei freilich auch Vergröberungsspiegel<br />

vor, dass sie, wie <strong>in</strong> festlegenden Denkformen häufig, dar<strong>auf</strong><br />

nur mit Verdrängen, Verschweigen und Weglassen zu reagieren vermochten.<br />

Es war <strong>in</strong> den 70er Jahren <strong>des</strong> 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts das Verdienst <strong>des</strong> evangelischen<br />

Theologen und Kirchenhistorikers Ernst Benz, e<strong>in</strong>es Spezialisten<br />

für Mystik und Ostkirchen, nicht nur die Verfälschungen, Verharmlosungen<br />

und Anpassungen an die offizielle kommunistische L<strong>in</strong>ie schon <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

frühen Übersetzung von Eduard Bernste<strong>in</strong>, son<strong>der</strong>n auch das Weglassen<br />

<strong>des</strong> Untertitels <strong>der</strong> Schrift Lafargues „Wi<strong>der</strong>legung <strong>des</strong> <br />

von 1848“ als entschärfende Manipulation im Kontext <strong>der</strong> Revisionismusdebatte<br />

nachzuweisen. 1 Ir<strong>in</strong>g Fetscher, <strong>der</strong> die Schrift Lafargues 1966 –<br />

ebenfalls ohne Erwähnung <strong>des</strong> Untertitels – neu ediert hatte, wurde von<br />

Seiten <strong>der</strong> SED bezichtigt, dass er die „Arbeitsmoral <strong>der</strong> DDR untergraben<br />

wolle“. Die marxistische Polemik Lafargues wurde demnach von Kommu-<br />

nisten als Anschlag <strong>des</strong> Klassenfe<strong>in</strong>ds <strong>in</strong>terpretiert, während umgekehrt<br />

„die Moral Calv<strong>in</strong>s als Muster sozialistischer Sittlichkeit gefeiert“ 2 wurde.<br />

So ergeben sich drei gute Gründe, diese Schrift über das „<strong>Recht</strong> <strong>auf</strong> Faulheit“<br />

zur Grundlage <strong>der</strong> Abschiedsvorlesung von e<strong>in</strong>em Augsburger Lehrstuhl<br />

für Politikwissenschaft zu machen: Zum Ersten gehört es im Verständnis<br />

e<strong>in</strong>er praktischen Politikwissenschaft zu den besten Traditionen unseres<br />

Faches, Wissensbestände <strong>der</strong> Ideengeschichte aus unterschiedlichen<br />

<strong>Zeiten</strong> auch als kritischen Maßstab für aktuelle Fragen zu nutzen. Dieser<br />

methodische Zugriff, den die Augsburger Politikwissenschaft mehrfach mit<br />

dem älteren Typus <strong>des</strong> Fürstenspiegels anwandte, eignet sich, wie sich im<br />

Verl<strong>auf</strong> <strong>der</strong> Vorlesung zeigen wird, <strong>in</strong> ganz eigener Weise auch für die Verwendung<br />

e<strong>in</strong>er kritischen Schrift <strong>des</strong> Frühsozialismus als Maßstab für aktuelle<br />

arbeitspolitische Grundfragen. Dafür beson<strong>der</strong>s geeignet ist sie, weil<br />

Lafargue selbst als Orientierung für se<strong>in</strong>e Kritik an zeitgenössischen Formen<br />

<strong>des</strong> Arbeitens frühere und kulturell bed<strong>in</strong>gte alternative Arbeitsweisen<br />

verwendet, ihnen also e<strong>in</strong> Kritikpotential über den historischen Moment<br />

h<strong>in</strong>aus zuspricht.<br />

Zum Zweiten will das im Thema <strong>der</strong> Vorlesung genannte Rank<strong>in</strong>g den Blick<br />

<strong>auf</strong> e<strong>in</strong>e Fragestellung lenken, die e<strong>in</strong>e tiefgreifende Verän<strong>der</strong>ung unseres<br />

akademischen Arbeitens und Zusammenlebens betrifft, die Orientierung<br />

<strong>des</strong> Politikfelds Hochschule am öffentlich, nach Gesetzen <strong>des</strong> Marktes ausgetragenen<br />

Wettbewerb. Von politischer Seite wird die maßstäbliche Ausrichtung<br />

vieler und immer mehr gesellschaftlicher Bereiche an Grundsätzen<br />

<strong>der</strong> Ökonomie <strong>des</strong> Marktes zwar nicht mehr ignoriert, und dennoch,<br />

vermutlich weil kaum steuerbar, vielleicht auch wegen spezifischer Abhängigkeiten<br />

wie <strong>der</strong> Parteienf<strong>in</strong>anzierung, noch lange nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> ganzen Brisanz<br />

benannt. 3 Während man <strong>in</strong>zwischen dafür sensibilisiert wurde, dass<br />

etwa Dop<strong>in</strong>g im Radsport nichts an<strong>der</strong>es ist als die Schattenseite e<strong>in</strong>es <strong>auf</strong><br />

dem Pr<strong>in</strong>zip <strong>des</strong> Anreizes, d.h. <strong>der</strong> Vermarktung basierenden Sports o<strong>der</strong><br />

1) Ernst Benz, Das <strong>Recht</strong> <strong>auf</strong> Faulheit o<strong>der</strong> die friedliche Beendigung <strong>des</strong> Klassenkampfs, Lafargue-<br />

Studien, Stuttgart 1974. Der Text von Lafargue ist <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Edition von 1988 (Schriften gegen die<br />

Arbeit) zugänglich unter: www.wildcat-www.de/material/m003lafa.htm. 2) Paul Lafargue, Das <strong>Recht</strong> <strong>auf</strong> Faulheit, hg. von Ir<strong>in</strong>g Fetscher, Frankfurt 1966, 8/9.<br />

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