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Vom "Recht auf Faulheit" in Zeiten des Rankings - Pressestelle der ...

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Essens vom verbotenen Baum zur Vertreibung aus dem Paradies. Erst jetzt<br />

muss <strong>der</strong> Mensch <strong>in</strong> Mühsal und im Schweiße se<strong>in</strong>es Angesichts den<br />

Acker bestellen, um se<strong>in</strong> Brot essen zu können. Das Paradies, <strong>in</strong> dem Gott<br />

ihm wie auch den Tieren die Pflanzen zur Nahrung geben wollte, ohne<br />

dass er dafür arbeiten musste, war verloren. In vielen Würdigungen <strong>der</strong><br />

Faulheit als Nichtarbeitenmüssen wird diese daher als e<strong>in</strong> Stück <strong>des</strong> verlorenen<br />

Paradieses beschrieben, das sich <strong>der</strong> Mensch <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Erde nun selbst<br />

schaffen müsse und auch zu schaffen vermag. Die Er<strong>in</strong>nerung, dass „Paradies“<br />

eben auch Nichtarbeitenmüssen bedeutete, ist ihm seit se<strong>in</strong>er Erschaffung<br />

mitgegeben. Unterstrichen wird <strong>der</strong> Vorrang <strong>des</strong> Nichtstuns gegenüber<br />

auch <strong>der</strong> s<strong>in</strong>nvollsten Tätigkeit dadurch, dass Gott selbst nach <strong>der</strong><br />

Erschaffung <strong>der</strong> Welt am siebten Tag geruht und gerade diesen Tag geheiligt<br />

habe. Manche sagen, er habe danach nie mehr gearbeitet. Der wohl<br />

am häufigsten zitierte Beleg für den ganz eigenen Wert <strong>des</strong> Nichtstuns ist<br />

die Mahnung Jesu über die falsche und die rechte Sorge. Am Beispiel <strong>der</strong><br />

„Vögel <strong>des</strong> Himmels“, die ke<strong>in</strong>en Ackerbau betreiben und dennoch satt<br />

werden, ist die paradiesische Verheißung wie<strong>der</strong> präsent und die Lilien <strong>des</strong><br />

Fel<strong>des</strong>, die ohne zu arbeiten und zu sp<strong>in</strong>nen prächtiger gekleidet s<strong>in</strong>d als<br />

Salomon, werden erst recht zu e<strong>in</strong>er Illustration <strong>des</strong> wahren Luxus’ <strong>des</strong><br />

Nichtarbeitens. Die eigentliche Sorge, so die Bibel, habe dem Reich Gottes<br />

und <strong>der</strong> Gerechtigkeit zu gelten. 9 Leo Tolstoj fasste die Vorstellung vom<br />

Paradies <strong>auf</strong> Erden so zusammen: „E<strong>in</strong>e <strong>in</strong>nere Stimme sagt uns, dass wir<br />

uns schuldig machen, wenn wir die Hände <strong>in</strong> den Schoß legen. Wenn <strong>der</strong><br />

Mensch e<strong>in</strong>en Zustand ausf<strong>in</strong>dig machen würde, <strong>in</strong> dem er dem Müßiggang<br />

huldigen und gleichzeitig das Bewusstse<strong>in</strong> haben könnte, sich dadurch<br />

nützlich zu machen und se<strong>in</strong>e Pflicht zu erfüllen, so hätte er e<strong>in</strong>en<br />

Teil se<strong>in</strong>es ehemaligen paradiesischen Glücks wie<strong>der</strong>gefunden.“ 10 .<br />

Schon <strong>in</strong> <strong>der</strong> Antike wurde die Notwendigkeit <strong>des</strong> Müßiggangs, <strong>der</strong> Faulheit<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Weise betont, dass zu vermuten ist, dass es um <strong>der</strong>en Pflege<br />

auch damals nicht zum Besten stand. Nachdem se<strong>in</strong> Lehrer Sokrates festgestellt<br />

hatte, dass Muße „<strong>der</strong> schönste Besitz von allen“ sei, wird sie für<br />

Aristoteles zum „Angelpunkt, um den sich alles dreht. Denn, wenn auch<br />

bei<strong>des</strong> se<strong>in</strong> muss, so ist doch das Leben <strong>in</strong> Muße dem Leben <strong>der</strong> Arbeit vorzuziehen.“<br />

Dabei handelt es sich jedoch nicht um e<strong>in</strong> <strong>der</strong> Erholung, dem<br />

Ausspannen dienen<strong>des</strong> Spiel, das nur zweckhaft wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong> Arbeit zugute<br />

käme, son<strong>der</strong>n „Die Muße dagegen sche<strong>in</strong>t Lust, wahres Glück und<br />

seliges Leben <strong>in</strong> sich selbst zu tragen, ... sie ist selbst das Ziel.“ Daraus folgt<br />

für Aristoteles, dass „auch für den würdigen Genuss <strong>der</strong> Muße erzogen<br />

werden muss,.., während das, was für die Arbeit gelernt wird, <strong>der</strong> Notdurft<br />

dient und Mittel zum Zweck ist.“ Nutzt man Aristoteles als Spiegel <strong>der</strong> Gegenwart,<br />

lässt sich vielleicht schließen, dass die Arbeitswut unserer Gesellschaft<br />

auch dar<strong>in</strong> begründet liegt, dass die Erziehung zur selbstbestimmten<br />

Muße ke<strong>in</strong>en Platz <strong>in</strong> unseren Bildungsplänen, Studienordnungen<br />

o<strong>der</strong> Zielvorgaben hat 11 .<br />

Übergehen wir hier Cicero, <strong>der</strong> feststellte, dass selbst e<strong>in</strong> freier Bürger nicht<br />

wirklich frei ist, „<strong>der</strong> nicht irgendwann auch e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>fach nichts tut“, und<br />

werfen e<strong>in</strong>en Blick <strong>auf</strong> zwei Klassiker, die noch im 18. und 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

vielseitige Quellen <strong>der</strong> Inspiration waren, zum e<strong>in</strong>en die Parallelbiografien<br />

Plutarchs, zum an<strong>der</strong>en die Metamorphosen <strong>des</strong> Ovid. In Plutarchs Lebensgeschichte<br />

<strong>des</strong> Lykurg wird e<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung zwischen Nichtarbeiten und<br />

e<strong>in</strong>em dadurch bed<strong>in</strong>gten Verzicht <strong>auf</strong> Konflikt för<strong>der</strong>nden Reichtum hergestellt,<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Umkehrung geradezu idealtypisch den Begründungszusammenhang<br />

von Konflikten <strong>in</strong>nerhalb und zwischen marktwirtschaftli-<br />

9) Matthäus, 6, 25-33.<br />

10) Wolfgang Schnei<strong>der</strong>, Die Enzyklopädie <strong>der</strong> Faulheit, E<strong>in</strong> Anleitungsbuch, Frankfurt 2003, 169.<br />

Dieser Band enthält e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>drucksvolle Sammlung von die Faulheit rühmenden Texten.<br />

11) Symptomatisch hierfür waren die Ziele e<strong>in</strong>es sog. Bildungsgipfels im Herbst 2008, die sich weitgehend<br />

<strong>auf</strong> die Halbierung unterschiedlicher Abbrecherquoten konzentrierten, ohne über Inhalte<br />

von Bildung o<strong>der</strong> den S<strong>in</strong>n von Freiräumen nachzudenken. Wie uns<strong>in</strong>nig die Fixierung alle<strong>in</strong> <strong>auf</strong><br />

die Reduzierung <strong>der</strong> Abbrecherquote ist, zeigt e<strong>in</strong>e Studie (www.his.de/abr2.) <strong>des</strong> Frankfurter<br />

Erziehungswissenschaftlers Udo Rau<strong>in</strong>, nach <strong>der</strong> nur etwa die Hälfte <strong>der</strong> Studierenden, die für das<br />

Lehramtstudium ungeeignet waren, sich auch tlw. selbst für ungeeignet hielten, dieses auch<br />

tatsächlich <strong>auf</strong>gaben. Hier wären sogar höhere Abbrecherquoten wünschenswert.<br />

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