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1990 – 1981 - Kirchenmusik an St. Marien, Uelzen

1990 – 1981 - Kirchenmusik an St. Marien, Uelzen

1990 – 1981 - Kirchenmusik an St. Marien, Uelzen

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Aufführungen der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei<br />

Rezensionen <strong>1990</strong> <strong>–</strong> <strong>1981</strong><br />

1 9 9 0<br />

Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach (1685 <strong>–</strong> 1750): Weihnachtsoratorium (K<strong>an</strong>taten 1 - 3)<br />

(Sonntag, 16.12.<strong>1990</strong>, 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 18.12.<strong>1990</strong><br />

Eine Aufführung wie aus einem Guss<br />

Mit dem Weihnachtsoratorium ins Theater <strong>an</strong> der Ilmenau ausgewichen<br />

<strong>Uelzen</strong>. Alle Jahre wieder: Kommt der Weihnachtsm<strong>an</strong>n und es kommt zugleich mit<br />

ihm zu einer Aufführung des Weihnachtsoratoriums in <strong>Uelzen</strong>. Das hat nun schon<br />

Tradition. Bisher bevorzugter Ort: die <strong>Marien</strong>-Kirche. Dieses Jahr mussten K<strong>an</strong>torei<br />

und Kulturkreis in das Theater <strong>an</strong> der Ilmenau ausweichen, die <strong>Marien</strong>-Kirche ist "asbestgeschädigt"<br />

(ach ja, die Umweltprobleme!).<br />

Über diesen Aufführungsort gab es nun einigen "Zündstoff". K<strong>an</strong>n m<strong>an</strong> ein geistliches<br />

Oratorium quasi auslagern in eine weltliche Begegnungsstätte? M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n ohne weiteres,<br />

wenn m<strong>an</strong> sich vor Augen hält, wie die musikalische Praxis im Entstehungsjahr<br />

des Oratoriums 1734 aussah. Viele Komponisten, nicht nur Bach, verwendeten das<br />

sogen<strong>an</strong>nte "Parodieverfahren", das heißt, musikalische Abschnitte zum Beispiel aus<br />

weltlichen K<strong>an</strong>taten wurden mit <strong>an</strong>deren Texten verschiedenster Autoren unterlegt<br />

und in geistliche Oratorien mit eingebaut. Dabei war m<strong>an</strong> auch nicht zimperlich im<br />

Umg<strong>an</strong>g mit musikalischem Ged<strong>an</strong>kengut <strong>an</strong>derer Komponisten.<br />

Dieser Rückgriff auf weltliche Kompositionen war aber nicht zufällig und ohne Bedeutung,<br />

das gibt es vor allem nicht bei Bach, hier ist nichts dem Zufall überlassen: Die<br />

<strong>St</strong>ücke wurden nach der gleichen rhetorischen Grundhaltung ausgesucht. Dafür steht<br />

zum Beispiel der Eing<strong>an</strong>gschor des Weihnachtsoratoriums. Gemeinsame Basis: Weltliches<br />

und geistliches Königstum werden bejubelt, ob es nun "weltlich" heißt: Tönet<br />

ihr Pauken, erschallet Trompeten (K<strong>an</strong>tate für den Dresdner Hof) oder "geistlich":<br />

Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage. Freude im Text, im musikalischen Rhythmus<br />

und dazu die offene und helle Tonart D-Dur.<br />

Doch nun zur Aufführung durch die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei und das Lüneburger Bach-<br />

Orchester: Sie war wie aus einem Guss, hervorragend gesungen, hervorragend gespielt,<br />

g<strong>an</strong>z inspiriert aus dem Geist der Musik und den weihnachtlichen Texten.<br />

Der Hamburger Org<strong>an</strong>ist und Chorleiter von Kameke hat einmal gesagt, dass eine<br />

Aufführung des Weihnachtsoratoriums jetzt nur noch gerechtfertigt ist, wenn neue<br />

Akzente gesetzt werden, und das hat meiner Meinung nach Eginhard Köhler, der für<br />

die Gesamtleitung ver<strong>an</strong>twortlich war, get<strong>an</strong>. Ich habe das Weihnachtsoratorium<br />

schon des öfteren in größerer Besetzung gehört, es wirkt d<strong>an</strong>n voluminös, wie "mit


Öl gemalt", Einzelheiten gehen im "Kl<strong>an</strong>ggemälde" unter. G<strong>an</strong>z <strong>an</strong>ders bei Köhler, um<br />

im Bild zu bleiben, mit spitzen Buntstiften.<br />

Er dirigierte mit sparsamen Gesten, umsichtig und in jedem Augenblick einfühlsam<br />

die Musik aus dem Geist des Wortes heraus zum Klingen bringend. Zu welchen dynamischen<br />

Abschattierungen war zum Beispiel der Chor bei den einstimmigen Chorälen<br />

fähig. Bei Köhler gab es keine überhetzten Tempi, es wird in Ruhe ausmusiziert<br />

und g<strong>an</strong>z großer Wert auf Textverständlichkeit gelegt.<br />

Ein Genuss war es, bei Solo-Partien zugleich den Verlauf der Ges<strong>an</strong>gstimme und den<br />

Ablauf der Instrumentenpartie zu verfolgen, das war nur d<strong>an</strong>k Köhlers kammermusikalischer<br />

Interpretation möglich.<br />

Das Ges<strong>an</strong>gssolisten-Ensemble war leider nicht gleichwertig besetzt. Marlene Worms<br />

(Alt) und Christoph Erpenbeck (Bass) gefielen durch ihre volle, warme, ausdrucksstarke<br />

<strong>St</strong>imme. Lutz-Michael Harder (Tenor) blieb dagegen als Ev<strong>an</strong>gelist seiner Partie<br />

auch hinsichtlich Textausdeutung einiges schuldig: Zu <strong>an</strong>gestrengt und gepresst<br />

kl<strong>an</strong>g die <strong>St</strong>imme in der Höhe, und Astrid Röhrs (Sopr<strong>an</strong>) war eine glatte Fehlbesetzung.<br />

Als "Engel" eben noch zu akzeptieren, konnte sie sich mit ihrer dünnen, in der<br />

Höhe leicht schrillen und nicht g<strong>an</strong>z intonationsreinen <strong>St</strong>imme in der gemeinsamen<br />

Arie mit dem Bass im 3. Teil: "Herr, dein Mitleid" in keiner Weise behaupten, zuweilen<br />

war sie gar nicht mehr zu hören!. Schade.<br />

Um so erfreulicher das gesamte Instrumentalisten-Ensemble. Ein dickes Sonderlob<br />

für alle. Einer soll stellvertretend herausgehoben werden: Otto Sauter blies makellos<br />

die schwierigsten Trompetenpassagen.<br />

Der absolute Höhepunkt für mich? Die einleitende "Symphonie" zum 2. Teil, die Hirtenmusik.<br />

Köhler machte hieraus ein Kabinettstück <strong>an</strong> Durchsichtigkeit und musikalischem<br />

Einfühlungsvermögen. Durch den betont wiegenden Rhythmus hatte m<strong>an</strong><br />

[den Eindruck, dass m<strong>an</strong>]* das Jesus-Kind auf den Armen zärtlich hin- und herwiegt.<br />

<strong>St</strong>arker Applaus der Zuhörer im fast ausverkauften Theatersaal, der Chor klatschte<br />

dem Orchester zu, das Orchester dem Chor und alle Eginhard Köhler. Ein gelungenes<br />

Weihnachtsgeschenk und als Mahnung für 1991: "Lasset das Zagen, verb<strong>an</strong>net** die<br />

Klage".<br />

WOLFGANG PAUL<br />

* Satz im Original unvollständig<br />

** in der Original-Rezension "verdammet"<br />

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 <strong>–</strong> 1847): Elias, op. 70<br />

(Sonntag, 14.10.<strong>1990</strong>, 17.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 18.10.<strong>1990</strong><br />

Oratorium "Elias": Ein <strong>an</strong>spruchsvolles Werk stellte<br />

höchste Anforderungen


<strong>Uelzen</strong>. Das Oratorium "Elias" von Felix Mendelssohn Bartholdy, vor 144 Jahren in<br />

Birmingham uraufgeführt, gilt als das bedeutendste Werk seiner Gattung im 19.<br />

Jahrhundert. Es hat von Anbeginn sowohl als ein musikalisches Meisterwerk sowie<br />

auch als eindrucksvolles Glaubenszeugnis Anerkennung gefunden. K<strong>an</strong>tor Eginhard<br />

Köhler hat es gewagt, im Abst<strong>an</strong>d von acht Jahren nun schon zum zweiten Mal dieses<br />

<strong>an</strong>spruchsvolle Werk aufzuführen, das <strong>an</strong> alle Beteiligten höchste Anforderungen<br />

stellt.<br />

M<strong>an</strong> k<strong>an</strong>n sich nur darüber freuen, dass ihm und allen Mitwirkenden dieses kühne<br />

Unterf<strong>an</strong>gen gelungen ist. In der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Kirche erlebten etwa 570 Besucher eine<br />

gl<strong>an</strong>zvolle und überzeugende Aufführung, <strong>an</strong> der 120 K<strong>an</strong>toreimitglieder und 47 Angehörige<br />

des Symphonischen Collegiums Essen mitwirkten.<br />

G<strong>an</strong>z wesentlich zum Gelingen trug natürlich bei, dass Köhler vier hervorragende Solisten<br />

gewinnen konnte: Ute Frühhaber (Sopr<strong>an</strong>), Elisabeth Umierski (Alt) - beide in<br />

<strong>Uelzen</strong> schon von früheren Gelegenheiten gut eingeführt - Lutz-Michael Harder (Tenor)<br />

und Siegfried Lorenz (Bass). Letzterem ging der Ruf eines der prominentesten<br />

Solo-Sänger im Bereich der ehemaligen DDR voraus. Er enttäuschte die in ihn gesetzten<br />

Erwartungen nicht und bot mit seiner vollen <strong>St</strong>imme, seiner verständlichen<br />

Aussprache und seinem immer einfühlsamen Pathos eine runde Leistung, <strong>an</strong> der<br />

nichts auszusetzen war.<br />

Einen besseren Interpreten für den Part des Elias (biblisch korrekt: Elia) hätte auch<br />

der Komponist sich kaum wünschen können. Auch die beiden Solistinnen bestachen<br />

in der Bewältigung ihrer Aufgaben, die sowohl <strong>an</strong> die <strong>St</strong>immen bis in extreme Lagen<br />

hinein als auch <strong>an</strong> die Interpretationsfähigkeit höchste Ansprüche stellten. Auch die<br />

<strong>St</strong>imme Lutz-Michael Harders vermochte in ihrer Leuchtkraft <strong>an</strong>zusprechen.<br />

Den Sängerinnen und Sängern der K<strong>an</strong>torei spürte m<strong>an</strong> ab, dass sie sich mit Konzentration<br />

und Freude <strong>an</strong> die große Aufgabe hingaben. Die Schwierigkeiten, z.B. bei<br />

einigen Chorrezitativen, wurden gut gemeistert. G<strong>an</strong>z hervorragend gel<strong>an</strong>gen die<br />

dialogischen Partien zwischen Chor und Solisten, etwa wenn die heidnischen Propheten<br />

von ihrem Gott Baal das Feuerzeichen erbitten oder die Königin Isebel es versteht,<br />

das Volk auf raffinierte Weise gegen Elias aufzubringen. Unvergesslich auch<br />

der in e-Moll gehaltene Chorsatz, der schildert, wie Gott sich nicht im <strong>St</strong>urmwind, im<br />

Erdbeben oder im Feuer, sondern in einem "stillen, s<strong>an</strong>ften Sausen" dem verbitterten<br />

Elia offenbart.<br />

Es gibt in diesem Werk einige durch inhaltliche Dramatik und kl<strong>an</strong>gliches Volumen<br />

ausgezeichnete Höhepunkte. Je nach Lage des Sitzplatzes mag sich der eine oder<br />

<strong>an</strong>dere Besucher gefragt haben, ob da nicht besonders durch das Zutun der Blechbläser<br />

und Pauken eine zu hohe Phonzahl erreicht wurde. Dennoch k<strong>an</strong>n K<strong>an</strong>tor Köhler<br />

getrost davon ausgehen, dass dies ein g<strong>an</strong>z besonders gelungenes Ereignis in der<br />

Musikgeschichte <strong>Uelzen</strong>s gewesen ist, für das die Besucher von Herzen d<strong>an</strong>ken.<br />

Wohl kaum ein in der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Kirche aufgeführtes großes Musikwerk ist auch<br />

gemeindlich so gut vorbereitet worden wie der "Elias". So wurde <strong>an</strong> den vorhergehenden<br />

fünf Sonntagen (seit dem 9. September) die Elia-Überlieferung aus dem 1.<br />

Buch der Könige, Kapitel 17 - 19, in den Predigten ausgelegt. Weiter gab es einen<br />

EInführungsabend mit Tonbeispielen.


Zweifellos enthält die Elia-Geschichte eine uns auch heute bewegende und herausfordernde<br />

Thematik. Die notwendige Unterscheidung zwischen Gott und den Götzen<br />

ist von ungebrochener Aktualität sowohl im privaten als auch im öffentlichen Leben.<br />

Die <strong>an</strong>gemaßte Macht und der schmähliche Niederg<strong>an</strong>g moderner Gesellschaftssysteme<br />

mit pseudoreligiösem Anspruch stehen uns allen <strong>an</strong> den Beispielen des Nationalsozialismus<br />

und Kommunismus vor Augen. Auch die Situation des in seinem Glauben<br />

<strong>an</strong>gefochtenen und <strong>an</strong> Gottes rechter Führung zweifelnden Propheten rührt nicht<br />

minder den ebenfalls von Zweifeln geplagten Zeitgenossen <strong>an</strong>.<br />

JAN SACHAU<br />

1 9 8 9<br />

Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach (1685 <strong>–</strong> 1750): „Gloria in excelsis Deo“, K<strong>an</strong>tate 191<br />

Georg Friedrich Händel (1685 <strong>–</strong> 1759): Der Messias <strong>–</strong> Teile I und III<br />

(Samstag, 16.12.1989, 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 18.12.1989<br />

Ein „Messias“ zwischen Dramatik und Betrachtung<br />

Beeindruckendes Konzert der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei<br />

<strong>Uelzen</strong>. Den „Messias“ von Händel aufzuführen, bedeutet tüftelige Detektiv- und<br />

Schwerstarbeit für Körper und <strong>–</strong> nicht zuletzt für die Nerven <strong>–</strong> in einem. Die <strong>St</strong>.-<br />

<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei nahm unter Eginhard Köhlers Leitung diesen Kraftakt auf sich und<br />

beeindruckte am Sonnabend in der vollbesetzten <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Kirche mit einer Aufführung,<br />

die vom ersten bis zum letzten Ton würdevollen Ernst ausstrahlte.<br />

Tüftelige Detektivarbeit: Wie fast alle Vokalwerke Händels stellt auch der „Messias“ <strong>–</strong><br />

bevor auch nur ein Ton erklungen ist <strong>–</strong> alle Beteiligten vor mehrere „Gretchen-<br />

Fragen“. Da Händel selbst fortwährend <strong>an</strong> diesem Werk änderte, kursieren verschiedene<br />

Versionen- also, welche nehmen? Englisch oder deutsch singen, und wenn<br />

d<strong>an</strong>n die Entscheidung der besseren Verständlichkeit wegen auf die deutsche Sprache<br />

gefallen ist, gibt es ein weiteres Problem: Welche Übersetzung <strong>–</strong> Klopstock, Herder,<br />

Gervinius, oder soll es etwas „moderner“ sein? Und letztendlich ist die Frage<br />

nach dem Charakter, den m<strong>an</strong> dem Oratorium verleihen will, zu be<strong>an</strong>tworten.<br />

Da reicht die 250-jährige Aufführungstradition inzwischen von Konzertmusik bis zur<br />

erhabenen <strong>Kirchenmusik</strong> im großen <strong>St</strong>il, ohne dass eine verbindliche Entscheidung in<br />

Händels Sinn darüber gefällt werden könnte. Detektive sind also weiterhin gefragt.<br />

Eginhard Köhler präsentierte mit seiner K<strong>an</strong>torei einen „Messias“, der eher die kommentierende<br />

Betrachtung als die dramatischen Momente der Bibelstellen hervorhob.<br />

Insofern war es keine Inkonsequenz, nur den ersten und dritten Teil zu singen, da<br />

kein dramatischer Bruch entst<strong>an</strong>d; Leiden und vor allem der Sieg Christi - beherrschendes<br />

Thema des zweiten Teils <strong>–</strong> waren in Köhlers Fassung stellvertretend in einem<br />

mitreißend-explosiven „Halleluja“ zusammengefasst. Dennoch wäre ein komplet-


ter „Messias“ noch überzeugender gewesen als die reduzierte Fassung mit vorgeschalteter<br />

Bach-K<strong>an</strong>tate „Gloria in excelsis Deo“ zum Warmwerden.<br />

Die K<strong>an</strong>torei <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong> trug mit sehr guter Textverständlichkeit das deklamatorische<br />

Moment. Diese Qualität hätte das Lüneburger Bach-Orchester artikulierter unterstützen<br />

können: obwohl das Orchester souverän, intonationssicher und dynamisch flexibel<br />

musizierte, fehlte ein gewisser rhythmisch akzentuierter Nerv für die Vitalität von<br />

Händels Musik.<br />

Schwerstarbeit für Körper und Nerven: Hohe Konzentration, ständige innere Beteiligung<br />

am Geschehen und das Zusammenhalten eines großen Kl<strong>an</strong>gapparates schüttelt<br />

m<strong>an</strong> nicht mal kurz aus dem Ärmel. Und wenn d<strong>an</strong>n am Morgen der Aufführung<br />

die Soloaltistin wegen Grippe absagen muss, mischt sich in <strong>an</strong>gesp<strong>an</strong>nte Erwartungshaltung<br />

wohl noch eine Art „Feuerwehratmosphäre“, um eine Ersatzsängerin zu<br />

bekommen.<br />

Alles <strong>an</strong>dere als „zweite Wahl“ war die kurzfristig eingesprungene Altistin Ute<br />

Ramajzl: Sie gestaltete ihre Rezitative und Arien klug, textbezogen, wortausdeutend<br />

mit schl<strong>an</strong>ker und warmer <strong>St</strong>immgebung <strong>–</strong> eine ähnliche Auffassung wie sie auch der<br />

Bassist Christoph Erpenbeck vertrat.<br />

Die Sopr<strong>an</strong>istin Rosina Bacher mit dramatischem Timbre war ein reizvoller Gegenpol<br />

und f<strong>an</strong>d darin Unterstützung in der kraftvollen Tenorstimme von H<strong>an</strong>s Sojer <strong>–</strong> ein<br />

diplomatischer „Messias“ zwischen Dramatik und Betrachtung.<br />

ULRIKE BRENNING<br />

1 9 8 8<br />

Joh<strong>an</strong>nes Brahms: Ein deutsches Requiem<br />

(Sonntag, 13.11.1988, 17.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 17.11.1988<br />

Brahms´ Bekenntniswerk <strong>–</strong> ein Nachkl<strong>an</strong>g der<br />

Rom<strong>an</strong>tik<br />

Das Deutsche Requiem in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong> und Fragen, die es aufwirft<br />

<strong>Uelzen</strong>. In der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Kirche wurde der Volkstrauertag mit einer Aufführung<br />

des Deutschen Requiems von Joh<strong>an</strong>nes Brahms beg<strong>an</strong>gen. Die <strong>St</strong>.-<br />

<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei und das Sinfonische Collegium Essen hatten sich zu dieser<br />

impos<strong>an</strong>ten Aufführung zusammengefunden, Ute Frühhaber und Wilhelm<br />

Pommerien s<strong>an</strong>gen die Solopartien, die Gesamtleitung hatte Eginhard Köhler.<br />

Das Kirchenschiff war voll besetzt.<br />

Die <strong>–</strong> in weiten Jahresabständen- wiederkehrende Aufführung dieses Werks wirft einige<br />

Fragen auf. Über die große Zahl liturgischer und für den gottesdienstlichen Gebrauch<br />

bestimmten Requiem-Kompositionen heben sich nach Heinrich Schütz´ Exequien<br />

nur drei Werke heraus, die als konzertierende <strong>Kirchenmusik</strong> mit künstlerischem


Anspruch den gottesdienstlichen Rahmen sprengen: „Das“ klassische Requiem von<br />

Mozart, Verdis opernhaft dramatische Messa da Requiem und Brahms´ Deutsches<br />

Requiem, das Bekenntniswerk eines ev<strong>an</strong>gelischen Gläubigen. Sie haben gemeinsam,<br />

dass sie vor mehr als hundert Jahren entst<strong>an</strong>den sind und nichts von dem Grauen<br />

der großen Kriege ahnen lassen können, die seitdem über uns gekommen sind und<br />

deren Opfer es zu betrauern gilt.<br />

Anders als die Literatur und die Bildende Kunst, welche die letztverg<strong>an</strong>genen Jahrzehnte<br />

als zentrales Thema aufzuarbeiten suchen, hat die Musik noch keine Sprache<br />

für das millionenfache <strong>St</strong>erben dieser Zeit gefunden.[*] Die <strong>Kirchenmusik</strong> ist der Kirche,<br />

die es <strong>an</strong> Bereitschaft, sich der Last der Geschichte zu stellen, nicht fehlen lässt,<br />

ihren Beitrag schuldig geblieben. Es scheint, als wenn das Jahrhunderte alte Tongebäude,<br />

in welchem Bach mit seinen Vorgängern und die Klassiker bis hin zur letzten<br />

Jahrhundertwende ihren Platz f<strong>an</strong>den, keinen Raum mehr bietet für das, was heute<br />

gesagt werden müsste.<br />

Es ist mit Sicherheit kein Zufall, dass Arnold Schönberg in seinem zeugnishaften Melodram<br />

„Ein Überlebender von Warschau“ nicht nur seine von ihm begründete Zwölftonsprache<br />

<strong>an</strong>wendet, sondern darüber hinaus <strong>an</strong> die <strong>St</strong>elle von Sängern einen Sprecher<br />

setzt. Als vielleicht und vorläufig einziges Jahrhundertwerk überkonfessioneller<br />

<strong>Kirchenmusik</strong> ist Igor <strong>St</strong>rawinskys Psalmen-Sinfonie bestimmt, in die Geschichte einzugehen.<br />

Die Frage stellt sich, ob und w<strong>an</strong>n wir bereit sind, den von der Geschichte<br />

vorgezeichneten Weg mitzugehen.<br />

In diesem glaubens-, musik- und zeitgeschichtlichen Zusammenh<strong>an</strong>g gestellt, erstrahlt<br />

Brahms´ zeitübergreifende Größe in desto hellerem Licht, wenn auch nicht in<br />

allen sieben Teilen seines Requiems. Von zeitloser Gültigkeit bleiben der über alles<br />

Leid hinwegtröstende Eing<strong>an</strong>gschor und der grausige Triumphmarsch des Todes,<br />

auch die Vision der lieblichen Himmelsfreuden im vierten und im fünften Teil im Kontrast<br />

zu den Posaunen des Jüngsten Gerichts. Die zeitgebundene und trotz ihrer<br />

kontrapunktischen Meisterschaft allzu deutlich auf Bach zurückweisenden Fugensätze<br />

lassen das Totengedenken je öfter, desto mehr zurücktreten.<br />

Im kraftvollen Ausmalen der ewigen Freuden widerstrebt Brahms´ subjektive Glaubenszuversicht<br />

mit den objektiven Anforderungen eines trauervollen Gedächtniswerks,<br />

wie sie eine veränderte Welt erfordert. Ob zu Recht: das muss jederm<strong>an</strong>n für<br />

sich selbst entscheiden.<br />

Dieses Konzert zum Volkstrauertag zeigte ein weiteres Mal die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei<br />

unter ihrem Leiter Eginhard Köhler auf der Höhe ihrer Leistungsfähigkeit. Am nachhaltigsten<br />

beeindruckte der in allen <strong>St</strong>immen stattlich besetzte Chor in der Kultivierung<br />

eines beseelten Pi<strong>an</strong>o. In diesen leisen Tönen <strong>–</strong> so der Programmzettel <strong>–</strong> zeigte<br />

sich der Rom<strong>an</strong>tiker Brahms am ergreifendsten, im Gegensatz zu den allzu rasch zum<br />

Fortissimo gesteigerten Fugen und Teilschlüssen.<br />

Als orchestraler Partner leistete das Sinfonische Collegium Essen der klaren<br />

Zeichengebung durch Eginhard Köhler gute Gefolgschaft. Bei so großen Besetzungen<br />

ist allerdings die Gefahr stets gegenwärtig, dass Chor, Orchester und Dirigent ein<strong>an</strong>der<br />

zu unnötiger Kraftentfaltung emporsteigern, zumal in einer so halligen Kirchenakustik.<br />

So überwogen die lobpreisenden und freudigen Chorpartien die trauernden<br />

und tröstenden. Am innigsten kam diese zentrale Aussage des Requiems in der <strong>an</strong>rührenden<br />

Interpretation der Sopr<strong>an</strong>partie durch Ute Frühhaber zur Geltung.


Ihr klarer Sopr<strong>an</strong> lag mühelos über dem vollen Orchesterkl<strong>an</strong>g. In der dramatischen<br />

Beschwörung des Jüngsten Gerichts konnte Wilhelm Pommerien alle Register seines<br />

machtvollen Baritons ausschöpfen.<br />

D<strong>an</strong>kenswerterweise war darum gebeten worden, auf Beifallsäußerungen zu verzichten.<br />

So konnte jederm<strong>an</strong>n unter dem Geläut der Glocken sich seinen eigenen Ged<strong>an</strong>ken<br />

und Empfindungen hingeben.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

[*] Anm. des Chronisten: Hier irrt der Rezensent. Das „War Requiem“ von Benjamin<br />

Britten („Mein Thema ist der Krieg und das Leid des Krieges.“) wurde am 30.05.1962<br />

in Coventry mit englischen und deutschen Solisten uraufgeführt. Die deutsche Erstaufführung<br />

f<strong>an</strong>d am 08.06.1963 in München statt, also bereits vor einem Vierteljahrhundert!<br />

In der Lüneburger Joh<strong>an</strong>niskirche wurde das „War Requiem“ zuletzt am<br />

17.02.1988 aufgeführt.<br />

Passionsmusik<br />

(Freitag, 18.03.1988, 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 22.03.1988<br />

Regers Choralk<strong>an</strong>tate war der Höhepunkt des<br />

Abends<br />

Passionsmusik in der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Kirche<br />

<strong>Uelzen</strong>. Eine Passionsmusik in der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Kirche mit Chorwerken aus viereinhalb<br />

Jahrhunderten bewies eindrucksvoll die unveränderte Bedeutung des Gemeindeliedes<br />

für die protest<strong>an</strong>tische <strong>Kirchenmusik</strong>, unbeschadet seiner stilistischen W<strong>an</strong>dlungsfähigkeit<br />

und seiner kompositorischen Verarbeitungen.<br />

Nach zwei Motetten aus dem 16. und 17. Jahrhundert <strong>–</strong> von Othmayr und Schütz <strong>–</strong><br />

betonte eine Spruchmotette von Carl Heinrich Graun (um 1750) den Einbruch eines<br />

subjektiven Ausdruckswillens einer erwachenden Generation. Die Rom<strong>an</strong>tik, hier vertreten<br />

durch einen Kyrie-Satz des seinerzeit hochgeschätzten Josef Rheinberger,<br />

führte diese Linie, wenn auch verbreitert und verwässert, bis gegen die letzte Jahrhundertwende<br />

fort.<br />

Verglichen mit der Kl<strong>an</strong>gsattheit dieser Musik war es fast schmerzhaft zu hören, mit<br />

welcher selbstauferlegten Kargheit der Mittel, die wir heute als m<strong>an</strong>iriert empfinden,<br />

H<strong>an</strong>s Friedrich Micheelsen nach dem Zweiten Weltkrieg um einen Neu<strong>an</strong>f<strong>an</strong>g r<strong>an</strong>g.<br />

Es war eine sehr glückliche Eingebung von Eginhard Köhler, dass er zum Schlussund<br />

Höhepunkt dieser Passionsmusik ein Werk des letzten unumstrittenen Meisters<br />

der <strong>Kirchenmusik</strong> machte: die Choralk<strong>an</strong>tate „O Haupt voll Blut und Wunden“ von<br />

Max Reger. Wie in einem still dahinziehenden Trauerkondukt folgten hier zehn <strong>St</strong>rophen<br />

aufein<strong>an</strong>der, in halbdunkle, wortgezeugte Harmonien getaucht.<br />

Die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei bewährte sich glänzend in der ungewohnten Aufgabe, sich<br />

acht <strong>St</strong>rophen l<strong>an</strong>g jede subjektive Äußerung zu versagen, um nur zum Schluss hin


ihre Anteilnahme desto erschütternder ahnen zu lassen. Der D<strong>an</strong>k der Hörer best<strong>an</strong>d<br />

in ergriffenem Schweigen.<br />

Mit Oboe und Violine sowie <strong>an</strong> der Orgel trugen Friederike <strong>St</strong>ückrath, Barbara Schurig<br />

und Axel Fischer zum Gelingen der Passionsmusik bei.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

1 9 8 7<br />

Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach (1685 <strong>–</strong> 1750): Weihnachtsoratorium (K<strong>an</strong>taten 1 - 3)<br />

(Samstag, 12.12.1987, 20.00 Uhr)<br />

Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach (1685 <strong>–</strong> 1750): Weihnachtsoratorium (K<strong>an</strong>taten 4 - 6)<br />

(Sonntag, 13.12.1987, 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 15.12.1987<br />

Alle sechs K<strong>an</strong>taten: Ein Fest der Verkündigung<br />

Bachs Weihnachtsoratorium in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong><br />

<strong>Uelzen</strong>. Alle zwei Jahre wieder kommt Bachs Weihnachtsoratorium zu uns,<br />

d<strong>an</strong>k der unermüdlichen Singfreude der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei unter K<strong>an</strong>tor<br />

Eginhard Köhler und seiner guten Zusammenarbeit mit dem Kulturkreis.<br />

Viele der rund hundert K<strong>an</strong>toreimitglieder, die sich d<strong>an</strong>n von nah und fern<br />

versammeln, singen das „W. O.“ heute so gut wie auswendig, besser: inwendig.<br />

Die Fr<strong>an</strong>zosen und die Engländer sagen noch treffender „par<br />

chœur“ und „by heart“, mir dem Herzen.<br />

Ebenso erlebten die vielen Hörer diese vorweihnachtliche Feier: als musikalische Predigt<br />

von Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach, dessen Ged<strong>an</strong>ken keiner Hinterfragung bedürfen,<br />

sondern sich ohne intellektuelle Umwege unmittelbar dem aufnahmebereiten Hörer<br />

erschließen.<br />

Dass die in Töne gefasste Interpretation der biblischen Weihnachtsgeschichte nach<br />

Lukas und Matthäus, sinnfällig unterstützt von Choralstrophen und freien Dichtungen,<br />

trotz ihres Verkündigungscharakters ein hohes Kunstwerk mit entsprechendem<br />

Aufführungs<strong>an</strong>spruch darstellt, verleiht m<strong>an</strong>chen Hörer dazu, dies als Konzertereignis<br />

misszuverstehen, - was es gewiss, wenn auch in zweiter Linie, außerdem auch ist, -<br />

und Beifall zu spenden. Auch diesmal regten sich einige Hände; aber die schweigende<br />

Mehrheit trug den D<strong>an</strong>k für diese weihnachtliche <strong>St</strong>unde still mit sich heim.<br />

Allerdings lässt sich nicht übersehen, dass der königliche Gl<strong>an</strong>z der Trompeten in den<br />

drei ersten und der stillere Kl<strong>an</strong>g der Hörner in den drei letzten K<strong>an</strong>taten durchaus<br />

weltlich konzerthafte Assoziationen heraufbeschwören. Schließlich sind nicht weniger<br />

als zehn der schönsten Chöre und Arien zwei Gratulationsmusiken für königliche und<br />

kurprinzliche Geburtstagskinder entnommen.


Dieses „Parodie“-Verfahren der Umtextierung weltlicher Gelegenheitsmusiken zu<br />

kirchlichem Dauergebrauch wurde von Bach virtuos geh<strong>an</strong>dhabt; nur so konnte er<br />

sein gewaltiges Lebenswerk schaffen.<br />

Freilich unterlief selbst ihm <strong>–</strong> oder seinen Textdichtern <strong>–</strong> m<strong>an</strong>che Ungenauigkeit.<br />

Wenn beispielsweise der Eing<strong>an</strong>gs- und Schlusschor der dritten K<strong>an</strong>tate „Herrscher<br />

des Himmels“ befremdlich, ohne die übliche Schlusskadenz und damit ohne befriedigenden<br />

Schlusspunkt, endet, so war dies in der zugrunde liegenden Fassung wohlbegründet.<br />

Dort heißt es nämlich: „Königin lebe, ja lebe noch l<strong>an</strong>g!“ Meisterhafter<br />

ließ sich das dort, aber nicht im kirchlichen Text stehende Ausrufezeichen nicht in<br />

Töne setzen.<br />

Die tragende Säule dieser erstmaligen Aufführung aller sechs K<strong>an</strong>taten war wiederum<br />

die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei. Un<strong>an</strong>gefochten von den Diskussionen über die rechte <strong>–</strong><br />

die „richtige“? <strong>–</strong> Aufführungspraxis alter Musik setzt Köhler die hundertköpfige K<strong>an</strong>torei<br />

ein. Dies sichert den großen Eckchören ihre machtvolle Wirkung, aber dass auch<br />

die kunstvoll auskomponierten Chorsätze mit bemerkenswerter Deutlichkeit durchgezeichnet<br />

wurden, stellt ein Zeugnis intensiver Chorarbeit und straffer Chordisziplin<br />

dar.<br />

Eginhard Köhler überträgt sein <strong>an</strong> Bach orientiertes Orgelspiel, weiträumig disponierend<br />

und mit sparsamsten <strong>St</strong>ärke- und Zeitmaßmodifikationen auskommend, auf sein<br />

Chordirigieren. Dies gilt auch für die Choralstrophen, die somit jeweils ihren klar bestimmten<br />

Ausdruck finden und bewahren.Zuweilen wählt Eginhard Köhler fast extreme<br />

Zeitmaße, so bei der gedehnten, irdisch-lastenden Sinfonie zu Beginn der zweiten<br />

K<strong>an</strong>tate oder bei dem im Tempo übersteigerten Chor der dritten K<strong>an</strong>tate.<br />

Das Quartett der Solisten war glücklich gewählt. Als Ev<strong>an</strong>gelist hält Peter Bartels<br />

nichts von einer objektivierenden Berichterstatter-Auffassung. Sein bachisch schmal<br />

geführter Tenor war das rechte Instrument für eine subjektiv-eindringliche Interpretation<br />

des Weihnachtsgeschehens. Die heikle Hirtenarie war ein Meisterstück.<br />

Die Basspartie war mit Ralf Döhring ebenbürtig besetzt. Sein kraftvolles Org<strong>an</strong> war<br />

wie geschaffen für die trompeten-glänzende Arie „Großer Herr“ ebenso wie für die<br />

rezitativischen Einschübe. Die <strong>an</strong>gekündigte Indisposition der Altistin Monika<br />

Moldenhauer machte sich d<strong>an</strong>k ihrer professionellen <strong>St</strong>immführung nicht entscheidend<br />

bemerkbar. Der Sopr<strong>an</strong> war mit Sigrid <strong>St</strong>umme besetzt. Ihre <strong>an</strong>sprechende<br />

<strong>St</strong>imme kl<strong>an</strong>g allerdings in der Höhe leicht <strong>an</strong>gestrengt.<br />

Dass Lüneburger Bach-Orchester leistete die gewohnt verlässliche Partnerschaft, sowohl<br />

im Pleno als auch in obligater Arien-Begleitung. Die hinzugezogenen Trompeten<br />

allerdings boten ein wenig zu viel <strong>an</strong> festlichem Gl<strong>an</strong>z auf: ihr ständiges Forte verführte<br />

Orchester und Chor zu nur zuweilen <strong>an</strong>gebrachter Kraftentfaltung. Zur Rundung<br />

des Kl<strong>an</strong>gs und zur Abstützung der Rezitative erwies sich die Orgel <strong>–</strong> mit Paul-<br />

Gerhardt Heringslack <strong>–</strong> als wertvolle Bereicherung.<br />

Der Besuch war am Sonnabend sehr stark, am Sonntag verständlicherweise schwächer.<br />

Eben deshalb ist es den Ver<strong>an</strong>staltern zu d<strong>an</strong>ken, dass sie diesmal alle sechs<br />

K<strong>an</strong>taten auf das Programm setzten. Der zweite Teil des Weihnachts-Oratoriums<br />

birgt Schätze <strong>an</strong> Chören, Arien und Ensemblesätzen, die wohl nicht in jedem zweiten<br />

Jahr, wohl aber in m<strong>an</strong>chem Jubeljahr zur Bewunderung hervorgeholt zu werden<br />

verdienen.<br />

HUGO HEUSMANN


Geistliche Abendmusik<br />

(Samstag, 17.10.1987, 20.00 Uhr, <strong>St</strong>.P<strong>an</strong>kratius H<strong>an</strong>kensbüttel)<br />

Isenhagener Kreisblatt (?) vom ??.10.1987<br />

Exzellente Orgelmusik <strong>–</strong> einfühlsame Chorvorträge<br />

Ergreifende Abendmusik in der P<strong>an</strong>kratius-Kirche<br />

H<strong>an</strong>kensbüttel. Als Ergebnis einer Chorwoche in der Ev<strong>an</strong>g. Akademie in<br />

Bad Alex<strong>an</strong>dersbad im Fichtelgebirge bot die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei <strong>Uelzen</strong><br />

eine beachtenswerte Geistliche Chormusik. Es ist sicher den<br />

H<strong>an</strong>kensbütteler Sängern in dieser bedeutenden Chorgemeinschaft zu verd<strong>an</strong>ken,<br />

dass eine der drei gepl<strong>an</strong>ten Aufführungen nach Weißenstadt*<br />

und vor <strong>Uelzen</strong> in der ehrwürdigen <strong>St</strong>.-P<strong>an</strong>kratius-Kirche zu H<strong>an</strong>kensbüttel<br />

stattf<strong>an</strong>d.<br />

Zum Auftakt der Geistlichen Abendmusik trug Karl-Heinrich Büchsel aus eigener<br />

Komposition acht Orgelstücke für den Gottesdienst vor. Mit sparsamsten gestalterischen<br />

Mitteln geschaffen, ließ Büchsel hier moderne Orgelmusik erklingen, die für<br />

viele Ohren durch ihre Atonalität noch ungewohnt ist. Sie entzieht sich den gewohnten<br />

formalen Zwängen, will aufrütteln, betroffen machen, nicht berieseln. Ein interess<strong>an</strong>ter<br />

„Kontrapunkt“ zu den nachfolgenden Musikwerken.<br />

“Singet fröhlich Gott“, eine Motette für fünfstimmigen Chor von Joh<strong>an</strong>n Herm<strong>an</strong>n<br />

Schein (1586 <strong>–</strong> 1630) eröffnete die Vokalmusik. Dieses Werk aus dem Cymbalum<br />

Sionium von 1615 wurde bei guter Ausgewogenheit der <strong>St</strong>immen mitreißend und<br />

eindrucksstark vorgetragen.<br />

Der Chorsatz „Lobt Gott getrost mit Singen“ von Joh<strong>an</strong>n Eccard (1553 <strong>–</strong> 1611), einem<br />

der fruchtbarsten Meister sakraler Musik, wurde im Wechsel zwischen Chor und<br />

Gemeinde gesungen. Der Chor gefiel durch einfühlsamen Vortrag.<br />

Die Motette „Es ist das Heil uns kommen her“ für fünfstimmigen Chor von Joh<strong>an</strong>nes<br />

Brahms (1833 <strong>–</strong> 1897 überzeugt in ihrer polyphon gehaltenen Musik durch ihre großartige<br />

Ausdeutung tiefer Menschlichkeit. Auch die schwierigsten Passagen wurden<br />

vom Chor vorbildlich gemeistert.<br />

Die „Pièces pour orgues“ von César Fr<strong>an</strong>ck (1822 <strong>–</strong> 1890) atmen formgebundene<br />

Klassik und zugleich rom<strong>an</strong>tische Züge. K.-H. Büchsel brachte sie beeindruckend zu<br />

Gehör. Es folgte Heinrich v. Herzogenberg (1843 <strong>–</strong> 1900). Die in feinsinniger Phrasierung<br />

dargebotenen „Liturgischen Gesänge“ zeugen von erstaunlicher Gestaltungskraft<br />

des Komponisten. Von der ihm gelegentlich nachgesagten akademischen Trockenheit<br />

war hier nichts zu spüren.<br />

Im „Abendlied“, einer Motette für sechsstimmigen Chor von Josef Rheinberger (1839<br />

<strong>–</strong> 1901) tritt er mit strengem Kontrapunkt dem rom<strong>an</strong>tischen Formenzerfall entgegen.<br />

Der Chor gestaltete das Werk sehr feinsinnig. Nach der Lesung erkl<strong>an</strong>g als eindrucksvolle<br />

Krönung des Abends Joh. Seb. Bachs Motette für achtstimmigen Doppel-


chor „Komm, Jesu, komm“. Hierbei spürte m<strong>an</strong> die Unerschöpflichkeit der<br />

Bach´schen Gestaltungskraft.<br />

Der Chor konnte sein gewaltiges <strong>St</strong>immvolumen voll ausschöpfen. Er stellte unter<br />

Beweis, dass er in unserer weiteren Region unter der bewährten Leitung von Eginhard<br />

Köhler eine führende Rolle spielt. Einen besseren Besuch hätte er verdient gehabt.<br />

Aber bei drei musikalischen Ver<strong>an</strong>staltungen in einer Woche in H<strong>an</strong>kensbüttel<br />

plus „Schwarzwaldklinik“ erscheint verständlich, dass einige Hörer wegblieben.<br />

-bd-<br />

*im Original fälschlicherweise „Weißenburg“<br />

Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach (1685-1750): Joh<strong>an</strong>nes-Passion<br />

(Sonntag, 29.03.1987, 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 31.03.1987<br />

Die Joh<strong>an</strong>nes-Passion ist Musik der Liturgie<br />

<strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei <strong>–</strong> Hort der Bach-Pflege<br />

<strong>Uelzen</strong>. Die drei großen oratorischen Werke von Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach,<br />

die beiden Passionen und das Weihnachtsoratorium, werden von Eginhard<br />

Köhler und der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei in absehbaren Zeiträumen immer wieder<br />

aufgeführt, und jedes Mal ist das große Kirchenschiff voll besetzt. Daraus<br />

folgt zweierlei.<br />

Erstens: Wirklich große Kunst lernt m<strong>an</strong> nur durch wiederholtes Hören gut kennen;<br />

erst d<strong>an</strong>n erschließt sie sich voll. Und zweitens: Diese drei Hauptwerke der ev<strong>an</strong>gelischen<br />

<strong>Kirchenmusik</strong> sind im Begriff, etwas von ihrer ursprünglich liturgischen Bedeutung<br />

wiederzuerl<strong>an</strong>gen, die über das Nur-Künstlerische hinausweist.<br />

Nach der Aufführung der Joh<strong>an</strong>nes-Passion am Sonntagabend rührte sich keine H<strong>an</strong>d<br />

zum Beifall, wie m<strong>an</strong> ihn Künstlern als D<strong>an</strong>k spendet. Da war wohl der schönste Lohn<br />

für alle, die hier mitwirkten.<br />

Dieses galt vorweg der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei, die auch diesmal wieder ihre Leistungsfähigkeit<br />

besonders bei der Interpretation der Chormusik von Bach bewies. Die Zeiten,<br />

da eine rom<strong>an</strong>tisierende Aufführungspraxis die Oratorienchöre kaum groß genug<br />

haben konnte, sind vorbei, und im Zuge der Alte-Musik-Bewegung wollen Kl<strong>an</strong>gpuristen<br />

die Zahl der Choristen auf jene etwa zw<strong>an</strong>zig Sänger begrenzen, die Bach <strong>an</strong><br />

Thom<strong>an</strong>ern zur Verfügung hatte.<br />

Gewiss lässt sich d<strong>an</strong>n jene Klarheit der <strong>St</strong>immführung am ehesten erreichen, die<br />

Bachs kontrapunktischer Setzweise gerecht wird; aber d<strong>an</strong>n bleibt wenig von der<br />

dramatischen Wucht der zahlreichen Chorsätze übrig, durch die sich die Joh<strong>an</strong>nes-<br />

Passion von der Matthäus-Passion unterscheidet.<br />

Wie nun Eginhard Köhler seine fast hundertköpfige K<strong>an</strong>torei aus diesem Dilemma<br />

heraus zu einer bis in die Details hinein durchzeichnenden Beweglichkeit der <strong>St</strong>immen<br />

und <strong>an</strong>derseits zu einer mitreißenden Ausdruckskraft der Massenchöre führte,<br />

war beredtes Zeugnis für eine intensive und durch das dramatische Geschehen auf


Golgatha inspirierte Chorarbeit. Bis in die vom Text her sprechend interpretierten<br />

Choräle hinein trug die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei den entscheidenden Anteil <strong>an</strong> dieser <strong>–</strong><br />

wenn m<strong>an</strong> es hier sagen darf <strong>–</strong> mitreißenden Aufführung.<br />

Ob dem Eing<strong>an</strong>gschor mit seiner Groß-Architektur nicht eher eine holzschnitzartige<br />

Anlage <strong>an</strong>gemessen gewesen wäre, außerhalb der eigentlichen H<strong>an</strong>dlung, k<strong>an</strong>n wohl<br />

unterschiedlich gesehen werden.<br />

Die Besetzung der Ev<strong>an</strong>gelisten-Partie mit Peter Bartels war ein Glücksgriff. Seine<br />

Interpretation des Ev<strong>an</strong>geliums-Textes, die sich auf einen makellos geführten und<br />

intonierenden Tenor stützte, erfüllte den Passionsbericht mit lebendiger Anteilnahme,<br />

ohne die Grenze zur Subjektivität zu überschreiten. Neben ihm hatte das Solisten-<br />

Quartett <strong>–</strong> Regine Adam, Marlene Worms, Gerhard Kern und Theodor Nelle (Christus)<br />

<strong>–</strong> keinen leichten <strong>St</strong><strong>an</strong>d.<br />

Das um einige Bläser erweiterte Lüneburger Bachorchester bewährte sich im Zusammenwirken<br />

mit Paul-Gerhardt Heringslack <strong>an</strong> der Orgel ein weiteres Mal als zuverlässiger<br />

Partner.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

1 9 8 6<br />

Adventsmusik<br />

(Sonntag, 14.12.1986, 17.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom ??.12.1986<br />

Geistliche Adventsmusik aus vorbachischer K<strong>an</strong>torenpraxis<br />

az <strong>Uelzen</strong>. Zu einem Geistlichen Konzert in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong> hatte sich eine große<br />

Hörergemeinde eingefunden; selbst die Seitenschiffe waren übervoll besetzt.<br />

Eginhard Köhler hatte umf<strong>an</strong>greiche Vorarbeit für dieses vorweihnachtliche Konzert,<br />

das Jahr um Jahr mit Bachs Weihnachtskonzert abwechselt, getroffen.<br />

Zwei Geistliche Konzerte und eine K<strong>an</strong>tate für Chor und Orchester aus der vorbachischen<br />

K<strong>an</strong>torenpraxis bestimmten den adventlichen Grundton der Musik. Die <strong>St</strong>.-<br />

<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei unter seiner Leitung und das <strong>Uelzen</strong>er Kammerorchester unter<br />

Wulff-Dieter Irmscher ergänzten ein<strong>an</strong>der zu festlichem Musizieren.<br />

Dietrich Roreck, Bass, und zwei Trompeten gaben dem Kl<strong>an</strong>g zusätzliche Akzente.<br />

Eine a-cappella-Motette von Heinrich Schütz schuf willkommene Abwechslung, desgleichen<br />

das <strong>Uelzen</strong>er Kammerorchester mit Corellis Concerto grosso in g-Moll, dem<br />

„Weihnachtskonzert“ mit der abschließenden Pastorale. An der Orgel trug Paul-<br />

Gerhardt Heringslack zur instrumentalen Bereicherung bei.<br />

Die Gemeinde wurde mit Adventschorälen, im Wechsel mit der K<strong>an</strong>torei gesungen, in<br />

das gottesdienstliche Musizieren einbezogen. Zu musikalischen Höhepunkten wurden


der Chorsatz zu dem alten Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“ und <strong>–</strong> als<br />

trompetenglänzende Überhöhung <strong>–</strong> Händels „Tochter Zion“, in dem sich K<strong>an</strong>torei und<br />

Gemeinde machtvoll zusammenf<strong>an</strong>den.<br />

In einem geistlichen Wort zum Sonntagsev<strong>an</strong>gelium ging Pastor Dr. Martin Tamcke<br />

auf die Funktion der Musik als Botschafterin des Bibelworts ein. „Das einzig Notwendige<br />

ist das Hören“, sagte er, mit diesen Worten den Sinn kirchlichen Musizierens<br />

und des Gottesdienstes zugleich umreißend.<br />

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 <strong>–</strong> 1847): Psalm 42 "Wie der Hirsch schreit nach<br />

frischem Wasser"<br />

Fr<strong>an</strong>cis Poulenc (1899 <strong>–</strong> 1963): Gloria<br />

Anton Bruckner (1824 <strong>–</strong> 1896): Te deum<br />

(Sonntag, 28.09.1986, 18.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 30.09.1986<br />

Religiöse Musik zwischen Gottesdienst und Konzert<br />

Drei große Chorwerke in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong><br />

<strong>Uelzen</strong>. "Behüt´ euch Gott, ihr Kinder, ist es doch, als säßen wir in der<br />

Oper!" Dieser <strong>St</strong>oßseufzer wird einer Dame zugeschrieben, die einer Aufführung<br />

der Matthäus-Passion von Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach unter der Leitung<br />

des Komponisten beiwohnte. Es hätte wenig Sinn, es beim Kopfschütteln<br />

über dieses vermeintliche Fehlurteil bewenden zu lassen, denn diese<br />

sicherlich gebildete Dame hat d<strong>an</strong>kenswerterweise <strong>an</strong> einem konkreten<br />

Beispiel auf das seit eh und je und bis heute bestehende Sp<strong>an</strong>nungsverhältnis<br />

zwischen weltlich-prof<strong>an</strong>er und kirchlich-religiöser Musik aufmerksam<br />

gemacht.<br />

Zur Verdeutlichung einige Beispiele aus zwei Jahrhunderten:<br />

• Beethovens "Missa Solemnis", gewaltiges Zeugnis verzweifelter Gottsuche, blieb<br />

kirchlichem Musizieren bis heute suspekt.<br />

• Haydns frommes "Schöpfungs"-Oratorium wurde in Hamburg bis in unsere sechziger<br />

Jahre hinein, wo es - übrigens unter Mitwirkung eines <strong>Uelzen</strong>er Chores - erstmalig<br />

in einer Kirche aufgeführt wurde, dem öffentlichen Konzertleben vorbehalten.<br />

• Das bedeutendste und ergreifendste Chorwerk unseres Jahrhunderts, <strong>St</strong>rawinskis<br />

"Psalmen-Symphonie", hat einen festen Platz in den Konzertsälen der Welt.<br />

• Pendereckis "Joh<strong>an</strong>nes-Passion", wegweisend für die <strong>Kirchenmusik</strong> unserer Zeit,<br />

hat mit Bachs Passionsmusiken nur den Bibeltext gemein.<br />

Die Reihe ließe sich fortsetzen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die wichtigsten<br />

Werke und Impulse neuer religiöser Musik seit längerem von außerhalb der Kirche,<br />

zumeist von Komponisten des fr<strong>an</strong>zösisch-katholischen Kulturkreises, kommen,


<strong>an</strong> ihrer Spitze Olivier Messiaen, aber auch - um zum aktuellen Anlass zu kommen -<br />

Fr<strong>an</strong>cis Poulenc.<br />

Ist sein "Gloria", das wir am Sonntag in der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Kirche hören durften, gottesdienstliche<br />

oder Konzertmusik? Diese Frage wird sich wohl jeder der vielen Hunderte<br />

von Besuchern gestellt haben, zumal er von Eginhard Köhler eing<strong>an</strong>gs auf den gottesdienstlichen<br />

Charakter dieses Kirchenkonzerts hingewiesen wurde, das in Klage,<br />

Lobpreis und Glaubensbekenntnis den Kreis eines jeden Gottesdienstes nachvollziehe.<br />

Wer wollte von sich sagen, ob er vor allem wegen der Musik oder um der biblischen<br />

Texte willen gekommen war, wo doch beides untrennbar verschmolzen ist.<br />

Aber wenn selbst dem Autor Poulenc - so die Platteneinführung - bescheinigt wird,<br />

dass "die Einstellung des Komponisten zum Text keineswegs theologisch, sondern<br />

eher musikalisch ist", wird eine Entscheidung schwerfallen. Sie wird in jedem Fall<br />

subjektiv und unübertragbar ausfallen müssen. So auch die meinige.<br />

Für mich gab es in Mendelssohns Psalmk<strong>an</strong>tate "Wie der Hirsch schreit" einige <strong>St</strong>ationen,<br />

wo die Musik über sich hinaus tr<strong>an</strong>szendierte: im Eing<strong>an</strong>gschor und in den Dialogen<br />

des Sopr<strong>an</strong>s mit dem Chor und der Männerstimme. Der herkömmliche gewaltige<br />

Schlusschor gehörte nicht dazu. Bruckners großartigem Te Deum vermochte ich<br />

nur mit "Konzert"-Ohren zu folgen; es lag wohl <strong>an</strong> der Verlorenheit der lateinischen<br />

Texte in der Übermächtigkeit der Klänge. In den Ohren habe ich das brausende Lobpreisen<br />

des Chors und des Orchesters mit nach Hause genommen, aber weiterwirken<br />

werden die Anrufungen der Dreieinigkeit im Mittelteil des "Gloria" von Poulenc.<br />

Wenn es hier noch eine <strong>St</strong>eigerung, nein: eine Vertiefung der Verinnerlichung gab,<br />

d<strong>an</strong>n war es das tief demütige, in die Unendlichkeit weisende "Amen" des Schlussgebets.<br />

D<strong>an</strong>k sei der großartigen Sopr<strong>an</strong>istin Ute Frühhaber, deren <strong>St</strong>imme engelsgleich<br />

über den Chor- und Orchesterwogen schwebte.<br />

•••••<br />

Was die künstlerischen und org<strong>an</strong>isatorischen Leistungen betrifft, die Eginhard Köhler<br />

hier erbrachte, k<strong>an</strong>n es nur uneingeschränkte Anerkennung, ja, Bewunderung geben.<br />

Seit Köhler vor dreißig Jahren sein Amt <strong>an</strong> <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong> übernahm, hat er seine K<strong>an</strong>torei<br />

in unermüdlicher Arbeit zu einer eindrucksvollen Leistungshöhe geführt und sich<br />

selber zu einem Chor- und Orchesterleiter von Format entwickelt. Die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-<br />

Gemeinde, <strong>St</strong>adt und Kreis <strong>Uelzen</strong> haben ihm viel zu d<strong>an</strong>ken, zumal er auch im Kulturkreis<br />

fruchtbare Arbeit leistet und seine persönlichen Berufsinteressen mehrmals<br />

hint<strong>an</strong>gestellt hat.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

1 9 8 5<br />

Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach (1685 <strong>–</strong> 1750): Weihnachtsoratorium (K<strong>an</strong>taten 1 - 3)<br />

(Sonntag, 15.12.1985, 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 17.12.1985<br />

Nun ist das Bach-Jahr endgültig vorbei


Mit Bachs Oratorium Weihnachten eingesungen<br />

<strong>Uelzen</strong>. Die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Kirche konnte am Sonntagabend die vielen Besucher<br />

kaum fassen, die gekommen waren, um nach vier Jahren wieder einmal<br />

Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bachs Weihnachts-Oratorium zu hören. Dieses<br />

Weihnachtskonzert ist für viele Familien zum traditionellen Treffpunkt zu<br />

Beginn der Weihnachtszeit geworden, und offenbar gilt Ähnliches für die<br />

<strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei. Mit nahezu hundert Sängern und Sängerinnen war sie<br />

nahe dar<strong>an</strong>, nicht nur in räumlicher Hinsicht den Rahmen zu sprengen.<br />

Zwei Probleme sind bei der Aufführung des Weihnachts-Oratoriums zu lösen. Erstens:<br />

Da es von Bachs Konzeption her kein eigentliches Weihnachts-Oratorium gibt,<br />

sondern nur eine Folge von sechs in sich geschlossenen K<strong>an</strong>taten für den weihnachtlichen<br />

Festkreis, geht es darum, bei der üblich gewordenen Aufführung nur der ersten<br />

drei K<strong>an</strong>taten einen inhaltlich und formal überzeugenden Abschluss zu finden.<br />

Meist hilft m<strong>an</strong> sich - so auch Eginhard Köhler - mit der Wiederholung des Eing<strong>an</strong>gschors<br />

der ersten K<strong>an</strong>tate, allerdings entgegen Bachs Vorschrift und trotz inhaltlicher<br />

und musikalischer Bedenken. Die hieraus resultierende Betonung des lautstark Konzerthaften<br />

war es wohl auch, die eine Minderheit zum - glücklicherweise bald abebbenden<br />

- Beifallklatschen ermunterte.<br />

Und zweitens: Trotz der von Bach und seinen Textdichtern oft bewiesenen Kunst,<br />

vorh<strong>an</strong>denen weltlichen Vokalwerken zwecks kirchlicher Verwendung religiöse Texte<br />

zu unterlegen, sie zu "parodieren", schlagen die "in unterthänigster Ehrfurcht" vor<br />

Königin, Kurfürstin und Kurprinz mit tönenden "Paucken" und schallenden Trompeten<br />

dargebrachten Glückwünsche so unüberhörbar durch, dass die herrliche Weihnachts-<br />

Sinfonia <strong>an</strong> der Krippe im steten Jubel untergeht, statt zur inneren Mitte zu werden.<br />

Dies gilt besonders d<strong>an</strong>n, wenn die Hirtenmusik, wie hier vom Lüneburger Bachorchester*,<br />

eher obenhin als mit hörbarer Hingabe gespielt wird.<br />

Die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei s<strong>an</strong>g die großen Jubelchöre mit Präzision und, von Köhler<br />

immer aufs Neue aufgefordert, "aus aller Kraft", wie es im Schlusschoral der zweiten<br />

K<strong>an</strong>tate heißt. Sie f<strong>an</strong>d aber auch für die stilleren Choräle die <strong>an</strong>gemessenen, verinnerlichten<br />

Töne. Viele Kontoristen brauchen kein Notenblatt mehr; ihnen sind diese<br />

Melodien fester Besitz geworden.<br />

Ähnliches gilt für das Lüneburger Bachorchester*. Allerdings wäre den Ges<strong>an</strong>gssolisten<br />

eine spürbare Anpassung <strong>an</strong> deren unterschiedliche <strong>St</strong>immvolumen dienlich gewesen.<br />

Dies gilt besonders von der zuweilen dominierenden Generalbass-Gruppe mit<br />

Celli und Kontrabass, Fagott und Orgel.<br />

Die entscheidend wichtige Partie des Ev<strong>an</strong>gelisten hatte Arthur J<strong>an</strong>ssen übernommen.<br />

Das war eine glückliche Wahl. Sein kultivierter Tenor verriet nicht nur in der<br />

altvertrauten Weihnachtserzählung Einfühlung und Anteilnahme, sondern machte<br />

sogar die halsbrecherische Hirtenarie zu einem <strong>an</strong>muts- und freudenvollen Lobges<strong>an</strong>g<br />

<strong>an</strong> der Krippe.<br />

Neben ihm hatte es Karola Kopreks** ausgeglichener, mezzoartiger Alt nicht leicht,<br />

sich stimmlich durchzusetzen. <strong>St</strong>eph<strong>an</strong> Brühl, Bass, f<strong>an</strong>d für die großen Rezitative<br />

seiner Partie die <strong>an</strong>gemessenen, dramatischen Töne.


Das Bach-Händel-Jubiläumsjahr 1985 brachte uns die Matthäuspassion, den "Messias"<br />

und nun das Weihnachts-Oratorium. Was wollen wir nun feiern, vielleicht Kuhlau?<br />

Er wurde 1786 in <strong>Uelzen</strong> geboren.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

* in der Originalrezension "Blasorchester" (Druckfehler?!)<br />

** in der Originalrezension "Gabriele Binder", die aber laut dem dem Programm beigelegten<br />

Hinweis erkr<strong>an</strong>kt war<br />

Georg Friedrich Händel (1685 <strong>–</strong> 1759): Der Messias<br />

(Sonntag, 03.11.1985, 17.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 05.11.1985<br />

Völkerverbindende Macht der Musik in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong><br />

Deutsche und Fr<strong>an</strong>zosen s<strong>an</strong>gen den "Messias"<br />

<strong>Uelzen</strong>. Die Dreihundertjahrfeiern zu Ehren von Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach und Georg<br />

Friedrich Händel neigen sich ihrem Ende zu, und zugleich dürfen wir uns aufatmend<br />

von den Irritationen verabschieden, die das Jahr der vierzigsten Wiederkehr des<br />

Kriegsendes mit sich brachte.<br />

Für den, der diese Aufführung von Händels "Messias" inmitten einer dichtgedrängten<br />

Hörergemeinde miterlebt hat, werden die bedrückenden Ereignisse und Diskussionen<br />

in und um Bitburg und Bergen-Belsen versinken. Was wohl niem<strong>an</strong>d vor vierzig Jahren,<br />

sechs Monate nach Kriegsende, für denkbar gehalten hätte, das wurde jetzt im<br />

Zeichen der Musik möglich:<br />

Deutsche und Fr<strong>an</strong>zosen s<strong>an</strong>gen Seite <strong>an</strong> Seite in englischer Sprache das große, das<br />

einzigartige Oratorium aus der Feder des gebürtigen Mitteldeutschen, der zeitweilig<br />

in der L<strong>an</strong>deshauptstadt H<strong>an</strong>nover arbeitete und d<strong>an</strong>n Wahlengländer wurde. Katholiken<br />

und Protest<strong>an</strong>ten stimmten gemeinsam in den großen Jubelges<strong>an</strong>g ein; Sänger,<br />

Sängerinnen und Instrumentalisten aus dem norm<strong>an</strong>nischen Rouen vereinigten sich<br />

mit der K<strong>an</strong>torei aus dem niedersächsischen <strong>Uelzen</strong> zu fast zweihundertstimmigem<br />

Musizieren.<br />

Diese Aufführung war ein Markstein nicht nur in der Geschichte der <strong>Kirchenmusik</strong> <strong>an</strong><br />

<strong>St</strong>. <strong>Marien</strong>, sondern auch der Partnerschaft unserer <strong>St</strong>adt mit der Region Bois-<br />

Guillaume. Die Umarmung der beiden maßgeblich am glücklichen Gelingen des großen<br />

Werks beteiligten Musikerpersönlichkeiten, K<strong>an</strong>tor Eginhard Köhler aus <strong>Uelzen</strong><br />

und Musikschulleiter Je<strong>an</strong> Claude Flahaut aus Rouen, besiegelte vor aller Öffentlichkeit,<br />

dass aus der Partnerschaft der beiden Regionen im Laufe der Jahre vielfältige<br />

Freundschaften erwachsen sind.<br />

Wenn sich irgendwo und irgendw<strong>an</strong>n die völkerverbindende Macht der Musik erwiesen<br />

hat, d<strong>an</strong>n war es hier und jetzt, in <strong>Uelzen</strong> und im weltweit ausgerufenen Jahr der<br />

Musik.<br />

Eine ausgewogene Interpretation


"Der Messias" eröffnet seiner Interpretation eine seltene Fülle von Möglichkeiten.<br />

Händel n<strong>an</strong>nte sein Werk, das er nicht für gottesdienstliche oder auch nur kirchliche<br />

Zwecke komponiert hatte, zwar unter dem Einfluss kirchlicher Kreise ein "sacred<br />

oratorio", wollte es also nicht zum Zwecke "edler Unterhaltung" aufgeführt wissen -<br />

wie es heute wohl weitgehend verst<strong>an</strong>den wird. Andererseits bezeugt die Sopr<strong>an</strong>-Arie<br />

"Ich weiß, dass mein Erlöser lebt", mit deren Noten in Händen er sich malen ließ,<br />

seine tiefe Gläubigkeit, die er mit der hum<strong>an</strong>istischen Idee der Besserung durch seine<br />

Kunst zu verbinden wusste.<br />

Von dem Erbauungsstil des neunzehnten Jahrhunderts mit seinem Massenaufgebot<br />

und seinem emotionalem Überschw<strong>an</strong>g reicht ein weiter Bogen bis zu der historisierenden<br />

Abmagerung des Aufführungsapparats bis auf vierzig Mitwirkende und eine<br />

"objektive" Darstellung des Kunstwerks.<br />

Unser durch die allgegenwärtige Diskussion über die Aufführungspraxis alter Musik<br />

geschärftes Ohr duldet nicht länger eine Aufführung sozusagen aus dem <strong>St</strong><strong>an</strong>de der<br />

Unschuld; es gilt, mit den gegebenen Mitteln eine stilistische Position zu finden, die<br />

neben einem runden Dutzend von Schallplatteneinspielungen bestehen k<strong>an</strong>n.<br />

Hier nun k<strong>an</strong>n es nur eine Meinung geben: Mit dieser Aufführung unter schwierigen<br />

und arbeitsintensiven Bedingungen ist Eginhard Köhler nicht nur eine technisch saubere,<br />

sondern auch stilistisch überzeugende, einheitliche Aufführung gelungen. Trotz<br />

der Übergröße des Chors blieb das Kl<strong>an</strong>gbild stets durchsichtig bei einer erstaunlichen<br />

W<strong>an</strong>dlungsfähigkeit im Ausdruck, d<strong>an</strong>k einer offensichtlich intensiven <strong>St</strong>immschulung<br />

und einer von der Orgel übernommenen Registriertechnik.<br />

Der volle, jubelnde Chorkl<strong>an</strong>g, für das dem großen Halleluja zurückgehalten, bestimmte<br />

d<strong>an</strong>n auch die nachfolgenden Chöre. Das ebenfalls für Soli und Chor<br />

durchregistrierte Orchester leistete professionell sichere Partnerschaft, hochsensibel<br />

in der Hirtenmusik, allerdings im Schlusschor dem gewaltigen Chorkl<strong>an</strong>g unterlegen.<br />

In der Beh<strong>an</strong>dlung der straffen, vorsichtig modifizierten Zeitmaße und in der auf Wesentliches<br />

konzentrierten Ausschöpfung der dynamischen Skala hielt sich Köhler von<br />

jedem Extrem fern, sehr zum Vorteil der Ausgewogenheit, die der Verkündigung<br />

ebenso diente, wie sie dem musikalischen Kunstwerk gerecht wurde.<br />

Der jubelnde D<strong>an</strong>k für diese einzigartige Aufführung galt gleichermaßen allen vier<br />

Solisten.<br />

Elisabeth Umierski vereinigte in ihrer Altpartie tiefe Empfindung mit dramatischer<br />

Erregung; Regine Adams klarer Sopr<strong>an</strong> machte die Verkündigungsszene zu einem<br />

Kristallisationspunkt des Geschehens; <strong>St</strong>eph<strong>an</strong> Brühl steigerte seinen vollen Bass bis<br />

zum erschütternden Posaunenruf des Jüngsten Gerichts, und Lothar Netts baritonal<br />

gewichtiger Tenor vervollständigte gleichr<strong>an</strong>gig das Quartett.<br />

Den fr<strong>an</strong>zösischen Gästen gilt unser Abschiedsgruß und unser Wunsch, dass sie uns<br />

in <strong>Uelzen</strong> in so guter Erinnerung behalten wie wir sie.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

Georg Friedrich Haendel (1685 <strong>–</strong> 1759): „Le Messie“<br />

(samedi 26 octobre 1985, 20.30 heures)


(dim<strong>an</strong>che 27 octobre 1985, 16.00 heures)<br />

3 A - paris-norm<strong>an</strong>die /ARTS.SPECTACLES, lundi 28 octobre 1985<br />

Six concerts pour und week-end<br />

Bach, Haendel, les compositeurs norm<strong>an</strong>ds, Maurice André ...<br />

[Ausschnitt aus Konzertrezensionen vom Wochenende]<br />

(...) »La Messie » de Haendel: Une gr<strong>an</strong>de allure<br />

Autre événement de cette fin de semaine, musicalement bien remplie, “le Messie“ de<br />

Haendel, intégralement donné deux fois de suite au théâtre Maxime-Gorki et à<br />

l´abbatiale Saint-Ouen, sous la direction de Je<strong>an</strong>-Claude Flahaut. C´est<br />

l´aboutissement d´une entreprise tenace par un ensemble de bénévoles et<br />

d´amateurs. Les chorales de Petit-Quevilly, de Rouen-Bihorel (Cassiopée), d´<strong>Uelzen</strong><br />

en RFA, pour un résultat vibr<strong>an</strong>t, exalt<strong>an</strong>t pour nous.<br />

A Rouen, il faisait froid, cela n´entamait pas la générosité de l´interprétation. Une<br />

réalisation de gr<strong>an</strong>de allure, qui fait honneur aux Norm<strong>an</strong>ds et Alem<strong>an</strong>ds réunis, pour<br />

ch<strong>an</strong>ter et jouer ce chef-d´œvre brit<strong>an</strong>nique ! Direction précise, pleine d´all<strong>an</strong>t, orchestre<br />

efficace, mise en place soignée. Des Chœurs qui partent à l´heure , mais qui<br />

farfois trainent en route d<strong>an</strong>s les mouvements un peu vifs … De magnifiques rebonds<br />

rythmiques et de l´enthousiasme c´était l´essentiel.<br />

La distribution était complétée par quatre solistes : la sopr<strong>an</strong>o, Régine Adam ch<strong>an</strong>te<br />

comme un rossignol, quelle ais<strong>an</strong>ce d<strong>an</strong>s les vocalises et les notes aiguës ! Voix<br />

ample et implor<strong>an</strong>te de l´alto, Elisabeth Umierski, qui ne se laisse pas imposer les<br />

mouvements par le chef d´orchestre. Vaill<strong>an</strong>ce très expressive du ténor, Lothar Nett.<br />

Solidité et musicalité de la basse, stéph<strong>an</strong> bruehl. Avec la trentaine<br />

d´instrumentistes, les quelque cent soix<strong>an</strong>te choristes, cela formait un ensemble<br />

d´véritable envergure, porté par un même él<strong>an</strong>.<br />

CHRISTIAN GOUBAULT<br />

Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach (1685-1750): Matthäus-Passion<br />

(Sonntag, 10.03.1985, 19.30 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 12.03.1985<br />

Predigt und Musik: Der Leidensbericht des Thomas-K<strong>an</strong>tors<br />

Eine denkwürdige Aufführung zum Bach-Jahr<br />

<strong>Uelzen</strong>. Ein würdigerer Beitrag zur Feier des 300. Geburtsjahres von Joh<strong>an</strong>n<br />

Sebasti<strong>an</strong> Bach hätte sich nicht denken lassen als diese Aufführung<br />

seiner Matthäus-Passion. "Das Leiden unseres Herrn Jesu Christ nach dem<br />

Ev<strong>an</strong>gelisten Matthäus" ist das opus summum für die ev<strong>an</strong>gelische Christenheit;<br />

für den Musiker bedeutet es die Zusammenfassung m<strong>an</strong>nigfacher<br />

Entwicklungslinien, die in diesem Werk ihre Erfüllung finden.


Auch für Bach selbst nimmt dieses Werk eine besondere <strong>St</strong>ellung ein; nirgends sonst<br />

verl<strong>an</strong>gt er durchgehende Zweichörigkeit sowohl des Chores wie des Orchesters, ein<br />

gleich großes Aufgebot <strong>an</strong> Solisten und einen zusätzlichen c<strong>an</strong>tus-firmus-Chor. Das<br />

vor<strong>an</strong>gesetzte "J.J." - Jesus, hilf - und das abschließende "SDGl" - Gott allein die Ehre<br />

- erhalten hier eine tiefe Bedeutung.<br />

Bach war sich der Einmaligkeit dieses Werks prophetisch bewusst; gegen seine Gewohnheit<br />

fertigte er eine Reinschrift <strong>an</strong>, in die er den Bibeltext - Kapitel 26 und 27<br />

des Matthäus-Ev<strong>an</strong>geliums - in roter Tinte aus seiner Komposition heraushob.<br />

Eginhard Köhler, dem diese Aufführung zu d<strong>an</strong>ken ist, hat in den Jahrzehnten seines<br />

Wirkens <strong>an</strong> <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong> eine Aufführungspraxis aufgebaut und einen Interpretationsstil<br />

entwickelt, die hohe Anerkennung und volle Zustimmung verdienen.<br />

Un<strong>an</strong>gefochten durch die historisierende Auffassung, dass nur eine Minimalbesetzung,<br />

wie sie Bach - unter gänzlich <strong>an</strong>deren Gegebenheiten - zur Verfügung st<strong>an</strong>d,<br />

<strong>an</strong>gemessen sei, füllt er den Hohen Chor von <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong> mit seiner weit über hundert<br />

Mitglieder starken <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei. Ihn kümmert es - zum Glück! - nicht, wenn<br />

Puristen über "Massenchöre" lächeln. Was d<strong>an</strong>n zw<strong>an</strong>gsläufig <strong>an</strong> Durchsichtigkeit des<br />

Liniengewebes verloren geht, wird vielfach wettgemacht durch die Macht der großen<br />

Chöre zu Beginn und zum Beschluss der beiden Teile, und durch die Kraft der Choräle,<br />

welche die Gemeinde jetzt nicht nur in der Idee repräsentieren, sondern in der<br />

Realität sind.<br />

Freilich wachsen mit der Größe des Chores auch die Ansprüche <strong>an</strong> Disziplin und Modulationsfähigkeit,<br />

und hier übertraf die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei sich selbst, der Erziehungsarbeit<br />

Eginhard Köhlers ein beredtes Zeugnis ausstellend. Auch von der Abmagerungskur<br />

des vollen Barockkl<strong>an</strong>gs, wie sie durch den Musizierstil von Harnoncourt<br />

und die Musica-<strong>an</strong>tiqua-Bewegung propagiert wird, hält Köhler offenbar nicht viel, -<br />

auch hier: zum Glück! Er führt das gut ausgebaute und mit Bläsern verstärkte Lüneburger<br />

Bach-Orchester zu kraftvollem Musizieren mit dem Chor, bis in den mit barocker<br />

Überschwänglichkeit von Tränen begleiteten Schlusschor mit seinem originalen<br />

dreifachen Pi<strong>an</strong>o hinein.<br />

Denn auch in der auf Wirkung bedachten Weinerlichkeit, mit der - dies nur als ein<br />

Beispiel unter vielen <strong>an</strong>deren! - ein großer Dirigent wie Karaj<strong>an</strong> den Choral "Wenn ich<br />

einmal soll scheiden" in ersterbenden Ritard<strong>an</strong>di nur noch säuseln lässt, will Köhler<br />

nichts wissen. Er hält - und dies ist sein treu durchgehaltener <strong>St</strong>il! - von all diesen<br />

Extremen gleich weiten Abst<strong>an</strong>d und bringt dabei die Erfahrungen eines Bach-<br />

Spielers <strong>an</strong> der Orgel ein, der über das Detail niemals den weiten Atem verlieren darf<br />

und der die kleinen Formen zum G<strong>an</strong>zen zusammenzufügen weiß.<br />

In diesem Zusammenh<strong>an</strong>g kommt den Pausen zwischen den vielen "Nummern" besondere<br />

Bedeutung zu; sie sind wesentliches gliederndes Element. Ihre Beherrschung<br />

und mehr noch ihre Aussparung hielt den dramatischen Fluss in Sp<strong>an</strong>nung<br />

und ließ eine fast dreistündige Aufführung als geschlossene H<strong>an</strong>dlung erleben.<br />

Zur Wahl der Solisten lässt sich nur eines sagen: glücklicher konnte sie nicht sein.<br />

Helmut Wildhaber s<strong>an</strong>g einen Ev<strong>an</strong>gelisten, der in seiner Ergriffenheit dennoch hinter<br />

seinen Bericht zurücktrat. Traugott Schmohls hoheitsvoller Bass ließ seine Christus-<br />

Partie zum zentralen Erlebnis dieses Dramas auf Golgatha werden.<br />

D<strong>an</strong>k auch <strong>an</strong> die durchweg vorzüglichen Solisten Marlies Pommerien, Christfried<br />

Biebrach und Maria Friesenhausen, <strong>an</strong> Claus Hartm<strong>an</strong>n und Fr<strong>an</strong>k Wedekind als


Violinsolisten - in <strong>St</strong>ellvertretung für die zahlreichen im Programm gen<strong>an</strong>nten Instrumentalisten<br />

- und auch <strong>an</strong> den Förderkreis der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei, ohne dessen Beitrag<br />

eine so aufwändige Aufführung wohl kaum zust<strong>an</strong>de gekommen wäre.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

1 9 8 4<br />

Joseph Haydn (1732 <strong>–</strong> 1809): Die Schöpfung<br />

(Sonntag, 13.10.1984 <strong>–</strong> 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 15.10.1984<br />

Zeugnis weltfreudiger Religiosität in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong><br />

Am fünften Tag schuf Gott die Walfische<br />

<strong>Uelzen</strong>. Haydns Oratorium „Die Schöpfung“, dieses im besten Sinne volkstümliche<br />

Chorwerk, hatte seine ungebrochene Anziehungskraft auch diesmal bewiesen. Das<br />

Publikum drängte sich dicht <strong>an</strong> dicht in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong>.<br />

Die Vertonung der Schöpfungsgeschichte lebt im Bewusstsein g<strong>an</strong>zer Generationen<br />

vor allem durch seine großen Chöre, und so verdient die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei <strong>an</strong> erster<br />

<strong>St</strong>elle gen<strong>an</strong>nt zu werden. Ihre machtvolle <strong>St</strong>ärke verlieh den Chorsätzen jene<br />

überwältigende Fülle, die Haydn für seine jubelnden Lobgesänge vorgeschwebt haben<br />

mag. Die K<strong>an</strong>torei war das Rückgrat dieser Aufführung, mitreißend im vollen Forte,<br />

eindringlich als stützender Partner der Solisten und klar durchzeichnend selbst<br />

noch im polyphonen Gewebe der <strong>St</strong>immen.<br />

Dieses war freilich im <strong>St</strong>ile der Klassik um vieles s<strong>an</strong>gbarer <strong>an</strong>gelegt, als wir es von<br />

Bach gewohnt sind, und kam d<strong>an</strong>k der nachhallenden Akustik des Hohen Chores zu<br />

besonders eindrucksvoller Geltung.<br />

Im Trio der Solisten bestach Lutz-Michael Harder durch makellose Führung seines<br />

Tenors und durch intensive Ausschöpfung der Bibel- und Arientexte. Wilhelm<br />

Pommerien s<strong>an</strong>g die Basspartie, der ein Großteil der Rezitative übertragen ist. Besonders<br />

in den beiden Arien des eigentlichen Schöpfungsberichts imponierte er durch<br />

die runde Fülle seiner <strong>St</strong>imme.<br />

Die Besetzung des Sopr<strong>an</strong>s mit Uta Spreckelsen wurde zwar dem hohen technischen<br />

Anspruch dieser Partie gerecht, gab aber der Eva eine Schärfe, die auch die schier<br />

endlosen Duette des Schlussteils mit Adam beeinträchtigte.<br />

Mit der Verpflichtung des Symphonischen Kollegiums Essen hatte Köhler einen guten<br />

Griff get<strong>an</strong>. Dieses vollbesetzte Symphonieorchester folgte seinem Dirigenten zuverlässig<br />

in alle dynamischen Abstufungen und sicherlich zuweilen ungewohnten Zeitmaße<br />

hinein und sicherte so die Voraussetzung zur freien Entfaltung der <strong>St</strong>immen.<br />

Die einleitende Chaos-Musik, eine frühe Vorahnung der Rom<strong>an</strong>tik, gel<strong>an</strong>g großartig.<br />

Als das letzte, das allerletzte Amen verklungen war, breitete sich zunächst allgemeine<br />

Ratlosigkeit aus. Durfte m<strong>an</strong>, sollte m<strong>an</strong>, musste m<strong>an</strong> klatschen? Und wie nimmt


m<strong>an</strong> einen so herzlichen, ja begeisterten Beifall in der Kirche entgegen? M<strong>an</strong> entschloss<br />

sich zu einem allgemeinen Sich-gegenseitig-Beglückwünschen, wobei die <strong>St</strong>.-<br />

<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei ihrem K<strong>an</strong>tor Eginhard Köhler hochverdiente Ovationen darbrachte.<br />

Besagte Ratlosigkeit kommt nicht von ungefähr. Die öffentliche Uraufführung am 30.<br />

April 1798 f<strong>an</strong>d nicht etwa in einer Kirche, sondern im Palais des Fürsten Schwarzenberg<br />

zu Wien statt, und es gab rauschenden Beifall. „I bin noch nie so vergnügt aus<br />

<strong>an</strong> Theater fortg<strong>an</strong>gen und hab auch die g<strong>an</strong>ze Nacht von der Erschaffung der Welt<br />

tramt“, berichtete ein Wiener Volksblatt.<br />

Und d<strong>an</strong>n war die „Schöpfung“ ein rundes Jahrhundert l<strong>an</strong>g das meist gesungene<br />

Chorwerk der deutschen und englischsprachigen Ges<strong>an</strong>gvereine, nicht etwa der Kirchenchöre.<br />

Haydns Religiosität schien selbst dem nicht eben orthodox gesonnenen 19. Jahrhundert<br />

allzu weltfreudig, so dass beispielsweise die erstmalige Aufführung dieses Oratoriums<br />

in einer Hamburger Kirche erst nach dem Zweiten Weltkrieg stattgefunden haben<br />

soll.<br />

Außerdem gab es m<strong>an</strong>che theologischen <strong>St</strong>olpersteine in dem Text des Engländers<br />

Lindley beziehungsweise seines Bearbeiters Baron von Swieten. Die “Himmesbürger“<br />

des zweiten Schöpfungstages erinnerten doch sehr <strong>an</strong> die jüngst ausgerufene fr<strong>an</strong>zösische<br />

Revolution, und was war von den „Söhnen Gottes“ zu halten, die den berühmten<br />

Chor „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“ intonierten?<br />

Heute sind wir aufgeschlossener geworden gegenüber der weltfreudigen Religiosität<br />

und der kindhaften Frömmigkeit eines Joseph Haydn, dessen „Herz im Leibe lachte,<br />

wenn er nur <strong>an</strong> Gott dachte“.<br />

Wir können uns freuen <strong>an</strong> den genrehaften, zuweilen mit spitzbübischer Schalkhaftigkeit<br />

ausgemalten „Arche-Noah-Bilderchen“ der Insekten und Walfische, der Löwen<br />

und der Tauben, auch <strong>an</strong> den recht irdischen Liebesbeteuerungen des ersten Menschenpaares,<br />

ohne darüber zu vergessen, was Haydn als Wichtigstes am Herzen lag:<br />

„Des Herren Lob sei unser Lied!“<br />

HUGO HEUSMANN<br />

1 9 8 3<br />

Weihnachts-Konzert<br />

(Sonntag, 11.12.1983 <strong>–</strong> 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 13.12.1983<br />

Bläsergl<strong>an</strong>z und Lobges<strong>an</strong>g<br />

Bachs Magnificat wurde zum Herzstück im <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Weihnachtskonzert<br />

<strong>Uelzen</strong>. Das Weihnachtskonzert in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong> <strong>an</strong> diesem dritten Adventssonntag<br />

war g<strong>an</strong>z auf den festlichen Ton des Lobens und Preisens gestimmt; adventliche


Erwartung oder frohe <strong>St</strong>ille im <strong>St</strong>all zu Bethlehem sind nicht Gegenst<strong>an</strong>d des<br />

Magnificat. Aus gutem Grund hat Bach diesen Lobges<strong>an</strong>g der Maria als Bibeltext<br />

gewählt, um unter Einsatz aller Solo-, Chor- und Orchesterregister seine Kunst<br />

am Dresdner Hofe in strahlendem Licht erscheinen zu lassen. Eginhard Köhler<br />

hatte auch diesmal die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei so genau vorbereitet, dass sie den<br />

hier besonders hoch geschraubten Ansprüchen vollauf gerecht wurde.<br />

Dass die K<strong>an</strong>torei trotz ihrer <strong>–</strong> unhistorisch <strong>–</strong> zahlenmäßigen <strong>St</strong>ärke das fünfstimmige<br />

Linienwerk über das stark besetzte, trompetenüberglänzte Orchester hinweg hörbar<br />

machte, ist klingender Beweis für ihre Chordisziplin. Köhler hielt, wie stets, auf betont<br />

ruhige und gleichbleibende Tempi, zum Besten von tonlicher und formaler Klarheit.<br />

Die Chorsätze des Magnificat, zumal der namengebende Eing<strong>an</strong>gschor, waren in ihrem<br />

fortdauernden Jubel und ihrer Prachtentfaltung die Höhepunkte und das Herzstück<br />

dieser Weihnachtsmusik.<br />

Die Arien, in der Anlage des G<strong>an</strong>zen sowohl als Kristallisationspunkte der Ges<strong>an</strong>gskunst<br />

wie auch als Atempausen und Ruhepunkte gedacht, erfüllten diese wichtige<br />

Aufgabe nur bedingt.<br />

Wären doch alle vier Solisten vom R<strong>an</strong>ge einer Marlies Pommerien gewesen! Sie<br />

machte mit ihrer harmonisch ausgeglichenen, beseelten Altstimme die „Esurientes“-<br />

Arie zu einem solchen Edelstein.<br />

Gudrun Schröfel-Gatzm<strong>an</strong>ns Sopr<strong>an</strong>, hell und schl<strong>an</strong>k timbriert, gab ihrer Partie Profil,<br />

desgleichen Hinrich Leithäusers wohlklingender, wenn auch wenig voluminöser<br />

Bass.<br />

Über die ges<strong>an</strong>gliche Leistung von Peter Anders in der Tenorpartie ließe sich der<br />

M<strong>an</strong>tel des <strong>St</strong>illschweigens leichter breiten, wenn nicht in zwei Duetten <strong>–</strong> hier und<br />

später <strong>–</strong> Alt und Sopr<strong>an</strong> in Mitleidenschaft gezogen worden wären.<br />

An den Schluss des Konzerts hatte Köhler die K<strong>an</strong>tate 110 auf den ersten Weihnachtstag<br />

gestellt. Im Hinblick auf das vorh<strong>an</strong>dene Instrumentarium und den Zeitpunkt<br />

der Aufführung war diese Wahl gut begründet. Aber für den Hörer bedeutete<br />

sie, <strong>an</strong>ders als für einen Gottesdienstbesucher zu Bachs Zeiten, eine Wiederaufnahme<br />

der textlichen und musikalischen Ged<strong>an</strong>ken des Magnificat in nicht gleichermaßen<br />

großartiger kompositorischer Ausführung.<br />

Das Lüneburger Bach-Orchester, durch Bläser aus Hamburg und H<strong>an</strong>nover auf Festtagsgröße<br />

verstärkt, leistete Köhlers präzisen Anweisungen verlässlich Folge.<br />

Unter Köhlers Leitung steuerten die Lüneburger Bachs Ouverture C-Dur bei. Als Abfolge<br />

stilisierter Tänze erfüllt diese höfische Unterhaltungsmusik ihren Sinn am ehesten<br />

in weltlicher Umgebung, historisch gesehen eben bei Hofe oder gar im Kaffeegaren,<br />

heute im Konzertsaal und dort unter differenzierter Charakterisierung der T<strong>an</strong>zformen.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

Geistliche Chormusik zur Reformation<br />

(Sonntag, 30.10.1983 <strong>–</strong> 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 05.11.1983


Abendmusik zum Gedenktag<br />

Hohes Lob für Eginhard Köhler, die K<strong>an</strong>torei und Andreas Rondthaler<br />

<strong>Uelzen</strong>. Innerhalb der Reihe von Gottesdiensten und Ver<strong>an</strong>staltungen in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong><br />

<strong>an</strong>lässlich des Luther-Gedenk-Jahres 1983 war die festlich Abendmusik ein<br />

Höhepunkt. Auf dem Programm st<strong>an</strong>den Chor- und Orgelmusik aus alter und neuer<br />

Zeit. Alle Kompositionen hatten einen Bezug zu Martin Luther und der Reformation.<br />

Die Auswahl der Werke bewies, dass Eginhard Köhler mit seiner K<strong>an</strong>torei nicht nur aus<br />

Freude <strong>an</strong> der Musik singen, sondern die Botschaft des Ev<strong>an</strong>geliums, <strong>an</strong> der Luther<br />

alles lag, den Hörern mit der Musik vermitteln wollte. So bekam das Konzert gottesdienstlichen<br />

Charakter.<br />

Zur Eröffnung spiele Andreas Rondthaler, der ein Schüler von Prof. Heinz Wunderlich<br />

war, hauptamtlich <strong>an</strong> der Hochschule für Musik in Hamburg tätig ist und häufig <strong>an</strong><br />

<strong>St</strong>. Michaelis mitwirkt, das große Präludium mit Fuge in C-Dur von Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong><br />

Bach. Es folgten drei Motetten für zwei vierstimmige Chöre.<br />

Als erste erkl<strong>an</strong>g der 98. Psalm „Singet dem Herrn ein neues Lied“ von Heinrich<br />

Schütz. Dieser Meister hat es verst<strong>an</strong>den, bei seinen Kompositionen den Grundsatz<br />

Luthers <strong>an</strong>zuwenden, dass Text und Musik, Sprache und <strong>St</strong>immführung ein<strong>an</strong>der<br />

entsprechen müssen. Dies zu verwirklichen ist der K<strong>an</strong>torei außerordentlich gut gelungen.<br />

Ebenso bei der Aufführung der Chormotetten nach den beiden Lutherliedern „Nun<br />

freut euch, lieben Christen g´mein“ von Michael Prätorius und „Ein feste Burg ist unser<br />

Gott“ von Samuel Scheidt. Abgeschlossen wurde der erste Teil durch den Orgelchoral<br />

„Ein feste Burg ist unser Gott“ von Nicolaus H<strong>an</strong>ff, einem norddeutschen Orgelmeister<br />

des 17. Jahrhunderts. Für die Darbietung dieses Werkes wählte der Org<strong>an</strong>ist<br />

eine stilgerechte, gediegene Registrierung.<br />

Der zweite Teil war dem Schaffen von Joh<strong>an</strong>nes Brahms gewidmet, dessen 150. Geburtstag<br />

in diesem Jahr gefeiert wird. In den drei Fest- und Gedenksprüchen, die<br />

Brahms der H<strong>an</strong>sestadt Hamburg als D<strong>an</strong>k für die verliehene Ehrenbürgerschaft gewidmet<br />

hat, verwendete der Komponist Texte aus der Lutherbibel. Die unübertroffene<br />

Einmaligkeit der Musik lässt die fragwürdige Zusammenstellung der Texte, die aus<br />

verschiedenen Zusammenhängen herausgerissen wurden, vergessen.<br />

Ein weiterer Höhepunkt war Max Regers Choralph<strong>an</strong>tasie „Ein feste Burg“. Orgelwerke<br />

der Rom<strong>an</strong>tik lassen sich auf der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Orgel meist nur unbefriedigend interpretieren.<br />

Doch es hat sich gezeigt, dass m<strong>an</strong> diese <strong>an</strong>spruchsvolle Komposition auch<br />

auf dieser Neubarock-Orgel spielen k<strong>an</strong>n. Das Orgelspiel von Andreas Rondthaler war<br />

klar und durchsichtig.<br />

Damit war die Brücke geschlagen zu zwei Choralmotetten zeitgenössischer Komponisten:<br />

Von Günter Raphael „Einen <strong>an</strong>deren Grund k<strong>an</strong>n niem<strong>an</strong>d legen“ und von<br />

Siegfried Reda „Nun wir sind gerecht worden durch den Gauben“. Den Schluss dieses<br />

festlichen Abend bildete Max Regers fünfstimmige schlichte Motette über das Lied<br />

„Die Nacht ist kommen“ von Petrus Herbert (1566).<br />

Mit viel Ph<strong>an</strong>tasie, Einsatzbereitschaft, Kraft und Liebe ist dieser Abend vorbereitet<br />

worden von Eginhard Köhler, der K<strong>an</strong>torei und Andreas Rondthaler. Seit Monaten


arbeitete die K<strong>an</strong>torei intensiv <strong>an</strong> dem Pogramm. Oftmals mussten zusätzliche Proben<br />

eingerichtet werden. Fast am Ende der Probenzeit st<strong>an</strong>d die Singewoche in Pappenheim<br />

im Altmühltal, wo der vorletzte „Schliff“ <strong>an</strong>gelegt wurde. Dreimal wurde das<br />

Chorprogramm gesungen: in Pappenheim, H<strong>an</strong>kensbüttel und <strong>Uelzen</strong>. Die Aufführung<br />

in <strong>Uelzen</strong> bildete zweifellos den Höhepunkt.<br />

PAUL-GERHARDT HERINGSLACK<br />

Chormusik zum Luther-Jubiläum<br />

(Sonntag, 23.10.1983, <strong>St</strong>. P<strong>an</strong>kratius H<strong>an</strong>kensbüttel)<br />

Isenhagener Kreisblatt (?) vom ??.10.1983<br />

Festlicher Auftakt zu Ehren Luthers<br />

Konzertreihe in H<strong>an</strong>kensbüttel am Sonntag eröffnet<br />

H<strong>an</strong>kensbüttel. Das war ein würdiger festlicher Auftakt der Konzerte zum Luther-Jubiläum,<br />

die die Kirchengemeinde H<strong>an</strong>kensbüttel in den nächsten Wochen ver<strong>an</strong>staltet.<br />

Nach der F<strong>an</strong>tasie c-moll von Joh. Seb. Bach, auf der Orgel meisterlich vorgetragen von Paul<br />

Gerhard Heringslack, konnte Pastor Wendebourg in der <strong>St</strong>. P<strong>an</strong>kratiuskirche eine zahlreiche<br />

Hörerschaft begrüßen. Er wies darauf hin, dass gerade die Musik im Leben Luthers eine große<br />

Rolle gespielt habe und auch die Ausbreitung der Reformation durch Lied und Schrift erfolgte.<br />

Von Luther, der selbst Flöte und Laute spielte, stammen 36 Kirchenlieder. Ihm ist die<br />

Einrichtung der K<strong>an</strong>torei in Wittenberg zu verd<strong>an</strong>ken. In seinem Hause wurden vielstimmige<br />

Motetten gesungen, „zur Vertreibung von Anfechtung und Bitterkeit“.<br />

Die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei <strong>Uelzen</strong> unter der bewährten Leitung von Eginhard Köhler brachte die<br />

Motette für achtstimmigen Doppelchor „Singet dem Herrn ein neues Lied“ von Heinrich<br />

Schütz als jauchzenden Auftakt überzeugend und gekonnt zu Gehör. Bei dieser Motette nach<br />

den Psalmen Davids spürt m<strong>an</strong> den Einfluss seines Lehrers Gabrieli in Venedig. Sie ist getragen<br />

von Gläubigkeit und Lebenshoffnung.<br />

Die folgende Motette aus den C<strong>an</strong>tiones sacrae „Ein feste Burg ist unser Gott“ von Samuel<br />

Scheidt, einem der größten Meister ev<strong>an</strong>gelischer <strong>Kirchenmusik</strong> in Mitteldeutschl<strong>an</strong>d, ist eines<br />

der schönsten Vokalwerke über das Lutherlied. Die Ausgewogenheit der <strong>St</strong>immen kam<br />

hier besonders gut zum Tragen.<br />

Bei der Motette „Nun freut euch, liebe Christen g´mein“ von Michael Praetorius erkennt m<strong>an</strong><br />

venezi<strong>an</strong>ische <strong>St</strong>ilelemente. Dieses Chorwerk des „schaffensfreudigen Musikers aus Wolfenbüttel“<br />

wurde hier wohltönend vorgestellt.<br />

Die melodische Urform des Schaffens von Joh. Seb. Bach ist der protest<strong>an</strong>tische Choral. 3<br />

Orgelchoräle: „Gelobet seist du, Jesu Christ“, „Christ lag in Todesb<strong>an</strong>den“ und „Komm, Gott<br />

Schöpfer, Heiliger Geist“ wurden gekonnt zu Gehör gebracht. Eine besondere Leistung, da<br />

Paul-G. Heringslack passionierter Amateur <strong>an</strong> der Orgel ist.<br />

Joh<strong>an</strong>nes Brahms verl<strong>an</strong>gte mit seinen farbigen „Fest- und Gedenksprüchen“ op. 109 dem<br />

Chor hohes Können ab, Dieser folgte der sicheren Chorleitung in Tempi und Phrasierung diszipliniert<br />

wie einfühlsam.<br />

Choralvorspiele über „Vater unser im Himmelreich“ griffen noch einmal auf die Barockzeit<br />

zurück. Joh<strong>an</strong>n Pachelbel, der große Meister bedeutender Choralvorspiele, brachte hier sein


Können zur Geltung. Von g<strong>an</strong>z <strong>an</strong>derer Kl<strong>an</strong>gfarbe, polyphoner, Dietrich Buxtehude, der Rom<strong>an</strong>tiker<br />

des Barock. Auch hier abschließend die Krönung durch Joh. Seb. Bach.<br />

Nach Gemeindeges<strong>an</strong>g und der Lesung aus dem Römerbrief 3, dem zentralen Thema der<br />

Reformation, s<strong>an</strong>g der Chor eine Motette für fünfstimmigen Chor „Einen <strong>an</strong>deren Grund k<strong>an</strong>n<br />

niem<strong>an</strong>d legen“ von Günter Raphael, einem Musiker der Neuzeit. Die oft schwierigen Passagen<br />

wurden vom Chor sicher bewältigt. Souverän gemeistert wurde auch die Motette „Nun<br />

sind wir gerettet worden durch den Glauben“ von Siegfried Reda. In beiden Chorwerken<br />

spürt m<strong>an</strong> das <strong>St</strong>reben nach neuen Aussagen in der <strong>Kirchenmusik</strong>, ohne sich den Experimenten<br />

der Musica Nova zu verschreiben.<br />

Den besinnlichen Abschluss der festlichen Musik brachte das Nachtlied aus op. 138 von Max<br />

Reger, sehr feinsinnig und einfühlsam intoniert.<br />

In der Reihe großartiger musikalischer Ereignisse, die das Isenhagener L<strong>an</strong>d in den letzten<br />

Wochen erleben durfte, war dieser Abend in der ehrwürdigen <strong>St</strong>. P<strong>an</strong>kratiuskirche ein Erlebnis<br />

besonderer Art.<br />

Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach (1685 <strong>–</strong> 1750): Joh<strong>an</strong>nes-Passion<br />

(Sonntag, 13.03.1983 <strong>–</strong> 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 15.03.1983<br />

Bachs Passionsmusik: Ein Menetekel für unsere<br />

Zeit<br />

Mit dieser Aufführung übertraf die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei selbst hochgesp<strong>an</strong>nte<br />

Erwartungen<br />

Diese Aufführung von Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bachs „Joh<strong>an</strong>nes-Passion“ wird so schnell<br />

niem<strong>an</strong>d vergessen können, der sie am Sonntag in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong> erlebte.<br />

Die meisten der versammelten Hunderte von Hörern werden die Leidensgeschichte<br />

Christi nach dem Bericht des Ev<strong>an</strong>gelisten Joh<strong>an</strong>nes in der musikalischen Überhöhung<br />

durch Bach gek<strong>an</strong>nt haben. Aber die wirklich großen Kunstwerke lernt m<strong>an</strong> nie<br />

vollkommen und endgültig kennen. M<strong>an</strong> muss sich ihnen zu wiederholten Malen stellen,<br />

um sie in immer neuer Annäherungen zu erfassen.<br />

M<strong>an</strong>ches mag d<strong>an</strong>n zu bloßer Historie, zum musealen Ausstellungsstück oder einem<br />

Kapitel im Kunstlexikon verblassen, aber <strong>an</strong>deres wird vielleicht- über Jahrhunderte<br />

hinweg <strong>–</strong> eine Aktualität gewinnen, die umso betroffener macht, als m<strong>an</strong> sie hier<br />

nicht vermutet hat. So auch Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bachs nur scheinbar wohlbek<strong>an</strong>nte<br />

Joh<strong>an</strong>nes-Passion.<br />

Was hier betroffen machen musste, war eine mitreißende Interpretation, die uns eine<br />

erschreckende Erkenntnis schmerzhaft deutlich machte, nämlich dass sich in den<br />

zwei Jahrtausenden seit dem Geschehen auf Golgatha die Menschheit, und das heißt:<br />

der einzelne Mensch in seiner Vervielfachung als Masse, nicht geändert hat.<br />

Welches Recht haben wir, das religiöse Eifertum der Juden und ihrer Hohepriester<br />

<strong>an</strong>zupr<strong>an</strong>gern, das politische Taktieren des Pilatus bloßzustellen und die Gewalttätigkeit<br />

der römischen Kriegsknechte <strong>an</strong>zuklagen, wenn wir <strong>–</strong> Christen beider Kirchen,


Juden oder Moslems <strong>–</strong> in Irl<strong>an</strong>d, in Israel oder im Ir<strong>an</strong> täglich das gleiche beschämende<br />

Schauspiel des Mordens aus religiöser Verblendung erleben müssen!<br />

Heute wie damals verbinden sich nationalistische oder auch <strong>an</strong>dersartige Emotionen<br />

mit religiösen oder <strong>–</strong> moderner ausgedrückt <strong>–</strong> ideologischen Überzeugungen zu einem<br />

Gewaltpotential, für welches die Tragödie auf Golgatha im Rückblick zu einem<br />

weithin sichtbaren Menetekel wird.<br />

Bach lässt uns in seiner Joh<strong>an</strong>nespassion, <strong>an</strong>ders als in der verklärenden Matthäuspassion,<br />

die Dramatik der letzten <strong>St</strong>unden Christi in realistischer Deutlichkeit miterleben;<br />

den Verrat durch Judas und die Verleugnung durch Petrus, Ergreifung und Verhör,<br />

des Volkes Wutgeheul und Hohngeschrei, Kreuzigung und Grablegung. Dieses<br />

tödliche Drama überträgt er zwei Hauptakteuren: dem Ev<strong>an</strong>gelisten und dem Chor.<br />

Diese beiden Pfeiler unserer Aufführung trugen in idealem Zusammenwirken eine<br />

unerhört eindrucksvolle, ja aufwühlende Darstellung des in technischer Hinsicht<br />

höchst <strong>an</strong>spruchsvollen Werkes.<br />

Peter Bartels ließ in seiner Interpretation den Hörer alle <strong>St</strong>ationen des Geschehens<br />

wie einen Mitbeteiligten erleben: ein souverän und tief miterlebender Gestalter. So<br />

heikle „malende“ <strong>St</strong>ellen wie Petri Weinen oder die Geißelung wurden bei ihm zu ergreifenden<br />

Augenblicken.<br />

Die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei, von Eginhard Köhler trefflich vorbereitet und mit unbeirrbarer<br />

Sicherheit geführt, übertraf sich selbst.<br />

Hielten sich Eing<strong>an</strong>gs- und Grablegungschor noch in konventionellem Rahmen, so<br />

leistete sie Außerordentliches in der schrecklichen Entfesselung der Volkswut, dem<br />

mordlüsternen „Kreuzige!“ Bis in die Choräle hinein schw<strong>an</strong>gen, bei steter Wahrung<br />

des Zeitmaßes, Erregung und Anteilnahme nach.<br />

Die kleineren Ges<strong>an</strong>gspartien traten neben Ev<strong>an</strong>gelist und Chor deutlich in den Hintergrund.<br />

Gottfried Schwarz s<strong>an</strong>g die Christus-Partie, Eva Joh<strong>an</strong>na Schauer, Ingeborg<br />

Hischer und Klaus Bülow die Arien. Das Lüneburger Bach-Orchester steuerte das orchestrale<br />

Fundament bei.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

1 9 8 2<br />

Felix Mendelssohn Bartholdy (1809 <strong>–</strong> 1847): Elias<br />

(Sonntag, 31.10.1982 <strong>–</strong> 19.30 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 02.11.1982<br />

„Elias“: Ein Markstein der <strong>Uelzen</strong>er <strong>Kirchenmusik</strong><br />

Die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei ist ein Eckpfeiler unseres einheimischen Musiklebens<br />

Mendelssohns „Elias“ in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong>: dieses Ereignis hatte eine fast allzu<br />

zahlreiche Hörerschaft von nah und fern <strong>an</strong>gezogen. Die Reihe gewichtiger


Aufführungen in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong>, die wir Eginhard Köhler und seiner <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-<br />

K<strong>an</strong>torei zu d<strong>an</strong>ken haben, ist l<strong>an</strong>g. Sie reicht von den großen und vielen<br />

kleinen Werken Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bachs und Händels „Messias“ bis zum<br />

„Deutschen Requiem“ von Brahms und auf dem Gebiet der weniger publikumsträchtigen,<br />

aber in m<strong>an</strong>cher Hinsicht <strong>an</strong>spruchsvolleren a-capella-<br />

Musik von der Renaiss<strong>an</strong>ce über alle Zeitstile hinweg bis in die jüngste Gegenwart<br />

hinein.<br />

Dieser jetzige neue Höhepunkt unseres einheimischen Musiklebens lässt hoffen und<br />

erwarten, dass wir auch weiterhin Bedeutsames in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong> hören werden.<br />

Mendelssohns „Elias“ in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong>: das ist aber nicht nur ein musikalisches Ereignis,<br />

sondern darüber hinaus ein Markstein für eine veränderte musikalische Gesinnung,<br />

die in untrennbarem Zusammenh<strong>an</strong>g mit einer sich w<strong>an</strong>delnden Gemeinde steht.<br />

In den frühen Nachkriegsjahren kennzeichnete ein asketisch enger und strenger <strong>St</strong>il<br />

die ev<strong>an</strong>gelische <strong>Kirchenmusik</strong>: Ihm war die Öffnung zu einer ökumenischweiträumigen<br />

Literatur für Chor- und Orgelmusik noch verdächtig.<br />

Der Appell <strong>an</strong> die weite Welt des Emotionalen wurde mit dem bösen Wort bloßer<br />

„Gefühlchen“ abget<strong>an</strong>, was wiederum das nicht weniger böse Wort von dem solchermaßen<br />

praktizierten „sauren Kitsch“ provozierte.<br />

Vielen K<strong>an</strong>toren erschien die alles durchdringende Chromatik des 19. Jahrhunderts<br />

als schierer Beelzebub in der Musik, und m<strong>an</strong>cher von ihnen strich kurzerh<strong>an</strong>d in seinen<br />

Chorpartituren alle Vorzeichen, die Chromatisches oder auch nur Leittöniges bewirkten.<br />

Wie haben sich die Zeiten gew<strong>an</strong>delt!<br />

Freilich: in unseren norddeutschen, gotischen Kirchen ist die in ihren Formen maßvoller<br />

gebändigte, in ihrer <strong>St</strong>immführung strenger gearbeitete und in ihrem Ausdruck<br />

nördlich zurückhaltendere Musik eines Bach nach wie vor eher zu Hause als beispielsweise<br />

die Musik eines Mendelssohn oder eines Bruckner, die wiederum erst in<br />

den süddeutschen Barock- oder Rokoko-Kirchen ihre volle Schönheit entfalten k<strong>an</strong>n.<br />

Dort, im vorwiegend katholischen Raum, erfährt die Musik des g<strong>an</strong>zen 19. Jahrhunderts<br />

eine wesentlich intensivere Pflege, einschließlich vieler, hierzul<strong>an</strong>de kaum bek<strong>an</strong>nter<br />

Kleinmeister:<br />

Dies musste vorausgeschickt werden, um Köhlers Interpretation dieses nicht nur im<br />

technischen Sinne <strong>an</strong>spruchsvollen, sondern vor allem in künstlerischer Hinsicht den<br />

gestaltenden Musiker fordernden Werks würdigen zu können.<br />

Schon die neuartige Vielfalt der von Mendelssohn gewählten Formen verl<strong>an</strong>gt ein<br />

Äußerstes <strong>an</strong> großräumig gestaltender Kraft. Von der Arie bis zu den Ensemblesätzen,<br />

- diese auch unbegleitet oder dem Chor integriert, - vom Choreinwurf bis zum<br />

gewaltigen Satzgefüge: dieses alles geht, eng inein<strong>an</strong>der verschränkt, weit über Gewohntes<br />

hinaus und resultiert aus der großen Zahl der verwendeten Bibelstellen.<br />

Das Nachein<strong>an</strong>der kleingliedriger Formen teils arioser, teils rezitativischer Art <strong>–</strong> selbst<br />

für den Chor! <strong>–</strong> stellt ein besonderes, ebenfalls neuartiges Problem dar. Es gel<strong>an</strong>g<br />

Köhler, diese Nahtstellen zusammenzuschweißen und einen großen Bogen über das<br />

reichlich zweistündige Werk zu sp<strong>an</strong>nen.<br />

Den mit Bach, das A und O jedes K<strong>an</strong>tors, gewachsenen Musiker konnte oder wollte<br />

Köhler nicht verleugnen.


Die für das Ausdrucksstreben der Rom<strong>an</strong>tik so bedeutungsvolle Sp<strong>an</strong>nweite vom Fortissimo<br />

bis zum noch häufigeren Pi<strong>an</strong>issimo wurde in den unteren <strong>St</strong>ärkegraden wenig<br />

genutzt. Dies war allerdings zu nicht geringem Teil dem mit vollem Blech und<br />

Holz besetzten Göttinger Symphonie-Orchester zuzurechnen, das dem Pi<strong>an</strong>o abhold<br />

musizierte, natürlich auch den schwierigen akustischen Bedingungen.<br />

Mit betont schnellen Zeitmaßen, die vieles von den glänzend einstudierten Chorsätzen<br />

ungehört verhallen ließen, erreichte Köhler zwar, zumal im ersten Teil, mitreißende<br />

dramatische <strong>St</strong>eigerung, zollte jedoch dem auf schnelle Tempi bedachten heutigen<br />

Zeitgefühl einen hohen Tribut, der von der Vertiefung in m<strong>an</strong>che der zahlreichen<br />

Adagio-Sätze abhielt.<br />

Hier stellt sich die wohlbek<strong>an</strong>nte, nur individuell be<strong>an</strong>twortbare Frage nach <strong>St</strong>iltreue<br />

oder Zeitgemäßheit.<br />

Das Soloquartett dieser denkwürdigen Aufführung war mit Uta Spreckelsen, Marlene<br />

Worms, H<strong>an</strong>s Sojer und Erich Wenk erstklassig und <strong>–</strong> mit geringen Abweichungen <strong>–</strong><br />

gleichr<strong>an</strong>gig besetzt.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

Kirchenkreis-Chortreffen 1982<br />

(Sonntag, 19.09.1982 <strong>–</strong> 17.00 Uhr, <strong>St</strong>. Bartholomäus Himbergen)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 22.09.1982<br />

Ein Lobges<strong>an</strong>g, der alles umfasste<br />

Kirchenkreis-Chortreffen in Himbergen brachte Musikgenuss und geistliche<br />

Erbauung<br />

ki Himbergen. Wohl als einzigartig für den ländlichen Raum k<strong>an</strong>n das Kirchenkreis-Chortreffen<br />

vom Sonntag in der Himberger Bartholomäus-Kirche<br />

bezeichnet werden. Zu dem Treffen der Kirchenchöre aus dem gesamten<br />

Kreis <strong>Uelzen</strong> kamen fast 300 Sängerinnen und Sänger. Für Aktive wie für<br />

Zuhörer gleichermaßen war dieses Abendkonzert ein Erlebnis, das nachhaltig<br />

in Erinnerung bleiben wird. Die vielen <strong>St</strong>unden der Proben schienen<br />

vergessen, als die Chöre zu einem einzigen großen Lobges<strong>an</strong>g <strong>an</strong>stimmten.<br />

Es war ein Singen und Klingen in der Himberger Kirche von selten gehörter Schönheit<br />

und Klarheit. Und so gab Propst Sachau auch seiner Freude darüber Ausdruck, dass<br />

sich in Himbergen eine so große singende Gemeinde zum Lobges<strong>an</strong>g eingefunden<br />

hatte. Kritische <strong>St</strong>immen, dass dies eine unsinnige Zeitverschwendung sei, die nichts<br />

bringe, könnten nur bei denen aufkommen, die keinen inneren Zug<strong>an</strong>g fänden, meinte<br />

Sachau. „Wir sollten d<strong>an</strong>kbar sein, dass es eine solche Musik gibt und solche Lieder,<br />

wie sie <strong>an</strong> uns und unter uns lebendig werden“, sagte der Propst.<br />

Lebendig und voller Ausdruckskraft wurde auch das Liedgut dargebracht. Mit großem<br />

Einfühlungsvermögen dirigierte Eginhard Köhler die fast 300 Sänger aus <strong>Uelzen</strong> <strong>–</strong> <strong>St</strong>.<br />

<strong>Marien</strong>, <strong>St</strong>. Petri und <strong>St</strong>. Joh<strong>an</strong>nis <strong>–</strong> Holdenstedt, Rosche, Bad Bevensen, Himbergen,<br />

Bodenteich, Eimke, Oldenstadt und Barum.


Zum Auftakt dieses geistlichen Abendkonzertes stimmten die Chöre den vertonten<br />

Psalm 103 „Nun lob, mein Seel, den Herren ...“ nach einem Satz von Heinrich Schütz<br />

<strong>–</strong> begleitet vom Bläserchor unter der Leitung von Robert Michalek <strong>–</strong> <strong>an</strong>. Ein wunderschöner<br />

Einstieg, mal kraftvoll, d<strong>an</strong>n wieder zart und d<strong>an</strong>n wiederum unter Beteiligung<br />

aller Zuhörer, ein einziges fröhliches Jubilieren.<br />

Jede Darbietung für sich war für den Freund geistlicher Musik eine Erbauung. Ob das<br />

Orgelkonzert von <strong>Kirchenmusik</strong>direktor Dietrich von Amsberg aus Lüneburg mit Werken<br />

von Buxtehude und Joh. Seb. Bach oder die Intrade von Melchior Fr<strong>an</strong>ck des<br />

Bläserchores oder das Solo von Andrea Ocker, sie machten die Vielfalt und Ausdrucksform<br />

der <strong>Kirchenmusik</strong> ebenso deutlich wie die achtstimmige Motette „Jauchzet<br />

dem Herrn alle Welt ...“ des Chores Bodenteich in Cello-Begleitung von Dietrich<br />

Schmidt.<br />

Pastor Schulz-S<strong>an</strong>dhoff sprach abschließend davon, dass <strong>Kirchenmusik</strong> in Himbergen<br />

immer eine große Rolle gespielt habe und dass diese der menschlichen Begegnung<br />

diene. Und das war es auch, was das Kirchenkreis-Chortreffen zu einem besonderen<br />

Erlebnis werden ließ.<br />

1 9 8 1<br />

Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bach (1685 <strong>–</strong> 1750): Weihnachtsoratorium (K<strong>an</strong>taten 1 - 3)<br />

(Sonntag, 19.12.<strong>1981</strong>)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 21.12.<strong>1981</strong><br />

Mit J. S. Bachs Musik wird es Weihnachten<br />

“Friede auf Erden“ verkündet der Engel<br />

<strong>Uelzen</strong>. Auch in diesem Jahr war die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Kirche bis auf den letzten Platz mit<br />

<strong>an</strong>dächtigen Hörern besetzt, die mit Joh. Seb. Bachs Weihnachtsoratorium in die<br />

Festtage gehen wollten. Für viele gibt es ohne diese schon zur Tradition gewordene<br />

Festmusik kein rechtes Weihnachten.<br />

M<strong>an</strong>cher, der im Laufe eines konfliktbeladenen Jahres die Kirche nur noch von außen<br />

gesehen hat, findet jetzt durch Bachs Musik seine Sehnsucht nach einer unverstellt<br />

heilen Welt befriedigt. Und nichts gibt es in diesem Werk, das die beiden Kirchen<br />

trennen könnte; der ökumenischen Idee wird durch das Medium der Musik schöner<br />

gedient als durch m<strong>an</strong>ches gedruckte oder geschriebene Wort. Wie schade, dass viele,<br />

die sich zu spät besonnen hatten, keinen Einlass mehr f<strong>an</strong>den!<br />

Aus der Erfahrung vieler Jahre weiß m<strong>an</strong>, dass die Aufführungen des Weihnachtsoratoriums<br />

in <strong>St</strong>. <strong>Marien</strong> mit der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei unter der Leitung Eginhard Köhlers<br />

einen <strong>St</strong><strong>an</strong>dard erreicht haben, der das in Teilen <strong>an</strong>spruchsvolle Werk mit Selbstverständlichkeit<br />

meistert. Die K<strong>an</strong>torei in ihrer fast allzu machtvollen Besetzung leistete<br />

auch diesmal den entscheidenden Beitrag.<br />

Sie stellte ein wohlpräpariertes, wendig und willig reagierendes Instrument in Köhlers<br />

H<strong>an</strong>d dar, präzise bis hinein in die betont schnellen Tempi der großen Chorsätze,


ausdrucksstark in der Ausdeutung der Choräle, ausgeglichen im Verhältnis der vier<br />

<strong>St</strong>immen, wenn auch im Überschw<strong>an</strong>g der Festesfreude dem Forte vielleicht allzu viel<br />

Raum lassend.<br />

Das Lüneburger Bach-Orchester schuf eine verlässliche instrumentale Grundlage.<br />

Mit der Zusammenstellung des Soloquartetts hatte Köhler eine glückliche H<strong>an</strong>d bewiesen.<br />

Es wäre un<strong>an</strong>gemessen, eine R<strong>an</strong>gfolge aufzustellen.<br />

Der kristallklare, frische Sopr<strong>an</strong> von Regine Adam entsprach fast ideal der kleinen,<br />

aber wesentlichen Partie des Verkündigungsengels und leistete duettierend dem fast<br />

übermächtigen Bass Wilhelm Pommeriens schöne Partnerschaft.<br />

Der großen Ev<strong>an</strong>gelistenpartie war Peter Bartels ein ausgezeichneter Interpret; der<br />

Objektivität des biblischen Berichterstatters erlaubte er sich nur vereinzelte, aber<br />

desto einleuchtendere subjektive Lichter aufzusetzen. Die gefürchtete „Frohe-Hirten“-<br />

Arie habe ich, soweit ich mich entsinne, noch nie so ausgefeilt und tief empfunden<br />

gehört, wozu die obligate Flöte (Alex<strong>an</strong>der <strong>St</strong>ein) nicht wenig beitrug.<br />

Wilhelm Pommeriens besondere <strong>St</strong>ärke liegt in der überzeugenden Wortausdeutung<br />

besonders der Rezitative. Sein raumfüllender Bass triumphierte in der Arie „Großer<br />

Herr“ im Wettstreit mit der obligaten Trompete (Heinrich von Senden).<br />

Die Altpartie, von Bach mit gewichtigen Aufgaben bedacht und stets aus akustischen<br />

Gründen besonders heikel, war bei Marlene Worms gut aufgehoben. Ihr reifes Können<br />

bewies sie am schönsten mit der großen Arie der dritten K<strong>an</strong>tate im Dialog mit<br />

der obligaten Violine (Konzertmeister Claus Hartm<strong>an</strong>n); diese Arie ist eine der wenigen<br />

original weihnachtlichen, nicht aus früheren weltlichen Werken übernommenen<br />

Arien des Werks.<br />

Köhlers Interpretation überzeugte auch diesmal durch die klare, durch nichts abzulenkende<br />

Tempogestaltung der Chöre und besonders der Choräle, die sich allenfalls<br />

ein Schlussritard<strong>an</strong>do gestattete. Das Widerspiel zur Subjektivität der Gestaltung der<br />

Arien und besonders der Rezitative kam hierdurch besonders eindrucksvoll zur Geltung.<br />

Die Hörergemeinschaft verharrte nach dem jubelnden Schlusschor l<strong>an</strong>ge schweigend,<br />

bevor sie beschenkt die Kirche verließ <strong>–</strong> in die winterlich-weihnachtliche Schneel<strong>an</strong>dschaft<br />

hinaus.<br />

HUGO HEUSMANN<br />

Abendmusik<br />

(Samstag, 24.10.<strong>1981</strong>, 20.00 Uhr, <strong>St</strong>. Joh<strong>an</strong>nis, Lüchow)<br />

Elbe-Jeetzel-Zeitung vom ??.10.<strong>1981</strong><br />

Eine kl<strong>an</strong>gvolle <strong>Kirchenmusik</strong><br />

<strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei in Lüchow <strong>–</strong> Motetten aus drei Jahrhunderten<br />

Lüchow. Wieder einmal brachte die Mitarbeit von Lüchowern in der <strong>St</strong>.-<br />

<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei <strong>Uelzen</strong> eine Begegnung mit diesem großartigen Kirchen-


chor unter Leitung von K<strong>an</strong>tor Eginhard Köhler. Der Chor hat auch außerhalb<br />

seines Wirkungskreises und der <strong>St</strong>adt <strong>Uelzen</strong> beachtliche Anerkennung<br />

gefunden. Dies bezeugen die Ausl<strong>an</strong>dsreisen, deren letzte nach Engl<strong>an</strong>d<br />

erst vor kurzem beendet wurde. Aus dem reichhaltigen Programm<br />

konnte m<strong>an</strong> in Lüchow sechs Motetten aus der Zeit um 1600 bis 1960 hören.<br />

So viele Musikstile zu bewältigen, ist allein schon eine Leistung.<br />

Die eing<strong>an</strong>gs gesungene Motette von Samuel Scheidt, „Sende dein Licht“, für achtstimmigen<br />

Doppelchor wäre in ihrer kl<strong>an</strong>gvollen Subst<strong>an</strong>z sicher noch wirkungsvoller<br />

geworden, wenn die Doppelchörigkeit sichtbar gewesen wäre. So wirkten m<strong>an</strong>chmal<br />

die Tutti-<strong>St</strong>ellen durch den starken Nachhall etwas schwammig. Um so eindrucksvoller<br />

d<strong>an</strong>n Scheins fünfstimmige Psalm-150-Motette, die in ihrer „Herrlichkeit“ und den<br />

„Posaunen“ eine hervorragende Kl<strong>an</strong>gfülle brachte, die nie aufdringlich war, aber<br />

auch eine Leichtigkeit bei den „hellen Cymbeln“ herausstellte, die m<strong>an</strong> nicht erwartet<br />

hätte. Das Hauptstück, Bachs gewaltige fünfstimmige Motette „Jesu meine Freude“,<br />

war von der Darbietung her eine gute Leistung, wenn auch die enorme Schwierigkeit<br />

dieses fast einem Orgelwerk entsprechenden Werkes erkennbar wurde. Der weiche<br />

Kl<strong>an</strong>g im pi<strong>an</strong>o etwa am Schluss der ersten Choralstrophe oder die dynamischen<br />

<strong>St</strong>eigerungen und auch die musikalische Gestaltung etwa im ersten Zwischensatz<br />

oder der 3. <strong>St</strong>rophe zeigten, was diese Singgemeinschaft unter der immer dezenten,<br />

aber souveränen Leitung ihres Dirigenten k<strong>an</strong>n.<br />

Nach diesem sehr eindrucksvollen ersten Teil brachte Sus<strong>an</strong>ne Wiegrefe die<br />

Chaconne f-moll von Joh<strong>an</strong>n Pachelbel (1653 <strong>–</strong> 1706). Dieses Werk steht und fällt<br />

mit der Registrierung, denn das sonst so gewaltige Erlebnis einer sich mehr und<br />

mehr steigernden Chaconne bleibt hier aus. Wie die Lüchower Org<strong>an</strong>istin hier die<br />

einzelnen Sätze mitein<strong>an</strong>der durch die feinsinnige Registrierung zum Klingen brachte,<br />

war beglückend.<br />

Wie schwer die Bach-Motette gewesen war, spürte m<strong>an</strong> im zweiten Teil bei den dargebotenen<br />

Motetten von Reda (1916 <strong>–</strong> 68), die bestimmt nicht leichter sind, aber mit<br />

einer inneren Homogenität gesungen wurden, die auch von Sp<strong>an</strong>nung getragen war.<br />

Die zweite gel<strong>an</strong>g noch besser, wobei wieder die kl<strong>an</strong>gvolle Fülle und auch die lichte<br />

Durchsichtigkeit auffielen. Kl<strong>an</strong>glich am schönsten Liszts „Vater unser“ mit seinen<br />

harmonischen Wendungen, dem Text adäquat, sowie Mendelssohns achtstimmige<br />

Motette „Denn er hat seinen Engeln befohlen“, deren Vortrag so verinnerlicht gestaltet<br />

wurde, dass die leider nicht sehr zahlreich erschienenen Zuhörer stark beeindruckt<br />

waren. Der Versuch eines Beifalls wurde durch diesen Eindruck „erstickt“, ein<br />

Beweis für die großartigen Leistungen des Chores und seines Leiters:<br />

-güse-<br />

Abendmusik<br />

(Samstag, 03.10.<strong>1981</strong>, 20.00 Uhr)<br />

Allgemeine Zeitung der Lüneburger Heide vom 06.10.<strong>1981</strong><br />

Reise durch drei Jahrhunderte kirchlichgeistlicher<br />

Musik


<strong>Uelzen</strong>. Zum Auftakt ihrer Engl<strong>an</strong>dreise gab die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei unter<br />

der Leitung von Eginhard Köhler am Sonnabend eine Geistliche Chormusik<br />

und zog damit einen Schlussstrich unter die intensive Probenarbeit der<br />

verg<strong>an</strong>genen Wochen.<br />

Wie zu erwarten, nahmen die <strong>Uelzen</strong>er Freunde der <strong>Kirchenmusik</strong> regen Anteil <strong>an</strong><br />

dieser bedeutungsvollen Ver<strong>an</strong>staltung; <strong>an</strong>gesichts der großen Zahl aktiver Sänger<br />

hierzul<strong>an</strong>de hätte m<strong>an</strong> vielleicht eine überfüllte <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-Kirche erwarten dürfen.<br />

M<strong>an</strong> darf gesp<strong>an</strong>nt sein, wie stark das Publikumsecho bei den Konzerten in den großen<br />

englischen Kirchen und Kathedralen sein wird.<br />

Zu einer Abendmusik oder auch einer geistlichen Chormusik einzuladen, statt - wie<br />

für Engl<strong>an</strong>d vorgesehen - ein Kirchenkonzert <strong>an</strong>zukündigen, zeugt von fast übergroßer<br />

Bescheidenheit der Beteiligten.<br />

Wenn die Bezeichnung "Konzert" jenem Leistungsst<strong>an</strong>d vorbehalten bleiben sollte,<br />

der über die Beherrschung der technischen Voraussetzungen <strong>an</strong> die Bezirke der<br />

künstlerischen Gestaltung rührt, d<strong>an</strong>n ist - wenn überhaupt im hiesigen Chormusizieren<br />

- bei der <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei dieses <strong>an</strong>spruchsvolle Wort am Platze.<br />

Dies schließt nicht aus, dass auch die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei sich mit den allenthalben<br />

zu verzeichnenden Problemen ausein<strong>an</strong>dersetzen muss, vorweg mit einem gewissen<br />

M<strong>an</strong>gel <strong>an</strong> Männerstimmen, <strong>an</strong> hellen und leichten Tenören ebenso wie <strong>an</strong> tiefen<br />

"Orgel"-Bässen. Die Sopr<strong>an</strong>e geraten in der Höhe - und hier bewegt sich bei dem<br />

bevorzugt fünfstimmigen Programm der Sopr<strong>an</strong> über weite <strong>St</strong>recken - leicht in ein<br />

dominierendes Forte. Der Alt, <strong>an</strong> unauffälligerer <strong>St</strong>elle agierend, tut sich hier leichter.<br />

Die vorwiegend akkordisch gesetzten Motetten von Samuel Scheidt und Joh<strong>an</strong>n Herm<strong>an</strong>n<br />

Schein kommen in dem auf fast achtzig <strong>St</strong>immen gestellten Chorkl<strong>an</strong>g auch in<br />

dieser Besetzung zu schöner, überzeugender Geltung, zumal d<strong>an</strong>k der vorbildlichen<br />

Chordisziplin und der Nachhallakustik des Hohen Chors.<br />

Aber die Schwierigkeit, mit einem so großen Chor auch die figurierten Passagen zu<br />

verdeutlichen, k<strong>an</strong>n selbst Köhlers ausgefeilte Dirigiertechnik nicht restlos überwinden.<br />

Mit Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong> Bachs fünfstimmiger Motette "Jesu, meine Freude" stellte sich<br />

die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei dem vielleicht höchsten, wenn gleich schwer zu realisierenden<br />

Anspruch bachischer a-capella-Kunst. Bereits das Durchhalten der Ausg<strong>an</strong>gstonart<br />

über elf Sätze hinweg bezeugte hohe Intonationssicherheit. Der <strong>Uelzen</strong>er K<strong>an</strong>torei<br />

gel<strong>an</strong>g hier, was beispielsweise der Lüneburger <strong>St</strong>.-Joh<strong>an</strong>nis-K<strong>an</strong>torei missglückte.<br />

Köhlers Interpretation der Römerbrieftexte, mit denen Bach die Liedstrophen auslegt,<br />

machte, wie Luther gefordert hatte, diese Texte lebendig, eindrucksvoll in den dramatischen<br />

Einschüben, stimmlich schön ausgeglichen in dem - in kleiner Besetzung<br />

gesungenen - Satz "Gute Nacht", von schlichter Größe in den Choralstrophen.<br />

Mit zwei Epistelmotetten von Siegfried Reda, Jahrg<strong>an</strong>g 1916, zollte die K<strong>an</strong>torei der<br />

neueren ev<strong>an</strong>gelischen <strong>Kirchenmusik</strong> Tribut. Ihre kennzeichnend spröde Sprache gew<strong>an</strong>n<br />

gegen Ende der Motette "Ein jeglicher sei gesinnt" Tiefe und Eindringlichkeit.<br />

Ein sechsstimmiges "Vater unser" von Fr<strong>an</strong>z Liszt, wohl um des liturgischen Textes<br />

willen und gewiss nicht seines musikalischen Gewichtes wegen <strong>an</strong> den Schluss gestellt,<br />

rundete das Programm zu einem Weg durch drei Jahrhunderte kirchlicher<br />

Chormusik.


An der Orgel spielte Paul-Gerhard Heringslack Joh<strong>an</strong>n Sebasti<strong>an</strong>s dorische Toccata<br />

und Fuge in zügig-virtuoser Interpretation, Kl<strong>an</strong>gfülle und Farbenreichtum des Instruments<br />

mehr als das kunstvolle Linienwerk besonders der Fuge herausstreichend.<br />

Die <strong>St</strong>.-<strong>Marien</strong>-K<strong>an</strong>torei und ihr verdienstvoller Leiter Eginhard Köhler können der<br />

guten Wünsche aller hiesigen Musikfreunde und sicherlich vieler <strong>Uelzen</strong>er darüber<br />

hinaus gewiss sein, wenn sie den Namen unserer <strong>St</strong>adt und Kirche ein weiteres Mal<br />

hinaus in ein befreundetes L<strong>an</strong>d tragen.<br />

HUGO HEUSMANN

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