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Unveröffentlichte Gedichte von Claudia Storz für „federbar ...

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<strong>Unveröffentlichte</strong> <strong>Gedichte</strong> <strong>von</strong> <strong>Claudia</strong> <strong>Storz</strong> <strong>für</strong> <strong>„federbar</strong>“<br />

Magischer Spruch an den April<br />

Lass uns den Meisen zusehen<br />

Kleine Männchen sitzen sie im Haselstrauch<br />

Und rufen<br />

Den neuen Frühling<br />

Lass uns Bärlauch riechen<br />

Grüne Klingen spalten dürres Laub<br />

Und würzen<br />

Erste warme Tage<br />

Lass uns beisammen sitzen<br />

Gemeinsam alt werden<br />

Unsere Lebensmitte hing etwas durch<br />

Jetzt kanns bergauf gehen.<br />

Lass uns an Phyllis denken<br />

Ihr schelmisches Lächeln hundertjährig<br />

Und im goldenen Kleid sitzt sie da<br />

Zeigt den Gratulationsbrief der Queen<br />

Kennen wir dann<br />

Die sieben Geheimnisse<br />

zum Glück?<br />

Eine Prise Heiterkeit zum ersten<br />

Etwas Lebensfreude<br />

Ein Häufchen störrische Hoffnung<br />

Unerschütterliche Wurzeln<br />

Einen Arm voller Gelassenheit<br />

Und eine grosse Liebe.


<strong>Unveröffentlichte</strong> <strong>Gedichte</strong> <strong>von</strong> <strong>Claudia</strong> <strong>Storz</strong><br />

Sancha Pansa en la Catedral<br />

Die kleine Putzfrau wischt die Kathedrale<br />

unermüdlich und unbeeindruckt<br />

unter der grössten gotischen Rosette der Welt<br />

rotblaugelb fliesst aus ihr über über Fliesen fliesst<br />

in rosa Gummistiefeln und mit rosa Gummihandschuhen<br />

putzt sie über den Königssitz <strong>von</strong> Juan Carlos<br />

wischt Tränen ab <strong>von</strong> San Sebastian<br />

wäscht seine Wunden aus<br />

wedelt über die Krone de la Virgen<br />

staubt Pilaster ab und Lüster<br />

fährt hoch oben an der Orgel hin<br />

La Sancha Pansa in der Gummirüstung.<br />

2


<strong>Unveröffentlichte</strong> <strong>Gedichte</strong> <strong>von</strong> <strong>Claudia</strong> <strong>Storz</strong><br />

Graffitti in den Metroschächten I<br />

Wir pfeilen in den Schacht<br />

Ich hock - die Stirn am kühlen Glas - spähe in die Schwärze -<br />

Graffitti an der Tunnelwand armlang <strong>von</strong> meinem Gesicht!<br />

Wie kann das sein?<br />

Kaum einen Meter zwischen Mauer und rasendem Zug?<br />

tausend Meter voller knochenbleicher Zeichnungen und Spraybilder! – Ich<br />

forsche nach!<br />

Nach der letzten U-Bahn um zwei Uhr morgens<br />

da steigen sie ein!<br />

die schlaksigen Kinder, die den letzten Tropfen Saft aus ihrem Leben saugen!<br />

Wie sie sich scheinheilig ins Bett legen – die Vierzehn- und Fünfzehnjährigen<br />

bis die Eltern schlafen<br />

dann schleichen sie ab<br />

treffen sich zu Adrenalinstoss, Protest und Kamikaze<br />

heben die Gullydeckel an – denn in U-Bahnstationen der Métro<br />

sind die Tunnels abgeschrankt und nicht betretbar –<br />

Nicht ihre knochenweissen Figuren zählen<br />

nur die Tags - die Markierungen - sie sagen: Ich war hier<br />

ich bin abtaucht in Hölle, Hitze und Untergrund.<br />

Hemingway schreibt in Fiesta: Nobody ever lives their life all the way up<br />

except bullfighters.<br />

And the little Sprayers in der Paris’ Underground!, füg ich bei – glaube<br />

meinem Blick nach draussen: eine schmale schwarze Gestalt drückt sich<br />

plötzlich in die Nische!<br />

und die Scheinwerfer des schwarzen Metro-Zuges tasten<br />

die Wände ab.<br />

3


<strong>Unveröffentlichte</strong> <strong>Gedichte</strong> <strong>von</strong> <strong>Claudia</strong> <strong>Storz</strong><br />

St. Eustache, Liebesgedicht<br />

Die Kerzen<br />

im gotischen Schiff<br />

haben Bremsen eingebaut<br />

so glühend die Verehrung der schwarzen Frauen<br />

<strong>für</strong> die Maria Dolorosa<br />

so matt ihre Lichter sie<br />

erlöschen<br />

orange Würmchen auf Wachs.<br />

Nur die meine die weltliche<br />

angezündet zu Ehren der Liebe<br />

lodert gelbweiss und hoch<br />

erleuchtet das weihrauchene Düster<br />

kleine Flammenwerfer<br />

meiner Passion.<br />

Maienmorgen<br />

Gestern habe ich Pflanzen gepflückt in der taunassen Wiese: Spitzwegerich<br />

Löwenzahn und Gänseblümchen und damit Wildspinat gekocht, herb und<br />

süsslich. Heute liegt die Wiese gemäht<br />

das kurze Gras steht in Wirbeln wie die Haare auf deinem Hinterkopf<br />

kleine Spinnennetze sind aus dem Grund an die Sonne getaucht<br />

und der scharfe Duft der geschnittenen Pflanzen<br />

erinnert mich an unser Liebesfest.<br />

4


<strong>Unveröffentlichte</strong> <strong>Gedichte</strong> <strong>von</strong> <strong>Claudia</strong> <strong>Storz</strong><br />

Graffitti II<br />

Der Tunnel <strong>von</strong> Bercy<br />

In einem Tunnel hat Jean-Luc Moulène<br />

Von 1996 bis 2001<br />

An den feuchtdunklen Wänden Graffitti gesammelt<br />

Todesdrohungen, Flüche, Anschwärzungen<br />

In Slang-Französisch:<br />

Les assassins son a mes trousse -<br />

Solange Cavagna la triple putain<br />

La criminelle la tueuse!<br />

J’encule les ambulancié -<br />

Tu restera les deux pieds devant -<br />

Ta bitte elle pue comme ta gueule -<br />

On va la crevé -<br />

Ya un vieux con qu’est mort<br />

tampmieux -<br />

Merci de tué pour moi !<br />

All diese plumpe Orthografie voller Dank und Abscheu<br />

Für die ausführenden<br />

Mörder <strong>für</strong>s Töten.<br />

Jean-Luc Moulène hat <strong>für</strong> die<br />

Ausstellung „Airs de Paris“ mit Fotos den Raum behängt<br />

Mit Bildern der Unterwelt<br />

und ich denke trotzdem: enculé tönt<br />

distinguierter als Arschficken.<br />

5


<strong>Unveröffentlichte</strong> <strong>Gedichte</strong> <strong>von</strong> <strong>Claudia</strong> <strong>Storz</strong><br />

Der alte Vater 19. August 2012<br />

Er liegt im Bett sein schöner Kopf aufgestützt<br />

Das lachsrote Betttuch um seine bleiche Gestalt<br />

Die Fensterriegel hat er mit Bastbändern umbunden<br />

Das Handgelenk mit einem Lederriemen<br />

Sein Kopf sinkt abends auf die Brust<br />

Ausgemergelt und fast stumm hat er Abschied genommen.<br />

Wir seine Kinder<br />

kommen grau und vom Alter gebläht oder mager<br />

Und immer murmelt er<br />

vom Sterben und bleibt<br />

an die zweitausend Tagen schon ist er krank<br />

Und jetzt – im verglimmenden Sommer - ist er bettlägerig<br />

Heute liegt er im Gästezimmer<br />

das erste Mal im Leben nimmt er Abstand<br />

weicht aus dem Gemach in dem wir gezeugt<br />

Und Mutter schläft sie wieder tief?<br />

Auch sie rückt nach unten<br />

sein Gast ist ein anderer<br />

Wir erzählen <strong>von</strong> Berlin und ein kleines Licht<br />

blitzt in seinen Augen<br />

Wo in Berlin? flüstert er<br />

Im Friedrichshain<br />

Friedrichshain – flüstert er – Friedrichshain hinter dem Ostbahnhof?<br />

Und lächelt und nickt.<br />

6

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