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Das Recht der Internationalen Organisationen

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Professor Dr. Udo Fink<br />

<strong>Das</strong> <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> <strong>Internationalen</strong> <strong>Organisationen</strong><br />

1. Teil: Überblick über das <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> <strong>Internationalen</strong> <strong>Organisationen</strong><br />

A. Einführung<br />

Strukturierung <strong>der</strong> Vorlesung:<br />

(a) Überblick über den allgemeinen Teil <strong>der</strong> <strong>Internationalen</strong> <strong>Organisationen</strong>, insbeson<strong>der</strong>e<br />

ihre Entstehungsgeschichte, ihre grundsätzlichen rechtliche Charakteristika<br />

und ihre Stellung im Völkerrecht.<br />

(b) Überblick über wichtige Aufgabenfel<strong>der</strong> Internationaler <strong>Organisationen</strong>, aber<br />

nicht vollständige Darstellung aller wichtigen <strong>Internationalen</strong> <strong>Organisationen</strong>,<br />

da dies keinen eigenen rechtlichen Erkenntniswert hat.<br />

(c) Stattdessen exemplarische Darstellung <strong>der</strong> UNO als wichtigster internationaler,<br />

an <strong>der</strong>en Beispiel die zentralen Fragen des <strong>Recht</strong>s <strong>der</strong> IO deutlich gemacht<br />

werden soll und zudem ein vertieftes Verständnis für diese IO erreicht<br />

werden soll.<br />

B. Die geschichtliche Entwicklung <strong>der</strong> <strong>Internationalen</strong> <strong>Organisationen</strong><br />

I. Die Entwicklung bis zum Ersten Weltkrieg<br />

Die Idee eines institutionalisierten Zusammenschlusses <strong>der</strong> Staaten ist alt. Schon in<br />

Griechenland gab es zwei bedeutende Zusammenschlüsse von Stadtsaaten. Die<br />

Amphiktyonie war ein Bündnis griechischer Volksstämme o<strong>der</strong> Städte, dessen<br />

Zweck es war, ein Heiligtum, beson<strong>der</strong>s das <strong>der</strong> Demeter in Anthela in <strong>der</strong> Nähe <strong>der</strong><br />

Thermopylen, zu schützen. Dieser Schutz wurde später auch auf den Tempel des<br />

Apollon in Delphi ausgedehnt. Der Bund war ursprünglich eine religiöse Vereinigung,<br />

wurde aber immer mehr zu einem politischen Instrument seiner stärksten Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Die zwölf Mitglie<strong>der</strong> des Bundes trafen sich zweimal im Jahr abwechselnd an den<br />

beiden Kultorten, um ihren religiösen Aufgaben nachzukommen und über wichtige<br />

Angelegenheiten zu beraten. Je<strong>der</strong> Stamm hatte zwei Stimmen, konnte aber weitere


2<br />

Abgeordnete zu den Sitzungen schicken. Die Amphiktyonen führten drei Heilige<br />

Kriege, in denen es um die Unabhängigkeit des Kultzentrums von Delphi ging. Der 1.<br />

Heilige Krieg (595-585 v. Chr.) richtete sich gegen die phokische Stadt Krisa o<strong>der</strong><br />

Kirrha und endete mit <strong>der</strong>en Zerstörung. Während des 2. und 3. Heiligen Krieges<br />

(355-346 v. Chr. und 339-338 v. Chr.) nutzte König Philipp II. von Makedonien seine<br />

Stellung im Bund, um seine Macht in Griechenland auszubauen.<br />

Den Delisch-Attischen Seebund schloss Athen 478/77 v. Chr. während <strong>der</strong> Perserkriege<br />

mit den griechischen Städten <strong>der</strong> kleinasiatischen und <strong>der</strong> thrakischen Küste<br />

und den ägäischen Inseln zur gemeinsamen Kriegsführung gegen die Perser. Alle<br />

Mitglie<strong>der</strong> des Bundes hatten einen ihren Verhältnissen angemessenen Beitrag zur<br />

Kriegsführung zu leisten, entwe<strong>der</strong> in Form von Schiffen und Ausrüstung o<strong>der</strong> in<br />

Form von Steuern, was die meisten Mitglie<strong>der</strong> vorzogen. Zur Zeit seiner größten<br />

Ausdehnung gehörten dem Bund neben Athen nahezu alle Ägäisinseln an und die<br />

Städte <strong>der</strong> kleinasiatischen und <strong>der</strong> thrakischen Küste bis jeweils zum Bosporus.<br />

Gegen die Perser agierte <strong>der</strong> Bund erfolgreich: 449/48 v. Chr. wurden die Perserkriege<br />

mit dem für die Mitglie<strong>der</strong> des Bundes vorteilhaften Kalliasfrieden beendet. Im<br />

Inneren kam es allerdings bald zu Irritationen: Zwar waren theoretisch alle Mitglie<strong>der</strong><br />

des Bundes gleichberechtigt; in <strong>der</strong> Praxis aber übte Athen seine Führungsrolle zunehmend<br />

rücksichtslos aus, nutzte den Bund mehr und mehr als Instrument zur Erweiterung<br />

<strong>der</strong> eigenen Macht und zur Herrschaft über die Bundesgenossen und<br />

nahm immer mehr Einfluss auch auf die inneren Verhältnisse <strong>der</strong> Verbündeten. Infolge<br />

dieses Drucks fielen zahlreiche Städte von dem Bund ab, wurden aber in <strong>der</strong><br />

Regel von Athen rasch wie<strong>der</strong> unterworfen und dann durch Verträge, Ansiedlung<br />

von athenischen Kolonisten noch fester an den Bund bzw. Athen angebunden. Die<br />

ursprünglich gleichberechtigten Bundesgenossen gerieten zunehmend in ein Untertanenverhältnis<br />

zu Athen. Nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage Athens im Peloponnesischen Krieg<br />

gegen Sparta 404 v. Chr. wurde <strong>der</strong> Attische Seebund aufgelöst.<br />

Der 2. Attische Seebund formierte sich 378 v. Chr. als Defensivbündnis gegen Sparta,<br />

nun die Hegemonialmacht in Griechenland. Dem Bund gehörten bis zu 70 Mitglie<strong>der</strong><br />

an, allerdings nicht die kleinasiatischen Griechenstädte, die seit dem Antalkidasfrieden<br />

von 386 v. Chr. wie<strong>der</strong> unter persischer Oberhoheit standen. Die Mitglie<strong>der</strong><br />

des Bundes waren autonom, so dass <strong>der</strong> Führungsmacht Athen in ihrer Füh-


3<br />

rungsrolle deutliche Grenzen gesetzt waren. Als aber einige Bundesgenossen von<br />

dem Bund abgefallen waren, suchte Athen seine imperialistischen Ansprüche erneut<br />

durchsetzten und löste damit 357 v. Chr. den Bundesgenossenkrieg aus; <strong>der</strong> Krieg<br />

endete 355 v. Chr. mit <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage Athens und <strong>der</strong> Auflösung des Bundes.<br />

Die mittelalterliche <strong>Recht</strong>sordnung in Europa ist geprägt von dem religiös motivierten<br />

Anspruch des heiligen römischen Reiches auf Oberhoheit über die Fürsten in<br />

Europa. innere. Der Kaiser wird vom Papst gekrönt und erhält damit den Auftrag zur<br />

Verteidigung <strong>der</strong> Kirche und <strong>der</strong> von ihr bestimmten <strong>Recht</strong>sordnung, er ist <strong>der</strong> Verteidiger<br />

<strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong> Christenheit. Es gibt aber auch schon Bündnisse <strong>der</strong> oberitalienischen<br />

Städte, insbeson<strong>der</strong>e von Mailand, Bologna und Florenz gegen das Reich<br />

(Kampf <strong>der</strong> Ghibellinen, <strong>der</strong> Kaisertreuen gegen die Guelfen, die den Papst unterstützten),<br />

die Hanse als Zusammenschluss deutscher Kaufleute, <strong>der</strong> sich zu einem<br />

Bund freier Reichsstätte entwickelt.<br />

Der Vorranganspruch des Kaisers und des Papstes wird durch die Reformation theologisch<br />

und machtpolitisch in Frage gestellt. Im dreißigjährigen Krieg (1618-1648)<br />

verliert <strong>der</strong> Kaiser auch faktisch die Souveränität über die Reichsfürsten und Reichsstände<br />

und muss ausländische Fürsten als gleichberechtigte Partner anerkennen.<br />

Die außerhalb des Reiches entstandenen Nationalstaaten werden endgültig zu unabhängigen<br />

<strong>Recht</strong>ssubjekten. Es entstehen zunächst auf Europa beschränkt<br />

<strong>Recht</strong>sbeziehungen zwischen den souveränen Fürsten und den republikanisch organisierten<br />

Staaten (Venedig, Florenz, Hanse, schweizerische Eidgenossenschaft<br />

etc.)<br />

Mit dem Ende des Reichsgedankens verliert sich dessen rechtliche Überwölbung<br />

durch das göttliche <strong>Recht</strong>. Insbeson<strong>der</strong>e das Prinzip, dass Kriege nur zur Verfolgung<br />

gerechter Ziele in <strong>der</strong> rechten Absicht geführt werden dürfen (bellum iustum) verliert<br />

den organisatorischen Rückhalt. <strong>Das</strong> Reich kann dessen Befolgung nicht mehr garantieren.<br />

Die Staaten sind souverän und entscheiden selbst über Krieg und Frieden.<br />

<strong>Das</strong> "freie <strong>Recht</strong> zum Krieg" bedeutet, dass souveräne Staaten keiner übergeordneten<br />

Instanz mehr unterliegen.<br />

Theoretisch untermauert wird das Souveränitätsprinzip durch Jean Bodin. Bodin<br />

(1530-1596), ist ein französischer Staatsrechtler und politischer Philosoph. In seinem


4<br />

Hauptwerk Les six livres de la république (1576, Sechs Bücher über den Staat) arbeitet<br />

Bodin die Gesamtkonzeption eines geordneten Staatswesens aus, das von<br />

einem Souverän geleitet wird, <strong>der</strong> die Bedürfnisse seines Volkes kennt und dem das<br />

Volk unbedingt gehorcht. Die Souveränität ist das zentrale Prinzip des Staates, sie<br />

findet Grenzen nur in <strong>der</strong> Unantastbarkeit des göttlichen und natürlichen <strong>Recht</strong>es<br />

und in mit an<strong>der</strong>en Län<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> den eigenen Untertanen geschlossenen Verträgen.<br />

Damit sollten solche anarchistischen Zustände vermieden werden, wie sie im<br />

16. Jahrhun<strong>der</strong>t während <strong>der</strong> Glaubenskriege zwischen Katholiken und Hugenotten<br />

herrschten. Mit diesem Werk bereitete Bodin den Absolutismus des 17. und<br />

18. Jahrhun<strong>der</strong>ts vor; er beeinflusste auch den englischen Philosophen Thomas<br />

Hobbes. Der diesem Werk zugrunde liegende Begriff <strong>der</strong> Souveränität wird zum<br />

zentralen Begriff <strong>der</strong> klassischen Staatslehre und des Völkerrechts.<br />

Souveränität im völkerrechtlichen Sinne meint, dass <strong>der</strong> Fürst und <strong>der</strong> durch ihn repräsentierte<br />

Staat keinen an<strong>der</strong>en Bindungen als denen des Völkerrechts unterliegt –<br />

Prinzip <strong>der</strong> Völkerrechtsunmittelbarkeit. Der Staat hat das grundsätzlich unbeschränkte<br />

<strong>Recht</strong>, seine Beziehungen nach innen, also die Organisation des Staates<br />

und das Verhältnis zu seinen Bürgern frei von Eingriffen dritter Staaten zu regeln.<br />

Nach außen unterliegt er denjenigen Bindungen, die er selbst bereit ist, zu akzeptieren.<br />

Da es im klassischen Völkerrecht keine Bindung in <strong>der</strong> Frage gab, wer letzt verbindlich<br />

über Krieg und Frieden entscheidet, war <strong>der</strong> Fürst bei seiner Entscheidung<br />

formal unabhängig. Materiellrechtlich war er allerdings an das weiter fortbestehende<br />

Gebot des bellum iustum gebunden. Dessen Umfang und Begründung löste sich<br />

jedoch zunehmend von seinen theologischen Grundlagen.<br />

Thomas Hobbes entwickelte 1651 in seinem Leviathan die Vorstellung vom radikalen<br />

Naturzustand, in dem ein Krieg aller gegen alle besteht, <strong>der</strong> ohne Regeln geführt<br />

wird (bellum omnium contra omines). Seine Lösung zur Befriedung dieses Krieges<br />

ist die Schaffung eines allmächtigen Staates, des Leviathans, <strong>der</strong> die Sicherheit <strong>der</strong><br />

Bürger nach innen und nach außen gewährleistet.<br />

Immanuel Kant überträgt den Gedanken des rechtsfreien Naturzustandes in seiner<br />

Schrift "Zum Ewigen Frieden" auf das Verhältnis <strong>der</strong> Staaten zueinan<strong>der</strong>, das er mit


5<br />

<strong>der</strong> Formel vom "tollen Zustand von Wilden" ebenfalls als rechtsfrei bezeichnet. Kant<br />

schlägt zum Übergang in einen rechtlich geregelten Zustand im inneren die Schaffung<br />

einer Republik, womit Kant im mo<strong>der</strong>nen Sinne den <strong>Recht</strong>sstaat unter Wahrung<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte meint, und nach außen einen immerwährenden Bund zwischen<br />

den Staaten vor. Kant diskutiert dabei auch die Schaffung eines Weltstaates, verwirft<br />

diese Idee aber unter Hinweis darauf, dass, wenn dieser Staat die <strong>Recht</strong>e seiner<br />

Bürger nicht achtet, keiner die Möglichkeit zur Ausreise in ein fortschrittlicheres Land<br />

hat.<br />

Politisch ist das Zeitalter <strong>der</strong> Aufklärung durch die Kabinettskriege gekennzeichnet.<br />

Es gilt die Formel von Clausewitz, dass <strong>der</strong> Krieg die Fortsetzung <strong>der</strong> Politik mit an<strong>der</strong>en<br />

Mitteln ist. z. B. Spanischer Erbfolgekrieg (1701-1714) zwischen Frankreich<br />

und Verbündeten gegen Österreich England, Nie<strong>der</strong>lande etc., Siebenjähriger Krieg<br />

(1756-1763) Preußen gegen Österreich und Russland in Europa, Großbritannien<br />

gegen Frankreich in Amerika.<br />

Die politische Wende geschieht durch die napoleonischen Kriege (1796-1815). Die<br />

alte Ordnung souveräner Fürsten wird vom revolutionären Frankreich besiegt. <strong>Das</strong><br />

Reich geht unter (1806 Nie<strong>der</strong>legung <strong>der</strong> Kaiserkrone durch Franz II.) Es entsteht<br />

das Bedürfnis nach internationaler Zusammenarbeit, um die alte Ordnung wie<strong>der</strong>herzustellen.<br />

Auf dem Wiener Kongress 1815 wird nach Abschluss <strong>der</strong> napoleonischen<br />

Kriege eine Neuordnung Europas nach Grundsatz <strong>der</strong> Legitimität <strong>der</strong> Herrschaft,<br />

das bedeutete Restauration <strong>der</strong> überkommenen Fürstenherrschaft angestrebt.<br />

Gesichert werden soll diese Ordnung durch die Schaffung <strong>der</strong> sog. Heiligen<br />

Allianz einer Verantwortlichkeit <strong>der</strong> vier Siegermächte Österreich, Preußen, Großbritannien<br />

und Russland für die geschaffene europäische Ordnung mit einem Interventionsrecht<br />

gegenüber kleinen und mittleren Staaten. Sie wird sehr schnell durch das<br />

Europäische Konzert abgelöst, dass durch die Aufnahme Frankreichs in den Kreis<br />

<strong>der</strong> Großmächte im Frieden von Aachen 1818 entsteht. 1856 wird dann im Frieden<br />

von Paris nach Abschluss des Krimkrieges die Türkei in das europäische Konzert als<br />

Garantie- und Ordnungsmacht für den Balkan aufgenommen. Dadurch Erweiterung<br />

des Europa bezogenen und auf christliche Saaten beschränkten Völkerrechts. Nach<br />

staatlicher Einigung 1870 trat Italien auf dem Berliner Kongress 1878 als siebtes


6<br />

Mitglied hinzu. Auf dem Berliner Kongress wurde eine Neuordnung des Balkan beschlossen,<br />

die nach <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Türkei gegen Russland notwendig wurde.<br />

Einige ehemalige türkische Provinzen, wie Serbien und Motenegro wurden unter<br />

dem Schutz Russlands unabhängig. An<strong>der</strong>e, wie etwa Rumänien, erhielten unter<br />

dem Dach des Osmanischen Reiches weitgehende innere Autonomie. Bosnien-<br />

Herzegeowina gehörte zwar formal weiter zum Osmanischen Reich, wurde aber von<br />

Österreich-Ungarn verwaltet.<br />

Die Schweizerische Eidgenossenschaft (1815 bis 1848) und die Generalstände <strong>der</strong><br />

Nie<strong>der</strong>lande (1579 bis 1795) entstehen als Staatenbünde. Die Schweizerische Eidgenossenschaft<br />

und die Generalstände entwickelten sich durch Abschluss eines e-<br />

wigen Bundes zu Staaten. Auch <strong>der</strong> Deutsche Bund, gegründet durch die Bundesakte<br />

auf dem Wiener Kongress 1815 stellte einen solchen Staatenbund dar. Dieser<br />

wies eigene Organe auf insbeson<strong>der</strong>e die Bundesversammlung unter Vorsitz von<br />

Österreich-Ungarn und er konnte gemeinsame Aktionen durchführen bis hin zur<br />

Bundesexekution, die in <strong>der</strong> Schleswig-Holstein Krise 1864 praktiziert wurde. Die<br />

Bündnismitglie<strong>der</strong> behielten das <strong>Recht</strong>, Verträge aller Art einschließlich politischer<br />

und militärischer Bündnisse einzugehen, diese Bündnis durften aber nicht gegen die<br />

Sicherheit des Bundes o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>er Bundesmitglie<strong>der</strong> gerichtet sein. Der Deutsche<br />

Bund hatte das aktive und passive Gesandtschaftsrecht und konnte selbst Bündnisse<br />

schließen. Er endete 1866 mit <strong>der</strong> Gründung des Norddeutschen Bundes und<br />

dem Ausscheiden Österreichs aus dem deutschen Einigungsprozess. Bereits dieser<br />

1866 geschaffene Norddeutsche Bund wurde von <strong>der</strong> Staatengemeinschaft nicht<br />

mehr als Staatenbund son<strong>der</strong>n als Bundesstaat behandelt und ging 1871 ohne<br />

Wechsel des <strong>Recht</strong>ssubjekts in das Deutsche Reich über.<br />

Neben Staatenbünden entstehen auf dem Wiener Kongress erste Internationale <strong>Organisationen</strong><br />

mit beschränkten Aufgaben.<br />

- Zentralkommission für die Rheinschifffahrt. Problem: Rhein als wichtiger Verkehrsweg,<br />

Güterverkehr nur auf dem Wasserweg möglich, aber grenzüberschreitend, Behin<strong>der</strong>ung<br />

durch Zoll und Stapelrechte (Mainz, Köln). Deshalb Statuierung <strong>der</strong> Freiheit<br />

<strong>der</strong> Schifffahrt auf dem Rhein. Regulierung in die Hände eines zentralen Or-


7<br />

gans, <strong>der</strong> Zentralkommission gelegt. Sie gibt es heute noch. Revidierung durch<br />

Mainzer Rheinschifffahrtsakte 1831, Mannheimer revidierte Rheinschifffahrtsakte<br />

1868 in <strong>der</strong> Fassung des Vertrages von 1963.<br />

- Parallel zur Freiheit <strong>der</strong> Flussschifffahrt (auch Donauuferstaatenkommission 1856)<br />

Freiheit <strong>der</strong> Kommunikation durch Internationale Fernmeldeunion (1865) und Weltpostverein<br />

(1874).<br />

- Auch wirtschaftlich motivierte <strong>Organisationen</strong>. Für den deutschen Bund wichtig <strong>der</strong><br />

Deutsche Zollverein (1831), <strong>der</strong> die durch die deutsche Kleinstaaterei bedingten<br />

Handelshemmnisse überwinden sollte. Zweck: Vereinheitlichung <strong>der</strong> Zölle in<br />

Deutschland. Hauptorgan: Zollvereinskonferenz, Verwaltungsorgan: Zentralbureau:<br />

Jahresabrechnung.<br />

- Internationales Abkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr (1890) und Internationales<br />

Zuckerabkommen (1902).<br />

Für die internationale Friedenssicherung sind insbeson<strong>der</strong>e wichtig die Haager Friedenskonferenzen<br />

1899 und 1907. Ziel: Humanisierung des Kriegsrechts durch<br />

Schaffung <strong>der</strong> Haager Landkriegsordnung und institutionelle Streitschlichtung durch<br />

Schaffung des Ständigen Schiedsgerichtshofs im Haag.<br />

Nach dem Berliner Kongress 1878 brach das Europäische Konzert mehr und mehr<br />

auseinan<strong>der</strong>. Es kam zu wechselseitigen Bündnissen <strong>der</strong> Großmächte. Dies waren<br />

<strong>der</strong> deutsch-österreichische Zweibund 1879, seit 1882 durch Beitritt Italiens Dreibund<br />

und die "entente cordiale" zwischen Frankreich und Großbritannien 1904, seit<br />

1907 um Russland erweitert. Letzte Maßnahme des europäischen Konzerts war die<br />

Londoner Botschafterkonferenz über den zukünftigen Status Albaniens von<br />

Dez.1912 bis Mai 1913. Dabei setzte sich Anspruch <strong>der</strong> Großmächte auf verbindliche<br />

Festlegung des Status von Albanien gegen Interessen <strong>der</strong> Balkanstaaten durch.<br />

<strong>Das</strong> Ende des europäischen Konzerts markiert <strong>der</strong> Ausbruch des Ersten Weltkrieges<br />

1914, <strong>der</strong> die seit 1815 bestehende Ordnung vernichtet. Er bringt den Untergang <strong>der</strong><br />

dadurch begründeten internationalen Wertegemeinschaft. Der Wunsch nach einer<br />

institutionalisierten Völkergemeinschaft bricht sie Bahn, die den Weltfrieden garantie-


8<br />

ren soll. Sie mündet in die Gründung des Völkerbundes<br />

II. Der Völkerbund<br />

1. Gründung<br />

Nach dem Ersten Weltkrieg kommt es zur Gründung des Völkerbundes. Dies ist die<br />

erste Internationale Organisation mit dem Ziel <strong>der</strong> Sicherung des Weltfriedens. Die<br />

<strong>Recht</strong>sgrundlage des Völkerbundes waren die in den Pariser Vorortverträgen mit<br />

den Kriegsgegnern 1919/1920 geschlossenen Friedensverträge. Vertrag von Versailles<br />

(1919) mit dem Deutschen Reich, Vertrag von Neuilly (1919) mit Bulgarien,<br />

Saint Germain mit Österreich (1919), Trianon (1920) mit Ungarn. Die Satzung des<br />

Völkerbundes war Bestandteil dieser Friedensverträge, wobei die Feindstaaten zunächst<br />

aber nicht Mitglied des Völkerbundes werden konnten. Die Satzung trat mit<br />

Ratifikation des Friedens von Versailles am 10. Januar 1920 in Kraft.<br />

Ziel des Völkerbundes war ausweislich <strong>der</strong> Präambel die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> internationalen<br />

Zusammenarbeit und die Herstellung des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit.<br />

Der Urheber des Völkerbundes war <strong>der</strong> amerikanische Präsident Woodrow<br />

Wilson, <strong>der</strong> in seinen 1916 als Kriegsziele proklamierten 14 Punkten als letzten<br />

Punkt die Schaffung einer internationalen Völkergemeinschaft zum Ziel seiner Politik<br />

machte.<br />

Ursprüngliche Mitglie<strong>der</strong> waren die 32 Signatarmächte <strong>der</strong> Friedensverträge sowie<br />

13 weitere in <strong>der</strong> Anlage aufgeführte Mächte. Zwischen 1920 und 1937 kamen 21<br />

weitere Staaten hinzu, darunter das Deutsche Reich (1926) und die Sowjetunion<br />

(1934). Zwischen 1920 und 1942 traten aber auch zwanzig Mitglie<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> aus.<br />

Darunter das Deutsche Reich 1933. Die Sowjetunion wurde 1939 ausgeschlossen.<br />

2. Organe<br />

a. die Versammlung (Art.3 VBS), die aus Vertretern aller Mitgliedstaaten zusammengesetzt<br />

war,<br />

b. <strong>der</strong> Rat (Art.4 VBS), <strong>der</strong> ursprünglich aus Vertretern <strong>der</strong> Hauptsiegermächte


9<br />

(Großbritannien, Frankreich, Italien Japan und USA) und vier weiteren von <strong>der</strong> Versammlung<br />

zu wählenden Mitglie<strong>der</strong>n bestehen sollte. Später wurden das deutsche<br />

Reich und die Sowjetunion als neue ständige Mitglie<strong>der</strong> aufgenommen, die Zahl <strong>der</strong><br />

nichtständigen Mitglie<strong>der</strong> wurde auf 9 erhöht, und<br />

c. <strong>Das</strong> ständige Sekretariat (Art.6 VBS).<br />

Sitz <strong>der</strong> Organisation war Genf.<br />

3. Friedliche Streitbeilegung und Kriegsverhütung<br />

Kernstück des Völkerbundes waren das System <strong>der</strong> Friedlichen Streitbeilegung und<br />

<strong>der</strong> Kriegsverhütungsmechanismus.<br />

a. Friedliche Streitbeilegung:<br />

Gemäß Art.12 und 13 VBS waren die Mitgliedstaaten verpflichtet, jeden Streit untereinan<strong>der</strong><br />

einem Schiedsgericht o<strong>der</strong> dem ständigen <strong>Internationalen</strong> Gerichtshof, <strong>der</strong><br />

gemäß Art.14 VBS als eigene Einrichtung mit Sitz im Haag geschaffen worden war,<br />

zu unterbreiten. Die Staaten verpflichteten sich, den Spruch des Schiedsgerichts<br />

o<strong>der</strong> des st. IGH zu achten und zu befolgen.<br />

b. Kriegsverhütung:<br />

Gemäß Art.10 VBS verpflichteten sich die Mitglie<strong>der</strong> die territoriale Integrität und die<br />

politische Unabhängigkeit jedes Mitgliedes zu achten und gegen jeden äußeren Angriff<br />

zu schützen. Nach Art. 11 VBS war je<strong>der</strong> Krieg gegen ein Mitglied des Bundes<br />

eine Angelegenheit des Bundes insgesamt. Gemäß Art.16 VBS war je<strong>der</strong> Angriff<br />

eines Mitgliedes gegen ein an<strong>der</strong>es Mitglied zugleich auch ein Angriff auf alle an<strong>der</strong>en<br />

Mitglie<strong>der</strong>.<br />

4. Schwächen des Systems:


10<br />

Gemäß Art.10 und Art.15 VBS konnte <strong>der</strong> Rat, das wichtigste Organ des Völkerbundes<br />

keine verbindlichen Entscheidungen treffen son<strong>der</strong>n nur Vorschläge zur Konfliktbeendigung<br />

machen. Die Staaten waren zwar gemäß Art.16 VBS zur Ergreifung<br />

von Maßnahmen verpflichtet. Deren konkrete Ausgestaltung war ihnen mit Ausnahme<br />

<strong>der</strong> in Art.16 (1) genannten Wirtschaftssanktionen jedoch nicht vorgeschrieben.<br />

Außerdem gab es kein umfassendes materielles Gewaltverbot. Zwar war durch den<br />

Briand-Kellogg-Pakt im Jahr 1928 zwischen den wichtigsten Staaten mit Ausnahme<br />

<strong>der</strong> UdSSR ein materielles Kriegsverbot vereinbart worden. Dieser Vertrag ist jedoch<br />

nicht ausdrücklich in die Satzung des Völkerbundes integriert werden. Deshalb war<br />

bis zum Ende des Völkerbundes streitig, ob eine Verletzung des Briand-Kellogg-<br />

Paktes den Rat des Völkerbundes und dessen Mitglie<strong>der</strong> zu Sanktionen berechtigen.<br />

Kriege standen deshalb nicht in Wi<strong>der</strong>spruch zu Satzung, wenn entsprechend dem<br />

Verfahren des Art.15 VBS nach drei Monaten kein Schiedsspruch zustande kam o-<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> Rat nicht innerhalb von sechs Monaten einen Bericht mit Vorschlägen zur<br />

Konfliktverhütung erstattet hatte. Folgte eine Partei einem Schiedsspruch nicht konnte<br />

gemäß Art.13 (4) VBS auch gegen diese Krieg geführt werden. <strong>Das</strong>selbe galt,<br />

falls eine Partei einem Vorschlag des Rates nicht Folge leistete (Art.15 [6]), o<strong>der</strong> falls<br />

<strong>der</strong> Rat nicht in <strong>der</strong> Lage war, einstimmig einen solchen Vorschlag zu machen<br />

(Art.15 [7]).<br />

Die zweite Schwäche lag darin, dass einige <strong>der</strong> wichtigsten Staaten nicht ausreichend<br />

integriert waren. Der Völkerbund war deshalb keine universelle Organisation.<br />

Die Vereinigten Staaten wurden nicht Mitglied, weil <strong>der</strong> amerikanische Kongress die<br />

Zustimmung zum Vertragsschluss verweigerte, die Sowjetunion wurde wegen des<br />

innenpolitischen Umsturzes in <strong>der</strong> Oktoberrevolution bis 1936 in <strong>der</strong> Staatengemeinschaft<br />

als Outlaw behandelt (Nichtanerkennung <strong>der</strong> Regierung). <strong>Das</strong> deutsche Reich<br />

war ebenfalls nur fünf Jahre Mitglied und belastet mit den Reparationsansprüchen<br />

<strong>der</strong> Siegermächte.<br />

In den wichtigsten Krisen <strong>der</strong> Zwischenkriegszeit erwies sich dieses System als untauglich.<br />

Japan intervenierte 1932 in <strong>der</strong> zu China gehörenden Mandschurei und erklärte<br />

diese als eigenständigen Staat (Mandschuko) für unabhängig. China rief den<br />

Völkerbundsrat an, <strong>der</strong> gemäß Art.15 (4) VBS einen Bericht verfasste, in dem Japan


11<br />

des Verstoßes gegen Art.10 VBS und des Briand-Kelogg-Paktes geziehen wurde.<br />

Daraufhin trat Japan als ständiges Mitglied des Rates aus dem Bund aus.<br />

Im Oktober 1935 griff Italien Äthiopien an und annektierte es im Mai 1935. Der Völkerbund<br />

beschloss wirtschaftliche Sanktionen (Art.16 VBS) gegen Italien, die jedoch<br />

nur teilweise durchgeführt wurden. Sie wurden zudem nach dem Ende <strong>der</strong> Kampfhandlungen<br />

aufgehoben. Im November 1937 trat Italien zudem aus dem Völkerbund<br />

aus.<br />

Im November 1939 überfiel die Sowjetunion Finnland, worauf <strong>der</strong> Rat die Sowjetunion<br />

gemäß Art.16 (4) VBS wegen gröblichen Verstoßes gegen die Verpflichtungen<br />

aus <strong>der</strong> Satzung aus dem Völkerbund ausschloss.<br />

Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges stellte <strong>der</strong> Völkerbund seine Tätigkeit<br />

ein. Der Völkerbundversammlung trat am 18. April 1946 noch einmal zusammen und<br />

wickelte die Organisation offiziell ab. Ihr Nachfolger werden nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

die Vereinten Nationen, die vor dem Hintergrund <strong>der</strong> negativen Erfahrungen<br />

des Völkerbundes einen neuen Versuch zur Gewährleistung des internationalen<br />

Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit durch eine universelle internationale Organisation unternehmen.<br />

C. Die <strong>Internationalen</strong> <strong>Organisationen</strong> als Völkerrechtssubjekte<br />

I. Die Staaten als originäre und unbeschränkte Völkerrechtssubjekte<br />

Die internationale <strong>Recht</strong>sgemeinschaft hat sich wie gesehen rechtlich als Staatengemeinschaft<br />

entwickelt. Der Staat ist im 17. Jahrhun<strong>der</strong>t die soziologische und<br />

rechtliche Organisationsform, in <strong>der</strong> sich die Menschen zusammenschließen. Seine<br />

Wurzeln hat er insbeson<strong>der</strong>e in Europa im Typus des sogenannten Nationalstaats.<br />

Der Nationalstaat ist dadurch gekennzeichnet, dass sich eine Gruppe von Menschen,<br />

die sich kraft ihrer Kultur, ihrer Sprache und ihres geschichtlichen Werdeganges<br />

zusammengehörig fühlt, politisch zusammenschließt. Diese homogene Gruppe<br />

bildet ein Volk, hat sie sich staatlich organisiert nennt man sie Staatsvolk. Erste Nationalstaaten<br />

in Europa sind England und Frankreich.


12<br />

Neben den Nationalstaat treten auch Zusammenschlüsse von Volksgruppen in einem<br />

einheitlichen Staat, wie etwa Belgien, das 1830 aus dem französisch geprägten<br />

Wallonien im Westen und dem deutsch geprägten Flan<strong>der</strong>n im Osten entsteht, o<strong>der</strong><br />

Jugoslawien, das nach dem Ersten Weltkrieg als Zusammenschluss des ursprünglich<br />

zum Osmanischen Reich gehörenden Königreich Serbien-Montenegro und den<br />

nach dem Ersten Weltkrieg von Österreich unabhängigen gewordenen Gebieten des<br />

heutigen Kroatiens, Sloweniens und Bosnien-Herzegowina entsteht.<br />

Die zwischen den Staaten entstehenden <strong>Recht</strong>sbeziehungen bilden ursprünglich das<br />

gesamte Völkerrecht. Quellen sind vor allem die zwischen den Staaten abgeschlossenen<br />

Verträge sowie nichtvertragliche <strong>Recht</strong>sregeln, die kraft ständiger Übung und<br />

einer daran anknüpfenden Überzeugung von <strong>der</strong> Geltung als verbindliches <strong>Recht</strong><br />

(opinio iuris) entstehen. Die wichtigste nichtvertragliche <strong>Recht</strong>sregel, auf die sich<br />

die Staaten einigen, ist <strong>der</strong> Satz: pacta sunt servanda, ohne die den abgeschlossenen<br />

Verträgen keine rechtliche Verbindlichkeit zukommen würde.<br />

Damit charakterisiert sich das Völkerrecht zunächst als ein rein zwischenstaatliches<br />

Koordinationsrecht. Subjekte dieser Koordinationsrechtsordnung sind folgerichtig<br />

zunächst auch nur die Staaten. Von ihnen geht das gesamte Völkerrecht aus und sie<br />

können alleine Träger von <strong>Recht</strong>en und Pflichten sein. Sie werden häufig als "geborene"<br />

Völkerrechtssubjekte bezeichnet. Damit verbindet sich die Vorstellung, dass<br />

ihnen die Völkerrechtssubjektivität nicht zugewiesen wird, son<strong>der</strong>n dass sie ihnen<br />

kraft ihrer Eigenschaft als Staat ohne weiteres zusteht. Diese Vorstellung ist jedoch<br />

unpräzise, weil die Eigenschaft als Staat nicht ohne weiteres aus <strong>der</strong> Existenz als<br />

organisiertes Gemeinwesen folgt, son<strong>der</strong>n erst durch die Anerkennung durch die<br />

bereits bestehenden Staaten vermittelt wird. Erst durch den Akt <strong>der</strong> Anerkennung<br />

werden Gemeinwesen in die Staatengemeinschaft aufgenommen und damit wird<br />

ihnen <strong>Recht</strong>sfähigkeit zugewiesen.<br />

Staaten sind aber originäre Völkerrechtssubjekte. Sie leiten ihre <strong>Recht</strong>sfähigkeit<br />

nicht aus einem Akt <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>sübertragung ab. Der Akt <strong>der</strong> Anerkennung impliziert<br />

nicht eine solche <strong>Recht</strong>sübertragung. Damit erklären die übrigen Staaten lediglich,<br />

dass ein neues Gemeinwesen für sie die tatsächlichen Voraussetzungen dafür er-


13<br />

füllt, in demselben Umfang wie sie Träger von <strong>Recht</strong>en und Pflichten zu sein.<br />

Die <strong>Recht</strong>sfähigkeit <strong>der</strong> Staaten als <strong>der</strong> originären Völkerrechtssubjekte ist grundsätzlich<br />

unbeschränkt. Da von ihnen das gesamte Völkerrecht ausgeht, müssen sie<br />

auch Inhaber aller denkbaren <strong>Recht</strong>e und Pflichten sein. Allerdings gab und gibt es<br />

im internationalen <strong>Recht</strong> Erscheinungsformen, die als Staaten bezeichnet werden,<br />

denen aber nicht die volle Völkerrechtsfähigkeit zugestanden wird. Ein früher diskutiertes.<br />

Ein Beispiel ist <strong>der</strong> Fall <strong>der</strong> Suzeränität als einer teilweisen rechtlichen Abhängigkeit<br />

eines Gemeinwesens von einem an<strong>der</strong>en Staat, insbeson<strong>der</strong>e auf dem<br />

Gebiet <strong>der</strong> Außenvertretung (Ägypten vom Osmanischen Reich im 19. Jhd.). Solche<br />

Abhängigkeitsverhältnisse, die etwa auch bei den britischen Dominions (Südafrika,<br />

Kanada, Australien, Neuseeland, Irischer Freistaat, Indien), den Kolonien, den Mandaten<br />

des Völkerbundes und den Treuhandgebieten <strong>der</strong> UNO zu beobachten sind,<br />

geben jedoch eher Anlass zu Zweifeln an <strong>der</strong>en Staatlichkeit, weil diesen Gebieten<br />

die volle Souveränität fehlt. Sie begründen dagegen keine Zweifel daran, dass vollkommen<br />

unabhängige Staaten auch in vollem Umfang völkerrechtsfähig sind.<br />

II. Die <strong>Internationalen</strong> <strong>Organisationen</strong> als abgeleitete und zweckgebundene Völkerrechtssubjekte<br />

1. Die rechtliche Mindestausstattung internationaler <strong>Organisationen</strong><br />

a. Die Satzung als <strong>Recht</strong>sgrundlage für die völkerrechtliche Handlungsfähigkeit<br />

Mit dem Bedürfnis nach verstärkter und institutionalisierter internationaler Zusammenarbeit<br />

treten neben den Staaten auch die internationalen <strong>Organisationen</strong> als<br />

Völkerrechtssubjekte auf. Die Eigenschaft als <strong>Recht</strong>ssubjekt kann einmal im Verhältnis<br />

<strong>der</strong> Organisation zu ihren Mitglie<strong>der</strong>n ausdrücklich geregelt sein. So Art.104<br />

UN-Charta, wonach die Vereinten Nationen auf dem Gebiet jedes Mitgliedstaates die<br />

<strong>Recht</strong>sfähigkeit genießen, die notwendig ist, um ihre Aufgaben durchzuführen und<br />

ihre Ziele zu verfolgen.<br />

Sie kann auch sowohl im Verhältnis zu ihren Mitglie<strong>der</strong>n wie auch gegenüber Dritten<br />

durch den Abschluss völkerrechtlicher Verträge manifestiert werden. Schließt ein


14<br />

Staat mit einer <strong>Internationalen</strong> Organisation einen Vertrag, erkennt er sie damit als<br />

Völkerrechtssubjekt an.<br />

Die Völkerrechtsfähigkeit internationaler <strong>Organisationen</strong> ist jedoch in zweierlei Hinsicht<br />

relativ. Zum einen gilt sie nur gegenüber denjenigen Staaten, die Mitglied sind<br />

o<strong>der</strong> die sie als Völkerrechtssubjekt anerkennen. Drittstaaten müssen sich dies nicht<br />

entgegenhalten lassen. So haben die Staaten des Warschauer Paktes zu Zeiten des<br />

kalten Krieges die Existenzberechtigung <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaften stets<br />

bestritten und haben keinen völkerrechtlichen Verkehr mit ihnen unterhalten. Dies ist<br />

in Bezug auf die Anerkennung von Staaten jedoch genauso.<br />

Außerdem ist die Völkerrechtsfähigkeit von internationalen <strong>Organisationen</strong> von vorneherein<br />

durch <strong>der</strong>en Aufgaben begrenzt. Nur soweit die internationale Organisation<br />

zur Verfolgung bestimmter Aufgaben zuständig ist, kann sie in völkerrechtlichen Verkehr<br />

treten. Dabei bestimmt sich <strong>der</strong> Umfang dieser Aufgaben durch die Satzung <strong>der</strong><br />

jeweiligen Organisation. Die Satzung ist ein multilateraler Vertrag, den die Mitgliedstaaten<br />

schließen und in dem sie rechtlich verbindlich bestimmte Aufgaben an die<br />

internationalen Organisation übertragen.<br />

Handelt eine Internationale Organisation außerhalb ihrer satzungsmäßig eingeräumten<br />

Kompetenzen, als ultra vires, ist ihr Handeln grundsätzlich rechtlich unwirksam.<br />

Allerdings genießen an<strong>der</strong>e Völkerrechtssubjekte, die aus dem Handeln <strong>der</strong> <strong>Internationalen</strong><br />

Organisation, etwa einem Vertragsschluss <strong>Recht</strong>e ableiten können Vertrauensschutz.<br />

Dieser richtet sich in entsprechen<strong>der</strong> Anwendung von § 46 Abs.2 WÜV<br />

danach, ob die Überschreitung <strong>der</strong> satzungsmäßigen Kompetenzen offenkundig war,<br />

o<strong>der</strong> ob <strong>der</strong> die Beschränkungen nicht erkennen musste und konnte.<br />

Nur durch die rechtlich verbindliche Verlagerung von Aufgaben aus dem staatlichen<br />

Zuständigkeitsbereich auf eine internationale Einrichtung wird diese in die Lage versetzt,<br />

ihrerseits rechtlich verbindliche Verträge zu schließen. Werden zwischen Staaten<br />

lediglich unverbindliche politische Absprachen getroffen, haben sie sich ihrer Zuständigkeit<br />

in <strong>der</strong> jeweiligen Angelegenheit im rechtlichen Sinne nicht entäußert und<br />

die Befugnis zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge verbleibt alleine bei ihnen.


15<br />

b. Die Trennung von Organisation und Mitglie<strong>der</strong>n durch die Ausbildung von Organen<br />

Internationale <strong>Organisationen</strong> zeichnen sich außerdem dadurch aus, dass durch die<br />

jeweilige Satzung Organe geschaffen werden, welche die Aufgaben <strong>der</strong> Organisation<br />

wahrnehmen. Erst dadurch wird die vereinbarte Aufgabenerfüllung organisatorisch<br />

aus <strong>der</strong> Verantwortung <strong>der</strong> Staaten ausgeglie<strong>der</strong>t und in die Verantwortung<br />

eines neuen Zuordnungssubjekts gelegt. Dies gilt auch dann, wenn eine Organisation<br />

wie die NATO gemäß Art.9 des Nordatlantikvertrages nur ein Organ, den Rat hat,<br />

an dem alle Mitgliedstaaten beteiligt sind. Komplexere Internationale <strong>Organisationen</strong><br />

bilden jedoch in <strong>der</strong> Regel mehrere Organe mit je unterschiedlichen Zuständigkeiten<br />

aus. Bestes Beispiel sind die Vereinten Nationen, die sich in die Generalversammlung,<br />

den Sicherheitsrat, das Sekretariat, den Wirtschafts- und Sozialrat und den<br />

<strong>Internationalen</strong> Gerichtshof glie<strong>der</strong>n.<br />

Durch die Ausbildung von Organen wird auch erst die Handlungsfähigkeit <strong>der</strong> Organisation<br />

gegenüber ihren Mitglie<strong>der</strong>n und gegenüber Dritten erreicht. Insoweit weisen<br />

die <strong>Internationalen</strong> <strong>Organisationen</strong> Parallelen zu den Juristischen Personen des<br />

innerstaatlichen <strong>Recht</strong>s auf.<br />

c. Die OSZE als Son<strong>der</strong>fall<br />

Umstritten ist, ob die OSZE die Voraussetzungen für eine Internationale Organisation<br />

erfüllt. Ursprung <strong>der</strong> OSZE war die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit<br />

in Europa, die 1973 ins Leben gerufen wurde, und <strong>der</strong>en Schlussakte in Helsinki<br />

am 1. August 1975 veröffentlicht wurde. An <strong>der</strong> Konferenz nahmen nahezu alle<br />

Staaten Europas (außer Albanien), sowie die USA und Kanada teil. Die Schlussakte<br />

von Helsinki, die den sogenannten KSZE-Prozeß ins Leben gerufen hat, enthielt eine<br />

Reihe von Prinzipien, die zwischen den Teilnehmerstaaten gelten sollten. Diese bezogen<br />

sich in drei sogenannte Körben auf die Sicherheit in Europa insbeson<strong>der</strong>e die<br />

militärische Abrüstung (Korb 1), die Zusammenarbeit in Wirtschaft, Wissenschaft,<br />

Technik und Umweltschutz (Korb 2) und den Menschenrechtsschutz (Korb 3).


16<br />

Dabei sollten die vereinbarten Prinzipien jedoch nicht als rechtlich verbindliches Vertragsrecht<br />

son<strong>der</strong>n nur als politisch verbindliche Absichtserklärungen gelten. Dies<br />

ergibt sich zum einen wenngleich etwas verklausuliert aus dem Wortlaut <strong>der</strong><br />

Schlussakte, insbeson<strong>der</strong>e aber daraus, dass vereinbart wurde, das Dokument nicht<br />

gemäß Art.102 UN-Charta registrieren zu lassen. Da verbindliche völkerrechtliche<br />

Verträge, an denen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> UNO beteiligt sind, nach dieser Vorschrift beim<br />

UN-Generalsekretär registriert werden müssen, muss im Umkehrschluss gefolgert<br />

werden, dass es sich bei <strong>der</strong> Schlussakte nicht um einen rechtlich verbindlichen Vertrag<br />

handeln soll. (In Deutschland ist auch kein Zustimmungsverfahren nach Art.59 II<br />

GG durchgeführt worden.)<br />

In <strong>der</strong> Folgezeit sind zwar im Rahmen des KSZE-Prozesses eine Reihe von völkerrechtlichen<br />

Verträgen geschlossen worden, so etwa <strong>der</strong> Vertrag über Konventionelle<br />

Streitkräfte in Europa (KSE I) und <strong>der</strong> Vertrag über den offenen Himmel. Die Grundlagen<br />

des KSZE-Prozesses sind jedoch bis heute nicht in einen völkerrechtlichen<br />

Vertrag gegossen worden. Der letzte wichtige Schritt zum institutionellen Ausbaus<br />

des OSZE war die 5. Folgekonferenz in Budapest 1994. Darin ist zwar eine Verstärkung<br />

<strong>der</strong> institutionellen Strukturen <strong>der</strong> KSZE durch Gründung <strong>der</strong> OSZE beschlossen<br />

worden. Durch diese organisatorische Umgestaltung sollte nach dem ausdrücklich<br />

erklärten Willen <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Charakter <strong>der</strong> KSZE-Verpflichtungen nicht<br />

geän<strong>der</strong>t werden. Auch die Beschlüsse von Budapest sind nicht gemäß Art.102 UN-<br />

Charta registriert worden. Die KSZE entbehrt damit einer verbindlichen rechtlichen<br />

Grundlage, die eine entsprechende Aufgabenübertragung möglich macht.<br />

Zwar hat sich in <strong>der</strong> KSZE <strong>der</strong> Prozess politischer Kooperation mittlerweile institutionell<br />

verdichtet. So ist in <strong>der</strong> Charta von Paris für ein neues Europa 1990 ein Rat <strong>der</strong><br />

Außenminister geschaffen worden, <strong>der</strong> 1994 um einen Hohen Rat ergänzt wurde.<br />

Dieser besteht aus Spitzenbeamten <strong>der</strong> nationalen Ministerien, welche die Tagungen<br />

des Ministerrates vorbereiten. Dem Hohen Rat, <strong>der</strong> nur einmal im Jahr tagt und insbeson<strong>der</strong>e<br />

als Wirtschaftsforum, als Instrument <strong>der</strong> Krisendiplomatie und <strong>der</strong> friedlichen<br />

Streitbeilegung fungiert, arbeitet ein ständiger Rat zu, <strong>der</strong> aus nie<strong>der</strong>rangigen<br />

Vertretern <strong>der</strong> Mitgliedstaaten besteht und in Permanenz tagt.


17<br />

1991 ist in Madrid eine Parlamentarische Versammlung ins Leben gerufen worden.<br />

Daneben gibt es ein Sekretariat mit Sitz in Prag, ein Büro für freie Wahlen in Warschau<br />

und ein Konfliktverhütungszentrum in Wien. Mit dieser institutionellen Verdichtung<br />

einhergehend hat sich die KSZE 1995 in OSZE also Organisation für Sicherheit<br />

und Zusammenarbeit in Europa umbenannt.<br />

Diesen "Organen" sind jedoch keine Aufgaben zugewiesen worden, die eine rechtliche<br />

Trennung von den Zuständigkeiten <strong>der</strong> Staaten begründen. <strong>Das</strong> Sekretariat hat<br />

nur die Aufgabe, die Treffen des Hohen Rates und des Ministerrates administrativ zu<br />

unterstützen. Der Ministerrat selbst wird als "Forum für regelmäßige politische Konsultationen<br />

im KSZE-Prozeß" bezeichnet. Er ist also nur ein äußerer Rahmen für<br />

Beratungen <strong>der</strong> Mitgliedstaaten, ohne dass ihm eigenständige Aufgaben übertragen<br />

worden wären. Die Parlamentarische Versammlung schließlich, die aus 245 Parlamentariern<br />

aus den Mitgliedstaaten besteht, soll die Verwirklichung <strong>der</strong> Ziele <strong>der</strong><br />

OSZE bewerten und die Zusammenarbeit innerhalb <strong>der</strong> OSZE durch ständige Konsultationen<br />

för<strong>der</strong>n. Echte Aufgaben hat sie damit auch nicht.<br />

Insgesamt betrachtet ist die OSZE deshalb nach wie vor nur ein Forum für politische<br />

Konsultationen, das zwar gewisse organisatorische Strukturen ausgebildet hat, ohne<br />

dass dies jedoch rechtlich erhebliche Formen angenommen hätten. Ihre eigene Bezeichnung<br />

als Organisation ist deshalb rechtlich gesehen irreführend. Sie hat auch<br />

keine Mitglie<strong>der</strong> son<strong>der</strong>n spricht nur von Teilnehmerstaaten, um den Charakter als<br />

nicht institutionalisierte Konferenz deutlich zu machen. Daran än<strong>der</strong>t auch die Erklärung<br />

<strong>der</strong> Gipfelkonferenz in Helsinki 1992 nichts, dass die Teilnehmerstaaten sich<br />

darin einig seien, dass die OSZE eine regionale Abmachung im Sinne von Kapitel<br />

VIII UN-Charta sei. Damit soll zwar eine institutionelle Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> UNO<br />

begründet werden. Diese führt jedoch nicht zur Verleihung von <strong>Recht</strong>ssubjektivität.<br />

Die OSZE widmet sich in neuerer Zeit vor allem <strong>der</strong> Sicherheit in Europa. So ist auf<br />

<strong>der</strong> Tagung in Istanbul im November 1999 eine Charta betreffend die Sicherheit in<br />

Europa verabschiedet worden. Diese sieht eine stärkerer Einbindung <strong>der</strong> OSZE und<br />

ihrer Organe in den Sicherheitsdialog in Europa vor.


18<br />

2. <strong>Das</strong> Innenrecht internationaler <strong>Organisationen</strong><br />

Teilweise wird behauptet, dass die Satzungen Internationaler <strong>Organisationen</strong> nicht<br />

den Regeln des allgemeinen Völkerrechts folgen, son<strong>der</strong>n ein eigenständiges<br />

<strong>Recht</strong>sgebiet darstellen. Sie werden häufig auch als Verfassung internationaler <strong>Organisationen</strong><br />

bezeichnet. Dahinter steht das völkerrechtliche Konzept des self contained<br />

regime. Damit ist gemeint, dass die Auslegung von Satzungen internationaler<br />

<strong>Organisationen</strong> nur nach dem <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Satzung selbst nicht aber nach allgemeinem<br />

Völkerrecht erfolgen kann. Vertreten wird diese Auffassung insbeson<strong>der</strong>e in<br />

Anlehnung an eine Entscheidung des <strong>Internationalen</strong> Gerichtshofs für die Wiener<br />

Diplomatenrechtskonvention. Hierzu hat <strong>der</strong> IGH im Teheraner Geiselfall, ICJ-<br />

Reports 1980, 40 angenommen, dass Reaktionen gegen <strong>Recht</strong>sbrüche grundsätzlich<br />

nur gemäß den dort vorgesehenen Instrumenten durchgeführt werden dürften.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e dürfe die diplomatische Immunität nicht im Wege <strong>der</strong> Repressalie gegen<br />

rechtswidrige Akte <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite aufgehoben werden. Vergleichbares wird<br />

auch für den Friedenssicherungsmechanismus <strong>der</strong> UNO und insbeson<strong>der</strong>e für das<br />

<strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaften vertreten.<br />

Dies entspricht nicht den Regeln des Völkerrechts. Satzungen internationaler <strong>Organisationen</strong><br />

sind ihrer <strong>Recht</strong>snatur nach völkerrechtlichen Verträge, für <strong>der</strong>en Auslegung<br />

die Regeln des Völkervertragsrechts gelten. Dies wird auch durch Art.5 WÜV<br />

bestätigt, <strong>der</strong> den Anwendungsbereich <strong>der</strong> Wiener Vertragsrechtskonvention ausdrücklich<br />

auch auf solche Satzungen erstreckt. Allerdings lassen die Auslegungsregeln<br />

<strong>der</strong> Art.31 ff. WÜV einen gewissen Auslegungsspielraum zu. Dabei wird für<br />

Satzungen internationaler <strong>Organisationen</strong> vertreten, dass die teleologisch funktionale<br />

Auslegung Vorrang vor den Materialien zur Entstehungsgeschichte habe. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

<strong>der</strong> Europäische Gerichtshof wendet in Anknüpfung an diesen Gedanken<br />

die Regeln des effet utile und die implied powers Lehre an. Dagegen soll <strong>der</strong> Wille<br />

<strong>der</strong> Vertragsparteien allenfalls nachrangig Berücksichtigung finden.<br />

Dieses Problem verschärft sich noch, wenn Organen Internationaler <strong>Organisationen</strong><br />

ein Auslegungsmonopol zusteht. Dies gilt etwa für den Gerichtshof <strong>der</strong> Europäischen<br />

Gemeinschaften, den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und den Si-


19<br />

cherheitsrat <strong>der</strong> Vereinten Nationen. Gegenüber all diesen Organen haben sich die<br />

Mitgliedstaaten verpflichtet, <strong>der</strong>en Interpretation des Vertragsinhalts als für sie verbindlich<br />

zu akzeptieren. <strong>Das</strong> bedeutet nicht, dass diese Organe materiellrechtlich<br />

nicht an die Satzung gebunden seien. Auch solche Organe können ultra vires handeln.<br />

Es gibt allerdings kein Verfahren, in dem das ultra vires Handeln geltend gemacht<br />

werden könnte. Als letzte Möglichkeit, seine <strong>Recht</strong> aus dem allgemeinen Völkerrecht<br />

gegen solche Vertragsverletzungen geltend zu machen, bleibt den Mitgliedstaaten<br />

nur <strong>der</strong> Austritt aus <strong>der</strong> <strong>Internationalen</strong> Organisation. Dieses <strong>Recht</strong> ergibt<br />

sich zwar nicht aus <strong>der</strong> Wiener Vertragsrechtskonvention, weil diese nur die Vertragsverletzung<br />

<strong>der</strong> Vertragsparteien, also im Falle Internationaler <strong>Organisationen</strong><br />

<strong>der</strong> Mitgliedstaaten, nicht aber die Vertragsverletzung von Organen <strong>der</strong> Organisation<br />

regelt. <strong>Das</strong> Austrittsrecht ergibt sich aber entwe<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Satzung selbst, wie etwa<br />

im Falle <strong>der</strong> Vereinten Nationen, wo das Kündigungsrecht zwar nicht ausdrücklich in<br />

<strong>der</strong> Charta steht, sich aber aus den Materialien nachweisen lässt. An<strong>der</strong>nfalls gilt<br />

das Austrittsrecht völkergewohnheitsrechtlich, wie etwa das BVerfG für die Gemeinschaftsverträge<br />

allerdings gegen den Wi<strong>der</strong>stand des EuGH festgestellt hat.<br />

Eine an<strong>der</strong>e Frage ist, ob Beschlüsse internationaler <strong>Organisationen</strong> auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

<strong>der</strong> jeweiligen Satzung eine eigenständige <strong>Recht</strong>squelle im Völkerrecht darstellen.<br />

Auch diese werden in Art.38 Abs.1 lit.c IGH-Statut nicht als eigenständige<br />

<strong>Recht</strong>squelle genannt. Dazu wird von <strong>der</strong> traditionellen Völkerrechtslehre die Auffassung<br />

vertreten, dass es sich auch bei dem sogenannten Sekundärrecht internationaler<br />

<strong>Organisationen</strong> um Vertragsrecht handele. Dafür spricht, dass Grundlage solcher<br />

Beschlüsse das Statut <strong>der</strong> jeweiligen Organisation also ein internationaler Vertrag<br />

ist. Solche Beschlüsse sind also, weil sie sich aus <strong>der</strong> Satzung ableiten, sogenanntes<br />

abgeleitetes Vertragsrecht. Wird einem verbindlichen Beschluss eines Organs<br />

einer internationalen Organisation nicht Folge geleistet, wird damit die in <strong>der</strong> Satzung<br />

festgeschriebene Befolgungspflicht verletzt.<br />

Beisp.: Der Sicherheitsrat <strong>der</strong> UNO kann auf <strong>der</strong> Grundlage von Kapitel VII UN-<br />

Charta, Art.39 ff., nichtmilitärische und militärische Zwangsmassnahmen zur Aufrechterhaltung<br />

o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicher-


20<br />

heit erlassen. Gemäss Art.48 (1) in Verbindung mit Art.25 UN-Charta sind die Mitgliedstaaten<br />

verpflichtet, diesen Beschlüssen Folge zu leisten.<br />

Im neueren Schrifttum wird jedoch solchen Beschlüssen, welche rechtlich verbindlich<br />

sind, <strong>der</strong> Charakter einer eigenen <strong>Recht</strong>squelle zugebilligt. Dies ist zumindest dann<br />

richtig, wenn durch solche Beschlüsse eine <strong>Recht</strong>slage geschaffen wird, die über die<br />

bereits in <strong>der</strong> Satzung festgeschriebenen <strong>Recht</strong>e und Pflichten hinausgeht. Ein typisches<br />

Beispiel dafür sind Verordnungen und Richtlinien <strong>der</strong> EG. Ihr Erlass verän<strong>der</strong>t<br />

gegenüber den Mitgliedstaaten und gegenüber den Bürgern in den Mitgliedstaaten<br />

unmittelbar die <strong>Recht</strong>slage. Der Umfang <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>e und Pflichten bemisst sich dann<br />

konkret nur aus dem Sekundärrecht. Im EG Primärrecht, also <strong>der</strong> Satzung <strong>der</strong> EG<br />

sind diese <strong>Recht</strong>e und Pflichten gleichsam nur angelegt, sie entfalten sich erst durch<br />

das Sekundärrecht.<br />

Dagegen wird man rechtlich unverbindlichen Beschlüssen internationaler <strong>Organisationen</strong><br />

nicht den Charakter einer eigenen <strong>Recht</strong>squelle zubilligen können. Zwar können<br />

solche Beschlüsse moralische o<strong>der</strong> politische Kraft entwickeln, sie können damit<br />

auch zum Entstehungsgrund für verbindliches Völkerrecht werden. So hat etwa die<br />

Allgemeine Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte aus dem Jahr 1948, die zunächst eine<br />

unverbindliche Resolution <strong>der</strong> Generalversammlung war, sowohl zur Ausbildung eines<br />

gewohnheitsrechtlichen Mindeststandards <strong>der</strong> Menschenrechte wie auch zum<br />

Abschluss <strong>der</strong> beiden Menschenrechtspakte <strong>der</strong> UNO aus dem Jahr 1966 über politische<br />

und bürgerliche <strong>Recht</strong>e einerseits, sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle<br />

<strong>Recht</strong>e an<strong>der</strong>erseits geführt. Man bezeichnet solche Beschlüsse deshalb<br />

auch häufig als sog. soft law, weil sie zunächst unverbindlich angelegt, in rechtliche<br />

Verbindlichkeit erwachsen können. Zum Zeitpunkt ihres Erlasses sind sie jedoch<br />

noch kein verbindliches und damit überhaupt kein <strong>Recht</strong>. Erst wenn ein entsprechen<strong>der</strong><br />

<strong>Recht</strong>sentstehungstatbestand vorliegt, also eine repräsentative Staatenpraxis<br />

mit <strong>Recht</strong>süberzeugung o<strong>der</strong> ein Vertragsschluss hinzutritt werden sie zu <strong>Recht</strong>.<br />

Dann gelten sie aber nicht als Beschlüsse <strong>der</strong> Organisation son<strong>der</strong>n als Gewohnheits-<br />

o<strong>der</strong> als Vertragsrecht.


21<br />

3. Die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Satzung Internationaler <strong>Organisationen</strong><br />

Die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Satzung internationaler <strong>Organisationen</strong> richtet sich in <strong>der</strong> Regel<br />

nach <strong>der</strong> Satzung selbst. Dabei unterscheidet man grundsätzlich drei verschiedene<br />

Regelungsmodelle<br />

a. Die Än<strong>der</strong>ung alleine durch die Mitgliedstaaten<br />

Dies gilt etwa für die Än<strong>der</strong>ung des Nordatlantikvertrages, mit dem die NATO gegründet<br />

worden ist. Gemäss Art.12 Nordatlantikvertrag kann frühestens nach zehn<br />

Jahren jede Vertragspartei verlangen, dass über eine Revision des Vertrages beraten<br />

wird. Die Än<strong>der</strong>ung wird wirksam, wenn alle Vertragsstaaten dem zustimmen.<br />

b. Die Än<strong>der</strong>ung durch die Mitgliedstaaten im Zusammenwirken mit Organen <strong>der</strong><br />

internationalen Organisation<br />

Dies ist <strong>der</strong> praktische Regelfall. Es gilt etwa für eine Än<strong>der</strong>ung o<strong>der</strong> eine Revision<br />

<strong>der</strong> UN-Charta, die gemäss Art.108 und 109 nur durch die Mitgliedstaaten selbst<br />

vorgenommen werden kann. Än<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> UN-Charta beziehen sich nur auf einzelne<br />

Bestimmungen, wie etwa die Erhöhung <strong>der</strong> in Art.23 (1) UN-Charta geregelte<br />

Mitglie<strong>der</strong>zahl im Sicherheitsrat von 11 auf 15. Unter einer Revision, die es bisher<br />

noch nicht gegeben hat, versteht man eine Än<strong>der</strong>ung mehrerer zusammenhängen<strong>der</strong><br />

Vorschriften <strong>der</strong> UN-Charta, die dieser einen wesentlich neuen Inhalt geben soll.<br />

Solche Än<strong>der</strong>ungen und Revisionen werden zwar zunächst von <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

mit Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen. Sie werden aber erst wirksam,<br />

wen eine Zwei-Drittel-Mehrheit <strong>der</strong> Mitgliedstaaten einschließlich aller ständigen Mitglie<strong>der</strong><br />

sie durch Ratifikation annimmt. Diese Regel gilt etwa auch für Än<strong>der</strong>ungen<br />

des europäischen Gemeinschaftsrechts. Gemäss Art.48 EUV können die Verträge<br />

nur geän<strong>der</strong>t werden, wenn <strong>der</strong> Rat nach Anhörung des Parlaments und ggf. <strong>der</strong><br />

Kommission eine Stellungnahme zugunsten <strong>der</strong> Än<strong>der</strong>ung abgibt. Dann wird eine<br />

Regierungskonferenz aller Mitglie<strong>der</strong> einberufen, welche die Än<strong>der</strong>ungen vereinbart.<br />

Die Än<strong>der</strong>ungen werden wirksam mit Ratifikation aller Mitgliedstaaten.


22<br />

c. Die Vertragsän<strong>der</strong>ung alleine durch Organe <strong>der</strong> internationalen Organisation.<br />

Dieser Fall ist äußerst selten. Dies gilt etwa für das Verfahren <strong>der</strong> Vertragsergänzung<br />

in <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft gemäss Art.308 EGV. Danach kann <strong>der</strong> Rat<br />

einstimmig auf Vorschlag <strong>der</strong> Kommission und nach Anhörung des Parlaments solche<br />

Kompetenzen verschaffen, die zur Erreichung <strong>der</strong> Ziele <strong>der</strong> Gemeinschaft notwendig<br />

sind. Dabei wird zwar <strong>der</strong> EGV nicht in seinem Wortlaut geän<strong>der</strong>t, wohl aber<br />

wird das Kompetenzgefüge <strong>der</strong> Gemeinschaft und damit auch <strong>der</strong> EGV implizit geän<strong>der</strong>t.<br />

4. Die Nachfolge in eine Internationale Organisation<br />

Wird eine Internationale Organisation aufgelöst, so geht sie als eigenständiges<br />

<strong>Recht</strong>ssubjekt unter. <strong>Das</strong> Vermögen wird an die Mitglie<strong>der</strong> ausgeschüttet, die Verträge<br />

<strong>der</strong> <strong>Internationalen</strong> Organisation werden wegen Wegfalls einer Vertragspartei<br />

unwirksam. Es gibt jedoch auch Fälle <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>snachfolge. Soll eine neue internationale<br />

Organisation an die Stelle einer aufgelösten Vorgängerorganisation treten, so<br />

bedarf es einer ausdrücklichen Regelung in <strong>der</strong> Satzung <strong>der</strong> neuen internationalen<br />

Organisation. Ein Beispiel für eine solche Nachfolge ist das Verhältnis <strong>der</strong> OECD zu<br />

<strong>der</strong> OEEC. Gemäss Art.15 <strong>der</strong> Satzung <strong>der</strong> OECD steht diese in <strong>der</strong> Kontinuität zur<br />

OEEC. Dies bedeutet aber nicht einen automatischen Übergang aller <strong>Recht</strong>e und<br />

Pflichten <strong>der</strong> OEEC auf die OECD. Vielmehr bedürfte <strong>der</strong> Übergang etwa von vertraglichen<br />

Verpflichtungen <strong>der</strong> ausdrücklichen Zustimmung <strong>der</strong> zuständigen Organe<br />

<strong>der</strong> OECD. Ein an<strong>der</strong>es Beispiel sind <strong>der</strong> Völkerbund und die Vereinten Nationen. Es<br />

fand zwar bei Beendigung des Völkerbundes 1946 keine ausdrückliche <strong>Recht</strong>snachfolge<br />

durch die Vereinten Nationen statt. Wohl aber knüpfen etwa die Regelungen<br />

über Treuhandgebiete in Art.77 UN-Charta an die Regelungen über die Mandatsgebiete<br />

in Art.22 VBS an.<br />

D. Die Aufgaben Internationaler <strong>Organisationen</strong>


23<br />

I. <strong>Organisationen</strong> zur Friedenssicherung<br />

1. Die Vereinten Nationen<br />

Entstehungsgeschichte: Die Vereinten Nationen sind wie <strong>der</strong> Völkerbund aus dem<br />

gegen Deutschland und seine Verbündeten gegründeten Militärbündnis entstanden.<br />

Die ursprünglichen Mitglie<strong>der</strong> sind deshalb die Kriegsgegner von Deutschland, Italien<br />

und Japan (Drei-Parteien-Pakt)<br />

Erste Ansätze in <strong>der</strong> sog. Atlantikcharta, einer Erklärung, die <strong>der</strong> amerikanische Präsident<br />

Franklin D. Roosevelt und <strong>der</strong> britische Premierminister Winston Churchill<br />

am 14. August 1941 abgegeben haben. Dort ist im achten Grundsatz von einem "wi<strong>der</strong><br />

and permanent system of international security" die Rede.<br />

Es folgt die Erklärung <strong>der</strong> Vereinten Nationen vom 1. Januar 1942. Diese Erklärung<br />

wird von den sechsundvierzig Kriegsgegnern des Drei-Parteien-Paktes abgegeben.<br />

Darin bekräftigen diese Staaten ihre Absicht, ihre Anstrengungen zu koordinieren<br />

und keinen Separatfrieden mit den Kriegsgegnern zu schließen.<br />

Ein wichtiger Schritt ist die Moskauer Erklärung <strong>der</strong> Regierungen <strong>der</strong> Vereinigten<br />

Staaten, des Vereinigten Königreichs, <strong>der</strong> Sowjetunion und Chinas vom 30.10.1943.<br />

Darin erkennen die Parteien unter 4. die Notwendigkeit an, so schnell wie möglich<br />

eine allgemeine internationale Organisation zu schaffen, die auf <strong>der</strong> souveränen<br />

Gleichheit aller friedliebenden Staaten gründet. Die Moskauer Erklärung lebte heute<br />

noch im Tatbestand des Art.106 UN-Charta fort.<br />

Auf <strong>der</strong> Konferenz von Teheran bekräftigen Roosevelt, Churchill und Stalin am 1.<br />

Dezember 1943 ihren Willen, alle gegen die Tyrannei und Unterdrückung eingestellten<br />

Staaten in einer weltweiten Familie demokratischer Nationen aufzunehmen.<br />

Auf <strong>der</strong> Konferenz von Dumbarton Oaks in Washington schließlich wird in separaten<br />

Verhandlungen zwischen dem Vereinigten Königreich, den USA und <strong>der</strong> UDSSR<br />

einerseits sowie zwischen dem Vereinigten Königreich, den USA und China an<strong>der</strong>erseits<br />

im August und September 1944 <strong>der</strong> Entwurf für eine Charta <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen erarbeitet.


24<br />

Auf <strong>der</strong> Konferenz von Yalta kündigen Roosevelt, Churchill und Stalin am 11. Februar<br />

1945 die schnellstmöglich Gründung <strong>der</strong> Vereinten Nationen auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

<strong>der</strong> Dumbarton Oaks Proposals an.<br />

Die Charta <strong>der</strong> Vereinten Nationen wird schließlich auf <strong>der</strong> zwischen dem 25. April<br />

und dem 26. Juni 1945 in San Francisco tagenden Gründungskonferenz <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen ausgearbeitet und verabschiedet.<br />

Gründungsmitglie<strong>der</strong> sind die sechsundvierzig Staaten, die am 1. Januar 1942 die<br />

Erklärung <strong>der</strong> Vereinten Nationen abgegeben haben. Dazu kommen Argentinien,<br />

Dänemark, die Weißrussische Sowjetrepublik und die Ukrainische Sowjetrepublik,<br />

sowie Polen, das jedoch erst nach <strong>der</strong> Etablierung einer neuen Regierung Mitglied<br />

wird.<br />

Heute haben die Vereinten Nationen 189 Mitglie<strong>der</strong>. (Probleme: Jugoslawien,<br />

Deutschland, Russland, Weißrussland, Ukraine, Tschechien, Slowakei)<br />

Hauptziel <strong>der</strong> Vereinten Nationen ist gemäß Art.1 UN-Charta die Aufrechterhaltung<br />

des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit. Einzelheiten zu Aufgaben und Aufbau<br />

später.<br />

Der Hauptsitz ist heute in New York, Nebensitze auch in Paris und Genf<br />

2. Die Regionalorganisationen<br />

Dies sind Internationale <strong>Organisationen</strong>, die nicht weltweit son<strong>der</strong>n regional begrenzt<br />

organisiert sind und die genauso wie die Vereinten Nationen das Ziel verfolgen den<br />

Frieden unter ihren Mitglie<strong>der</strong>n zu bewahren. Sie sind wie die Vereinten Nationen<br />

vorrangig Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit. <strong>Das</strong> heißt, die Mitglie<strong>der</strong><br />

sind vertraglich verpflichtet, untereinan<strong>der</strong> keine Gewalt anzuwenden und nicht in<br />

an<strong>der</strong>er Weise in die inneren Angelegenheiten zu intervenieren. Tun sie es doch,<br />

stehen entwe<strong>der</strong> ähnlich wie bei den Vereinten Nationen Sanktionsmechanismen zur<br />

Verfügung o<strong>der</strong> es werden Empfehlungen zur Konfliktbeilegung ausgesprochen.<br />

Daneben sind solche Regionalorganisationen auch Bündnisse kollektiver Selbstver-


25<br />

teidigung, das heißt die Mitglie<strong>der</strong> vereinbaren untereinan<strong>der</strong>, sich gegen jede Aggression<br />

durch Nichtmitglie<strong>der</strong> Beistand zu leisten (vertragliche Beistandspflicht).<br />

Der Dritte ist zwar nicht an den Vertrag wohl aber an das völkergewohnheitsrechtliche<br />

Gewalt- und Interventionsverbot gebunden. Sie för<strong>der</strong>n daneben<br />

auch die politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit zwischen ihren<br />

Mitglie<strong>der</strong>n. Sie sind gemäß Kapitel VIII UN-Charta in das System <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

integriert. (Einzelheiten später)<br />

a. Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS)<br />

aa. Gründung<br />

Erste Ansätze eines Systems regionaler Sicherheit in Amerika entstehen durch die<br />

Monroe-Doktrin. Diese Doktrin gründet auf eine Erklärung des amerikanischen Präsidenten<br />

Monroe vom 2. Dezember 1823. Darin wird den außeramerikanischen<br />

Staaten, vor allem dem europäischen Kolonialmächten, das <strong>Recht</strong> abgesprochen, in<br />

Amerika zu intervenieren.<br />

Die OAS ist Nachfolger <strong>der</strong> 1890 in Washington/D.C. gegründeten <strong>Internationalen</strong><br />

Union Amerikanischer Staaten. Diese Organisation benennt sich 1910 in Pan Amerikanische<br />

Union um. Auf <strong>der</strong> neunten. Die OAS wird am 30. April 1948 auf <strong>der</strong> IX.<br />

<strong>Internationalen</strong> Konferenz Amerikanischer Staaten in Bogota/Kolumbien gegründet.<br />

Gleichzeitig wird die Amerikanische Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte verabschiedet.<br />

Die letzte Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Satzung <strong>der</strong> OAS geschah durch das Protokoll von Managua<br />

vom 10.3.1993.<br />

Die Gründungsmitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> OAS sind Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien,<br />

Costa Rica, Kuba (Mitgliedschaft seit 1962 suspendiert), die Dominikanische<br />

Republik, Ecuador, El Salvador, Guatemala, Haïti, Honduras, Mexiko, Nicaragua,<br />

Panamá, Paraguay, Peru, USA, Uruguay und Venezuela. Die weiteren Mitglie<strong>der</strong>,<br />

die <strong>der</strong> Organisation beitraten, sind: Antigua und Barbuda (1981), Commonwealth<br />

of the Bahamas (1982), Barbados (1967), Belize (1991), Kanada (1989),<br />

Dominica (1979), Grenada (1975), Guyana (1991), Jamaika (1969), Saint Lucia


26<br />

(1979), Saint Vincent und die Grenadinen (1981), die Fö<strong>der</strong>ation Saint Kitts und Nevis<br />

(1984), Surinam (1977) und Trinidad und Tobago (1967).<br />

bb. Organe:<br />

-Generalversammlung, oberstes Organ, dem die wesentlichen Aufgaben wie die allgemeine<br />

Politik <strong>der</strong> Organisation, die Beaufsichtigung <strong>der</strong> Son<strong>der</strong>organisationen und<br />

die Verabschiedung des Haushalts zukommt. Sie besteht aus je einem Vertreter jedes<br />

Mitgliedes.<br />

- das Konsultativtreffen <strong>der</strong> Außenminister. Es dient als Konsultativorgan zur Erörterung<br />

aktueller Fragen <strong>der</strong> Friedenssicherung<br />

- <strong>der</strong> ständige Rat auf Botschafterebene, <strong>der</strong> die Tagungen <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

vorbereitet mit dem Unterorgan des Interamerikanischen Komitees für friedliche<br />

Streitschlichtung<br />

- das Sekretariat, als Verwaltungsorgan<br />

cc. Aufgaben<br />

Wichtigste <strong>Recht</strong>sgrundlage ist neben <strong>der</strong> Satzung <strong>der</strong> 1947 unterzeichnete Interamerikanische<br />

Vertrag über gegenseitigen Beistand, <strong>der</strong> sogenannte Rio-Pakt, <strong>der</strong><br />

maßgeblich das System <strong>der</strong> kollektiven Sicherheit und <strong>der</strong> kollektiven Selbstverteidigung<br />

<strong>der</strong> OAS regelt. Daneben existiert noch ein 1948 ebenfalls in Bogota geschlossener<br />

Pakt über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten, <strong>der</strong> <strong>der</strong> die Methoden<br />

<strong>der</strong> friedlichen Beilegung von Streitigkeiten unter den Vertragsparteien regeln<br />

soll. Diesem Pakt sind aber bisher nur 14 Mitglie<strong>der</strong> mit weitreichenden Vorbehalten<br />

beigetreten.<br />

Ihrer Charta zufolge sind die Hauptziele <strong>der</strong> OAS:<br />

(1) den Frieden und die Sicherheit auf dem amerikanischen Kontinent zu stärken;


27<br />

(2) die repräsentative Demokratie zu för<strong>der</strong>n und zu festigen, wobei <strong>der</strong> Grundsatz<br />

<strong>der</strong> Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines Landes berücksichtigt<br />

wird;<br />

(3) mögliche Ursachen von Problemen im Vorfeld zu beseitigen und sicherzustellen,<br />

dass eventuelle Streitfälle zwischen Mitgliedsstaaten friedlich beigelegt<br />

werden;<br />

(4) im Falle einer Aggression gemeinsam gegen <strong>der</strong>en Verursacher vorzugehen;<br />

(5) Lösungen für politische, rechtliche und wirtschaftliche Probleme <strong>der</strong> Mitgliedsstaaten<br />

zu suchen;<br />

(6) durch gemeinsames Handeln die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung<br />

<strong>der</strong> Staaten zu för<strong>der</strong>n<br />

(7) eine wirksame Begrenzung konventioneller Waffen zu erreichen, die es ermöglicht,<br />

den größten Teil <strong>der</strong> Finanzmittel auf die wirtschaftliche und soziale<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Mitgliedsstaaten zu verwenden.<br />

Die Charta <strong>der</strong> OAS ist insgesamt viermal ergänzt worden: (1) durch das Protokoll<br />

von Buenos Aires, das 1967 unterzeichnet wurde und seit 1970 in Kraft ist; (2) durch<br />

das Protokoll von Cartagena de Indias, das 1985 genehmigt wurde und im Jahr 1989<br />

in Kraft trat; (3) und durch die Protokolle von Washington (1992) und (4) die Protokolle<br />

von Managua (Nicaragua; 1993), die jeweils nach Ratifizierung durch zwei Drittel<br />

<strong>der</strong> Mitgliedsstaaten wirksam wurden.<br />

Die Ergänzungen sollen die wirtschaftliche Entwicklung und Integration <strong>der</strong> Staaten<br />

in diesem Teil <strong>der</strong> Welt unterstützen; die repräsentative Demokratie för<strong>der</strong>n und verteidigen;<br />

die Armut überwinden helfen und die Zusammenarbeit auf technischem<br />

Gebiet wirksamer gestalten. <strong>Das</strong> Protokoll von Washington nannte als eines <strong>der</strong><br />

Hauptziele <strong>der</strong> OAS, „extreme Armut abzuschaffen, die ein Hin<strong>der</strong>nis bei <strong>der</strong> vollständigen<br />

Entwicklung <strong>der</strong> Demokratie unter den Völkern in diesem Teil <strong>der</strong> Welt<br />

darstellt”.<br />

1999 verabschiedete die OAS zwei weitere Konventionen: Eine interamerikanische


28<br />

Konvention für größere Transparenz bei <strong>der</strong> Beschaffung von konventionellen Waffen,<br />

die allerdings vor allem auf den Austausch von Informationen, nicht aber auf<br />

Abrüstung abzielt, sowie eine Konvention gegen die Diskriminierung behin<strong>der</strong>ter<br />

Menschen.<br />

Für Konflikte innerhalb <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> gilt das "try OAS first" Prinzip. <strong>Das</strong> heißt, die<br />

Mitglie<strong>der</strong> sind verpflichtet, eine Lösung des Konflikts zuerst innerhalb <strong>der</strong> OAS und<br />

dann erst durch an<strong>der</strong>e Mechanismen (UNO etc.) zu suchen. Die OAS ist die einzige<br />

Regionalorganisation mit einem eigenen Zwangsmaßnahmenmechanismus. Danach<br />

können sowohl wirtschaftliche wie auch militärische Zwangsmaßnahmen beschlossen<br />

werden.<br />

Neben <strong>der</strong> Friedenssicherung widmet sich die OAS auch dem Menschenrechtsschutz.<br />

Materiellrechtliche Grundlage hierfür ist die Amerikanische Deklaration über<br />

die <strong>Recht</strong>e und Pflichten <strong>der</strong> Menschen aus dem Jahr 1948, die Parallelen zur<br />

EMRK aufweist, im aber darüber hinaus auch eine Reihe politischer Gestaltungsrechte<br />

kennt. Organe zur Durchsetzung dieser Konvention sind die 1960 gegründete<br />

Kommission für Menschenrechte und <strong>der</strong> 1979 eingesetzte Inter-Amerikanische Gerichtshof<br />

für Menschenrechte. Die Amerikanische Menschenrechtskonvention kennt<br />

genauso wie die EMRK eine Staatenbeschwerde und eine Individualbeschwerde, die<br />

vergleichbar dem alten Verfahren <strong>der</strong> EMRK zur Kommission erhoben wird. Die Individualbeschwerde<br />

ist für alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> OAS obligatorisch.<br />

Sitz <strong>der</strong> OAS ist in Washington, Rio de Janeiro und San José/Costa Rica<br />

Wichtige Aktionen <strong>der</strong> OAS waren<br />

- 1955 Schlichtung des Panama-Konflikts zwischen den USA und Panama (<strong>Recht</strong>e<br />

<strong>der</strong> USA an <strong>der</strong> Kanalzone).<br />

- 1965/66 Nach militärischer Intervention <strong>der</strong> USA in <strong>der</strong> Dominikanischen Republik<br />

zur Beendigung des Bürgerkriegs werden amerikanische Truppen durch Interamerikanische<br />

Streitmacht ersetzt.<br />

- Im Falkland-Konflikt zwischen dem Vereinigten Königreich und Argentinien ergreift<br />

OAS Partei zugunsten Argentiniens, aber keine militärischen Aktionen, weil USA sich


29<br />

<strong>der</strong> Stimme enthalten.<br />

- Nach <strong>der</strong> Vertreibung des haitianischen Präsidenten Aristide und <strong>der</strong> Machtergreifung<br />

durch die Militärs verhängt die OAS im Oktober 1991 ein Wirtschaftsembargo<br />

gegen Haiti, das 1993 von den Vereinten Nationen übernommen wird.<br />

b. Die Afrikanische Union (AU)<br />

aa. Die OAU<br />

Die Organisation Afrikanischer Staaten (OAU) ist 1963 auf einer Konferenz in Addis<br />

Abeba gegründet worden. Sie ging ihrerseits aus <strong>der</strong> 1944 gegründeten Pan-<br />

African Fe<strong>der</strong>ation hervor.<br />

Aktionen: Da die Organe <strong>der</strong> OAU keine bindenden Beschlüsse fassen konnten und<br />

erst recht keine Zwangsmaßnahmen ergreifen können, hat sie in den innerafrikanischen<br />

Konflikten bisher keine entscheidende Rolle gespielt. Allerdings hat die OAU<br />

im Bürgerkrieg im Tschad 1981 sogenannte Peace-keeping forces aufgestellt, die<br />

mit Zustimmung <strong>der</strong> Konfliktparteien <strong>der</strong> Streitschlichtung dienen sollen. (Einzelheiten<br />

bei <strong>der</strong> UNO).<br />

Bedeutende politische Aktivitäten hat sie im Westsahara-Konflikt, <strong>der</strong> durch die Abspaltung<br />

<strong>der</strong> ehemals spanischen Kolonie Westsahara von Marokko durch Gründung<br />

<strong>der</strong> Demokratischen Arabischen Republik Westsahara entstand, entwickelt.<br />

Dort war ebenfalls die Aufstellung einer peace-keeping force geplant, was aber an<br />

<strong>der</strong> Weigerung Marokkos scheiterte.<br />

Eine Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> zurückhaltenden Politik <strong>der</strong> OAU deutete sich seit 1993 an, als in<br />

Kairo auf <strong>der</strong> 29. Gipfelkonferenz <strong>der</strong> OAU-Staaten beschlossen wurde, einen Friedenssicherungsmechanismus<br />

zu schaffen, <strong>der</strong> auch die Einrichtung von peacekeeping<br />

forces vorsieht. <strong>Das</strong> neu geschaffene OAU-Konfliktverhütungskomitee trat<br />

erstmals im März 1994 zusammen, um einen Grenzkonflikt zwischen Kamerun und<br />

Nigeria zu beraten. Auch hier kam es jedoch nicht zu einer direkten Intervention <strong>der</strong><br />

OAU.


30<br />

Auch die OAU hat eine Charta <strong>der</strong> Menschenrechte und <strong>Recht</strong>e <strong>der</strong> Völker geschaffen,<br />

die 1981 verabschiedet wurde und die durch die 1987 geschaffene Kommission<br />

für Menschenrechte durchgesetzt werden soll. 1998 ist zudem die Gründung eines<br />

Menschenrechtsgerichtshofs vereinbart worden, <strong>der</strong> jedoch mangels genügen<strong>der</strong><br />

Ratifikationen (15) noch nicht eingesetzt wurde. Die Afrikanische Menschenrechtscharta<br />

enthält über die klassischen Freiheitsrechte und einige soziale Leistungsrechte<br />

hinaus, einen Katalog sog. Menschenrechte <strong>der</strong> dritten Dimension. Damit sind<br />

<strong>Recht</strong>e auf kulturelle, wirtschaftliche und soziale Entwicklung, das <strong>Recht</strong> zur Verfügung<br />

über die eigenen natürlichen Ressourcen sowie das Selbstbestimmungsrecht<br />

<strong>der</strong> Völker gemeint, die nur Gruppen o<strong>der</strong> Staatsvölkern, nicht aber dem Individuum<br />

zustehen können.<br />

Die Konvention kennt eine Staatenbeschwerde zur Kommission. Die Kommission<br />

kann aber lediglich Berichte verfassen und Empfehlungen abgeben. Eine Individualbeschwerde<br />

gibt es nicht.<br />

bb. die Afrikanische Union<br />

Einen wichtigen Entwicklungsschritt machte die OAU im Jahr 2000: Auf ihrer 36.<br />

Gipfelkonferenz, an <strong>der</strong> allerdings nur etwa 30 Staaten teilnahmen, beschloss die<br />

OAU die Errichtung einer am Vorbild <strong>der</strong> Europäischen Union orientierten Afrikanischen<br />

Union mit eigenen Institutionen wie Parlament, Gerichtshof und Zentralbank<br />

sowie einer gemeinsamen Sicherheitspolitik; Souveränität und Grenzen <strong>der</strong> Mitgliedsstaaten<br />

sollten unangetastet bleiben. Die Initiative zur Gründung <strong>der</strong> Afrikanischen<br />

Union stammte vom libyschen Revolutionsführer Muammar al-Gaddhafi; er<br />

hatte sie auf einem außerordentlichen Gipfeltreffen <strong>der</strong> OAU im September 1999<br />

angeregt.<br />

Auf einem weiteren außerordentlichen Gipfeltreffen im März 2001 wurden erste konkrete<br />

Schritte zur Verwirklichung des wirtschaftlichen und politischen Zusammenschlusses<br />

<strong>der</strong> afrikanischen Län<strong>der</strong> vereinbart, und im Mai 2001 wurde per Vertrag<br />

die formelle Gründung <strong>der</strong> Afrikanischen Union beschlossen. Auf dem 37. Gipfeltref-


31<br />

fen <strong>der</strong> OAU am 9. bis 11. Juli 2001 in Lusaka stand folgerichtig die Frage im Vor<strong>der</strong>grund,<br />

wie die OAU aufgelöst und in die Afrikanische Union überführt werden<br />

kann. Für diese Umwandlung setzte sich die OAU eine Frist von zwei Jahren – immerhin<br />

musste noch eine ganze Reihe zentraler Punkte geklärt werden, z. B. die<br />

Frage nach den Standorten <strong>der</strong> einzelnen Institutionen, ihren Befugnissen, <strong>der</strong> Finanzierung<br />

<strong>der</strong> Organisation und <strong>der</strong> weiteren Gültigkeit <strong>der</strong> OAU-Verträge. Bis zu<br />

dem Gipfeltreffen in Lusaka hatten 43 Mitgliedsstaaten <strong>der</strong> OAU den Verfassungsentwurf<br />

für die Afrikanische Union unterzeichnet und damit die Gründung <strong>der</strong> Union<br />

in Kraft gesetzt. Am 8./9. Juli 2002 wurde auf einem Gipfeltreffen in Durban (Südafrika)<br />

die OAU formell aufgelöst und die Afrikanische Union ausgerufen. Erster Vorsitzen<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> neuen Organisation wurde <strong>der</strong> südafrikanische Staatspräsident Thabo<br />

Mbeki. Aktueller Vorsitzen<strong>der</strong> ist Joaquim Chissanó, <strong>der</strong> Präsident von Mozambique.<br />

Die AU hat 53 Mitglie<strong>der</strong>. <strong>Das</strong> sind alle unabhängigen afrikanischen Staaten mit<br />

Ausnahme von Marokko, das 1984 aus <strong>der</strong> OAU ausgetreten war, sowie die<br />

POLISARIO als Vertreter <strong>der</strong> von ihr für unabhängig erklärten Demokratischen Arabischen<br />

Republik 1982 (Streit um das ehemalig Spanische Westsahara). Als letztes<br />

Mitglied wurde nach dem Ende des Apartheidregimes am 23. Mai 1994 Südafrika<br />

aufgenommen.<br />

Die AU hat folgende Organe:<br />

Die Versammlung <strong>der</strong> Staats- und Regierungschefs <strong>der</strong> Mitgliedstaaten. Sie ist das<br />

oberste Organ <strong>der</strong> AU.<br />

Der Ministerrat (tagte halbjährlich), je Mitglied eine Stimme. Er ist <strong>der</strong> Versammlung<br />

gegenüber verantwortlich.<br />

Die Kommission: Sie besteht aus einem Präsidenten, einem Vizepräsidenten und<br />

weiteren Mitglie<strong>der</strong>n. Jedes Mitglied ist für einen Fachbereich zuständig.<br />

<strong>Das</strong> Komitee <strong>der</strong> ständigen Vertreter: Jedes Mitglied <strong>der</strong> AU akkreditiert einen ständigen<br />

Vertreter bei <strong>der</strong> AU. <strong>Das</strong> Komitee bereitet die Arbeit des Ministerrats vor.


32<br />

Der Rat für Frieden und Sicherheit: Er wurde durch Beschluss auf dem Gipfel <strong>der</strong><br />

Versammlung in Lusaka im Jahr 2001 eingerichtet. Die genauen Aufgaben stehen<br />

noch nicht fest.<br />

<strong>Das</strong> panafrikanische Parlament: Die genauen Aufgaben dieses Organs, dass die<br />

Völker Afrikas in <strong>der</strong> AU repräsentieren soll, stehen noch nicht fest.<br />

Der Wirtschafts- Sozial- und Kulturrat: Er hat beratende Funktion und besteht aus<br />

verschiedenen gesellschaftlichen und beruflichen Gruppen <strong>der</strong> Mitgliedstaaten.<br />

Der Gerichtshof: Er ist geplant, aber noch nicht eingerichtet.<br />

Komitees für einzelne Sachfragen wie Finanzen, Handel, Zölle und Einwan<strong>der</strong>ung,<br />

Wissenschaft und Technologie, Umweltschutz, Transport, Kommunikation und Tourismus,<br />

Arbeit und Soziales.<br />

Sitz <strong>der</strong> Organisation ist Addis Abeba<br />

cc. Aufgaben:<br />

För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Einheit und Solidarität <strong>der</strong> afrikanischen Staaten, Verteidigung <strong>der</strong><br />

Souveränität und Integrität <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>, För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschenrechte und <strong>der</strong><br />

Demokratie in Afrika, verstärkte wirtschaftliche Integration <strong>der</strong> afrikanischen Staaten.<br />

Vorbild ist insoweit eindeutig die EU.<br />

Auch für die AU gilt das "try AU first" Prinzip.<br />

c. Die Arabische Liga<br />

Die Arabische Liga geht auf eine Initiative Ägyptens von 1943 zurück; gegründet<br />

wurde sie formell am 22. März 1945 in Kairo. Die wichtigste Ergänzung fand am 17.<br />

Juni 1950 durch den Vertrag über gemeinsame Verteidigung und wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

statt.<br />

Gründungsmitglie<strong>der</strong> waren Ägypten, Irak, Libanon, Saudi-Arabien, Syrien, Transjordanien<br />

(seit 1950 Jordanien) und Jemen (Arabische Republik Jemen). Später tra-


33<br />

ten Algerien (1962), Bahrain (1971), die Komoren (1993), Djibouti (1977), Kuwait<br />

(1961), Libyen (1953), Mauretanien (1973), Marokko (1958), Oman (1971), Katar<br />

(1971), Somalia (1974), Südjemen (1967), <strong>der</strong> Sudan (1956), Tunesien (1958) und<br />

die Vereinigten Arabischen Emirate (1971) bei. Die Palästinensische Befreiungsorganisation<br />

(PLO) konnte 1976 beitreten. Nachdem Ägypten 1979 einen Friedensvertrag<br />

mit Israel geschlossen hatte, wurde es ausgeschlossen, die Zentrale <strong>der</strong> Arabischen<br />

Liga von Kairo nach Tunis (Tunesien) verlegt. 1987 nahmen die arabischen<br />

Staaten ihre diplomatischen Beziehungen zu Ägypten wie<strong>der</strong> auf, so dass das Land<br />

1989 in die Liga zurückkehren und die Zentrale nach Kairo zurückverlegt werden<br />

konnte.<br />

<strong>Das</strong> oberste Organ <strong>der</strong> Arabischen Rat <strong>der</strong> Könige und Staatspräsidenten: Er ist<br />

ein reines Konsultativorgan<br />

Der Ligarat, <strong>der</strong> sich aus den Außenministern <strong>der</strong> Mitgliedsstaaten o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Vertretern<br />

zusammensetzt. Im Rat besitzt je<strong>der</strong> Staat eine Stimme. Einstimmige Ratsbeschlüsse<br />

sind für alle Mitgliedsstaaten bindend. Mehrheitsbeschlüsse sind nur für<br />

jene Staaten bindend, die ihnen zugestimmt haben. Auf Antrag von zwei Mitgliedsstaaten<br />

kann <strong>der</strong> Rat zu Son<strong>der</strong>sitzungen einberufen werden.<br />

Die Ministerräte<br />

Ständige Ausschüsse u.a. für Politik, Wirtschaft und Kultur<br />

<strong>Das</strong> Vereinigte Arabische Kommando zur Leitung militärischer Operationen<br />

Der Kollektive Sicherheitsrat zur Ergreifung von Maßnahmen kollektiver Selbstverteidigung<br />

<strong>Das</strong> Generalsekretariat als Verwaltungsorgan<br />

Zu den ursprünglichen Zielen <strong>der</strong> Arabischen Liga gehörte die Beendigung <strong>der</strong> (vor<br />

allem französischen und britischen) Kolonialherrschaft sowie die Unterstützung <strong>der</strong><br />

Araber im britischen Protektorat Palästina. Nachdem es nicht gelungen war, die<br />

Gründung des Staates Israel 1948 zu verhin<strong>der</strong>n, wurde die Errichtung eines unabhängigen<br />

palästinensischen Staates zu ihrem politischen Hauptanliegen; seit-


34<br />

her unterstützte sie politisch den Kampf <strong>der</strong> Palästinenser um einen eigenen Staat,<br />

zuletzt 2002 in Form eines international mit großer Zustimmung aufgenommenen<br />

Friedensplans für den Nahen Osten, <strong>der</strong> nicht nur Israel und die Palästinenser, son<strong>der</strong>n<br />

alle arabischen Staaten <strong>der</strong> Region einbezog.<br />

Ein weiterer Schwerpunkt ihrer Tätigkeit ist die Schlichtung innerarabischer Konflikte,<br />

so etwa im libanesischen Bürgerkrieg (1975-1986) o<strong>der</strong> im Konflikt zwischen<br />

dem Irak und Kuwait (siehe Zweiter Golfkrieg). Daneben bemüht sich die Liga um<br />

die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Interessen<br />

ihrer Mitglie<strong>der</strong> und spielt auch eine wichtige Rolle bei Bildungs-, Alphabetisierungsund<br />

Emanzipationskampagnen sowie bei <strong>der</strong> Bewahrung des arabischen Kulturerbes.<br />

Auch unterstützt die Arabische Liga Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung<br />

und för<strong>der</strong>t Arbeitsbeschaffungsprogramme. Und schließlich leistet sie über verschiedene<br />

Gründung wurde am 22. März 1945 in Kairo. Mitglie<strong>der</strong> sind alle 21 arabischsprachigen<br />

Staaten und Palästina. Die Mitgliedschaft Ägyptens war zwischen<br />

1979 und 1989 wegen des Friedensvertrages von Camp David mit Israel suspendiert.<br />

Aktivitäten: 1948 Militärische Intervention in Israel wegen <strong>der</strong> Palästina Frage und<br />

Verhängung eines Wirtschaftsboykotts gegen Israel.<br />

1961 Entsendung einer gemeinsamen Truppe nach Kuwait, um irakische Gebietsansprüche<br />

abzuwehren.<br />

Im Libanon-Konflikt Aufstellung einer Friedenstruppe zwischen Oktober 1976 und<br />

März 1983.<br />

Im Irak-Kuwait Konflikt 1990/91. Verurteilung des Einmarschs <strong>der</strong> irakischen Truppen<br />

und Aufstellung einer multinationalen Truppe zum Schutz von Saudi-Arabien.<br />

Diese militärischen Aktionen waren allerdings nur für die Staaten verbindlich, die dafür<br />

gestimmt hatten also für Ägypten, Marokko und Syrien<br />

3. Die Verteidigungsbündnisse


35<br />

Internationale <strong>Organisationen</strong>, <strong>der</strong>en Aufgabe nicht vorrangig in <strong>der</strong> Konfliktverhütung<br />

zwischen ihren Mitglie<strong>der</strong>n besteht, son<strong>der</strong>n die in erster Linie auf die Verteidigung<br />

<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> gegen Aggressionen durch Dritte gerichtet sind. Als solche werden<br />

sie in <strong>der</strong> Charta <strong>der</strong> Vereinten Nationen von Art.51 UN-Charta erfaßt. (Einzelheiten<br />

später)<br />

a. Die NATO<br />

aa. Gründung<br />

Die NATO wurde durch den Nordatlantikvertrag begründet, <strong>der</strong> am 4. April 1949 von<br />

Belgien, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg,<br />

den Nie<strong>der</strong>landen, Norwegen, Portugal und den Vereinigten Staaten in Washington<br />

D.C. (USA) unterzeichnet wurde und am 24. August 1949 in Kraft trat. Den zwölf<br />

Grün<strong>der</strong>staaten schlossen sich 1952 Griechenland und die Türkei an, 1955 die Bundesrepublik<br />

Deutschland, 1982 Spanien, 1999 Polen, die Tschechische Republik<br />

und Ungarn. Seit dem 12. März 1999 zählen 19 Staaten zu den festen Mitglie<strong>der</strong>n<br />

<strong>der</strong> NATO. Frankreich zog sich 1966 aus <strong>der</strong> militärischen Integration zurück, blieb<br />

aber Mitglied des politischen Bündnisses; auch die spanischen Streitkräfte unterstehen<br />

im Verteidigungsfall nicht automatisch dem NATO-Oberbefehl.<br />

bb. Organisation<br />

Höchstes Konsultations- und Beschlussgremium <strong>der</strong> zivilen Organisationsebene ist<br />

<strong>der</strong> Nordatlantikrat (North Atlantic Council, NAC), gebildet von den Staats- und Regierungschefs<br />

(o<strong>der</strong> den Ministern für Außen- bzw. Verteidigungspolitik), <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Regel halbjährlich als NATO-Gipfel zusammentritt. Als zwischenzeitlich höchstes<br />

Entscheidungsgremium residiert <strong>der</strong> Ständige Rat <strong>der</strong> NATO-Botschafter in Brüssel.<br />

Wichtigste Gremien <strong>der</strong> zweiten zivilen Ebene sind <strong>der</strong> Ausschuss für Verteidigungsplanung<br />

und die Nukleare Planungsgruppe, zuständig für die militärpolitischen<br />

bzw. atomstrategischen Entscheidungen. Beschlüsse des Rats wie auch <strong>der</strong>


36<br />

Ausschüsse müssen einstimmig gefasst werden.<br />

Höchster ziviler Repräsentant des Bündnisses und Kopf <strong>der</strong> Exekutive ist <strong>der</strong> vom<br />

Nordatlantikrat berufene Generalsekretär. Er führt in den zentralen Entscheidungsgremien<br />

den Vorsitz. Im Oktober 1999 löste <strong>der</strong> bisherige britische Verteidigungsminister<br />

George Robertson den Spanier Javier Solana Madariaga ab, <strong>der</strong> als Nachfolger<br />

des Belgiers Willy Claes das Amt seit 1995 innehatte.<br />

Die 1955 eingerichtete Nordatlantische Versammlung besteht aus Parlamentariern<br />

<strong>der</strong> 19 Mitgliedsstaaten und dient <strong>der</strong> Vorbereitung und Koordination <strong>der</strong> einzelstaatlichen<br />

Entscheidungen auf legislativer Ebene. Seit 1990 nehmen beratend auch Parlamentarier<br />

<strong>der</strong> über die Partnerschaft für den Frieden (siehe unten) mit <strong>der</strong> NATO<br />

assoziierten Staaten Ost- und Mitteleuropas an den halbjährlichen Sitzungen teil.<br />

Höchstes Organ <strong>der</strong> integrierten NATO-Militärstruktur ist <strong>der</strong> Militärausschuss (Military<br />

Council, MC), <strong>der</strong> aus den Stabschefs <strong>der</strong> Mitgliedsstaaten besteht und halbjährlich<br />

zusammentritt. Seine Entscheidungen werden vom <strong>Internationalen</strong> Militärstab<br />

umgesetzt. Die Kommandostruktur glie<strong>der</strong>t sich regional in das Alliierte Oberkommando<br />

Europa (Allied Command Europe, ACE) und das Alliierte Oberkommando<br />

Atlantik (ACLANT), denen weitere regionale Kommandos nachgeordnet sind.<br />

cc. Kollektive Selbstverteidigung<br />

Der Sicherheits- und Verteidigungspakt vereinigt das militärische Potential <strong>der</strong> Bündnispartner,<br />

um „die Freiheit, das gemeinsame Erbe und die Zivilisation ihrer Völker,<br />

die auf den Grundsätzen <strong>der</strong> Demokratie, <strong>der</strong> Freiheit <strong>der</strong> Person und <strong>der</strong> Herrschaft<br />

des <strong>Recht</strong>s beruhen, zu gewährleisten” (aus <strong>der</strong> Präambel des Vertrags). <strong>Das</strong><br />

Bündnis soll die politischen, sozialen und wirtschaftlichen Bindungen <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong><br />

untereinan<strong>der</strong> stärken (Artikel 2).<br />

Kern des aus 14 Artikeln bestehenden Vertrags ist Artikel 5, in dem sich die Mitgliedsstaaten<br />

verpflichten, im Sinne einer kollektiven Selbstverteidigung einen Angriff<br />

gegen einen <strong>der</strong> Vertragspartner als Angriff gegen alle anzusehen und Beistand zu<br />

leisten. Artikel 6 schränkt die Beistandspflicht auf bewaffnete Angriffe ein, die den


37<br />

nordatlantischen Raum betreffen. Artikel 7 bekräftigt den Vorrang <strong>der</strong> Verpflichtungen,<br />

die sich für die Mitgliedsstaaten aus <strong>der</strong> Charta <strong>der</strong> Vereinten Nationen ergeben.<br />

Der Vertrag gilt auf unbestimmte Dauer; seit 1969 kann jedes Mitglied mit einjähriger<br />

Kündigungsfrist austreten.<br />

dd. Neue Aufgaben<br />

Mit <strong>der</strong> Auflösung des Warschauer Paktes (Juli 1991) und dem Zerfall <strong>der</strong> Sowjetunion<br />

(Dezember 1991) entfiel <strong>der</strong> eigentliche Zweck, für den die NATO mehr als<br />

vier Jahrzehnte zuvor gegründet worden war. Die Instabilität <strong>der</strong> weltpolitischen Lage<br />

und die Entstehung neuer Krisenherde als Folge des von <strong>der</strong> Sowjetunion hinterlassenen<br />

Machtvakuums (u. a. auf dem Balkan) veranlassten die NATO zur Entwicklung<br />

eines neuen strategischen Konzepts, dessen Grundzüge Ende 1991 beschlossen<br />

wurden. Neben einer deutlichen Vermin<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Streitkräfte sollte es erlauben,<br />

auf neue Gefährdungen schneller und flexibler zu reagieren; die nukleare Komponente<br />

galt weiterhin als wichtiger Faktor <strong>der</strong> Friedenssicherung.<br />

Die Streitkräfte in Europa wurden neu geglie<strong>der</strong>t. Neben den Hauptverteidigungskräften<br />

(Main Defence Forces, MDF – sieben Korps mit 16 Divisionen) wurde eine<br />

Schnelle Eingreiftruppe (Allied Rapid Reaction Corps, ARRF) von rund 100 000<br />

Mann geschaffen, bei Bedarf zu ergänzen durch Verstärkungskräfte (Augmentation<br />

Forces, AF) von außerhalb. Multinationale Verbände, insbeson<strong>der</strong>e das aus <strong>der</strong><br />

deutsch-französischen Brigade hervorgegangene Eurokorps in Straßburg, an<br />

dem sich auch Spanien und Frankreich beteiligen, und die 1996 gebildeten Combined<br />

Joint Task Forces (CJTF) sollen die militärische Integration insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong><br />

europäischen NATO-Partner weiter vorantreiben. Speziell die CJTF soll den Europäern<br />

gemeinsame militärische Aktivitäten ohne Beteiligung <strong>der</strong> USA ermöglichen. Zuvor<br />

hatte sich die NATO 1992 bereit erklärt, im Auftrag <strong>der</strong> UNO Frieden stiftende<br />

o<strong>der</strong> sichernde Aufgaben auch außerhalb ihres eigenen Hoheitsgebiets (out of area)<br />

zu übernehmen, um dem Übergreifen von Konflikten auf NATO-Gebiet vorzubeugen.<br />

In Bosnien und Herzegowina beteiligte sich die NATO seit 1994 an UN-Einsätzen,<br />

seit 1994 erstmals auch mit Luftwaffen-Kampfeinsätzen (siehe unten: Balkankonflik-


38<br />

te).<br />

Auf <strong>der</strong> Washingtoner Jubiläums-Gipfelkonferenz im April 1999 anlässlich des 50.<br />

Jahrestags <strong>der</strong> NATO-Gründung gaben die – nach Beitritt Polens, Ungarns und <strong>der</strong><br />

Tschechischen Republik – nun 19 Mitgliedsstaaten den Weg für den Aufbau <strong>der</strong> Europäischen<br />

Sicherheits- und Verteidigungsidentität (European Security an Defence<br />

Identity, ESDI) frei, die aus <strong>der</strong> Westeuropäischen Union erwachsen und sich<br />

als militärischer Arm <strong>der</strong> Europäischen Union zur zweiten Säule des Bündnisses<br />

entwickeln soll. Als Konsequenz aus den Balkan-Konflikten beschloss <strong>der</strong> NATO-Rat<br />

zugleich ein neues strategisches Konzept, das <strong>der</strong> europäischen Sektion des Bündnisses<br />

die Rolle des maßgeblichen Ordnungsfaktors auf dem Kontinent beimisst und<br />

<strong>der</strong> EU ein von den Vereinten Nationen unabhängigeres Out-of-area-Agieren erlaubt.<br />

Nach den verheerenden Terroranschlägen auf Ziele in den USA – das World Trade<br />

Center in New York und das Pentagon bei Washington D.C – am 11. September<br />

2001 stellte die NATO zum ersten Mal in ihrer über 50-jährigen Geschichte den kollektiven<br />

Verteidigungsfall nach Artikel 5 des NATO-Vertrages fest (sofern, wie zu<br />

vermuten stand, die Anschläge vom Ausland aus organisiert worden waren). Zudem<br />

wertete die NATO die Anschläge nicht als Angriff nur auf die USA, son<strong>der</strong>n als Angriff<br />

auf die gesamte Zivilisation, somit auch auf ihr Bündnis.<br />

ee. Osterweiterung<br />

Im Mai 2002 unterzeichneten die 19 NATO-Staten und Russland ein als historisch<br />

bezeichnetes Abkommen, die „Erklärung von Rom”, in <strong>der</strong> sie sich auf eine enge<br />

Zusammenarbeit bei <strong>der</strong> Abwehr „gemeinsamer Gefahren” einigten, d. h. im Kampf<br />

gegen den Terrorismus, bei <strong>der</strong> Entschärfung internationaler Krisen und bei <strong>der</strong> Kontrolle<br />

über Massenvernichtungswaffen. Zur Planung und Koordination dieser Aktivitäten<br />

beschlossen sie die Errichtung eines NATO-Russland-Rates, <strong>der</strong> zweimal jährlich<br />

auf Ebene <strong>der</strong> Außen- und Verteidigungsminister tagen und in dem Russland als<br />

gleichberechtigter Partner vertreten sein soll.


39<br />

ff. Balkankonflikte<br />

Nach dem Friedensschluss von Dayton, <strong>der</strong> den Ex-Jugoslawienkrieg 1995 beendete,<br />

erhielt die NATO vom UN-Sicherheitsrat den Auftrag, als Kern einer internationalen<br />

Truppe die Friedenssicherung in Bosnien und Herzegowina zu übernehmen. An<br />

<strong>der</strong> Implementation Force (IFOR) beteiligten sich insgesamt 31 Län<strong>der</strong> mit rund 60<br />

000 Soldaten unter NATO-Kommando (mit Son<strong>der</strong>regelung für das russische Kontingent).<br />

Der NATO-Einsatzplan „Operation Joint” war die bis dahin größte Militäraktion<br />

in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Allianz. Ende 1996 ging das Mandat auf die Nachfolgetruppe<br />

Stabilization Force (SFOR) über, ausgestattet mit 30 000 Soldaten, die dieses<br />

Mal nur von NATO-Staaten gestellt wurden (darunter von <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Deutschland 3 000 Mann).<br />

Nachdem sich <strong>der</strong> UN-Sicherheitsrat 1998/99 nicht auf militärische Maßnahmen zur<br />

Beendigung des Kosovo-Konflikts verständigte, ergriffen die NATO-Staaten unter<br />

Führung <strong>der</strong> USA die Initiative und eröffneten am 24. März 1999 ohne formelle<br />

Kriegserklärung mit einer Luftoffensive den Kosovo-Krieg gegen die Bundesrepublik<br />

Jugoslawien. Mit seinem ersten Kriegsgang gegen einen souveränen Staat setzte<br />

sich das ursprünglich als Verteidigungsbündnis auf Gegenseitigkeit gegründete<br />

Bündnis im 50. Jahr seiner Geschichte dem Vorwurf <strong>der</strong> Missachtung des Völkerrechts<br />

und <strong>der</strong> Charta <strong>der</strong> Vereinten Nationen aus. Nach dem Waffenstillstand vom<br />

10. Juni 1999 zog die unter NATO-Regie stehende internationale Truppe Kosovo<br />

Forces (KFOR) – als „internationale Sicherheitspräsenz” vom UN-Sicherheitsrat autorisiert<br />

– im Kosovo ein und etablierte die jugoslawische Provinz als faktisches Protektorat<br />

<strong>der</strong> Vereinten Nationen.<br />

b. Die Westeuropäische Union<br />

aa. Gründung<br />

Ursprünglich Dünkirchen-Pakt vom 4.3.1947 zwischen dem Vereinigten Königreich<br />

und Frankreich als Defensivbündnis gegen Deutschland. Erweitert durch Brüsseler-


40<br />

Pakt vom 17.3.1948 um Benelux-Staaten. Nach Scheitern <strong>der</strong> Pläne zur Errichtung<br />

einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft EVG 1951 (Integration Deutschlands<br />

in gemeinsame europäische Verteidigungsstrukturen) wird in den Pariser Verträgen<br />

am 23.10.1954 die WEU gegründet. Sie spielte neben <strong>der</strong> NATO bis 1992 keine Rolle,<br />

da sie gemäss Art.IV keine militärischen Stäbe parallel zur NATO aufbauen sollte.<br />

Die Gründungsmitglie<strong>der</strong> waren Großbritannien, Frankreich, Belgien, die Nie<strong>der</strong>lande<br />

und Luxemburg (Mitglie<strong>der</strong> des 1948 gegründeten Brüsseler Paktes) sowie Italien<br />

und die Bundesrepublik Deutschland. Portugal und Spanien wurden 1989 Vollmitglie<strong>der</strong>,<br />

Griechenland 1995. Alle zehn Vollmitglie<strong>der</strong> sind zugleich NATO- und EU-<br />

Mitglie<strong>der</strong>. Als assoziierte Mitglie<strong>der</strong> gehören die sechs NATO- aber nicht EU-<br />

Staaten Island, Norwegen, Türkei, Tschechische Republik, Ungarn und Polen zur<br />

WEU, und als assoziierte Partner die sieben mittel- und osteuropäischen Staaten<br />

Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien. Beobachterstatus<br />

haben die fünf EU-Mitglie<strong>der</strong> Dänemark, Finnland, Irland, Österreich<br />

und Schweden, die mit Ausnahme des NATO-Mitglieds Dänemark neutral sind.<br />

bb. Organisation<br />

Entscheidungsgremium <strong>der</strong> Westeuropäischen Union ist <strong>der</strong> Rat, <strong>der</strong> in halbjährlichem<br />

Turnus tagt und dem die Außen- und/o<strong>der</strong> Verteidigungsminister <strong>der</strong> zehn Mitgliedsstaaten<br />

angehören. Ihm steht in London <strong>der</strong> Ständige Rat auf Botschafterebene<br />

zur Seite, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Regel zweimal monatlich zusammentritt. Dem Rat sind<br />

mehrere ständige Ausschüsse und Komitees zugeordnet. Eine WEU-Versammlung<br />

aus 115 Parlamentariern, die halbjährlich in Paris zusammenkommt, arbeitet unter<br />

dem Vorsitz ihres Präsidenten Vorschläge aus, die vom Rat begutachtet werden.<br />

Seit 1989 existiert außerdem als Unterorgan ein Institut für Sicherheitsstudien in<br />

Paris, das sich mit Fragen <strong>der</strong> Rüstungskontrolle, <strong>der</strong> Abrüstung, <strong>der</strong> Sicherheitspolitik<br />

und <strong>der</strong> Verteidigung befasst, und 1993 wurde als weiteres Unterorgan das<br />

Satellitenzentrum in Torrejón de Ardoz (Spanien) eingerichtet. <strong>Das</strong> Sekretariat <strong>der</strong><br />

WEU hat seinen Sitz in Brüssel.


41<br />

cc. Aufgaben<br />

Die ursprünglichen Ziele <strong>der</strong> Westeuropäischen Union decken sich mit denen des<br />

Brüsseler Paktes, einer auf 50 Jahre angelegten Erweiterung des britischfranzösischen<br />

Abkommens von Dünkirchen (1947) „zur wirtschaftlichen, sozialen<br />

und kulturellen Zusammenarbeit und zur kollektiven Verteidigung”. Die militärischen<br />

Funktionen des Bündnisses wurden mittlerweile von <strong>der</strong> NATO übernommen, die<br />

meisten ökonomischen von <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft. Seit <strong>der</strong> Europarat<br />

1960 kulturelle Aufgaben übernahm, fungierte die WEU vorrangig als beratendes<br />

Forum in sicherheitspolitischen Fragen. Durch die Petersberger Beschlüsse von<br />

1992 wurden ihr verstärkt Aufgaben <strong>der</strong> Krisenprävention und -bewältigung sowie<br />

humanitäre Aufgaben im europäischen Raum zugewiesen. In diesem Rahmen stellten<br />

die WEU-Staaten 1994 eine Polizeieinheit für die herzegowinische Hauptstadt<br />

Mostar zusammen.<br />

dd. Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> EU<br />

Im 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht über die Europäische Union wurde<br />

im Kern bereits die Integration <strong>der</strong> WEU als verteidigungspolitisches Instrument<br />

<strong>der</strong> Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) in die EU angelegt; und im<br />

1997 geschlossenen Vertrag von Amsterdam wurde erneut <strong>der</strong> stufenweise Umbau<br />

<strong>der</strong> WEU zur Verteidigungskomponente <strong>der</strong> EU bekräftigt. Die Integration stagnierte<br />

jedoch lange Zeit aufgrund <strong>der</strong> ungeklärten Abgrenzung bzw. Arbeitsteilung gegenüber<br />

<strong>der</strong> NATO und an <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> Einbindung <strong>der</strong>jenigen WEU-Mitglie<strong>der</strong>,<br />

die nicht <strong>der</strong> EU angehören, bzw. <strong>der</strong> neutralen EU-Mitglie<strong>der</strong>. Erst vor dem Hintergrund<br />

des Kosovo-Konflikts, in dem sich das Versagen <strong>der</strong> sicherheitspolitischen<br />

und krisenbewältigenden Instrumentarien <strong>der</strong> EU offenbarten, intensivierte die EU<br />

ihre Bemühungen um die Integration <strong>der</strong> WEU als sicherheits- und verteidigungspolitischen<br />

Faktor: Auf ihrem Gipfeltreffen in Köln Anfang Juni 1999, noch während des<br />

Kosovo-Krieges, beschlossen die EU-Staats- und Regierungschefs die Übernahme


42<br />

<strong>der</strong> konfliktverhütenden und krisenbewältigenden Aufgaben <strong>der</strong> WEU (<strong>der</strong> so genannten<br />

Petersberger Aufgaben) durch die EU und zugleich die Schaffung neuer<br />

sicherheitspolitischer Institutionen bis Ende 2000.<br />

Bereits 1998 hatten sich die Außen- und Verteidigungsminister <strong>der</strong> WEU darauf geeinigt,<br />

dass <strong>der</strong> WEU- und <strong>der</strong> EU-Vorsitz möglichst bei einem Staat liegen und so<br />

die Kooperation zwischen den beiden <strong>Organisationen</strong> gestärkt werden soll. Diese<br />

Neuregelung des Vorsitzes wurde erstmals im ersten Halbjahr 1999 umgesetzt, als<br />

die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit <strong>der</strong> EU-Ratspräsidentschaft auch<br />

den Vorsitz in <strong>der</strong> WEU innehatte. Zudem übernahm im November 1999 <strong>der</strong> Hohe<br />

Beauftragte für die GASP in Personalunion das Amt des Generalsekretärs <strong>der</strong> WEU.<br />

Im November 2000 beschloss <strong>der</strong> Ministerrat <strong>der</strong> WEU die Übertragung <strong>der</strong> operationellen<br />

Funktionen <strong>der</strong> WEU (d. h. vor allem <strong>der</strong> Petersberger Aufgaben) an die EU<br />

bis zum Jahresende 2000. Damit besteht die WEU inhaltlich im Grunde nur noch aus<br />

<strong>der</strong> in Artikel 5 des WEU-Vertrages festgeschriebenen gegenseitigen Beistandspflicht<br />

<strong>der</strong> zehn Vollmitglie<strong>der</strong>, die mit Rücksicht auf die vier neutralen EU-Mitglie<strong>der</strong><br />

und WEU-Beobachter Finnland, Irland, Österreich und Schweden (noch) nicht in das<br />

EU-Vertragswerk aufgenommen werden konnte. <strong>Das</strong> Institut für Sicherheitsstudien<br />

und das Satellitenzentrum wurden als Agenturen in die EU eingeglie<strong>der</strong>t; Militärstab<br />

und Sekretariat <strong>der</strong> WEU wurden personell sukzessive abgebaut. Bestehen blieb<br />

dagegen weiterhin die Parlamentarische Versammlung, <strong>der</strong>en weitere Rolle allerdings<br />

umstritten war: Sie selbst suchte sich als Organ zur Kontrolle <strong>der</strong> Sicherheitsund<br />

Verteidigungspolitik <strong>der</strong> EU zu etablieren, die EU verweigerte ihr als nicht zur<br />

EU gehörendem Organ diese Funktion.<br />

c. Der Warschauer Pakt<br />

aa. Gründung<br />

Wenige Tage nach <strong>der</strong> Aufnahme <strong>der</strong> Bundesrepublik Deutschland in die NATO unterzeichneten<br />

Albanien, Bulgarien, die DDR, Polen, Rumänien, die Sowjetunion, die<br />

Tschechoslowakei und Ungarn am 14. Mai 1955 in Warschau den Vertrag über


43<br />

Freundschaft, Zusammenarbeit und gegenseitigen Beistand, kurz Warschauer Vertrag,<br />

und beschlossen die Bildung eines „Vereinten Kommandos <strong>der</strong> Streitkräfte”.<br />

Kernpunkte dieses Gründungsvertrages des Warschauer Paktes waren die Verpflichtung<br />

zu gegenseitigen Konsultationen in allen wichtigen Belangen <strong>der</strong> internationalen<br />

Politik, die Verpflichtung zu gegenseitigem militärischen Beistand im Falle<br />

eines Angriffs auf einen o<strong>der</strong> mehrere Mitgliedsstaaten und die Verpflichtung zur<br />

Unterordnung <strong>der</strong> nationalen Streitkräfte unter ein gemeinsames Oberkommando.<br />

Ziel des Bündnisses war sowohl die Bildung eines militärischen Gegengewichtes<br />

gegen die NATO, als auch die engere Anbindung <strong>der</strong> Staaten des Ostblocks an die<br />

Sowjetunion. Diese Anbindung verfestigte die Sowjetunion in <strong>der</strong> Folge noch durch<br />

Truppenstationierungsabkommen mit Polen (1956), <strong>der</strong> DDR, Rumänien und Ungarn<br />

(1957) und <strong>der</strong> Tschechoslowakei (1968).<br />

bb. Organisation<br />

Die militärische Führung des Warschauer Paktes hatte das „Vereinte Oberkommando<br />

<strong>der</strong> Streitkräfte” mit Sitz in Moskau inne; <strong>der</strong> Oberbefehlshaber des Oberkommandos<br />

war grundsätzlich ein sowjetischer Offizier, dem ein Stab aus Offizieren <strong>der</strong><br />

nationalen Streitkräfte, <strong>der</strong> „Stab <strong>der</strong> Vereinten Streitkräfte”, beigeordnet war. Die<br />

politische Führung lag beim „Politischen Beratenden Ausschuss”, <strong>der</strong> seinen Sitz<br />

ebenfalls in Moskau hatte und sich aus Vertretern aller Mitgliedsstaaten zusammensetzte.<br />

cc. Aktionen<br />

1956 kündigte Ungarn während des Ungarischen Volksaufstandes die Mitgliedschaft<br />

im Warschauer Pakt; nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in Ungarn machte<br />

die neue ungarische Regierung die Kündigung jedoch wie<strong>der</strong> rückgängig. 1961<br />

brach Albanien die diplomatischen Beziehungen zur Sowjetunion aufgrund ideologischer<br />

Meinungsverschiedenheiten ab und schied damit de facto aus dem Warschauer<br />

Pakt aus; 1968 trat Albanien nach dem Einmarsch von Truppen des War-


44<br />

schauer Paktes in die Tschechoslowakei offiziell aus dem Bündnis aus. Die Nie<strong>der</strong>schlagung<br />

des Prager Frühlings durch Warschauer-Pakt-Truppen aus <strong>der</strong> Sowjetunion,<br />

Polen, Ungarn, <strong>der</strong> DDR und Bulgarien war die einzige militärische Aktion des<br />

Warschauer Paktes und richtete sich ausgerechnet gegen einen seiner Mitgliedsstaaten;<br />

nachträglich wurde diese Aktion durch die Breschnew-Doktrin gerechtfertigt.<br />

Rumänien hatte den Einmarsch in die Tschechoslowakei abgelehnt und nahm nicht<br />

daran teil, verblieb jedoch als Mitglied im Warschauer Pakt.<br />

1985 wurde <strong>der</strong> Warschauer Pakt zwar um weitere 20 Jahre verlängert, doch die<br />

politischen Umwälzungen Ende <strong>der</strong> achtziger Jahre in den Staaten des Ostblocks<br />

führten zu einer Schwächung <strong>der</strong> Organisation und ließen die Frage nach ihrer künftigen<br />

Funktion aufkommen. Zunächst plädierten die Mitgliedsstaaten für eine Aufrechterhaltung<br />

des Bündnisses, dessen Strukturen und Ziele den neuen Verhältnissen<br />

angepasst werden sollten. Am 25. Februar 1991 beschlossen sie dann jedoch<br />

die Auflösung <strong>der</strong> Militärstrukturen zum 1. April 1991, und am 1. Juli 1991 lösten sie<br />

mit <strong>der</strong> politischen Organisation den Warschauer Pakt endgültig auf. Die Mitgliedschaft<br />

<strong>der</strong> DDR war bereits mit ihrem Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland im Oktober<br />

1990 zu Ende gegangen.<br />

3. Wirtschaftsorganisationen<br />

a. Historische Vorläufer: Zentralkommission für die Rheinschifffahrt, Internationale<br />

Fernmeldeunion, Weltpostverein, Internationales Zuckerabkommen, Deutscher Zollverein<br />

etc., auf wirtschaftlichem Gebiet gibt es heute die meisten internationalen <strong>Organisationen</strong>,<br />

die teilweise einen außerordentlich hohen Grad an institutioneller Verdichtung<br />

aufweisen.<br />

b. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO).<br />

aa. Entstehung


45<br />

Historische Entwicklung aus den internationalen Bemühungen zum Schutz <strong>der</strong> Arbeitnehmer<br />

mit dem Aufkommen <strong>der</strong> sozialen Frage im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t. Vorläufer<br />

war die 1900 in Paris gegründete Internationale Vereinigung für Arbeitsschutz,<br />

die als Exekutivorgan das Internationale Arbeitsamt in Basel besaß. Gründung als<br />

Teil XIII des Friedensvertrages von Versailles vom 28. Juni 1919. Dadurch enge<br />

Verknüpfung mit dem Völkerbund, <strong>der</strong> ebenfalls durch den Versailler Friedensvertrag<br />

gegründet wurde. Mitgliedschaft in <strong>der</strong> ILO bedeutete zugleich Mitgliedschaft im Völkerbund.<br />

Mit Gründung <strong>der</strong> UNO wurde die ILO gemäß Art.57 UN-Charta eine Son<strong>der</strong>organisation<br />

<strong>der</strong> UNO. Sie hat heute 349 Mitglie<strong>der</strong>, dies sind Staaten, Teilrepubliken,<br />

abhängige Gebiete und Kolonien, auch Palästina und <strong>der</strong> Heilige Stuhl sind<br />

Mitglied. Ihr Sitz ist in Genf<br />

bb. Organe:<br />

Die Internationale Arbeitskonferenz ist das höchste Organ <strong>der</strong> ILO. Sie besteht aus<br />

je zwei Regierungsvertretern jedes Mitglieds und je einem Vertreter <strong>der</strong> Arbeitgeberund<br />

Arbeitnehmerverbände des Mitglieds. Sie trifft sich einmal im Jahr in Genf. Ihre<br />

Aufgaben sind die Politik <strong>der</strong> Organisation und die Außenvertretung.<br />

Verwaltungsrat: Exekutivorgan, er hat 28 Regierungsmitglie<strong>der</strong> und je 14 Arbeitgeber-<br />

und Arbeitnehmervertreter. 10 Regierungssitze stehen den wichtigsten Industrienationen<br />

zu, die übrigen werden für drei Jahr von <strong>der</strong> Arbeitskonferenz gewählt.<br />

Arbeitgeber und Arbeitnehmer wählen ihre Vertreter.<br />

<strong>Das</strong> Internationale Arbeitsamt, Vorbereitung <strong>der</strong> Entscheidungen des Verwaltungsrates,<br />

Vorsitz durch Generaldirektor. Es hat 1.900 Bedienstete aus 110 Län<strong>der</strong>n.<br />

Aufgaben <strong>der</strong> ILO sind die Vorbereitung von Regelungen <strong>der</strong> Arbeitszeit, des Arbeitslohns,<br />

Arbeitsschutz, Sozialversicherungsfragen, Urlaub, Produktivitätssteigerung.<br />

Die ILO erarbeitet Konventionsentwürfe für die Staaten zur Regelung dieser Fragen.<br />

Wichtige Abkommen, die daraufhin zustande gekommen sind, sind


46<br />

das Übereinkommen Nr.29 über Zwangs- und Pflichtarbeit vom 28.6.1930 mit 139<br />

Parteien. Abschaffung je<strong>der</strong> Art von Arbeit o<strong>der</strong> Dienstleistung, die von einer Person<br />

unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig<br />

zur Verfügung gestellt hat. Aber zahlreiche Ausnahmen bzgl. Militär, Bürgerpflichten<br />

wie Zivildienst, Strafvollzug aufgrund gerichtlicher Verurteilung etc.<br />

Übereinkommen Nr.105 über die Abschaffung <strong>der</strong> Zwangsarbeit vom 25.6.1957 mit<br />

110 Parteien. Ausweitung des Schutzbereichs durch Einbeziehung politischen<br />

Zwangs, Verbot <strong>der</strong> Zwangsarbeit als Mittel <strong>der</strong> Rekrutierung und Verwendung von<br />

Arbeitskräften für Zwecke <strong>der</strong> wirtschaftlichen Entwicklung, als Mittel <strong>der</strong> Arbeitsdisziplin<br />

o<strong>der</strong> Strafe für die Teilnahme an Streiks sowie als Maßnahme <strong>der</strong> rassischen,<br />

sozialen, nationalen o<strong>der</strong> religiösen Diskriminierung.<br />

Übereinkommen Nr.100 über die Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher<br />

Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit vom 29.6.1951 mit 124 Parteien, wegen <strong>der</strong><br />

Verkürzung auf „Entgeltsätze, die ohne Rücksicht auf den Unterschied des Geschlechts<br />

festgesetzt sind“, kein vollständiger Ausschluss geschlechtsspezifischer<br />

Unterschiede.<br />

Übereinkommen Nr.111 über die Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf vom<br />

25.6.1958, 118 Parteien, Insbeson<strong>der</strong>e Diskriminierungen aufgrund er Rasse, des<br />

Geschlechts o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Herkunft.<br />

Übereinkommen Nr.118 über die Gleichbehandlung von Inlän<strong>der</strong>n und Auslän<strong>der</strong>n in<br />

<strong>der</strong> sozialen Sicherheit vom 28.6.1962. 40 Parteien. Gleichbehandlung etwa in Sozialversicherungssystemen<br />

o<strong>der</strong> betrieblicher Versorgung.<br />

Übereinkommen Nr.135 über Schutz und Erleichterung für Arbeitnehmervertreter im<br />

Betrieb vom 23.6.1971. 53 Parteien<br />

c. Der Internationale Währungsfonds<br />

aa. Gründung<br />

Der Zusammenbruch des Weltwährungssystems in Zeit zwischen den beiden Welt-


47<br />

kriegen nahm seinen Ausgang Anfang <strong>der</strong> zwanziger Jahre in einer galoppierenden<br />

Inflation in Deutschland. Nach <strong>der</strong> schweren Rezession, ausgelöst durch den Crash<br />

an <strong>der</strong> New Yorker Börse im Herbst 1929 gaben einige bedeutende Wirtschaftsnationen<br />

wie das Vereinigten Königreich und den USA die zuvor bestehende strikte Bindung<br />

ihrer Währungen an die Deckung durch Goldreserven zugunsten einer gemischten<br />

Deckung durch Gold- und Devisenreserven auf. Da an<strong>der</strong>e Wirtschaftsnationen<br />

unter Führung Frankreichs die Goldbindung aufrecht erhielten, entstanden<br />

verschiedene Währungsblöcke mit unterschiedlichen Bewertungskriterien. Dadurch<br />

war <strong>der</strong> internationale Währungsaustausch in Frage gestellt. Vertieft wurde dieses<br />

Problem durch den Protektionismus <strong>der</strong> Kriegsgegner während des Zweiten Weltkrieges.<br />

Dies hat die Siegermächte zu einer grundlegenden Neuregelung des Währungsrechts<br />

veranlasst. 1944 trafen sich im amerikanischen Bretton Woods die Vertreter<br />

<strong>der</strong> westlichen Industrienationen und <strong>der</strong> UdSSR. Sie erörterten zwei Pläne:<br />

(1) Der Keynes Plan sah vor, das eine internationale Clearing Stelle geschaffen<br />

wird, welche die Schulden <strong>der</strong> Staaten durch eine neu zu schaffende Währungseinheit,<br />

den Bancor deckt. Dieses System hätte jedoch wegen <strong>der</strong> dadurch bewirkten<br />

Vermehrung <strong>der</strong> Valuta um den Bancor, <strong>der</strong> keine eigene Deckung gehabt hätte,<br />

eine inflationistische Tendenz gehabt.<br />

(2) Durchgesetzt hat sich <strong>der</strong> White Plan. Dieser basiert auf dem Prinzip, dass je<strong>der</strong><br />

Mitgliedstaat einen Beitrag in einen gemeinsamen Pool leistet, <strong>der</strong> zu 25 % in Gold<br />

und zu 75 % in eigener Währung zu erbringen ist. Devisenhilfen sollten dann nur in<br />

Dollars, Francs o<strong>der</strong> Pfund Sterling geleistet werden.<br />

Dieser neugeschaffene Pool wurde Internationaler Währungsfonds genannt. Sehr<br />

schnell wurde <strong>der</strong> Dollar zur Leitwährung des IWF. Für den Dollar wurde eine feste<br />

Parität zum Gold festgelegt. Für einen Dollar wurden 0,88 g Gold gegeben. Für die<br />

an<strong>der</strong>en Währungen wurde ein fester Währungskurs im Verhältnis zum Dollar und<br />

damit auch im Verhältnis zum Gold festgelegt. Dabei wurde eine maximale Kursschwankung<br />

von 1 % gegenüber dem Dollar vereinbart. Wurde diese Marge überschritten,<br />

waren die nationalen Notenbanken zur Intervention verpflichtet, das heißt


48<br />

sie mussten durch den An- o<strong>der</strong> Verkauf von Dollar die alte Parität wie<strong>der</strong> herstellen.<br />

Die Vereinigten Staaten als Inhaber <strong>der</strong> Leitwährung traf naturgemäß keine Interventionspflicht.<br />

Bei schwerwiegenden Störungen an den Devisenmärkten war zudem<br />

eine Auf- o<strong>der</strong> Abwertung einzelner Währungen vorgesehen.<br />

Der IWF hat heute 188 Mitglie<strong>der</strong> (Stand 19.05.03), darunter alle Staaten Westeuropas,<br />

Amerikas und viele Staaten <strong>der</strong> dritten Welt. Die UdSSR blieb dem IWF trotz<br />

Teilnahme an <strong>der</strong> Gründungskonferenz bis zur ihrer Auflösung fern. Aus dem Ostblock<br />

traten während <strong>der</strong> Zeit des kalten Krieges nur Rumänien (1972) und Polen<br />

(1986) bei. Heute sind alle Staaten des ehemaligen Ostblocks Mitglie<strong>der</strong>. Die Volksrepublik<br />

China ist seit dem Jahr 2000 Mitglied. Der IMF hat auch einige Mitglie<strong>der</strong>,<br />

die keine Staaten sind, die aber ein beson<strong>der</strong>es Währungsgebiet darstellen. Dies<br />

sind Macao und Hong Kong, die beson<strong>der</strong>e Wirtschaftszonen in <strong>der</strong> Volksrepublik<br />

China sind.<br />

bb. Organisation<br />

<strong>Das</strong> oberste Organ des IWF ist gemäß Art.XII Abschnitt 2 IWF-Satzung <strong>der</strong> Gouverneursrat.<br />

Je<strong>der</strong> Mitgliedstaat entsendet hierin einen Gouverneur und einen Stellvertreter.<br />

In <strong>der</strong> Regel ist Gouverneur ein Regierungsmitglied (Finanzminister) und<br />

Stellvertreter <strong>der</strong> Chef <strong>der</strong> Notenbank. Der Gouverneursrat hat folgende Aufgaben:<br />

- Die Aufnahme neuer Mitglie<strong>der</strong>, die Mitgliedschaft steht gemäß Art.II Abschn.2 bisher<br />

nur Staaten offen. Deshalb unter an<strong>der</strong>em keine Mitgliedschaft <strong>der</strong> EG.<br />

- die Festsetzung und die Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Quote jedes Mitgliedstaates am gemeinsamen<br />

Währungspool, Art.III, Abschn.1 bis 3.<br />

- Die Zuteilung von Son<strong>der</strong>ziehungsrechten, die in Zusammenhang mit <strong>der</strong> Quote<br />

am Pool steht, Art.XVIII<br />

Der Rat <strong>der</strong> Exekutivdirektoren: Art.XII, Abschn.3. Er setzt sich aus den Exekutivdirektoren<br />

und dem Geschäftsführenden Direktor zusammen. Er hat zwanzig Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Fünf werden von den Mitglie<strong>der</strong>n mit den größten Quoten ernannt. <strong>Das</strong> sind<br />

die USA, Japan, Deutschland, Frankreich und das UK. 15 Mitglie<strong>der</strong> werden von den


49<br />

an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>n gewählt. Er führt die laufenden Geschäfte im Auftrag des Gouverneursrats.<br />

Der geschäftsführende Direktor: Art.XII, Abschn.4. Er ist Vorsitzen<strong>der</strong> des Rats <strong>der</strong><br />

Exekutivdirektoren und Leiter des Personals des IWF. Er führt nach Weisung des<br />

Exekutivdirektoriums die gewöhnlichen Geschäfte des Fonds.<br />

cc. Politik:<br />

1979 wurde die Politik <strong>der</strong> festen Wechselkurse aufgegeben. Die Wechselkurse<br />

konnten sich frei entsprechend ihrem Wert am Kapitalmarkt entwickeln. <strong>Das</strong> Gold<br />

verlor seine Funktion als Bewertungsmaßstab, an seine Stelle traten die Son<strong>der</strong>ziehungsrechte<br />

<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Für die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft hat sich neben dem IWF ein eigenes<br />

Währungssystem entwickelt, dass zunächst als europäische Währungsschlange<br />

Wechselkurse mit einer festgesetzten Bandbreite vorsah (zunächst 2,25%<br />

für Altmitglie<strong>der</strong> und 6% für Neustaaten, später 15% für alle), wobei zunehmend die<br />

DM-Mark die Funktion <strong>der</strong> Leitwährung übernahm. Seit 1992 ist an seine Stelle die<br />

Wirtschafts- und Währungsunion getreten, die zur Abschaffung <strong>der</strong> Währungshoheit<br />

in 11 Mitgliedstaaten geführt hat (Dänemark, Schweden und UK sind bewusst nicht<br />

Mitglied).<br />

d. Die Welthandelsorganisation (WTO).<br />

aa. Entstehungsgeschichte:<br />

Sie ist hervorgegangenen aus dem General Agreement on Tariffs and Trades<br />

(GATT). <strong>Das</strong> GATT wurde am 30. Oktober 1947 als provisorische Regelung bis zur<br />

Schaffung einer geplanten Welthandelsorganisation vereinbart und trat am 1. Januar<br />

1948 in kraft. Da die Welthandelorganisation wegen des Wi<strong>der</strong>standes <strong>der</strong> USA, die<br />

eine Beeinträchtigung des freien Welthandels durch die protektionistischen Interessen<br />

vor allem von Dritt Weltlän<strong>der</strong>n befürchteten, zunächst nicht zustande kam, blieb


50<br />

das GATT lange Zeit die einzige wirksame Vereinbarung auf diesem Gebiet.<br />

Ursprünglich hatte das GATT 23 Mitglie<strong>der</strong>, später wurden es 81 Vollmitglie<strong>der</strong> und<br />

30 sog. de facto Mitglie<strong>der</strong>, darunter alle Industrienationen. Nicht im GATT waren die<br />

Staaten des ehemaligen Ostblock, mit Ausnahme von Polen (1967) und Rumänien<br />

(1971), Ungarn (1973), China und die arabischen Staaten.<br />

Inhalt des GATT war die Ermöglichung weltweiten Handels durch den Abbau von<br />

Zollschranken. Erreicht wurde dies vor allem durch die Vereinbarung einer Meistbegünstigungsklausel,<br />

d.h. die Mitgliedstaaten waren verpflichtet, Zollerleichterungen,<br />

die sie einem an<strong>der</strong>en Mitglied gegenüber gewährten, auf alle Mitgliedstaaten<br />

auszudehnen. Dabei gab es jedoch zahlreiche Ausnahmeklauseln, insbeson<strong>der</strong>e im<br />

Verhältnis zu den Län<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Dritten Welt. Die Entwicklungslän<strong>der</strong> haben immer<br />

eine Bevorzugung gegenüber den Industrienationen angestrebt und haben mehrfach<br />

die Auflösung des GATT verlangt. Außerdem waren Zollunionen und Freihandelszonen,<br />

wie die Europäischen Gemeinschaften, die EFTA und die NAFTA von <strong>der</strong><br />

Meistbegünstigungsregelung ausgeschlossen. <strong>Das</strong> GATT hat außer <strong>der</strong> Einrichtung<br />

eines ständigen Sekretariats keine Organe ausgebildet. Es ist vereinbarungsgemäß<br />

Ende 1995 ausgelaufen.<br />

An seine Stelle sind die WTO und das GATT 1994 getreten, welches das GATT<br />

1947 in leicht modifizierter Form fortsetzt. Die Gründung <strong>der</strong> WTO wurde im Rahmen<br />

<strong>der</strong> sog. Uruguay-Runde des GATT am 15. April 1994 in Marrakesch vereinbart. Die<br />

Satzung <strong>der</strong> WTO ist am 1.1.1995 in kraft getreten. Die WTO hat 146 Mitglie<strong>der</strong><br />

(Stand 19.05.03) einschließlich <strong>der</strong> EG.<br />

Die WTO soll als institutioneller Rahmen zur Durchsetzung <strong>der</strong> zwischen ihren Mitgliedstaaten<br />

bestehenden Handelsvereinbarungen, also auch des GATT 1994 und<br />

als Forum für die Vereinbarung neuer multilateraler Handelsbeziehungen dienen. Die<br />

WTO besitzt ausweislich ihres Art.VIII <strong>Recht</strong>spersönlichkeit in jedem Mitgliedstaat,<br />

ist also eine internationale Organisation.<br />

bb Organe


51<br />

Ministerkonferenz: Die Ministerkonferenz ist das höchste Organ <strong>der</strong> WTO. Sie ergreift<br />

Maßnahmen zur Erfüllung <strong>der</strong> Funktionen <strong>der</strong> Organisation und entscheidet<br />

über alle Fragen im Zusammenhang mit einem <strong>der</strong> multilateralen Handelsabkommen.<br />

Die Ministerkonferenz ist ein Plenarorgan, ihr gehören Vertreter aller Mitgliedstaaten<br />

an. Tagungen finden mindestens alle zwei Jahre statt (Art. IV. l WTO).<br />

Über den innerstaatlichen Rang <strong>der</strong> Delegierten trifft das WTO-Abkommen keine<br />

nähere Regelung. Die Bezeichnung als Ministerkonferenz und die Stellung des Organs<br />

machen jedoch deutlich, dass eine regelmäßige Zusammenarbeit auf Regierungsebene,<br />

also oberhalb <strong>der</strong> handelsdiplomatischen Ebene, vorgesehen ist. <strong>Das</strong><br />

soll zu größerer Effizienz und Effektivität führen. Die Praxis trägt dem Rechnung.<br />

Der Allgemeine Rat ist als Exekutivorgan das operative Hauptorgan <strong>der</strong> WTO. Er<br />

übernimmt zwischen den Tagungen <strong>der</strong> Ministerkonferenz <strong>der</strong>en Funktion. Weitere<br />

Aufgaben werden ihm durch das WTO-Abkommen übertragen (Art. IV.2 WTO). Solche<br />

Aufgaben sind etwa die Regelung <strong>der</strong> Beziehungen zu an<strong>der</strong>en <strong>Internationalen</strong><br />

<strong>Organisationen</strong> (Art. V WTO) o<strong>der</strong> die Zustimmung zum Haushaltsplan (Art. VII. l<br />

WTO). Demnach nimmt <strong>der</strong> Allgemeine Rat die laufenden Verwaltungsgeschäfte<br />

wahr, während die Ministerkonferenz die wichtigeren politischen Entscheidungen<br />

trifft. Eine genaue Kompetenzabgrenzung nimmt das WTO-Abkommen allerdings<br />

nicht vor.<br />

Im Streitbeilegungsverfahren tritt <strong>der</strong> Allgemeine Rat als Streitbeilegungsorgan (Dispute<br />

Settlement Body) zusammen. Bei <strong>der</strong> Überwachung <strong>der</strong> Handelspolitiken tagt<br />

<strong>der</strong> Allgemeine Rat als Organ für die Überprüfung <strong>der</strong> Handelspolitik (Trade Policy<br />

Review Body), Art. IV.3, 4 WTO. In diesen Bereichen besteht demnach eine gewisse<br />

institutionelle Eigenständigkeit, die freilich nicht organschaftlich vollzogen ist.<br />

Dem Allgemeinen Rat gehören Vertreter aller Mitgliedstaaten an (Art. IV.2 WTO).<br />

Der Allgemeine Rat bestimmt seine Geschäftsordnung selbst (Art. IV.2 WTO). Tritt<br />

er als Streitbeilegungsorgan o<strong>der</strong> als Organ für die Überprüfung <strong>der</strong> Handelspolitik<br />

zusammen, gibt es jeweils einen eigenen Vorsitzenden und eine eigene Geschäftsordnung<br />

(Art. IV.3, 4 WTO).


52<br />

Die administrativen Aufgaben innerhalb <strong>der</strong> WTO werden vom Sekretariat erfüllt. Es<br />

steht unter <strong>der</strong> Leitung eines Generaldirektors (Director-General), <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Ministerkonferenz<br />

ernannt wird (Art. VI.2 WTO). Der Generaldirektor stellt das übrige Personal<br />

des Sekretariats ein und regelt dessen Dienstverhältnisse aufgrund von Vorschriften<br />

<strong>der</strong> Ministerkonferenz (Art. VI.3 WTO). Zu den Aufgaben des Sekretariats<br />

zählen die Vorbereitung und Durchführung von Verhandlungen zwischen WTO-<br />

Mitgliedstaaten, die Unterstützung von Beitrittsverhandlungen, die Beratung <strong>der</strong><br />

Handelspartner bei <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Abkommen, die Analyse <strong>der</strong> Welthandelsentwicklung<br />

sowie die Organisation des Streitbeilegungsverfahrens. Entwicklungslän<strong>der</strong>n<br />

werden technische Unterstützung und Schulungsmaßnahmen angeboten.<br />

Eine Entscheidungsbefugnis o<strong>der</strong> ein Vorschlagsrecht in materieller Hinsicht sind<br />

nicht vorgesehen.<br />

cc. Streitbeilegungsverfahren<br />

Im Streitbeilegungsverfahren werden unter <strong>der</strong> Aufsicht des Streitbeilegungsorgans<br />

zwei Gremien tätig, die Panels und <strong>der</strong> appellate body. In erster Instanz werden<br />

Beschwerden vor dem Panel verhandelt. Dabei handelt es sich um eine Expertengruppe,<br />

die für den jeweiligen Streitfall zusammengestellt wird. Dazu führt das Sekretariat<br />

eine Liste qualifizierter Personen, die Staatenvertreter o<strong>der</strong> aber regierungsunabhängig<br />

sein können. Aus dieser Liste werden in <strong>der</strong> Regel drei, nach Vereinbarung<br />

<strong>der</strong> Streitparteien auch fünf Panel-Mitglie<strong>der</strong> ausgewählt. Die Auswahl geschieht<br />

grundsätzlich durch die Parteien. Können sich diese nicht einigen, entscheidet<br />

<strong>der</strong> Generaldirektor. Die Panel-Mitglie<strong>der</strong> dürfen nicht Staatsangehörige <strong>der</strong><br />

Streitparteien sein und sind auch sonst unabhängig.<br />

Für die neugeschaffene Berufungsinstanz wurde ein Ständiges Berufungsgremium<br />

<strong>der</strong> appellate Body geschaffen. Es hat sieben Mitglie<strong>der</strong>, von denen je drei mit einer<br />

Streitsache befasst sind. Diese Mitglie<strong>der</strong> werden jeweils auf vier Jahre durch das<br />

Streitbeilegungsorgan ernannt. Sie sollen eine beson<strong>der</strong>e Qualifikation aufweisen,<br />

keiner Regierung angehören und kurzfristig verfügbar sein. Außerdem ist vorgesehen,<br />

dass die Zusammensetzung des Berufungsgremiums ungefähr die Mitglied-


53<br />

schaft <strong>der</strong> WTO repräsentieren soll. Hinsichtlich <strong>der</strong> Verteilung <strong>der</strong> sieben Sitze auf<br />

die WTO-Mitglie<strong>der</strong> ist es bereits zu Querelen gekommen.<br />

e. Die OECD<br />

aa. Entstehungsgeschichte<br />

Neben diesen weltweit auftretenden <strong>Organisationen</strong> gibt es eine Reihe regionaler<br />

Handelsorganisationen, <strong>der</strong>en wichtigste die Europäischen Gemeinschaften, die<br />

OECD und die NAFTA sind.<br />

Die Organisation for economic co-operation and Development (OECD) ist ursprünglich<br />

entstanden aus dem von den USA nach dem Zweiten Weltkrieg aufgelegten<br />

European Recovery Programme (Marshall Plan). Zur Durchführung dieses Planes<br />

gründeten die Staaten Westeuropas 1948 die Organisation für wirtschaftliche<br />

Zusammenarbeit (Organisation for European Economic Co-operation, OEEC), welche<br />

die Gel<strong>der</strong> des Marshall Planes verwalten sollte und eine dauerhafte wirtschaftliche<br />

Kooperation in Europa ermöglichen sollte. Nach <strong>der</strong> Gründung <strong>der</strong> EWG und <strong>der</strong><br />

EFTA verlor die OEEC zunehmend an Bedeutung. Am 14..12.1960 wurde deshalb<br />

die OECD als Nachfolgeorganisation <strong>der</strong> OEEC gegründet, wobei die USA, Kanada<br />

und Japan von Anfang an Mitglie<strong>der</strong> waren. Zur Zeit hat die OECD 29 Mitglie<strong>der</strong>,<br />

dies sind die wichtigsten Län<strong>der</strong> mit hohem Entwicklungsstand. Dazu gehören heute<br />

auch etwa Südkorea, Polen, die Tschechische Republik, die Türkei und Ungarn. Sitz<br />

<strong>der</strong> OECD ist Paris.<br />

bb. Organisation<br />

Wichtigstes Organ ist ein aus allen Mitglie<strong>der</strong>n zusammengesetzter Rat, <strong>der</strong> gemäss<br />

Art.7 <strong>der</strong> Satzung alle <strong>Recht</strong>shandlungen vornimmt. Der Rat wählt einen Vorsitz und<br />

zwei Stellvertreter, die in <strong>der</strong> Regel für ein Jahr im Amt sind. Der Rat tritt in <strong>der</strong> Regel<br />

einmal im Jahr als Ministerkonferenz und sonst als Konferenz <strong>der</strong> ständigen Vertreter<br />

<strong>der</strong> Mitgliedstaaten bei <strong>der</strong> OECD zusammen.


54<br />

Als zweites Organ ist <strong>der</strong> Generalsekretär zu nennen, <strong>der</strong> für fünf Jahre gewählt wird<br />

und die Verwaltung mit seinem Sekretariat führt.<br />

Zur Vorbereitung <strong>der</strong> Arbeiten des Rates gibt es noch einen Exekutivausschuss, in<br />

dem ein Botschafter den Vorsitz führt. Daneben gibt es noch eine Reihe von Fachausschüssen.<br />

cc. Aufgaben<br />

Ziel <strong>der</strong> OECD ist es, die wirtschaftliche Entwicklung in den Mitgliedstaaten zu för<strong>der</strong>n,<br />

zu einem hohen Beschäftigungsstand beizutragen, den Lebensstandard in den<br />

Mitgliedstaaten zu heben, die Entwicklung auch von Nichtmitglie<strong>der</strong>n zu för<strong>der</strong>n, zur<br />

Ausweitung des Welthandels beizutragen. Hier enge Zusammenarbeit mit WTO.<br />

Ein wichtiges Instrument zur Durchsetzung dieser Aufgaben sind die Kodizes, dies<br />

sind unverbindliche Empfehlungen des Rates, die aber von den Mitgliedstaaten<br />

weitgehend befolgt werden. Beson<strong>der</strong>e Bedeutung haben <strong>der</strong> Kodex <strong>der</strong> Liberalisierung<br />

<strong>der</strong> laufenden unsichtbaren Operationen, <strong>der</strong> sich insbeson<strong>der</strong>e auf Investitionen<br />

bezieht, und <strong>der</strong> darauf Bezug nehmende Kodex <strong>der</strong> Liberalisierung des Kapitalverkehrs.<br />

Außerdem ist hier <strong>der</strong> Verhaltenskodex für multinationale Unternehmen<br />

zu nennen, <strong>der</strong> das Verhalten von Unternehmen im Ausland sehr detailliert regelt<br />

und von den meisten Mitglie<strong>der</strong>n in nationales <strong>Recht</strong> umgesetzt worden ist. Über die<br />

Einhaltung dieses code of conduct wird in einem obligatorischen „Verfahren für zwischenstaatliche<br />

Konsultationen über die Leitsätze für multinationale Unternehmen“<br />

gewacht. An diesem Verfahren können auch die betroffenen Unternehmen beteiligt<br />

werden. Die Entscheidungen in diesem Verfahren sind verbindlich.<br />

f. <strong>Das</strong> North American Free Trade Agreement (NAFTA):<br />

aa. Entstehung<br />

Die NAFTA wurde 1993 von den USA, Kanada und Mexiko als Antwort auf die EG<br />

gegründet. Mitglie<strong>der</strong> sind die USA, Kanada und Mexiko. Kern <strong>der</strong> NAFTA ist das


55<br />

Freihandelsabkommen zwischen den USA und Kanada CUFTA, das um entsprechende<br />

Abkommen mit Mexiko erweitert wurde..<br />

bb. Organisation<br />

Die NAFTA hat ein Sekretariat, eine Kommission und ein Streitbeilegungsorgan, das<br />

auf <strong>der</strong> Grundlage eine Verfahrensordnung im schiedsgerichtlichen Verfahren Streitigkeiten<br />

zwischen aus den Abkommen regeln soll.<br />

cc. Aufgaben<br />

Durch das CUFTA Abkommen sind zunächst einige aber nicht alle Zölle zwischen<br />

den USA und Kanada Staaten abgeschafft worden. Die NAFTA Abkommen sehen<br />

die sofortige Abschaffung <strong>der</strong> Zölle für die Hälfte aller in den Mitgliedstaaten gehandelten<br />

Waren vor; weitere Zolltarife sollen innerhalb von 14 Jahren allmählich abgebaut<br />

werden.<br />

Durch den Zusammenschluss von Kanada, Mexiko und den USA zu einem offenen<br />

Markt wurde die NAFTA mit 365 Millionen Verbrauchern zur weltweit drittgrößten<br />

Freihandelszone nach <strong>der</strong> ASEAN und dem Europäischen Wirtschaftsraum. Ende<br />

1994 wurden Verhandlungen über die Einglie<strong>der</strong>ung aller lateinamerikanischer Staaten<br />

– mit Ausnahme Kubas – in die NAFTA eingeleitet. Es ist allerdings abzusehen,<br />

dass die Aufnahme weiterer Staaten in die NAFTA mit erheblichen Schwierigkeiten<br />

verbunden sein wird, da einige <strong>der</strong> lateinamerikanischen Staaten bei weitem nicht in<br />

<strong>der</strong> Lage sind, den strengen wirtschaftlichen Aufnahmebedingungen – z. B. die Festsetzung<br />

von Mindestlöhnen, arbeitsrechtliche und Umweltschutzbestimmungen –<br />

zustimmen und sie durchzusetzen zu können.<br />

g. Die Association of Southeast Asian Nations (ASEAN )<br />

aa. Entstehung<br />

Nach <strong>der</strong> Kapitulation Japans 1945 begann in Südostasien die Endphase <strong>der</strong> koloni-


56<br />

alen Epoche. Der Abzug <strong>der</strong> Kolonialherren, die für ein Mindestmaß an Stabilität gesorgt<br />

hatten, hinterließ zunächst ein Machtvakuum. Wirtschaftliche und politische<br />

Kontakte innerhalb <strong>der</strong> Län<strong>der</strong> Südostasiens waren von den Besatzern meist unterbunden<br />

worden, so dass nach dem 2. Weltkrieg kaum Beziehungen zwischen den<br />

politischen Führern bestanden und es kein Fundament für gemeinschaftliches Handeln<br />

o<strong>der</strong> gar eine gemeinsame Identität gab.<br />

Erst zu Beginn <strong>der</strong> sechziger Jahre entstanden erstmals Kooperationsformen mit<br />

rein südostasiatischen Mitgliedschaften: die ASA (Association of Southeast Asia),<br />

die 1961 von <strong>der</strong> malaiischen Fö<strong>der</strong>ation, den Philippinen und Thailand ins Leben<br />

gerufen wurde, und die MAPHILINDO (MAlaysia, PHILippinen, INDOnesien), 1963<br />

von den Namen gebenden Staaten gegründet.<br />

Vor dem Hintergrund des sich verschärfenden Vietnamkrieges und des Abzugs <strong>der</strong><br />

Briten aus Singapur (1965) wurde schließlich mit <strong>der</strong> Bangkok-Deklaration die<br />

ASEAN ins Leben gerufen. Die inzwischen aus zehn Staaten bestehende Vereinigung<br />

wurde am 8. August 1967 von den Län<strong>der</strong>n Thailand, Malaysia, Indonesien,<br />

Philippinen und Singapur durch Unterzeichnung einer gemeinsamen Deklaration in<br />

Bangkok gegründet. 1984 trat Brunei dem Bündnis bei, 1995 Vietnam, 1997 Laos<br />

und Myanmar, das frühere Birma. 1999 wurde Kambodscha offiziell als zehntes Mitglied<br />

in die ASEAN aufgenommen. <strong>Das</strong> ständige Sekretariat <strong>der</strong> ASEAN hat seinen<br />

Sitz in Jakarta (Indonesien).<br />

bb. Organisation<br />

<strong>Das</strong> höchste Gremium <strong>der</strong> ASEAN ist die Gipfelkonferenz <strong>der</strong> Staats- und Regierungschefs.<br />

Bis 1992 fanden die Treffen nur unregelmäßig statt, seitdem im Dreijahresrhythmus.<br />

<strong>Das</strong> zentrale Entscheidungsgremium bildet die jährlich stattfindende Ministertagung<br />

<strong>der</strong> Außenminister <strong>der</strong> Staaten. Daneben besitzt die ASEAN einen Ständigen Ausschuss,<br />

<strong>der</strong> jährlich drei- bis fünfmal zusammentrifft. Er setzt sich aus einem gastgebenden<br />

Außenminister sowie den Botschaftern <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Mitgliedslän<strong>der</strong> zusam-


57<br />

men.<br />

Als weitere Instanz gelten die unregelmäßig stattfindenden Fachministerkonferenzen<br />

zu den Bereichen Industrie, Bergbau und Energie, Handel und Tourismus, Ernährung,<br />

Land- und Forstwirtschaft, Finanzen und Bankwesen, Transport und Kommunikation,<br />

soziale Entwicklung, Kultur und Information, Wissenschaft und Technologie.<br />

Diese Treffen werden von den entsprechenden Ständigen Fachausschüssen vorbereitet,<br />

denen wie<strong>der</strong>um zahlreiche Unterausschüsse und Expertengruppen untergeordnet<br />

sind.<br />

<strong>Das</strong> ständige ASEAN-Sekretariat wurde 1976 in Jakarta gegründet. Es hat lediglich<br />

Koordinierungs- und Ratgeberfunktion, wobei <strong>der</strong> Generalsekretär nach dem Rotationsprinzip<br />

alle drei Jahre wechselt.<br />

cc. Aufgaben<br />

(1) Friedenssicherung<br />

1976 fand auf Bali das erste Gipfeltreffen <strong>der</strong> Teilnehmerstaaten statt. Dort verpflichteten<br />

sich die Mitglie<strong>der</strong> vertraglich im Treaty of Amiety and Concorde (Vertrag über<br />

Freundschaft und Zusammenarbeit) zur friedlichen Konfliktlösung untereinan<strong>der</strong> und<br />

zur Schaffung einer Zone des Friedens, <strong>der</strong> Freiheit und <strong>der</strong> Neutralität (Zone of<br />

Peace, Freedom and Neutrality, ZOPFAN). <strong>Das</strong> Konzept einer neutralen Zone in<br />

Südostasien war bereits 1971 auf einem informellen Treffen <strong>der</strong> Außenminister in<br />

Kuala Lumpur entwickelt worden, konnte aber aufgrund <strong>der</strong> ablehnenden Haltung<br />

<strong>der</strong> Großmächte und <strong>der</strong> Weigerung Vietnams, einer solchen Zone beizutreten, nicht<br />

verwirklicht werden.<br />

Der Treaty of Amiety and Concorde beinhaltet weiter Beschlüsse über die gegenseitige<br />

Achtung <strong>der</strong> Unabhängigkeit, Souveränität, Gleichheit, territoriale Integrität und<br />

nationale Identität. Ferner verständigte man sich darauf, dass je<strong>der</strong> Staat das <strong>Recht</strong><br />

auf eine eigene, selbständige Existenz hat, ohne äußere Einmischung fürchten zu<br />

müssen. <strong>Das</strong> primäre Ziel war die Vermeidung von Konflikten in ganz Südostasien,<br />

wobei <strong>der</strong> Vertrag nicht auf die ASEAN-Staaten beschränkt war, son<strong>der</strong>n auch ande-


58<br />

ren Län<strong>der</strong>n die Unterzeichnung ermöglichte.<br />

1977 wurde auf dem zweiten Gipfeltreffen in Kuala Lumpur ein Zollpräferenzabkommen<br />

(Preferential Tariff Arrangement, PTA) ins Leben gerufen. <strong>Das</strong> Abkommen<br />

umfasste über 15 000 Produkte, <strong>der</strong>en Zölle zur För<strong>der</strong>ung des internen ASEAN-<br />

Handels um 25 bis 50 Prozent gesenkt wurden.<br />

Der Einmarsch Vietnams in Kambodscha bedeutete 1978 das vorläufige Ende <strong>der</strong><br />

friedlichen Koexistenz im südostasiatischen Raum. Doch die sicherheitspolitische<br />

Bedrohung <strong>der</strong> ASEAN-Staaten wirkte sich günstig auf die innere Festigung des<br />

Bündnisses aus.<br />

<strong>Das</strong> dritte Gipfeltreffen fand 1987 in Manila statt und spielte sich vor dem Hintergrund<br />

einer sich abzeichnenden friedlichen Lösung <strong>der</strong> Kambodscha-Kontroverse<br />

ab.<br />

Auf <strong>der</strong> fünften Gipfelkonferenz 1995 in Bangkok war Vietnam bereits offizielles Mitglied<br />

<strong>der</strong> ASEAN. Dort unterzeichneten die Teilnehmerstaaten und die Beobachter<br />

von Kambodscha, Myanmar und Laos einen Vertrag über die Südostasiatische a-<br />

tomwaffenfreie Zone (Southeast Asia Nuclear Weapon Free Zone, SEANWFZ). Hierin<br />

verpflichteten sich die Staaten, die keine Atomwaffen besitzen, auch in Zukunft auf<br />

<strong>der</strong>en Herstellung, Lagerung und Anwendung zu verzichten. Darüber hinaus sollten<br />

bis zum Jahr 2000 alle Staaten Südostasiens Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> ASEAN sein, ein Ziel,<br />

das schon 1999 mit dem Beitritt Kambodschas verwirklicht war.<br />

An <strong>der</strong> sechsten Gipfelkonferenz <strong>der</strong> ASEAN im Dezember 1998 in Hanoi nahm<br />

auch Japan teil und bemühte sich um Unterstützung <strong>der</strong> durch die Asienkrise stark<br />

beeinträchtigten Region.<br />

Im Oktober 1999 verständigten sich die ASEAN-Staaten mit Australien und Neuseeland<br />

auf die Ausbreitung <strong>der</strong> Freihandelszone, die bis 2010 in Kraft treten soll. Auf<br />

einem informellen Gipfeltreffen im November 1999, an dem neben den ASEAN-<br />

Staaten auch China, Japan und Südkorea teilnahmen, einigte man sich auf eine engere<br />

politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit, um Stabilität und Wohlstand in<br />

<strong>der</strong> Region zu för<strong>der</strong>n; zudem verabredete man eine gezielte För<strong>der</strong>ung und einen


59<br />

raschen Ausbau <strong>der</strong> Informationstechnologie. Die Infromationstechnologie war auch<br />

eines <strong>der</strong> zentralen Themen des nächsten informellen ASEAN-Gipfeltreffen im November<br />

2000.<br />

(2) Wirtschaftliche Zusammenarbeit<br />

Zur Belebung des Handels beschloss die ASEAN auf ihrem vierten Gipfeltreffen<br />

1992 in Singapur den Abbau aller Art von Handelshemmnissen mit dem Ziel, bis<br />

zum Jahr 2003 eine Freihandelszone (ASEAN Free Trade Area, AFTA) für alle Industrieprodukte<br />

zu etablieren; für unverarbeitete Produkte <strong>der</strong> Landwirtschaft wird<br />

das Freihandelsziel bis 2008 angestrebt.<br />

Erste Resultate <strong>der</strong> AFTA zeigten sich schon 1994, als <strong>der</strong> Handel gegenüber 1993<br />

um etwa 43 Prozent gesteigert werden konnte (von 64,4 auf 92,6 Milliarden US-<br />

Dollar).<br />

1994 wurde mit dem ASEAN-Regionalforum das ARF (ASEAN Regional Forum,<br />

ARF), ein erweitertes Außenministerforum mit 21 Teilnehmern – darunter die EU,<br />

Russland, China und die USA – gegründet, das die Aufgabe einer „präventiven Diplomatie”<br />

zum Abbau von Konflikten im asiatisch-pazifischen Raum erfüllen soll.<br />

(3) Zusammenarbeit mit <strong>der</strong> EU<br />

Einer <strong>der</strong> wichtigsten Kooperationspartner <strong>der</strong> ASEAN ist die Europäische Union.<br />

Erste informelle Kontakte zwischen beiden Bündnissen kamen bereits 1972 auf Initiative<br />

des Special Coordinating Committee (Spezieller Koordinierungsausschuss) <strong>der</strong><br />

ASEAN zustande. 1978 fand in Brüssel ein erstes EU-ASEAN-Ministertreffen statt,<br />

das seither regelmäßig etwa alle 18 Monate wie<strong>der</strong>holt wird. Auf dem zweiten Ministertreffen<br />

1980 in Kuala Lumpur kam es zur Unterzeichnung einer Kooperationsvereinbarung<br />

zwischen <strong>der</strong> EU und den ASEAN-Staaten, in <strong>der</strong> die Rahmenbedingungen<br />

und Eckpunkte für engere Wirtschafts- und Handelsbeziehungen festgelegt wurden.


60<br />

Vor dem Hintergrund <strong>der</strong> allgemeinen Globalisierung und <strong>der</strong> wachsenden wirtschaftlichen<br />

und politischen Bedeutung Asiens vereinbarten die Teilnehmerstaaten<br />

auf ihrem elften EU-ASEAN-Ministertreffen 1994 eine Intensivierung des bereits seit<br />

langem bestehenden Dialogs und <strong>der</strong> Zusammenarbeit. Beide Seiten bekräftigten<br />

ihre allgemeine Verpflichtung, für die För<strong>der</strong>ung und den Respekt <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

gemäß <strong>der</strong> Allgemeinen Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

einzutreten und betonten gleichzeitig, dass Meinungsunterschiede über bestimmte<br />

Menschenrechte und <strong>der</strong>en Verwirklichung nicht zwangsläufig ein Hin<strong>der</strong>nis<br />

in <strong>der</strong> Entwicklung einer engeren politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit<br />

zwischen den beiden Regionen sein müssen.<br />

Im Februar 1996 fand in Bangkok <strong>der</strong> erste Europa-Asien-Gipfel statt, an dem neben<br />

den 15 Mitgliedsstaaten <strong>der</strong> EU sieben Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> ASEAN sowie Japan, Südkorea<br />

und China teilnahmen. Es wurde beschlossen, dass sich die Außen-, Wirtschafts-<br />

und Finanzminister bei<strong>der</strong> Regionen von nun an jedes zweite Jahr treffen<br />

sollten, um Fragen <strong>der</strong> wirtschaftlichen Zusammenarbeit zu erörtern und partnerschaftliche<br />

Projekte zu verwirklichen.<br />

Angesichts <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ungen, die die Globalisierung <strong>der</strong> Weltwirtschaft mit sich<br />

bringt, sollen die Kooperation und <strong>der</strong> politische Dialog <strong>der</strong> zwei größten Wirtschaftszentren<br />

<strong>der</strong> Erde sich auch auf die Bereiche Kultur, Erziehung, Umwelt, Wissenschaft<br />

und Technologie erstrecken und anhand verschiedener interkultureller<br />

Projekte verwirklicht werden. Hierdurch soll u. a. <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong> technologischen Kompetenz<br />

innerhalb <strong>der</strong> ASEAN erhöht werden. Als beispielhaft kann hier das JEM-<br />

Projekt (Junior EU-ASEAN Managers Exchange Programme, Austauschprogramm<br />

von Juniormanagern zwischen <strong>der</strong> EU und <strong>der</strong> ASEAN) angesehen werden, das seit<br />

November 1996 besteht.<br />

Nach <strong>der</strong> Europäischen Union ist die ASEAN heute eine <strong>der</strong> erfolgreichsten <strong>Organisationen</strong><br />

<strong>der</strong> Welt, obwohl Südostasien, geprägt von einer Vielzahl unterschiedlicher<br />

politischer Systeme und Kulturen, eine äußerst heterogene Region ist. Mit einer Gesamtbevölkerung<br />

von fast 500 Millionen Menschen gehört die ASEAN zu den wichtigsten<br />

wirtschaftlichen Wachstumszentren. So hat sich das Handelsvolumen bei-


62<br />

Für manchen Insi<strong>der</strong> galten die positiven Börsendaten von 1999 als Indiz dafür, dass<br />

sich die ASEAN-Staaten äußerlich wie<strong>der</strong> erholt haben. Verschiedene Quellen betonen<br />

jedoch, dass die strukturellen Defizite und schwelenden sozialen Konflikte dadurch<br />

nicht behoben sind. Strukturwandel und Restrukturierung bedeuten in <strong>der</strong><br />

südostasiatischen Region vor allem fallende Löhne (in Indonesien um ein Drittel),<br />

Arbeitsplatzverlust und Rückfall in die Verelendung. Die Län<strong>der</strong> <strong>der</strong> ASEAN werden<br />

noch viele Jahre brauchen, um sich von Grund auf zu konsolidieren und bedürfen<br />

dazu internationaler Strategien und <strong>der</strong> Unterstützung <strong>der</strong> gesamten Weltwirtschaft.<br />

g. Der Mercado comun del sur<br />

aa. Entstehungsgeschichte<br />

Der Mercado comun del sur (Mercosur) ist vom Vorbild <strong>der</strong> Europäischen Gemeinschaft<br />

geprägt. Am 26. März 1991 unterzeichneten Argentinien, Brasilien, Paraguay<br />

und Uruguay den Vertrag von Asunción, mit dem <strong>der</strong> Mercosur gegründet wurde.<br />

1996 wurde Chile als assoziiertes Mitglied, und 1997 Bolivien mit dem selben Status<br />

in den Mercosur aufgenommen. Mit beiden Staaten wurden Programme zur Handelsliberalisierung<br />

vereinbart, welche durch den progressiven Abbau von Zollschranken<br />

und nichttarifären Handelshemmnissen nach Ablauf von 10 Jahren in die Verwirklichung<br />

einer Freihandelszone münden sollen.<br />

Mit Chile und Bolivien beträgt die geographische Ausdehnung des Mercosur 14,47<br />

Mio. qkm und stellt mit über 230 Mio. Einwohnern mehr als 45% <strong>der</strong> Bevölkerung<br />

Lateinamerikas dar.<br />

bb. Organisation<br />

(1) Consejo del Mercado Común<br />

ist das oberstes Organ des Mercosur. Er setzt sich aus den Außen- und Wirtschaftsministern<br />

sowie aus den Präsidenten <strong>der</strong> Zentralbanken <strong>der</strong> Mitgliedstaaten<br />

zusammen und entscheidet grundsätzlich im Konsens. Ihm obliegt die politische Lei-


63<br />

tung des Integrationsprozesses, das heißt er trifft die nötigen Entscheidungen für die<br />

Verwirklichung <strong>der</strong> vertraglichen Ziele und kontrolliert ihre Umsetzung. Wie in <strong>der</strong> EU<br />

wechselt <strong>der</strong> Vorsitz im Rat alle sechs Monate. Mindestens einmal im Jahr tritt <strong>der</strong><br />

Rat unter Beteiligung <strong>der</strong> Staatspräsidenten zusammen.<br />

(2) Die Gruppe des gemeinsamen Marktes (Grupo Mercado Común- GMC)<br />

ist das Exekutivorgan des Mercosur. <strong>Das</strong> 16-köpfige Gremium setzt sich aus je 4<br />

Vertretern eines jeden Mitgliedsstaates zusammen (Vertreter des Wirtschafts-, und<br />

Außenministeriums sowie <strong>der</strong> Vorstand <strong>der</strong> Zentralbank). Die Gruppe hat das Initiativrecht,<br />

aber keine Entscheidungskompetenz. Zu seinen Aufgaben gehören:<br />

- die Ausführung <strong>der</strong> Entscheidungen des Rats,<br />

- die Gewährleistung des Vollzugs <strong>der</strong> Abkommen,<br />

- Vorschläge von Maßnahmen zur Durchführung <strong>der</strong> Handelsliberalisierung, <strong>der</strong> wirtschaftspolitischen<br />

Koordination sowie zur Aushandlung von Abkommen mit Drittlän<strong>der</strong>n.<br />

Zur Unterstützung ihrer Arbeit kann diese Institution Arbeitsgruppen einrichten, die in<br />

ihren spezifischen Fel<strong>der</strong>n Empfehlungen aussprechen können.<br />

(3) <strong>Das</strong> ständige Sekretariat <strong>der</strong> Gruppe<br />

(Secretaría Administrativa del Mercosur - SAM)<br />

hat seinen Sitz in Montevideo. Dieses Organ hat die Aufgabe, die an<strong>der</strong>en Institutionen<br />

des Mercosur operativ zu unterstützen und ist zuständig für Veröffentlichungen<br />

und Information über den Mercosur.<br />

(4) Die Handelskommission des Mercosur (Comisión de Comercio del Mercosur -<br />

CCM)<br />

wurde im Protokoll von Ouro Preto als Hilfsorgan <strong>der</strong> Gruppe des gemeinsamen<br />

Marktes konzipiert. Ihre Aufgaben sind die Kontrolle <strong>der</strong> Anwendung <strong>der</strong> gemeinsamen<br />

handelspolitischen Instrumente und die Ausarbeitung von Vorschlägen in bezug<br />

auf die gemeinsame Wirtschaftspolitik.<br />

(5) <strong>Das</strong> Wirtschafts- und Sozial – Konsultativforum (Foro Consultivo Económico y<br />

Social - FCES)<br />

sind die verschiedenen wirtschaftlichen und sozialen Sektoren <strong>der</strong> einzelnen Mit-


64<br />

gliedsstaaten repräsentiert. Durch seine Empfehlungen an die Gruppe des gemeinsamen<br />

Marktes werden die Vorschläge des privaten Sektors (Gewerkschaften, Unternehmerverbände,<br />

Kammern etc.) kanalisiert.<br />

(6) Die Gemeinsame Parlamentarische Kommission (Comisión Parlamentaria Conjunta-CPC)<br />

ist das Repräsentativorgan <strong>der</strong> Parlamente <strong>der</strong> Mitgliedstaaten des Mercosur. Sie<br />

richtet Empfehlungen an den Rat des gemeinsamen Marktes und stellt somit ein Instrument<br />

zur Beteiligung <strong>der</strong> nationalen Parlamente am Integrationsprozeß dar.<br />

cc. Aufgaben:<br />

Der Mercosur soll im Wesentlichen folgende Aufgaben erfüllen:<br />

- Freier Verkehr von Gütern, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren zwischen<br />

den 4 Mitgliedstaaten. Dieses Ziel soll unter an<strong>der</strong>em durch die Beseitigung aller<br />

Zölle und sonstiger Beschränkungen sowie von Maßnahmen gleicher Wirkung erreicht<br />

werden.<br />

- ein gemeinsamer Außenzoll und eine gemeinsame Handelspolitik gegenüber Drittstaaten<br />

- Koordinierung <strong>der</strong> makroökonomischen und sektoralen Politiken zwischen den Mitgliedslän<strong>der</strong>n<br />

(Außenwirtschafts-, Zoll-, Agrar-, Steuer-, Währungs-, Verkehrs-, und<br />

Industriepolitik)<br />

- die <strong>Recht</strong>sharmonisierung, vor allem im Bereich des gewerblichen <strong>Recht</strong>sschutzes<br />

Der Vertrag von Asunción legte eine Übergangsphase für die Vorbereitung <strong>der</strong> Freihandelszone<br />

fest, welche bis zum 31.12.1994 verwirklicht werden sollte. Hierzu wurde<br />

ein sogenanntes Handelserleichterungsprogramm (Programa de Liberación Comercial)<br />

beschlossen, das eine schrittweise, lineare und automatische Reduzierung<br />

<strong>der</strong> Zölle und nicht-tarifären Handelshemmnisse vorsah. Die ersten Zollsenkungen<br />

im Rahmen dieses Programmes erfolgten zum 30. Juni 1991. Die vollständige Eliminierung<br />

<strong>der</strong> internen Handelshemmnisse sollten im Falle von Brasilien und Argenti-


65<br />

nien bis zum 31.12.1994, im Falle von Paraguay und Uruguay bis zum 31.12. 1995<br />

vollzogen sein. Mit diesem Konzept <strong>der</strong> zwei Geschwindigkeiten wurde <strong>der</strong> unterschiedlichen<br />

Ausgangslage <strong>der</strong> beteiligten Volkswirtschaften Rechnung getragen.<br />

Am 1.1.1995 war, in Übereinstimmung mit dem Vertrag von Asunción, die Vorgabe<br />

des zollfreien Verkehrs von Gütern innerhalb des Mercosur zu einem Großteil realisiert.<br />

Die Schaffung <strong>der</strong> Freihandelszone konnte damals trotz <strong>der</strong> bestehenden, sukzessive<br />

abzubauenden Ausnahmeregelungen als vollendet betrachtet werden. Heute<br />

können bis auf die Sektoren Zucker und Automobil können alle Waren im Mercosur<br />

zollfrei gehandelt werden.<br />

Mit den Beschlüssen von Buenos Aires (August 1994) und Ouro Preto (Dezember<br />

1994) wurde <strong>der</strong> normative Rahmen, <strong>der</strong> die zukünftige Verwirklichung des Mercosur<br />

in seiner handelspolitischen Dimension regeln sollte, weitestgehend vervollständigt.<br />

Die Mitgliedstaaten bilden seit dem 1.1.1995 offiziell eine Zollunion. In bezug auf diese<br />

Union wurde eine Serie von Maßnahmen mit dem Ziel beschlossen, die Handelspolitik<br />

des Mercosur gegenüber Drittstaaten zu harmonisieren. Die Basis <strong>der</strong> Union<br />

ist <strong>der</strong> durch den Rat von Buenos Aires festgelegte gemeinsame Außenzoll (Arancel<br />

Externa Común-AEC).<br />

Seit dem 01. Januar 2000 existieren im Binnenhandel des Mercosur keine Zollschranken<br />

mehr, das heißt, alle Güter zwischen Argentinien, Brasilien, Paraguay<br />

und Uruguay werden zollfrei gehandelt. Ausnahmen bilden lediglich die beiden Sektoren<br />

Zucker und Automobil, für die es jeweils spezifische Regelungen gibt.<br />

g. Die European Free Trade Association (EFTA)<br />

Gegründet 1960 von Staaten Westeuropas, die nicht Mitglied <strong>der</strong> EWG sein wollten<br />

o<strong>der</strong> konnten. Heute hat sie nach <strong>der</strong> Erweiterung <strong>der</strong> EG noch vier Mitglie<strong>der</strong>:<br />

Liechtenstein, Island, Norwegen und die Schweiz. Ziel war die Beseitigung von Zöllen<br />

und Handelshemmnissen zwischen den Mitglie<strong>der</strong>n. Seit 1973 gibt es auch Freihandelsabkommen<br />

mit <strong>der</strong> EG. Sie wurden 1992 ergänzt um das Abkommen über<br />

den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), dem alle Mitglie<strong>der</strong> außer <strong>der</strong> Schweiz


66<br />

beitraten. Dadurch wurde ein Wirtschaftsbinnenraum vgl. <strong>der</strong> EG geschaffen, ohne<br />

dass die EFTA Mitglie<strong>der</strong> in die Organisationsstruktur <strong>der</strong> EG einbezogen wurden.<br />

Die Grundfreiheiten des EGV gelten auch um EWR.<br />

4. Entwicklungshilfeorganisationen:<br />

a. Die Weltbank<br />

Sie wurde, wie <strong>der</strong> IWF, auf <strong>der</strong> Konferenz von Bretton Woods geschaffen. Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Weltbank können nur solche Staaten sein, die zugleich Mitglie<strong>der</strong> des IWF<br />

sind. Sie finanziert sich hauptsächlich aus Beiträgen kapitalkräftiger Mitglie<strong>der</strong>. Die<br />

Weltbank besteht aus mehreren Einzelorganisationen, <strong>der</strong><br />

(1) <strong>Internationalen</strong> Bank für Wie<strong>der</strong>aufbau und Entwicklung (IBRD): die eigentliche<br />

Weltbank. Gegründet 1944. Ihre Hauptaufgabe ist die Bereitstellung von Krediten für<br />

Entwicklungsvorhaben an solche Län<strong>der</strong>, die ihre wirtschaftliche Entwicklung durch<br />

konkrete Projekte vorantreiben wollen. För<strong>der</strong>ungsschwerpunkte sind Projekte im<br />

Transportsektor, in <strong>der</strong> Land- und Forstwirtschaft und die allgemeine För<strong>der</strong>ung des<br />

industriellen Aufbaus. Sie hat zur Zeit 181 Mitglie<strong>der</strong>.<br />

(2) Die Internationale Entwicklungsorganisation (IDA): Gegründet 1960. Sie hat 125<br />

Mitglie<strong>der</strong>: Hauptziel ist die Gewährung von Krediten an solche Staaten, die so arm<br />

sind, dass sie auf dem Kapitalmarkt o<strong>der</strong> zu den üblichen Bedingungen <strong>der</strong> Weltbank<br />

keine Kredite aufnehmen können. Die Kredite <strong>der</strong> IDA sind unverzinslich und<br />

haben eine Laufzeit von 50 Jahren. Zweck <strong>der</strong> Kredite ist in aller Regel die Grundversorgung<br />

<strong>der</strong> Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Medikamenten. Hauptschuldner<br />

sind Indien, China, Bangladesh, Pakistan, Ghana, Tansania, Kenia, Uganda,<br />

Äthiopien und Sri Lanka.<br />

(3) Die Internationale Finanzkorporation (IFC): gegründet 1956, 119 Mitglie<strong>der</strong>. Sie<br />

hat die Aufgabe, private Entwicklungsvorhaben zu finanzieren, was <strong>der</strong> Weltbank<br />

selbst verboten ist. Sie beteiligt sich häufig am Kapital privater Unternehmungen.<br />

(4) Die Multilaterale Investitionsgarantie Agentur (MIGA):gegründet 1985, 135 Mit-


67<br />

glie<strong>der</strong>. Sie för<strong>der</strong>t private Investitionen in Entwicklungslän<strong>der</strong>n durch Versicherungen<br />

und sonstige Risikoübernahmeverträge. Versichert werden das (a) Transferrisiko,<br />

also <strong>der</strong> Umtausch <strong>der</strong> Währung des Gastlandes in ein frei verwendbare Währung;<br />

- <strong>Das</strong> Enteignungsrisiko, bei einem weiten Enteignungsbegriff, erfasst werden auch<br />

gesetzliche o<strong>der</strong> administrative Unterlassungen zum Schutz des Eigentums, nicht<br />

aber sog. schleichende Enteignungen, also Maßnahmen, die sich im üblichen Rahmen<br />

zur Regelung <strong>der</strong> Wirtschaft halten<br />

- <strong>Das</strong> Vertragsverletzungsrisiko: Risiko <strong>der</strong> Nichtanerkennung o<strong>der</strong> Verletzung eines<br />

Vertrages im Gastland. Allerdings gilt die Ausnahme <strong>der</strong> local remedies rule.<br />

- <strong>Das</strong> Militärisches Risiko: Schäden durch militärische Handlungen aber auch durch<br />

zivile Unruhen.<br />

Sitz aller Einrichtungen ist Wahshington D.C.<br />

bb. Organe: - Gouverneursrat und Exekutivdirektorium: vgl. IWF<br />

b. Die Konferenz <strong>der</strong> Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung<br />

(UNCTAD). Sie geht auf einen Beschluss des Wirtschafts- und Sozialrats aus dem<br />

Jahr 1962 zurück. Sie ist 1964 durch Beschluss zu einem ständigen Organ <strong>der</strong> Vollversammlung<br />

<strong>der</strong> Vereinten Nationen geworden. Oberstes Organ ist die Konferenz<br />

aller Mitgliedstaaten. Bisher hat es neun UNCTAD Konferenzen gegeben. Die letzte<br />

Konferenz fand 2000 in Bangkok statt. Die UNCTAD hat 188 Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Ihre Aufgaben sind:<br />

- För<strong>der</strong>ung des internationalen Handels insbeson<strong>der</strong>e zwischen Län<strong>der</strong>n unterschiedlicher<br />

Entwicklungsgrade<br />

- Formulierung von Grundsätzen hinsichtlich des Handels im Hinblick auf die<br />

wirtschaftliche Entwicklung


68<br />

- Vorschläge zur Umsetzung dieser Grundsätze<br />

- Koordinierung <strong>der</strong> Tätigkeit an<strong>der</strong>er UN Einrichtungen auf diesem Gebiet und<br />

Zusammenarbeit mit dem Wirtschafts- und Sozialrat und <strong>der</strong> Vollversammlung.<br />

- Zentrum für die Harmonisierung des Handels für die einzelnen Staaten und<br />

die regionalen Wirtschaftsorganisationen.<br />

Daneben gibt es als permanentes Organ seit 1995 einen Handels- und Entwicklungsrat,<br />

<strong>der</strong> die Entschließungen <strong>der</strong> Konferenz durchsetzt. Er besteht aus 144 Mitglie<strong>der</strong>n.<br />

Er wirkt als Vorbereitungsgremium für die Konferenzen. Er verfügt auch<br />

über ein eigenes Sekretariat, an dessen Spitze ein Generalsekretär steht.<br />

Beson<strong>der</strong>e Bedeutung hat die UNCTAD auf dem Gebiet des Rohstoffhandels. Dort<br />

hat sie in Vollzug eines gemeinsamen Programms für die Rohstoffe einen multilateralen<br />

Vertrag für 18 Rohstoffe aufgelegt. Außerdem ist 1980 ein gemeinsamer Fonds<br />

für Rohstoffe gegründet worden mit Sitz in Amsterdam, um dieses Abkommen umzusetzen.<br />

Zur Zeit gibt es 109 Mitglie<strong>der</strong>. Der Fonds hat zwei sog. Schalter. Schalter<br />

1 mit einem Volumen von 400 Mill. $ hat die Aufgabe, als Haftungskapital für<br />

Geschäfte auf dem Rohstoff- o<strong>der</strong> dem Kapitalmarkt zu dienen. Schalter 2 mit einem<br />

Kapital von 350 Mill. $ dient <strong>der</strong> Finanzierung von Forschung, Entwicklung,<br />

Produktivitätssteigerung und Vermarktung auf diesem Sektor.<br />

cc. Die Organisation <strong>der</strong> Vereinten Nationen für Industrielle Entwicklung<br />

(UNIDO). Sie wurde durch eine Resolution <strong>der</strong> Generalversammlung als Son<strong>der</strong>organisation<br />

<strong>der</strong> UNO geschaffen. Sie soll die Industrialisierung <strong>der</strong> Entwicklungslän<strong>der</strong><br />

för<strong>der</strong>n. Ihre Organe sind <strong>der</strong> Verwaltungsrat, <strong>der</strong> einmal jährlich zusammentritt<br />

und Aktionsprogramme entwickelt. Außerdem gibt es eine Generalkonferenz, die als<br />

permanentes Organ konzipiert ist und die die Industrialisierungsprogramme in <strong>der</strong><br />

Dritten Welt koordinieren soll sowie ein Sekretariat.


69<br />

5. Verkehrsorganisationen:<br />

Zu nennen sind insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Weltpostverein, als Son<strong>der</strong>organisation <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen, <strong>der</strong> den freien Verkehr von Briefsendungen in allen Mitgliedstaaten<br />

garantiert, die Internationale Fernmelde-Union, ebenfalls eine Son<strong>der</strong>organisation<br />

<strong>der</strong> UNO, welche die weltweite Nachrichtenübermittlung durch die Kommunikationsmedien<br />

(Fernsprecher, Telegraphie, Funk) ermöglicht, das Zentralamt für den <strong>Internationalen</strong><br />

Eisenbahnverkehr, das die Einhaltung des <strong>Internationalen</strong> Übereinkommens<br />

über den Einsenbahnfrachtverkehr, sowie des Übereinkommens über den<br />

Eisenbahnpersonen- und Gepäckverkehr überwacht und die <strong>Internationalen</strong> Flusskommissionen,<br />

für den Schiffsverkehr auf dem Rhein, <strong>der</strong> Donau und <strong>der</strong> Mosel,<br />

sowie die Internationale Seeschifffahrtsorganisation und die Internationale Zivilluftfahrtorganisation.<br />

6. <strong>Organisationen</strong> zur friedlichen Nutzung <strong>der</strong> Kernenergie:<br />

Neben <strong>der</strong> Europäischen Atomgemeinschaft, die Teil <strong>der</strong> Organisation <strong>der</strong> Europäischen<br />

Gemeinschaften ist, ist insbeson<strong>der</strong>e die Internationale Atomenergiebehörde<br />

(IAEA) zu nennen. Sie wurde am 26.10.1956 als Son<strong>der</strong>organisation <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen errichtet. Ihre Aufgaben sind die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Erforschung, Entwicklung<br />

und praktischen Anwendung <strong>der</strong> Atomenergie für friedliche Zwecke. Außerdem<br />

kontrolliert sie die Einhaltung des 1970 in kraft getretenen Atomwaffensperrvertrages,<br />

dem 169 Staaten auf <strong>der</strong> Welt beigetreten sind. In diesem Vertrag<br />

verpflichten sich diejenigen Staaten, die nicht über Kernwaffen verfügen, solche<br />

nicht zu erwerben o<strong>der</strong> herzustellen und die Atommächte verpflichten sich, solche<br />

Kernwaffen nicht weiterzuverbreiten.<br />

Organe <strong>der</strong> IAEA sind die Generalkonferenz, die aus Vertretern aller Mitglie<strong>der</strong> besteht,<br />

und einmal im Jahr im Wien tagt. Sie ist für die Erfüllung <strong>der</strong> Aufgaben <strong>der</strong><br />

IAEA verantwortlich. Daneben gibt es einen Gouverneursrat, <strong>der</strong> die laufenden Verwaltungsaufgaben<br />

wahrnimmt.<br />

7. Umweltschutzorganisationen:


70<br />

a. Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Einrichtung <strong>der</strong> Schifffahrtskommissionen ist 1961<br />

zwischen Frankreich, Luxemburg und <strong>der</strong> Bundesrepublik die Einrichtung einer<br />

Kommission zum Schutz <strong>der</strong> Mosel gegen Verunreinigungen, 1963 zwischen<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik, Frankreich, Luxemburg, den Nie<strong>der</strong>landen und <strong>der</strong> Schweiz die<br />

Einrichtung einer Kommission zum Schutz des Rheins gegen Verunreinigungen<br />

und 1990 zwischen <strong>der</strong> Bundesrepublik, <strong>der</strong> Tschechischen Republik und <strong>der</strong> Europäischen<br />

Gemeinschaft die Einrichtung einer Kommission zum Schutz <strong>der</strong> Elbe<br />

vereinbart worden.<br />

b. <strong>Das</strong> UN-Environment Programme (UNEP). Die UNEP wurde 1972 als Son<strong>der</strong>organisation<br />

<strong>der</strong> UNO gegründet. Sie hat die Aufgabe, die Aktivitäten <strong>der</strong> UNO und<br />

zahlreicher nichtstaatlicher <strong>Organisationen</strong> (NGO´s) wie des International Council<br />

for Environmental Law (ICEL) und <strong>der</strong> International Union for the Conservation<br />

of Nature (IUCN) zu koordinieren. Die UNEP hat 136 Mitglie<strong>der</strong>. Ihre Organe sind<br />

<strong>der</strong> Verwaltungsrat, bestehend aus 58 von <strong>der</strong> UN-Generalversammlung gewählten<br />

Mitglie<strong>der</strong>n und ein Sekretariat. Ihr Sitz ist Nairobi. Sie hat ihren Aufgabenkreis vor<br />

allem durch den Abschluss des Montrealer Vertrages zum Schutz <strong>der</strong> Ozonschicht<br />

(in kraft seit 1989) auf den Kampf gegen den sog. Treibhauseffekt konkretisiert. Zu<br />

nennen ist auch das Basler Abkommen über die grenzüberschreitende Verbringung<br />

gefährlicher Abfälle von 1989, dem 119 Parteien beigetreten sind. 1978 hat die<br />

UNEP unverbindliche Richtlinien zur Nutzung <strong>der</strong> Umwelt erlassen. Grundlegendes<br />

Prinzip ist das equitable apportionment, was bedeutet, das je<strong>der</strong> Staat einen gleichen<br />

Anteil an jedem Umweltmedium haben soll. Es hat sich im Wasserrecht durchgesetzt,<br />

ist aber sonst umstritten.<br />

2 Teil. Der Aufbau und die Aufgaben internationaler <strong>Organisationen</strong> am Beispiel<br />

<strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

A. Die Ziele <strong>der</strong> Vereinten Nationen (Art.1 UN-Charta)<br />

I. Die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit:


71<br />

Dabei handelt es sich um das hauptsächliche Ziel <strong>der</strong> Vereinten Nationen. Die Begriffe<br />

internationaler Frieden (nicht Weltfrieden) und internationale Sicherheit werden<br />

noch an mehreren an<strong>der</strong>en Stellen in <strong>der</strong> Charta verwendet, so in Art.11 UN-<br />

Charta, wo die Aufgaben <strong>der</strong> Generalversammlung umschrieben werden, in Art.24<br />

UN-Charta, <strong>der</strong> die Aufgaben des Sicherheitsrates umschreibt, in Art.33 UN-Charta,<br />

<strong>der</strong> die Ziele von Kapitel VI. UN-Charta, das System <strong>der</strong> friedlichen Beilegung von<br />

Streitigkeiten festlegt, in Art.39 UN-Charta, <strong>der</strong> die tatbestandlichen Voraussetzungen<br />

für Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII festlegt, in Art.51 UN-Charta zur Beschreibung<br />

von organisationsrechtlichen Grenzen des Selbstverteidigungsrechts, in<br />

Art.52 UN-Charta zur Beschreibung <strong>der</strong> Aufgaben regionaler Abmachungen und Einrichtungen<br />

und in Art.106 UN-Charta als Beschreibung <strong>der</strong> Ziele von Aktionen <strong>der</strong><br />

Großmächte außerhalb des VII. Kapitels. Damit durchzieht dieses Begriffspaar als<br />

Maxime zulässiger Aktionen <strong>der</strong> dort genannten Akteure die gesamte Charta und<br />

prägt <strong>der</strong>en Aufgaben in maßgeblicher Art und Weise.<br />

Die Charta erklärt an keiner Stelle ausdrücklich, was internationaler Friede und was<br />

internationale Sicherheit bedeuten. Insbeson<strong>der</strong>e wird nicht deutlich, ob es einen<br />

Unterschied zwischen diesen beiden Zielen gibt. Die Organe <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

verwenden diese Begriffe häufig synonym. Insbeson<strong>der</strong>e Generalversammlung und<br />

Sicherheit nehmen, wenn sie Maßnahmen ergreifen zu <strong>der</strong>en <strong>Recht</strong>fertigung meist<br />

darauf Bezug, dass eine Gefahr für den Fortbestand (z.B. Art.33), eine Bedrohung<br />

o<strong>der</strong> ein Bruch des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit (Art.39) vorliegen.<br />

Die Generalversammlung hat in ihrer berühmten Resolution 2625 (XXV) v.<br />

24.10.1970 "friendly relations declaration" dies bestätigt. Diese Resolution ist im<br />

Konsensusverfahren zustande gekommen und gilt als authentische Interpretation<br />

aller Mitgliedstaaten über den Inhalt <strong>der</strong> zentralen Prinzipien <strong>der</strong> Charta. Dabei stellt<br />

die Generalversammlung zusätzlich einen Zusammenhang zwischen internationalem<br />

Frieden und Sicherheit und dem Prinzip <strong>der</strong> Gerechtigkeit her. Allerdings wird dieser<br />

Bezug auf die Gerechtigkeit, <strong>der</strong> auf Grundsätze außerhalb des geltenden Völkerrechts<br />

verweist, vgl. Art.1 (1) Grundsätze des Völkerrechts und <strong>der</strong> Gerechtigkeit<br />

nicht näher präzisiert. In <strong>der</strong> friendly relations declaration selbst fügt er dem aus den<br />

Prinzipien des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit ableitbaren <strong>Recht</strong>sfolgen


72<br />

nichts hinzu.<br />

In <strong>der</strong> Literatur wird häufig behauptet, dass es einen weiten und einen engen Friedensbegriff<br />

gäbe und dass nur <strong>der</strong> enge Friedensbegriff einen direkten Zusammenhang<br />

mit <strong>der</strong> internationalen Sicherheit aufweise. Dieser enge, negative Friedensbegriff,<br />

wie er insbeson<strong>der</strong>e auch in Art.33, 39, 51 und Art.106 UN-Charta Verwendung<br />

finde, meine vor allem die Abwesenheit von Gewaltanwendung zwischen den<br />

Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Vereinten Nationen und verweise damit auf das Gewaltverbot des<br />

Art.2 (4) UN-Charta. Diese enge Definition werde zwar in neuerer Zeit aufgelockert,<br />

indem darunter auch Vorgänge in einem Staat also nicht nur Konflikte zwischen<br />

Staaten fielen. Auch werde dieser Friedensbegriff zunehmend mit Aspekten außerhalb<br />

des Gewaltverbots, wie etwa dem Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Völker und den<br />

Menschenrechten verknüpft. Einzelheiten dazu im Zusammenhang mit Art.2 (4) und<br />

Art.39 UN-Charta. Allerdings wird diese Ausweitung des engen Friedensbegriffs in<br />

<strong>der</strong> Literatur für problematisch erachtet.<br />

Der weite, positive Friedensbegriff, <strong>der</strong> ebenfalls in Art.1 UN-Charta angelegt sei,<br />

verweise auf die übrigen in Art.1 Paragraph 2 und 3 UN-Charta genannten Ziele.<br />

Dies sind die Herbeiführung freundschaftlicher, auf <strong>der</strong> Achtung <strong>der</strong> Gleichberechtigung<br />

und dem Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Völker beruhende Beziehungen zwischen<br />

den Staaten, sowie die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> internationalen Zusammenarbeit zur<br />

Lösung wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Ziele durch Achtung <strong>der</strong><br />

Menschenrechte und Grundfreiheiten.<br />

Eine solche Unterscheidung ist in dieser abstrakten Form wenig ergiebig. Die in Paragraph<br />

2 und 3 genannten Ziele haben sicherlich eine <strong>der</strong> Bewahrung des internationalen<br />

Friedens dienende Funktion, wie sich auch aus dem Nachsatz von Paragraph<br />

2 ergibt. Sie sind deshalb legitime Ziele <strong>der</strong> Vereinten Nationen, die in einem<br />

engen Zusammenhang mit <strong>der</strong> Friedenssicherung stehen. Sie beschreiben das<br />

Hauptziel <strong>der</strong> Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit jedoch<br />

nicht unmittelbar.<br />

Wichtig ist es zu erkennen, dass nach dem Text von Art.1 UN-Charta nur die Erreichung<br />

des Hauptziels <strong>der</strong> Wahrung des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit,


73<br />

die Ergreifung <strong>der</strong> in Art.1 (1) UN-Charta genannten wirksamen Kollektivmaßnahmen<br />

rechtfertigt. Deshalb können die daneben genannten Ziele nach dem Wortlaut<br />

von Art.1 nicht unmittelbar im Rahmen <strong>der</strong>jenigen Regelungen zum tragen kommen,<br />

die diese Kollektivmaßnahmen zum Gegenstand haben. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e für<br />

die Regelungen des VI, des VII. und des VIII. Kapitels soweit sie solche Maßnahmen<br />

betreffen.<br />

Insbeson<strong>der</strong>e das in Art.1 (2) genannte Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Völker kann<br />

nach dem textlichen Befund von Art.1 UN-Charta nicht ohne weiteres im Rahmen<br />

dieser Regelungen wirksam werden. Sein Inhalt blieb bei <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> Charta<br />

umstritten. Teilweise wurde es als ein die ebenfalls in Art.1 (2) genannte Gleichberechtigung<br />

<strong>der</strong> Staaten unterstützendes <strong>Recht</strong> verstanden. Mit Gleichberechtigung<br />

ist die in Art.2 (1) genannte souveräne Gleichheit <strong>der</strong> Staaten gemeint. So verstanden,<br />

ist das Selbstbestimmungsrecht ein <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Staaten im internationalen Verkehr.<br />

Es unterstützt das Prinzip <strong>der</strong> Gleichheit in dem Sinne, dass den Staaten die<br />

innere und äußere Selbstbestimmung als wesentliche materielle Grundlage ihrer<br />

Souveränität zugesprochen wird. Dafür spricht, dass Art.1 (2) UN-Charta als Ziel<br />

freundschaftliche Beziehungen zwischen den Nationen nennt. Mit dem Begriff Nationen<br />

bezeichnet die Charta an dieser Stelle die Staaten als die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Organisation.<br />

Dagegen waren an<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Auffassung, dass als Träger des Selbstbestimmungsrechts<br />

die Völker genannt werden, weshalb dieses <strong>Recht</strong> nicht den<br />

Staaten, son<strong>der</strong>n den Völkern <strong>der</strong> Staaten zustehe. Insbeson<strong>der</strong>e in ethnisch nicht<br />

homogen zusammengesetzten Staaten könne deshalb das Selbstbestimmungsrecht<br />

nicht als <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Staaten son<strong>der</strong>n nur als ethnischer Gruppen verstanden werden.<br />

Diese Auffassung entspricht zwar nicht dem Wortlaut <strong>der</strong> Charta, da ausweislich <strong>der</strong><br />

Präambel die Völker ebenfalls mit den Staaten in eins gesetzt werden. Dort ist von<br />

den Völkern <strong>der</strong> Vereinten Nationen die Rede, die zur Erreichung <strong>der</strong> Ziele <strong>der</strong> Charta<br />

zusammenwirken. Da die Völker aber bei <strong>der</strong> Gründung einer internationalen Organisation<br />

nicht handlungsfähig sind, kann mit dem Verweis auf die Völker, <strong>der</strong>en<br />

Regierungen die Charta verabschieden, nur <strong>der</strong> Bezug zu den sie repräsentierenden


74<br />

Staaten gemeint sein.<br />

Allerdings ist das Selbstbestimmungsrecht als ein <strong>Recht</strong> von Volksgruppen in einem<br />

Staat insbeson<strong>der</strong>e im Entkolonialisierungsprozess durch die Generalversammlung<br />

in <strong>der</strong> für die weitere Entwicklung <strong>der</strong> Vereinten Nationen außerordentlich bedeutsamen<br />

Res. 1514 (XV) vom Dezember 1960 dahingehend präzisiert worden, dass<br />

die Völker von Kolonien eigene <strong>Recht</strong>e gegenüber dem Mutterland haben sollen.<br />

Diese sind, wie sich auch aus Art.73 (nicht selbstverwaltete Gebiete) und Art.76 UN-<br />

Charta (Treuhandsystem) ergibt, auf die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Selbstverwaltung dieser Völker<br />

und letztlich nach <strong>der</strong> Auffassung <strong>der</strong> Generalversammlung auf <strong>der</strong>en Entlassung<br />

in die staatliche Unabhängigkeit gerichtet. Dies ist heute unumstritten.<br />

Über den engen Bereich <strong>der</strong> Entkolonialisierung hinaus ist das Selbstbestimmungsrecht<br />

jedoch bis heute umstritten, weil we<strong>der</strong> dessen Träger noch <strong>der</strong> Inhalt daraus<br />

abzuleiten<strong>der</strong> <strong>Recht</strong>sfolgen eindeutig bestimmt sind. Bezüglich seines Trägers ist bis<br />

heute nicht klar, anhand welcher Kriterien eine Volksgruppe definiert werden kann.<br />

Sind dies nur ethnische Gesichtpunkte im engeren Sinne, also die Unterscheidbarkeit<br />

nach Hautfarbe, Körperkonstitution etc. o<strong>der</strong> auch religiöse, kulturelle und<br />

sprachliche Gesichtspunkte (Belgien: Sprachenstreit zwischen Flamen und Wallonen).<br />

Noch größere Unsicherheit herrscht über die materiellrechtlichen Inhalte des Selbstbestimmungsrechts.<br />

Ist es ein <strong>Recht</strong> auf Beachtung völkischer Beson<strong>der</strong>heiten in<br />

einem Staatverband durch Gewährung individuellen und kollektiven Min<strong>der</strong>heitenschutzes<br />

(Bundesrepublik: Bevorzugung <strong>der</strong> Dänen und Sorben im Wahlsystem,<br />

5% Klausel, religiöse Toleranz durch Grundrechtsschutz und die Zulassung unterschiedlicher<br />

Religionsgemeinschaften, Zulassung konfessioneller Schulen, mehrere<br />

Landessprachen wie in Belgien, Irland und dem Vereinigten Königreich etc). Verlangt<br />

es die Gewährung von Autonomie durch die Ausbildung fö<strong>der</strong>aler Strukturen in einem<br />

Staat (Belgien, auch Nordirland, Korsika und Sardinien) o<strong>der</strong> geht es sogar so<br />

weit, dass es zur Abspaltung von Volksgruppen aus einem Staatsverband berechtigt.<br />

Dieser letzte Inhalt wurde bisher außerhalb des Entkolonialisierungsprozesses verworfen,<br />

weil dadurch <strong>der</strong> friedensstiftende status quo <strong>der</strong> Staatengemeinschaft in


75<br />

Frage gestellt würde. <strong>Das</strong> Selbstbestimmungsrecht würde zu einem Sprengsatz, <strong>der</strong><br />

eine Vielzahl auch militärischer Konflikte heraufbeschwören würde (Jugoslawien).<br />

Allerdings zeigt insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Jugoslawienkonflikt, dass die Staatengemeinschaft<br />

auch diesem Punkt in neuerer Zeit Konzessionen macht.<br />

Bezüglich <strong>der</strong> Menschenrechte ist die Situation an<strong>der</strong>s. Die UN-Charta enthält in<br />

Art.1 Abs.3 und Art.55 c einen Bezug zu den Menschenrechten. Diese Vorschriften<br />

wenden sich zwar nur an die Organisation, enthalten also keine Verpflichtungen <strong>der</strong><br />

Staaten. Allerdings verpflichtet Art.56 UN-Charta die Mitglie<strong>der</strong> gemeinsam und je<strong>der</strong><br />

für sich mit <strong>der</strong> Organisation zusammenzuarbeiten, um die Menschenrechte zu<br />

för<strong>der</strong>n. Diese Pflicht zur Zusammenarbeit war zunächst nur als eine politisch wirksame<br />

Kooperationspflicht angesehen worden, die zudem wegen des Wortlauts von<br />

Art.55 UN-Charta in den Dienst <strong>der</strong> Wahrung des Friedens zwischen den Staaten<br />

gestellt wurde und nicht als Selbstzweck konzipiert war. Dahinter steht die alte Idee<br />

von Kant, dass Staaten, welche die Menschenrechte schützen, friedlich sind.<br />

Der zunächst nur politische Charakter <strong>der</strong> Menschenrechte wird auch aus <strong>der</strong> Allgemeinen<br />

Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte <strong>der</strong> Generalversammlung von 1948 deutlich.<br />

Sie enthält einen Katalog klassischer Menschenrechte, ist jedoch sowohl wegen<br />

ihrer Form wie ihres Inhalts rechtlich unverbindlich. Als Resolution <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

hat sie gemäß Art.10 UN-Charta nur empfehlenden Charakter. In ihrer<br />

Präambel werden die Menschenrechte zudem lediglich als das „von allen Völkern<br />

und Nationen zu erreichende Ideal“ bezeichnet, woraus sich ergibt, dass sie zu diesem<br />

Zeitpunkt noch kein verbindliches <strong>Recht</strong> sein sollten. Die AEMR ist jedoch<br />

durch Bezugnahme in späteren Verträgen und durch nachfolgende Praxis bis zu einem<br />

gewissen Grade verbindliches Völkerrecht geworden.<br />

Eine deutliche Aufwertung haben die Menschenrechte insbeson<strong>der</strong>e durch die beiden<br />

UN-Pakte von 1966, <strong>der</strong> Pakt über bürgerliche und politische <strong>Recht</strong>e und <strong>der</strong><br />

Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle <strong>Recht</strong>e erfahren. Die beiden Pakte<br />

sind 1976 in kraft getreten. Der IPbürgR gilt heute für 144 Staaten, seit Deutschland<br />

hat ihn 1973 ratifiziert und seit 1992 auch für die USA, <strong>der</strong> Wirtschaftspakt für 142<br />

Staaten, seit 1976 für Deutschland, die USA sind bisher nicht Mitglied (Stand<br />

31.12.2001).


76<br />

Der Pakt über bürgerliche und politische <strong>Recht</strong>e gewährt klassische Freiheitsrechte<br />

westlicher Prägung. Diese sind etwa grundlegende <strong>Recht</strong>e wie das <strong>Recht</strong> auf<br />

Leben (Art.6), das Folterverbot (Art.7), das Sklavereiverbot (Art.8), die Freiheit <strong>der</strong><br />

Person (Art.9, 10 und 11), die Freizügigkeit (Art.12), aber auch politische <strong>Recht</strong>e wie<br />

die Religionsfreiheit (Art.18), die Meinungsfreiheit (Art.19), die Versammlungsfreiheit<br />

(Art.21), die Vereinigungsfreiheit (Art.22) und das Wahlrecht (Art.25). Daneben gibt<br />

es auch grundlegende prozessuale <strong>Recht</strong>e (Art.14 ff.). Einige dieser <strong>Recht</strong>e dürfen<br />

auf keinen Fall, auch nicht im Staatsnotstand entzogen werden (Art.4 Abs.2). Die<br />

<strong>Recht</strong>e stehen jedoch teilweise unter einem sehr weitgehenden Gesetzesvorbehalt,<br />

<strong>der</strong> sich inhaltlich leer laufen lässt. So darf etwa das <strong>Recht</strong> auf Freiheit <strong>der</strong> Person<br />

gemäß Art.9 Abs.1 S.2 „aus gesetzlichen Gründen“ beschränkt werden. An<strong>der</strong>e unterliegen<br />

Gesetzesvorbehalten mit weit gefassten Generalklauseln, wie etwa die<br />

Meinungsfreiheit, die gemäß Art.19 Abs.3 lit.c zum Schutz <strong>der</strong> öffentlichen Ordnung<br />

beschränkt werden darf.<br />

Ein erhöhtes Schutzniveau genießen allerdings die Fundamentalrechte auf Leben,<br />

gegen Folter und Sklaverei. Hier gibt es teilweise qualifizierte Gesetzesvorbehalte.<br />

<strong>Das</strong> Leben darf gemäß Art.6 Abs..1 niemals willkürlich genommen werden, die Todesstrafe<br />

darf gemäß Art.6 Abs.2 nur für schwerste Verbrechen verhängt werden.<br />

Folter und Sklaverei stehen unter keinem Gesetzesvorbehalt. Diese Fundamentalrechte<br />

sind heute bis zu einem gewissen Grade definiert und ihre Durchsetzung ist<br />

eine echte <strong>Recht</strong>spflicht <strong>der</strong> Staaten aus Art.56 UN-Charta, <strong>der</strong>en Verletzung Auswirkungen<br />

auf den internationalen Frieden und <strong>der</strong> Sicherheit haben kann. Einzelheiten<br />

später.<br />

II. Die rechtliche Bedeutung <strong>der</strong> Ziele <strong>der</strong> UN-Charta:<br />

Bezogen auf die Charta stellt sich die Frage, ob <strong>der</strong>en Ziele und damit insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Menschenrechte und das Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Völker zunächst nur ein<br />

politisches Programm darstellen o<strong>der</strong> ob es sich bei den Zielen um unmittelbar<br />

anwendbares <strong>Recht</strong> handelt. Die rechtliche Wirksamkeit kann sich in dreierlei Art<br />

und Weise ausdrücken.


77<br />

1. Die Ziele als Programmsätze<br />

Die Ziele sind nicht aus sich heraus unmittelbar anwendbares <strong>Recht</strong>. Dagegen<br />

spricht ihre Charakterisierung als Ziel, also etwas, auf dessen Verwirklichung erst<br />

hinzuwirken ist. Außerdem spricht dagegen die systematische Abgrenzung <strong>der</strong> in<br />

Art.1 genannten Ziele von den in Art.2 genannten Prinzipien, die als verbindliche<br />

<strong>Recht</strong>sgrundlagen <strong>der</strong> Organisation ausgestaltet sind. Im Umkehrschluss ist daraus<br />

zu folgern, dass die Ziele für sich genommen noch kein verbindliches <strong>Recht</strong> darstellen.<br />

2. Die Ziele als Auslegungshilfen<br />

Die Ziele können, soweit auf diese im Zusammenhang mit unstreitig verbindlichem<br />

<strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Charta hingewiesen wird, Bedeutung erlangen. Dies gilt insbeson<strong>der</strong>e für<br />

das Gewaltverbot, da Art.2 (4) UN-Charta ausdrücklich jede Androhung o<strong>der</strong> Anwendung<br />

von Gewalt untersagt, die gegen die Ziele <strong>der</strong> Organisation gerichtet ist. Dabei<br />

ergibt sich die rechtliche Verbindlichkeit <strong>der</strong> Ziele aber erst aus dem sie aufgreifenden<br />

Prinzip und nicht aus sich heraus. Deshalb kann ihre rechtliche Bedeutung konkret<br />

erst im Zusammenhang mit dem jeweiligen Prinzip ermittelt werden. Einzelheiten<br />

beim Gewaltverbot.<br />

Die Ziele wirken sich bei <strong>der</strong> Interpretation von Tatbestandsmerkmalen einzelner<br />

Regelungen aus, die dafür zugänglich sind. Dies gilt vor allem für die Auslegung des<br />

Begriffspaares internationaler Frieden und internationale Sicherheit im Rahmen <strong>der</strong><br />

zitierten Einzelvorschriften. Zweifelsfrei ergibt sich eine rechtliche Bedeutung des<br />

Selbstbestimmungsrechts und <strong>der</strong> Menschenrechte insoweit nur im Rahmen von<br />

Kapitel IX UN-Charta, da Art.55 (c) die För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Beachtung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

den Vereinten Nationen zur Aufgabe macht und dabei auch auf das Selbstbestimmungsrecht<br />

verweist. Über das IX. Kapitel hinaus entsteht das oben beschriebene<br />

Interpretationsproblem insbeson<strong>der</strong>e im Rahmen <strong>der</strong> Kapitel VI, VII und VIII<br />

UN-Charta.


78<br />

B. Die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen<br />

Die Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation ist die Grundlage für die korporationsrechtliche<br />

Stellung innerhalb <strong>der</strong> Organisation. Die Ausübung <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>e<br />

aus <strong>der</strong> Satzung steht grundsätzlich nur den Mitglie<strong>der</strong>n zu. Dies gilt zum einen für<br />

das <strong>Recht</strong>, Mitglied in den Organen <strong>der</strong> UNO zu sein. So besteht etwa die Generalversammlung<br />

gemäß Art.9 (1) aus allen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> UNO und auch <strong>der</strong> Sicherheitsrat<br />

besteht gemäß Art.23 (1) aus fünfzehn Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Organisation. Aber<br />

auch bestimmte Verfahrensrechte solcher Staaten, die nicht Mitglied eines Organs<br />

sind, die aber von den Beschlüssen dieses Organs betroffen sein können, stehen<br />

grundsätzlich nur Mitglie<strong>der</strong>n zu. So haben Mitgliedstaaten etwa gemäß Art.31 UN-<br />

Charta das <strong>Recht</strong>, ohne Stimmrecht an den Beratungen des Sicherheitsrates teilzunehmen.<br />

Ist <strong>der</strong> jeweilige Staat sogar Streitpartei, dann hat er gemäß Art.32 UN-<br />

Charta auch als Nichtmitglied das <strong>Recht</strong> zur Teilnahme an den Beratungen des Rates.<br />

Diese Regel zeigt, dass sich die UNO und <strong>der</strong> Rat insbeson<strong>der</strong>e als ein universelles<br />

Forum <strong>der</strong> Friedenssicherung verstehen.<br />

I. Die Gründungsmitglie<strong>der</strong> (Art.3 UN-Charta)<br />

Die Vereinten Nationen haben 51 Gründungsmitglie<strong>der</strong>. <strong>Das</strong> sind alle an <strong>der</strong> Konferenz<br />

von San Francisco zwischen dem 25. April und dem 26. Juni 1945 Beteiligten.<br />

Allerdings hat Polen die Charta erst am 15. Oktober 1945 unterzeichnet, weil bis dahin<br />

zwischen den Westmächten und <strong>der</strong> Sowjetunion ein Streit darüber bestand, ob<br />

die Exilregierung in London o<strong>der</strong> die in Warschau gebildete kommunistische Regierung<br />

für diesen Staat handeln darf.<br />

46 dieser Gründungsmitglie<strong>der</strong> waren bei <strong>der</strong> Unterzeichnung zweifelsfrei Staaten im<br />

Sinne des Völkerrechts. Die weißrussische und die ukrainische Sowjetrepublik<br />

erfüllten diese Voraussetzung auf jeden Fall nicht. Sie sind erst nach dem Zerfall <strong>der</strong><br />

Sowjetunion Ende 1991 unabhängig wurden. Auch die Philippinen und Indien wurden<br />

erst 1946 bzw. 1947 unabhängig. Zweifelhaft war die Unabhängigkeit in Bezug


79<br />

auf Syrien und den Libanon zwei ehemalige französische Mandate. Sie hatten sich<br />

1941 für unabhängig erklärt und Frankreich hatte sich de facto seit 1944 aus diesen<br />

Gebieten zurückgezogen. Allerdings hatte es die Unabhängigkeit dieser Gebiete de<br />

jure zum Zeitpunkt <strong>der</strong> Gründungskonferenz noch nicht anerkannt. Da das Vereinigte<br />

Königreich und die Vereinigten Staaten aber zu diesem Zeitpunkt aber schon anerkannt<br />

hatten, spricht vieles dafür, dass Syrien und <strong>der</strong> Libanon in San Francisco<br />

bereits als Staaten behandelt wurden.<br />

Daraus, dass für Gründungsmitglie<strong>der</strong> die Eigenschaft als Staat keine Voraussetzung<br />

<strong>der</strong> Mitgliedschaft war, was auch nicht für den Völkerbund galt, dem die britischen<br />

Dominions: Irish Free State, Kanada, Südafrika, Australien, Neuseeland angehörten,<br />

kann jedoch nicht geschlossen werden, dass auch für neue Mitglie<strong>der</strong> diese<br />

Eigenschaft unerheblich war. Für sie gilt Art.4 UN-Charta<br />

Mit <strong>der</strong> Stellung als Gründungsmitglied ist <strong>der</strong> Vorzug verbunden, nicht das Aufnahmeverfahren<br />

gemäß Art.4 UN-Charta durchlaufen zu müssen. Darüber hinaus sind<br />

damit keine weiteren Vorzugsrechte verbunden. Auch die Stellung als ständiges Mitglied<br />

des Sicherheitsrates ist nicht davon abhängig. Sie wird in Art.23 UN-Charta<br />

geson<strong>der</strong>t geregelt. Dabei war sowohl die Mitgliedschaft Chinas wie auch <strong>der</strong> Russischen<br />

Fö<strong>der</strong>ation zeitweise umstritten. Dazu wegen <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Bedeutung Einzelheiten<br />

im Zusammenhang mit Art.23 UN-Charta.<br />

Dismembration und Sezession können die Eigenschaft als Gründungsmitglied<br />

betreffen. Dies gilt etwa für Jugoslawien, dessen Staatsuntergang nach <strong>der</strong> Neuaufnahme<br />

<strong>der</strong> Bundesrepublik Jugoslawien im Herbst 2000 eindeutig geklärt ist.<br />

II. Der Beitritt zu den Vereinten Nationen (Art.4 UN-Charta)<br />

Wie Art.4 (1) UN-Charta zeigt, stehen die Vereinten Nationen grundsätzlich allen<br />

Staaten offen. Dies demonstriert den Willen <strong>der</strong> Grün<strong>der</strong>, eine universelle Organisation<br />

zu schaffen, in <strong>der</strong> alle Staaten Mitglie<strong>der</strong> sein sollen. Die Vereinten Nationen<br />

haben heute 191 Mitglie<strong>der</strong>, dies sind außer <strong>der</strong> Schweiz alle bedeuten<strong>der</strong>en Staaten<br />

auf <strong>der</strong> Welt.


80<br />

1. Die materiellen Kriterien für die Aufnahme:<br />

Dennoch knüpft die Charta materielle Bedingungen an die Aufnahme neuer Mitglie<strong>der</strong>.<br />

a. Staatlichkeit<br />

Jedes neue Mitglied muss Staat im Sinne des Völkerrechts sein. Im Gegensatz zu<br />

den Gründungsmitglie<strong>der</strong>n müssen alle danach Aufgenommen Staaten sein. <strong>Das</strong><br />

heißt, sie müssen von <strong>der</strong> Völkergemeinschaft als Staaten anerkannt werden. Diese<br />

Anerkennung kann bereits vor <strong>der</strong> Aufnahme geschehen sein. Dieses Kriterium erfüllen<br />

insbeson<strong>der</strong>e die sogenannten Feindstaaten <strong>der</strong> Gründungsmitglie<strong>der</strong>, also<br />

Japan, Italien, bzgl. Der Bundesrepublik Deutschland war allerdings bis zum Generalvertrag<br />

1955 keine außenpolitische Handlungsfähigkeit anzunehmen.<br />

Sind solche Kandidaten vor ihrer Aufnahme bereits von allen Mitgliedstaaten als<br />

Staaten anerkannt worden, so können die Mitglie<strong>der</strong> in den entscheidungsbefugten<br />

Organen Sicherheitsrat und Generalversammlung keine abweichende Haltung einnehmen.<br />

Sind die Kandidaten dagegen nur teilweise o<strong>der</strong> vor <strong>der</strong> Aufnahme noch<br />

gar nicht anerkannt worden, so entscheiden die Organe <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

selbst über das Vorliegen <strong>der</strong> Staatlichkeit des Aufnahmekandidaten. Dabei sind <strong>der</strong><br />

Sicherheitsrat und die Generalversammlung nicht im Sinne <strong>der</strong> Theorie von <strong>der</strong> deklaratorischen<br />

Wirkung <strong>der</strong> Anerkennung an irgendwelche objektiven Kriterien wie<br />

Staatsvolk, Staatsgebiet und Staatsgewalt gebunden. Die Organe <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

entscheiden vielmehr nach eigenem Ermessen, ob die Voraussetzungen für<br />

Staatlichkeit vorliegen.<br />

Die Kriterien dafür sind in einer 1946 gegründeten Kommission des Sicherheitsrats<br />

betreffend die Aufnahme neuer Mitglie<strong>der</strong> entwickelt worden. Es sind, wie im völkerrechtlichen<br />

Verkehr allgemein, <strong>der</strong> Wille und die Befähigung, die Verpflichtungen aus<br />

<strong>der</strong> Charta zu erfüllen. Mit <strong>der</strong> Befähigung ist die Frage angesprochen, ob das<br />

betreffende Gebilde effektive Herrschaftsgewalt besitzt, um die eingegangenen<br />

völkerrechtlichen Pflichten zu erfüllen. Dies war z.B. umstritten im Falle Israels, das<br />

unmittelbar nach seiner Staatsgründung im Jahr 1948 von seinen arabischen Nach-


81<br />

barn militärisch angegriffen wurde. Damals hat das Vereinigte Königreich die Aufnahme<br />

Israels in die Vereinten Nationen mit dem Argument abgelehnt, dass wegen<br />

des militärischen Konflikts nicht sicher sei, ob Israel effektive Herrschaftsgewalt über<br />

das von ihm beanspruchte Gebiet erlangten werde. Erst nach dem Sieg in diesem<br />

Krieg, <strong>der</strong> mit Waffenstillstandsvereinbarungen Israels mit den arabischen Nachbarn<br />

endete, wurde Israel als effektive Herrschaftsgewalt in die Vereinten Nationen aufgenommen.<br />

Vor diesem Hintergrund war die Aufnahme von Kroatien und von Bosnien-<br />

Herzegowina im Jahr 1992 problematisch, weil diese beiden ehemaligen jugoslawischen<br />

Teilrepubliken zum Zeitpunkt ihres Beitritts im Jahr 1992 noch keine unbestrittene<br />

und effektive Herrschaftsgewalt auf dem gesamten von ihnen beanspruchten<br />

Gebiet ausgeübt haben. Für die Republik Bosnien-Herzegowina gilt dies auch heute<br />

noch. Sie hat zwar seit dem Vertrag von Dayton im Jahr 1995 eine Verfassung. Die<br />

Staatsorgane können jedoch gegen den Willen <strong>der</strong> beiden Teilgebiete (entities) dies<br />

sind die Republica Sprska und die Fö<strong>der</strong>ation Bosnien-Herzegowina bestehend aus<br />

dem muslimischen und dem kroatischen Teil we<strong>der</strong> Gesetze noch Verwaltungsmaßnahmen<br />

durchsetzen.<br />

Hinzu kommen muss <strong>der</strong> Wille, sich völkerrechtskonform zu verhalten, also bezogen<br />

auf die Aufnahme in die Vereinten Nationen die damit entstehenden Pflichten aus<br />

<strong>der</strong> Charta zu erfüllen. Dies nehmen die Vereinten Nationen dann an, wenn <strong>der</strong><br />

Kandidat keine Konflikte mit Mitgliedstaaten unterhält, wenn er im Gegenteil mit den<br />

Mitglie<strong>der</strong>n freundschaftlich verbunden ist, wenn er seine internationalen Verpflichtungen<br />

erfüllt und sich zur Unterwerfung unter vertragliche Streitbeilegungsverfahren<br />

bereit zeigt.<br />

Ein Beispiel für die Nichtaufnahme aus diesem Grund ist Südrhodesien. Dieses<br />

Gebiet, das heute Zimbabwe heißt, hat sich 1965 für unabhängig erklärt. Obwohl<br />

das Regime unter Ian Smith faktisch unbestrittene Herrschaftsgewalt ausübte, haben<br />

die Vereinten Nationen die Aufnahme abgelehnt, weil dieses Regime auf den<br />

Grundsätzen <strong>der</strong> Apartheid basierte und deshalb gegen das Selbstbestimmungsrecht<br />

kolonialer Völker verstieß. Der Sicherheitsrat hat darüber hinaus in <strong>der</strong> Resolu-


82<br />

tion 216 (1965) allen Mitglie<strong>der</strong>n verbindlich aufgegeben, Südrhodesien nicht als<br />

Staat anzuerkennen. Erst nach dem Machtwechsel zugunsten <strong>der</strong> schwarzen Bevölkerung<br />

im Jahr 1980 wurde Südrhodesien aufgenommen.<br />

Dieses Beispiel zeigt, dass die Entscheidung <strong>der</strong> UNO über das Vorliegen des subjektiven<br />

Staatsmerkmals Wille zur Erfüllung aller völkerrechtlichen Verpflichtungen<br />

mit <strong>der</strong> Vorstellung von einer nur deklaratorischen Wirkung <strong>der</strong> Anerkennung als<br />

Staat nicht zu vereinbaren ist. Solche materiellen Kriterien wie die Beachtung des<br />

Selbstbestimmungsrechts sind nur mit einer konstitutiven Wirkung <strong>der</strong> Anerkennung<br />

zu erklären, wobei die Staatengemeinschaft verbindlich festlegt, welche völkerrechtlichen<br />

Pflichten für die Aufnahme in die Staatengemeinschaft unabdingbar sind.<br />

Interessant ist, dass die Aufnahme als Mitglied und damit die Anerkennung als<br />

Staat nur von <strong>der</strong> Erfüllung <strong>der</strong> Verpflichtungen aus <strong>der</strong> Charta und nicht <strong>der</strong> übrigen<br />

den Staaten kraft Völkergewohnheitsrechts zukommenden Pflichten gemacht wird.<br />

Dies zeigt, dass nach <strong>der</strong> Auffassung <strong>der</strong> Vereinten Nationen die Pflichten aus <strong>der</strong><br />

Charta ihrem Inhalt und Umfang nach im Wesentlichen die den Staaten insgesamt<br />

kraft Völkergewohnheitsrechts zukommenden Pflichten ausmachen.<br />

b. Friedliebende Staaten<br />

Darüber hinaus verlangt Art.4 (1) UN-Charta, dass alle Kandidaten friedliebende<br />

Staaten sind. Die Abgrenzung zu dem Kriterium Wille zur Erfüllung <strong>der</strong> Verpflichtungen<br />

aus <strong>der</strong> Charta gelingt nur historisch. Bei <strong>der</strong> Entstehung <strong>der</strong> Charta war man<br />

sich einig, dass alle Feindstaaten <strong>der</strong> Vereinten Nationen und solche Regime, die mit<br />

Hilfe <strong>der</strong> Feindstaaten an die Macht gekommen waren (insbeson<strong>der</strong>e Spanien) nicht<br />

friedliebend seien.<br />

c. Übernahme <strong>der</strong> Verpflichtungen aus <strong>der</strong> UN-Charta<br />

Der Kandidat muss förmlich erklären, dass er die Verpflichtungen aus <strong>der</strong> Charta<br />

annimmt. Damit tritt formal die vertragliche Bindung an die Charta ein. Einseitige


83<br />

Vorbehalte sind grundsätzlich nicht zulässig. Allerdings ist von Österreich trotz nicht<br />

erklärten Vorbehalts geltend gemacht worden, dass seiner Mitwirkung an militärischen<br />

Sanktionen <strong>der</strong> Vereinten Nationen seine immerwährende Neutralität entgegensteht.<br />

Dies ist von <strong>der</strong> UNO akzeptiert worden ist, weshalb die Mitgliedschaft<br />

Österreichs unter einem stillschweigenden Neutralitätsvorbehalt steht. Dies<br />

könnte etwa auch bei einem etwaigen Beitritt <strong>der</strong> Schweiz eine Rolle spielen.<br />

d. Zusätzliche Kriterien<br />

Zu Beginn <strong>der</strong> Vereinten Nationen war umstritten, ob über diese drei Kriterien hinaus<br />

zusätzliche Anfor<strong>der</strong>ungen an die Aufnahme gestellt werden können. Historisch ist<br />

dieser Streit vor dem Hintergrund des Ost-West-Konflikts zu verstehen, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong><br />

Aufteilung <strong>der</strong> Welt in Interessensphären <strong>der</strong> Supermächte dazu geführt hat, dass<br />

zwischen 1950 und 1955 überhaupt kein Staat in die Vereinten Nationen aufgenommen<br />

wurde. Insbeson<strong>der</strong>e die Sowjetunion hat die Auffassung vertreten, dass<br />

ein Junktim zwischen <strong>der</strong> Aufnahme von Staaten aus verschiedenen Interessensphären<br />

hergestellt werden könne. In <strong>der</strong> Tat ist <strong>der</strong> Aufnahmestau 1955 durch eine<br />

sogenannte Paketvereinbarung gelöst worden, d.h. man hat sich darauf geeinigt,<br />

dass für den Fall dass gegen alle diejenigen Kandidaten, die vom Westen unterstützt<br />

von <strong>der</strong> Sowjetunion kein Veto eingelegt wird, auch die Kandidaten <strong>der</strong> Sowjetunion<br />

vom Westen unterstützt werden.<br />

Diese Junktimklausel hat <strong>der</strong> IGH in einem Gutachten zu den Bedingungen <strong>der</strong><br />

Aufnahme neuer Mitglie<strong>der</strong> verworfen. Der IGH hat festgestellt, dass nur die in Art.4<br />

(1) UN-Charta genannten Kriterien zur Anwendung kommen können. Dabei genössen<br />

die Organe <strong>der</strong> UNO zwar bezüglich <strong>der</strong> Beurteilung dieser Kriterien einen weiten<br />

Ermessenspielraum. Falls die Kriterien als erfüllt angesehen werden, gäbe es<br />

aber einen Anspruch des Kandidaten auf Aufnahme. Dieser Anspruch wird jedoch<br />

dadurch entwertet, dass die Feststellung des Vorliegens <strong>der</strong> Kriterien nicht überprüfbar<br />

ist und dass letztlich ein solcher Anspruch auch nicht durchsetzbar ist. Den Organen<br />

<strong>der</strong> UNO steht insoweit eine nicht mehr nachprüfbare Verfahrensherrschaft<br />

zu, die alle Diskussionen über den zulässigen Inhalt solcher Kriterien faktisch bedeu-


84<br />

tungslos erscheinen lässt.<br />

Die Praxis zeigt auch, dass bestimmte Kandidaten trotz Vorliegens aller Voraussetzungen<br />

nicht in die UNO aufgenommen werden. Dies gilt etwa für die türkische Republik<br />

Nordzypern, die nach dem Zypernkonflikt 1974 entstanden ist. Sie erfüllt alle<br />

Voraussetzungen für Staatlichkeit, wäre bereit die Verpflichtungen aus <strong>der</strong> Charta zu<br />

erfüllen, wird aber nur von <strong>der</strong> Türkei anerkannt. Der Grund für die internationale<br />

Ächtung ist ein Garantievertrag zwischen Griechenland, <strong>der</strong> Türkei und dem Vereinigten<br />

Königreich, <strong>der</strong> bei Gründung des Staates 1960 geschlossen wird, und <strong>der</strong><br />

die Einheit des Landes zur Voraussetzung für die Unabhängigkeit macht. Auch die<br />

Republik Somaliland, die sich 1992 von <strong>der</strong> Republik Somalia nach dem Ausbruch<br />

des Bürgerkriegs abgespalten hat, wird nicht in die UNO aufgenommen, obwohl zur<br />

Zeit nur hier wirklich effektive Herrschaftsgewalt besteht. Einzelheiten später.<br />

2. <strong>Das</strong> Aufnahmeverfahren:<br />

a. Antrag<br />

<strong>Das</strong> Verfahren wird durch Antrag des Kandidaten auf Aufnahme eröffnet. Dieser Antrag<br />

wird an die Generalversammlung als dem letztlich aufnehmenden Organ gerichtet.<br />

b. Empfehlung des Sicherheitsrats<br />

Die Generalversammlung gibt das Verfahren an den Sicherheitsrat ab, <strong>der</strong> gemäß<br />

Art.4 (2) UN-Charta darüber entscheidet, ob er die Aufnahme empfiehlt. Für diese<br />

Empfehlung des Sicherheitsrats gilt Art.27 (3) UN-Charta, das heißt sie kommt nur<br />

zustande, wenn mindestens neun Mitglie<strong>der</strong> zustimmen, worunter allen ständigen<br />

Mitglie<strong>der</strong> sein müssen. Damit haben die fünf ständigen Mitglie<strong>der</strong> materiell ein Veto-<strong>Recht</strong>.<br />

Die Empfehlung des Sicherheitsrats ist konstitutiv, das heißt sie ist zwingend<br />

notwendig für die Aufnahme.<br />

Die Generalversammlung hat dies angesichts des Patts zwischen den Jahren 1950<br />

und 1955 für unbefriedigend gehalten und hat den Versuch unternommen, die Auf-


85<br />

nahmeentscheidung vollständig an sich zu ziehen. Dem sind jedoch <strong>der</strong> Sicherheitsrat<br />

und auch <strong>der</strong> IGH in einem Gutachten eindeutig entgegengetreten. <strong>Das</strong> durch<br />

den Text <strong>der</strong> Charta den ständigen Mitglie<strong>der</strong>n gewährte Vorzugsrecht bei <strong>der</strong> Aufnahmeentscheidung<br />

muss beachtet werden. Dies entspricht auch den allgemeinen<br />

völkerrechtlichen Gepflogenheiten bei <strong>der</strong> Anerkennung von Staaten, wo ebenfalls<br />

<strong>der</strong> Haltung <strong>der</strong> Großmächte eine entscheidende Bedeutung zukommt.<br />

c. Aufnahme durch die Generalversammlung<br />

Empfiehlt <strong>der</strong> Rat die Aufnahme so entscheidet die Generalversammlung gemäß<br />

Art.18 (2) mit Zwei-Drittel Mehrheit über die Aufnahme. Sie ist dabei bisher immer<br />

den Empfehlungen des Rates gefolgt.<br />

3. Wirkung <strong>der</strong> Aufnahmeentscheidung<br />

Die Aufnahme in die Vereinten Nationen ersetzt heute weitgehend die bilaterale Entscheidung<br />

über die Anerkennung als Staat. Dies hat vor allem zwei Gründe.<br />

a. Anerkennung als Staat<br />

Zum einen ist mit <strong>der</strong> Aufnahme wegen <strong>der</strong> Kriterien des Art.4 (1) implizit immer die<br />

Entscheidung verbunden, das es sich bei dem Kandidaten um einen Staat handelt.<br />

Deshalb kann man mit guten Grund vertreten, dass alle Mitglie<strong>der</strong>, die für die Aufnahme<br />

stimmen, damit zugleich eine Anerkenntniserklärung abgegeben haben.<br />

b. Schutz <strong>der</strong> UN-Charta<br />

Zum an<strong>der</strong>en erhalten die Kandidaten mit <strong>der</strong> Aufnahme in die Vereinten die volle<br />

<strong>Recht</strong>sausstattung aus <strong>der</strong> Charta. Für sie gilt das Prinzip <strong>der</strong> souveränen Gleichheit<br />

des Art.2 (1), das Gewaltverbot des Art.2 (4) und das Interventionsverbot des<br />

Art.2 (7) UN-Charta. Damit haben sie im Verhältnis zu allen Mitgliedstaaten, auch<br />

gegenüber denjenigen die nicht für die Aufnahme gestimmt hat, die grundlegenden<br />

<strong>Recht</strong>e jedes Staates im internationalen Verkehr. Dies zeigt sehr anschaulich die


86<br />

Stellung Israels in den Vereinten Nationen. Obwohl Israel immer noch von einigen<br />

Nachbarstaaten nicht anerkannt ist, müssen diese sich als Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> UNO entgegenhalten,<br />

das je<strong>der</strong> gewaltsame Angriff gegen Israel ein Verstoß gegen das Gewaltverbot<br />

des Art.2 (4) UN-Charta ist. Dies gilt in etwas modifizierter Form auch für<br />

den zweiten Golfkrieg, weil <strong>der</strong> Irak trotz <strong>der</strong> Bestreitung des Existenzrechts Kuwaits<br />

im Rahmen <strong>der</strong> UNO das Interventions- und Gewaltverbot zugunsten Kuwaits beachten<br />

muss. Auch die Aufnahme von Kroatien und Bosnien-Herzegowina geschah<br />

insbeson<strong>der</strong>e deshalb, um die Internationalität des Konfliktes mit <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Jugoslawien und damit die Anwendbarkeit des Gewaltverbots außer Streit zu stellen.<br />

III. Die Suspendierung <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>e aus <strong>der</strong> Mitgliedschaft (Art.5 UN-Charta)<br />

1. Voraussetzungen<br />

Voraussetzung für die Suspendierung <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>e ist, dass <strong>der</strong> Sicherheitsrat vorbeugende<br />

o<strong>der</strong> Maßnahmen mit Zwangswirkung gegen den Betroffenen erlassen<br />

hat. Unter Zwangsmaßnahmen sind entsprechend <strong>der</strong> Terminologie von Art.2 (7)<br />

UN-Charta grundsätzlich alle nach Kapitel VII zu treffenden Maßnahmen zu verstehen.<br />

Im Rahmen von Kapitel VII wird man jedoch sagen, dass nur die in Art.41 und<br />

42 genannten Maßnahmen einen unbedingten Zwangscharakter haben. Dafür<br />

spricht bereits <strong>der</strong> Nachsatz von Art.39 UN-Charta, <strong>der</strong> nur diese als Maßnahmen<br />

bezeichnet. Dies entspricht auch dem Wortlaut von Art.41 und 42.<br />

Dagegen sind die in Art.39 UN-Charta genannten Empfehlungen keine Zwangsmassnahmen,<br />

da sie rechtlich unverbindlich sind und deshalb auch nicht zwingen<br />

können. <strong>Das</strong>selbe gilt für Maßnahmen auf <strong>der</strong> Grundlage von Kapitel VI. Sie könnten<br />

deshalb allenfalls als vorbeugende Maßnahmen qualifiziert werden. Dem steht jedoch<br />

Sinn und Zweck <strong>der</strong> Suspendierung <strong>der</strong> Mitgliedschaft entgegen. Würde man<br />

auf ihre Nichtbefolgung mit <strong>der</strong> Suspendierung <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>e reagieren, würde man<br />

eine Sanktion aussprechen, obwohl keine <strong>Recht</strong>spflicht verletzt wurde.<br />

Für die Maßnahmen nach Art.40 ist die Subsumption unter Art.5 umstritten. Diese


87<br />

Maßnahmen sind zwar rechtlich verbindlich, sie haben aber erklärtermaßen nur vorläufigen<br />

Charakter bis eine endgültige Streitbeilegung möglich ist. Deshalb halten<br />

einige Autoren die Suspendierung <strong>der</strong> Mitgliedschaft für ein zu starkes Mittel. Auch<br />

bei solchen vorläufigen Maßnahmen kann das Mittel <strong>der</strong> Suspendierung jedoch sinnvoll<br />

eingesetzt werden, um eine Blockierung <strong>der</strong> Erreichung eine endgültigen Lösung<br />

durch die UNO zu verhin<strong>der</strong>n. Deshalb sind die Voraussetzungen für die Suspendierung<br />

<strong>der</strong> <strong>Recht</strong>e aus <strong>der</strong> Mitgliedschaft wohl auch bei <strong>der</strong> Zuwi<strong>der</strong>handlung gegen<br />

vorläufige Maßnahmen gemäss Art.40 gegeben.<br />

2. Verfahren<br />

Die Suspendierung wird von <strong>der</strong> Generalversammlung auf Vorschlag des Sicherheitsrates<br />

vorgenommen. Damit ist ausgeschlossen, dass die Vorrechte eines ständigen<br />

Mitgliedes suspendiert werden, weil dieses durch Ausübung des sog. Veto-<br />

<strong>Recht</strong>s immer die Möglichkeit hat, eine Empfehlung des Sicherheitsrats zu verhin<strong>der</strong>n.<br />

Die Aufhebung des Suspendierung erfolgt durch den Sicherheitsrat.<br />

3. Praxis<br />

Praxis zur Suspendierung gibt es bisher nicht. Allerdings ist in <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

mehrfach <strong>der</strong> Antrag gestellt worden, die Mitgliedschaft Südafrikas während <strong>der</strong><br />

Apartheid zu suspendieren. Insbeson<strong>der</strong>e die USA haben dies im Sicherheitsrat jedoch<br />

immer verhin<strong>der</strong>t. Die Bundesrepublik Jugoslawien ist von 1992 bis 2000 wie<br />

ein suspendiertes Mitglied behandelt worden, obwohl sie nicht Mitglied war. Ihre Vertreter<br />

durften an den Beratungen <strong>der</strong> Generalversammlung teilnehmen, dort aber<br />

nicht mitstimmen.<br />

4. Wirkungen


88<br />

Die Suspendierung <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>e aus <strong>der</strong> Mitgliedschaft führt nicht wie <strong>der</strong> Ausschluss<br />

gemäß Art.6 UN-Charta dazu, dass die Mitgliedschaft erlischt. Der betroffene Staat<br />

bleibt Mitglied, er darf nur die aus <strong>der</strong> Mitgliedschaft fließenden <strong>Recht</strong>e nicht mehr<br />

ausüben. Ziel <strong>der</strong> Suspendierung ist es zu erreichen, dass <strong>der</strong> betroffene Staat<br />

durch die Ausübung seiner <strong>Recht</strong>e nach <strong>der</strong> UN-Charta die Erfüllung <strong>der</strong> Aufgaben<br />

<strong>der</strong> Organisation nicht blockiert o<strong>der</strong> erschwert.<br />

Die <strong>Recht</strong>sfolge <strong>der</strong> Suspendierung ist, dass <strong>der</strong> betroffene Staat seine <strong>Recht</strong>e und<br />

Privilegien aus <strong>der</strong> Charta nicht mehr ausüben kann. Dies betrifft insbeson<strong>der</strong>e die<br />

Mitgliedschaft und das Stimmrecht in <strong>der</strong> Generalversammlung, das <strong>Recht</strong> in den<br />

Sicherheitsrat o<strong>der</strong> den ECOSOC gewählt zu werden. Gleiches gilt für die Mitgliedschaft<br />

in den Unterorganen <strong>der</strong> UNO. Auch die Teilnahme an Beratungen des SR<br />

kann auch für unmittelbar betroffene Mitglie<strong>der</strong> ausgeschlossen werden.<br />

Umstritten ist, ob auch <strong>der</strong> Zugang zum IGH suspendiert werden kann. Gemäss<br />

Art.93 (1) sind alle Mitglie<strong>der</strong> ipso iure Parteien des Statuts. In <strong>der</strong> Literatur wird diese<br />

jedoch verneint, da <strong>der</strong> Zugang zum IGH gemäss Art.93 (2) auch Nichtmitglie<strong>der</strong>n<br />

offen steht und eine Suspendierung für Mitglie<strong>der</strong> dem Anspruch des IGH als weltweites<br />

Streitbeilegungsforum wi<strong>der</strong>spreche.<br />

Die Mitgliedschaft in Son<strong>der</strong>organisationen kann nur suspendiert werden, wenn <strong>der</strong>en<br />

Satzung dies auch vorsieht. Dies gilt etwa gemäss Art.2 (3) für die UNESCO.<br />

Auch die Stellung als Treuhandmacht kann nicht suspendiert werden, da diese<br />

<strong>Recht</strong>sstellung nicht alleine auf <strong>der</strong> Charta son<strong>der</strong>n gemäss Art.79 auch auf einem<br />

Treuhandvertrag beruht, <strong>der</strong> nicht aufgehoben werden kann.<br />

IV. Der Ausschluss aus den Vereinten Nationen<br />

1. Voraussetzungen<br />

Der Ausschluss ist eine Sanktion für die Nichterfüllung <strong>der</strong> Verpflichtungen aus <strong>der</strong><br />

Charta. Art.6 nennt als Voraussetzung die beharrliche Verletzung <strong>der</strong> Prinzipien<br />

<strong>der</strong> Charta. Was zu den Prinzipien <strong>der</strong> Charta gehört, ist nicht unumstritten. Entsprechend<br />

dem Wortlaut läge es nahe, auf Art.2 abzuheben, <strong>der</strong> die dort enthaltenen


89<br />

<strong>Recht</strong>spflichten als Prinzipien bezeichnet. Entsprechend <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte<br />

ist man sich jedoch darüber einig, dass Sicherheitsrat und GV einen weiten Beurteilungsspielraum<br />

in dieser Frage haben. Sie könnten etwa auch die Verletzung <strong>der</strong><br />

Verpflichtungen aus Art.56 bzgl. <strong>der</strong> Menschenrechte und des Selbstbestimmungsrechts<br />

<strong>der</strong> Völker o<strong>der</strong> die Verletzung von Art.48 (1) i.V.m. Art.25 Nichtbefolgung<br />

verbindlicher Resolutionen des SR zur Grundlage einer Entscheidung nach Art.6<br />

machen.<br />

Beharrlich heißt, dass Verletzungen <strong>der</strong> Charta bereits mehrfach vorgekommen sind<br />

und dass <strong>der</strong> Wille besteht, auch in Zukunft die Charta zu verletzen. Eine einmalige<br />

Verletzung, auch wenn sie noch so schwer ist, genügt nicht. Dies hat man in bewusster<br />

Abkehr von <strong>der</strong> Satzung des Völkerbundes, wo jede Verletzung genügte so<br />

festgelegt, um die Schwelle für den Ausschluss bewusst höher zu hängen. Die<br />

Schwere <strong>der</strong> Verletzung scheint nach dieser Formulierung zwar keine Rolle zu spielen,<br />

sie ist jedoch beim Ausschluss zu berücksichtigen. Der Ausschluss ist ultima<br />

ratio, d.h. es müssen zuvor alle nach <strong>der</strong> Charta zur Verfügung stehenden Mittel<br />

ausgeschöpft werden, um die Erfüllung <strong>der</strong> nichteingehaltenen Verpflichtungen an<strong>der</strong>weitig<br />

sicherzustellen.<br />

2. Zweck des Ausschlusses<br />

Ziel des Ausschlusses ist es, Störenfriede aus <strong>der</strong> Organisation auszuschließen, die<br />

unter Umständen an<strong>der</strong>e Staaten zur Mitwirkung anstiften und damit die Funktionsfähigkeit<br />

<strong>der</strong> UNO gefährden. Damit demonstriert die Organisation Stärke und <strong>der</strong><br />

Ausschluss stellt bei einer weltweiten Organisation wie <strong>der</strong> UNO eine empfindliche<br />

Strafe dar, weil <strong>der</strong> betroffen Staat des Sicherungsmechanismus <strong>der</strong> UNO verloren<br />

geht und damit isoliert wird.<br />

<strong>Das</strong> problematische am Ausschluss ist, dass <strong>der</strong> Betroffene als Nichtmitglied grundsätzlich<br />

nicht mehr an die Charta gebunden wird, er wird zum outlaw, <strong>der</strong> zwar keinen<br />

Schutz mehr genießt, <strong>der</strong> aber auch nicht rechtlich eingebunden ist. Außerdem<br />

wird damit die Universalität <strong>der</strong> UNO in Frage gestellt. Die Bewältigung dieser Prob-


90<br />

lematik soll bei <strong>der</strong> Behandlung von Nichtmitglie<strong>der</strong>n vertieft werden.<br />

3. Praxis<br />

Bisher ist kein Staat aus <strong>der</strong> UNO ausgeschlossen worden. Dahingehende Anträge<br />

wurden in Bezug auf Israel und vor allem in Bezug auf Südafrika gestellt (insbeson<strong>der</strong>e<br />

von Generalversammlung). In Bezug auf Südafrika hat es <strong>der</strong> Sicherheitsrat<br />

mehrfach in Resolutionen erwogen, den Ausschluss zu empfehlen, da sich Südafrika<br />

beharrlich weigerte insbeson<strong>der</strong>e den Anordnungen des Rats in Bezug auf Namibia<br />

Folge zu leisten. Wegen des Wi<strong>der</strong>stands <strong>der</strong> drei westlichen ständigen Mitglie<strong>der</strong><br />

im Rat kam es jedoch nicht zu einer solchen Empfehlung.<br />

4. Wirkung<br />

Mit dem Ausschluss ist <strong>der</strong> betroffene Staat nicht mehr Mitglied <strong>der</strong> Vereinten Nationen,<br />

d. h. er verliert alle korporativen <strong>Recht</strong>e aus seiner Mitgliedschaft er wird aber<br />

auch aller Verpflichtungen aus <strong>der</strong> Charta ledig. Der Ausschluss aus den Vereinten<br />

Nationen führt nicht automatisch dazu, dass auch die Mitgliedschaft in Son<strong>der</strong>organisationen<br />

<strong>der</strong> UNO erlischt. Allerdings gibt es Son<strong>der</strong>organisationen wie die<br />

UNESCO die dies kraft ihrer Satzung vorsehen. Wird ein Staat ausgeschlossen, <strong>der</strong><br />

aufgrund eines Treuhandabkommens gemäß Art.81 UN-Charta ein Treuhandgebiet<br />

verwaltet, beendet <strong>der</strong> Ausschluss die Treuhand nicht.<br />

V. Kündigung <strong>der</strong> Mitgliedschaft<br />

Fraglich ist, ob ein Mitglied freiwillig aus <strong>der</strong> UNO ausscheiden kann. Da ein solches<br />

Austrittsrecht nicht in <strong>der</strong> Charta vorgesehen ist, wird es in <strong>der</strong> Literatur häufig<br />

vor allem mit dem Hinweis auf die angestrebte Universalität <strong>der</strong> UNO abgelehnt. Wie<br />

die Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Charta zeigt, sollte jedoch eine Kündigung entsprechend<br />

<strong>der</strong> clausula rebus sic stantibus-Regel auf jeden Fall möglich sein. Die in<br />

San Francisco als zur Kündigung berechtigende exceptional circumstances be-


91<br />

zeichneten Umstände sollten etwa dann <strong>der</strong> vorliegen, wenn<br />

(1) die Charta mit <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Zwei-Drittel-Mehrheit in <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

gemäß Art.108 UN-Charta gegen den Willen des Austretenden geän<strong>der</strong>t wurde,<br />

wenn<br />

(2) die Organisation sich nach Auffassung des Betroffenen als unfähig erweist, den<br />

Frieden und die Sicherheit zu wahren und wenn<br />

(3) <strong>der</strong> Sicherheitsrat ein Mitglied mit Sanktionsmaßnahmen überzieht, die dieses<br />

Mitglied für ultra vires hält.<br />

C. Die Organe<br />

I. Die Generalversammlung<br />

1. Zusammensetzung<br />

Die Generalversammlung besteht gemäss Art.9 aus allen Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> UNO. Jedes<br />

Mitglied darf höchstens fünf Vertreter entsenden. Mitglie<strong>der</strong> sind sowohl die<br />

Gründungsmitglie<strong>der</strong> wie auch alle später aufgenommenen Staaten. Die Mitgliedschaft<br />

wird wirksam zu dem Zeitpunkt zu dem die Generalversammlung die Aufnahme<br />

gemäss Art.4 (2) beschließt. In <strong>der</strong> Praxis wird dieser Beschluss grundsätzlich<br />

vor Beginn einer Session vor Annahme <strong>der</strong> Tagesordnung getroffen, damit das neuaufgenommene<br />

Mitglied an den Beratungen in vollem Umfang teilnehmen kann.<br />

II. Aufgaben<br />

Die Generalversammlung hat gemäss Art.10 ein umfassendes Erörterungsrecht. Sie<br />

kann alle Angelegenheiten, die in die Zuständigkeit <strong>der</strong> UNO fallen, diskutieren und<br />

diesbezüglich Empfehlungen an die Mitglie<strong>der</strong> richten. Um dieses <strong>Recht</strong> ausüben zu<br />

können, steht <strong>der</strong> GA auch die Befugnis zu, diese Angelegenheiten zu untersuchen.<br />

Dazu kann sie Beobachter o<strong>der</strong> Untersuchungskommissionen entsenden. So hat<br />

die GA etwa 1946 das United Nations Special Committee on Palestine (UNSCOP)<br />

zur Untersuchung <strong>der</strong> Verhältnisse in Palästina eingesetzt, 1958 wurde die United


92<br />

Nations Oberserver Group in Lebanon (UNOGIL) eingesetzt.<br />

Der Aufgabenkreis <strong>der</strong> UNO ist in Art.1 und 2 definiert, was <strong>der</strong> GA praktisch das<br />

<strong>Recht</strong> gibt, sich mit allen internationalen Angelegenheiten zu beschäftigen. Die<br />

Grenze sind die inneren Angelegenheiten <strong>der</strong> Staaten im Sinne von Art.2 (7).<br />

Bezüglich <strong>der</strong> Wahrung des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit enthalten<br />

Art.11 und Art.12 einige Einschränkungen <strong>der</strong> Zuständigkeit <strong>der</strong> GA, die sich aus <strong>der</strong><br />

vorrangigen Kompetenz des Sicherheitsrat auf diesem Gebiet ergeben. Gemäss<br />

Art.11 hat die GA die Kompetenz, die grundsätzlichen Prinzipien <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />

zur Aufrechterhaltung des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit zu erörtern<br />

und diesbezüglich Empfehlungen abzugeben. Insoweit besteht eine enge Verbindung<br />

zu Art.13, wonach die GA Untersuchungen veranlassen kann und Empfehlungen<br />

abgeben kann, um die internationale Zusammenarbeit auf politischem aber<br />

auch auf wirtschaftlichem Gebiet zu för<strong>der</strong>n.<br />

Gemäss Art.11 kann sich die GA auch mit <strong>der</strong> Abrüstung und <strong>der</strong> Rüstungsregelung<br />

befassen. Dazu hat die GA bereits 1946 eine internationale Atomenergiekommission<br />

(AEC) eingesetzt, welche die Herstellung und Verwendung von Atomwaffen kontrollieren<br />

sollte. Wegen <strong>der</strong> Konflikte <strong>der</strong> Supermächte stelle diese Kommission jedoch<br />

1960 ihre Tätigkeit ein. An seine Stelle ist ein Abrüstungskomitee getreten, welches<br />

aus 40 Staaten besteht und sich mit Fragen <strong>der</strong> Abrüstung auf allen Gebieten <strong>der</strong><br />

Waffentechnik beschäftigt. Diese Kommission hat jedoch keine großen Erfolge erzielt.<br />

Die Abrüstung wurde statt dessen durch die USA und die UdSSR/Russische<br />

Fö<strong>der</strong>ation etwa durch die SALT (Strategic Arms Limitation Talks) in den siebziger<br />

Jahren und START (Strategic Arms Reduction Talks) Verträge in den neunziger Jahren<br />

(Start II ist nach <strong>der</strong> Ratifikation <strong>der</strong> Russischen Fö<strong>der</strong>ation im Jahr 2000 in kraft<br />

getreten) auf dem Gebiet strategischer Waffen und durch den INF Vertrag (Treaty on<br />

the Elemination of the Intermediate-Range and Shorter-Range Missiles) aus dem<br />

Jahr 1987 auf dem Gebiet von Mittelstreckenwaffen in Europa vorangetrieben.<br />

Gemäss Art.11 (2) kann die GA jede die Wahrung des Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit<br />

betreffende Frage diskutieren, die ihr ein Mitglied <strong>der</strong> UNO o<strong>der</strong> <strong>der</strong> SR vorlegt. Sie<br />

kann zu diesen Fragen Empfehlungen an die Mitglie<strong>der</strong> o<strong>der</strong> den SR richten. Die


93<br />

Resolutionen <strong>der</strong> GA sind also nicht verbindlich. Die GA kann gemäss Art.11 (3)<br />

auch den SR mit Angelegenheiten des Friedens befassen, wenn sie <strong>der</strong> Auffassung<br />

ist, dass dieser ggf. rechtlich verbindliche Maßnahmen zur Friedenssicherung treffen<br />

sollte. Die Fokussierung auf die Friedenssicherung schränkt gemäss Art.11 (4) die<br />

allgemeinen Kompetenzen <strong>der</strong> GA gemäss Art.10 nicht ein.<br />

Wohl aber enthält Art.12 eine solche Beschränkung. Solange nämlich <strong>der</strong> SR sich<br />

mit einer Angelegenheit beschäftigt, die in seine Zuständigkeit fällt, darf diese nicht<br />

in <strong>der</strong> GA diskutiert werden. Dies zeigt die Vorrangstellung des SR im System <strong>der</strong><br />

Friedenssicherung durch die UNO, was auch durch Art.24 (1) bestätigt wird, <strong>der</strong> dem<br />

SR die Hauptverantwortung für die Wahrung des Friedens zuweist. Der SR hat also<br />

das <strong>Recht</strong> jede Angelegenheit, die in seine Kompetenzen fällt, an sich zu ziehen und<br />

damit von <strong>der</strong> Tagesordnung <strong>der</strong> GA zu setzen. Nur wenn er dies nicht tut o<strong>der</strong> gemäss<br />

Art.11 (2) die Angelegenheit an die GA zurückverweist, darf diese sich wie<strong>der</strong><br />

damit befassen. Damit diese Nachrangigkeit <strong>der</strong> GA gegenüber dem SR in <strong>der</strong> Praxis<br />

gewahrt wird, informiert <strong>der</strong> Generalsekretär die GA gemäss Art.12 (2) über alle<br />

Angelegenheiten, die <strong>der</strong> SR zur Zeit behandelt.<br />

Schließlich steht <strong>der</strong> GA gemäss Art.17 das Haushaltsrecht zu. Dies gilt nicht nur für<br />

die UNO selbst. Die GA prüft und genehmigt gemäss Art.17 (3) auch den Haushalt<br />

aller Son<strong>der</strong>organisationen, die gemäss Art.57 und Art.63 in Beziehung zur UNO<br />

stehen.<br />

3. Verbindlichkeit <strong>der</strong> Entscheidungen<br />

Die Beschlüsse <strong>der</strong> GA werden in die Form von Resolutionen, Deklarationen o<strong>der</strong><br />

Entscheidungen gekleidet. Da es sich nur um Empfehlungen handelt, sind diese<br />

Akte rechtlich unverbindlich. Dies ergibt sich auch eindeutig aus <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte.<br />

In San Francisco ist <strong>der</strong> Vorschlag gemacht worden, <strong>der</strong> GA die Kompetenz<br />

zu geben, verbindliche <strong>Recht</strong>sregeln für die Mitgliedstaaten zu schaffen. Dieser<br />

Vorschlag ist jedoch ausdrücklich verworfen worden.<br />

Verbindlichkeit können Empfehlungen <strong>der</strong> GA als authentische Interpretation <strong>der</strong>


94<br />

UN-Charta durch die Mitgliedstaaten erhalten o<strong>der</strong> wenn die Resolution als Vertrag<br />

<strong>der</strong> Mitgliedstaaten untereinan<strong>der</strong> gedeutet werden kann. Eine authentische Interpretation<br />

ist jedoch nur dann anzunehmen, wenn grundsätzlich alle Mitglie<strong>der</strong> zustimmen.<br />

Dafür genügt allerdings auch eine Entscheidung im Konsensusverfahren.<br />

Außerdem muss die Resolution mit dem Willen gefasst worden sein, eine rechtlich<br />

verbindliche Interpretation <strong>der</strong> Charta vorzunehmen. Dies gilt etwa für die friendly<br />

relations declaration (GA Res 2625 vom 24.10.1970 und für die definition of aggression<br />

(GA Res 3314 vom 14.12.1974), in denen die Mitgliedstaten eindeutig einige<br />

wesentliche Prinzipien <strong>der</strong> UN-Charta, wie das Gewaltverbot und das Interventionsverbot<br />

näher umschreiben wollten.<br />

Als Vertrag kann eine Resolution nur gedeutet werden, falls <strong>der</strong> Wille zu Vertragsverhandlungen<br />

und zum Vertragsschluss erkennbar ist. Probleme macht hier meist<br />

<strong>der</strong> <strong>Recht</strong>sbindungswille. Resolutionen <strong>der</strong> GA können jedoch zur Vorbereitung von<br />

Verträgen Bedeutung erlangen. So ist die Allgemeine Erklärung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

(GA/Res217 III/1948) in die beiden UN-Pakte über bürgerliche und politische <strong>Recht</strong>e<br />

sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle <strong>Recht</strong>e aus dem Jahr 1966 eingegangen.<br />

Eine wichtige Aufgabe bei <strong>der</strong> Schaffung von Völkervertragsrecht hat auch<br />

die International Law Commission (ILC). Die ILC ist ein Unterorgan <strong>der</strong> UN-<br />

Generalversammlung. Ihr gehören 34 unabhängige Völkerrechtler an. Die ILC erstattet<br />

Berichte über den Bestand des geltenden Gewohnheitsrechts. Die ILC verfasst<br />

dann auf <strong>der</strong> Grundlage ihrer Berichte Entwürfe über die Kodifizierung von Gewohnheitsrecht.<br />

Diese haben etwa zum Abschluss <strong>der</strong> Wiener Vertragsrechtskonvention,<br />

dem Wiener Diplomaten- und Konsularrecht und zur UN Seerechtskonvention geführt.<br />

4. Abstimmung<br />

Die Abstimmung in <strong>der</strong> GA erfolgt gemäss Art.18 (1) nach dem Prinzip one state<br />

one vote. In wichtigen Angelegenheiten, die in Art.18 (2) im einzelnen aufgeführt<br />

sind, bedürfen Beschlüsse <strong>der</strong> Mehrheit von Zwei-Dritteln <strong>der</strong> anwesenden und abstimmenden<br />

Mitglie<strong>der</strong>, relative qualifizierte Mehrheit. Im übrigen kommen gemäss


95<br />

Art.18 (3) Beschlüsse mit <strong>der</strong> einfachen Mehrheit <strong>der</strong> anwesenden und abstimmenden<br />

Mitglie<strong>der</strong> zustande.<br />

Hat ein Mitglied seine Beiträge für die letzten zwei Jahr nicht bezahlt, verliert es gemäß<br />

Art. 19 UN-Charta sein Beschlussrecht in <strong>der</strong> Generalversammlung. Bezüglich<br />

dieser Norm gibt es seit den sechziger Jahren einen Streit darüber, ob die Finanzierung<br />

von friedenssichernden Aktionen im Rahmen <strong>der</strong> Beitragszahlung zu berücksichtigen<br />

sind. Zum einen war umstritten, ob die Kosten für solche Aktionen von allen<br />

Mitglie<strong>der</strong>n gemeinsam aufzubringen sind, auch wenn diese Aktionen ohne o<strong>der</strong><br />

gegen <strong>der</strong>en Willen beschlossen worden sind. Einige Staaten wie etwa die Sowjetunion<br />

und China vertraten lagen Zeit die Auffassung, dass Kosten von peace keeping<br />

forces o<strong>der</strong> militärischen Zwangsmaßnahmen dem Aggressorstaat aufzuerlegen<br />

sind. Die Praxis <strong>der</strong> Generalversammlung ging jedoch schließlich dahin, die<br />

Kosten für solche Aktionen in die Berechnung <strong>der</strong> Beiträge für alle Mitglie<strong>der</strong> mit einzubeziehen.<br />

Zum an<strong>der</strong>en war streitig, ob die einseitige Übernahme <strong>der</strong> Kosten militärischer Aktionen<br />

in die Beitragsleistungen einberechnet werden müssen. Dies war und ist <strong>der</strong><br />

Standpunkt <strong>der</strong> USA, die deshalb ihre Beitragspflicht in den neunziger Jahren für<br />

einige Jahre suspendiert hatten. Gegen die USA ist dann auch kein Verfahren gemäß<br />

Art. 19 UN-Charta durchgeführt worden. Lediglich einigen sehr arme Staaten<br />

wie Haiti, die zentralafrikanische Republik und dem Tschad wurde <strong>der</strong> Entzug des<br />

Stimmrechts, ohne dass es im Ergebnis jedoch dazu kam. Lediglich bezüglich des<br />

Tschad wurde dann auch <strong>der</strong> Zahlungsverzug festgestellt, dann allerdings auf <strong>der</strong><br />

Grundlage von Art. 19 S. 2 UN-Charta die vorübergehende Ausübung des Stimmrechts<br />

gestattet.<br />

II. Der Sicherheitsrat<br />

1. Zusammensetzung<br />

Der Sicherheitsrat besteht aus fünfzehn Mitglie<strong>der</strong>. Fünf davon sind ständige Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Dies sind China, Frankreich, das Vereinigte Königreich, die Vereinigten


96<br />

Staaten und Russland. Die Bestimmung über die ständigen Mitglie<strong>der</strong> ist die Frucht<br />

des Zweiten Weltkrieges. Es sind dies die großen Drei, also das UK, die USA und<br />

die UdSSR, welche seit <strong>der</strong> Atlantikcharta 1941 die Hauptlast des Krieges trugen.<br />

Hinzu kam auf <strong>der</strong> Moskauer Konferenz vom Oktober 1943 China und schließlich<br />

Frankreich, das 1945 in Potsdam in den Kreis <strong>der</strong> Hauptsiegermächte und damit<br />

auch in den Kreis <strong>der</strong> in beson<strong>der</strong>er Weise für die UNO verantwortlichen Mächte<br />

aufgenommen wurde. Dies drückt sich auch in Art.106 aus.<br />

Die Mitgliedschaft <strong>der</strong> Republik China war seit 1946 insoweit umstritten, als zwei<br />

Regierungen das Vertretungsrecht für sich in Anspruch nahmen. <strong>Das</strong> sogenannte<br />

Kuomintang Regime unter Chiang kai Tchek, das nach dem Sturz des Kaisers<br />

(1912) nach inneren Unruhen 1927 endgültig die Herrschaftsgewalt übernommen<br />

hatte, musste 1949 das chinesische Festland verlassen und übte von da an nur noch<br />

Herrschaftsgewalt über Taiwan aus. Es nahm für sich jedoch weiter in Anspruch, für<br />

China als Ganzes zu sprechen. Dies wurde von den Westmächten auch bis 1971<br />

akzeptiert. Dagegen vertraten die UdSSR und ihre Verbündeten seit 1949 den<br />

Standpunkt, dass China von dem auf dem Festland an die Macht gekommenen<br />

kommunistischen Regime unter Mao tse Tung vertreten werden müsse. Zur Durchsetzung<br />

ihres Standpunkts verfolgte die UdSSR im Jahr 1950 im SR die Politik des<br />

leeren Stuhls, die es jedoch wegen <strong>der</strong> Korea Krise nicht durchhalten konnte. Nach<br />

dem Bruch zwischen <strong>der</strong> UdSSR und <strong>der</strong> Volksrepublik China in den späten fünfziger<br />

Jahren und <strong>der</strong> Annäherung an die USA Anfang <strong>der</strong> siebziger Jahre beschloss<br />

die GA am 25.10 1951 in <strong>der</strong> GA/Res 2758 (XXVI), das China nunmehr von dem<br />

kommunistischen Regime vertreten werde. Taiwan zog unter Protest aus dem SR<br />

aus. Wichtig ist, dass es dabei nicht um eine Wechsel in <strong>der</strong> Mitgliedschaft son<strong>der</strong>n<br />

nur um die Frage ging, welche Regierung das nach wie vor als ungeteilt behandelte<br />

China vertreten dürfe.<br />

Problematisch ist auch die Mitgliedschaft von Russland im SR. Ursprünglich war dies<br />

die UdSSR, die jedoch 1991 in viele Einzelstaaten zerfiel. Russland, Weißrussland<br />

und die Ukraine begründen in Minsk die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten<br />

(GUS), auf dem Gipfel in Alma Ata am 21.12.1991 schließen sich Aserbaidschan,<br />

Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Moldau, Tadschikistan, Turkmenistan, und Usbe-


97<br />

kistan an (Georgien tritt <strong>der</strong> GUS im Oktober 1993 bei). Im Innenverhältnis dieser<br />

Staaten untereinan<strong>der</strong> wird eine Auflösung <strong>der</strong> UdSSR verbunden mit <strong>der</strong> Gründung<br />

neuer Staaten angenommen. Dies hätte an sich den Verlust <strong>der</strong> Mitgliedschaft verbunden<br />

mit einem Neuaufnahmeantrag aller Staaten einschließlich <strong>der</strong> Russischen<br />

Fö<strong>der</strong>ation nach sich gezogen. Russland hat jedoch gegenüber allen Staaten und<br />

<strong>der</strong> UNO erklärt, dass es <strong>der</strong> Fortsetzerstaat <strong>der</strong> UdSSR sei und damit alle <strong>Recht</strong>e<br />

und Pflichten auch bzgl. des ständigen Sitzes im SR wahrnehme. Dies wurde von<br />

<strong>der</strong> UNO kommentarlos zur Kenntnis genommen.<br />

Daneben treten zehn nichtständige Mitglie<strong>der</strong>. Ursprünglich waren es nur sechs.<br />

Nachdem durch die Entkolonialisierung die Zahl <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> in den fünfziger Jahren<br />

drastisch anstieg, wurde die Erhöhung jedoch 1965 beschlossen. Die nichtständigen<br />

Mitglie<strong>der</strong> werden von <strong>der</strong> GA für zwei Jahr gewählt. Dabei sollen gemäss<br />

Art.23 (1) <strong>der</strong> Beitrag <strong>der</strong> Staaten für den Frieden und eine angemessene geographische<br />

Verteilung eine Rolle spielen. In <strong>der</strong> Praxis wird jedoch nur <strong>der</strong> zweite Aspekt<br />

berücksichtigt. Gemäss einer Resolution <strong>der</strong> GA von 1963 sollen drei Mitglie<strong>der</strong><br />

aus Afrika, zwei aus Asien, zwei aus Lateinamerika, zwei aus Westeuropa und an<strong>der</strong>en<br />

Staaten (Australien, Kanada, Israel, Neuseeland und Südafrika) und eines aus<br />

Mittel- und Osteuropa kommen.<br />

Seit den sechziger Jahren gibt es eine ständige Reformdiskussion um die Zusammensetzung<br />

des SR. Die Staaten Afrikas und Asiens verlangen eine Aufstockung<br />

auf 16 nichtständige Mitglie<strong>der</strong> mit einem höheren Kontingent aus diesen Kontinenten.<br />

Begründet wird dies damit, dass 1963 die UNO nur 50 Mitglie<strong>der</strong> hatte, während<br />

dies heute 191 sind, wobei <strong>der</strong> Anstieg vor allem aus diesen Regionen herrührt. Außerdem<br />

drängen Deutschland, Japan und auch Italien auf eine ständige Mitgliedschaft.<br />

Durch beides würde jedoch die Balance zwischen den ständigen und den<br />

nichtständigen Mitglie<strong>der</strong>n im Rat entscheidend verän<strong>der</strong>t. Zur Zeit müssen einer<br />

Resolution gemäss Art.27 (3) alle ständigen und vier nichtständige Mitglie<strong>der</strong> zustimmen.<br />

Nach <strong>der</strong> Reform müssten neun nichtständige Mitglie<strong>der</strong> zustimmen. Deshalb<br />

sträuben sich die ständigen Mitglie<strong>der</strong> bisher gegen alle Reformversuche.


98<br />

2. Aufgaben<br />

Dem Sicherheitsrat obliegt gemäss Art.24 (1) die Hauptverantwortung für die Wahrung<br />

des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit. Damit genießt <strong>der</strong> Sicherheitsrat<br />

auf dem Gebiet <strong>der</strong> Friedenssicherung eine Vorrangstellung vor allen an<strong>der</strong>en<br />

UN-Organen. <strong>Das</strong> heißt, er kann jede friedensrelevante Angelegenheit an sich ziehen,<br />

unabhängig davon, ob ein an<strong>der</strong>es Organ zuvor mit ihr befasst war o<strong>der</strong> nicht.<br />

Im Verhältnis zum <strong>Internationalen</strong> Gerichtshof ist jedoch weniger von einem Vorrangverhältnis<br />

als vielmehr von einem Nebeneinan<strong>der</strong> verschiedener Aufgaben bei<strong>der</strong><br />

Organe auszugehen. Während <strong>der</strong> SR als politisch orientiertes Organ Friedenssicherung<br />

durch praktische Maßnahmen betreibt, ist es die Aufgabe des IGH streng<br />

am Maßstab des geltenden Völkerrechts rechtliche Streitigkeiten zu entscheiden.<br />

Dabei ist <strong>der</strong> IGH durch eine vorherige Befassung durch den SR nicht daran gehin<strong>der</strong>t<br />

im Rahmen seiner Kompetenzen einen Fall zu entscheiden und er ist dabei<br />

auch nicht an die <strong>Recht</strong>sauffassung des SR gebunden.<br />

Art.24 (2) beschreibt mit dem Verweis auf Kapitel VI, VII, VIII und XII die Kompetenzen,<br />

die dem Rat im einzelnen zur Friedenssicherung eingeräumt sind. Dabei ist diese<br />

Aufzählung jedoch nicht abschließend. So steht dem SR etwa nach Art.26 im<br />

Rahmen von Kapitel V das <strong>Recht</strong> zu, Pläne auszuarbeiten, um eine allgemeine Rüstungsregelung<br />

durch die Mitglie<strong>der</strong> zu beför<strong>der</strong>n. Im Rahmen von Kapitel IX hat er<br />

nach Art.94 (2) die Kompetenz, Entscheidungen des IGH im Falle <strong>der</strong> Nichtbefolgung<br />

mit Zwangsmassnahmen durchzusetzen.<br />

3. <strong>Das</strong> <strong>Recht</strong> zur authentischen Interpretation <strong>der</strong> Charta<br />

Art.24 (2) bindet den SR mit <strong>der</strong> Wendung „im Einklang mit den Zielen und<br />

Grundsätzen <strong>der</strong> Vereinten Nationen“ materiellrechtlich an die UN-Charta. Eine vergleichbare<br />

Formulierung enthält Art.25, <strong>der</strong> die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Beschlüsse<br />

des Sicherheitsrats im Einklang mit dieser Charta anzunehmen und durchzuführen.<br />

Diese rechtliche Bindung lässt es fraglich erscheinen, ob dem Rat damit<br />

zugleich neben o<strong>der</strong> anstelle <strong>der</strong> Mitgliedstaaten ein <strong>Recht</strong> zur authentischen Inter-


99<br />

pretation <strong>der</strong> Charta übertragen worden ist. Dieses Ergebnis klingt in dem von<br />

ROBERT LILLICH geprägten Satz an: "The international community is bound by the UN<br />

Charter, but the Charter is what (in this case) the Security Council says it is".<br />

Der Wortlaut von Art. 24 UN-Charta sowie die Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Charta<br />

machen aber deutlich, dass die Kompetenzen des Sicherheitsrats nicht so weit reichen.<br />

Die Wendung im Einklang mit <strong>der</strong> Charta ist bereits in San Fancisco als eine<br />

materiellrechtliche Bindung des SR verstanden worden. Dies ergibt sich aus dem<br />

"Summary Report of Thirteeth Meeting of Committee III/" <strong>der</strong> Gründungskonferenz in<br />

San Francisco. Dort wird über einen Ergänzungsantrag Norwegens berichtet, <strong>der</strong><br />

zum Ziel hat, die Befugnisse des Sicherheitsrats bei <strong>der</strong> Friedenswahrung inhaltlich<br />

zu beschränken. Dieser Antrag findet zwar keine Mehrheit unter den Konferenzteilnehmern.<br />

Der Vertreter <strong>der</strong> Vereinigten Staaten räumt aber ein:<br />

"Furthermore, the Charter had to be consi<strong>der</strong>ed in its entirety and if the Security<br />

Council violated its principles and purposes it would be acting ultra vires."<br />

Ein ultra vires-Handeln ist aber nur dann denkbar, wenn <strong>der</strong> Rat nicht kraft eigener<br />

Befugnis den Inhalt <strong>der</strong> Charta durch authentische Interpretation selbst festlegen<br />

kann. Er ist vielmehr materiellrechtlich an die "purposes and principles" <strong>der</strong> Charta,<br />

so wie sie von den Staaten als den Herren <strong>der</strong> Verträge interpretiert werden, gebunden.<br />

Wegen des inneren Zusammenhangs mit den Aufgaben des Sicherheitsrats<br />

gemäß Art. 24 UN-Charta muss auch die in Art. 25 UN-Charta enthaltene Wendung:<br />

"in accordance with the present Charter" so verstanden werden, dass die Mitgliedstaaten<br />

nur zur Befolgung solcher Resolutionen verpflichtet sind, die materiell im<br />

Einklang mit <strong>der</strong> Charta stehen.<br />

Der Sicherheitsrat als Organ <strong>der</strong> Vereinten Nationen ist also bei seiner Auslegung<br />

<strong>der</strong> Charta an den Konsens <strong>der</strong> Vertragsparteien gebunden. Findet er <strong>der</strong>en Zustimmung<br />

nicht, so betreibt er Vertragsän<strong>der</strong>ung, die grundsätzlich nur durch Vertragsergänzung<br />

sanktioniert werden kann, die ihrerseits in den Händen <strong>der</strong> Vertragsparteien<br />

liegt. Weicht <strong>der</strong> Rat in seiner Anwendung <strong>der</strong> Charta vom Willen <strong>der</strong><br />

Vertragsparteien ab, dann handelt er deshalb ultra vires. Seine Beschlüsse sind in<br />

diesem Fall materiellrechtlich unwirksam, sie werden als von Anfang an null und


100<br />

nichtig behandelt.<br />

Allerdings gibt es nach <strong>der</strong> Charta kein Verfahren, in dem die Nichtigkeit von den<br />

betroffenen Staaten geltend gemacht werden kann. WENGLER misst deshalb den<br />

Feststellungen des Sicherheitsrats vergleichbar einer nicht mehr mit <strong>Recht</strong>smitteln<br />

angreifbaren Entscheidung eines internationalen Gerichts <strong>Recht</strong>skraft zu. Beschränkt<br />

man den oben zitierten Satz von LILLICH auf dieses Problem, so vertritt<br />

auch er die Auffassung, dass <strong>der</strong> Rat verfahrensrechtlich die Herrschaft über die<br />

Interpretation <strong>der</strong> einschlägigen Vorschriften <strong>der</strong> Charta hat, weil die Entscheidung,<br />

ob seine eigenen Beschlüsse ultra vires sind o<strong>der</strong> nicht, wegen Art. 24 und 25 UN-<br />

Charta alleine bei ihm liegt.<br />

Dagegen ist SCHILLING <strong>der</strong> Meinung, dass je<strong>der</strong> von einer Maßnahme des Rates betroffene<br />

Staat befugt sei, <strong>der</strong>en <strong>Recht</strong>mäßigkeit zu prüfen und, falls er sie für nichtig<br />

hält, nicht zu beachten. SCHILLING beruft sich auf die "allgemeinen völkerrechtlichen<br />

Grundsätze" und verweist damit auf eine rechtliche Ebene außerhalb <strong>der</strong> Charta. Er<br />

geht dabei davon aus, dass <strong>der</strong> Konflikt zwischen Rat und Mitgliedstaat wie ein Konflikt<br />

zwischen zwei Staaten um die Auslegung eines zwischen ihnen geschlossenen<br />

Vertrags zu behandeln ist. Für solche Konflikte gibt es keine verbindlichen verfahrensrechtlichen<br />

Regeln <strong>der</strong> Streitbeilegung, so dass je<strong>der</strong> Vertragspartner seinen<br />

<strong>Recht</strong>sstandpunkt vertreten kann, ohne an Entscheidungen Dritter gebunden zu<br />

sein.<br />

Für das Verhältnis <strong>der</strong> Mitgliedstaaten zum Sicherheitsrat gilt dies jedoch wegen<br />

Art. 24 und 25 UN-Charta nicht. Dies belegt die Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Charta.<br />

Wegen <strong>der</strong> Bedeutung des Interventionsverbots als Schranke <strong>der</strong> Kompetenzen <strong>der</strong><br />

Organe <strong>der</strong> Vereinten Nationen macht Griechenland auf <strong>der</strong> Konferenz von San<br />

Francisco den Vorschlag, Streitigkeiten über die Anwendung dieser Vorschrift auf<br />

Antrag einer Partei <strong>der</strong> verbindlichen Gerichtsbarkeit des <strong>Internationalen</strong> Gerichtshofs<br />

zu unterwerfen. In dem Antrag heißt es:<br />

"It should be left to the International Court of Justice at the request of a party to decide<br />

whether or not such situation or dispute arises out of matters that un<strong>der</strong> international<br />

law, fall within the domestic jurisdiction of the State concerned."


101<br />

Dieser Antrag muss vor dem Hintergrund des durch Art. 24 und 25 UN-Charta dem<br />

Rat eingeräumten Anwendungsmonopols mit Verbindlichkeitsanspruch gesehen<br />

werden. Er stellt den Versuch dar, die von den Bindungen an die Vereinten Nationen<br />

freibleibenden Sphären staatlicher Beliebigkeit vor dem verfahrensrechtlich unkontrollierten<br />

Zugriff des Sicherheitsrats zu schützen.<br />

In San Francisco setzt sich aber die Auffassung <strong>der</strong> Großmächte durch, dass <strong>der</strong><br />

Rat in dieser Frage keiner Kontrolle unterliegen soll. Der amerikanische Delegierte<br />

DULLES vergleicht das Verhältnis des Sicherheitsrats zu den Mitgliedstaaten insoweit<br />

mit dem Verhältnis zwischen <strong>der</strong> amerikanischen Bundesregierung und den Bundesstaaten.<br />

In einem solchen bundesstaatlichen Verhältnis liegt die verfahrensrechtliche<br />

Herrschaft zur Bestimmung von Umfang und Grenzen <strong>der</strong> Bundeskompetenzen bei<br />

<strong>der</strong> Zentralgewalt. Übertragen auf die Charta bedeutet dies, dass <strong>der</strong> Satzungsgeber<br />

in voller Kenntnis des Problems die Verfahrensherrschaft auf den Rat übertragen<br />

hat. Der materiellrechtlichen Bindung des Rates an die Charta korrespondiert also<br />

kein <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Staaten, diese Bindungen im Rahmen <strong>der</strong> Charta geltend zu machen.<br />

Dies deutet auch <strong>der</strong> Internationale Gerichtshof in seinem Gutachten betreffend<br />

"Certain Expenses of the United Nations" (ICJ-Reports 1962, S.151 (168) an, wo er<br />

sagt: "Therefore, each organ must, in the first place, determine its own jurisdiction."<br />

Wenn allerdings <strong>der</strong> Sicherheitsrat beharrlich und schwerwiegend die Grenzen seiner<br />

Kompetenzen aus <strong>der</strong> Charta überschreitet, dann hat jedes davon betroffene<br />

Mitglied das <strong>Recht</strong> zum Austritt aus <strong>der</strong> UNO. Da ein solches Austrittsrecht nicht in<br />

<strong>der</strong> Charta vorgesehen ist, wird es in <strong>der</strong> Literatur zwar häufig vor allem mit dem<br />

Hinweis auf die angestrebte Universalität <strong>der</strong> UNO abgelehnt. Wie die Entstehungsgeschichte<br />

<strong>der</strong> Charta zeigt, sollte jedoch eine Kündigung entsprechend <strong>der</strong> clausula<br />

rebus sic stantibus-Regel auf jeden Fall möglich sein. Die in San Francisco als<br />

zur Kündigung berechtigende exceptional circumstances bezeichneten Umstände<br />

sollten etwa dann <strong>der</strong> vorliegen, wenn<br />

(1) die Charta mit <strong>der</strong> erfor<strong>der</strong>lichen Zwei-Drittel-Mehrheit in <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

gemäß Art.108 UN-Charta gegen den Willen des Austretenden geän<strong>der</strong>t wurde,<br />

wenn


102<br />

(2) die Organisation sich nach Auffassung des Betroffenen als unfähig erweist, den<br />

Frieden und die Sicherheit zu wahren und wenn<br />

(3) <strong>der</strong> Sicherheitsrat ein Mitglied mit Sanktionsmaßnahmen überzieht, die dieses<br />

Mitglied für ultra vires hält.<br />

5. Die Bindungswirkung <strong>der</strong> Entscheidungen<br />

Die in Art.25 angesprochene Bindungswirkung ist zudem nur deklaratorischer Natur.<br />

Resolutionen gemäss Kapitel VI UN-Charta, die ausweislich des Wortlauts und <strong>der</strong><br />

Entstehungsgeschichte rechtlich unverbindlich sein sollen, werden nicht über Art.25<br />

UN-Charta verbindlich. Für die Zwangsmassnahmen gemäss Kapitel VII gilt deshalb<br />

etwas an<strong>der</strong>es, weil Art.48 UN-Charta im Rahmen dieses Kapitels dies so regelt.<br />

6. Die Abstimmung<br />

Gemäss Art.27 Abs.1 hat jedes Mitglied im SR eine Stimme. Es gilt also auch hier<br />

grundsätzlich <strong>der</strong> Satz one state one vote. Beschlüsse in Verfahrensfragen bedürfen<br />

gemäss Art.27 (2) einer zwei Drittel Mehrheit von neun Mitglie<strong>der</strong>n im Rat. Damit<br />

haben zwar die fünf ständigen Mitglie<strong>der</strong> zusammen zahlenmäßig die Majorität, sie<br />

können jedoch einzeln eine Entscheidung in solchen Fragen nicht blockieren. Zu den<br />

Verfahrensfragen gehören alle in den Art.28 bis 32 genannten Aufgaben, also die<br />

Vorkehrungen zur ständigen Wahrnehmung <strong>der</strong> Aufgaben des Rates (Art.28), die<br />

Bildung von Nebenorganen (Art.29), die Geschäftsordnung (Art.30 und die Regelungen<br />

über die Teilnahme an Sitzungen des Rates (Art.31 und 32). Ist unter den Mitglie<strong>der</strong>n<br />

im Rat streitig, ob es sich bei einer Angelegenheit um eine Verfahrensfrage<br />

handelt o<strong>der</strong> nicht, so greift Art.27 (3) ein.<br />

Gemäß Art. 27 (3) UN-Charta a. F. bedürfen alle Entscheidungen des Sicherheitsrates,<br />

die nicht Verfahrensfragen betreffen, <strong>der</strong> Zustimmung von neun Mitglie<strong>der</strong>n einschließlich<br />

des "concurring vote of the permanent members". Der Wortlaut von


103<br />

Art. 27 (3) UN-Charta spricht auf den ersten Blick dafür, dass eine Resolution nur<br />

dann zustande kommt, wenn alle fünf ständigen Mitglie<strong>der</strong> zustimmen. Diese Deutung<br />

entspricht auch <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Vorschrift. Zu <strong>der</strong> in Jalta gefundenen<br />

Abstimmungsformel erklären die späteren ständigen Mitglie<strong>der</strong> in einer<br />

gemeinsamen Erklärung in San Francisco, dass angesichts <strong>der</strong> vorrangigen Verantwortung<br />

<strong>der</strong> ständigen Mitglie<strong>der</strong> für den internationalen Frieden und die Sicherheit<br />

nicht erwartet werden könne, dass in einer so ernsten Angelegenheit wie <strong>der</strong> Aufrechterhaltung<br />

des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit die Verpflichtung zur<br />

Befolgung einer Entscheidung vorausgesetzt werden könne, wenn diese nicht übereinstimmten.<br />

Die hervorgehobene Bedeutung einer gemeinsamen Haltung <strong>der</strong> ständigen Mitglie<strong>der</strong><br />

für das System <strong>der</strong> Friedenssicherung <strong>der</strong> Charta wird auch in Art. 106 UN-<br />

Charta deutlich. Nach dieser Vorschrift, die als Übergangsregelung bis zum Inkrafttreten<br />

von Son<strong>der</strong>abkommen nach Art. 43 UN-Charta gilt, können die ständigen Mitglie<strong>der</strong>,<br />

wenn sie sich einig sind, anstelle des Sicherheitsrates Maßnahmen durchführen,<br />

die sie für notwendig halten, um den internationalen Frieden und die Sicherheit<br />

aufrechtzuerhalten.<br />

In <strong>der</strong> Praxis des Sicherheitsrates hat sich jedoch von Anfang an eine großzügigere<br />

Handhabung von Art. 27 (3) UN-Charta durchgesetzt. Bereits im Jahr 1950 zur Zeit<br />

des Koreakrieges, in dem als einzigem Konflikt die Interpretation von Art.27 (3) wirklich<br />

umstritten war, zählte man mindestens neunundzwanzig Fälle, in denen Resolutionen<br />

als wirksam zustande gekommen behandelt wurden, obwohl ein ständiges<br />

Mitglied sich <strong>der</strong> Stimme enthalten hatte.<br />

Nimmt ein betroffenes ständiges Mitglied eine Resolution hin, so liegt zumindest kein<br />

ausdrückliches Veto vor. Zudem kann man die Zustimmung für den Fall, dass ein<br />

ständiges Mitglied nicht anwesend ist, auch dahingehend deuten, dass das betroffene<br />

Mitglied auf das Erfor<strong>der</strong>nis <strong>der</strong> Anwesenheit aller ständigen Mitglie<strong>der</strong> verzichtet.<br />

Dafür spricht auch, dass Art. 27 UN-Charta über die Regel, dass mindestens neun<br />

Mitglie<strong>der</strong> des Rates für einen Antrag gestimmt haben müssen, hinaus keine Regeln<br />

über ein Mindestquorum für die Beschlussfassung im Sicherheitsrat enthält.


104<br />

Im Korea-Konflikt hatte die Sowjetunion, die wegen des Dissenses über die Vertretung<br />

Chinas im Rat nicht anwesend war, jedoch gegen das Zustandekommen <strong>der</strong><br />

Resolutionen 83 und 84 (1950) ausdrücklich protestiert. In einem solchen Fall kann<br />

eine Zustimmung zum Verfahren nicht unterstellt werden. Hier liegt es vielmehr näher,<br />

die Abwesenheit wie ein Veto zu behandeln. Fraglich ist nur, ob dieses Veto<br />

beachtlich ist. Eine Auffassung verneint dies, indem sie auf Art. 28 (1) UN-Charta<br />

verweist. Nach dieser Vorschrift ist <strong>der</strong> Sicherheitsrat so zu organisieren, dass er<br />

seine Aufgaben ständig wahrnehmen kann. Deshalb ist jedes seiner Mitglie<strong>der</strong><br />

gehalten, am Sitz <strong>der</strong> Organisation vertreten zu sein. Zweck <strong>der</strong> Vorschrift ist es zu<br />

erreichen, dass durch eine Politik des leeren Stuhls <strong>der</strong> Sicherheitsrat nicht handlungsunfähig<br />

gemacht werden kann. Ist ein Mitglied nicht anwesend, verstößt es, die<br />

Fälle einer unverschuldeten Abwesenheit einmal ausgeklammert, gegen seine Präsenzpflicht.<br />

Ein solcher Verstoß soll dazu führen, dass das abwesende ständige Mitglied nicht<br />

die <strong>Recht</strong>e ausüben darf, die ihm zugestanden hätten, wenn es anwesend gewesen<br />

wäre. Seine Abwesenheit wird also als Nichtausübung des Stimmrechts und damit<br />

wie eine Stimmenthaltung behandelt. Eine nachträgliche Ausübung des Stimmrechts<br />

soll ausgeschlossen sein. Nach dieser Auffassung kann eine Resolution bei Abwesenheit<br />

eines ständigen Mitglieds gemäß <strong>der</strong> anerkannten Praxis über die Stimmenthaltung<br />

zustande kommen.<br />

Die Gegenansicht hält diese Auslegung für nicht mehr mit dem Wortlaut des Art. 27<br />

(3) UN-Charta vereinbar. Sie leitet aus dem Erfor<strong>der</strong>nis des "concurring vote" ab,<br />

dass eine Resolution nur dann zustande kommen kann, wenn ein abwesendes ständiges<br />

Mitglied zumindest im nachhinein die ergangene Entscheidung billigt, wobei es<br />

aber genügen soll, dass dieses Mitglied nicht ausdrücklich gegen die <strong>Recht</strong>sgültigkeit<br />

<strong>der</strong> Resolution protestiert. Die Haltung <strong>der</strong> Sowjetunion zu den Resolutionen<br />

bezüglich Korea muss sie jedoch als beachtliches Veto bewerten.<br />

Die Behandlung <strong>der</strong> Koreakrise im Sicherheitsrat, die zugleich den einzig wichtigen<br />

Fall für dieses Problem darstellt, vermag keinen Aufschluss über die Lösung dieses<br />

Problems zu geben. Eine aussagefähige Praxis des Sicherheitsrates zu <strong>der</strong> Frage,


105<br />

ob eine Resolution den Verfahrensvorschriften <strong>der</strong> Charta entspricht, kann nur dann<br />

entstehen, wenn <strong>der</strong> Meinungsstreit für diese Verfahrensfrage rechtlich irrelevant ist.<br />

Weil man aber im vorliegenden Fall auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> abweichenden Meinung<br />

<strong>der</strong> Sowjetunion zu einem an<strong>der</strong>en Ergebnis kommen muss, ist eine solche Praxis<br />

nicht entstanden. Die formale <strong>Recht</strong>mäßigkeit <strong>der</strong> Resolutionen 83 und 84 (1950)<br />

muss deshalb als nicht endgültig geklärt angesehen werden.<br />

III. Der Wirtschafts- und Sozialrat<br />

1. Zusammensetzung<br />

Der Wirtschafts- und Sozialrat besteht gemäss Art.61 aus vierundfünfzig von <strong>der</strong><br />

Generalversammlung gewählten Mitglie<strong>der</strong>n. Die Wahl erfolgt entsprechend dem<br />

Prinzip <strong>der</strong> gleichmäßigen geographischen Verteilung. Vierzehn Mitglie<strong>der</strong> kommen<br />

aus Afrika, elf aus Asien, zehn aus Lateinamerika, dreizehn aus Westeuropa und<br />

verwandten Staaten und sechs aus Mittel- und Osteuropa.<br />

2. Aufgaben<br />

Der ECOSOC ist im Wesentlichen ein Organ zur Lenkung, Überwachung und Koordination.<br />

Er kann im Rahmen seines weit gespannten Aufgabenkreises Untersuchungen<br />

durchführen, Berichte abgeben und Empfehlungen an die GA o<strong>der</strong> an Mitgliedstaaten<br />

abgeben. Verbindliche Beschlüsse kann er jedoch nicht treffen.<br />

Die wesentlichen Aufgaben des ECOSOC liegen gemäss Art.62 auf den Gebieten:<br />

Menschenrechte, wirtschaftliche Entwicklung, Kultur, Erziehung und Gesundheit. Die<br />

Befassung mit Menschenrechtsfragen ergibt sich unmittelbar aus dem UN-Pakt über<br />

wirtschaftliche, soziale und kulturelle <strong>Recht</strong>e aus dem Jahr 1966. Dieser sieht in den<br />

Art.16 ff. vor, dass die Mitglie<strong>der</strong> regelmäßig Berichte an den ECOSOC schicken, die<br />

diesen befähigen, über die Achtung <strong>der</strong> Menschenrechte in den Mitgliedstaaten und<br />

<strong>der</strong>en Maßnahmen zur För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschenrechte sich ein Bild zu verschaffen.<br />

Der ECSOC seinerseits kann über das Ergebnis seiner Untersuchungen <strong>der</strong> GA be-


106<br />

richten und dabei Empfehlungen abgeben.<br />

Um die vielfältigen Aufgaben auf dem Gebiet des Menschenrechtsschutzes zu koordinieren<br />

hat <strong>der</strong> ECOSOC 1970 in <strong>der</strong> Resolution 1503 (XLVIII) eine Kommission<br />

eingesetzt, an welche Berichte über Menschenrechtsverletzungen gerichtet werden<br />

können. Zu dieser Kommission können insbeson<strong>der</strong>e auch sog non governmental<br />

organisations (NGO´s) wie Amnesty International u.a. Berichte senden und auch<br />

mündlich Stellungnahmen abgeben. Auch nach diesem Verfahren kann <strong>der</strong> ECO-<br />

SOC nach Feststellung einer Menschenrechtsverletzung lediglich seinerseits <strong>der</strong> GA<br />

berichten und Empfehlungen abgeben. <strong>Recht</strong>lich verbindlich sind diese Empfehlungen<br />

nicht.<br />

Ein weiterer Schwerpunkt <strong>der</strong> Tätigkeit des ECOSOC liegt auf dem Gebiet <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

Entwicklung. Dabei steht insbeson<strong>der</strong>e die Betätigung großer multinationaler<br />

Unternehmen in Entwicklungslän<strong>der</strong>n in Vor<strong>der</strong>grund des Interesses. Hierzu<br />

hat <strong>der</strong> ECOSOC 1975 eine Kommission für transnationale Unternehmen eingesetzt,<br />

welche einen Verhaltenskodex für solche Unternehmen erarbeitet hat. Auch im Umweltschutz<br />

ist <strong>der</strong> ECOSOC aktiv, <strong>der</strong> das United Nations Environmental Program<br />

koordiniert.<br />

Schließlich schließt <strong>der</strong> ECOSOC gemäss Art.63 Abkommen mit den Son<strong>der</strong>organisationen<br />

<strong>der</strong> UNO auf den Gebieten Wirtschaft, Kultur, Erziehung, Gesundheit und<br />

an<strong>der</strong>e verwandte Gebiete.<br />

3. Die Abstimmung<br />

Jedes Mitglied des Wirtschafts- und Sozialrats hat gemäss Art.67 (1) eine Stimme.<br />

Beschlüsse bedürfen gemäss Art.67 (2) <strong>der</strong> Mehrheit aller anwesenden und abstimmenden<br />

Mitglie<strong>der</strong>.<br />

IV. Der Generalsekretär<br />

1. Wahl


107<br />

Der Generalsekretär steht <strong>der</strong> Verwaltung <strong>der</strong> UNO vor. Er wird gemäss Art.97 S.2<br />

i.V.m. Art.18 Abs.3 von <strong>der</strong> Generalversammlung auf Empfehlung des SR gewählt.<br />

Dabei hat im SR jedes ständige Mitglied gemäss Art.27 (3) ein Veto-<strong>Recht</strong>. Auf <strong>der</strong><br />

Grundlage eines Beschlusses <strong>der</strong> GA aus dem Jahr 1946 beträgt die Amtszeit fünf<br />

Jahre mit <strong>der</strong> Möglichkeit zur Wie<strong>der</strong>wahl.<br />

2. Aufgaben<br />

Der Generalsekretär leitet das Personal <strong>der</strong> UN-Verwaltung (ca. 9.000 Bedienstete).<br />

Dabei spielen bei <strong>der</strong> Einstellung des Personals zum einen Leistungsgesichtspunkte<br />

und zum an<strong>der</strong>en eine angemessene geographische Verteilung eine Rolle, die zu<br />

dem ersten Kriterium häufig kontraproduktiv ist. Der Generalsekretär und seine Mitarbeiter<br />

sind internationale Beamte, d.h. sie sind den Mitgliedstaaten gegenüber<br />

nicht an Weisungen gebunden (Art.100) und genießen in den Mitgliedstaaten Immunität<br />

und alle sonst zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Vorrechte (Art.105<br />

Abs.2).<br />

Der Generalsekretär ist gemäß Art.98 bei allen Sitzungen <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Organe anwesend<br />

und nimmt alle ihm von diesen Organen zugewiesenen Aufgaben wahr. Der<br />

Generalsekretär erstattet gemäss Art.98 S.2 jährlich <strong>der</strong> GA Bericht über die Tätigkeit<br />

<strong>der</strong> Organisation. Gemäss Art.99 hat <strong>der</strong> GS das <strong>Recht</strong>, den Sicherheitsrat auf<br />

jede nach seinem Dafürhalten friedensgefährdende Lage hinzuweisen. Von dieser<br />

Kompetenz haben insbeson<strong>der</strong>e die GS Dag Hammarskjöld (1953-61) und Boutros<br />

Ghali (1992-96) regen Gebrauch gemacht, was auch zu Konflikten mit dem SR geführt<br />

hat. Gemäss Art.102 registriert und veröffentlicht <strong>der</strong> GS alle von den Mitgliedstaaten<br />

abgeschlossenen Verträge.<br />

V. Der Internationale Gerichtshof<br />

1. Zusammensetzung des Gerichts<br />

Der IGH besteht gemäß Art.2 und 3 des Statuts aus 15 unabhängigen Richtern, die<br />

alle aus an<strong>der</strong>en Staaten stammen müssen und die entwe<strong>der</strong> die Voraussetzungen


108<br />

für die höchsten Richterämter in einem Staat erfüllen o<strong>der</strong> anerkannte Lehrer des<br />

Völkerrechts sind. Gemäß Art.9 soll sich das Gericht aus Angehörigen <strong>der</strong> wichtigsten<br />

Kultur- und <strong>Recht</strong>skreise zusammensetzen. Zur Auswahl <strong>der</strong> Richter kann die<br />

Liste des ständigen Schiedsgerichtshofs im Haag herangezogen werden. Die Wahl<br />

erfolgt gemäß Art.10 durch Generalversammlung und Sicherheitsrat, wobei die ständigen<br />

Mitglie<strong>der</strong> gemäss Art.10 (2) kein Vorzugsrecht haben. Die Richter werden<br />

gemäß Art.13 auf neun Jahre gewählt, wobei alle drei Jahre fünf Richter neu gewählt<br />

werden. Üblicherweise tagt <strong>der</strong> IGH im Plenum. Er hat aber gemäß Art.26 auch die<br />

Möglichkeit, Kammern von drei o<strong>der</strong> mehr Richtern zu bilden.<br />

2. Zuständigkeit<br />

Der IGH ist gemäß Art.92 UN-Charta das Hauptrechtsprechungsorgan <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen. Alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vereinten Nationen sind gemäß Art.93 (1) UN-Charta<br />

Parteien des Statuts über den IGH. <strong>Das</strong> heißt, alle Mitgliedstaaten können sich des<br />

IGH zur Beilegung ihrer Streitigkeiten bedienen. Nichtmitglie<strong>der</strong> können ebenfalls<br />

Partei des Statuts werden, allerdings nur dann, wenn sie gemäß Art.93 (2) die dafür<br />

von <strong>der</strong> Generalversammlung vorgesehenen Bedingungen akzeptieren. Gemäß<br />

Art.34(1) IGH-Statut kann <strong>der</strong> IGH allerdings nur von Staaten angerufen werden.<br />

Dabei verpflichten sich die beteiligten Staaten gemäß Art.94 UN-Charta die Entscheidungen<br />

des IGH in solchen Fällen, in denen sie Partei sind, zu befolgen. Wird<br />

eine Urteilsspruch des IGH von einer Partei nicht befolgt, kann die an<strong>der</strong>e Partei<br />

gemäß Art.94 (2) UN-Charta den Sicherheitsrat anrufen, <strong>der</strong> ggf. sogar Sanktionen<br />

zur Durchsetzung <strong>der</strong> Entscheidung anordnen kann. Die Zuständigkeit des IGH ist<br />

gemäß Art.36 IGH-Statut gegeben, für<br />

- jede Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrages,<br />

- jede Frage des Völkerrechts,<br />

- das Bestehen einer Tatsache, die wäre sie bewiesen, die Verletzung einer internationalen<br />

Verpflichtung darstellte,<br />

- Art und Umfang <strong>der</strong> wegen Verletzung einer internationalen Verpflichtung geschuldeten<br />

Wie<strong>der</strong>gutmachung.


109<br />

Solche <strong>Recht</strong>sstreitigkeiten können jedoch nur dann dem IGH vorgelegt werden,<br />

wenn<br />

- entwe<strong>der</strong> im konkreten Streitfall eine Einigung dahingehend getroffen wird,<br />

sog. ad-hoc Vereinbarung (Art.36 Abs.1)<br />

- wenn nach Anrufung des IGH durch eine Partei, die an<strong>der</strong>e Partei sich <strong>der</strong><br />

Gerichtsbarkeit des IGH unterwirft, Art.36 Abs.1<br />

- wenn die Zuständigkeit des IGH für diesen Fall bereits vorher vertraglich vereinbart<br />

worden ist (Art.36 Abs.1). Ein praktisch wichtiger Fall hierfür ist Art.IX<br />

<strong>der</strong> Völkermordkonvention, <strong>der</strong> für alle zwischenstaatlichen Streitigkeiten aus<br />

<strong>der</strong> Konvention die Zuständigkeit des IGH festschreibt. Problem. So hat etwa<br />

1993 Bosnien-Herzegowina Klage gegen die Bundesrepublik Jugoslawien<br />

wegen Verletzung <strong>der</strong> Konvention erhoben. Die Zuständigkeit des IGH war in<br />

diesem Fall aber nur gegeben, wenn die Bundesrepublik Jugoslawien identisch<br />

ist mit <strong>der</strong> sozialistischen Bundesrepublik Jugoslawien war, da nur diese<br />

Konventionsmitglied war. Der IGH hat im Juli 1996 in einer Vorabentscheidung<br />

zur Zulässigkeit festgestellt, dass die Bundesrepublik Jugoslawien sich<br />

selbst für identisch hält, was damals zutreffend war und darauf gestützt die<br />

Zulässigkeit bejaht. Zur Zeit muss er über einen neuen Antrag Jugoslawiens<br />

entscheiden, dass, da es nunmehr die Identitätsthese aufgegeben hat und<br />

dies durch Neuaufnahme in die UNO bestätigt worden ist, die Zuständigkeit<br />

des IGH in dieser Sache verneint.<br />

- o<strong>der</strong> wenn sich die Parteien generell <strong>der</strong> Gerichtsbarkeit des IGH unterworfen<br />

haben (Art.36 Abs.2). Eine solche generelle Unterwerfungserklärung kann<br />

zudem gemäß Art.36 (3) mit Vorbehalten versehen werden, welche bestimmte<br />

Arten von Streitigkeiten ausnehmen, wie etwa <strong>der</strong> von vielen Staaten erklärte<br />

- Conally-Vorbehalt, <strong>der</strong> Streitigkeiten, die wesensmäßig zu den inneren<br />

Angelegenheiten gehören, ausnimmt. Dabei liegt die Entscheidung darüber,<br />

was wesensmäßig zu den inneren Angelegenheiten gehört, allein in <strong>der</strong><br />

Zuständigkeit <strong>der</strong> Staaten. Ein zweiter praktisch wichtiger Vorbehalt ist <strong>der</strong><br />

Vandenberg-Vorbehalt, <strong>der</strong> ebenfalls auf die USA zurückgeht. Er lässt die


110<br />

Zuständigkeit des IGH bei multilateralen Verträgen nur dann eingreifen, wenn<br />

(1) alle Beteiligten eine entsprechende Unterwerfungserklärung abgegeben<br />

haben und (2) die USA in solchen Fällen ebenfalls die Gerichtsbarkeit akzeptiert<br />

haben.<br />

Da also im Ergebnis <strong>der</strong> IGH nur dann zuständig wird, wenn beide Parteien dem zustimmen,<br />

hat er im internationalen <strong>Recht</strong>sverkehr bisher nur eine untergeordneten<br />

Bedeutung gehabt. Die Staaten üben nach wie vor große Zurückhaltung in <strong>der</strong> Anrufung<br />

des IGH, weil sie dann die Verfahrensherrschaft aus <strong>der</strong> Hand geben und die<br />

Berufung auf einseitig vertretene <strong>Recht</strong>sstandpunkte an Wirksamkeit verliert.<br />

3. Nichterscheinen einer Partei<br />

Erscheint eine Partei nicht zum Verfahren, wie im Teheraner Geiselfall (Iran) und im<br />

Nicaragua Case (USA), kann gemäß Art.53 ein Urteil in Abwesenheit ergehen. Dabei<br />

muss <strong>der</strong> IGH jedoch den vorgetragenen Sachverhalt und die rechtliche Argumentation<br />

auf ihre Schlüssigkeit hin überprüfen.<br />

4 Vorsorgliche Maßnahmen<br />

Der IGH kann gemäss Art.41 vorsorgliche Maßnahmen treffen, wenn dies zur Sicherung<br />

<strong>der</strong> <strong>Recht</strong>e einer Partei geboten ist. So hat er etwa 1979 auf Antrag <strong>der</strong> USA im<br />

Teheraner Geiselfall angeordnet, dass <strong>der</strong> Iran die in <strong>der</strong> amerikanischen Botschaft<br />

festgehaltenen Geiseln freilassen müsse. Dabei erlässt er solche einstweiligen Maßnahmen<br />

jedoch nur dann, wenn seine Zuständigkeit in <strong>der</strong> Hauptsache überwiegend<br />

wahrscheinlich ist. Der Iran hatte an dem Verfahren zwar nicht teilgenommen, die<br />

Zuständigkeit des IGH ergab sich jedoch aus Art.13 <strong>der</strong> Diplomatenschutzkonvention.<br />

In <strong>der</strong> Praxis werden einstweilige Maßnahmen des IGH so gut wie nie befolgt.<br />

5 Urteil<br />

<strong>Das</strong> Verfahren endet nach obligatorischer mündlicher Verhandlung mit einem Urteil.<br />

Dabei gibt die Mehrheit <strong>der</strong> Richter den Ausschlag (Art.55). Abweichende Richter


111<br />

können ihr Votum geson<strong>der</strong>t veröffentlichen (Art.57). Diese Son<strong>der</strong>voten haben gelegentlich<br />

eine größere Bedeutung für die Fortentwicklung des Völkerrechts als die<br />

Meinung <strong>der</strong> Mehrheit. <strong>Das</strong> Urteil wirkt gemäß Art.59 nur inter partes. Es dient jedoch<br />

gemäss Art.38 d) IGH-Statut als Hilfsquelle zur Ermittlung des Inhalts von Völkerrecht.<br />

Ein <strong>Recht</strong>smittel gibt es gemäß Art.60 nicht. Bestehen zwischen den Parteien<br />

Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung einer Entscheidung, kann <strong>der</strong><br />

IGH angerufen werden mit dem Antrag, die Entscheidung auszulegen.<br />

6. Gutachten<br />

Neben dieser Streitentscheidung kann <strong>der</strong> IGH auch von <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

o<strong>der</strong> vom Sicherheitsrat zur Erstattung von <strong>Recht</strong>sgutachten aufgefor<strong>der</strong>t werden.<br />

Dabei ist <strong>der</strong> IGH nicht zur Erstattung solcher Gutachten verpflichtet, er leistet den<br />

Anträgen jedoch durchweg Folge. Umgekehrt sind die ersuchenden Organe und die<br />

davon betroffenen Staaten nicht an die Empfehlungen des IGH in dem Gutachten<br />

gebunden. Ein berühmtes Gutachten hat <strong>der</strong> IGH 1950 auf Antrag <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

im Jahr 1950 erstattet. Es betraf den rechtlichen Status von Südwestafrika<br />

(ICJ-Reports 1950, S.127 ff). Südwestafrika wurde gemäß Art. 22 (6) <strong>der</strong> Satzung<br />

des Völkerbundes als sogenanntes C - Mandat im Namen <strong>der</strong> britischen Krone<br />

durch die südafrikanische Union als Mandatar verwaltet. Fraglich war, ob dieses<br />

Mandat nach dem Untergang des Völkerbundes weiter fortbestand. Der IGH nahm in<br />

seinem Gutachten an, dass dieses Mandat nicht mit einer Beauftragung nach nationalem<br />

<strong>Recht</strong>, die durch den Fortfall des Auftraggebers automatisch erlischt, verglichen<br />

werden könne. Durch das Mandat sei ein internationales Regime errichtet worden,<br />

das im Interesse <strong>der</strong> Einwohner des Mandatsgebietes und <strong>der</strong> Menschlichkeit<br />

ganz allgemein bestehe und das von allen Mitgliedstaaten des Völkerbundes einschließlich<br />

des Mandatars anerkannt worden sei. Dieser internationale Status des<br />

Mandatsgebiets erzeuge <strong>Recht</strong>e und Pflichten, die unabhängig vom Fortbestehen<br />

des Völkerbundes seien.<br />

D. Die <strong>Recht</strong>stellung <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong>


112<br />

I. Die souveräne Gleichheit (Art.2 I UN-Charta)<br />

Art.2 (1) bestimmt, dass die Organisation auf <strong>der</strong> souveränen Gleichheit ihrer Mitglie<strong>der</strong><br />

basiert. Souveränität ist das grundlegende rechtliche Attribut jedes Staates<br />

im Völkerrecht. Man unterscheidet dabei zwei Arten Souveränität, die obwohl sie<br />

verschiedene rechtliche Zusammenhänge beschreiben, eng miteinan<strong>der</strong> verknüpft<br />

sind.<br />

Entscheidend für die Qualifizierung eines Gemeinwesens als Staat ist die innere<br />

Souveränität. Dabei handelt es sich um ein <strong>Recht</strong>sprinzip, das sowohl im Staatsrecht<br />

wie auch im Völkerrecht wirksam ist. Darunter versteht man das <strong>Recht</strong> jedes Staates,<br />

seine inneren Angelegenheiten selbst zu regeln. Voraussetzung für die Innehabung<br />

dieses <strong>Recht</strong>s ist die Innehabung effektiver Staatsgewalt. Begründet wird<br />

dieses <strong>Recht</strong> zur Innehabung effektiver Staatsgewalt für die Staaten <strong>der</strong> Neuzeit aus<br />

dem Gedanken des Staatsvertrages. In diesem Vertrag vereinbaren die Bürger eines<br />

Gemeinwesens, ihre natürlichen <strong>Recht</strong>e auf den Staat zu übertragen und diesem<br />

ein Gewaltmonopol zum Schutz ihrer <strong>Recht</strong>e einzuräumen. Dieses staatliche Gewaltmonopol<br />

ist die Grundlage für die innere Souveränität <strong>der</strong> Staaten.<br />

Völkerrechtlich geschützt wird die innere Souveränität durch die äußere Souveränität.<br />

Darunter versteht man die <strong>Recht</strong>stellung <strong>der</strong> Staaten in <strong>der</strong> Staatengemeinschaft.<br />

Äußere Souveränität bedeutet zum einen, dass die Staaten das <strong>Recht</strong> haben,<br />

ihre inneren Angelegenheiten, also ihre innere Souveränität unbeeinträchtigt von<br />

an<strong>der</strong>en Staaten ausüben zu können. Ausfluss <strong>der</strong> äußeren Souveränität ist also<br />

das Interventionsverbot. Außerdem ist die äußere Souveränität Grundlage <strong>der</strong><br />

<strong>Recht</strong>sfähigkeit im Völkerrecht. Die äußere Souveränität gibt das <strong>Recht</strong>, Verträge<br />

zu schließen, internationalen <strong>Organisationen</strong> beizutreten und ist <strong>der</strong> Grund für die<br />

Immunität <strong>der</strong> Staaten in den <strong>Recht</strong>sordnungen an<strong>der</strong>er Staaten.<br />

Fraglich ist jedoch, ob diese <strong>Recht</strong>stellung den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> UNO durch Art.2 (1)<br />

verliehen wird o<strong>der</strong> ob die Souveränität den Staaten auch ohne diese Regelung zusteht.<br />

Da, wie gesehen, Voraussetzung für die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen<br />

gemäß Art.4 die Eigenschaft als Staat ist, sind zumindest die neuaufgenommenen<br />

Mitglie<strong>der</strong> bereits bei ihrem Eintritt in die UNO souverän. Bezüglich <strong>der</strong> Grün-


113<br />

dungsmitglie<strong>der</strong>, die zu diesem Zeitpunkt nicht souverän waren, wie etwa die Ukraine<br />

und Weißrussland, kann Art.2 (1) nicht dazu führen, dass sie durch die Aufnahme<br />

in die UNO souverän wurden. Dies hätte vorausgesetzt, dass das Mutterland UdSSR<br />

mit <strong>der</strong> Zustimmung zur Aufnahme dieser Teilrepubliken in die UNO <strong>der</strong>en Entlassung<br />

in die Unabhängigkeit zugestimmt hätte, und dass die übrigen Mitglie<strong>der</strong> diese<br />

Republiken mit <strong>der</strong> Aufnahme als unabhängige Staaten anerkannt hätten. Beides ist<br />

nicht nachzuweisen.<br />

Art.2 (1) scheint damit für die Mitgliedstaaten, die bei Begründung <strong>der</strong> Mitgliedschaft<br />

Staaten waren, rein deklaratorischen Charakter zu haben und für die Nichtstaaten<br />

scheinen daraus keine <strong>Recht</strong>sfolgen ableitbar. Art.2 (1) hat jedoch einen spezifischen<br />

<strong>Recht</strong>sgehalt. Er bestimmt zum einen, dass die Mitglie<strong>der</strong> mit Eintritt in die<br />

UNO ihre zuvor vorhandene Souveränität nicht verlieren. <strong>Das</strong> bedeutet, sie sind in<br />

ihren souveränen <strong>Recht</strong>en nur insoweit eingeschränkt, als sie ausdrückliche <strong>Recht</strong>sbindungen<br />

in <strong>der</strong> Charta eingegangen sind. Entgegen einer häufig behaupteten Vermutungsregel<br />

zugunsten <strong>der</strong> Kompetenzen <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong> UNO, spricht Art.2 (1)<br />

dafür, dass, falls eine Zuständigkeit <strong>der</strong> UNO nicht eindeutig nachzuweisen ist, im<br />

Zweifel die Staaten zu Regelung <strong>der</strong> sie betreffenden Angelegenheiten zuständig<br />

bleiben.<br />

Außerdem wird unter Anknüpfung an das Prinzip <strong>der</strong> Gleichheit aus Art. 2 (1) häufig<br />

<strong>der</strong> Satz abgeleitet, dass je<strong>der</strong> Staat grundsätzlich dieselben <strong>Recht</strong>e in <strong>der</strong> UNO<br />

haben soll. Dieses auch als Gebot <strong>der</strong> Demokratisierung <strong>der</strong> UNO bezeichnete<br />

Prinzip kann in dieser Allgemeinheit nicht aus Art.2 (1) abgeleitet werden. Zwar gilt in<br />

den Vereinten Nationen selbst durchgängig das Prinzip one state one vote. Dies<br />

führt aber nicht dazu, dass die rechtliche Gewichtung <strong>der</strong> Stimmen überall gleich<br />

sein muss, wie Art. 27 (3) mit dem Vorzugsrecht <strong>der</strong> ständigen Mitglie<strong>der</strong> im Sicherheitsrat<br />

zeigt. Grundlage des Prinzips one state one vote ist deshalb nicht <strong>der</strong><br />

Art.2 (1), son<strong>der</strong>n die Vorschrift, die das Abstimmungsverfahren in dem jeweiligen<br />

Organ regelt, so etwa Art. 18 (1) für die Abstimmung in <strong>der</strong> Generalversammlung.<br />

Dabei können die Staaten durchaus auch eine von diesem Prinzip abweichende<br />

Stimmengewichtung vereinbaren, wie sie das in einigen Son<strong>der</strong>organisationen getan<br />

haben. So haben etwa die Mitglie<strong>der</strong> des <strong>Internationalen</strong> Währungsfonds gemäss


114<br />

Art.XII Abschnitt 5 a. zweihun<strong>der</strong>tfünfzig Stimmen und eine zusätzliche Stimme für<br />

jeden Teil ihrer Quote, <strong>der</strong> einhun<strong>der</strong>ttausend Son<strong>der</strong>ziehungsrechten entspricht.<br />

II. <strong>Das</strong> Interventionsverbot Art.2 (7)<br />

Gemäß Art.2 (7) ist es <strong>der</strong> UNO verboten, in solche Angelegenheiten einzugreifen,<br />

die wesensmäßig innere Angelegenheiten <strong>der</strong> Staaten sind. <strong>Das</strong> Interventionsverbot<br />

des Art.2 (7) wendet sich damit an die Organe <strong>der</strong> UNO und nicht an die übrigen<br />

Mitgliedstaaten. Es schützt die in Art.2 (1) gewährleistete souveräne Gleichheit vor<br />

Übergriffen <strong>der</strong> Organisation. <strong>Das</strong> Interventionsverbot ist die wichtigste rechtliche<br />

Schranke für das Handeln <strong>der</strong> Organe <strong>der</strong> UNO. Je<strong>der</strong> Akt eines Organs, <strong>der</strong> gegen<br />

Art.2 (7) verstößt, stellt einen Verstoß gegen die Charta dar und ist deshalb<br />

nichtig. Deshalb ist das Interventionsverbot immer ein negatives Tatbestandsmerkmal<br />

bei <strong>der</strong> Auslegung <strong>der</strong> Regeln, die den einzelnen Organen Kompetenzen<br />

verleihen, also etwa Art.10 und 11 für die Generalversammlung, Art. 36 und 39 für<br />

den Sicherheitsrat und die Art.62 ff. für den Wirtschafts- und Sozialrat.<br />

Dabei folgt aus dem Wesen des Interventionsverbot aber, dass nur solche Akte eines<br />

Organs chartawidrig sind, die gegen den Willen des o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Betroffenen ergehen.<br />

Intervention ist nämlich nur ein Handeln gegen den Willen niemals mit dem Willen<br />

des Betroffenen. Vergleichbar den Grundrechten in unserer Verfassungsordnung<br />

kann die Souveränität als das vom Freiheitsprinzip geprägte Grundrecht <strong>der</strong> Staaten<br />

auch so ausgeübt werden, dass man sich freiwillig Beschränkungen <strong>der</strong> eigenen<br />

Souveränität unterwirft. Manche bezeichnen dies als Verzicht auf Teile <strong>der</strong> Souveränität,<br />

man kann es auch als Ausübung <strong>der</strong>selben verstehen. Ähnlich wie beim Vertragsschluss<br />

im BGB geht man zwar Bindungen ein, aber nur deshalb um den Vertragspartner<br />

zu Gegenleistungen zu verpflichten. Deshalb sind alle Angelegenheiten,<br />

die in <strong>der</strong> Charta aus <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>ssphäre <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> ausgeglie<strong>der</strong>t worden und auf<br />

Organe <strong>der</strong> UNO übertragen worden sind, nicht vom Interventionsverbot erfasst.<br />

Außerdem ist es möglich, dass über die generelle Übertragung von Aufgaben hinaus<br />

im Einzelfall durch Zustimmung weitere Befugnisse übertragen werden, wie etwa<br />

Art.38 bezüglich des Sicherheitsrates zeigt.


115<br />

Erfasst werden vom Interventionsverbot nur solche Angelegenheiten, die wesensmäßig<br />

in die inneren Angelegenheit <strong>der</strong> Staaten fallen. Damit ist die schwierige Frage<br />

angesprochen, welche Angelegenheiten ausschließlich in die Zuständigkeit <strong>der</strong><br />

Staaten fallen, diese sind auf jeden Fall vom Interventionsverbot geschützt, welche<br />

einen internationalen Bezug haben, <strong>der</strong> ein begrenztes Handeln <strong>der</strong> Organisation<br />

zulässt und welche Angelegenheiten einen so starken internationalen Bezug haben,<br />

dass sie alle <strong>der</strong> UNO zur Verfügung stehenden Kompetenzen eröffnen.<br />

Eine Angelegenheit des Staates ist nur dann betroffen, wenn sie nicht ausschließlich<br />

in die Zuständigkeit eines an<strong>der</strong>en Staates fällt o<strong>der</strong> wenn sie durch Völkerrecht vergemeinschaftet<br />

ist. Zu den traditionell den Staaten verbleibenden Angelegenheiten<br />

gehören die Wahl des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Verhältnisse<br />

und die Formulierung <strong>der</strong> Außenpolitik. Dagegen ist die Gewährung von Menschenrechten<br />

und politischen Freiheiten durch das Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Völker<br />

und die Menschenrechte gemäss Art.56 i.V.m. Art.55 UN-Charta und auch nach<br />

allgemeinem Völkerrecht weitgehend internationalisiert. Dagegen waren und sind<br />

teilweise die sozialistischen Staaten <strong>der</strong> Auffassung, dass die völkerrechtlichen Verpflichtungen<br />

den Bereich <strong>der</strong> inneren Angelegenheiten nicht berühren.<br />

Die Einmischung muss unter Androhung o<strong>der</strong> Anwendung von Zwang erfolgen. Im<br />

klassischen Völkerrecht war nur die Einwirkung durch militärischen Zwang verboten.<br />

Damit reduzierte sich das Interventionsverbot auf das Gewaltverbot. Im mo<strong>der</strong>nen<br />

Völkerrecht gilt ein erweiterter Interventionsbegriff. Zwang sind auch schon solche<br />

Maßnahmen, die sich gegen den Willen eines an<strong>der</strong>en Staates und ohne, dass dieser<br />

darauf Einfluß nehmen kann, gegen diesen auswirken. Dieser erweiterte Interventionsbegriff<br />

ist nur in einer Kasuistik anerkannter und nicht anerkannter Fälle zu<br />

erfassen. Eine abstrakte Abgrenzung ist nicht möglich.<br />

- Als Intervention anerkannt ist die Unterstützung von Aufständischen etwa<br />

durch Waffen, Ausbildung o<strong>der</strong> Logistik. Zulässig ist dagegen humanitäre Hilfe,<br />

sofern sie allen Konfliktparteien gewährt wird.<br />

- subversive Maßnahmen wie Flugblätter, Rundfunk- und Fernsehsendungen<br />

fallen dann unter das Interventionsverbot, wenn sie mit Ziel erfolgen, einen


116<br />

Umsturz in einem an<strong>der</strong>en Staat herbeizuführen o<strong>der</strong> gewaltsame Aktionen<br />

zu för<strong>der</strong>n. Dagegen ist absichtsfreie Kritik zulässig. Die Ausstrahlung von<br />

Sendungen in einem an<strong>der</strong>en Staat ist dann keine Intervention, wenn sie<br />

technisch nicht zu vermeiden ist, sogenannter spill over. Erfolgt sie gezielt,<br />

wie z. B. beim Deutschlandfunk, stellt sie grundsätzlich eine Intervention dar.<br />

- Bis heute hoch umstritten ist die Frage, ob auch die Ausübung wirtschaftlichen<br />

Zwangs eine Intervention darstellt. Dies gilt zum einen für den Wirtschaftsboykott<br />

Beispiel: USA und Kuba und zum an<strong>der</strong>en für die Verweigerung<br />

o<strong>der</strong> den Abbruch von Entwicklungshilfe. Der Wirtschaftsboykott ist immer<br />

dann eine Intervention, wenn es um die Suspendierung vertraglicher<br />

Verpflichtungen geht. Für sonstige Wirtschaftsbeziehungen hängt die Einordnung<br />

als Intervention davon ab, ob die in <strong>der</strong> sog. friendly relations declaration<br />

enthaltene Pflicht zur internationalen Zusammenarbeit einen Anspruch<br />

<strong>der</strong> Entwicklungslän<strong>der</strong> auf wirtschaftlichen Verkehr mit den Industrienationen<br />

gegebenenfalls sogar einen Anspruch auf Entwicklungshilfe gewährt. Der<br />

diesbezügliche Konflikt <strong>der</strong> Industrienationen und <strong>der</strong> Entwicklungslän<strong>der</strong><br />

kommt sehr deutlich in <strong>der</strong> Verabschiedung <strong>der</strong> „Charta <strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />

<strong>Recht</strong>e und Pflichten <strong>der</strong> Staaten“ zum Ausdruck, die als Resolution <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

(GA/Res 3281) mit den Stimmen <strong>der</strong> Dritt-Welt Län<strong>der</strong> gegen<br />

die Stimmen aller Industrienationen zustande kam. Aber auch die Industrienationen<br />

haben im Zusammenhang mit Ölboykott Mitte <strong>der</strong> siebziger Jahre<br />

teilweise von einer unzulässigen Intervention gesprochen. Durchgesetzt hat<br />

sich diese Auffassung allgemein jedoch nicht. Eine Intervention kann aber unter<br />

Umständen dann angenommen werden, wenn Ziel des Abbruchs von<br />

Handelsbeziehungen die Einwirkung auf die politische Lage in einem an<strong>der</strong>en<br />

Staat ist , <strong>der</strong> Boykott flächendeckend ist und tatsächlich einen massiven<br />

Druck auf den Betroffenen ausübt.<br />

Für die UNO als internationale Organisation, ist eine Intervention auf jeden Fall dann<br />

anzunehmen, wenn sie rechtlich verbindliche Maßnahmen ergreift, die innere Angelegenheiten<br />

von Staaten betreffen. Deshalb ist die Anordnung eines Handelsembargos<br />

gemäß Art.41, sowohl für den Betroffenen wie auch für alle an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong>


117<br />

eine Intervention. Auch die verbindliche Anordnung eines Vertragsschlusses, wie<br />

etwa eines Freundschaftsvertrages o<strong>der</strong> auch nur eines Waffenstillstandsabkommens<br />

ist eine Intervention, weil das <strong>Recht</strong> zum Vertragsschluss Ausfluß <strong>der</strong> äußeren<br />

Souveränität <strong>der</strong> Staaten ist. Gleiches gilt für die Verpflichtung zur Anerkennung o-<br />

<strong>der</strong> Nichtanerkennung eines Staates o<strong>der</strong> für die Verpflichtung zum Abbruch diplomatischer<br />

Beziehungen.<br />

Darüber hinaus ist auch jede bloße Befassung mit den inneren Angelegenheiten eines<br />

Mitgliedes verboten. Die Generalversammlung o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Sicherheitsrat dürfen<br />

noch nicht einmal solche Angelegenheiten auf die Tagesordnung setzen. Insoweit<br />

sind die Bindungen <strong>der</strong> UNO als internationale Organisation weit strenger als die<br />

Bindungen <strong>der</strong> Staaten. Dies folgt daraus, dass eine internationale Organisation immer<br />

einer positiven Befugnis bedarf, während die Staaten kraft ihrer Allzuständigkeit<br />

nur bei ausdrücklicher Beschränkung nicht handeln dürfen. Für die Interpretation <strong>der</strong><br />

positiven Befugnisnormen wirkt aber wie gesehen Art.2 (7), wonach die Mitglie<strong>der</strong><br />

nicht verpflichtet werden können, eine wesensmäßig innere Angelegenheit einer Regelung<br />

aufgrund <strong>der</strong> Charta zu unterwerfen. Die Mitglie<strong>der</strong> müssen also insbeson<strong>der</strong>e<br />

nicht die Generalversammlung o<strong>der</strong> den Sicherheitsrat anrufen, wenn es sich bei<br />

einem Konflikt um eine innere Angelegenheit handelt, dementsprechend kann sich<br />

das Organ dann auch nicht mit <strong>der</strong> Angelegenheit befassen.<br />

Gemäß Art. 2 (7) Satz 2 sind Zwangsmaßnahmen gemäß Kap. VII vom Interventionsverbot<br />

ausgenommen. Daraus kann aber nicht, wie teilweise angenommen, gefolgert<br />

werden, dass die Sicherstellung sich im Rahmen von Kapitel VII mit inneren<br />

Angelegenheiten von Mitglie<strong>der</strong>n befassen kann. Die Auslegung <strong>der</strong> Tatbestandsmerkmale<br />

des Art.39 ist also immer in Ansehung von Art.2 (7) vorzunehmen. Deshalb<br />

kann eine Bedrohung des internationalen Friedens nur dann vorliegen, wenn<br />

die dieser Feststellung zugrunde liegende Lage keine innere Angelegenheit <strong>der</strong><br />

Staaten darstellt. Dies entspricht <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Charta und <strong>der</strong><br />

ständigen Praxis des Sicherheitsrats seit 1946 (Spanienkonflikt).<br />

E. <strong>Das</strong> Verhältnis <strong>der</strong> UNO zu Nichtmitglie<strong>der</strong>n


118<br />

I. Die Praxis <strong>der</strong> UNO<br />

Der Sicherheitsrat befasst sich nicht nur mit solchen Konflikten, an denen ausschließlich<br />

Mitglie<strong>der</strong> beteiligt sind, son<strong>der</strong>n er bezieht auch das Verhalten von<br />

Nichtmitglie<strong>der</strong>n in seine Aktivitäten mit ein. Im Spanienkonflikt 1946 und in Grenzkonflikt<br />

zwischen Griechenland und seinen nördlichen Nachbarn 1947 wird die Frage<br />

diskutiert, ob die Regeln von Kapitel VII UN-Charta auch auf Nichtmitglie<strong>der</strong> anwendbar<br />

sind. Im Koreakonflikt 1950 bis 1953 erlässt <strong>der</strong> Rat dann erstmals<br />

Zwangsmaßnahmen gegen ein Nichtmitglied (Nordkorea), was er im Jugoslawienkonflikt<br />

ab 1992 wie<strong>der</strong>holt, wo er die Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und<br />

Montenegro) in Anspruch nimmt, die gemäß einer von ihm selbst erlassenen Resolution<br />

bis zum Jahr 200 nicht Mitglied <strong>der</strong> UNO war.<br />

Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob <strong>der</strong> Rat berechtigt ist, Nichtmitglie<strong>der</strong> insoweit<br />

in Anspruch zu nehmen, als sie zur Beachtung verbindlicher Zwangsmaßnahmen<br />

gegen dritte Staaten verpflichtet werden. Diese Frage spielt insbeson<strong>der</strong>e<br />

bei wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen gestützt auf Art. 41 UN-Charta eine Rolle.<br />

Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 25 i.V.m. Art. 48 (1) UN-Charta verpflichtet, diese<br />

Embargomaßnahmen zu befolgen, das heißt, sie dürfen in dem von <strong>der</strong> jeweiligen<br />

Resolution beschriebenen Umfang keinen wirtschaftlichen Kontakt mehr mit<br />

dem von <strong>der</strong> Sanktion betroffenen Staat pflegen.<br />

Im Verhältnis zu Nichtmitglie<strong>der</strong>n hat die Praxis sich insoweit geän<strong>der</strong>t. In <strong>der</strong> ersten<br />

Embargoresolution 232 (1966) im Falle Süd-Rhodesiens werden die Staaten noch<br />

rechtlich unverbindlich ersucht, in Einklang mit dieser Resolution zu handeln. Ein<br />

entsprechendes Ersuchen findet sich auch in <strong>der</strong> Resolution 253 (1968), in <strong>der</strong> das<br />

gegen Südrhodesien verhängte Embargo ausgeweitet wird.<br />

Der Wandel in <strong>der</strong> Auffassung des Sicherheitsrats erfolgt in <strong>der</strong> Resolution 418<br />

(1977) betreffend Südafrika. Dort for<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Rat auch solche Staaten, die nicht Mitglie<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Vereinten Nationen sind, auf, in Übereinstimmung mit den Bestimmungen<br />

dieser Resolution zu handeln. Diese Auffor<strong>der</strong>ung versteht <strong>der</strong> Rat als rechtlich verbindliche<br />

Verpflichtung und nicht nur als moralischen Appell. Diese Praxis führt <strong>der</strong><br />

Rat in den Resolutionen 661 (1990) zum Irak-Kuwait-Konflikt und in vielen weiteren


119<br />

Resolutionen fort.<br />

II. Die <strong>Recht</strong>sgrundlagen<br />

Im Verhältnis des Sicherheitsrates zu Nichtmitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

kommt Art. 2 (6) UN-Charta eine zentrale Bedeutung zu. Nach dieser Vorschrift stellt<br />

die Organisation sicher, dass Nichtmitglie<strong>der</strong> in Übereinstimmung mit den Prinzipien<br />

<strong>der</strong> Charta handeln, soweit dies für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens<br />

und <strong>der</strong> Sicherheit notwendig ist. Ob diese Bestimmung es rechtfertigt, dass<br />

Resolutionen gegen Nichtmitglie<strong>der</strong> erlassen werden können, die diesen Verpflichtungen<br />

auferlegen o<strong>der</strong> sie gar zum Adressaten von Zwangsmaßnahmen machen,<br />

ist jedoch zweifelhaft.<br />

Aus <strong>der</strong> Charta selbst sind bereits einige Erkenntnisse zu gewinnen, welche diese<br />

Praxis in Frage stellen. Dabei muss man zwischen <strong>der</strong> Bindung an die Verfahrensherrschaft<br />

des Sicherheitsrats gemäß Kapitel VII UN-Charta einerseits und <strong>der</strong> materiellrechtlichen<br />

Bindung an die in Art. 2 (6) UN-Charta angesprochenen Prinzipien<br />

an<strong>der</strong>erseits unterscheiden. Eine Verfahrensherrschaft des Sicherheitsrats gegenüber<br />

Nichtmitglie<strong>der</strong>n lässt sich unabhängig davon, ob diese Adressat einer<br />

Zwangsmaßnahme sind o<strong>der</strong> ob sie nur zu <strong>der</strong>en Beachtung verpflichtet werden sollen,<br />

aus dem Wortlaut <strong>der</strong> Charta schlicht nicht ableiten. Sowohl Art. 25 wie auch<br />

Art. 48 UN-Charta wenden sich ausdrücklich nur an Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vereinten Nationen.<br />

Der gegenteilige Schluss ergibt sich auch nicht aus Art. 2 (6) UN-Charta. Danach<br />

ist nur die Organisation verpflichtet dafür Sorge zu tragen, dass Nichtmitglie<strong>der</strong><br />

sich an die dort genannten materiellrechtlichen Prinzipien halten. Von einer Bindung<br />

<strong>der</strong> Nichtmitglie<strong>der</strong> ist dort nicht die Rede.<br />

Vielmehr lässt sich aus Art. 35 (2) UN-Charta in bezug auf die Verfahrensherrschaft<br />

des Sicherheitsrats <strong>der</strong> gegenteilige Schluss ziehen. Nach dieser Vorschrift hat ein<br />

Nichtmitglied die Möglichkeit, Konflikte, an denen es beteiligt ist, dem Rat zu unterbreiten.<br />

Voraussetzung dafür ist aber:<br />

"if it accepts in advance for the purpose of the dispute the obligations of pacific


120<br />

settlement provided in the present Charter".<br />

Die Verfahrensherrschaft des Sicherheitsrats gemäß Kapitel VI UN-Charta erstreckt<br />

sich also nur dann auf Nichtmitglie<strong>der</strong>, wenn diese ausdrücklich zustimmen. Sie sind<br />

damit nicht aus Art. 2 (6) i.V.m. Art. 2 (3) UN-Charta von vornherein an ein solches<br />

Verfahren gebunden. Wenn diese Respektierung des Willens von Nichtmitglie<strong>der</strong>n<br />

schon für das Verfahren <strong>der</strong> friedlichen Streitbeilegung gilt, dann muss es erst recht<br />

für Kapitel VII UN-Charta gelten, da dort die Inanspruchnahme von Nichtmitglie<strong>der</strong>n<br />

noch weit intensiver ist.<br />

Schließlich lässt auch das in San Francisco unbestrittene <strong>Recht</strong> zum Rückzug aus<br />

<strong>der</strong> Organisation nur den Schluss zu, dass damit die Bindung an die Verfahrensherrschaft<br />

endet. Wenn ein Mitgliedstaat sich aus <strong>der</strong> Organisation zurückziehen kann,<br />

weil die damit einhergehenden Verpflichtungen wegen des Eingreifens von "exceptional<br />

circumstances" für ihn nicht mehr akzeptabel sind, dann würde dieses <strong>Recht</strong> ins<br />

Leere laufen, wenn dieselben Bindungen den Staat über Art. 2 (6) UN-Charta auch<br />

als Nichtmitglied treffen würden.<br />

Die Bindungen aus Art. 2 (6) UN-Charta können deshalb allenfalls materiellrechtlicher<br />

Natur sein. Die Nichtmitglie<strong>der</strong> könnten unter Umständen an die in Art.2 genannten<br />

materiellen <strong>Recht</strong>sprinzipien gebunden sein. Aber auch insoweit bestehen<br />

bereits entsprechend dem Wortlaut <strong>der</strong> Charta Grenzen, die <strong>der</strong> Sicherheitsrat nicht<br />

immer beachtet. <strong>Das</strong> beste Beispiel dafür ist <strong>der</strong> Jugoslawienkonflikt. Dort wird in <strong>der</strong><br />

Resolution 827 (1993) ein internationales Tribunal für die Aburteilung solcher Personen<br />

eingerichtet, die gegen sogenanntes Völkerstrafrecht verstoßen. Dieses Tribunal<br />

erstreckt sich als Zwangsmaßnahme des Sicherheitsrats auf das Territorium des<br />

ehemaligen Jugoslawien und richtet sich damit auch gegen die Bundesrepublik Jugoslawien<br />

(Serbien und Montenegro), die kein Mitglied <strong>der</strong> Organisation ist.<br />

Der Art. 2 (6) UN-Charta erfasst Nichtmitglie<strong>der</strong> aber nur insoweit, als es um die Beachtung<br />

<strong>der</strong> in Art. 2 UN-Charta aufgeführten Prinzipien geht. Dazu gehören die<br />

Menschenrechte, die in Art. 1 (2) und Art. 55 UN-Charta genannt sind, nicht. Deshalb<br />

kann <strong>der</strong> Sicherheitsrat die Bundesrepublik Jugoslawien nicht auf die Beachtung<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte verpflichten.


121<br />

Dagegen kann man auch nicht mit DOEHRING einwenden, dass gewaltsame Verstöße<br />

gegen die Menschenrechte den Tatbestand des Art. 2 (4) UN-Charta erfüllen, weil<br />

darin auch auf die Ziele <strong>der</strong> Charta Bezug genommen wird. Die Nichtmitglie<strong>der</strong> sind,<br />

wie GRAF VITZTHUM gezeigt hat, nicht an die Prinzipien des Art. 2 UN-Charta, son<strong>der</strong>n<br />

nur an das allgemeine Völkerrecht gebunden. Nur soweit dieses mit den Prinzipien<br />

des Art. 2 UN-Charta übereinstimmt, müssen sie Maßnahmen des Sicherheitsrats<br />

dulden. Nichtmitglie<strong>der</strong> sind also nicht an Art. 2 (4) UN-Charta, son<strong>der</strong>n nur an<br />

das gewohnheitsrechtliche Gewaltverbot gebunden.<br />

Diese Unterscheidung ist nicht von rein akademischem Interesse. Immerhin stellt <strong>der</strong><br />

Internationale Gerichtshof in dem "Case concerning Military and Paramilitary Activities<br />

in an against Nicaragua" zu dem Verhältnis zwischen dem gewohnheitsrechtlichen<br />

und dem vertraglichen Gewaltverbot fest:<br />

"On a number of points, the areas governed by the two sources of law do not exactly<br />

overlap, and the substantive rules in which they are framed are not identical<br />

in context."<br />

Insbeson<strong>der</strong>e weist das gewohnheitsrechtliche Gewaltverbot keinen ausdrücklichen<br />

Bezug zu den Zielen <strong>der</strong> Charta <strong>der</strong> Vereinten Nationen auf. Deshalb bedürfte es<br />

des Nachweises, dass auch gewohnheitsrechtlich je<strong>der</strong> gewaltsame Verstoß gegen<br />

die Menschenrechte den Tatbestand des Gewaltverbots auslöst. Ob sich das gewohnheitsrechtliche<br />

Gewaltverbot parallel zum satzungsrechtlichen Gewaltverbot so<br />

weit entwickelt hat, ist so gut wie nicht festzustellen, weil die Praxis <strong>der</strong> Staaten unter<br />

<strong>der</strong> Geltung <strong>der</strong> Charta sich durchgängig auf Art. 2 (4) UN-Charta bezieht.<br />

III. Die pacta tertiis-Regel<br />

Bei <strong>der</strong> materiellrechtlichen Anwendung von Art. 2 (6) UN-Charta ist zudem zu beachten,<br />

dass we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Rekurs auf den Willen des Satzungsgebers noch die nachfolgende<br />

Praxis des Sicherheitsrats die damit aufgeworfenen Fragen abschließend<br />

lösen kann. <strong>Das</strong> Verhältnis <strong>der</strong> Vereinten Nationen zu Drittstaaten lässt sich wegen<br />

<strong>der</strong> Beschränkung <strong>der</strong> Wirkungen des Vertrags auf seine Mitglie<strong>der</strong> nicht mit dem


122<br />

Willen <strong>der</strong> Vertragsparteien begründen. Art. 2 (6) UN-Charta muss insoweit an dem<br />

<strong>Recht</strong>ssatz pacta tertiis nec nocent nec prosunt gemessen werden. Diese Regel besagt,<br />

dass völkerrechtliche Verträge als solche für einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung<br />

we<strong>der</strong> Pflichten noch <strong>Recht</strong>e erzeugen können und deshalb "res inter alios<br />

acta" sind.<br />

Die pacta tertiis-Regel ist ein konstituierendes Element <strong>der</strong> Unterscheidung von Völkervertragsrecht<br />

und Völkergewohnheitsrecht, indem sie für das Vertragsrecht die<br />

Geltung auf die Vertragsparteien beschränkt. Sie ist zugleich eine Folge <strong>der</strong> Anerkennung<br />

<strong>der</strong> Souveränität <strong>der</strong> Staaten, da die Geltung völkervertraglicher Regeln<br />

alleine von dem durch den Vertragsschluß bekundeten Willen <strong>der</strong> Staaten abhängig<br />

gemacht wird. Die pacta tertiis-Regel gilt nach einhelliger Auffassung als Satz des<br />

Völkergewohnheitsrechts und hat zudem Eingang in Art. 34 des Wiener Übereinkommens<br />

über das <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Verträge gefunden, <strong>der</strong> bestimmt, dass ein Vertrag für<br />

einen Drittstaat ohne dessen Zustimmung we<strong>der</strong> Pflichten noch <strong>Recht</strong>e begründen<br />

kann. Allerdings ist die Wiener Vertragsrechtskonvention ratione temporis nicht auf<br />

die Charta anwendbar.<br />

Wie diese Regel auf die Auslegung von Art. 2 (6) UN-Charta einwirkt, hängt insbeson<strong>der</strong>e<br />

davon ab, welche <strong>Recht</strong>snatur man für die Charta <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

annimmt. Die Charta ist ihrem Entstehungsgrund nach ein mehrseitiger völkerrechtlicher<br />

Vertrag. Deshalb scheint es zwingend zu sein, die pacta tertiis-Regel anzuwenden<br />

und die <strong>Recht</strong>swirkungen von Art. 2 (6) UN-Charta auf die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen zu beschränken.<br />

Eine Gegenmeinung hebt dagegen im Vollzug <strong>der</strong> Organisation auf ihren Charakter<br />

als Satzung o<strong>der</strong> gar Verfassung einer Organisation mit weltumspannendem Anspruch<br />

ab und gewinnt dadurch einen Anknüpfungspunkt dafür, die pacta tertiis-<br />

Regel zu umgehen. Mit dieser Begründung behauptet KELSEN, dass wegen Art. 2 (6)<br />

UN-Charta den Regeln <strong>der</strong> UN-Charta eine Rechstwirkung erga omnes zukomme<br />

und dass <strong>der</strong> Sicherheitsrat deshalb ermächtigt sei, bindende Beschlüsse gegen<br />

Nichtmitglie<strong>der</strong> auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Charta zu erlassen.<br />

Die von KELSEN vertretene Auffassung ist bereits in ihrem theoretischen Ausgangs-


123<br />

punkt fragwürdig, weil sie im geltenden Völkergewohnheitsrecht keine Grundlage<br />

findet. KELSEN gibt dies selbst zu, wenn er feststellt, dass seine Auffassung gemessen<br />

am geltenden Völkerrecht revolutionär ist. Sie bereitet für die Befugnisse des<br />

Sicherheitsrates nach Kapitel VII UN-Charta beson<strong>der</strong>e Probleme, weil darin einigen<br />

Staaten dieser Organisation die Kompetenz zur Verhängung von Zwangsmaßnahmen<br />

übertragen worden ist, was ohne Akzept des jeweils Betroffenen dessen Souveränität<br />

empfindlich berührt.<br />

Wendet man wegen dieser Bedenken die pacta tertiis-Regel auf die Charta <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen an, muss man für die Geltung gegenüber Nichtmitglie<strong>der</strong>n eine Begründung<br />

auf <strong>der</strong> Ebene des Völkergewohnheitsrechts finden. Nach einer weit verbreiteten<br />

Ansicht sollen die Prinzipien <strong>der</strong> Charta nicht nur als Vertragsrecht auf <strong>der</strong><br />

Grundlage <strong>der</strong> Charta, son<strong>der</strong>n auch als Gewohnheitsrecht gelten und deshalb auch<br />

für Nichtmitglie<strong>der</strong> verbindlich sein. <strong>Das</strong> bedeutet, dass die Beschlüsse des Sicherheitsrates<br />

für Nichtmitglie<strong>der</strong> nicht deshalb völkerrechtlich beachtlich sein sollen, weil<br />

die Charta etwa in Art. 25 <strong>der</strong>en Verbindlichkeit anordnet, son<strong>der</strong>n weil die Vereinten<br />

Nationen dabei <strong>Recht</strong>e in Anspruch nehmen, die ihnen nach allgemeinem Völkerrecht<br />

zustehen.<br />

Beschränkt man somit das Verhältnis <strong>der</strong> Vereinten Nationen zu Drittstaaten auf die<br />

Ebene des Völkergewohnheitsrechts, kann man, wie dies GRAF VITZTHUM tut, den<br />

Art. 2 (6) UN-Charta als eine gegen Drittstaaten gerichtete Bündnisklausel <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen verstehen, <strong>der</strong>en vertragliche Wirkungen sich nur im Innenverhältnis<br />

zu den Mitgliedstaaten entfalten. Nur die Mitgliedstaaten werden aus Art. 2 (6) UN-<br />

Charta vertraglich verpflichtet, die Einhaltung <strong>der</strong> Prinzipien <strong>der</strong> Charta sicherzustellen.<br />

Diese Konzeption ist aber nicht auf alle in Art. 2 UN-Charta genannten Prinzipien<br />

gleichermaßen anwendbar. Die in Art. 2 (3) und (4) genannten Prinzipien <strong>der</strong><br />

friedlichen Streitbeilegung und des Gewaltverbots können sicherlich den Anspruch<br />

auf gewohnheitsrechtliche Geltung erheben. Dagegen ist die aus Art. 2 (5) UN-<br />

Charta den Mitgliedstaaten erwachsende Pflicht zur Unterstützung des Sicherheitsrates<br />

wegen ihres spezifischen Bezuges zur Charta nicht als Satz des Völkergewohnheitsrecht<br />

auf Nichtmitglie<strong>der</strong> anwendbar.


124<br />

Wenn man die Nichtmitglie<strong>der</strong> nur an die im Völkergewohnheitsrecht verankerten<br />

Prinzipien <strong>der</strong> Charta bindet, ist es zudem denkbar, dass <strong>der</strong> Umfang <strong>der</strong> aus dem<br />

VII. Kapitel folgenden Verpflichtungen für diese Staaten ein an<strong>der</strong>er ist als <strong>der</strong> Umfang<br />

<strong>der</strong> Pflichten von Mitgliedstaaten. Dies gilt zum einem bezüglich des Inhalts<br />

dieser Prinzipien. So ist es denkbar, dass das Gewaltverbot völkergewohnheitsrechtlich<br />

einen an<strong>der</strong>en Inhalt als gemäß Art. 2 (4) UN-Charta hat. Dieser unterschiedliche<br />

Inhalt kann sich insbeson<strong>der</strong>e daraus ergeben, dass die Charta als eine Gesamtheit<br />

von Regelungen bei systematischer Auslegung unter Umständen dem<br />

Art. 2 (4) UN-Charta Aspekte hinzuzufügen vermag, die dem lediglich fragmentarischen<br />

und an <strong>der</strong> Einzelfallpraxis orientierten Völkergewohnheitsrecht fremd sind.<br />

Außerdem ist zu berücksichtigen, dass <strong>der</strong> Rat bei seiner Entscheidung, gemäß Kapitel<br />

VII UN-Charta tätig zu werden, das Vorliegen <strong>der</strong> Voraussetzungen von Art. 39<br />

UN-Charta und nicht einen Verstoß gegen die in Art. 2 UN-Charta genannten Prinzipien<br />

feststellen muss. Probleme können daraus insbeson<strong>der</strong>e bei <strong>der</strong> Beurteilung<br />

innerer Vorgänge von Staaten entstehen, die zwar keine Verletzung des zwischenstaatlichen<br />

Gewaltverbots wohl aber eine Bedrohung des internationalen Friedens<br />

und <strong>der</strong> Sicherheit darstellen können. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass innerstaatliche<br />

Vorgänge auch <strong>der</strong> Idee von <strong>der</strong> Bündnisklausel keinen Raum geben.<br />

Wenn eine Bedrohung o<strong>der</strong> ein Bruch des Friedens gemäß Art. 39 UN-Charta nur im<br />

Zusammenhang mit zwischenstaatlichen bewaffneten Konflikten diskutiert wird, ist<br />

völkergewohnheitsrechtlich <strong>der</strong> Rückgriff auf Art. 2 (4) UN-Charta eröffnet. Wenn<br />

man aber, wie dies etwa im Kosovo <strong>der</strong> Fall war, aus einer Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

eine solche Bedrohung ableiten will, kann <strong>der</strong> Sicherheitsrat nicht geltend<br />

machen, dass er die Belange seiner Mitglie<strong>der</strong> gegen eine Bedrohung durch ein<br />

Nichtmitglied schützt. Er muss sich dann ganz allgemein zum Anwalt des Schutzes<br />

<strong>der</strong> Menschenrechte überall auf <strong>der</strong> Welt machen.<br />

Ob insoweit <strong>der</strong> Praxis des Sicherheitsrates gewohnheitsbildende Kraft auch für<br />

Drittstaaten zukommt, kann nur im einzelnen Fall unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Haltung<br />

<strong>der</strong> betroffenen Nichtmitglie<strong>der</strong> beantwortet werden. Diese Haltung kann nach <strong>der</strong><br />

von KLEIN entwickelten Vorstellung von <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en Wirkung von Statusverträ-


125<br />

gen bedeutsam werden. Unter Statusverträgen versteht KLEIN solche Verträge, welche<br />

Zuständigkeiten von Staaten o<strong>der</strong> internationalen <strong>Organisationen</strong> erzeugen, die<br />

den Anspruch erheben, eine gemeinwohlorientierte und deshalb allgemeinverbindliche<br />

Ordnungsfunktion wahrzunehmen. KLEIN lehnt zwar auch im Hinblick auf Art. 2<br />

(6) UN-Charta eine Wirkung erga omnes solcher vertraglich begründeten Zuständigkeiten<br />

ab, er vertritt aber die These, dass durch Konsens, nämlich durch unter Umständen<br />

auch nur stillschweigend zum Ausdruck gebrachte Zuerkennung einer Zuständigkeit,<br />

eine Bindungswirkung eintreten kann.<br />

Für die Mitgliedstaaten erfolgt die Zustimmung bereits durch den Beitritt zur Charta,<br />

wodurch sie die Kompetenz des Sicherheitsrates, im Rahmen <strong>der</strong> ihm nach <strong>der</strong><br />

Charta übertragenen Befugnisse Maßnahmen zu erlassen, anerkannt und sich zu<br />

<strong>der</strong>en Befolgung verpflichtet haben. Für sie entsteht nur die Frage, ob <strong>der</strong> Rat innerhalb<br />

dieser von <strong>der</strong> Charta vorgesehenen Kompetenzen o<strong>der</strong> ob er ultra vires handelt.<br />

Für Nichtmitglie<strong>der</strong> sieht Art. 32 UN-Charta lediglich das auch jedem Mitglied gemäß<br />

Art. 31 UN-Charta zustehende <strong>Recht</strong> vor, zu solchen Verhandlungen, bei denen sie<br />

Streitpartei sind, eingeladen zu werden. Dabei haben Nichtmitglie<strong>der</strong> jedoch kein<br />

Stimmrecht. <strong>Das</strong> bedeutet, dass sie sich einer vertraglich nicht konsentierten und im<br />

Verfahren nicht beeinflussbaren Entscheidung unterwerfen müssen. Für Nichtmitglie<strong>der</strong><br />

kann deshalb im Sinne KLEINS über den strengen Maßstab <strong>der</strong> Bindung an<br />

die völkergewohnheitsrechtlich gesicherten Prinzipien hinaus eine Verpflichtung zur<br />

Befolgung von Beschlüssen des Rates allenfalls dann eingreifen, wenn ihr Verhalten<br />

eindeutig den Schluss darauf zulässt, dass sie <strong>der</strong> vom Rat reklamierten rechtlichen<br />

Verbindlichkeit ausdrücklich zustimmen. Dies ist allerdings schon deshalb häufig zu<br />

beobachten, weil die betroffenen Neustaaten ein Interesse an späterer Mitgliedschaft<br />

in <strong>der</strong> UNO haben.<br />

F. Die Feindstaatenklausel<br />

Gemäss Art.107 soll die UN-Charta keine Maßnahmen behin<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> ausschlie-


126<br />

ßen, die als Ergebnis des Zweiten Weltkrieges von den dafür zuständigen Staaten<br />

gegen die Feindstaaten <strong>der</strong> Signatarmächte <strong>der</strong> UN-Charta durchgeführt werden.<br />

Gemäss Art.53 Abs.1 S.2 gilt dies auch für entsprechende Maßnahmen von regionalen<br />

Systemen kollektiver Sicherheit.<br />

I. Der Anwendungsbereich<br />

Feindstaaten waren gemäß Art.53 (2) UN-Charta alle Staaten, die Feinde <strong>der</strong> Signatarmächte<br />

<strong>der</strong> UN-Charta waren. Dies galt insbeson<strong>der</strong>e für Deutschland, Japan und<br />

Italien, aber auch für Bulgarien, Finnland, Rumänien und Ungarn. Korea gehörte<br />

zwar 1945 noch zum Feindstaat Japan, nach <strong>der</strong> Befreiung durch die Siegermächte<br />

im Sommer 1945 war dieser Status jedoch beendet und die Feindstaatenklausel<br />

fand keine Anwendung mehr. <strong>Das</strong>selbe gilt für Österreich, das 1939 vom Deutschen<br />

Reich annektiert worden war und nach seiner Befreiung durch die Alliierten ebenfalls<br />

nicht mehr zu den Feindstaaten gehörte. Thailand erklärte zwar 1942 dem Vereinigten<br />

Königreich den Krieg, wi<strong>der</strong>rief im August 1946 diese Erklärung jedoch diese<br />

Erklärung, was zur formellen Beendigung des Kriegszustandes im Januar 1946 führte.<br />

II. Die Dauer des Status als Feindstaat<br />

Fraglich war, ob <strong>der</strong> Status als Feindstaat mit <strong>der</strong> Aufnahme in die Vereinten Nationen<br />

endete. Dafür spricht, dass alle Mitglie<strong>der</strong> ein <strong>Recht</strong> darauf haben sollten, nur<br />

nach den Regeln <strong>der</strong> UN-Charta behandelt zu werden. Die weitere Anwendung <strong>der</strong><br />

Feindstaatenklausel hätte dazu geführt, dass Mitgliedschaften mit verschiedener<br />

rechtlicher Reichweite entstanden wären. Insbeson<strong>der</strong>e Art.2 (1) wäre auf diese<br />

Staaten dann nur unvollständig anwendbar gewesen. Dafür spricht auch, dass gemäss<br />

Art.4 (1) nur friedliebende Staaten in die UNO aufgenommen werden können,<br />

was gegen die Behandlung als aggressiver Feindstaat spricht. Insbeson<strong>der</strong>e Japan<br />

und Deutschland haben diesen Standpunkt nach ihrer Aufnahme in die UNO vertreten.<br />

Auch Vertreter <strong>der</strong> Siegermächte haben diese Haltung bei Entstehung <strong>der</strong> UN-<br />

Charta geäußert.


127<br />

Dagegen spricht, dass die <strong>Recht</strong>e <strong>der</strong> Alliierten Hauptsiegermächte in Bezug auf<br />

Deutschland und Japan nach <strong>der</strong> Aufnahme dieser Staaten in die UNO nicht erloschen<br />

sind. Vor dem Beitritt bei<strong>der</strong> deutscher Staaten haben die Siegermächte dies<br />

in einer Erklärung vom 9.11.1972 ausdrücklich bestätigt. Die <strong>Recht</strong>e in Bezug auf<br />

Deutschland sind erst durch den Zwei-plus-Vier-Vertrag im Jahr 1990 beendet worden.<br />

Ab diesem Zeitpunkt ist <strong>der</strong> Status in Bezug auf Deutschland endgültig weggefallen.<br />

III. <strong>Recht</strong>sfolgen <strong>der</strong> Feindstaatenklauseln<br />

Die Siegermächte und ihre regionalen Sicherheitssysteme waren durch Art.53 und<br />

107 nicht gehin<strong>der</strong>t, Gewalt gegen die Feindstaaten zu üben, um ihre <strong>Recht</strong>e durchzusetzen.<br />

<strong>Das</strong> Gewaltverbot des Art.2 (4) UN-Charta, die Pflicht zur friedlichen<br />

Streitbeilegung gemäß Art.2 (3) UN-Charta und <strong>der</strong> Schutz <strong>der</strong> souveränen Gleichheit<br />

gemäß Art.2 (1) UN-Charta fanden auf Feindstaaten keine Anwendung. Konflikte<br />

zwischen den Siegermächten und den Feindstaaten konnten nicht nach den Kapiteln<br />

VI bis VIII UN-Charta behandelt werden.<br />

IV. Die Berlin-Krise<br />

Dies hat eine Rolle gespielt, als die Sowjetunion 1948 die Landverbindungen nach<br />

Berlin unterbrach, um die Westsektoren <strong>der</strong> Stadt, die von den USA, UK und Frankreich<br />

verwaltet wurden, in ihre Gewalt zu bringen. Der Konflikt hatte folgenden Hintergrund.<br />

Der Status des Deutschen Reiches war nach 1945 durch das Besatzungsrecht <strong>der</strong><br />

Alliierten Siegermächte geprägt. Deutschland wurde durch die militärische Nie<strong>der</strong>werfung<br />

und anschließende Besetzung nach dem ausdrücklich erklärten Willen <strong>der</strong><br />

Alliierten nicht annektiert, son<strong>der</strong>n bestand als Staat fort. Die auf seinem Staatsgebiet<br />

wirksame Hoheitsgewalt wurde von den Alliierten Hauptsiegermächten Vereinigte<br />

Staaten, Vereinigtes Königreich, Sowjetunion und Frankreich ausgeübt, die ihren<br />

<strong>Recht</strong>sanspruch zur Verwaltung Deutschlands auf ein unmittelbar aus <strong>der</strong> militäri-


128<br />

schen Besetzung abgeleitetes Besatzungsrecht stützten.<br />

Grundlage für das Besatzungsrecht war das in <strong>der</strong> "Advisory Commission for<br />

Europe" erarbeitete "Protocol between the Governments of the United States of<br />

America, the United Kingdom, and the Union of the Soviet Socialist Republics on the<br />

zones of occupation in Germany and the administration of Greater Berlin", das am<br />

12. September 1944 verabschiedet wurde und das am 6. Februar 1945 in Kraft trat.<br />

Darin vereinbarten die Vertragsparteien, dass Deutschland in drei Zonen eingeteilt<br />

werden soll, die jeweils von einem <strong>der</strong> Alliierten besetzt werden sollte. Dagegen sollte<br />

die Besetzung Groß-Berlins durch alle drei Mächte gemeinsam erfolgen.<br />

Nach <strong>der</strong> militärischen Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945 übernahmen<br />

die Alliierten Hauptsiegermächte, zu denen nun auch Frankreich gehörte,<br />

durch eine gemeinsame Erklärung am 5. Juni 1945 die oberste Regierungsgewalt<br />

("supreme authority") in Deutschland. In einer weiteren Erklärung vom 5. Juni 1945<br />

legten die Hauptsiegermächte fest, wer die oberste Regierungsgewalt ausüben sollte.<br />

In den einzelnen Zonen stand sie <strong>der</strong> jeweiligen Besatzungsmacht zu, in allen<br />

Deutschland als Ganzes betreffenden Angelegenheiten sollte die oberste Regierungsgewalt<br />

von den vier Alliierten Hauptsiegermächten gemeinsam ausgeübt werden.<br />

Groß-Berlin sollte von einer Interalliierten Behörde ("Inter-Allied Governing<br />

Authority") verwaltet werden, die unter <strong>der</strong> Leitung des von den vier Oberbefehlshabern<br />

gebildeten Kontrollrates ("Control Council") arbeiten und aus vier sich im Vorsitz<br />

abwechselnden Kommandanten bestehen sollte.<br />

Die Ziele des Besatzungsstatuts wurden im Protokoll über die Potsdamer Konferenz<br />

vom 2. August 1945 festgelegt. Die Vertreter des Vereinigten Königreichs, <strong>der</strong> Vereinigten<br />

Staaten und <strong>der</strong> Sowjetunion kamen darin überein, einen Rat <strong>der</strong> Außenminister<br />

einzurichten, dem auch die Außenminister Frankreichs und Chinas angehören<br />

sollten. Dieser Rat <strong>der</strong> Außenminister sollte insbeson<strong>der</strong>e eine Friedensregelung für<br />

Deutschland vorbereiten. Für die bis dahin auszuübende Verwaltung Deutschlands<br />

durch den Kontrollrat wurden in dem Protokoll politische und wirtschaftliche Grundsätze<br />

festgelegt.<br />

Die Gründe, die zum Streit <strong>der</strong> Alliierten um Berlin und schließlich zur Blockade führ-


129<br />

ten, haben ihren Ursprung bereits in <strong>der</strong> Begründung des Besatzungsstatuts. Berlin<br />

wurde im April 1945 zunächst nur von den Truppen <strong>der</strong> Sowjetunion besetzt. Die<br />

Truppen <strong>der</strong> Westmächte folgten erst im Juli 1945 nach, und Berlin wurde daraufhin<br />

in vier Sektoren aufgeteilt, die jeweils von einer <strong>der</strong> Siegermächte verwaltet wurden.<br />

Die nach dem Einzug <strong>der</strong> Westmächte errichtete Interalliierte Behörde, die sog.<br />

Kommandatura, erwies sich für die weitere Verwaltung <strong>der</strong> Stadt sehr schnell als<br />

wirkungslos, weil sie ihre Beschlüsse nur einstimmig fassen konnte. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

war sie nicht in <strong>der</strong> Lage, die von <strong>der</strong> sowjetischen Verwaltung zuvor bereits angeordneten<br />

Maßnahmen wie<strong>der</strong> außer Kraft zu setzen.<br />

Der sachliche Grund hierfür war ein ab Mitte 1946 ständig sich vertiefen<strong>der</strong> Dissens<br />

in <strong>der</strong> Deutschlandpolitik <strong>der</strong> Alliierten. Um den wirtschaftlichen Aufschwung in ihren<br />

Zonen zu beschleunigen, vereinigten die Westmächte auf dem Gebiet <strong>der</strong> späteren<br />

Bundesrepublik zunächst die amerikanische und die britische Zone zur sogenannten<br />

Bizone und später mit <strong>der</strong> französisch besetzten Zone zur sogenannten Trizone.<br />

Kernpunkt <strong>der</strong> wirtschaftlichen Maßnahmen war eine Währungsreform, die im Juni<br />

1948 auch in den Westsektoren Berlins durchgeführt wurde. Die Sowjetunion wi<strong>der</strong>setzte<br />

sich dieser Politik und beharrt insbeson<strong>der</strong>e auf ihren Reparationsfor<strong>der</strong>ungen,<br />

die sie in <strong>der</strong> Ostzone rigoros durchsetzte.<br />

Gleichzeitig begann sie mit einer tiefgreifenden politischen und ökonomischen Umgestaltung<br />

ihrer Zone, die auf die Schaffung einer zentral gelenkten, marxistisch orientierten<br />

Einheitsverwaltung zielte. Auf <strong>der</strong> Londoner Außenministerkonferenz<br />

vom 21. November bis zum 15. Dezember 1947 kam es zum endgültigen Bruch zwischen<br />

den Alliierten Hauptsiegermächten. Am 20. März 1948 trat die UdSSR aus<br />

dem bedeutungslos gewordenen Alliierten Kontrollrat aus.<br />

Parallel zu dieser Entwicklung unternahm die UdSSR seit 1947 den Versuch, ganz<br />

Berlin unter ihren Einfluss zu bringen und <strong>der</strong> von ihr verwalteten Ostzone anzuglie<strong>der</strong>n.<br />

Sie erließ am 30. März 1948 verschärfte Bestimmungen für den Verkehr durch<br />

die sowjetisch besetzte Zone und schloss am 24. Juni 1948 die Strecke Berlin-<br />

Helmstedt, wodurch die Landverbindung Berlins zu den Westzonen Deutschlands<br />

vollständig unterbrochen wurde. Außerdem wurde die Strom- und Kohlelieferung


130<br />

nach West-Berlin eingestellt. Bereits zuvor hatte <strong>der</strong> sowjetischen Vertreter am 16.<br />

Juni 1948 die alliierte Kommandatura verlassen.<br />

Die Vereinigten Staaten reagierten mit <strong>der</strong> Errichtung einer Luftbrücke nach Berlin,<br />

auf <strong>der</strong> ab dem 25. Juni 1948 insbeson<strong>der</strong>e Lebensmittel in die Stadt transportiert<br />

wurden. In einer Note vom 6. Juli 1948 protestierten die Westmächte gegen die Blockademaßnahmen.<br />

Sie bezeichneten die dadurch entstandene Situation als äußerst<br />

ernste internationale Lage. Die Sowjetunion verstoße damit gegen die <strong>Recht</strong>e <strong>der</strong><br />

Westalliierten, welche als Folge <strong>der</strong> totalen Nie<strong>der</strong>lage und <strong>der</strong> unbedingten Kapitulation<br />

Deutschlands die Verwaltung <strong>der</strong> ihnen unterstellten Sektoren Berlins und den<br />

freien Zugang dorthin beinhalteten.<br />

Die USA hatten die Angelegenheit vor den Sicherheitsrat gebracht mit dem Argument,<br />

in <strong>der</strong> Berlin-Krise ginge es nicht um <strong>Recht</strong>e <strong>der</strong> Siegermächte gegen<br />

Deutschland son<strong>der</strong>n um <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Alliierten untereinan<strong>der</strong> auf Einhaltung <strong>der</strong> festgelegten<br />

Verwaltungsgrenzen. Die UdSSR behauptete dagegen, diese Verwaltungsrechte<br />

seien eine Folge des Zweiten Weltkrieges und deshalb sei <strong>der</strong> Streit wegen<br />

Art.107 aus <strong>der</strong> Zuständigkeit des Sicherheitsrats ausgenommen. Ein Resolutionsantrag<br />

<strong>der</strong> USA scheiterte am Veto <strong>der</strong> UdSSR.<br />

Die Unterbrechung <strong>der</strong> Verkehrswege von und nach Berlin und die daraufhin errichtete<br />

Luftbrücke <strong>der</strong> Westalliierten dauerten noch bis ins Jahr 1949 an. Im Februar<br />

1949 nahmen die Delegierten <strong>der</strong> UdSSR und <strong>der</strong> Vereinigten Staaten MALIK und<br />

JESSUP Verhandlungen auf, die zu einer Annäherung <strong>der</strong> Streitparteien führen. Am 4.<br />

Mai 1949 verabschiedeten die vier Besatzungsmächte dann ein Kommuniqué, in<br />

welchem geregelt wurde, dass alle Verkehrsbeschränkungen zwischen Berlin und<br />

den übrigen Besatzungszonen am 12. Mai 1949 enden sollen. Allerdings blieb bis<br />

zum Abschluss des Viermächte-Abkommens vom 3. September 1971 zwischen den<br />

Westmächten und <strong>der</strong> Sowjetunion umstritten, ob das in diesem Kommuniqué vereinbarte<br />

Zugangsrecht sich nur auf den militärischen o<strong>der</strong> auch auf den nichtmilitärischen<br />

Verkehr von und nach Berlin erstreckte.


131<br />

G. <strong>Das</strong> System <strong>der</strong> friedlichen Streitbeilegung<br />

<strong>Das</strong> System <strong>der</strong> friedlichen Streitbeilegung hat eine Doppelnatur<br />

I. Die Pflichten <strong>der</strong> Mitgliedstaaten<br />

1. Verbot <strong>der</strong> gewaltsamen Lösung von Konflikten<br />

Zum einen gilt sie im Verhältnis <strong>der</strong> Mitgliedstaaten untereinan<strong>der</strong>. Die Staaten sind<br />

gehalten, in ihrem Verhältnis untereinan<strong>der</strong> Konflikte nur mit friedlichen Mitteln beizulegen.<br />

<strong>Das</strong> bedeutet auf jeden Fall, dass eine <strong>Recht</strong>spflicht besteht, keine Gewalt in den<br />

internationalen Beziehungen anzuwenden, um die eigenen Interessen durchzusetzen.<br />

Insoweit überschneiden sich das Gebot <strong>der</strong> friedlichen Streitbeilegung gemäß<br />

Art.2 (3) und das Gewaltverbot gemäß Art.2 (4) UN-Charta. Einzelheiten zum Gewaltverbot.<br />

Dies gilt auch, wenn die Staaten auf völkerrechtswidrige Akte an<strong>der</strong>er Staaten reagieren.<br />

Bleiben diese unterhalb <strong>der</strong> Schwelle eines bewaffneten Angriffs, <strong>der</strong> das<br />

Selbstverteidigungsrecht gemäß Art.51 UN-Charta auslöst, sind als zulässige Reaktionen<br />

nur die Retorsion und die Repressalie zulässig. Unter Retorsion versteht<br />

man eine Maßnahme, die nicht in <strong>Recht</strong>e an<strong>der</strong>er Staaten eingreift, <strong>der</strong>en Wirkungen<br />

als sog. unfreundlicher Akt" im politischen Bereich liegen. Beispiele für Retorsionsakte<br />

sind <strong>der</strong> diplomatische Protest, <strong>der</strong> Abbruch <strong>der</strong> diplomatischen Beziehungen,<br />

falls diese nicht einseitig o<strong>der</strong> vertraglich zugesagt sind und <strong>der</strong> Abbruch von<br />

Wirtschaftsbeziehungen außerhalb vertraglicher Verpflichtungen.<br />

Die Repressalie ist eine wegen des Eingriffs in <strong>Recht</strong>e an<strong>der</strong>er Staaten an sich<br />

rechtswidriger Akt, <strong>der</strong> aber durch die zuvor begangenen <strong>Recht</strong>sverletzung des Adressaten<br />

gerechtfertigt wird, falls das Ziel <strong>der</strong> Repressalie die Veranlassung des Adressaten<br />

zu rechtmäßigen Verhalten ist. Beispiele sind die Nichterfüllung vertraglicher<br />

Verpflichtungen, das Einfrieren von Inlandskonten des Adressaten o<strong>der</strong> seiner<br />

Bürger und die Sperrung <strong>der</strong> Hoheitsgewässer und des Luftraums für Fahrzeuge des<br />

Adressaten.


132<br />

Darüber hinaus besteht eine Verpflichtung <strong>der</strong> Staaten, ihre Konflikte durch Mechanismen<br />

<strong>der</strong> friedlichen Streiterledigung beizulegen. Dabei nennt Art. 33 Abs.1 UN-<br />

Charta als klassische Instrumente <strong>der</strong> friedlichen Streitbeilegung Verhandlung, Untersuchung,<br />

Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung sowie<br />

die Inanspruchnahme geeigneter regionaler Einrichtungen o<strong>der</strong> Abmachungen. Diese<br />

Aufzählung ist nicht abschließend.<br />

2. Verhandlungen<br />

Dies ist die erste Stufe <strong>der</strong> friedlichen Streitbeilegung in allen bekannten Verfahren.<br />

Sie laufen in aller Regel ohne Beteiligung dritter Staate ab. Sie dienen meist nur zur<br />

Klärung <strong>der</strong> gegenseitigen <strong>Recht</strong>sstandpunkte nicht zur endgültigen Lösung des<br />

Konflikts. Dabei sind die Staaten verpflichtet, ernsthaft und mit dem Ziel <strong>der</strong> Streiterledigung<br />

zu verhandeln. Ein bestimmtes Ergebnis wird nicht geschuldet.<br />

3. Vermittlung und gute Dienste<br />

Dritte Parteien, die in dem Konflikt neutral sind, können ihre guten Dienste anbieten.<br />

Dies kann durch die Herstellung von Kontakten o<strong>der</strong> durch die Bereitstellung von<br />

Gelegenheiten zur Verhandlung geschehen. Der Vermittler versucht darüber hinaus,<br />

durch seinen Einfluss auf die Streitparteien, die Konfliktlösung positiv zu beeinflussen.<br />

Hier spielen die USA etwa im Nahostkonflikt eine überragend wichtige Rolle. So<br />

etwa beim Camp David Abkommen in den achtziger Jahren o<strong>der</strong> bei Wye-<br />

Abkommen 1998. Auch das Dayton Abkommen zur Lösung des Bosnien Konflikts<br />

1996 ist durch Vermittlung <strong>der</strong> USA zustande gekommen.<br />

Innerhalb <strong>der</strong> Vereinten Nationen sind insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Sicherheitsrat und die Generalversammlung<br />

gemäß Kapitel VI UN-Charta zur Vermittlung befugt. Darüber hinaus<br />

kann auch <strong>der</strong> Generalsekretär <strong>der</strong> UNO solche Vermittlertätigkeit leisten, obwohl<br />

dies nicht in den Art.98 ff. UN-Charta vorgesehen ist. Die Mitgliedstaaten<br />

gestehen ihm dieses <strong>Recht</strong> insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> “Declaration on the Prevention and<br />

Removal of Disputes and Situations which may threaten International Peace and


133<br />

Security and on the Role of the United Nations in this Field” zu. Allerdings kann es<br />

hierbei zu Konflikten mit dem Sicherheitsrat kommen, dem insoweit gemäß Art.24<br />

Abs.1 UN-Charta die Hauptverantwortung für den Frieden zukommt.<br />

4. Untersuchungsverfahren:<br />

Viele multilateralen Verträge sehen solche Verfahren vor, um festzustellen, ob eine<br />

Partei den Vertrag verletzt hat o<strong>der</strong> nicht, vgl. Menschenrechtsabkommen. Im System<br />

<strong>der</strong> UN spielen solche Beobachtermissionen auf <strong>der</strong> Grundlage von Art.34 UN-<br />

Charta eine wichtige Rolle. <strong>Das</strong> Ergebnis solcher Untersuchungskommissionen ist<br />

grundsätzlich nicht für die Lösung des Konflikts durch die Streitparteien verbindlich.<br />

Allerdings kann es im Rahmen <strong>der</strong> UNO die Grundlage für weitergehende Maßnahmen<br />

des Sicherheitsrats sein. Ein aktuelles Beispiel ist die Überwachungs-, Verifikations-<br />

und Inspektionskommission (UNMOVIC), die zusammen mit <strong>der</strong> <strong>Internationalen</strong><br />

Atomenergiebehörde IAEO die das Waffenprogramm des Irak untersuchen soll.<br />

5. Vergleichsverfahren:<br />

Hierbei wird eine unabhängige Instanz mit <strong>der</strong> Erarbeitung eines Lösungsvorschlags<br />

beauftragt. Die Vergleichsinstanz in <strong>der</strong> Regel eine Kommission kann den Streit untersuchen<br />

und darauf gestützt einen Vermittlungsvorschlag unterbreiten. Der Spruch<br />

<strong>der</strong> Vergleichsstelle ist für die Parteien jedoch nicht verbindlich. Solche Vergleichskommissionen<br />

können ad hoc eingesetzt werden, sie können aber auch in völkerrechtlichen<br />

Verträgen als ein Regelfall <strong>der</strong> Streiterledigung geregelt sein. Dies gilt<br />

etwa für die UN-Seerechtskonvention (Art.284), wo dieses Verfahren bereits in einem<br />

Streit zwischen Island und Norwegen über die Festlegung des Festlandsockels<br />

zwischen Island und <strong>der</strong> Insel Jan Mayen im Jahr 1982 erfolgreich praktiziert worden<br />

ist. Allerdings sind seit <strong>der</strong> Einführung des Vergleichsverfahrens durch die Generalakte<br />

für die friedliche Regelung internationaler Streitigkeiten im Jahr 1928 nur ca. 20<br />

Vergleichsverfahren durchgeführt worden.


134<br />

6. Gerichtliche und schiedsgerichtliche Verfahren<br />

Neben den bilateralen Verhandlungen ist auch die Nutzung von Schiedsverfahren<br />

o<strong>der</strong> des <strong>Internationalen</strong> Gerichtshofs, <strong>der</strong> in Art.36 (3) als Regelfall <strong>der</strong> Streiterledigung<br />

genannt wird, vorgesehen. Bei <strong>der</strong> Nutzung dieser gerichtsförmigen Verfahren<br />

besteht allerdings keine Pflicht, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

sind die Staaten nicht verpflichtet, einen <strong>Recht</strong>sstandpunkt aufzugeben, um<br />

eine friedliche Konfliktlösung zu erzielen. Beispiel: Argentinien und das Vereinigte<br />

Königreich sind verpflichtet, ihren Streit um die territoriale Zuordnung <strong>der</strong> Falkland-<br />

Inseln o<strong>der</strong> Islas Malvinas friedlich auszutragen. Dabei ist jedoch keine Seite verpflichtet,<br />

ihre territorialen Ansprüche aufzugeben.<br />

II. Die friedliche Streitbeilegung in <strong>der</strong> UNO<br />

Neben den bilateralen Pflichten besteht gemäß Art.2 (3) UN-Charta auch eine Pflicht<br />

gegenüber <strong>der</strong> UNO. Die Staaten sind verpflichtet, sich an dem Verfahren <strong>der</strong> friedlichen<br />

Streitbeilegung, das <strong>der</strong> Sicherheitsrat gemäß den Regeln von Kapitel VI UN-<br />

Charta betreiben kann, zu beteiligen. Der Sicherheitsrat und auch die Generalversammlung<br />

können nach diesen Regeln bestimmte Konflikt an sich ziehen und Maßnahmen<br />

zu <strong>der</strong>en Beilegung ergreifen.<br />

1. Die Voraussetzungen für ein Handeln nach Kapitel VI<br />

Voraussetzung für die Zuständigkeit des Sicherheitsrates ist gemäß Art.33 (1), dass<br />

die Fortdauer <strong>der</strong> Streitigkeit geeignet ist, die Wahrung des internationalen Friedens<br />

und <strong>der</strong> Sicherheit zu gefährden. Wann dies <strong>der</strong> Fall ist, ist im Einzelnen<br />

schwer zu beantworten. Nach <strong>der</strong> ursprünglichen Konzeption <strong>der</strong> Charta handelt es<br />

sich nur um internationale Streitigkeiten, so dass innere Konflikte in einem Staat<br />

davon grundsätzlich ausgenommen sind. Dies gilt allerdings nur dann, wenn <strong>der</strong> interne<br />

Konflikt nicht Auswirkungen auf an<strong>der</strong>e Staaten hat o<strong>der</strong> möglicherweise haben<br />

kann. Solche Auswirkungen können Flüchtlingsströme, Handelshemmnisse o<strong>der</strong><br />

auch rein politische Reibungen sein, die geeignet sind, Konflikte mit den Nachbarstaaten<br />

hervorzurufen.


135<br />

Diese Auffassung ist in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> UNO jedoch für Kapitel VI sehr rasch in Frage<br />

gestellt worden. Insbeson<strong>der</strong>e die Praxis zu den sog Blauhelmaktionen zeigt, dass<br />

auch Bürgerkriege gemäss Kapitel VI behandelt worden sind. Dabei haben auch die<br />

humanitären Aspekte solcher Bürgerkriege von Anfang an eine Rolle gespielt. So<br />

bietet <strong>der</strong> SR etwa seine Hilfe an, um Medikamente o<strong>der</strong> Nahrungsmittel zu verteilen,<br />

um sichere Zonen etwa für Min<strong>der</strong>heiten zu schaffen o<strong>der</strong> um direkt medizinische<br />

und sonstige Versorgung zu organisieren.<br />

Die Streitigkeiten müssen die Gefahr in sich bergen, in bewaffnete Konflikte umzuschlagen<br />

und dann zu einer Bedrohung des internationalen Friedens im Sinne von<br />

Art.39 UN-Charta zu werden. Es besteht also eine Stufenfolge in <strong>der</strong> Eskalation von<br />

Konflikten, die je nach Schwere zunächst zu Maßnahmen nach Kapitel VI und dann<br />

zu Maßnahmen nach Kapitel VII berechtigen. Dabei können die Streitigkeiten auch<br />

schon gewaltsame Formen angenommen haben, wenn sie unterhalb einer gewissen<br />

Erheblichkeitsschwelle liegen, also zum Beispiel Grenzscharmützel, bewaffnete<br />

Banden, die mit Unterstützung o<strong>der</strong> Duldung eines Staates in einem an<strong>der</strong>en Staat<br />

operieren etc. Wo diese Erheblichkeitsschwelle zum Übergang ins VII. Kapitel liegt,<br />

ist theoretisch nicht zu beantworten. Die Charta legt die Beurteilung dieser Frage<br />

alleine in die Hand des Sicherheitsrats. Dieser hat das Interpretations- und Anwendungsmonopol<br />

für Kapitel VII UN-Charta. Einzelheiten dort.<br />

In <strong>der</strong> Praxis des Sicherheitsrats sind auch ausgewachsene Kriege, in denen reguläre<br />

Armeen langandauernd gegeneinan<strong>der</strong> kämpfen, wie etwa <strong>der</strong> Krieg zwischen<br />

dem Iran und dem Irak, <strong>der</strong> von 1980 bis 1988 andauerte, als bloße Gefahr und<br />

nicht als Bedrohung des internationalen Friedens behandelt worden. Dies hat hauptsächlich<br />

politische und systembedingte Gründe, auf die im Zusammenhang mit Kapitel<br />

VII eingegangenen werden soll.<br />

2. Die Mechanismen zur Konfliktlösung<br />

a. Der Vorrang <strong>der</strong> Konflikterledigung durch die Streitparteien:<br />

Besteht ein solcher Streit, sind in erster Linie gemäß Art.33 (1) die Parteien selbst


136<br />

zur Streiterledigung verpflichtet. Der Sicherheitsrat kann aber gemäß Art.33 (2) die<br />

Parteien zu solchen Bemühungen auffor<strong>der</strong>n. Diese Auffor<strong>der</strong>ung ist jedoch rechtlich<br />

unverbindlich. Gelingt es den Parteien nicht, den Streit selbst beizulegen, so<br />

legen sie gemäß Art.37 (1) UN-Charta den Streit dem Sicherheitsrat vor. Dies ist<br />

eine <strong>Recht</strong>spflicht <strong>der</strong> Parteien, wobei jedoch zu beachten ist, dass die Feststellung<br />

des Nichtgelingens eigener Streiterledigung im Ermessen <strong>der</strong> Parteien liegt. Die<br />

Pflicht trifft jede Streitpartei unabhängig vom Verhalten <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite.<br />

b. <strong>Das</strong> <strong>Recht</strong> zur Anrufung des SR<br />

Dieser Pflicht korrespondiert gemäß Art.35 UN-Charta ein <strong>Recht</strong> jedes Mitglieds und<br />

auch jedes Nichtmitglieds auch vor dem Feststellen des Scheiterns eigener Bemühungen<br />

um die Lösung des Konflikts, den Streit dem Sicherheitsrat o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

vorzulegen. Damit können <strong>der</strong> Sicherheitsrat und die Generalversammlung<br />

parallel zu den Parteien in das Verfahren eingeschaltet werden. In <strong>der</strong><br />

Praxis genießt dabei <strong>der</strong> Sicherheitsrat eindeutige Priorität. Dieses <strong>Recht</strong> besteht,<br />

wie <strong>der</strong> Vergleich mit Art.38 zeigt, auch dann, wenn nur eine Partei den Antrag beim<br />

Sicherheitsrat stellt, die an<strong>der</strong>e Partei aber dagegen ist. Sind beide Parteien mit <strong>der</strong><br />

Streitschlichtung durch den Rat einverstanden, kann dieser gemäß Art.38 Empfehlungen<br />

abgeben.<br />

Wird <strong>der</strong> Sicherheitsrat entwe<strong>der</strong> nach Art.37 o<strong>der</strong> nach Art.35 von einer Partei mit<br />

dem Fall befasst, und ist er <strong>der</strong> Auffassung, dass die Fortdauer des Streits tatsächlich<br />

geeignet ist, die Wahrung des internationalen Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit zu<br />

gefährden, dann kann er gemäß Art.37 (2) UN-Charta die in Art.36 vorgesehen<br />

Maßnahmen ergreifen.<br />

c. Untersuchungsmaßnahmen:<br />

Um diese Feststellung treffen zu können, kann <strong>der</strong> Sicherheitsrat gemäß Art.34 UN-<br />

Charta jede Streitigkeit untersuchen. Beschließt <strong>der</strong> Rat, einen Konflikt zu untersu-


137<br />

chen, dann sind die Parteien verpflichtet, die Untersuchung zu gestatten. Damit sind<br />

Untersuchungsanordnungen rechtlich verbindlich im Sinne von Art.25 UN-Charta.<br />

Der Sicherheitsrat kann diese Untersuchungen selbst durchführen, indem er Beweise<br />

durch Parteivernahme o<strong>der</strong> Dokumenteneinsicht erhebt. Er kann eine Kommission<br />

bilden, die den Konflikt untersucht, er kann einen Son<strong>der</strong>bevollmächtigten ernennen,<br />

er kann auch eine Beobachtermission entsenden. Dies sind "Blauhelme", also<br />

Militär von Mitgliedstaaten unter dem Kommando <strong>der</strong> UNO, das einen Beobachtungs-<br />

und Untersuchungsauftrag hat.<br />

Beispiele sind die 1949 eingesetzte United Nations Truce Supervision Organisation<br />

(UNTSO), welche die Einhaltung <strong>der</strong> zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn<br />

geschlossenen Waffenstillstandsabkommen überwachen soll. Sie besteht heute<br />

noch. Die United Nations Military Observer Group in India and Pakistan (UNMOGIP),<br />

die als Reaktion auf den Kashmir-Konflikt zwischen Indien und Pakistan 1949 eingesetzt<br />

wurde und bis heute existiert, die United Nations Observer Group in Lebanon<br />

(UNIGIL), die 1958 den Libanonkonflikt beobachtete und aus neuerer Zeit die United<br />

Nations Observer Mission Uganda-Rwanda (UNOMUR), die den Auftrag hatte aufzuklären,<br />

ob die damals rebellischen Tutsis in Ruanda durch Uganda unterstützt<br />

wurden. Zu den Einzelheiten solcher Friedenstruppen o<strong>der</strong> peace keeping forces<br />

im Folgenden im Zusammenhang mit Art.36 und 38 UN-Charta.<br />

d. Maßnahmen zur Streiterledigung<br />

Kommt <strong>der</strong> Sicherheitsrat zum Ergebnis, dass <strong>der</strong> Konflikt den Fortbestand des internationalen<br />

Friedens gefährdet, dann handelt er nach Art.36. Er empfiehlt den<br />

Streitparteien geeignete Verfahren o<strong>der</strong> Methoden <strong>der</strong> Streitbeilegung. Solche Verfahren<br />

o<strong>der</strong> Methoden können die Auffor<strong>der</strong>ung zur Aufnahme von Verhandlungen,<br />

die Anrufung des IGH (Art.36 [3]) o<strong>der</strong> falls bereits geschehen <strong>der</strong> Einstellung von<br />

Feindseligkeiten umfassen. Der Sicherheitsrat kann die Einschaltung von Regionalorganisationen<br />

empfehlen. Er kann auch einseitig das Verhalten einer Partei o<strong>der</strong><br />

das Verhalten bei<strong>der</strong> Parteien verurteilen. Es gibt keinen abschließenden Maßnahmenkatalog.


138<br />

Diese Empfehlungen des Rates sind rechtlich unverbindlich. Allerdings hat <strong>der</strong><br />

Sicherheitsrat bereits in einigen Resolutionen Konfliktparteien damit gedroht, dass,<br />

falls sie solchen Empfehlungen nicht Folge leisten, er verbindliche Maßnahmen nach<br />

Kapitel VII verhängen wird. So etwa im Irak-Iran-Konflikt. Dies bedeutet nicht, dass<br />

die Empfehlung damit rechtlich verbindlich wird. Der Rat deutet damit nur an, dass<br />

nach seiner Einschätzung <strong>der</strong> Lage bei Nichtbefolgung <strong>der</strong> Empfehlungen <strong>der</strong> Konflikt<br />

eine Eskalationsstufe erreicht, die als Bedrohung des Friedens im Sinne von<br />

Art.39 UN-Charta zur Verhängung von Zwangsmaßnahmen berechtigt.<br />

3. Die Peace keeping forces<br />

Als eine beson<strong>der</strong>e Form solcher Maßnahmen hat sich in <strong>der</strong> Praxis die Einsetzung<br />

sogenannter peace keeping forces eingebürgert. Die <strong>Recht</strong>sgrundlagen für solche<br />

Friedenstruppen sind umstritten, da die Charta ihre Aufstellung ausdrücklich nicht<br />

vorsieht. Allerdings geht die Literatur heute in Anlehnung an die Praxis <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen davon aus, dass die Aufstellung solcher Friedenstruppen zulässig ist. Dafür<br />

bieten sich verschiedene <strong>Recht</strong>sgrundlagen an, die dann auch den Inhalt und die<br />

rechtliche Tragweite des Mandats <strong>der</strong> jeweiligen Friedenstruppe bestimmen.<br />

a. Friedenstruppen <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

Zum einen kann die Friedenstruppe auf einem Beschluss <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

beruhen, wie dies etwa bei <strong>der</strong> United Nations Emergency Force (UNEF I), die zwischen<br />

1956 und 1967 die Aufgabe hatte, den Rückzug <strong>der</strong> britischen und französischen<br />

Truppen aus dem Gebiet um den Suez-Kanal zu überwachen und einen Puffer<br />

zwischen Israel und Ägypten zu bilden, <strong>der</strong> Fall war. Die <strong>Recht</strong>sgrundlage dafür<br />

ist in materieller Hinsicht Art.11 (2) und/o<strong>der</strong> Art.14 UN-Charta. Danach kann die<br />

Generalversammlung in jedem Streitfall, <strong>der</strong> gemäß Art.35 (2) vor die Versammlung<br />

gebracht wird, den Parteien Empfehlungen zur Streitbeilegung geben.<br />

Solche Empfehlungen sind rechtlich unverbindlich, d.h. stellt die Generalversammlung<br />

eine Friedenstruppe auf, so sind die Parteien nicht verpflichtet, ihre Stationierung<br />

im eigenen Land zu akzeptieren. Die Entsendung bedarf deshalb <strong>der</strong> Zustim-


139<br />

mung <strong>der</strong> Konfliktparteien, was in <strong>der</strong> Form eines Entsendevertrages <strong>der</strong> betroffenen<br />

Staaten mit <strong>der</strong> Generalversammlung geschehen kann. Dieser Konsens <strong>der</strong><br />

Parteien bildet dann im eigentlichen Sinne die <strong>Recht</strong>sgrundlage für die Entsendung<br />

<strong>der</strong> Friedenstruppen.<br />

Die Kompetenz <strong>der</strong> Generalversammlung zur Aufstellung von Friedenstruppen ist<br />

aber im Verhältnis zum Sicherheitsrat problematisch. Gemäß Art.11 (2) Satz 2 ist die<br />

Generalversammlung nämlich verpflichtet, Konflikte, bei denen Maßnahmen (action)<br />

erfor<strong>der</strong>lich sind, dem Sicherheitsrat vorzulegen. Dies entspricht Art.24 (1) Un-<br />

Charta, <strong>der</strong> die Hauptverantwortung für die Aufrechterhaltung des internationalen<br />

Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit dem Sicherheitsrat zuweist. Allerdings wird man wohl<br />

unter Maßnahmen (action) nicht die unverbindliche Aufstellung von Friedenstruppen<br />

son<strong>der</strong>n nur die Verhängung verbindlicher (Zwangs-) Maßnahmen gemäß Kapitel VII<br />

UN-Charta verstehen. Dies entspricht <strong>der</strong> Praxis des Sicherheitsrats, <strong>der</strong> in allen<br />

Kapitel VII betreffenden Angelegenheiten eine konkurrierende Kompetenz <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

nicht akzeptiert, <strong>der</strong> aber gegen die Entsendung von Friedenstruppen<br />

durch die Generalversammlung bisher keine Einwendungen geltend gemacht<br />

hat.<br />

Formal ist die Friedenstruppe ein temporäres Unterorgan <strong>der</strong> Generalversammlung,<br />

das nach Art.22 UN-Charta eingesetzt werden kann. Die Friedenstruppen sind wegen<br />

ihrer häufig zu beobachtenden Verklammerung mit dem Generalsekretär, <strong>der</strong><br />

etwa Aufstellung und Vollzug zu überwachen hat, organisatorisch auch ein Teil des<br />

Sekretariats.<br />

b. Friedenstruppen des Sicherheitsrats<br />

Die meisten Friedenstruppen werden aber wegen <strong>der</strong> Vorrangsstellung durch Beschluss<br />

des Sicherheitsrats aufgestellt. <strong>Recht</strong>sgrundlage dieser Friedenstruppen ist,<br />

wenn alle Konfliktparteien dies so wünschen, Art.38 UN-Charta. Wünscht nur eine<br />

Konfliktpartei die Entsendung einer Friedenstruppe und kommt es auf die Zustimmung<br />

<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite nicht an, dann ist <strong>Recht</strong>sgrundlage in <strong>der</strong> Regel Art.36 (1)<br />

UN-Charta. In beiden Fällen ist <strong>der</strong> Beschluss des Sicherheitsrats für die Parteien<br />

rechtlich unverbindlich, das heißt genauso wie bei <strong>der</strong> Entsendung durch die Gene-


140<br />

ralversammlung bedarf es <strong>der</strong> Zustimmung <strong>der</strong> Konfliktparteien.<br />

Dies ist das erste und wichtigst Kriterium für die Abgrenzung solcher Friedenstruppen<br />

von militärischen Zwangsmaßnahmen gemäß Art.42 UN-Charta. Wegen dieser<br />

eindeutigen Abgrenzung zu Art.42 ist es auch nicht hilfreich, wie dies teilweise getan<br />

wird, von einem sog. Kapitel VI 1/2 zu sprechen. Als Argument für diese Verortung<br />

zwischen den unverbindlichen Verfahren <strong>der</strong> friedlichen Streitbeilegung und den<br />

Zwangsmassnahmen wird die Kompetenz des SR genannt, sich bei<strong>der</strong> Instrumente<br />

nach freiem Ermessen zu bedienen, weshalb eine exakte Abgrenzung und die Nennung<br />

einer konkreten <strong>Recht</strong>sgrundlage nicht erfor<strong>der</strong>lich sei. Dagegen sprechen<br />

mehrere Argumente. Diese Argumentation ist nicht auf Blauhelmeinsätze <strong>der</strong> GV<br />

anwendbar. Die Voraussetzungen für Maßnahmen nach Kapitel VII sind weit enger<br />

als die nach Kapitel VI. In <strong>der</strong> Praxis wird sorgfältig zwischen freiwilligen Blauhelmeinsätzen<br />

und militärischen Zwangsmassnahmen unterschieden. Deshalb ist es richtig,<br />

die <strong>Recht</strong>sgrundlage für Blauhelme in Kapitel VI zu suchen.<br />

Fraglich ist dabei aber, wessen Zustimmung für die Entsendung erfor<strong>der</strong>lich ist. Soll<br />

die Friedenstruppe in einem zwischenstaatlichen Konflikt nur auf dem Gebiet eines<br />

Staates stationiert werden, dann ist nur die Zustimmung <strong>der</strong> Regierung dieses Staates<br />

erfor<strong>der</strong>lich. Der an<strong>der</strong>e Staat muss nicht gefragt werden, weil er keine <strong>Recht</strong>e<br />

auf diesem Territorium hat. In einem innerstaatlichen Konflikt hat <strong>der</strong> Sicherheitsrat<br />

lange Zeit nur auf die Zustimmung <strong>der</strong> Regierung abgestellt. Berühmtes Beispiel ist<br />

die Operations des Nations Unis pour le Congo (ONUC), die anlässlich des Versuchs<br />

<strong>der</strong> Abspaltung <strong>der</strong> Provinz Katanga von <strong>der</strong> Republik Kongo von1960 bis<br />

1964 mit Zustimmung <strong>der</strong> Regierung des Kongo in Katanga militärisch aktiv wurde<br />

und die Abspaltung Katangas unter massivem Militäreinsatz letztlich verhin<strong>der</strong>t hat.<br />

Dies entspricht <strong>der</strong> lange Zeit im Völkerrecht vorherrschenden Auffassung, dass Interventionen<br />

in innerstaatliche Konflikte auf Einladung <strong>der</strong> anerkannten Regierung<br />

zulässig sind. In neuerer Zeit entsendet <strong>der</strong> Sicherheitsrat jedoch nur noch dann<br />

Friedenstruppen, wenn alle Konfliktparteien <strong>der</strong> Entsendung zustimmen. So beruhte<br />

etwa das Mandat <strong>der</strong> United Nations Protection Force (UNPROFOR) in Bosnien-<br />

Herzegowina, genauso wie seiner Nachfolger IFOR und SFOR auf <strong>der</strong> Zustimmung<br />

aller dort am Konflikt beteiligten Parteien. Dies entspricht <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Auffassung,


141<br />

dass eine einseitige Intervention auf Einladung <strong>der</strong> Regierung unzulässig sei, weil<br />

dies in das <strong>Recht</strong> auf Selbstbestimmung des Bevölkerungsteils eingreife, <strong>der</strong> sich<br />

mit den Aufständischen o<strong>der</strong> dem sezessionswilligen Teil identifiziere.<br />

Will <strong>der</strong> Sicherheitsrat trotz fehlen<strong>der</strong> Zustimmung eines o<strong>der</strong> mehrerer Konfliktbeteiligter<br />

militärisch aktiv werden, muss er militärischem Zwang gemäß Art.42 UN-<br />

Charta verhängen. Ein Beispiel aus neuerer Zeit sind die Militäraktionen in Ruanda,<br />

wo <strong>der</strong> Rat trotz Zustimmung <strong>der</strong> damaligen Hutu-Regierung wegen des Wi<strong>der</strong>stands<br />

<strong>der</strong> Tutsi-Rebellen auf <strong>der</strong> Grundlage von Kapitel VII UN-Charta handelte.<br />

Darüber hinaus dürfen solche Friedenstruppen nicht einseitig in einem solchen Konflikt<br />

Partei ergreifen, da sie nicht mit Zwang gegen Beteiligte vorgehen dürfen. Sie<br />

müssen sich deshalb neutral verhalten und dürfen militärische Gewalt nur zur<br />

Selbstverteidigung anwenden. Dies begrenzt ihren Einfluss auf Bürgerkriege entscheidend,<br />

wie die Aktionen <strong>der</strong> UNPROFOR in Bosnien-Herzegowina gezeigt haben.<br />

Ihre Aufgaben können außerhalb <strong>der</strong> Beobachtung gemäss Art.34 darin bestehen,<br />

einen militärischen Puffer zwischen Konfliktparteien zu bilden, um die Fortsetzung<br />

des Konflikts einzudämmen, sie können darüber hinaus die Aufgabe haben, <strong>Recht</strong><br />

und Ordnung in einem Staat wie<strong>der</strong>herzustellen, also etwa beim Aufbau von ziviler<br />

und militärischer Verwaltung mitzuwirken, und sie können humanitäre Aufgaben<br />

wahrnehmen, also Krankenhäuser o<strong>der</strong> Plätze zur Verteilung von Medikamenten<br />

o<strong>der</strong> Nahrungsmitteln schützen. Bei solch weitgehenden Aufträgen erweist sich die<br />

Beschränkung auf das Selbstverteidigungsrecht als hin<strong>der</strong>lich, Deshalb umfassen<br />

Entsendeabkommen in neuerer Zeit auch das <strong>Recht</strong>, etwa mit Gewalt gegen Zivilpersonen<br />

vorzugehen, welche die Truppen an <strong>der</strong> freien Bewegung im Stationierungsgebiet<br />

o<strong>der</strong> an <strong>der</strong> Erfüllung ihrer Aufgaben hin<strong>der</strong>n wollen.<br />

Organisatorisch sind sie wie die Friedenstruppen <strong>der</strong> Generalversammlung zu behandeln.<br />

Auch <strong>der</strong> Sicherheitsrat hat gemäß Art.29 die Möglichkeit, zur Erfüllung<br />

seiner Aufgaben Unterorgane zu schaffen.<br />

Die Staaten, die sich an den Friedenstruppen beteiligen, tun dies freiwillig. Es gibt


142<br />

nach <strong>der</strong> Charta keine <strong>Recht</strong>spflicht zur Beteiligung an solchen Militäraktionen. Eine<br />

solche Pflicht ist nur in Art.43 UN-Charta vorgesehen. Diese Vorschrift bezieht sich<br />

aber zum einen nur auf Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII UN-Charta und zum<br />

an<strong>der</strong>en bedarf es dazu des Abschlusses von Son<strong>der</strong>abkommen. Einzelheiten später.<br />

Die Truppen <strong>der</strong> Mitgliedstaaten werden in <strong>der</strong> Regel in einem gemeinsamem O-<br />

berkommando zusammen gefasst. Dieses Oberkommando untersteht in <strong>der</strong> Regel<br />

<strong>der</strong> Kontrolle des Generalsekretärs und/o<strong>der</strong> des Sicherheitsrats. Es muss Weisungen<br />

dieser Organe befolgen und unterliegt einer Berichtspflicht.<br />

Deshalb handelt es sich im <strong>Recht</strong>ssinne um Truppen <strong>der</strong> Vereinten Nationen (Blauhelme).<br />

Die Staaten können ihre Truppen jedoch je<strong>der</strong>zeit ohne Angabe von Gründen<br />

aus <strong>der</strong> Friedenstruppen zurückziehen. Weil es sich um Maßnahmen <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen handelt, werden die Truppen aus Mitteln <strong>der</strong> Vereinten Nationen<br />

finanziert. Hierin liegt angesichts <strong>der</strong> Vielzahl von Friedenstruppen ein erhebliches<br />

Finanzierungsproblem für die UNO. Zwar kann die Generalversammlung die Kosten<br />

solcher Friedenstruppen durch Budgeterhöhung gemäß Art.17 UN-Charta auf die<br />

Mitgliedstaaten umlegen. Allerdings weigern sich viele Staaten, ihre Beiträge in dieser<br />

Höhe pünktlich o<strong>der</strong> überhaupt zu bezahlen. Deshalb hat sich seit einiger Zeit<br />

eingebürgert, beson<strong>der</strong>s kostspielige Friedenstruppen durch freiwillige Beiträge von<br />

Mitgliedstaaten zu finanzieren. Auch hier bestehen jedoch in <strong>der</strong> Praxis erhebliche<br />

Zahlungsrückstände.<br />

H. <strong>Das</strong> Gewaltverbot und die Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII UN-Charta<br />

I. <strong>Das</strong> Gewaltverbot<br />

1. <strong>Das</strong> Gewaltverbot in <strong>der</strong> UN-Charta<br />

Die stellt das Kernstück des materiellen <strong>Recht</strong>s <strong>der</strong> Vereinten Nationen dar. Danach<br />

ist es den Staaten verboten, in ihren internationalen Beziehungen Gewalt anzuwenden,<br />

die gegen die territoriale Integrität o<strong>der</strong> die politische Unabhängigkeit irgendeines<br />

Staates gerichtet ist o<strong>der</strong> in an<strong>der</strong>er Weise gegen die Ziele <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen verstößt. <strong>Das</strong> Gewaltverbot gilt nach einhelliger Ansicht nicht nur gemäß


143<br />

Art.2 (4) UN-Charta son<strong>der</strong>n auch als Völkergewohnheitsrecht. Es stellt sogenanntes<br />

ius cogens dar, das heißt gemäß Art.53 <strong>der</strong> Wiener Vertragsrechtskonvention sind<br />

solche Verträge nichtig, <strong>der</strong>en Inhalt gegen das Gewaltverbot verstößt (Beispiel: Hitler-Stalin-Pakt).<br />

<strong>Das</strong> materielle Gewaltverbot wendet sich an die Mitglie<strong>der</strong>. Diesen ist es verboten,<br />

Gewalt anzuwenden. Gewalt im Sinne von Art.2 (4) UN-Charta ist nur militärische<br />

Gewalt, dagegen fallen politischer o<strong>der</strong> wirtschaftlicher Zwang nicht unter das Gewaltverbot.<br />

Dies hat die Generalversammlung in <strong>der</strong> sog. Friendly relations declaration<br />

bestätigt. In dieser als authentische Interpretation <strong>der</strong> Charta durch die Mitglie<strong>der</strong><br />

verbindlichen Resolution wird das Gewaltverbot inhaltlich näher umschrieben,<br />

wobei alle dort aufgeführten Formen unzulässiger Gewaltanwendung die Anwendung<br />

militärischer Gewalt implizieren. Außerdem ergibt sich dies aus <strong>der</strong> Resolution<br />

3314 (XXIX) vom 14. Dezember 1974. Die im Anhang zu dieser Resolution enthaltene<br />

"Definition of Aggression" definiert Aggression als die Anwendung bewaffneter<br />

Gewalt. Zwar zielt die Definition of Aggression auf das Tatbestandsmerkmal „acot of<br />

aggression“ in Art.39 UN-Charta, das sie wegen des Interpretationsmonopols des<br />

Sicherheitsrats gar nicht definieren darf. Sie wird aber in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Staaten und<br />

des Sicherheitsrats häufig auch zur Umschreibung des Gewaltverbots herangezogen.<br />

Diese Gewalt muss einem Mitglied <strong>der</strong> Vereinten Nationen zurechenbar sein. Dies<br />

ist immer <strong>der</strong> Fall, wenn die regulären Truppen eines Staates Kampfhandlungen<br />

vornehmen. Einzelne Beispielsfälle enthält Art.3 lit. (a) - (e) <strong>der</strong> Aggressionsdefinition.<br />

Staaten sind unter bestimmten Voraussetzungen aber auch für die Ausübung<br />

bewaffneter Gewalt durch Dritte verantwortlich. Diese sog. indirekte Gewalt ist einmal<br />

dann gegeben, wenn Staaten ihr Staatsgebiet einem an<strong>der</strong>en Staat zur Verfügung<br />

stellen, <strong>der</strong> es für militärische Aktionen gegen einen Drittstaat nutzt (Art.3 [f]<br />

<strong>der</strong> Aggressionsdefinition). O<strong>der</strong> wenn Staaten bewaffnete Banden in das Gebiet<br />

eines an<strong>der</strong>en Staates entsenden o<strong>der</strong> sich an den Aktionen solcher bewaffneter<br />

Banden in einem Bürgerkrieg dadurch unterstützen, dass sie ihnen Waffen und Logistik<br />

o<strong>der</strong> ihr eigenes Staatsgebiet als Operationsbasis zur Verfügung stellen (Art.3<br />

[g] <strong>der</strong> Aggressionsdefinition). Dies hat <strong>der</strong> IGH in seinem wegweisenden Urteil zu


144<br />

den "military and paramilitary activities in and against Nicaragua" bestätigt.<br />

Dabei verbietet Art.2 (4) nicht nur die Anwendung son<strong>der</strong>n bereits die Androhung<br />

von Gewalt. <strong>Das</strong> ist jede ernst gemeinte und ernst zunehmende Inaussichtstellung<br />

<strong>der</strong> Anwendung von Gewalt in absehbarer Zukunft.<br />

2. Die Adressaten des Gewaltverbots<br />

Ausweislich des Textes wendet sich das Gewaltverbot an die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen. Diesen ist die Ausübung von Gewalt verboten. Dabei umfasst Art.2 (4)<br />

nicht nur solche Gewalt, die sich gegen an<strong>der</strong>e Mitglie<strong>der</strong> richtet, son<strong>der</strong>n auch solche<br />

Gewalt, die sich gegen Staaten richtet, die nicht Mitglie<strong>der</strong> sind. Art.2 (4) hat<br />

also drittschützenden Charakter. Fraglich ist, ob <strong>der</strong> Gewalt ausübende Staat, den<br />

Adressaten <strong>der</strong> Gewalt als Staat anerkannt haben muss. Nach einhelliger Auffassung<br />

schützt das Gewaltverbot auch sog. befriedete de-facto-Regime, das sind<br />

solche Gemeinwesen, die alle Voraussetzungen für Staatlichkeit erfüllen, aber noch<br />

nicht als Staat anerkannt worden sind. Dies wird auch aus Art.1 (a) <strong>der</strong> Aggressionsdefinition<br />

deutlich, die den Begriff Staat im Sinne dieser Definition unabhängig<br />

von <strong>der</strong> Anerkennung bestimmt. Befriedete de-facto-Regime liegen insbeson<strong>der</strong>e<br />

dann vor, wenn ein Waffenstillstand o<strong>der</strong> eine Demarkationslinie mit dem Aggressor<br />

vereinbart worden ist.<br />

3. Die geschützten Güter<br />

Die Gewalt muss sich gegen die territoriale Integrität o<strong>der</strong> die politische Unabhängigkeit<br />

des Adressaten richten. Diese beiden Tatbestandsmerkmale sind weit auszulegen.<br />

Wie Art.1 <strong>der</strong> Aggressionsdefinition zeigt, werden damit alle von <strong>der</strong> Souveränität<br />

Staaten umfassten <strong>Recht</strong>e geschützt. <strong>Das</strong> bedeutet etwa, dass Angriffe auf<br />

geschützte Außenpositionen eines Staates, wie Schiffe, Flugzeuge o<strong>der</strong> Bohrinseln<br />

obgleich es sich nicht um Angriffe auf das Territorium handelt, vom Gewaltverbot<br />

erfaßt werden. Auch Angriffe auf die eigenen Staatsbürger im Ausland (Personalitätsprinzip)<br />

sind verboten und lösen das <strong>Recht</strong> zur humanitären Intervention aus.


145<br />

4. Gewalt und innerstaatliche Konflikte<br />

Die Gewalt muss gegen einen an<strong>der</strong>en Staat gerichtet sein, o<strong>der</strong> wie es in Art.2 (4)<br />

UN-Charta heißt, in den internationalen Beziehungen <strong>der</strong> Staaten erfolgen. Damit<br />

ist klargestellt, dass Gewaltanwendung in einem Staat grundsätzlich nicht unter Art.2<br />

(4) UN-Charta fällt. Dies ist deshalb nicht ohne weiteres unproblematisch, weil in<br />

Art.2 (4) UN-Charta als Schutzgüter nicht nur die souveränen <strong>Recht</strong>e <strong>der</strong> Staaten<br />

son<strong>der</strong>n auch die Ziele <strong>der</strong> UN-Charta genannt werden.<br />

Zu den Zielen von Art.1 gehören auch das Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Völker und<br />

die Menschenrechte als innerstaatliche Organisationsgrundsätze. Dennoch kann<br />

man nicht, wie Doehring dies tut, aus dieser Wendung von Art.2 (4) darauf schließen,<br />

dass Gewalt in Bürgerkriegen, die häufig gegen das Selbstbestimmungsrecht<br />

und die Menschenrechte verstößt, vom Gewaltverbot erfasst würde. Zwar findet sich<br />

ein entsprechen<strong>der</strong> Hinweis auch in <strong>der</strong> friendly relations declaration. Dort heisst es,<br />

dass je<strong>der</strong> Staat die Pflicht hat, jede Gewaltmassnahme zu unterlassen, die Völkern<br />

ihr <strong>Recht</strong> auf Selbstbestimmung und Freiheit und Unabhängigkeit entzieht. Der Wortlaut<br />

von Art.2 (4) und die Praxis <strong>der</strong> Staaten und des Sicherheitsrats sind bisher jedoch<br />

eindeutig so zu verstehen, dass damit nur das Selbstbestimmungsrecht<br />

frem<strong>der</strong> nicht des eigenen Staatsvolks geschützt wird.<br />

Diese Auffassung wird auch nicht durch den Kosovo-Einsatz <strong>der</strong> NATO in Frage gestellt.<br />

Die NATO haben nicht behauptet, dass ihr Einsatz vom Gewaltverbot ausgenommen<br />

sei, sie haben einen gewohnheitsrechtlichen Titel entwe<strong>der</strong> zur kollektiven<br />

Nothilfe <strong>der</strong> Menschen im Kosovo behauptet. Dies setzt voraus, dass <strong>der</strong> bewaffnete<br />

Angriff auf Menschen im Rahmen von Art.51 genauso wie <strong>der</strong> bewaffnete Angriff auf<br />

Staaten zu behandeln ist. O<strong>der</strong> aber man behauptet eine neben Art.51 neu entstandenen<br />

<strong>Recht</strong>fertigungsgrund <strong>der</strong> humanitären Intervention.<br />

Allerdings scheinen die Staaten und <strong>der</strong> Sicherheitsrat im Jugoslawienkonflikt davon<br />

Mitte 1994 eine Ausnahme gemacht zu haben, indem sie die ethnischen Konflikte<br />

dort unter das Gewaltverbot subsumierten und erklärt haben, dass sie territoriale


146<br />

Zuwächse einer Volksgruppe, die durch Gewalt zustande kommt, nicht akzeptieren.<br />

Dies hängt jedoch damit zusammen, dass <strong>der</strong> Konflikt in Jugoslawien auch territorial<br />

internationalisiert worden ist. Durch einen für verbindlich erklärten Teilungsplan aus<br />

dem Jahr 1994 und die Folgeregelungen im Dayton-Abkommen haben die sog. entities<br />

den Status völkerrechtsunmittelbarer befriedeter de facto regime erhalten, auf<br />

die das Gewaltverbot Anwendung finden kann.<br />

II. <strong>Das</strong> VII. Kapitel <strong>der</strong> UN-Charta<br />

Zur kollektiven Sicherung des Gewaltverbots stellt die Charta insbeson<strong>der</strong>e Kapitel<br />

VII zur Verfügung. Nach diesen Regelungen kann <strong>der</strong> Sicherheitsrat verbindliche<br />

Zwangsmaßnahmen ergreifen, um solche Mitglie<strong>der</strong>, die gegen das Gewaltverbot<br />

verstoßen haben, zur Vertragstreue zu zwingen. Kapitel VII stellt eine deutliche konzeptionelle<br />

Abweichung von <strong>der</strong> Völkerbundssatzung dar. Während dort <strong>der</strong> Rat nur<br />

Empfehlungen abgeben konnte und die Durchführung alleine bei den Mitgliedstaaten<br />

lag, ist nach Kapitel VII UN-Charta ein nur mit 15 Mitglie<strong>der</strong>n besetztes Organ <strong>der</strong><br />

UNO zur Verhängung und zur Durchsetzung <strong>der</strong> Zwangsmaßnahmen zuständig.<br />

Dieser scheinbar deutliche Zuwachs von Kompetenzen <strong>der</strong> Organisation zu Lasten<br />

<strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> verliert bei genauerer Betrachtung jedoch erheblich an Schärfe. Wie<br />

noch zu zeigen sein wird, ist dieses Instrumentarium auf die ständigen Mitglie<strong>der</strong> des<br />

Sicherheitsrats nicht anwendbar und die Durchführung militärischer Zwangsmaßnahmen<br />

liegt bisher nicht in <strong>der</strong> Kompetenz des Sicherheitsrats. Deshalb sind die<br />

Konzeptionen von Völkerbund und Vereinten Nationen in <strong>der</strong> Praxis gar nicht weit<br />

voneinan<strong>der</strong> entfernt. Der langfristig betrachtet größere Erfolg <strong>der</strong> UNO liegt nicht in<br />

<strong>der</strong> besseren Konzeption son<strong>der</strong>n darin begründet, dass nach dem Zweiten Weltkrieg<br />

die internationale Kooperation deutlich zugenommen hat und die Staaten es<br />

sich nicht so leicht leisten können, sich diesem System zu entziehen. Dennoch hat<br />

die Praxis bis zum Jahr 1989 auch die Schwächen dieses System deutlich zu Tage<br />

geför<strong>der</strong>t.<br />

1. Der Tatbestand des Art.39 UN-Charta


147<br />

Die Schlüsselvorschrift von Kapitel VII ist Art.39 UN-Charta. Gemäß dessen Satz 1<br />

stellt <strong>der</strong> Sicherheitsrat eine Bedrohung o<strong>der</strong> einen Bruch des internationalen<br />

Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit o<strong>der</strong> einen Akt <strong>der</strong> Aggression fest. Dieser Satz<br />

impliziert Folgendes.<br />

a. Die exklusive Zuständigkeit des Sicherheitsrats<br />

Zum einen ist für eine solche Feststellung nur <strong>der</strong> Sicherheitsrat zuständig. Die Generalversammlung<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Generalsekretär haben keine Zuständigkeit zur Verhängung<br />

von Zwangsmaßnahmen. Dies entspricht Art.24 (2) UN-Charta, <strong>der</strong> die Hauptverantwortung<br />

für die Wahrung des Friedens dem Sicherheitsrat zuweist und Art.25<br />

UN-Charta, <strong>der</strong> die Mitgliedstaaten nur an Beschlüsse des Sicherheitsrats bindet.<br />

Diese exklusive Zuständigkeit des Sicherheitsrats ist von <strong>der</strong> Generalversammlung<br />

anlässlich <strong>der</strong> Koreakrise in Frage gestellt worden. In <strong>der</strong> als uniting for peace bekannt<br />

gewordenen Resolution 377 (V) vom 3. November 1950 hat die Generalversammlung<br />

für sich die Zuständigkeit bei Friedensbedrohungen o<strong>der</strong> Friedensbrüchen<br />

für den Fall in Anspruch genommen, dass <strong>der</strong> Sicherheitsrat wegen <strong>der</strong> Uneinigkeit<br />

seiner Mitglie<strong>der</strong> nicht in <strong>der</strong> Lage ist, seiner Hauptverantwortung gerecht<br />

zu werden. Der Sicherheitsrat hat in <strong>der</strong> Koreakrise wegen permanenter Beschlussunfähigkeit<br />

in <strong>der</strong> Sache (Veto <strong>der</strong> UDSSR) die Sache an die Generalversammlung<br />

verwiesen. Dies war möglich, weil die Verweisung eine Verfahrensangelegenheit ist<br />

und deshalb gemäß Art.27 (2) nicht <strong>der</strong> Zustimmung aller ständigen Mitglie<strong>der</strong> bedarf.<br />

Die Generalversammlung hat in den Resolutionen 498 (V) und 500 (V) Anfang<br />

1951 die Mitglie<strong>der</strong> aufgefor<strong>der</strong>t, Südkorea weiterhin jede Unterstützung zu gewähren<br />

und mit Nordkorea keinen wirtschaftlichen Verkehr mehr zu unterhalten.<br />

Diese Praxis <strong>der</strong> Generalversammlung hat sich in <strong>der</strong> Folgzeit nicht durchgesetzt.<br />

Der Sicherheitsrat hat außer in <strong>der</strong> Koreakrise nur noch im Suez-Kanal-Konflikt im<br />

Jahr 1956 die Generalversammlung mit <strong>der</strong> Konfliktbewältigung betraut. In <strong>der</strong> Folgezeit<br />

hat er jede Verweisung an die Generalversammlung abgelehnt. Die Generalversammlung<br />

selbst ist davon ausgegangen, dass ihre Beschlüsse rechtlich unverbindlich<br />

sind. Deshalb können sie kein Ersatz für rechtlich verbindliche Maßnahmen<br />

des Sicherheitsrats sein. Die Embargobeschlüsse <strong>der</strong> Generalversammlung müssen


148<br />

nicht befolgt werden und die Empfehlung militärischer Zwangsmaßnahmen gibt den<br />

Mitglie<strong>der</strong> keine eigene Legitimation. Ihre daraufhin durchgeführten Militäraktionen<br />

sind nur dann rechtmäßig, wenn dafür nach allgemeinem Völkerrecht eine <strong>Recht</strong>sgrundlage<br />

besteht, also insbeson<strong>der</strong>e im Falle <strong>der</strong> kollektiven Nothilfe.<br />

b. Die Pflicht zur förmlichen Feststellung<br />

Die Feststellung <strong>der</strong> tatbestandlichen Voraussetzungen des Art.39 UN-Charta ist die<br />

notwendige Voraussetzung dafür, dass Zwangsmaßnahmen gemäß Kapitel VII<br />

verhängt werden können. Nur wenn ein Konflikt nach <strong>der</strong> Einschätzung des Sicherheitsrats<br />

mindestens die Qualität einer Bedrohung des Friedens angenommen hat,<br />

hat <strong>der</strong> Sicherheitsrat die Kompetenz, mit Zwang gegen eines o<strong>der</strong> mehrere Mitglie<strong>der</strong><br />

vorzugehen. Dabei ist nach <strong>der</strong> ständigen Praxis des Sicherheitsrats nicht nur<br />

eine implizite son<strong>der</strong>n eine ausdrückliche Feststellung des Tatbestandes von Art.39<br />

UN-Charta in <strong>der</strong> jeweiligen Resolution erfor<strong>der</strong>lich. Hat <strong>der</strong> Rat dies einmal festgestellt,<br />

genügt es, wenn er sich in auf denselben Konflikt bezogenen nachfolgenden<br />

Resolutionen auf diese Feststellung o<strong>der</strong> auch nur auf die erste Resolution, die diese<br />

Feststellung enthält, beruft.<br />

Die Feststellung des Tatbestandes von Art.39 ist nach dessen Wortlaut nur dann<br />

erfor<strong>der</strong>lich, wenn <strong>der</strong> Rat Maßnahmen gemäß Art.41 o<strong>der</strong> Art.42 verhängt. Dagegen<br />

werden die sogenannten vorläufigen Maßnahmen gemäß Art.40 in dieser Vorschrift<br />

nicht genannt. In <strong>der</strong> Literatur wird häufig behauptet, dass wegen <strong>der</strong> Stellung<br />

von Art.40 in Kapitel VII auch für solche Maßnahmen die Feststellung des Tatbestandes<br />

von Art.39 erfor<strong>der</strong>lich ist. In <strong>der</strong> Praxis des Sicherheitsrats hat sich die Regel<br />

herausgebildet, dass Maßnahmen gemäß Art.40 auch ohne Feststellung gemäß<br />

Art.39 möglich sind. Allerdings sind die dann an die Konfliktparteien gerichteten Auffor<strong>der</strong>ungen<br />

rechtlich unverbindlich. Sie unterscheiden sich deshalb nicht wesentlich<br />

von den Maßnahmen des Sicherheitsrates gemäß Kapitel VI UN-Charta. Wenn <strong>der</strong><br />

Sicherheitsrat aber den Tatbestand von Art.39 feststellt, dann misst er seinen vorläufigen<br />

Maßnahmen gemäß Art.40 rechtliche Verbindlichkeit bei.


149<br />

Ein gutes Beispiel dafür ist die Res 660 (1990), wo <strong>der</strong> Rat gestützt auf die Feststellung,<br />

dass <strong>der</strong> Einmarsch irakischer Truppen in Kuwait einen Bruch des internationalen<br />

Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit darstellt, den Irak zum Rückzug aller Truppen<br />

auffor<strong>der</strong>t. Diese Auffor<strong>der</strong>ung ist verbindlich und zu ihrer Durchsetzung verhängt<br />

<strong>der</strong> Rat in <strong>der</strong> Folgezeit Zwangsmaßnahmen gemäß Art.41 und 42 UN-Charta.<br />

(c) Der Tatbestand von Art.39 UN-Charta selbst ist in Literatur und Praxis umstritten.<br />

Einig ist man sich noch weitgehend darüber, dass die Frage, ob ein Konflikt die Intensität<br />

einer Gefährdung für den Fortbestand des Friedens o<strong>der</strong> einer Bedrohung<br />

o<strong>der</strong> eines Bruchs des Friedens hat, in dem nicht näher umschriebenen Beurteilungsspielraum<br />

des Sicherheitsrates liegt. Dies entspricht auch <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte<br />

<strong>der</strong> Charta aus <strong>der</strong> eindeutig hervorgeht, dass die im Rat versammelten<br />

Staaten in dieser Frage nicht präjudiziert sein sollen. Vergleicht man dies mit dem<br />

innerstaatlichen <strong>Recht</strong>, so tun sich Parallelen zum anerkannten Beurteilungsspielraum<br />

pluralistisch besetzter Gremien, wie <strong>der</strong> Bundesprüfstelle für jungendgefährdende<br />

Schriften und den Rundfunkräten <strong>der</strong> öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten<br />

auf, die kraft überlegener Sachkunde und <strong>der</strong> in ihnen angelegten Repräsentierung<br />

<strong>der</strong> gesellschaftlich relevanten Gruppen, in gerichtlich nicht nachprüfbarer Art und<br />

Weise sie betreffende gesetzliche Vorschriften anwenden. Übertragen auf den Rat<br />

begründet sich dessen Beurteilungsspielraum vor allem mit <strong>der</strong> Repräsentanz <strong>der</strong><br />

Großmächte, die alleine eine wirksame Garantie für die Sicherung des Friedens geben<br />

können und <strong>der</strong>en Urteil deshalb eine maßgebliche Bedeutung zukommt.<br />

c. Die Intensität des Konflikts<br />

Die Einschätzung des Rates ist dabei vornehmlich politisch motiviert und wegen <strong>der</strong><br />

Zusammensetzung aus 15 Mitgliedstaaten unterschiedlichen innerstaatlichen Zuschnitts<br />

und unterschiedlicher internationaler Einbindungen und Interessen häufig<br />

von ganz unterschiedlichen Beweggründen getragen. Die verabschiedeten Resolutionen<br />

sind häufig Ausdruck von Kompromissen und spiegeln meist unausgesprochen<br />

ganz unterschiedliche Auffassungen ihrer Autoren wi<strong>der</strong>. Dies macht ihre Interpretation<br />

schwierig und verbietet es auf jeden Fall, jenseits des Wortlauts eine von den<br />

Motiven <strong>der</strong> Ratsmitglie<strong>der</strong> abgehobene, "objektive" Interpretation vorzunehmen.


150<br />

Bezüglich <strong>der</strong> Einschätzung <strong>der</strong> Intensität eines Konflikts ist für den Rat vor allem<br />

ausschlaggebend, ob er gewillt ist, Zwangsmaßnahmen zu verhängen o<strong>der</strong> nicht. In<br />

<strong>der</strong> Zeit des kalten Krieges scheiterte die Feststellung einer Friedensbedrohung häufig<br />

daran, dass im Rat keine Einigkeit über die Verhängung von Zwang zu erzielen<br />

war. Meist gehörte <strong>der</strong> Aggressor einem politischen Bündnis unter <strong>der</strong> Führung einer<br />

<strong>der</strong> beiden Supermächte USA und UDSSR an o<strong>der</strong> stand einem solchen Bündnis<br />

zumindest nahe, was die Schutzmacht im Rat immer dann zur Ausübung des Vetorechts<br />

veranlasste, wenn <strong>der</strong> Schützling mit Zwang überzogen werden sollte. Dagegen<br />

konnte man sich auf unverbindliche Resolutionen auch in solchen Fällen in <strong>der</strong><br />

Regel einigen.<br />

Darüber hinaus hat <strong>der</strong> Sicherheitsrat aber in <strong>der</strong> Vergangenheit auch deshalb häufig<br />

Zurückhaltung in Bezug auf Art.39 geübt, weil er die Anfor<strong>der</strong>ungen an diese<br />

Norm hoch angesetzt hat. Die ihm übertragene Befugnis zur Verhängung von Zwang<br />

wollte er nur dann gebrauchen, wenn ein Konflikt von erheblicher Bedeutung war.<br />

Bloße Grenzzwischenfälle o<strong>der</strong> auch begrenzte militärische Konflikte mit <strong>der</strong> Aussicht<br />

auf ein rasches Ende hat er deshalb meist nur mit Maßnahmen gemäß Kapitel<br />

VI begleitet.<br />

Es gibt auch keine einheitlichen Maßstäbe dafür, wann <strong>der</strong> Rat eine Bedrohung des<br />

Friedens, einen Bruch des Friedens o<strong>der</strong> einen Akt <strong>der</strong> Aggression annimmt. Eine<br />

Bedrohung des Friedens liegt an sich wegen <strong>der</strong> parallelen Formulierung zu Art.2 (4)<br />

nahe, wenn in einem Konflikt die Anwendung von Gewalt angedroht worden ist o<strong>der</strong><br />

wenn ein Konflikt in absehbarer Zeit auch ohne konkrete Androhung in die Anwendung<br />

von Gewalt umzuschlagen droht. Der Rat hat aber insbeson<strong>der</strong>e in humanitären<br />

Konflikten häufig eine Bedrohung angenommen, wenn schon Gewalt ausgeübt<br />

worden ist.<br />

Einen Bruch des Friedens sollte <strong>der</strong> Rat nur in solchen Konflikten annehmen, in denen<br />

es in erheblichen Umfang zur Anwendung von Gewalt gekommen ist.<br />

Akte <strong>der</strong> Aggression hat <strong>der</strong> Rat bisher noch nie angenommen. <strong>Das</strong> Problem liegt<br />

hier darin, dass <strong>der</strong> Rat in diesem Fall einen Aggressor frühzeitig bestimmen muss,<br />

<strong>der</strong> dann notwendig einseitig Adressat <strong>der</strong> Sanktionen wird. Diese Festlegung scheut


151<br />

<strong>der</strong> Rat, um sich nicht politische Optionen zu verbauen. Insbeson<strong>der</strong>e hat <strong>der</strong> Rat es<br />

immer abgelehnt, die Definition <strong>der</strong> Generalversammlung aus <strong>der</strong> Definition of Aggression<br />

Resolution anzuwenden. Diskutiert wurde es ernsthaft im Irak-Kuwait Konflikt,<br />

wo <strong>der</strong> Tatbestand <strong>der</strong> Aggression eigentlich offen lag. Dort konnte aber die<br />

damalige UdSSR eine Vorverurteilung ihres langjährigen Verbündeten Irak vermeiden.<br />

Bei <strong>der</strong> Abgrenzung von Friedensbrüchen zu Friedensbedrohungen und Friedensgefährdungen<br />

weist die Praxis des Sicherheitsrates erhebliche Diskrepanzen auf. Der<br />

Überfall argentinischer Truppen auf die Falklandinseln im Jahr 1982 wurde sofort als<br />

Bruch des internationalen Friedens eingestuft. Dabei wurde nur knapp drei Stunden<br />

gekämpft, bis die britische Besatzung von weniger als hun<strong>der</strong>t Mann von überlegenen<br />

argentinischen Einheiten besiegt worden war. Tote gab es kaum und Gegenstand<br />

des Streits war eine abgelegene Inselgruppe im Südatlantik. Dagegen hat <strong>der</strong><br />

Rat den Krieg zwischen dem Iran und dem Irak zwischen 1980 und 1987 sieben<br />

Jahre lang nur als Gefahr für den Fortbestand des Friedens bewertet, obwohl auf<br />

beiden Seiten in die Millionen zählende Armeen eingesetzt wurden und mehrere<br />

hun<strong>der</strong>ttausend Mann starben. Als Friedensbruch wurde etwa auch <strong>der</strong> Einmarsch<br />

nordkoreanischer Truppen in Südkorea im Jahr 1950 und <strong>der</strong> Einmarsch irakischer<br />

Truppen in Kuwait im Jahr 1990 gewertet. Friedensbedrohungen sollten etwa die<br />

Unterstützung des weißen Min<strong>der</strong>heitenregimes in Südrhodesien, die Konflikte des<br />

Regimes in Südafrika mit seinen Nachbarstaaten, <strong>der</strong> Krieg in Jugoslawien, die Ausbildung<br />

und Entsendung von Terroristen durch Libyen und die humanitären Konflikte<br />

in Afrika und Mittelamerika sein.<br />

c. Der Friedensbegriff des Art.39 UN-Charta<br />

Höchst umstritten ist in Schrifttum und Praxis, was Schutzgut von Art.39 UN-Charta<br />

ist, also insbeson<strong>der</strong>e welcher Friedensbegriff dieser Norm zugrunde liegt. Insoweit<br />

ist man sich nur einig, dass Verstöße gegen das Gewaltverbot gemäß Art.2 (4)<br />

immer eine Bedrohung des Friedens darstellen können. <strong>Das</strong> heißt, dass jede Ausübung<br />

von Gewalt, die von einem Staat gegen einen an<strong>der</strong>en Staat, also in seinen


152<br />

internationalen Beziehungen ausgeübt wird, den Tatbestand von Art.39 erfüllen<br />

kann.<br />

Internationale Einwirkungen unterhalb <strong>der</strong> Schwelle militärischer Gewalt sollen dagegen<br />

auch wenn sie eine völkerrechtswidrige Intervention darstellen, grundsätzlich<br />

für Art.39 irrelevant sein. Von diesem Grundsatz hat <strong>der</strong> Sicherheitsrat allerdings in<br />

einem berühmt gewordenen Fall eine Ausnahme gemacht. Im Südrhodesienkonflikt<br />

hat er auch an<strong>der</strong>weitige Interventionen für die Feststellung einer<br />

Friedensbedrohung und für die Verhängung nichtmilitärischen Zwangs gemäß Art.41<br />

UN-Charta und sogar von militärischem Zwang gemäß Art.42 genügen lassen. Dabei<br />

ging es um die einseitige Unabhängigkeitserklärung <strong>der</strong> Regierung Ian Smith,<br />

die Südrhodesien, das britische Kolonie war, im Jahr 1965 zu einem unabhängigen<br />

Staat machen wollten. Der Sicherheitsrat hat diese Erklärung nicht akzeptiert, so<br />

dass <strong>der</strong> Konflikt an sich eine innere Angelegenheit des Vereinigten Königreichs<br />

blieb. Allerdings hat er auf dessen Wunsch hin, die wirtschaftliche Versorgung Südrhodesiens<br />

durch die portugiesische Kolonie Mozambique und durch Südafrika als<br />

Friedensbedrohung qualifiziert und hat Zwang zur Unterbindung dieser Versorgung<br />

angeordnet. Diese Praxis ist bis heute umstritten und wird in <strong>der</strong> Literatur häufig<br />

fälschlich als Fall <strong>der</strong> Erweiterung des Friedensbegriffs um die Menschenrechte und<br />

das Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Völker gewertet.<br />

Der Streit kreist insbeson<strong>der</strong>e angesichts <strong>der</strong> neueren Praxis des Sicherheitsrats vor<br />

allem darum, ob auch innerstaatliche Konflikte, die nicht unter das Gewaltverbot fallen,<br />

eine Bedrohung des Friedens im Sinne von Art.39 darstellen können. Bis zum<br />

Jahr 1992 gibt es keine entsprechende Praxis des Sicherheitsrates. Alle zuvor angeführten<br />

Fälle, insbeson<strong>der</strong>e Südrhodesien, Südafrika (1977) und die Kurdenverfolgung<br />

(1991) belegen diese These nicht. Im Falle Südafrikas stand bei <strong>der</strong> Verhängung<br />

des Waffenembargos die aggressive Politik gegen die Nachbarstaaten im Vor<strong>der</strong>grund,<br />

während die Apartheidpolitik im Lande selbst, erkennbar nicht für die<br />

Feststellung des Tatbestandes von Art.39 ausreichen sollte. Im Falle <strong>der</strong> Kurdenverfolgung<br />

waren es die Flüchtlingsströme in den Iran und vor allem in die Türkei, die<br />

für diese Staaten politisch hoch brisant waren und deshalb die Gefahr militärischer<br />

Konflikte mit dem Irak heraufbeschworen.


153<br />

In <strong>der</strong> Somaliakrise hat <strong>der</strong> Sicherheitsrat 1992 seine bisherige zurückhaltende<br />

Praxis aber erkennbar aufgegeben. Es waren dort in erster Linie und wohl für die<br />

meisten Ratsmitglie<strong>der</strong> ausschließlich die Gräueltaten und das Elend <strong>der</strong> Menschen<br />

im Lande, die zur Feststellung einer Friedensbedrohung führten. Die internationalen<br />

Aspekte auch die Flüchtlingsströme in die Nachbarlän<strong>der</strong> spielten demgegenüber<br />

keine entscheidende Rolle. Ähnlich verfuhr <strong>der</strong> Sicherheitsrat im Falle Ruandas und<br />

im Falle Haitis, wo ebenfalls die Konflikte im Lande ausschlaggebend für das Handeln<br />

gemäß Kapitel VII waren. Aus neuerer Zeit ist noch die Resolution 1132 (1997)<br />

aus Sierra Leone zu nennen, sowie die Resolutionen zum Kosovokonflikt, in dem <strong>der</strong><br />

Sicherheitsrat zwar keinen militärischen Zwang angeordnet hat, wohl aber ein Wirtschaftsembargo<br />

verhängt hat.<br />

Hier zeigt sich die zunehmende Bereitschaft des Rates, die Menschenrechte und<br />

das Selbstbestimmungsrecht <strong>der</strong> Völker neben <strong>der</strong> vom Gewaltverbot geschützten<br />

Souveränität <strong>der</strong> Staaten als Schutzgüter in Art.39 UN-Charta aufzunehmen. Ob das<br />

immer <strong>der</strong> Fall sein soll o<strong>der</strong> nur unter zusätzlichen Voraussetzungen, ist allerdings<br />

noch nicht geklärt. Im Rat selbst und unter den Mitglie<strong>der</strong>n im übrigen haben sich in<br />

diesen Fällen durchaus auch kritische Stimmen erhoben, die diese Praxis für unzulässig<br />

halten. Manche wollen sie auf ganz extreme Fälle <strong>der</strong> Ausrottung ganzer Bevölkerungsteile<br />

einhergehend mit dem vollständigen Zusammenbruch <strong>der</strong> Staatsgewalt,<br />

sog. failed state Doktrin beschränken. In diesen Fällen solle <strong>der</strong> Rat zur Wie<strong>der</strong>herstellung<br />

<strong>der</strong> staatlichen Ordnung zum Schutz <strong>der</strong> Bevölkerung intervenieren<br />

dürfen. Er wird dann quasi wie ein Treuhän<strong>der</strong> in einem nicht selbst handlungsfähigen<br />

Treuhandgebiet tätig, um die grundlegenden staatlichen Funktionen wie<strong>der</strong>herzustellen.<br />

Dies sei deshalb rechtlich unbedenklich, weil <strong>der</strong> betroffene failed state<br />

sich gegenüber dem Sicherheitsrat nicht auf das Interventions- und das Gewaltverbot<br />

berufen könne, solange es keine effektive Herrschaftsgewalt gebe.<br />

In dieses Schema passt dann aber <strong>der</strong> Haitikonflikt nicht, wo bei aller Schärfe <strong>der</strong><br />

Maßnahmen des Regimes Cedras von einer Ausrottung des Volks nicht die Rede<br />

sein konnte und <strong>der</strong> Staat eher zu stark als zu schwach war. Dort sollen die Flüchtlingsströme<br />

einen internationalen Bezug hergestellt haben, <strong>der</strong> jedoch in Praxi viel<br />

zu schwach war, um die Qualität einer Friedensbedrohung zu erreichen.


154<br />

Die neue Praxis des Rates lässt sich nach dem Wortlaut und <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte<br />

<strong>der</strong> Charta nicht rechtfertigen. Wie gesehen wird <strong>der</strong> Friedensbegriff in Art.1<br />

Nr.1 ausdrücklich von den Menschenrechten und dem Selbstbestimmungsrecht abgeschichtet.<br />

Es ist auch nicht systemgerecht, das scharfe Instrument <strong>der</strong> Zwangsmaßnahmen<br />

für solche bloß unverbindliche Ziele <strong>der</strong> Organisation anzuwenden,<br />

während in den rechtlich verbindlichen Prinzipien nur <strong>der</strong> Staat und seine im internationalen<br />

Verkehr geschützten <strong>Recht</strong>e aufgeführt sind. Dafür spricht vor allem auch<br />

das Verbot <strong>der</strong> Intervention in die inneren Angelegenheiten <strong>der</strong> Mitglie<strong>der</strong> Art.2 (7),<br />

dass als einzig wirksame Schranke gegen Zwangsmaßnahmen des Rates wirkt und<br />

deshalb nicht ohne weiteres zugunsten <strong>der</strong> zwangsweisen Einwirkung in innerstaatliche<br />

Konflikte aufgeweicht werden kann. Die failed state Doktrin ist abzulehnen. Solange<br />

ein Staat Mitglied <strong>der</strong> UNO ist, genießt er alle <strong>Recht</strong>e aus <strong>der</strong> Charta. Ist er<br />

kein Staat mehr, muss er ausgeschlossen o<strong>der</strong> in Treuhand überführt werden. Außerdem<br />

könnte diese Doktrin dazu führen, dass auch dritte Staaten aus eigennützigen<br />

Gründen intervenieren ohne an das Gewaltverbot gebunden zu sein.<br />

Diese Praxis ist allenfalls als ungeschriebene Fortentwicklung <strong>der</strong> Charta zu rechtfertigen.<br />

Dafür fehlt dem Sicherheitsrat als Organ jedoch die Kompetenz. Er ist bei allem<br />

Beurteilungsspielraum auf jeden Fall an Art.2 (7) gebunden und seine Beschüsse<br />

sind, wie Art.25 in accordance with the present Charter zeigt, auch nur dann<br />

verbindlich, wenn sie dieses Prinzip beachten.<br />

Deshalb bedürfte es des Konsenses aller Mitglie<strong>der</strong>, als <strong>der</strong> Herren <strong>der</strong> Verträge. Ob<br />

dieser Konsens allgemein besteht, ist nach wie vor nicht endgültig geklärt. Insbeson<strong>der</strong>e<br />

die Haltung Chinas als ständigem Mitglied aber auch vieler kleinerer Staaten<br />

Lateinamerikas und Afrikas, die ähnliche Probleme wie die Betroffenen haben,<br />

zeigt, dass es noch erhebliche Vorbehalte gegen diese Praxis gibt. Die Zahl <strong>der</strong>jenigen<br />

Staaten, welche humanitäre Interventionen des Sicherheitsrates befürworten,<br />

nimmt jedoch ständig zu. Insbeson<strong>der</strong>e in <strong>der</strong> westlichen Welt aber auch in Russland<br />

und in vielen Staaten Asiens und Afrikas wächst die Bereitschaft zur Akzeptanz<br />

dieser Praxis. Auch <strong>der</strong> Generalsekretär <strong>der</strong> Vereinten Nationen hält sie für akzeptiert.<br />

Bei strenger Betrachtung müsste die subsequent practice jedoch von allen Mitglie<strong>der</strong>n<br />

getragen werden. Deshalb bleiben immer noch gewissen Zweifel.


155<br />

2. Die Empfehlungen gemäss Art.39 UN-Charta<br />

Bevor <strong>der</strong> Sicherheitsrat Zwangsmassnahmen verhängt, kann er gemäss Art.39<br />

Empfehlungen an die Streitparteien richten. Diese Empfehlungen sind rechtlich unverbindlich.<br />

Damit entsteht das Problem <strong>der</strong> Abgrenzung zu Maßnahmen nach Kapitel<br />

VI UN-Charta. Rein formal erfolgt diese Abgrenzung danach, ob <strong>der</strong> Rat den Tatbestand<br />

von Art.39 festgestellt hat o<strong>der</strong> nicht. Dann kann <strong>der</strong> Rat auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

dieser Feststellung bei Nichtbefolgung <strong>der</strong> Empfehlung ohne weiteres zu Zwangsmassnahmen<br />

übergehen, während bei Nichtbefolgung von Empfehlungen gemäss<br />

Kapitel VI erst eine neue Qualität des Konflikts festgestellt werden muss.<br />

Ob es Praxis für solche Empfehlungen gibt, ist umstritten. In <strong>der</strong> Literatur wird vielfach<br />

behauptet, die Resolution 83 (1950) zum Koreakonflikt habe eine solche Empfehlung<br />

enthalten. Dort hatte <strong>der</strong> Rat nach dem Einmarsch <strong>der</strong> Nordkoreaner in Südkorea<br />

empfohlen, dass die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> UNO <strong>der</strong> Republik Korea alle notwendige<br />

Hilfe gewähren, um den bewaffneten Angriff zurückzuweisen und um den internationalen<br />

Frieden und die Sicherheit wie<strong>der</strong>herzustellen. In <strong>der</strong> Resolution heißt es:<br />

The Security Council,<br />

− Having determined that the armed attack upon the Republic of Korea by forces<br />

from North Korea constitutes a breach of the peace,<br />

− Recommends that the Members of the United Nations furnish such assistance to<br />

the Republic of Korea as may be necessary to repel the armed attack and to restore<br />

international peace and security in the area."<br />

Dabei soll es sich um die Empfehlung handeln, zugunsten von Südkorea bewaffnete<br />

Nothilfe gemäss Art.51 auszuüben. Bei genauer Betrachtung handelt es sich jedoch<br />

um die Empfehlung, militärischen Zwang im Namen <strong>der</strong> Vereinten Nationen zu üben,<br />

was aus den nachfolgenden Resolutionen deutlich wird, in denen die Truppen ermächtigt<br />

werden, die Fahne <strong>der</strong> UNO zu führen und in denen das präzise Ziel <strong>der</strong><br />

Operationen angegeben wird. In dieser Resolution 84 (1950) heißt es:


156<br />

"The Security Council,<br />

− Having determined that the armed attack upon the Republic of Korea by forces<br />

from North Korea constitutes a breach of the peace,<br />

− Having recommended that Members of the United Nations furnish such assistance<br />

to the Republic of Korea as may be necessary to repel the armed attack<br />

and to restore international peace and security in the area<br />

− 5. Authorizes the unified command at its discretion to use the United Nations<br />

flag in the course of operations against North Korean forces concurrently with the<br />

flags of the various nations participating..."<br />

Diese Empfehlung ist vergleichbar mit <strong>der</strong> Ermächtigungstechnik seit <strong>der</strong> Resolution<br />

678 (1990) und weist auf Art.42 als <strong>Recht</strong>sgrundlage hin. Einzelheiten dort.<br />

3. Die vorläufigen Maßnahmen gemäß Art.40 UN-Charta<br />

Vorläufige Maßnahmen enthalten in <strong>der</strong> Regel Handlungsanweisungen an die Streitparteien,<br />

<strong>der</strong>en Befolgung nach <strong>der</strong> Auffassung des Sicherheitsrates zur Beilegung<br />

des Streits dienen können. Solche Handlungsanweisungen können sein:<br />

- Auffor<strong>der</strong>ungen zur Einstellung von Kampfhandlungen<br />

- Auffor<strong>der</strong>ungebn zum Rückzug von Truppen<br />

- Abschluss von Waffenstillstandsverträgen<br />

- Einrichtung von Demarkationslinien<br />

so in <strong>der</strong> Resolution 598 (1987), die zur Beilegung des ersten Golfkrieges zwischen<br />

dem Iran und dem Irak maßgeblich beigetragen hat.<br />

Damit rücken die vorläufigen Maßnahmen in die Nähe <strong>der</strong> Maßnahmen zur friedlichen<br />

Streitbeilegung, die sich ebenfalls ausschließlich an die Konfliktparteien wenden.<br />

Allerdings sind die vorläufigen Maßnahmen gemäß Art.40 UN-Charta unter den<br />

oben genannten Voraussetzungen für die Konfliktparteien rechtlich verbindlich. Die<br />

Bindungswirkung bei solchen Anordnungen, die wie <strong>der</strong> Abschluss eines Waffenstillstandsabkommens<br />

von <strong>der</strong> Mitwirkung bei<strong>der</strong> Parteien abhängig ist, setzt jedoch<br />

für jeden Konfliktparteien die Bereitschaft <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite voraus.<br />

Allerdings bleiben sie nach dem Wortlaut von Art.40 UN-Charta ohne Auswirkungen


157<br />

auf die <strong>Recht</strong>e, die Ansprüche und die Stellung <strong>der</strong> Konfliktparteien. <strong>Das</strong> heißt, dass<br />

die getroffenen Anordnungen nicht die <strong>Recht</strong>sansprüche <strong>der</strong> Parteien präjudizieren<br />

dürfen. Sie sind vielmehr nur vorläufiger Natur, das heißt sie dienen nur <strong>der</strong> Beilegung<br />

des Konflikts nicht <strong>der</strong> endgültigen Klärung <strong>der</strong> völkerrechtlichen Lage.<br />

Beispiel: Wenn eine Streitpartei zur Beachtung einer bestimmten Grenze und zum<br />

Rückzug ihrer Truppen aus den jenseits dieser Grenze liegenden Gebieten aufgefor<strong>der</strong>t<br />

wird, ist damit nicht festgestellt, dass etwaige Ansprüche des betroffenen<br />

Staates auf diese Gebiete nicht bestehen. Dies deckt sich auch mit dem Inhalt des<br />

Gewaltverbots, das den Einsatz militärischer Gewalt zur Verfolgung von Gebietsansprüchen,<br />

auch wenn diese berechtigt sind, verbietet, wenn dieses Gebiet von einem<br />

an<strong>der</strong>en Staat beherrscht wird und diese Beherrschung für eine gewisse Zeit in einem<br />

befriedeten Zustand bestanden hat. Sog de facto Regime.<br />

Wegen des vorläufigen Charakters können deshalb Konfliktparteien nicht dazu gezwungen<br />

werden, ihren Gegner anzuerkennen, da die Anerkennung ein grundsätzlich<br />

nicht wi<strong>der</strong>rufbarer Akt ist, <strong>der</strong> den Status des Anerkannten im Verhältnis zum<br />

Anerkennenden endgültig regelt.<br />

4. Die nichtmilitärischen Zwangsmaßnahmen gemäß Art.41 UN-Charta<br />

Dabei handelt es sich um echte Zwangsmaßnahmen, das heißt sie sind für die Adressaten<br />

rechtlich verbindlich. Ihre Verhängung ist nach dem Wortlaut des Art.39<br />

UN-Charta auf jeden Fall von <strong>der</strong> vorherigen Feststellung mindestens einer Friedensbedrohung<br />

abhängig. Als Zwangsmaßnahmen dienen sie <strong>der</strong> Durchsetzung von<br />

Anordnungen des Sicherheitsrates. Dabei ist die Anordnung und Anwendung von<br />

Zwang nur gerechtfertigt, wenn die durchzusetzenden Anordnungen für die davon<br />

unmittelbar Betroffenen unbedingt rechtlich verbindlich ist. Deshalb kann es sich bei<br />

diesen Anordnungen nur um verbindliche Auffor<strong>der</strong>ungen an die Konfliktparteien auf<br />

<strong>der</strong> Grundlage von Art.40 UN-Charta handeln.<br />

Für die Zwangsmaßnahmen gemäß Art.41 UN-Charta gibt es keinen abschließenden<br />

Katalog. Art.41 UN-Charta selbst nennt einige Beispiele, ohne dass diese Auf-


158<br />

zählung abschließend wäre. Die einzige Beschränkung besteht darin, dass gemäß<br />

Art.41 UN-Charta keine Maßnahmen verhängt werden können, die die Anwendung<br />

militärischer Gewalt implizieren. Dies ist nur gemäß Art.42 UN-Charta möglich.<br />

In <strong>der</strong> Praxis haben sich als häufige Form nichtmilitärischen Zwangs sogenannte<br />

wirtschaftliche Boykottmaßnahmen herauskristallisiert. Diese Maßnahmen haben<br />

in <strong>der</strong> Regel eine doppelte Wirkung. Zum einen können sie sich an eine o<strong>der</strong> mehrere<br />

Konfliktparteien richten und diesen verbieten wirtschaftlichen Handel zu treiben.<br />

Mit diesem wirtschaftlichen Druck sollen die Konfliktparteien dazu veranlasst werden,<br />

Anordnungen des Sicherheitsrats Folge zu leisten.<br />

Beispiel: In <strong>der</strong> Resolution 661 (1990) verbietet <strong>der</strong> Sicherheitsrat jeden Handel mit<br />

dem Irak und Kuwait insbeson<strong>der</strong>e wird dem Irak verboten, Öl auszuführen. Die Resolution<br />

661 (1990) dient ihrem Wortlaut nach zur Durchsetzung <strong>der</strong> Resolution 660<br />

(1990), in welcher <strong>der</strong> Irak verbindlich zum Rückzug seiner Truppen aus Kuwait aufgefor<strong>der</strong>t<br />

wird. Mit dem Embargo soll dem Irak die wichtigste Einnahmequelle genommen<br />

werden. Dadurch soll politischer und ökonomischer Druck ausgeübt werden<br />

und seine Fähigkeit zur Unterhaltung eines schlagkräftigen Militärs und damit<br />

seinem Aggressionspotential soll damit geschmälert werden. Die Resolution enthält<br />

also indirekte und direkte Zwangselemente.<br />

Daneben richten sich solche Resolutionen aber auch an die übrigen Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Vereinten Nationen, die nicht Adressat verbindlicher Anordnungen des Sicherheitsrates<br />

sind. Ihnen wird ebenfalls rechtlich verbindlich verboten, mit dem Aggressor<br />

Handel zu treiben. Die Befugnis des Sicherheitsrates zur Inanspruchnahme nicht<br />

konfliktbeteiligter Mitglie<strong>der</strong> ergibt sich ausdrücklich aus dem Wortlaut von Art.41<br />

UN-Charta. Die rechtliche Verbindlichkeit ergibt sich aus Art.48 (1) UN-Charta. Sie<br />

stellt eine weitreichende Selbstbeschränkung <strong>der</strong> Staaten in solchen Konflikten dar.<br />

Da auf diese, am Konflikt unbeteiligten Staaten kein ökonomischer Druck ausgeübt<br />

werden darf, dürfen die Boykottmaßnahmen ihnen keinen erheblichen wirtschaftlichen<br />

Schaden zufügen. Deshalb eröffnet Art.50 UN-Charta wirtschaftlich schwachen<br />

Staaten die Möglichkeit, sich an den Sicherheitsrat mit <strong>der</strong> Bitte zu wenden, Kompensationen<br />

für die Mitwirkung am Boykott zu erhalten o<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Teilnahme am


159<br />

Boykott ausgenommen zu werden. Dabei ist <strong>der</strong> Sicherheitsrat allerdings nicht verpflichtet,<br />

diesem Ansinnen Folge zu leisten, er kann aber gemäß Art.48 (1) UN-<br />

Charta einzelne Mitglie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Mitwirkung befreien und er kann empfehlen, solchen<br />

Staaten wirtschaftliche Unterstützung zu gewähren. In <strong>der</strong> Resolution 661<br />

(1990) hat <strong>der</strong> Sicherheitsrat erstmals ein Komitee eingesetzt, um die Anträge betroffener<br />

Staaten zu überprüfen. Wie in den Fällen zuvor, ist jedoch kein Mitglied<br />

vom Vollzug ausgenommen worden, allerdings sind Empfehlungen zur Unterstützung<br />

einiger Mitglie<strong>der</strong> ausgesprochen worden. Diese Empfehlungen sind jedoch<br />

rechtlich unverbindlich.<br />

Der Sicherheitsrat kann solche Boykottmaßnahmen auch nur an die Drittstaaten<br />

richten. Dies setzt voraus, dass <strong>der</strong> vom Boykott betroffene Staat damit einverstanden<br />

ist. Dies war so bei den Wirtschaftssanktionen in Bezug auf Südrhodesien beginnend<br />

mit <strong>der</strong> Resolution 232 (1966), die alle auf Antrag des Vereinigten Königreichs<br />

zustande kamen, und bei <strong>der</strong> Resolution 713 (1991), mit <strong>der</strong> bei ausdrücklicher<br />

Billigung durch den Außenminister ein Waffenembargo in Bezug auf die damals<br />

noch bestehende Sozialistische Bundesrepublik Jugoslawien verhängt wurde. Solche<br />

nur an Drittstaaten gerichteten Boykottmaßnahmen rechtfertigen sich damit,<br />

dass das Handeltreiben gegen den Willen <strong>der</strong> Regierung des betroffenen Staates<br />

eine Intervention in dessen innere Angelegenheiten darstellt und bei <strong>der</strong> Lieferung<br />

von Waffen unter Umständen sogar einen Verstoß gegen das Gewaltverbot darstellt.<br />

Wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen können umfänglich sein, wie im Falle des Irak<br />

o<strong>der</strong> später <strong>der</strong> neu entstandenen Bundesrepublik Jugoslawien, wo bis auf die Lieferung<br />

von Medikamenten und einigen Nahrungsmitteln jeglicher Handel verboten We<br />

bzw. ist. Sie können sich aber auch auf einige wenige Produkte in <strong>der</strong> Regel häufig<br />

auf Waffen, wie im Falle Südafrikas (Res 477 (1977)) und Jugoslawiens o<strong>der</strong> auf Öl<br />

beziehen. Neben wirtschaftlichem Zwang nennt Art.41 UN-Charta auch den Abbruch<br />

<strong>der</strong> diplomatischen Beziehungen und die Unterbrechung <strong>der</strong> Kommunikationswege.<br />

Dies hat bei dem bisher umfassendsten Boykott gegen Jugoslawien in <strong>der</strong> Res 757<br />

(1992) eine Rolle gespielt.


160<br />

Neben diesen in Art.41 UN-Charta ausdrücklich genannten Maßnahmen hat in <strong>der</strong><br />

Praxis bereits die verbindliche Auffor<strong>der</strong>ung an die Mitglie<strong>der</strong> zur Nichtanerkennung<br />

eines Staates, nämlich Südrhodesiens in <strong>der</strong> Res 216 (1965) und zur Nichtanerkennung<br />

einer Annexion eines Staates, nämlich Kuwaits in <strong>der</strong> Res 662 (1990)<br />

eine Rolle gespielt. Dies sind Maßnahmen gemäss Art.41 und nicht vorläufige Maßnahmen<br />

gemäss Art.40 UN-Charta, weil sie sich auf die <strong>Recht</strong>slage verbindlich auswirken<br />

wollen.<br />

Im Jugoslawienkonflikt (Res 808 (1993) und 827 (1993) und im Ruandakonflikt Res<br />

955 (1994) ist die Einsetzung von Strafgerichtshöfen zur Aburteilung von Kriegsverbrechern<br />

hinzugekommen. Dabei handelt es sich um Zwangsmaßnahmen, die<br />

sich sowohl an die Konfliktparteien aber auch an alle an<strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> wenden, die<br />

verpflichtet werden, Personen, denen bestimmte Straftaten vorgeworfen werden, an<br />

ein Internationales Tribunal zu überstellen, um diesem die Ausübung eigener Gerichtsbarkeit<br />

zu ermöglichen.<br />

<strong>Das</strong> im Anhang zu den jeweiligen Resolutionen befindlich "Statute of the International<br />

Tribunal" (Abgedruckt in, ILM 1993, S.1192 ff.) enthält in den Artikeln 2 bis 5 die<br />

Straftatbestände, die unter die in Artikel 1 umschriebene Jurisdiktion des Gerichtshofs<br />

fallen sollen. Dabei handelt es sich um schwere Verstöße gegen die Genfer<br />

Konvention von 1949 (Art. 2), Verletzungen <strong>der</strong> Vorschriften o<strong>der</strong> Gewohnheiten <strong>der</strong><br />

Kriegsführung (Art. 3), Völkermord (Art. 4) und Verbrechen gegen die Menschlichkeit<br />

(Art. 5).<br />

<strong>Das</strong> Straftribunal ist gemäss Art.8 zuständig für alle Verstöße gegen diese Tatbestände,<br />

die seit dem 1. Januar 1991 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien<br />

begangen wurden. Dabei ist es gemäss Art.7 des Statuts unerheblich, ob ein Angeklagter<br />

als Staatsoberhaupt, Mitglied einer Regierung o<strong>der</strong> ob er auf Weisung eines<br />

solchen Organs gehandelt hat.<br />

Der Gerichtshof besteht in <strong>der</strong> durch die Resolution 1329 (2000) am 30.11.2000 geän<strong>der</strong>ten<br />

Fassung des Statuts aus Kammern, denen gemäss Art.12 des Statuts jeweils<br />

16 Richter aus unterschiedlichen Mitgliedstaaten angehören. Die Richter müssen<br />

gemäss Art.13 die Befähigung zu den höchsten Richterämtern in den Mitglied-


161<br />

staaten, die sie entsenden, haben.<br />

Die Kammern glie<strong>der</strong>n sich in Spruchkörper erster Instanz und eine Appellationskammer.<br />

Bei <strong>der</strong> Appellation handelt es sich gemäss Art.25 um ein Berufungsverfahren,<br />

da nicht nur <strong>Recht</strong>sfehler son<strong>der</strong>n auch eine fehlerhafte Tatsachermittlung gerügt<br />

werden kann. Die Appellationskammer des Jugoslawientribunals ist gemäss<br />

Art.13 Abs.4 in <strong>der</strong> geän<strong>der</strong>ten Fassung auch für Berufungen gegen Entscheidungen<br />

des Ruandatribunals zuständig. Gemäss Art.16 wird eine Anklagebehörde eingerichtet,<br />

die als eigenständige und unabhängige Behörde für die Untersuchung und die<br />

Anklage <strong>der</strong> Kriegsverbrechen vor dem Tribunal verantwortlich ist. Der Ankläger wird<br />

vom Sicherheitsrat auf Antrag des Generalsekretärs bestellt.<br />

Als Strafe sieht Art.24 nur die Freiheitsstrafe vor. Daneben kann die Rückgabe durch<br />

Straftaten erworbenen Vermögens angeordnet werden. Die Freiheitsstrafe wird gemäss<br />

Art.27 in einem Staat vollzogen, <strong>der</strong> sich dazu bereit erklärt hat. Dies sind die<br />

Nie<strong>der</strong>lande. Die Staaten sind nach Art. 29 (2) verpflichtet, je<strong>der</strong> Bitte des Gerichtshofs<br />

um Unterstützung bei seiner Tätigkeit unverzüglich Folge zu leisten. Darunter<br />

fällt insbeson<strong>der</strong>e die Verhaftung und Überstellung von Angeklagten.<br />

Die zentrale Vorschrift für das Verhältnis zur nationalen Strafgerichtsbarkeit ist Art.9.<br />

Der Gerichtshof nimmt für sich nach Art. 9 (1) des Statuts über den internationalen<br />

Gerichtshof eine neben den nationalen Gerichtshöfen bestehende Gerichtsbarkeit in<br />

Anspruch. Diese Gerichtsbarkeit ist gemäß Art. 9 (2) Satz 1 <strong>der</strong> Gerichtsbarkeit <strong>der</strong><br />

nationalen Gerichten übergeordnet. Gemäß Art. 9 (2) Satz 2 des Statuts sind die<br />

nationalen Gerichte verpflichtet, ihre Gerichtsbarkeit auf den internationalen Strafgerichtshof<br />

zu übertragen. In Art. 9 (2) wird die Stellung des Gerichtshofs gegenüber<br />

den nationalen Gerichten <strong>der</strong> Mitgliedstaaten beschrieben. Darin heißt es:<br />

"2. The international Tribunal shall have primacy over national courts. At any<br />

stage of the procedure, the International Tribunal may formally request national<br />

courts to defer to the competence of the International Tribunal in accordance<br />

with the present Statute and the Rules of Procedure and Evidence of<br />

the international Tribunal."<br />

Damit begründet das Statut eine doppelte Zuständigkeit des Gerichtshof einmal als


162<br />

eigene und zum an<strong>der</strong>en als eine von den Zuständigkeiten <strong>der</strong> nationalen Gerichte<br />

abgeleitete Gerichtsbarkeit. Soweit das Statut eine eigene Zuständigkeit des Gerichtshofs<br />

begründet, ist dies nur möglich, wenn die in dem Statut aufgeführten Straftatbestände<br />

unmittelbare Anwendung auf Individuen finden. Dagegen basiert die von<br />

den nationalen Gerichten abgeleitete Gerichtsbarkeit auf den jeweiligen innerstaatlichen<br />

Normen des materiellen Strafrechts und des Verfahrensrechts, die in Vollzug<br />

<strong>der</strong> völkerrechtlichen Verpflichtungen aus den Verträgen über das internationale<br />

Strafrecht geschaffen worden sind.<br />

Mit dem Wesen des Völkerrechts ohne weiteres vereinbar ist nur die zweite Konstruktion.<br />

Da die völkervertraglichen Verpflichtungen sich grundsätzlich nur an die<br />

Staaten als <strong>der</strong>en Subjekte wenden können, vermag erst <strong>der</strong> innerstaatliche Vollzugsakt<br />

eine strafrechtliche Bindung von Individuen zu erzeugen. Diesen staatlichen<br />

Strafanspruch gegenüber den auf seinem Territorium befindlichen Bürgern muss <strong>der</strong><br />

Mitgliedstaat, <strong>der</strong> eine Person wegen Taten im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkonflikt<br />

vor Gericht gestellt hat, auf den internationalen Strafgerichtshof übertragen.<br />

Insoweit handelt es sich bei <strong>der</strong> Einrichtung des internationalen Strafgerichtshofs<br />

um eine nichtmilitärische Zwangsmaßnahme, für die als <strong>Recht</strong>sgrundlage<br />

Art. 41 UN-Charta in Betracht kommt.<br />

Soweit <strong>der</strong> internationale Strafgerichtshof eigene Gerichtsbarkeit in Anspruch nimmt,<br />

entsteht völkerstrafrechtlich das Problem, ob bestimmte Tatbestände auch ohne<br />

Vollzugsakt unmittelbar auf das Verhalten von Individuen anwendbar sind. Er gilt<br />

ohne weiteres nicht für die Genfer Abkommen. Diese enthalten etwa in Art. 129 III.<br />

GK die Verpflichtung <strong>der</strong> Staaten, in ihrem nationalen <strong>Recht</strong> Straftatbestände zu<br />

schaffen. Sie begründen aber keine völkerrechtliche Strafbarkeit. Darüber hinaus<br />

enthalten die Genfer Konventionen genauso wie die Haager LKO nur Verpflichtungen<br />

<strong>der</strong> Staaten nicht aber <strong>der</strong> Individuen. Die Völkermordkonvention sieht eine individuelle<br />

Verantwortlichkeit vor, diese muss jedoch im innerstaatlichen <strong>Recht</strong> geltend<br />

gemacht werden o<strong>der</strong> dem einzurichtenden internationalen Gerichtshof vorgelegt<br />

werden. Dieser ist bisher nicht eingerichtet worden. Immerhin zeigt diese Regel zusammen<br />

mit Art. VIII, <strong>der</strong> eine Zuständigkeit <strong>der</strong> UNO zur Verfolgung von Völkermord<br />

festschreibt, dass es sich hier um einen international crime handelt.


163<br />

Der Gedanke völkerstrafrechtlicher Verantwortlichkeit hat sich praktisch vor allem in<br />

den Kriegsverbrecherprozessen von Nürnberg und Tokio Bahn gebrochen, auf welche<br />

<strong>der</strong> Rat nach <strong>der</strong> Äußerung <strong>der</strong> amerikanischen Delegierten ALBRIGHT mit dem<br />

Erlass <strong>der</strong> Resolutionen 808 und 827 (1993) Bezug nehmen will. Dort hat er insbeson<strong>der</strong>e<br />

zu dem Tatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit geführt. Dieser<br />

Tatbestand war jedoch, weil es sich um einseitig festgesetztes Siegerrecht handelte,<br />

immer umstritten. Daran anzuknüpfen, war deshalb nicht unproblematisch.<br />

Wenn man <strong>der</strong> allerdings umstrittenen These folgt, dass dadurch gewohnheitsrechtlich<br />

unmittelbar anwendbares Völkerstrafrecht geschaffen worden ist, so stellt die<br />

Inanspruchnahme von Strafgewalt für sich genommen keinen Eingriff in eine innerstaatliche<br />

Zuständigkeit und deshalb keine Zwangsmaßnahme dar.<br />

Der Charakter als Zwangsmaßnahme ergibt sich in diesem Fall aber daraus, dass<br />

die Staaten gemäß Artikel 29 des Statuts verpflichtet sind, dem Gerichtshof jede von<br />

diesem gewünschte Hilfe, insbeson<strong>der</strong>e die Festnahme und Überstellung von mutmaßlichen<br />

Kriegsverbrechern zu leisten.<br />

Voraussetzung für die Verhängung jeglichen Zwangs auf <strong>der</strong> Grundlage von Art.41<br />

UN-Charta ist gemäß dem Wortlaut von Art.39 aber, dass dieser Zwang geeignet ist,<br />

den internationalen Frieden aufrechtzuerhalten o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>herzustellen. <strong>Das</strong> bedeutet,<br />

dass die jeweilige Maßnahme einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem<br />

Konflikt haben muss, den <strong>der</strong> Sicherheitsrat als Friedenbedrohung o<strong>der</strong> -bruch einstuft.<br />

Dabei können solche Maßnahmen zur Aufrechterhaltung des Friedens auch<br />

über die Beendigung eines Konflikts hinaus andauern, wenn ohne ihre Durchführung<br />

ein erneuter Ausbruch zu befürchten ist.<br />

Diese Eignung lässt sich auch für die <strong>Internationalen</strong> Straftribunale unterstellen, da<br />

die Aburteilung von Kriegsverbrechern geeignet ist, einen Konflikt einzudämmen und<br />

einen erneuten Ausbruch zu verhin<strong>der</strong>n. Allerdings kann das Tribunal auf <strong>der</strong> Grundlage<br />

von Kapitel VII nur solange tätig sein, wie dies zur Befriedung des ehemaligen<br />

Jugoslawien notwendig ist. Eine davon abgehobene justizförmige Aufarbeitung des<br />

begangenen Unrechts ist nicht möglich.


164<br />

5. Die militärischen Zwangsmaßnahmen gemäß Art.42 UN-Charta<br />

a. Die Arten militärischer Zwangsmaßnahmen<br />

Die militärischen Zwangsmaßnahmen gemäß Art.42 UN-Charta unterscheiden sich<br />

von den nichtmilitärischen dadurch, dass sie den Einsatz militärischer Streitkräfte<br />

implizieren. Dies können nach <strong>der</strong> Aufzählung in Art.42 See-, Luft- o<strong>der</strong> Landstreitkräfte<br />

sein. Den Einsatz dieser Streitkräfte kann <strong>der</strong> Sicherheitsrat ausdrücklich benennen<br />

o<strong>der</strong> kann mit Formulierungen wie "all necessary means" in <strong>der</strong> Resolution<br />

678 (1990) neben an<strong>der</strong>en Maßnahmen auch diese meinen.<br />

"The Security Council...<br />

− Noting that, despite all efforts by the United Nations, Iraq refuses to comply with<br />

its obligation to implement resolution 660 (1990) and the above mentioned subsequent<br />

relevant resolutions, in flagrant contempt of the Security Council,<br />

− Mindful of its duties and responsibilities un<strong>der</strong> the Charter of the United Nations<br />

for the maintenance and preservation of international peace and security,<br />

− Determined to secure full compliance with its decisions,<br />

− Acting un<strong>der</strong> Chapter VII of the Charter,<br />

1. Demands that Iraq comply fully with resolution 660 (1990) and all subsequent<br />

relevant resolutions, and decides, while maintaining all its decisions, to allow<br />

Iraq one final opportunity, as a pause of goodwill, to do so;<br />

2. Authorizes Member States co-operating with the Government of Kuwait,<br />

unless Iraq on or before 15 January 1991 fully implements, as set forth in<br />

paragraph 1 above, the above-mentioned resolutions, to use all necessary<br />

means to uphold and implement resolution 660 (1990) and all subsequent<br />

relevant resolutions and to restore international peace and security in the<br />

area;<br />

In einem solchen Fall ist als <strong>Recht</strong>sgrundlage immer Art.42 UN-Charta zu prüfen.<br />

Militärische Zwangsmaßnahmen kann <strong>der</strong> Sicherheitsrat nur anordnen, wenn er <strong>der</strong><br />

Meinung ist, dass nichtmilitärische Maßnahmen gemäß Art.41 nicht ausreichen, um<br />

den Frieden und die Sicherheit wie<strong>der</strong>herzustellen. Die nichtmilitärischen Maßnahmen<br />

sind also ultima ratio, sie unterliegen dem Grundsatz <strong>der</strong> Verhältnismäßigkeit.<br />

<strong>Das</strong> bedeutet aber nicht, dass <strong>der</strong> Sicherheitsrat, bevor er nach Art.42 handelt,<br />

zuvor nichtmilitärische Maßnahmen verhängt haben muss. Er kann direkt solche mi-


165<br />

litärischen Maßnahmen verhängen, wenn er <strong>der</strong> Auffassung ist, dass nur diese den<br />

Konflikt beenden können.<br />

Militärische Maßnahmen des Sicherheitsrates unterscheiden sich von sogenannten<br />

Friedenstruppen (Blauhelmen) dadurch, dass ihre Entsendung gegen den Willen<br />

des betroffenen Staates erfolgt. Es sind damit Zwangsmaßnahmen.<br />

Genauso wie die nichtmilitärischen Maßnahmen dienen sie häufig <strong>der</strong> Durchsetzung<br />

verbindlicher Anordnungen des Sicherheitsrates gemäß Art.40 UN-Charta, wenn <strong>der</strong><br />

betroffene Staat diesen Anordnungen nicht Folge leistet. Dies war etwa bei <strong>der</strong> Resolution<br />

678 (1990) im Kuwait-Konflikt <strong>der</strong> Fall, wo <strong>der</strong> Rat militärischen Zwang zur<br />

Durchsetzung <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Res. 660 (1990) an den Irak gerichteten Auffor<strong>der</strong>ung zum<br />

Rückzug aller Truppen aus Kuwait anordnete.<br />

Militärische Maßnahmen können auch <strong>der</strong> Durchsetzung nichtmilitärischen Zwangs<br />

gemäß Art.41 dienen. Verhängt <strong>der</strong> Sicherheitsrat etwa ein Wirtschaftsembargo<br />

und wird diesem nicht Folge geleistet, dann verhängt er gelegentlich militärischen<br />

Zwang, um diesem Embargo Wirksamkeit zu verleihen. Ein Beispiel dafür ist die Resolution<br />

665 (1990), in welcher <strong>der</strong> Sicherheitsrat die Mitgliedstaaten auffor<strong>der</strong>t, zur<br />

Durchsetzung des in <strong>der</strong> Resolution 661 (1990) gegen den Irak verhängen Embargos,<br />

mit den im Persischen Golf stationierten Seestreitkräften alle ein- und auslaufenden<br />

Schiffe anzuhalten und ihre Ladung zu überprüfen.<br />

"The Security Council...<br />

− Having decided in resolution 661 (1990) to impose economic sactions un<strong>der</strong><br />

Chapter VII of the Charter of the United Nations...<br />

− Gravely alarmed that Iraq continues to refuse to comply with resolutions 660<br />

(1990); 661 (1990); 662 (1990) and 664 (1990) and in particular at the conduct of<br />

the Government of Iraq in using Iraqi flag vessels to export oil,<br />

1. Calls upon those Member States co-operating with the Government of Kuwait<br />

which are deploying maritime forces to the area to use such measures commensurate<br />

to the specific circumstances as may be necessary un<strong>der</strong> the authority<br />

of the Security Council to halt all inward and outward maritime shipping<br />

in or<strong>der</strong> to inspect and verify their cargoes and destinations and to ensure<br />

strict implementation of the provisions related to such shipping laid down in<br />

resolution 661;


166<br />

Ein weiterer Fall ist die Resolution 787 (1992) zum Jugoslawienkonflikt, in welcher<br />

<strong>der</strong> Sicherheitsrat zur Durchsetzung seiner in den Resolutionen 713 (1991) und 757<br />

(1992) getroffenen Embargomaßnahmen die Mitgliedstaaten zur Anwendung von<br />

Gewalt mittels ihrer Marinestreitkräfte in <strong>der</strong> Adria auffor<strong>der</strong>t. Obwohl vom Wortlaut<br />

vergleichbar ist die Resolution 221 (1966) im Rhodesienkonflikt damit nicht vergleichbar,<br />

da in diesem Fall zuvor vom Rat kein bindendes Wirtschaftsembargo verhängt<br />

wurde. Dies geschah erst ein halbes Jahr später in <strong>der</strong> Resolution 232 (1966).<br />

Diese Vorgehensweise ist im Verhältnis zu den Konfliktparteien unproblematisch.<br />

Diesen gegenüber hat <strong>der</strong> Sicherheitsrat zuvor eine bindende Anweisung gemäß<br />

Art.40 UN-Charta erteilt und diese haben in <strong>der</strong> Regel auch zuvor einen Akt <strong>der</strong> Aggression<br />

o<strong>der</strong> zumindest eine Verletzung des Gewaltverbots begangen. Gegenüber<br />

den übrigen Mitglie<strong>der</strong>n, die wegen <strong>der</strong> Doppelwirkung von Embargomaßnahmen<br />

ebenfalls von solchem militärischen Zwang erfasst werden, ist dieses Vorgehen jedoch<br />

problematisch. Diese verstoßen, wenn sie das Embargo verletzen, nicht gegen<br />

das Gewaltverbot, sie verletzen lediglich ihre Pflichten aus Art.48 (1) und Art.41 zur<br />

Befolgung binden<strong>der</strong> Anordnungen des Sicherheitsrates. Damit wird militärischer<br />

Zwang nicht nur gegen diejenigen verhängt, die gemäß Art.39 für die Friedensbedrohung<br />

o<strong>der</strong> den Friedensbruch verantwortlich sind, son<strong>der</strong>n auch gegenüber denjenigen,<br />

die durch ihr Verhalten die Bemühungen des Sicherheitsrates zur Wie<strong>der</strong>herstellung<br />

des Friedens vereiteln wollen. Da sich we<strong>der</strong> aus Art.48 noch aus Art.25<br />

eine solche Kompetenz des Sicherheitsrats ergibt, spricht vieles dafür, dass <strong>der</strong> Sicherheitsrat<br />

nur dann militärische Zwangsmaßnahmen gegen nicht konfliktbeteiligte<br />

Staaten verhängen kann, wenn diese durch den Verstoß gegen das Embargo<br />

ihrerseits für die Friedensbedrohung o<strong>der</strong> den Friedensbruch gemäß Art.39 verantwortlich<br />

gemacht werden können.<br />

In <strong>der</strong> Praxis ist festzustellen, dass in beiden Fällen die meisten Mitgliedstaaten diese<br />

Anordnungen als rechtmäßig akzeptiert haben. Bezüglich den Resolutionen zum<br />

Jugoslawienkonflikt trifft dies allerdings nicht für Bosnien-Herzegowina zu. Diesem<br />

seit Anfang 1992 als Mitglied in die Vereinten Nationen aufgenommenen Staat gegenüber<br />

war die Verhängung militärischen Zwangs zur Durchsetzung des in <strong>der</strong><br />

Res.713 (1991) für das gesamte Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens verhängten


167<br />

Waffenembargos rechtswidrig. Zum einen ist nicht nachzuvollziehen, warum das mit<br />

<strong>der</strong> Zustimmung <strong>der</strong> damaligen jugoslawischen Regierung verhängte Embargo ohne<br />

weiteres auch für Bosnien-Herzegowina galt, da die Zustimmung <strong>der</strong> jugoslawischen<br />

Regierung die neu entstandene Republik Bosnien-Herzegowina nicht binden konnte<br />

und eine <strong>Recht</strong>snachfolge in Embargomaßnahmen ohne weiteres nicht möglich ist.<br />

Zum an<strong>der</strong>en wurde Bosnien-Herzegowina nicht für die Bedrohung des Friedens<br />

verantwortlich gemacht, vielmehr sah <strong>der</strong> Sicherheitsrat diesen Staat als Opfer von<br />

Gewaltmaßnahmen <strong>der</strong> neu entstandenen Bundesrepublik Jugoslawien. Bosnien hat<br />

deshalb zur <strong>Recht</strong> gegen die Anwendung des Embargos auf sein Staatsgebiet und<br />

gegen die Verhängung militärischen Zwangs zu seiner Durchsetzung protestiert.<br />

Darüber hinaus hat <strong>der</strong> Sicherheitsrat auch militärischen Zwang verhängt, ohne vorher<br />

gegenüber <strong>der</strong> Regierung eines Mitglieds eine verbindliche Anordnung gemäß<br />

Art.40 UN-Charta getroffen zu haben. In <strong>der</strong> Res.794 (1992) hat zur Schaffung eines<br />

sicheren Umfelds für die Verteilung von Hilfsgütern in Somalia militärischen Zwang<br />

angeordnet. Dabei stützte er sich nur auf zuvor an die in Somalia kämpfenden Konfliktparteien<br />

gerichtete Auffor<strong>der</strong>ung zur Feuereinstellung. Da diese Konfliktparteien<br />

aber nicht anerkannt waren, hatten sie keinen völkerrechtlichen Status und konnten<br />

deshalb auch nicht für Verletzungen <strong>der</strong> Charta verantwortlich gemacht werden. Die<br />

Verpflichtungen aus dem Gewaltverbot o<strong>der</strong> zur Beachtung <strong>der</strong> Menschenrechte<br />

können nur die Regierungen von Staaten o<strong>der</strong> sonstige völkerrechtlich anerkannte<br />

Gruppierungen erfassen. Der militärische Zwang hatte in diesem Fall wie bereits geschil<strong>der</strong>t<br />

den Charakter einer zwangsweisen Fremdverwaltung durch die Vereinten<br />

Nationen.<br />

b. Die Son<strong>der</strong>abkommen gemäss Art.43 UN-Charta<br />

Nach <strong>der</strong> Konzeption des Art.42 UN-Charta soll <strong>der</strong> militärische Zwang vom Sicherheitsrat<br />

selbst ergriffen werden. Dies kann er aber nur dann, wenn ihm selbst militärische<br />

Streitkräfte zur Verfügung stehen. Gemäß Art.43 verschafft er sich diese


168<br />

Streitkräfte, indem er mit einigen o<strong>der</strong> allen Mitglie<strong>der</strong>n Son<strong>der</strong>abkommen abschließt,<br />

in denen die Mitglie<strong>der</strong> sich verpflichten, dem Sicherheitsrat solche Streitkräfte<br />

zur Verfügung zu stellen, wenn er sie anfor<strong>der</strong>t. Diese Mitglie<strong>der</strong> sind gemäß<br />

Art.45 verpflichtet, einen in dem Abkommen bestimmten Teil ihrer Streitkräfte für<br />

einen solchen Einsatz bereit zu halten. Die Koordinierung des Einsatzes <strong>der</strong> Streitkräfte<br />

erfolgt durch den nach Art.47 zu bildenden Generalstabsausschuss, <strong>der</strong> aus<br />

den Generalstabschefs <strong>der</strong> zur Stellung von Streitkräften bestimmten Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Die Mitgliedstaaten sind allerdings nicht verpflichtet, solche Son<strong>der</strong>abkommen zu<br />

schließen. Gemäß Art.43 (3) sind sie nur verpflichtet, auf Auffor<strong>der</strong>ung des Sicherheitsrates<br />

über den Abschluss solcher Abkommen ernsthaft zu verhandeln. Art.43<br />

enthält also ein sog. pactum de negotiando. Wegen des bald nach Gründung <strong>der</strong><br />

UNO ausbrechenden sog. kalten Krieges sind trotz Vorarbeiten im Sicherheitsrat<br />

keine Son<strong>der</strong>abkommen geschlossen worden. Dies hat sich auch nach <strong>der</strong> Überwindung<br />

des Ost-West-Konflikts 1989/90 nicht geän<strong>der</strong>t. Deshalb kann <strong>der</strong> Sicherheitsrat<br />

bis heute solche militärischen Zwangsmaßnahmen nicht selbst durchführen.<br />

c. Die Ermächtigung <strong>der</strong> Mitgliedstaaten<br />

Der Sicherheitsrat hat sich deshalb in <strong>der</strong> Praxis an<strong>der</strong>er Techniken bedient. In mehreren<br />

Fällen hat er Mitglie<strong>der</strong> ermächtigt, selbst militärischen Zwang anzuwenden.<br />

Bei diesen militärischen Zwangsmaßnahmen kann man wie<strong>der</strong>um unterscheiden<br />

zwischen dem Vollzug eines Embargos und davon unabhängigen Militäraktionen. In<br />

den Resolutionen 221 (1966), 665 (1990) und 785 (1992) ordnet <strong>der</strong> Rat militärischen<br />

Zwang an, um ein jeweils zuvor verhängtes Embargo durchzusetzen. In diesem<br />

Fall hat <strong>der</strong> bewaffnete Zwang Doppelwirkung. Er wendet sich zum einen gegen<br />

den Staat, <strong>der</strong> durch das Embargo sanktioniert wird, er trifft aber zugleich auch diejenigen<br />

Staaten, die durch den militärischen Zwang dazu angehalten werden sollen,<br />

ihrer Verpflichtung zur Befolgung des Embargos gemäß Art. 25 i.V.m. Art. 48 (1) UN-<br />

Charta nachzukommen.<br />

Bemerkenswert ist, dass <strong>der</strong> Rat in diesen Resolutionen die Wendung "calls upon"


169<br />

verwendet, die anzudeuten scheint, dass die Staaten verpflichtet sind, den militärischen<br />

Zwang anzuwenden. Die Diskussion zu diesen Resolutionen zeigt jedoch,<br />

dass <strong>der</strong> Rat mit <strong>der</strong> Auffor<strong>der</strong>ung zur Gewaltanwendung <strong>der</strong> Sache nach eine Ermächtigung<br />

meint, <strong>der</strong>en Vollzug ins Belieben <strong>der</strong> Mitgliedstaaten gestellt bleibt.<br />

Diese Auffassung des Sicherheitsrats steht in Einklang mit Art. 43 UN-Charta, <strong>der</strong><br />

eine Verpflichtung <strong>der</strong> Staaten zur Durchführung bewaffneter Zwangsmaßnahmen<br />

nur auf <strong>der</strong> Grundlage von Son<strong>der</strong>abkommen vorsieht. Dies gilt auch für die<br />

zwangsweise Durchsetzung von Embargomaßnahmen, da eine entsprechende Verpflichtung<br />

<strong>der</strong> Mitgliedstaaten in <strong>der</strong> Charta nicht enthalten ist.<br />

Die zweite Fallgruppe liegt außerhalb <strong>der</strong> Durchsetzung von Embargomaßnahmen.<br />

Der erste Fall waren die Resolutionen 83 und 84 (1950) im Koreakonflikt. Dort hat<br />

<strong>der</strong> Rat den Mitglie<strong>der</strong>n zunächst empfohlen, Südkorea militärisch zu helfen (S/res<br />

83) und hat sie dann ermächtigt, dabei die Flagge <strong>der</strong> UNO zu führen (S/Res 84).<br />

Später hat er in <strong>der</strong> Resolution 221 (1966) das Vereinigte Königreich ermächtigt,<br />

zwei Schiffe aufzubringen, die Öl in dem Hafen Beira in Mozambique löschen wollten.<br />

In <strong>der</strong> Res.678 (1990) hat er alle Mitglie<strong>der</strong> ermächtigt, alle notwendigen Maßnahmen<br />

zur Entsetzung Kuwaits zu ergreifen. Vergleichbare Wendungen finden sich<br />

in einer Vielzahl späterer Resolutionen des Rates.<br />

In <strong>der</strong> Literatur ist bis heute umstritten, ob diese Praxis rechtmäßig ist. Teilweise wird<br />

immer noch behauptet, <strong>der</strong> Sicherheitsrat könne solange keinen militärischen Zwang<br />

anordnen, wie keine Son<strong>der</strong>abkommen gemäß Art.43 UN-Charta geschlossen seien.<br />

Ermächtige er Mitglie<strong>der</strong>, dann fehle die genügende Bindung des militärischen<br />

Zwangs an die Vereinten Nationen. Deshalb deuten manche Autoren die beschriebenen<br />

Fälle als kollektive Nothilfe zugunsten <strong>der</strong> angegriffenen Staaten. Diese Lösung<br />

ist jedoch für die entsprechenden Resolutionen zu Jugoslawien (S/Res 770<br />

(1992) um Hilfsgüter in Bosnien-Herzegowina zu verteilen, S/Res 787 zur Durchsetzung<br />

des Embargos in <strong>der</strong> Adria, S/Res 816 (1993) zur Durchsetzung des Flugverbots<br />

über Bosnien und S/Res 836 (1993) zur Sicherung <strong>der</strong> Schutzzonen) Somalia<br />

(S/Res 794 (1992) Aktion restore hope und S/Res 814 (1993) zur Einsetzung von<br />

UNOSOM II, Rwanda S/Res 929 (1994) operation turquoise und Haiti S/Res 940<br />

(1994) nicht anwendbar. In diesen Fällen wird nicht kollektive Nothilfe für einen an-


170<br />

gegriffenen Staat geleistet, son<strong>der</strong>n es werden humanitäre Aktionen in einem Staat<br />

gesichert o<strong>der</strong> es wird ein Regime in einem Staat durch ein an<strong>der</strong>es ersetzt. Dies ist<br />

allenfalls als genuine Zwangsmaßnahme <strong>der</strong> UNO und nicht als kollektive Nothilfe<br />

vorstellbar. Aber auch in den an<strong>der</strong>en Fällen zeigen die Beratungen im Sicherheitsrat,<br />

dass dieser die Resolutionen als militärischen Zwang gemäß Kap.VII aufgefasst<br />

hat.<br />

Viele halten die Praxis des Rates aber für rechtmäßig. Sie verweisen entwe<strong>der</strong> auf<br />

Art.48 (1) UN-Charta, <strong>der</strong> den Vollzug von Zwangsmaßnahmen durch die Mitglie<strong>der</strong><br />

vorsieht o<strong>der</strong> auf Art.42 S.2 UN-Charta, <strong>der</strong> sagt, dass solche bewaffneten Maßnahmen<br />

auch in Militäraktionen von Mitgliedstaaten bestehen können. Durch die<br />

Ermächtigung werden die Mitglie<strong>der</strong> berechtigt, außerhalb des <strong>Recht</strong>s <strong>der</strong> kollektiven<br />

Nothilfe auf <strong>der</strong> Grundlage von Art.42 UN-Charta bewaffnete Gewalt anzuwenden.<br />

Dies ist für den Umfang <strong>der</strong> Aktionen maßgeblich, die sich nicht nach Art.51<br />

UN-Charta son<strong>der</strong>n nach <strong>der</strong> in <strong>der</strong> jeweiligen Resolutionen erteilten Ermächtigung<br />

richten müssen. So mussten die Mitglie<strong>der</strong> im Kuwait-Konflikt ihre Aktionen nach <strong>der</strong><br />

Befreiung Kuwaits abbrechen, weil sie nur zur Durchsetzung <strong>der</strong> Res.660 (1990)<br />

ermächtigt wurden.<br />

Diese mittlerweile gefestigte Praxis des Sicherheitsrats verstößt nicht gegen Art. 43<br />

UN-Charta. Aus <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Charta lässt sich insoweit nur ableiten,<br />

dass die Mitgliedstaaten in Ermangelung solcher Abkommen nicht verpflichtet<br />

sind, vom Rat angeordneten militärischen Zwang durchzuführen. Der Art. 43 UN-<br />

Charta entfaltet also Schutzwirkungen nur zugunsten solcher Staaten, die vom Sicherheitsrat<br />

zur Durchführung von militärischem Zwang in Anspruch genommen<br />

werden. Dagegen kann aus dieser Regel nicht gefolgert werden, dass diejenigen<br />

Staaten, die die Adressaten des militärischen Zwangs sind, auch in den Schutzbereich<br />

des Art. 43 UN-Charta fallen sollen. Insoweit ist die Handlungsfreiheit des Sicherheitsrats<br />

also nicht eingeschränkt.<br />

In <strong>der</strong> Literatur ist darüber hinaus vor allem im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Resolution<br />

678 (1990) eingewandt worden, Art. 42 UN-Charta setze voraus, dass <strong>der</strong> Rat auch<br />

im Vollzug des militärischen Zwangs die Verfahrensherrschaft innehaben müsse.


171<br />

Dies lässt sich aus <strong>der</strong> Entstehungsgeschichte <strong>der</strong> Charta nicht belegen. Deshalb<br />

genügt es meines Erachtens, dass die Staaten ihre Legitimation zur Anwendung militärischen<br />

Zwangs auf die Anordnung durch den Rat stützen, weil damit die materiellrechtliche<br />

Legitimation alleine auf den Rat zurückzuführen ist.<br />

Nach dem Irak-Kuwait-Konflikt wurde aber von einigen Mitglie<strong>der</strong>n des Sicherheitsrats<br />

Kritik an dieser Praxis geübt, die jedoch eher von dem politischen Interesse an<br />

einer stärkeren Kontrolle <strong>der</strong> vollziehenden Staaten geprägt war, die deshalb nicht in<br />

erster Linie als rechtliche Kritik gedeutet werden kann. Zumindest ist von keinem<br />

Staatenvertreter behauptet worden, die Resolution 678 (1990) sei nichtig, die geltend<br />

gemachten Bedenken bezogen sich ausschließlich auf die zukünftige Praxis.<br />

Die spätere Praxis trägt diesem Bedenken dadurch Rechnung, dass entwe<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Rat selbst o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Generalsekretär in den Vollzug <strong>der</strong> Maßnahmen eingeschaltet<br />

werden.<br />

Diese Bindung an die Vereinten Nationen geht in Paragraph 10 <strong>der</strong> Resolution 836<br />

(1993) zu Jugoslawien und <strong>der</strong> Resolution 814 (1993) sogar so weit, dass <strong>der</strong> Vollzug<br />

in die Hand solcher Truppen gegeben wurde, die unter dem direkten Kommando<br />

<strong>der</strong> Vereinten Nationen standen. Damit vollzieht <strong>der</strong> Rat allerdings immer noch außerhalb<br />

von Art. 43 UN-Charta den Wechsel von Art. 42 Satz 2 zu Satz 1 dieses Artikels<br />

und ordnet militärischen Zwang an, <strong>der</strong> unmittelbar <strong>der</strong> Organisation zuzurechnen<br />

ist.<br />

In zwei Fällen hat <strong>der</strong> Sicherheitsrat zudem selbst das Kommando über die Militäraktionen<br />

übernommen. <strong>Das</strong> waren die Res.814 (1993), in welcher die in Somalia aufgestellte<br />

UNOSOM, zu militärischen Zwangsmaßnahmen ermächtigt wurden<br />

(UNOSOM II) und die Res.836 (1993), in welcher die in Jugoslawien tätige<br />

UNPROFOR zur militärischen Verteidigung <strong>der</strong> zuvor eingerichteten Schutzzonen in<br />

Bosnien-Herzegowina ermächtigt wurde. In beiden Fällen handelte es sich um zunächst<br />

mit dem Willen <strong>der</strong> Betroffenen entsandte Friedenstruppen Blauhelme, die<br />

dann zu militärischen Zwangsmaßnahmen gegen den Willen <strong>der</strong> Betroffenen ermächtigt<br />

wurden. Diese Friedenstruppen stehen unter dem direkten Weisungsrecht<br />

des Sicherheitsrates und des Generalsekretärs und haben ein gemeinsames Ober-


172<br />

kommando. Allerdings sind die Mitglie<strong>der</strong> auch in diesem Fall nicht verpflichtet, sich<br />

an dem militärischen Zwang zu beteiligen. Sie können ihre Truppen je<strong>der</strong>zeit abziehen,<br />

wenn sie dies wollen.<br />

Allerdings ist auch bei diesen Resolutionen nicht von Art.47 UN-Charta Gebrauch<br />

gemacht worden, <strong>der</strong> die Einrichtung eines ständigen Generalstabsausschusses<br />

vorsieht, <strong>der</strong> unabhängig von einem aktuellen Konflikt besteht und <strong>der</strong> eine vorgeschriebene<br />

Zusammensetzung hat. Er soll aus den Generalstabschefs <strong>der</strong> ständigen<br />

Mitglie<strong>der</strong> o<strong>der</strong> ihren Vertretern bestehen und sowohl die Militäroperationen <strong>der</strong> UN-<br />

Streitkräfte leiten wie auch Rüstungsregelungen und Abrüstungsmaßnahmen vorschlagen.<br />

Nach dem Zweiten Weltkrieg kam er nach Vorarbeiten einer Kommission<br />

Anfang 1946 zustande, konnte sich dann aber wegen des Kalten Krieges nicht auf<br />

eine gemeinsame Verfahrensordnung einigen und blieb deshalb wirkunslos. In <strong>der</strong><br />

Resolution 665 (1990) ist die Nutzung dieses Instruments den Mitgliedstaaten empfohlen<br />

worden. Sie haben davon jedoch genauso wenig Gebrauch gemacht, wie sie<br />

nicht auf die Empfehlung des Generalsekretärs in <strong>der</strong> Agenda for Peace 1992 reagiert<br />

haben, <strong>der</strong> die Einführung dieses Instruments empfohlen hat.<br />

Die Fortführung dieser bisher letzten Stufe in <strong>der</strong> Anwendung des Instrumentariums<br />

des VII. Kapitels ist jedoch wegen <strong>der</strong> knappen Ressourcen <strong>der</strong> Organisation in<br />

jüngster Zeit wie<strong>der</strong> in Frage gestellt, weshalb es abzuwarten bleibt, ob diese Praxis<br />

in <strong>der</strong> Zukunft fortgesetzt wird.<br />

I. Die Zusammenarbeit mit den Regionalorganisationen<br />

I. Die Entstehungsgeschichte von Kapitel VIII UN-Charta<br />

Kapitel VIII UN-Charta hat seine Wurzeln in <strong>der</strong> Organisation kollektiver Sicherheit<br />

<strong>der</strong> Staaten Nord- und Südamerikas. Erste Ansätze eines Systems regionaler Sicherheit<br />

in Amerika entstehen durch die Monroe-Doktrin. Diese Doktrin gründet auf<br />

eine Erklärung des amerikanischen Präsidenten Monroe vom 2. Dezember 1823.<br />

Darin wird den außeramerikanischen Staaten, vor allem dem europäischen Kolonialmächten,<br />

das <strong>Recht</strong> abgesprochen, in Amerika zu intervenieren. Die OAS ist


173<br />

Nachfolger <strong>der</strong> 1890 gegründeten <strong>Internationalen</strong> Union Amerikanischer Staaten.<br />

Sie wird am 30. April 1948 auf <strong>der</strong> IX. <strong>Internationalen</strong> Konferenz Amerikanischer<br />

Staaten in Bogota/Kolumbien gegründet. Die letzte Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Satzung <strong>der</strong> OAS<br />

geschah durch das Protokoll von Managua vom 10.3.1993.<br />

Wichtigste <strong>Recht</strong>sgrundlage ist neben <strong>der</strong> Satzung <strong>der</strong> OAS <strong>der</strong> 1947 unterzeichnete<br />

Interamerikanische Vertrag über gegenseitigen Beistand, <strong>der</strong> sogenannte Rio-<br />

Pakt, <strong>der</strong> maßgeblich das System <strong>der</strong> kollektiven Sicherheit und <strong>der</strong> kollektiven<br />

Selbstverteidigung <strong>der</strong> OAS konzipiert. Daneben existiert noch <strong>der</strong> 1948 geschlossene<br />

Amerikanische Vertrag über die friedliche Beilegung von Streitigkeiten, <strong>der</strong> Bogota-Pakt,<br />

<strong>der</strong> die Methoden <strong>der</strong> friedlichen Beilegung von Streitigkeiten unter den<br />

Vertragsparteien regeln soll. Diesem Pakt sind aber bisher nur 14 Mitglie<strong>der</strong> mit weitreichenden<br />

Vorbehalten beigetreten.<br />

Die OAS hat heute 35 Mitglie<strong>der</strong>. Sie vereinigt damit alle unabhängigen amerikanischen<br />

Staaten mit Ausnahme Kubas, das 1962 ausgeschlossen wurde. Ziel <strong>der</strong> OAS<br />

ist vor allem die Stärkung des Friedens und <strong>der</strong> Sicherheit sowie die Verteidigung<br />

<strong>der</strong> territorialen Integrität und politischen Unabhängigkeit seiner Mitglie<strong>der</strong>. Außerdem<br />

för<strong>der</strong>t sie die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zusammenarbeit ihrer Mitglie<strong>der</strong>.<br />

Für Konflikte innerhalb ihrer Mitglie<strong>der</strong> gilt das "try OAS first" Prinzip. <strong>Das</strong> heißt, die<br />

Mitglie<strong>der</strong> sind verpflichtet, eine Lösung des Konflikts zuerst innerhalb <strong>der</strong> OAS und<br />

dann erst durch an<strong>der</strong>e Mechanismen (UNO etc.) zu suchen. Die OAS ist die einzige<br />

Regionalorganisation mit einem eigenen Zwangsmaßnahmenmechanismus. Danach<br />

können sowohl wirtschaftliche wie auch militärische Zwangsmaßnahmen beschlossen<br />

werden.<br />

Neben <strong>der</strong> Friedenssicherung widmet sich die OAS auch dem Menschenrechtsschutz.<br />

Materiellrechtliche Grundlage hierfür ist die Amerikanische Deklaration über<br />

die <strong>Recht</strong>e und Pflichten <strong>der</strong> Menschen aus dem Jahr 1948, die Parallelen zur<br />

EMRK aufweist, im aber darüber hinaus auch eine Reihe politischer Gestaltungsrechte<br />

kennt. Organe zur Durchsetzung dieser Konvention sind die 1960 gegründete<br />

Kommission für Menschenrechte und <strong>der</strong> 1979 eingesetzte Inter-Amerikanische Ge-


174<br />

richtshof für Menschenrechte. Die Amerikanische Menschenrechtskonvention kennt<br />

genauso wie die EMRK eine Staatenbeschwerde und eine Individualbeschwerde, die<br />

vergleichbar dem alten Verfahren <strong>der</strong> EMRK zur Kommission erhoben wird. Die Individualbeschwerde<br />

ist für alle Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> OAS obligatorisch.<br />

Wegen <strong>der</strong> Existenz eines regionalen kollektiven Friedenssicherungssystems bestanden<br />

die Staaten Amerikas in San Francisco darauf, dass ihr Sicherheitssystem<br />

durch die Gründung <strong>der</strong> UNO nicht in Frage gestellt wird. Diesem Anliegen ist in<br />

Art.52 (1) UN-Charta Rechnung getragen worden. Dies war notwendig, weil sonst<br />

<strong>der</strong> in Art.103 UN-Charta statuierte Vorrang <strong>der</strong> UN-Charta solche Systeme unter<br />

Umständen chartawidrig gemacht hätte.<br />

II. Regionale Einrichtungen und Abmachungen<br />

Regionale Einrichtungen sind internationale <strong>Organisationen</strong> mit eigener <strong>Recht</strong>sfähigkeit<br />

im Völkerrecht. Beispiele sind neben <strong>der</strong> OAS, die OAU, die Arabische Liga, a-<br />

ber auch die NATO und die WEU. Abmachungen sind Absprachen zwischen Völkerrechtssubjekten,<br />

in <strong>der</strong> Regel Staaten in <strong>der</strong> Regel auf vertraglicher Grundlage, die<br />

keine Organisation zu ihrer Durchsetzung gegründet haben. Ein Beispiel hierfür ist<br />

die EU. Die Absprache muss noch nicht einmal rechtsverbindlich sein, wie die OSZE<br />

zeigt. <strong>Das</strong> Kriterium regional ist nicht so eng gefasst, dass es sich nur auf einen Kontinent<br />

o<strong>der</strong> einen Kulturkreis bezieht. Jede Einrichtung ist regional, die nicht wie die<br />

UNO den Anspruch auf weltweite Geltung erhebt, son<strong>der</strong>n den Kreis ihrer Mitglie<strong>der</strong><br />

nach bestimmbaren Kriterien begrenzt.<br />

III. Die Strukturgleichheit mit <strong>der</strong> UNO<br />

Die regionalen Einrichtungen o<strong>der</strong> Abmachungen müssen Systeme gegenseitiger<br />

kollektiver Sicherheit sein. <strong>Das</strong> bedeutet nicht, dass dies ihr ausschließlicher Zweck<br />

sein muss. So ist etwa die OAS sowohl ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit<br />

wie auch ein kollektives Selbstverteidigungssystem. Die NATO ist nach wie vor<br />

in erster Linie ein System kollektiver Selbstverteidigung, sie wandelt jedoch zunehmend<br />

ihren Charakter zu einem System kollektiver Friedenssicherung. Insbeson<strong>der</strong>e


175<br />

hat sie es sich auf <strong>der</strong> Grundlage mehrerer Beschlüsse des NATO-Rates zur Aufgabe<br />

gemacht, militärische Zwangsmassnahmen <strong>der</strong> UNO zu vollziehen. Sie betrachtet<br />

es aber auch unabhängig von einem Mandat des Sicherheitsrats als ihre Aufgabe,<br />

den internationalen Frieden zu sichern, vgl. Kosovo-Konflikt. Dazu gleich. Die Regeln<br />

von Kapitel VIII UN-Charta sind auf solche mehrpoligen Einrichtungen jedoch nur<br />

insoweit anwendbar, als <strong>der</strong>en Aufgabe <strong>der</strong> kollektiven Friedenssicherung betroffen<br />

ist. Soweit sie kollektive Selbstverteidigungssysteme sind, werden sie von Art.51<br />

UN-Charta erfasst.<br />

IV. Die Eignung zur Lösung regionaler Streitigkeiten<br />

Diese Eignung ergibt sich ohne weiteres aus <strong>der</strong> Begrenzung <strong>der</strong> Zuständigkeit auf<br />

die Norme <strong>der</strong> Einrichtung, die ihren Charakter als System kollektiver Friedenssicherung<br />

ausmachen. Deshalb erfasst Kapitel VIII nach allerdings nicht unumstrittener<br />

Auffassung nur solche Konflikte, die zwischen den Mitglie<strong>der</strong>n <strong>der</strong> regionalen Einrichtung<br />

entstehen und die nach <strong>der</strong>en Satzungsrecht behandelt werden. Hat <strong>der</strong><br />

Konflikt dagegen Auswirkungen auf dritte Staaten, dann ist das System kollektiver<br />

Sicherheit als solches nicht in <strong>der</strong> Lage, auf <strong>der</strong> Grundlage seiner Satzung den Konflikt<br />

zu lösen.<br />

V. <strong>Das</strong> try OAS first-Prinzip<br />

Art. 52 (2) UN-Charta greift das für die OAS entwickelte try OAS first-Prinzip auf. Die<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> UNO sind danach gehalten, einen Konflikt vorrangig in <strong>der</strong> regionalen<br />

Einrichtung, <strong>der</strong> sie gleichfalls angehören müssen, zu lösen. Dies gilt aber nur, soweit<br />

es sich um eine friedliche Streitbeilegung handelt und soweit die Satzung <strong>der</strong><br />

Organisation dafür geeignete Verfahren vorsieht. <strong>Das</strong> Bedeutet, dass <strong>der</strong> Sicherheitsrat<br />

im Rahmen von Kapitel VI UN-Charta nur subsidiär zu bestehenden regionalen<br />

Einrichtungen zum Zuge kommt.<br />

Wird <strong>der</strong> SR trotzdem sofort von Mitglie<strong>der</strong>n einer regionalen Einrichtung angerufen,<br />

so ist die gemäß Art.52 (4) UN-Charta möglich. Allerdings soll <strong>der</strong> Rat in diesem Fall<br />

gemäß Art.52 (3) UN-Charta eine vorrangige Lösung in <strong>der</strong> regionalen Einrichtung<br />

anstreben und diese för<strong>der</strong>n. Erscheint eine Lösung in <strong>der</strong> regionalen Einrichtung


176<br />

erfolgversprechend, so hat sich <strong>der</strong> Rat zunächst eigener Maßnahmen zu enthalten.<br />

Für die Frage, wann eine solche regionale Konfliktlösung erfolgversprechend erscheint,<br />

hat sich eine pragmatische Lösung eingebürgert. Ruft eine Konfliktpartei<br />

den Rat an, und trägt sie dabei vor, dass sie die Konfliktlösung in <strong>der</strong> regionalen Einrichtung<br />

für nicht erfolgversprechend hält, so kann <strong>der</strong> Rat die Sache selbst an sich<br />

ziehen. Allerdings bemüht er sich zunächst um eine Stellungnahme <strong>der</strong> regionalen<br />

Einrichtung, die er zur Grundlage seiner Entscheidung macht.<br />

VI. Zwangsmassnahmen durch Regionalorganisationen<br />

Der Sicherheitsrat kann, wenn er dies für angebracht hält, gemäß Art.53 (1) regionaler<br />

Einrichtungen zur Durchsetzung von Zwangsmaßnahmen bedienen. Dabei dürfen<br />

die regionalen Einrichtungen grundsätzlich solche Zwangsmaßnahmen nur dann<br />

durchführen, wenn sie vom Rat hierzu ermächtigt werden. Diese Regelung hat zwei<br />

rechtlich voneinan<strong>der</strong> zu trennende Aspekte.<br />

1. Die Wirkung <strong>der</strong> Zustimmung des SR<br />

Dies bedeutet zum einen, dass Regionalorganisationen, <strong>der</strong>en Satzung die Verhängung<br />

von Zwangsmassnahmen vorsieht, diese nur mit Zustimmung des Rates anordnen<br />

dürfen. Damit liegt das Monopol für solche Zwangsmassnahmen beim Rat.<br />

Dieses Monopol gilt aber nur für echte Zwangsmassnahmen im Sinne von Kapitel VII<br />

UN-Charta. Und innerhalb von Kapitel VII hat sich in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Streit darüber, ob<br />

entsprechend dem Wortlaut sowohl militärische wie auch nichtmilitärische Zwangsmassnahmen<br />

erfasst werden, dahingehend gelöst, dass nur Art.42 vom Zustimmungserfor<strong>der</strong>nis<br />

des Rates erfasst wird. Dagegen sind insbeson<strong>der</strong>e mehrere Embargomaßnahmen<br />

<strong>der</strong> OAS auch ohne Genehmigung des Rates durchgeführt worden.<br />

So hat die OAS am 8.10.1991 ein Handelsembargo gegen Haiti verhängt, welches<br />

sich <strong>der</strong> Rat am 16.06.1993 in S/Res 841 (1993) zu eigen gemacht und für alle<br />

Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> UNO verbindlich gemacht hat. Dies zeigt, dass er damit das Embargo<br />

<strong>der</strong> OAS inzident gebilligt hat. Die Beschränkung des Zustimmungserfor<strong>der</strong>nisses<br />

auf militärische Maßnahmen entspricht auch dem allgemeinen Völkerrecht. Während


177<br />

das Gewaltverbot gemäss Art.2 (4) nur durch die davon zulässigen Ausnahmen gemäß<br />

Art.51 und Art.42 außer kraft gesetzt werden kann, ist es den Staaten nach allgemeinem<br />

Völkerrecht unbenommen, an<strong>der</strong>e Staaten wirtschaftlich zu boykottieren.<br />

2. Die Wirkung <strong>der</strong> Ermächtigung des SR<br />

Zum zweiten kann <strong>der</strong> Rat regionale Einrichtungen ermächtigen, sowohl militärische<br />

wie auch nichtmilitärische Maßnahmen durchzuführen. Dabei ist aber zwischen <strong>der</strong><br />

<strong>Recht</strong>slage nach <strong>der</strong> Charta und <strong>der</strong> <strong>Recht</strong>slage gemäß <strong>der</strong> Satzung <strong>der</strong> regionalen<br />

Einrichtung zu unterscheiden. Chartagemäß kann eine solche Ermächtigung auch<br />

dann sein, wenn die regionale Einrichtung nach ihrer Satzung hierzu keine Kompetenz<br />

hat. Allerdings ist die Maßnahmen dann trotzdem bezogen auf die regionale<br />

Einrichtung ultra vires und damit nichtig. Mit dem Tatbestandsmerkmal „where appropriate“<br />

in Art.53 (1) kann die satzungsmäßige Zuständigkeit <strong>der</strong> Regionalorganisation<br />

nicht erweitert werden. Nur die Mitgliedstaaten sind gemäß Art.48 (1) verpflichtet,<br />

Zwangsmaßnahmen durchzuführen, wobei sich diese Pflicht aber wegen<br />

Art.43 nur auf nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen bezieht. Eine Ermächtigung zum<br />

Vollzug militärischer Zwangsmaßnahmen, die von den Mitgliedstaaten in regionalen<br />

Einrichtungen durchgeführt wird, setzt gemäß Art.48 (2) voraus, dass diese Einrichtung<br />

dazu geeignet ist. Die Eignung bedeutet aber, dass sie im <strong>Recht</strong>ssinne kraft<br />

ihrer Satzung dazu in <strong>der</strong> Lage ist.<br />

J. Die kollektive Selbstverteidigung<br />

I. Der bewaffnete Angriff<br />

Ausgelöst wird dieses <strong>Recht</strong> durch einen bewaffneten Angriff (armed attack) bzw.<br />

eine bewaffnete Aggression (aggression armée). Darunter wird häufig nur <strong>der</strong> mit<br />

Waffengewalt geführte Angriff auf das Staatsgebiet eines an<strong>der</strong>en Staates verstanden.<br />

<strong>Das</strong> dies unsinnig ist, zeigt das Beispiel des Angriffs auf eigenen Kriegsschiffe<br />

o<strong>der</strong> Flugzeuge. Auch dies muss als bewaffneter Angriff gewertet werden. Darüber<br />

hinaus wird man alle Maßnahmen im internationalen Verkehr, die das Gewaltverbot<br />

verletzen als bewaffneten Angriff ansehen müssen. Es kann nicht davon ausgegan-


178<br />

gen werden, dass die Staaten sich das <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Selbstverteidigung gegen Verletzungen<br />

des Gewaltverbots nehmen wollten. Dafür spricht auch Art.1 <strong>der</strong> Aggressionsdefinition,<br />

<strong>der</strong> die Anwendung je<strong>der</strong> Form von Gewalt, die gegen die territoriale<br />

Integrität die politische Unabhängigkeit o<strong>der</strong> die Souveränität eines an<strong>der</strong>en Staates<br />

o<strong>der</strong> die sonstwie gegen die Ziele <strong>der</strong> Vereinten Nationen gerichtet ist, verbietet.<br />

II. <strong>Das</strong> den Staaten eigenen <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Selbstverteidigung<br />

Dafür spricht insbeson<strong>der</strong>e, dass Art.51 auf das den Staaten inhärente o<strong>der</strong> eigene<br />

<strong>Recht</strong> <strong>der</strong> Selbstverteidigung abhebt. Damit ist gemeint, dass das Selbstverteidigungsrecht<br />

untrennbar mit <strong>der</strong> Souveränität <strong>der</strong> Staaten verbunden ist, also nicht<br />

einer ausdrücklichen Gewährleistung im Völkerrecht bedarf. Mit Art.51 haben die<br />

Staaten dieses <strong>Recht</strong> in das System <strong>der</strong> kollektiven Friedenssicherung <strong>der</strong> Vereinten<br />

Nationen eingebracht. Sie haben sich dabei aber nur soweit im <strong>Recht</strong> auf Selbstverteidigung<br />

zurückgenommen, wie die UNO an ihrer Stellt kollektiven Schutz gegen<br />

Verletzungen des Gewaltverbots organisieren kann. Dies ist eine rein verfahrensrechtliche<br />

Frage. Materiellrechtlich wollten sie keine Grauzonen schaffen, in denen<br />

allenfalls die UNO nicht aber daneben auch die Staaten Selbstverteidigung üben<br />

dürfen.<br />

III. Die humanitäre Intervention zugunsten eigener Staatsbürger<br />

Beson<strong>der</strong>s deutlich wird dies am <strong>Recht</strong> zur humanitären Intervention zugunsten<br />

eigener Staatsbürger. Diese wird insbeson<strong>der</strong>e in zwei Fallkonstellationen akut. Zum<br />

einen können Bürgerkriege auf Gefahren von Leib o<strong>der</strong> Leben von Auslän<strong>der</strong>n erzeugen,<br />

wie etwa die Kongo Krise von 1960 bis 1963 und <strong>der</strong> Ruanda Konflikt von<br />

1993 bis1994 zeigen. Zum an<strong>der</strong>en können Terroristen mit Billigung einer Regierung<br />

Geiseln nehmen, um politischen Ziele zu erreichen. Dies geschah etwa in Entebbe<br />

im Jahr 1976 o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> US Botschaft in Teheran im Jahr 1980. Dieses <strong>Recht</strong> zur<br />

humanitären Intervention ist in all diesen Fällen von den betroffenen Staaten geltend<br />

gemacht worden. Dies hat etwa in <strong>der</strong> Kongokrise auch die Zustimmung des Sicherheitsrates<br />

gefunden, es haben aber auch immer wie<strong>der</strong> Staaten dagegen protestiert.


179<br />

Die Geltung als Satz des Völkergewohnheitsrechts ist deshalb nicht unumstritten,<br />

kann aber mit guten Gründen vertreten werden.<br />

IV. Die indirekte Aggression<br />

Die Gleichstellung von bewaffnetem Angriff und Verstoß gegen das Gewaltverbot<br />

zeigt sich auch in <strong>der</strong> Diskussion um die sogenannte indirekte Aggression. Darunter<br />

sind insbeson<strong>der</strong>e die in Art.3 g <strong>der</strong> Aggressionsdefinition genannten Fälle zu<br />

verstehen. Der IGH hat im Nicaragua Case, ICJ Reports 1986, S.104 ausdrücklich<br />

bestätigt, dass auch solche Akte bewaffnete Angriffe sein können, die das <strong>Recht</strong> <strong>der</strong><br />

Selbstverteidigung auslösen. Dabei hat die Mehrheit <strong>der</strong> Richter aber angenommen,<br />

dass solche Akte nur dann zur Selbstverteidigung berechtigen, wenn sie eine gewissen<br />

Erheblichkeit haben. Sogenannte low intensity conflicts wie bloße Grenzzwischenfälle<br />

seien keine bewaffneten Angriffe. Begründet wird dies mit <strong>der</strong> Klausel in<br />

Art.3 g, dass indirekte Aggression nur bei einer bestimmten Erheblichkeit mit den<br />

an<strong>der</strong>en Formen <strong>der</strong> Aggression gleich gestellt werden kann. Dies wird von den<br />

Richtern Schwebel und Jennings mit breiter Zustimmung in <strong>der</strong> Literatur kritisiert,<br />

weil es zur Folge hat, dass es bewaffnete Maßnahmen gibt, auf die <strong>der</strong> Staat allenfalls<br />

mit Entschädigungsansprüchen nicht aber mit militärischer Verteidigung reagieren<br />

kann. Umgekehrt kann <strong>der</strong> Aggressor bis zu einer bestimmten Schwelle nahezu<br />

ungestraft Gewalt ausüben.<br />

Eine solche erheblich indirekte Aggression stellt auf jeden Fall <strong>der</strong> Angriff von Terroristen<br />

auf Ziele in New York und Washington am 11. September 2001 dar. Entscheidend<br />

bei <strong>der</strong> indirekten Aggression ist aber, ob die Aktionen solcher Terroristen einem<br />

Staat zugerechnet werden können. Im Falle <strong>der</strong> Al Quaida Aktionen geschah<br />

dies zumindest mit Billigung des Taliban Regimes. Dieses war zu dieser Zeit das<br />

zwar nicht internationale anerkannte (mit Ausnahme von Pakistan und Saudi Arabian)<br />

aber de facto verantwortliche Regime in Afghanistan. Eine bloße Billigung genügt<br />

zwar nach Art. 3 g <strong>der</strong> Aggressionsdefinition nicht, weil dort von einem Aussenden<br />

also einem aktiven Handeln die Rede ist. <strong>Das</strong> Völkerrecht scheint sich jedoch seit<br />

dem 11. September insoweit verschärft zu haben, da alle Staaten den USA in die-


180<br />

sem Fall das <strong>Recht</strong> zur Selbstverteidigung gegen das Taliban Regime und gegen die<br />

Al Quaida Kämpfer zugestanden haben.<br />

V. Die präventive Selbstverteidigung<br />

Umstritten ist bis heute, ob es auch eine präventive Selbstverteidigung geben kann.<br />

Dies ist mit Hinweis darauf begründet worden, dass Art.2 (4) auch die Androhung<br />

von Gewalt verbiete und deshalb bei einer konkret drohenden Gewaltanwendung<br />

auch Selbstverteidigung zulässig sein soll. Kein Staat müsse es in Kauf nehmen,<br />

dass ein Gegner durch einen Erstschlag in die Lage versetzt werde, alle zur Verteidigung<br />

notwendigen Waffen sofort zu vernichten. Historisch geht das <strong>Recht</strong> auf präventive<br />

Selbstverteidigung auf den berühmten Caroline Fall aus dem Jahr 1837 zurück,<br />

als Kanada das Schiff Caroline versenkte, das zur militärischen Unterstützung<br />

von Aufständischen dienen sollte. Die USA, auf <strong>der</strong>en Gebiet das Schiff versenkt<br />

wurde, erkannten das <strong>Recht</strong> <strong>der</strong> präventiven Selbsthilfe an unter <strong>der</strong> Voraussetzung,<br />

dass die Gefahr<br />

- gegenwärtig (Instant)<br />

- überwältigend (overwhelming) ist<br />

- keine Wahl <strong>der</strong> Mittel (leaving no choice of means)<br />

- und keine Zeit zum überlegen läßt (and no moment for deliberation).<br />

Dieses <strong>Recht</strong> ist jedoch auch immer wie<strong>der</strong> in Zweifel gezogen worden. So ist <strong>der</strong><br />

Angriff israelischer Jagdflugzeuge auf den irakischen Atomreaktor Tamuz I im Jahr<br />

1981 vom Sicherheitsrat in <strong>der</strong> Resolution 487 (1981) verurteilt worden. Israel hatte<br />

geltend gemacht, <strong>der</strong> Reaktor diene <strong>der</strong> Herstellung von Atomwaffen, die gegen Israel<br />

gerichtet seien. Dieser Fall spricht jedoch nicht zwingend gegen das <strong>Recht</strong> <strong>der</strong><br />

präventiven Selbstverteidigung, denn hier fehlt im Sinne <strong>der</strong> Caroline Formel das<br />

Kriterium <strong>der</strong> Konkretheit des Verstoßes gegen das Gewaltverbot und das Zeitmoment.<br />

Für die Großmächte hat diese Frage seit <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> atomaren Zweitschlagfähigkeit<br />

keine große Rolle mehr gespielt.


181<br />

Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Bedrohung durch atomare Waffen, ist jedoch von den<br />

Großmächten die These entwickelt worden, dass wegen <strong>der</strong> alles vernichtenden<br />

Wirkung solcher Angriffe auf keinen Fall abgewartet werden müsse, bis ein solcher<br />

Angriff erfolge o<strong>der</strong> auch nur unmittelbar bevorstehe. Diese Argumentation wird auch<br />

auf biologische und chemische Waffen ausgedehnt (Irak) und wird noch um die<br />

Problematik erweitert, dass solche Waffen auch durch Terroristen ins Land geschleust<br />

werden können, <strong>der</strong>en Angriff so gut wie nicht vorherzusehen ist. Ob allerdings<br />

die These <strong>der</strong> Amerikaner sich durchsetzt, jede Produktion von Waffen berge<br />

unter bestimmten politischen Konstellationen eine genügende Gefahr für eine präventive<br />

Selbstverteidigung in sich, bleibt abzuwarten.<br />

VI. Die humanitäre Intervention zugunsten frem<strong>der</strong> Staatsbürger<br />

Die humanitäre Intervention zugunsten frem<strong>der</strong> Staatsbürger: Darunter versteht man<br />

den Einsatz von Waffengewalt zum Schutz von Menschen in einem an<strong>der</strong>en Staat<br />

vor massiven Verletzungen ihrer <strong>Recht</strong>e insbeson<strong>der</strong>e auf Leben und körperliche<br />

Unversehrtheit. Ein solches <strong>Recht</strong> zur humanitären Intervention ist etwa bei <strong>der</strong> Invasion<br />

Vietnams in Kambodscha im Jahr 1979, bei <strong>der</strong> Invasion Tansanias in Uganda<br />

im Jahr 1979, bei <strong>der</strong> Intervention von Truppen <strong>der</strong> Wirtschaftsgemeinschaft<br />

westafrikanischer Staaten (ECOWAS) im August 1990 in Liberia und bei <strong>der</strong> Einrichtung<br />

<strong>der</strong> Flugverbotszone im Norden des Irak und zugunsten <strong>der</strong> dort lebenden Kurden<br />

behauptet worden. Die humanitäre Intervention soll dann zulässig sein, wenn<br />

fundamentale Menschenrechte massiv verletzt werden<br />

alle friedlichen Mittel erfolglos erschöpft worden sind,<br />

das Sanktionensystem <strong>der</strong> UNO erfolglos blieb und<br />

<strong>der</strong> Waffeneinsatz verhältnismäßig ist.<br />

Bei genauer Betrachtung <strong>der</strong> beschriebenen Praxis wird jedoch deutlich, dass die<br />

Staaten ein solches <strong>Recht</strong> zur humanitären Intervention nicht in Anspruch genommen<br />

haben. Die Aktionen erfolgten durchweg vor dem Hintergrund sich anbahnen<strong>der</strong><br />

zwischenstaatlicher Konflikte. Deshalb ging man bisher davon aus, dass es ein


182<br />

<strong>Recht</strong> zur humanitären Intervention für die Staaten nicht geben kann. Ernsthaft behauptet<br />

wird ein solches <strong>Recht</strong> nur für den UN-Sicherheitsrat, <strong>der</strong> in den Fällen Somalia,<br />

Ruanda, Haiti und ehemaliges Jugoslawien Zwangsmaßnahmen zum Schutz<br />

von Menschenrechten verhängt hat.<br />

In neuerer Zeit ist ein solches <strong>Recht</strong> jedoch von den Mitgliedstaaten <strong>der</strong> NATO behauptet<br />

worden, als <strong>der</strong> NATO-Rat im Herbst 1998 beschlossen hat, <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

Jugoslawien für den Fall mit <strong>der</strong> Anwendung von Waffengewalt zu drohen,<br />

dass die Militäraktionen im Kosovo nicht eingestellt werden. Zur Begründung hat<br />

sich <strong>der</strong> NATO Rat wesentlich auf die massive Verletzung <strong>der</strong> Menschenrechte <strong>der</strong><br />

Kosovo Albaner berufen. Dogmatisch wird hier teilweise eine Ausweitung des<br />

Selbstverteidigungsrechts behauptet mit <strong>der</strong> Begründung, dass die Menschenrechte<br />

erga omnes wirken und deshalb je<strong>der</strong> Staat durch ihrer Verletzung in eigenen <strong>Recht</strong>en<br />

betroffen sei und notfalls auch das <strong>Recht</strong> zur bewaffneten Intervention daraus<br />

ableiten könne. Teilweise wird eine tatbestandliche Reduktion des Gewaltverbots<br />

behauptet, die wenn man Art.51 UN-Charta als <strong>Recht</strong>fertigungsgrund ansieht, nur in<br />

Art.2 (4) UN-Charta wirksam werden kann.<br />

Diese Auffassung ist aber insbeson<strong>der</strong>e von <strong>der</strong> Russischen Fö<strong>der</strong>ation, <strong>der</strong> Volksrepublik<br />

China, Südafrika und Indien abgelehnt worden. Wegen <strong>der</strong> universellen Geltung<br />

des Gewaltverbots und des Selbstverteidigungsrechts muss eine tatbestandliche<br />

Begrenzung des Gewaltverbots o<strong>der</strong> eine tatbestandliche Ausweitung des<br />

Selbstverteidigungsrechts ebenfalls universell anerkannt sein. Davon kann wegen<br />

<strong>der</strong> Haltung dieser Staaten nicht die Rede sein, da sie maßgebliche Repräsentanten<br />

verschiedener <strong>Recht</strong>s- und Kulturkreise sind. Deshalb kann ein solches weites <strong>Recht</strong><br />

<strong>der</strong> Staaten zur humanitären Intervention nicht angenommen werden.<br />

VII. Die Intervention auf Einladung<br />

Damit ist die Anwendung von Waffengewalt gegen einen Staat mit Zustimmung seiner<br />

Regierung o<strong>der</strong> die Einmischung in einen Bürgerkrieg mit Zustimmung <strong>der</strong> Parteien<br />

gemeint. Wendet ein Staat auf dem Gebiet eines an<strong>der</strong>en Staates Gewalt an,<br />

dann ist dies grundsätzlich dann zulässig, wenn die Regierung des an<strong>der</strong>en Staates


183<br />

dem zustimmt. So etwa in Mogadischu bei <strong>der</strong> Befreiung deutscher Geiseln aus <strong>der</strong><br />

Lufthansa Maschine Landshut im Jahr 1977. Geschieht dies jedoch in einem Bürgerkrieg,<br />

dann kollidiert diese Intervention mit dem Selbstbestimmungsrecht des betroffenen<br />

Volkes. Traditionell stellt das Völkerrecht darauf ab, daß die international<br />

anerkannte Regierung Unterstützung erbitten kann. Die einseitige Parteinahme zugunsten<br />

einer diktatorische Regierung gegen Aufständische, welche die Demokratie<br />

einführen wollen, würde die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts des betroffenen<br />

Volkes vereiteln. Fraglich ist, ob umgekehrt ein <strong>Recht</strong> zur Unterstützung einer<br />

demokratisch gewählten Regierung gegen einen Militärputsch besteht. Hier wird<br />

teilweise ein Interventionsrecht behauptet, dies ist bisher jedoch noch hoch umstritten<br />

(vgl. Haiti).<br />

VIII. Die kollektive Selbstverteidigung<br />

Art.51 UN-Charta berechtigt nicht nur zur Verteidigung eigener <strong>Recht</strong>e durch einen<br />

einzelnen Staat son<strong>der</strong>n auch zur kollektiven Selbstverteidigung, indem mehrere<br />

Staaten sich zu einem Bündnis zusammenschließen, das im Falle eines Angriffes<br />

auf ein Bündnismitglied eine gemeinsame Verteidigung organisiert. Solche Bündnisse<br />

sind etwa die NATO (Art.5 des Nordatlantikvertrages), die WEU (Art.5 WEU-<br />

Vertrag), die OAS, die aufbauend auf <strong>der</strong> Monroe-Doktrin jeden Angriff auf einen<br />

amerikanischen Staat zum Bündnisfall macht und die Arabische Liga, die insbeson<strong>der</strong>e<br />

gegen Israel gerichtet ist. Außerdem berechtigt Art.51 UN-Charta auch zur individuellen<br />

o<strong>der</strong> kollektiven Nothilfe, das heißt ein o<strong>der</strong> mehrere Staaten können, ohne<br />

daß ihre eigenen Interessen in einem Konflikt betroffen sind, einem an<strong>der</strong>en<br />

Staat zu Hilfe eilen. So etwa im Irak-Kuwait-Konflikt, wo die USA, einige europäische<br />

Staaten und einige arabische Staaten Kuwait geholfen haben, die Annexion durch<br />

den Irak abzuwehren.<br />

IX. Sonstige Voraussetzungen<br />

Die Selbstverteidigung ist nur zulässig, wenn sie unmittelbar auf den bewaffneten<br />

Angriff folgt. Dabei können aber aus faktischen Gründen <strong>der</strong> militärischen Vorberei-


184<br />

tung (Mobilmachung) auch einige Monate zwischen dem Angriff und er Verteidigung<br />

verstreichen. Ein praktischer Fall ist <strong>der</strong> Angriff Argentiniens auf die Falkland Inseln,<br />

Malvinen, die erst nach <strong>der</strong> Sammlung und dem Aufmarsch <strong>der</strong> Flotte beantwortet<br />

werden konnte. Dagegen war <strong>der</strong> Anspruch Argentiniens auf die Besetzung <strong>der</strong> Inseln<br />

durch das Vereinigte Königreich im Jahr 1832 mit <strong>der</strong> Selbstverteidigung zu reagieren,<br />

verwirkt.<br />

Die Selbstverteidigung muss verhältnismäßig sein. Die Geltung dieses Prinzips ist<br />

zwar unbestritten, aussagefähige Praxis existiert jedoch nicht. Insbeson<strong>der</strong>e haben<br />

die NATO Staaten während des kalten Krieges die an sich sehr problematische<br />

Doktrin entwickelt, auf einen konventionellen Angriff des Warschauer Paktes sofort<br />

mit Nuklearwaffen zu reagieren. Teilweise wird vertreten, daß <strong>der</strong> Einsatz atomarer<br />

Waffen generell unzulässig sei, da die Folgen eines solchen Einsatzes nicht beherrschbar<br />

seien und auch nicht unmittelbar am Konflikt Beteiligte in Mitleidenschaft<br />

gezogen werden können. Diese Auffassung hat sich in <strong>der</strong> Staatenpraxis aber nicht<br />

durchgesetzt. Nur diejenigen Staaten dürfen keine Atomwaffen einsetzen, die den<br />

Vertrag über die den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen vom<br />

1.7.1968 unterzeichnet haben. (1998: 187 Vertragsstaaten).

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