Kunsttherapie und Gehirn
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<strong>Kunsttherapie</strong> <strong>und</strong> <strong>Gehirn</strong> <br />
© Atelier Edition Hanus 2005 <br />
Die linke <strong>Gehirn</strong>hälfte ist Wissenschaftler, die rechte Künstler (Colin Wilson) <br />
Die cerebrale Bilateralität <br />
Das <strong>Gehirn</strong> ist ein Doppelorgan (cerebrale Bilateralität), das aus zwei identisch ausse-henden<br />
Hemisphären besteht, die unterschiedliche Aufgaben erfüllen; das führt dazu, <br />
dass sich im bilateralen <strong>Gehirn</strong> eine dominante Hemisphäre bildet. Diese Erscheinung <br />
lässt sich darauf zurückführen, dass der Mensch seine beiden Hände nicht gleich stark <br />
<strong>und</strong> intensiv einsetzt. Die meisten Mensch (mit Ausnahme der Linkshändigen) benutzen <br />
zum Beispiel beim Schreiben nur die rechte Hand. Das hat zur Folge, dass die für die <br />
Sprachkommunikation motorischen <strong>und</strong> sensorischen Hirnbereiche ebenfalls einseitig <br />
lokalisiert sind. Deshalb ist eine linksseitige Hirnlokalisation der für das Sprechen <strong>und</strong> <br />
Sprachdenken erforderlichen Funktionen, mit Rechtshändigkeit verb<strong>und</strong>en. Weil aber <br />
das Sprechen (in den meisten westlichen Sprachen) auch die Voraussetzung für das (be-griffliche)<br />
Denken ist, deshalb sind die sogenannten kognitiven <strong>und</strong> „intelligenten" Hirn-leistungen<br />
linkshemisphärisch lokalisiert. <br />
Das linke <strong>Gehirn</strong> <br />
Das linke <strong>Gehirn</strong> denkt also tendenziell in Worten; dabei folgt es logischen Sequenzen, <br />
die in eher linearer Weise Schritt für Schritt ablaufen. Das rechte <strong>Gehirn</strong> dagegen denkt <br />
unmittelbarer <strong>und</strong> in Bildern. Es verarbeitet komplexe (sensorische) Wahrnehmungen, <br />
die nichtlinear <strong>und</strong> gleichzeitig sind; sie lassen sich nicht ohne weiteres in Begriffe über-setzen,<br />
weil es sich dabei um Wechselwirkungen <strong>und</strong> Zusammenhänge handelt, die <br />
mehr als Qualität <strong>und</strong> weniger als Inhalt existieren. Weil das Rechtshirn viel mehr als <br />
das Linkshirn große Mengen an Information gleichzeitig erfasst <strong>und</strong> qualifizierend ver-‐<br />
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arbeitet, ist es deshalb mit Phänomenen befasst, die dem Intuieren viel leichter zugäng-‐<br />
lich sind als der begrifflichen Kognition -‐ für die man also ein „Feeling" haben muss. <br />
Das rechte <strong>Gehirn</strong> <br />
Die rechte Hirnhemisphäre kann als visuelles Wahrnehmungsgehirn verstanden wer-den;<br />
als ein Bildverarbeitungssystem, das die visuellen Phänomene der Außenwelt -‐ <br />
vermittels senso-‐optomotorischer Funktionen -‐ empfängt <strong>und</strong> weiter verarbeitet. Die <br />
linke Hirnhemisphäre dagegen lässt sich als sprachliches Codierungssystem verstehen. <br />
Sie sorgt mit ihren Funktionen für die dazu erforderliche Begriffsbildung (<strong>und</strong> den damit <br />
einher gehenden Abstraktions-‐ <strong>und</strong> Dissoziierungsfunktionen). In diesem Bereich des <br />
<strong>Gehirn</strong>s wird die Außenwelt nicht wahrgenommen; hier wird das (via Bildverarbei-tungssystem)<br />
Wahrgenommene semantisch codiert, um dann als „Realität“ abgespei-chert<br />
zu werden. Stark vereinfacht könnte man sagen: Mit dem rechten <strong>Gehirn</strong> sehen <br />
wir, <strong>und</strong> mit dem linken sprechen <strong>und</strong> denken wir (siehe Abbildung letzte Seite); beides <br />
zusammen ergibt eine Welt, die wir so erleben, wie wir sie uns denken. <br />
Beim ges<strong>und</strong>en <strong>Gehirn</strong> interagieren beide Hemisphären so, dass eine automatische <strong>und</strong> <br />
unbewusste Verschmelzung von visueller Wahrnehmung <strong>und</strong> semantischer Codierung <br />
entsteht. Soziokulturell bedingt hat sich eine Dominanz des Sprachverarbeitungssys-tems<br />
entwickelt, so dass -‐ je nach Lehrmeinung -‐ ein rein nichtsprachliches Denken so-gar<br />
als nicht möglich angesehen wird. Aber: Anzunehmen, dass das Denken ausschließ-lich<br />
nur auf der Basis von Sprachverarbeitungsfunktionen möglich ist, scheint mir ziem-lich<br />
einseitig zu sein. Es berücksichtigt nicht, dass es auch ein analoges (visuelles) Den-ken<br />
auf der Basis von Bildverarbeitungsfunktionen gibt. Diese Form des Denkens hat ge-sellschaftlich<br />
jedoch keinesfalls denselben Stellenwert wie jenes. Es ist kein Zufall, dass <br />
man in der neurologischen Literatur (sofern sich diese mit dem Bewusstseinsphänomen <br />
befasst) das Bewusstsein im linken Begriff <strong>und</strong> Sprache ermöglichenden Hirnbereich lo-kalisiert<br />
dargestellt findet. <br />
Zerebrale Funktionen beim gegenständlichen Ausdruck <br />
Aufgr<strong>und</strong> dieser neurofunktionellen Gegebenheiten kann ein gegenständliches Bild als <br />
Resultat des Ineinanderwirkens der folgenden Funktionskette beschrieben werden: Vi-‐<br />
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suelles Wahrnehmen eines externen Phänomens -‐ erlerntes zentralperspektivisches Se-hen<br />
-‐ erlernte semantische Codierung -‐ Wechselwirkung zwischen Codierung <strong>und</strong> zent-ralperspektivischer<br />
Wahrnehmung -‐ Abbilden (reproduzieren) einer sprachcodierten <br />
Wahrnehmung -‐ gegenständliches Bild. Daraus ergeben sich spezielle Vorgänge in der <br />
Bildbetrachtung. <br />
Der Betrachter eines gegenständlichen Bildes identifiziert über sein semantisches Sys-tem<br />
automatisch den Bildinhalt; damit sind für gewöhnlich auch Gefühlsurteile verbun-den<br />
(das mag ich -‐ das mag ich nicht). Es kommt also eher zu einem Austausch begriffli-cher<br />
Inhalte als zum Sehen <strong>und</strong> Wahrnehmen. <br />
Neurofunktionen beim objektfreien Ausdruck <br />
Einen anderen Funktionszusammenhang können wir beim Arbeiten mit objektfreien <br />
Bildern annehmen bei denen viel mehr als bei gegenständlichen Bildern, die Intuition <br />
gefordert ist. In diesem Fall bleiben von vornherein -‐ so stelle ich es mir vor -‐ die seman-tischen<br />
Funktionen der linken Hemisphäre sozusagen "passiv". Denn beim objektfreien <br />
Ausdruck wird etwas erzeugt, das nichts Bekanntes (<strong>und</strong> damit Benennbares) abbildet. <br />
Stattdessen wird etwas völlig Neues <strong>und</strong> noch Unbekanntes geschaffen; es ist namenlos <br />
<strong>und</strong> nicht in der vertrauten Art <strong>und</strong> Weise begrifflich etikettiert; damit entzieht es sich <br />
auch den Denkgewohnheiten. <br />
Aus diesen Überlegungen ergibt sich, dass ein objektfreies Bild nicht das Ergebnis sol-cher<br />
Funktionen sein kann, die mit dem senso-‐optomotorischen Erfassen der Außenwelt <br />
einerseits <strong>und</strong> den nichtsensorischen Funktionen des Sprachsystems andererseits zu <br />
tun haben. Weil der objektfreie Ausdruck viel mehr mit dem internen Erleben von Quali-fizierungen<br />
(Eigenschaften) zu tun hat, deshalb dürften tendenziell thalamische <strong>und</strong> hy-pothalamische<br />
Funktionen, sowie Erregungen aus limbischen Strukturen <strong>und</strong> der For-matio<br />
Reticularis dominierender beteiligt sein als dies beim gegenständlichen Bild der <br />
Fall ist. Bei dieser Aussage muss man allerdings berücksichtigen, dass die erwähnten <br />
funktionellen Wechselwirkungen beim gegenständlichen Bild zwar auch, aber wahr-scheinlich<br />
mehr im sprachgeb<strong>und</strong>enen assoziativen Sinn mit beteiligt sind. <br />
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