01.11.2013 Aufrufe

download

download

download

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

ERZIEHUNG –<br />

DER LANGE WEG (6)<br />

Wenn<br />

Väter brüllen<br />

und<br />

Kinder bocken<br />

LUDWIG HAAS<br />

telecran@telecran.lu<br />

Die Mutter wirft einen<br />

Blick in das Zimmer ihres<br />

Sohnes: Schon wieder<br />

herrscht hier totales<br />

Chaos. Als der Junge<br />

nach Hause kommt, knüpft sie sich<br />

ihn vor: „Dein Zimmer gleicht langsam<br />

einem Schweinestall.“ Der<br />

Sohn schreit zurück: „Lass mich<br />

und mein Zimmer in Ruhe!“ Die<br />

Tür knallt zu. Für heute ist es vorbei<br />

mit dem Familienfrieden.<br />

Diese oder ähnliche Situationen<br />

erleben viele Familien täglich. Förderlich<br />

miteinander zu reden,<br />

scheint nicht so selbstverständlich<br />

zu sein, wie viele es sich wünschen.<br />

Kommunikation ist einer<br />

der Schlüsselbegriffe im Umgang<br />

von Erwachsenen mit jungen<br />

Menschen. Wenn Lehrer, Eltern,<br />

Erzieher, Lehrherren oder auch<br />

Trainer die K unst der K ommunikation<br />

mit Jugendlichen nicht<br />

beherrschen, kann es schnell zu<br />

Auseinandersetzungen kommen.<br />

Kommunikation kann verbal oder<br />

auch durch Mimik, Gestik, Lautstärke,<br />

Tonfall oder Körperbewegungen<br />

erfolgen. Entscheidend<br />

ist also nicht nur, was gesagt wird,<br />

sondern auch, wie etwas gesagt<br />

wird. Jede Mitteilung enthält eine<br />

Sachinformation und eine Beziehungsbotschaft<br />

vom Sender zum<br />

Empfänger. Viele Botschaften sind<br />

verschlüsselt, müssen also erst<br />

decodiert werden. Und genau das<br />

führt oft zu Missverständnissen,<br />

weil gerade die nonverbalen Botschaften<br />

die Sprache des Unbewussten<br />

sind. „Jede Nachricht ist<br />

das Machwerk des Empfängers“,<br />

schreibt der bekannte Kommunikationsexperte<br />

Paul Watzlawick.<br />

Das bedeutet: Der Sender , zum<br />

Beispiel die Mutter, kann nicht<br />

damit rechnen, dass ihre Nachricht<br />

so ankommt, wie sie diese<br />

ausgesendet hat. Der Empfänger<br />

wiederum, etwa der Sohn, interpretiert<br />

die Botschaft nach seinem<br />

Empfinden.<br />

Jede Botschaft muss in ihrem Kontext<br />

gesehen werden. So kann die<br />

kritische Bemerkung eines Vaters<br />

gegenüber dem Sohn ganz verschiedene<br />

Reaktionen hervorrufen<br />

– je nachdem, ob sie unter<br />

vier Augen oder vor F reunden<br />

gemacht wird. Vielen Erwachsenen<br />

fehlt aber das Wissen über<br />

Kommunikationsabläufe, und deshalb<br />

können Mitteilungen schnell<br />

in Anklagen umschlagen und<br />

Gespräche eskalieren.<br />

Angriffe<br />

und Beleidigungen<br />

Gerade in problematischen Familien<br />

oder Klassen ist die verbale<br />

Kommunikation oft schlecht. Die<br />

ausgesendeten Botschaften sind<br />

vage, enthalten V erallgemeinerungen<br />

und V ermutungen oder<br />

unvollständige Informationen.<br />

Auch die Art der Botschaftsüber-<br />

132 Télécran 7/2005


Krach und Konflikte gibt es in<br />

jeder Familie. Für besseres<br />

Zusammenleben entscheidend<br />

ist die richtige Kommunikation.<br />

Worauf es in<br />

Gesprächen mit jungen<br />

Leuten ankommt,<br />

erklärt Erziehungsberater<br />

Ludwig<br />

Haas.<br />

familie ><br />

>>.info<br />

Die Interviewpartner dieser Serie (siehe Seite 134) bieten Konferenzen<br />

zu den vorgestellten Themen im Rahmen der Elternschule<br />

Janusz Korczack der Stiftung Kannerschlass an. Die Elternschule<br />

organisiert Konferenzen, Seminare und W orkshops zum Thema<br />

Erziehung, Familie und Entwicklung des Kindes und richtet sich an<br />

alle Eltern, Großeltern und andere P ersonen, die im Alltag mit<br />

Kindern zusammenleben. Weitere Informationen zum Programm<br />

unter Tel. 595959-59 (Jeannine Schumann, Koordinatorin), sowie<br />

unter www.kannerschlass.lu<br />

Télécran 7/2005 133


life<br />

>> familie<br />

Streitfaktor Unpünktlichkeit:<br />

Spannungen verringern sich,<br />

wenn sich Eltern nicht nur in<br />

Appellform mitteilen<br />

Irritationen und Spannungen verringern<br />

sich, wenn Menschen sich<br />

vierseitig mitteilen und Botschaften<br />

anderer mit „vier Ohren“<br />

gehört werden. Eltern oder Lehrer<br />

neigen eher zur Appellseite, Juristen<br />

sind eher sach- und T rainer<br />

oder Therapeuten beziehungsorientiert.<br />

Jede Seite hat ihren<br />

guten Sinn.<br />

Für Eltern und Lehrer ist es im<br />

Gespräch mit Kindern und Jugendlichen<br />

erforderlich, herauszuhören,<br />

was diese eigentlich meinen,<br />

wenn sie vorwurfsvoll, beleidigend,<br />

aggressiv oder verletzend<br />

reagieren, damit es nicht immer<br />

heißt: „Du kannst mich einfach<br />

nicht verstehen!“ Denn hinter der<br />

Aussage liegt meist erst die Botschaft.<br />

>>.interview<br />

„Uns fehlt oft der Glaube an die Jugendlichen“<br />

Was können Eltern oder Lehrer tun, damit Gespräche mit Heranwachsenden gelingen?<br />

Fragen an den Psychologen FARI KHABIRPOUR.<br />

Télécran: Was versteht man unter<br />

guter Kommunikation?<br />

Khabirpour: Kommunikation ist<br />

dann gut, wenn die F amilienmitglieder<br />

oder Lehrer und Schüler<br />

Botschaften verständlich formulieren,<br />

klar und deutlich übermitteln<br />

und die Mitteilungen<br />

begründen. Sie sprechen den<br />

Gesprächspartner direkt an, teilen<br />

auch ihre Emotionen und Meinungen<br />

mit, verschleiern ihre Aussagen<br />

nicht. Sie halten Blickkontakt,<br />

gebrauchen passende Gesten<br />

und zeigen eine den Aussagen entsprechende<br />

Mimik. Sie erkundigen<br />

sich auch nach den Gedanken und<br />

Gefühlen ihres Gegenübers und<br />

können zuhören, zeigen menschliche<br />

Wärme und Zuneigung.<br />

Télécran: Welche äußeren Bedingungen<br />

braucht man, damit Gespräche<br />

gelingen?<br />

Khabirpour: Es ist wichtig, dass<br />

man im Vorfeld des Gesprächs zur<br />

Ruhe kommt, denn wer unter<br />

Druck oder in Rage ist, kann kein<br />

guter Kommunikationspartner sein.<br />

Für gute Gespräche muss man sich<br />

auch Zeit nehmen, sie können nicht<br />

zwischen Tür und Angel stattfinden.<br />

Außerdem muss man eine<br />

angenehme Atmosphäre schaffen.<br />

Télécran: Gibt es Grundhaltungen,<br />

die das Zusammenleben erleichtern?<br />

Khabirpour: Sicher, zuerst einmal<br />

muss eine echte W ertschätzung<br />

Fari Khabipour ist Direktor des CPOS, Psychologe und Psychotherapeut.<br />

Bei Fragen rund um Erziehung und Schule kann man sich an das „Centre de<br />

Psychologie et d’Orientation scolaire“ (CPOS) wenden. Foto: Christophe Olinger<br />

als Ausdruck der Gleichwertigkeit<br />

der verschiedenen P ersonen und<br />

eine Haltung des Wohlwollens vorherrschen.<br />

Dies gilt auch im Gespräch<br />

mit Schülern und Kindern.<br />

Auch gilt es, die unterschiedlichen<br />

Sichtweisen zu tolerieren – was<br />

aber nicht heißt, alles Tun zu billigen.<br />

Man muss auch den Mut zur<br />

Abgrenzung haben, denn Übereinstimmung<br />

in zwischenmenschlichen<br />

Beziehungen ist nicht immer<br />

möglich, auch nicht erwünscht.<br />

Télécran: Jugendliche werfen den<br />

Erwachsenen oft vor, dass sie nicht<br />

ernst genommen, aber ständig<br />

belehrt werden – was dann zu<br />

Streit führt ...<br />

Khabirpour: Wir unterschätzen in<br />

der Tat nicht selten die Kapazitäten<br />

der jungen Leute. Uns fehlt<br />

oft der Glaube an sie. Erwachsene<br />

neigen deshalb dazu, ihnen ständig<br />

Vorschriften zu machen und<br />

Ratschläge zu geben. Wir leiden<br />

unter einer Grundhaltung der Bevormundung<br />

und des mangelnden<br />

Glaubens an die Fähigkeiten<br />

der Jugend. Wenn ich ständig mit<br />

der ,Ich- weiß-alles-besser -Haltung’<br />

komme, ist das der Nährboden<br />

für Kommunikationskonflikte<br />

mit Jugendlichen.<br />

Télécran: Wieso ist es so schwer<br />

für Erwachsene, zu verstehen, was<br />

sich hinter einem F ehlverhalten<br />

wirklich verbirgt?<br />

Khabirpour: Aus Mangel an Wissen<br />

über K ommunikation erkennen<br />

wir das eigentliche Problem<br />

nicht. Wir reagieren etwa auf ein<br />

aggressives Kind, das uns auf die<br />

Nerven geht, meist mit Maßregelung.<br />

Ist es aber vorher von einem<br />

Lehrer oder Elternteil verletzt worden,<br />

hilft das wenig. Wichtig wäre<br />

herauszufinden, was hinter der<br />

Aggression steckt. Wenn man dieses<br />

Problem erkannt hat, dann<br />

agieren wir und reagieren nicht<br />

bloß. Ein verletztes Kind braucht<br />

keine Schelte, sondern Balsam,<br />

Hilfe und Zuneigung.<br />

Télécran: Viele Jugendliche werfen<br />

Eltern vor, nachtragend zu<br />

sein. Was kann man dagegen tun?<br />

Khabirpour: Erwachsenen gelingt<br />

es tatsächlich oft nicht, alten Ärger<br />

zu vergessen, und reagieren dann<br />

falsch. Wenn ein Kind oder Schüler<br />

früher ein paar Mal die Unwahrheit<br />

gesagt hat, lautet die Erwachsenenantwort:<br />

,Wie kann ich dir<br />

glauben, wenn du mich immer anlügst?’<br />

Wichtig ist aber , die V ergangenheit<br />

herauszuhalten und<br />

sich auf die K ommunikation im<br />

Hier und Jetzt zu konzentrieren.<br />

Der Jugendliche bekommt sonst<br />

keine Chance, sich zu verbessern<br />

oder weiterzuentwickeln. In der<br />

Jugend macht man eben oft den<br />

gleichen Fehler.<br />

134 Télécran 7/2005

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!