Maestro_1_99 - Schweizer Blasmusik-Dirigentenverband BDV
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MAESTRO<br />
Offizielles Mitteilungsorgan des Verbandes der Dirigenten des Eidgenössischen Musikverbandes.<br />
Erscheint vierteljährlich in der SBZ.<br />
Nr. 1/<strong>99</strong>, 6. Jg.<br />
Atempause<br />
Mit Dirigent ist es sicherer; ohne –<br />
dafür schöner...?<br />
Manches Musikkorps spielt trotz seines<br />
musikalischen Leiters sehr gut. Wozu also<br />
einen Dirigenten vor das Ensemble stellen?<br />
Was heisst überhaupt «Dirigieren» und in<br />
welchem Zusammenhang steht der Dirigent<br />
dazu? Den Nachschlagewerken von<br />
Ullstein und Herder habe ich folgendes<br />
entnommen: «Dirigieren wurde aus dem<br />
lateinischen dirigere = leiten, lenken übernommen.<br />
Der Dirigent koordiniert und leitet<br />
ein Ensemble (Chor, Orchester) durch<br />
Handbewegungen, mit denen er den Ausführenden<br />
das Tempo, den Takt und die<br />
rhythmischen Akzente angibt. Er vermittelt<br />
darüber hinaus den Musikern seine künstlerischen<br />
Intentionen durch bestimmte<br />
Gesten und durch Erläuterungen in den<br />
Proben.»<br />
Die betonte, erste Taktzeit wird durch einen<br />
Abwärtsschlag angegeben, während die<br />
weniger betonten Zeiten (vor allem der<br />
Auftakt) in der Regel in Aufwärtsrichtung<br />
geschlagen werden. Die Bewegungen werden<br />
im allgemeinen unter Zuhilfenahme<br />
eines Taktstockes verdeutlicht. Mit klaren<br />
Zeichengebungen kann der Dirigent beispielsweise<br />
p, f oder crescendo verlangen.<br />
Durch deutliche oder abgerundete Schläge<br />
zeigt er seine Wünsche, Vorstellungen und<br />
Empfindungen innerhalb der Artikulationen<br />
und Charaktere des Werkes. Somit muss<br />
klar zur Geltung kommen, ob legato, staccato,<br />
tenuto oder marcato gespielt werden<br />
muss. Während die rechte Hand hauptsächlich<br />
den Takt schlägt, ist die linke<br />
Hand frei, um Intensitäts- und Stärkegrade<br />
anzugeben, um den musikalischen Verlauf<br />
einer Phrase oder agogische Nuancen<br />
anzuzeigen. Häufig wird die linke Hand<br />
auch für Einsätze gebraucht. Die Unabhängigkeit<br />
beider Hände ist eine wesentliche<br />
8. bis 11. September 1<strong>99</strong>9<br />
3. <strong>Schweizer</strong>ischer<br />
Dirigentenwettbewerb<br />
1./2. April 2000<br />
Dirigentenkongress in Fribourg<br />
15. bis 17. Juni 2001 und<br />
22. bis 24. Juni 2001<br />
Eidg. Musikfest in Fribourg<br />
Agenda<br />
Voraussetzung des Dirigierens. Aber nicht<br />
nur der Taktstock und die Hände sind<br />
wichtig. Ebenfalls können die Haltung und<br />
der Blick des Dirigenten entscheidend sein.<br />
Ob eine Aufführung packend und unvergesslich<br />
wird, ist wesentlich davon abhängig.<br />
Ist ein Dirigent angespannt, nervös,<br />
unsicher oder sogar unmotiviert: die Musiker<br />
spüren diesen Einfluss sehr stark und<br />
dementsprechend gelingt oder, besser gesagt,<br />
klingt eine Aufführung.<br />
Ein Blasorchester zu dirigieren und zu leiten,<br />
setzt eine vielseitige Ausbildung und im<br />
Amateurwesen eine noch stärkere natürliche<br />
Begabung voraus. Vom Dirigenten werden<br />
solide Kenntnisse in Theorie und Praxis<br />
gefordert, Vertrautheit mit den Stilen verschiedener<br />
Epochen und Komponisten, Sinn<br />
für musikalische Analysen sowie Fähigkeiten<br />
in Menschenführung und Organisation.<br />
Welch eine Herausforderung! Sind sich<br />
die Musiker und Funktionäre unserer Vereine<br />
dessen bewusst? Als Führungsperson<br />
wird diese Arbeit im Berufsleben in der<br />
Hierarchie- und Besoldungsstufe weit oben<br />
angesiedelt. Auch wenn ein Teil unserer<br />
Dirigenten ihre Dirigiertätigkeit in der Freizeit<br />
ausübt, muss beachtet werden, dass<br />
es je länger je mehr Dirigenten gibt, deren<br />
Engagement mit der damit verbundenen<br />
Honorierung ein Teil ihres Einkommens ist.<br />
Daher darf man ruhig feststellen, dass sehr<br />
viele Dirigentenstellen nicht mehr zeitgemäss<br />
entlöhnt werden. Dieses Thema<br />
einmal anzugehen, wäre bestimmt interessant...<br />
Was meinen Sie dazu?<br />
Franz Knupp<br />
Dirigentenkongress<br />
2000<br />
Festmarsch Fribourg 2001<br />
Dirigentenkongress und Eidgenössisches<br />
Musikfest gehen gemeinsame Wege. Der<br />
Festmarsch für das Eidgenössische Musikfest<br />
Fribourg 2001 wird bekanntlich bereits<br />
im Rahmen des Dirigentenkongresses<br />
Fribourg 2000 bestimmt.<br />
Einsendeschluss für den Kompositionswettbewerb<br />
ist der 31. März 1<strong>99</strong>9.<br />
Interessenten können nach wie vor das<br />
Wettbewerbsreglement bei der Geschäftsstelle<br />
SBV, Postfach, 5001 Aarau, verlangen<br />
oder die Unterlagen telefonisch unter<br />
der Nummer 062 - 822 81 11 bestellen.<br />
Tonhallebesuch<br />
Wiederum können Sie sich mit unserem<br />
Ehrenpräsidenten, Herrn Fridolin Bünter,<br />
Wernerstrasse 4, 8038 Zürich, für die genauen<br />
Termine in Verbindung setzen. Eine<br />
Anmeldung ist unbedingt (bis eine Woche<br />
vor der Probe) erforderlich.<br />
Unser Angebot gilt für folgende Dienstagmorgenproben:<br />
Dienstag, 9. Februar 1<strong>99</strong>9<br />
Leitung: David Zinman<br />
Strawinsky, Hindemith, Nielsen<br />
Dienstag, 2. März 1<strong>99</strong>9<br />
Leitung: David Zinman<br />
Mozart: Sinfonie B-Dur KV 319<br />
Violinkonzert B-Dur KV 207<br />
Sinfonie C-Dur KV 551 «Jupiter»<br />
Dienstag, 13. April 1<strong>99</strong>9<br />
Leitung: Esa-Pekka Salonen<br />
Ravel, Schostakowitsch, Strawinsky<br />
Arbeitslektüre<br />
Chefredaktor:<br />
Franz Knupp<br />
Bernrainstrasse 18<br />
8556 Wigoltingen<br />
Red. Mitarbeiter:<br />
René Messmer,<br />
8572 Berg TG<br />
Urs Heri,<br />
4543 Deitingen SO<br />
Andreas Frei,<br />
5070 Frick AG<br />
Theo Martin,<br />
2513 Twann BE<br />
Morendo<br />
Eine Partitur lesen: Note um Note, Motiv<br />
um Motiv, Periode um Periode, Satz für<br />
Satz, Seite um Seite. Sind die Blätter gewendet,<br />
hat das Blatt sich gewandt, das<br />
Werk ist erkannt!<br />
Satz:<br />
Barni-Post, 6024 Hildisrieden<br />
Impressum<br />
Die nächste Ausgabe des MAESTRO<br />
erscheint in der Nr. 8/<strong>99</strong> der SBZ.
<strong>Maestro</strong> Nr. 1/<strong>99</strong><br />
Zur Bedeutung des <strong>Schweizer</strong>ischen Dirigentenwettbewerbes<br />
Die Geschichte des Taktschlagens beginnt<br />
mit einem Drama: Jean-Baptiste Lully war<br />
das erste Opfer des Dirigentenberufes. Er<br />
benützte zum Dirigieren einen langen<br />
Stab, mit dem er auf den Boden schlug.<br />
Dabei zog er sich eine tödliche Verletzung<br />
an einer Zehe zu. Dirigieren ist heute<br />
unendlich viel mehr, als bloss den Schlag<br />
vorzugeben. Die überragende Rolle des<br />
Dirigenten verdient deshalb besondere<br />
Beachtung.<br />
Hermann Dechant schreibt in seinem<br />
Standardwerk «Dirigieren», die erste Aufgabe<br />
des Interpreten in der Musik sei die<br />
«Übersetzung» der Notenschrift – ein Vorgang,<br />
den beispielsweise die bildende<br />
Kunst nicht kennt. Der Dirigent muss also<br />
den Notentext stilistisch einordnen können,<br />
um danach Tempo, Tongebung, Dynamik,<br />
Phrasierung, Artikulation und Ausdrucksskala<br />
auszurichten. Massiv zugenommen<br />
haben - insbesondere in den letzten Jahren<br />
- aber auch die psychologischen Aufgaben<br />
eines Dirigenten. Der Umgang mit<br />
einer Gruppe von Menschen stellt höchste<br />
Anforderungen an den Leiter: Das wird<br />
die Dirigentenausbildung der Kantonal-<br />
Verbände und der Konservatorien in den<br />
nächsten Jahren nachhaltig verändern.<br />
Albert Benz kritisierte in diesem Zusammenhang<br />
schon 1987, dass viele <strong>Blasmusik</strong>en<br />
vor sich hintreiben und kaum konkrete<br />
Zielsetzungen haben.<br />
Weiterbildung für Bläser und Wettbewerbe<br />
für Blasorchester sind in der Schweiz<br />
seit Jahrzehnten fest verankert. Doch nur<br />
beim Punkt Interpretation wird an Musikfesten<br />
ausschliesslich die künstlerische<br />
Leitung des Dirigenten in die Gesamtbeurteilung<br />
einbezogen. In der klassischen<br />
Musik dagegen sind Dirigentenwettbewerbe<br />
ein entscheidendes, nicht mehr wegzudenkendes<br />
Mittel, den mitwirkenden<br />
Kandidaten/-innen, und im hohem Mass<br />
den Preisträgern, den Start in eine nationale,<br />
ja sogar internationale Karriere zu<br />
ebnen.<br />
Unsere qualitativ hochstehenden Blasorchester<br />
und Brass Bands benötigen vermehrt<br />
herausragende, künstlerisch begabte<br />
Dirigenten/-innen mit entsprechendem<br />
Leistungsausweis. Um diesen jüngeren,<br />
meist gut ausgebildeten Dirigenten/-innen<br />
eine anerkannte Institution zur Verfügung<br />
zu stellen, wurde 1<strong>99</strong>3 in Baden der<br />
«<strong>Schweizer</strong>ische Dirigentenwettbewerb»<br />
ins Leben gerufen. Der auf Initiative des<br />
Dirigenten der Stadtmusik Baden, Jörg<br />
Dennler, gegründete Anlass wird 1<strong>99</strong>9<br />
zum dritten Mal ausgetragen. Er wird vom<br />
Verband der Dirigenten des EMV finanziell<br />
und ideell unterstützt.<br />
Das Patronat des Wettbewerbes hat Bundesrat<br />
Kaspar Villiger übernommen. Er<br />
schreibt, als «ehemaliger begeisterter Amateurmusiker»<br />
begrüsse er diese Initiative<br />
ausserordentlich. Der Wettbewerb trage<br />
zu einer höheren Qualität der sinfonischen<br />
<strong>Blasmusik</strong> in der Schweiz und deren Ansehen<br />
bei der Bevölkerung bei.<br />
Der <strong>Schweizer</strong>ische Dirigentenwettbewerb<br />
in Baden steht Dirigentinnen und Dirigenten<br />
von Blasorchestern und Brass Bands<br />
bis zum 35. Altersjahr offen. Er ist die einzige<br />
Möglichkeit dieser Art in der <strong>Schweizer</strong><br />
<strong>Blasmusik</strong>szene, das musikalische Talent<br />
und die erworbenen Fähigkeiten mit<br />
anderen zu messen und damit die Basis<br />
für eine erfolgreiche musikalische Laufbahn<br />
zu schaffen.<br />
Theo Martin<br />
Die Kriterien der Bewertung<br />
o Methodik o Dirigiertechnik<br />
o Interpretation o Orchesterkontakt<br />
o Gesamteindruck<br />
Die Jury besteht aus Fritz Neukomm<br />
(Langenthal), Isabelle Ruf-Weber (Büron)<br />
und Jaap Koops (Holland). Gewinner des<br />
ersten Wettbewerbes 1<strong>99</strong>3 war Baldur<br />
Brönnimann. 1<strong>99</strong>6 siegte Philippe Bach.<br />
Auskünfte sind erhältlich bei:<br />
Jörg Dennler, musikalischer Leiter.<br />
056 - 493 16 25<br />
Kontaktadresse, Reglemente<br />
und Anmeldeformulare:<br />
<strong>Schweizer</strong>ischer Dirigentenwettbewerb<br />
Postfach, 5405 Baden.<br />
Anmeldeschluss ist der 15. Mai 1<strong>99</strong>9.<br />
Das Wettbewerbsprogramm<br />
Quellen:<br />
– Albert Benz: <strong>Blasmusik</strong>kunde/<br />
Probenmethodik, Rothenburg 1987<br />
(Rhythmus-Verlag).<br />
– Hermann Dechant: Dirigieren,<br />
Wien 1985 (Herder-Verlag).<br />
– Jindrich Pravecek: Der <strong>Blasmusik</strong>-<br />
Dirigent heute, Tettnang 1984<br />
(Hanns Olbert).<br />
– Otto Zurmühle und Felix Hauswirth:<br />
Der Blasorchester-Dirigent,<br />
Adliswil 1<strong>99</strong>7 (Ruh).<br />
aus: Albert Benz, <strong>Blasmusik</strong>kunde/Probenmethodik<br />
Der Wettbewerb ist in drei Durchgänge gegliedert. In der Vorrunde werden die von<br />
einem Fachgremium zum Wettbewerb zugelassenen Kandidatinnen und Kandidaten<br />
beurteilt, wie sie während einer halben Stunde eine dem Orchester unbekannte Komposition<br />
einstudieren. Diese Vorausscheidungen finden am Mittwoch, 8. September,<br />
mit der Stadtmusik Baden (Blasorchester) und am Donnerstag, 9. September, mit der<br />
Musikgesellschaft Full (Brass Band) statt.<br />
Sechs Personen werden zum Halbfinal vom Freitag, 10. September, zugelassen, wo<br />
sie zehn Minuten Zeit haben, mit dem Blasorchester Allegra (Höchstklasse) ein dem<br />
Orchester bekanntes Werk zu proben. Anschliessend wird diese Komposition aufgeführt.<br />
Drei Kandidaten erreichen das Finale, das am Samstag, 11. September, mit<br />
dem Sinfonischen Blasorchester Bern stattfinden wird. Das Sibo war am Eidgenössischen<br />
Musikfest Interlaken Co-Sieger in der Höchstklasse. Das Finale ist zweiteilig. Im<br />
ersten Teil können die Finalistinnen und Finalisten während einer Stunde eine dem<br />
Orchester bekannte Komposition einstudieren. Diese Probe findet unter Ausschluss<br />
von Publikum und Jury statt. Im zweiten Teil wird die von den Kandidaten gestaltete<br />
Komposition im Rahmen eines Galakonzertes aufgeführt.<br />
Die Ausscheidungen am Freitag und Samstag sind öffentlich. Der Verband der Dirigenten<br />
des EMV wird am Samstag, 11. September, in Baden im Rahmen des <strong>Schweizer</strong>ischen<br />
Dirigentenwettbewerbes eine Fachtagung durchführen.
<strong>Maestro</strong> Nr. 1/<strong>99</strong><br />
Gefragte Musiker – kurz befragt<br />
Fritz Neukomm, Langenthal, Seminarlehrer<br />
Fritz Neukomm, sind Sie ein Opportunist?<br />
Wilhelm Busch definiert einen Opportunisten<br />
als einen «Jenachdemer». So fühle<br />
ich mich mitunter tatsächlich; denn die<br />
<strong>Blasmusik</strong>szene ist zunehmend heterogener<br />
geworden. Strukturen, Funktionen und<br />
Zielsetzungen unserer Musikgesellschaften<br />
sind längst nicht mehr auf einen Nenner<br />
zu bringen.<br />
Welche Interessen habe ich nun zu vertreten?<br />
Jene der Dorfmusik, jene des elitären<br />
Blasorchesters oder jene des Musikvereins,<br />
der sich auf die Marschmusik mit Evolutionen<br />
oder auf die Sparte Unterhaltungsmusik<br />
spezialisiert?<br />
Die verschiedenen Ausprägungen zeigen<br />
uns deutlich, dass das Wort «<strong>Blasmusik</strong>»<br />
längst nur noch als Oberbegriff interpretiert<br />
werden kann.<br />
Meine Aufgabe ist es, möglichst alle Facetten<br />
zu stärken; alle haben nämlich ihre<br />
Berechtigung, sofern sie auch qualitative<br />
Ansprüche befriedigen. In meiner Beurteilung<br />
spielen die Bedingungsfelder eine<br />
wichtige Rolle, und die sind in der Tat sehr<br />
unterschiedlich. Sobald seriöse Arbeit und<br />
ehrliches Bemühen – das Gegenteil wäre<br />
Oberflächlichkeit und der Weg des geringsten<br />
Widerstandes – spürbar sind,<br />
stehe ich für alle Stilrichtungen ein. In<br />
diesem Sinne bin ich also ein Zehnkämpfer<br />
und erachte meinen Opportunismus als<br />
eine «conditio sine qua non».<br />
Als Seminarlehrer frisch pensioniert!<br />
Sind Sie bereits dem «Gango-Club» beigetreten?<br />
Nein. Ich schliesse aber nicht aus, in einigen<br />
Jahren meine Gattin im Alltag vermehrt<br />
zu unterstützen, z.B. indem ich das<br />
Ressort «Einkäufe von Lebensmitteln» übernehmen<br />
werde.<br />
Vorläufig bin ich aber anderweitig ausgelastet.<br />
Einerseits wurde ich von der Erziehungsdirektion<br />
in Bern als Experte bei<br />
Patentprüfungen für Primarlehrkräfte gewählt,<br />
was für mich bedeutet, dass man<br />
meine frühere Tätigkeit als Didaktiklehrer<br />
offensichtlich geschätzt hat.<br />
Daneben kann ich aber mein Amt als Präsident<br />
der Musikkommission SBV anders<br />
ausgestalten; nämlich so, dass ich mich<br />
tatsächlich vermehrt den unterschiedlichen<br />
Problemen und Zeiterscheinungen der<br />
<strong>Blasmusik</strong> widmen kann. So ist eigentlich<br />
fast ein «fulltime job» entstanden, den ich<br />
mit viel Idealismus bis ins Jahr 2002 möglichst<br />
gut ausüben möchte.<br />
Nachher werde ich mich neu orientieren.<br />
Wie sieht im letzten, hoffentlich grossen<br />
Lebensabschnitt der Garten Ihrer Träume<br />
aus?<br />
Zusammen mit meiner Gattin hoffe ich vor<br />
allem auf eine gute Gesundheit – und viel<br />
Zeit. «lch wünsche Dir Zeit! Nicht alle<br />
möglichen Gaben. Ich wünsche Dir nur,<br />
was die meisten nicht haben.» schreibt<br />
E. Michler treffend.<br />
Das heisst nicht, dass wir die Zeit vertrödeln<br />
werden. Meine Kreativität werde ich<br />
jedoch in Bereichen ausleben, die dann<br />
weniger fremdbestimmt sind. Ich habe mir<br />
bereits etliches vorgenommen. Die Reihenfolge<br />
ist rein zufällig: Mit den Grosskindern<br />
musizieren / mein Latein auffrischen /<br />
vermehrt nachzudenken versuchen, was<br />
Philosophen vorgedacht haben / mich mit<br />
andern Kulturen befassen etc… Der Katalog<br />
ist reichhaltig, der Tisch gedeckt, wir<br />
freuen uns auf die Mahlzeiten.<br />
Sie haben in all den Jahren soviel bewegt.<br />
Was treibt Sie immer wieder an?<br />
Mein pädagogischer Optimismus. Eine<br />
gute Ausbildung verheisst doch Lebensqualität.<br />
Ich hoffe, möglichst vielen jungen<br />
Menschen dazu verholfen zu haben, sei es<br />
im allgemeinbildenden Bereich oder eben<br />
auch, indem ich sie für die Musik begeistern<br />
konnte. Diese anspruchsvolle Aufgabe<br />
wird mich auch weiterhin motivieren.<br />
Entweder macht man etwas mit Leib und<br />
Seele, oder man lässt es ganz bleiben.<br />
Fritz Neukomm, der musikalische SBV-<br />
Chefideologe! Behagt Ihnen dieser Titel?<br />
Keinesfalls! Wer mich kennt, weiss, dass<br />
ich ein Verfechter des sozial-integrativen<br />
Führungsstils bin. Chefideologen waren<br />
mir schon immer zu autoritär. Meine Meinungen<br />
und Entscheidungen waren stets<br />
der Ausfluss von Prozessen, in denen ich<br />
auch andere – Gleichgesinnte und Andersdenkende<br />
– einbezogen habe.<br />
Pädagoge und Psychologe: Ihr persönliches<br />
«Logbuch»?<br />
Am nachhaltigsten hat mich wohl Heinrich<br />
Roth mit seinem umfangreichen Gutachten<br />
Gesamtchor:<br />
Meine musikalischen Ansprüche<br />
wurden noch von keinem Gesamtchor<br />
befriedigt.<br />
Macht:<br />
Die Macht der Musik ist mir sympathisch.<br />
Die Liebe sei eine Himmelsmacht<br />
– manchmal ist sie es<br />
tatsächlich.<br />
Stichworte<br />
Emotionale Intelligenz:<br />
Mit Intelligenz gepaarte Emotionalität.<br />
Ihr Stellenwert wurde lange Zeit<br />
unterschätzt.<br />
Motivation:<br />
Die Frage nach dem Warum des<br />
menschlichen Handelns fasziniert mich<br />
immer wieder.<br />
Vanessa Mae:<br />
Ein von den Medien geschickt lanciertes,<br />
zweifellos hochbegabtes Kind unserer<br />
Zeit, das vielleicht am Rande der<br />
Verheizung steht.<br />
zum Thema «Begabung und Lernen» sensibilisiert.<br />
Für mich gibt es aber kein eigentliches<br />
Logbuch. Ich habe mich immer an<br />
neuen Publikationen orientiert. Deshalb hat<br />
sich mein «pädagogischer Hintergrund»<br />
wohl ständig verändert, den Zeitumständen<br />
entsprechend.<br />
Mitte März führt die Musikkommission SBV<br />
in Aarau eine Fachtagung zum neuen Ausbildungsreglement<br />
durch. Was kommt da<br />
auf uns zu?<br />
Dies kann ich nicht in einigen Sätzen<br />
beschreiben. Eines sei aber betont: Das<br />
neue Ausbildungsreglement hat «nur» Leitplankenfunktion.<br />
Die Ausbildner werden<br />
sich nicht nur mit Stoffplänen befassen. Sie<br />
sollen auch die formulierten Leitideen<br />
umzusetzen versuchen und sich vermehrt<br />
mit didaktischen Fragen auseinander setzen.<br />
Ihre Freiräume werden grösser, was<br />
die Möglichkeiten zu individualisierenden<br />
Lehrformen erhöht. Dadurch wird ihre Aufgabe<br />
anspruchsvoller und hoffentlich auch<br />
spannender.<br />
Eine sorgfältige Einführung in das neue Konzept<br />
ist äusserst wichtig. Die Fachtagung ist<br />
ein erster kleiner Schritt. Ich hoffe, meine<br />
Philosophie werde auch verstanden. Neue<br />
Kurstypen wurden in Pilotprojekten erprobt<br />
und sollen nun ins Angebot aufgenommen<br />
und vom SBV subventioniert werden.<br />
Kürzlich fand am Fernsehen DRS das<br />
Finale der SWISS MUSIC PARADE statt. Sie<br />
amteten als Juror. Ihr Verstand war selbstverständlich<br />
dabei! Und Ihr Herz?<br />
Auch mein Herz! Wer jetzt überrascht ist,<br />
lese nochmals Antwort 1. Dieser Wettbewerb<br />
hat die Diskussion zweifellos belebt.<br />
Geschmacksfragen betreffend Stückwahl,<br />
Arrangements, optische Präsentation stehen<br />
seither vermehrt im Raum. All jene,<br />
die destruktive Kritik geübt haben, sind<br />
aufgerufen, es besser zu machen und dies<br />
mit musikalischen Leistungen zu untermauern.<br />
Mein Respekt gilt allen Musikgesellschaften,<br />
die sich am Wettbewerb beteiligt<br />
und sich dadurch auch exponiert haben.<br />
Ein junger Komponist bat Liszt um sein<br />
Urteil über ein neues Werk. Er hörte sich<br />
das Stück an und sagte: «Da ist viel Schönes<br />
und Neues drin. Leider ist das Schöne<br />
nicht neu und das Neue nicht schön.» Nun<br />
meine Frage: Wieso findet das Neue und<br />
Schöne wie beispielsweise die «Gäbleoder<br />
De Haan-Musik» kaum mehr Aufnahme<br />
in der Wettstückliste?<br />
Die Ansprüche, welche wir an ein Werk<br />
stellen, sind im Taschenkalender SBV festgehalten.<br />
Daran messen wir jeden Klassierungsantrag.<br />
Es ist übrigens nicht jedes<br />
abgelehnte Stück schlecht. Wir prüfen vorgelegte<br />
Werke ja in erster Linie auf ihre<br />
Wettspieleignung. Ästhetische Kriterien<br />
sind dabei äusserst wichtig.
<strong>Maestro</strong> Nr. 1/<strong>99</strong><br />
Das Chorwesen schlingert bereits seit Jahrzehnten.<br />
Springt nun der Virus auf das<br />
<strong>Blasmusik</strong>wesen über?<br />
Das erwarte ich nur dann nicht, wenn wir<br />
das Geschehen aufmerksam verfolgen und<br />
Probleme nicht mit der Brechstange lösen<br />
oder gar unterdrücken wollen. «Der eine<br />
wartet, bis die Zeit sich wandelt, der andere<br />
packt sie kräftig an und handelt!» hat<br />
schon Dante Alighieri vor 700 Jahren<br />
erkannt. Ich kann hier nur einige Blitzlichter<br />
anführen, die mich gegenwärtig beschäftigen:<br />
a) Unterforderung versus Überforderung<br />
im selben Verein; zunehmend grösseres<br />
Gefälle zwischen jungen, besser ausgebildeten<br />
Musikantinnen und Musikanten<br />
und älteren Mitgliedern, die es gerne<br />
etwas gemütlicher hätten.<br />
b) Zunehmende Überschwemmung mit musikalischer<br />
«fast food», übrigens nicht<br />
nur im Bereich der Unterhaltungsmusik.<br />
c) Verändern von tradierten Darstellungsformen<br />
(z.B. Gesamtaufführungen, Festreglemente).<br />
d) Verankern der Erkenntnis, dass im SBV<br />
elitäre Ansprüche ebenso ihren Platz<br />
haben wie die Forderung des musikalischen<br />
Breitensports. Wir schwächen uns<br />
doch selber, wenn wir die Nahtstellen<br />
zwischen den Musikvereinen unterschiedlicher<br />
Klassen nicht pflegen, wenn Überheblichkeit<br />
und Neid zu Konkurrenten<br />
werden. Lässt sich denn überhaupt die<br />
fehlende Lobby aufbauen, wenn wir uns<br />
bekämpfen oder belächeln, wenn der<br />
gegenseitige Respekt fehlt?<br />
e) Leitbilder müssen sich im Laufe der Zeit<br />
verändern, auch in der <strong>Blasmusik</strong>. Um<br />
Missverständnisse zu beseitigen: Die<br />
Dorfmusik ist für mich ein ebenso wichtiger<br />
Kulturträger wie der Höchstklassverein.<br />
Die Zielsetzungen sind allerdings<br />
unterschiedlich, weil sich auch<br />
die Leitbilder wesentlich unterscheiden,<br />
wenn sie überhaupt existieren.<br />
Was mich besonders freut, ist das deutlich<br />
spürbare Bedürfnis unserer Jugend, gefordert<br />
zu werden, sich mit guter Musik auseinanderzusetzen,<br />
sich aber auch anzustrengen,<br />
wenn man selber musiziert. Dies<br />
ist doch Ansporn genug, die musikalische<br />
Ausbildung weiter zu intensivieren.<br />
Finden Sie bei Politikern die Unterstützung,<br />
die es bräuchte, um diese Forderung zu<br />
verwirklichen?<br />
Leider zu selten. In Schulversuchen wurde<br />
der Musikunterricht auf Kosten kopflastiger<br />
Fächer intensiviert. Das erstaunliche Resultat:<br />
Trotz reduzierter Lektionenzahl waren<br />
in den sogenannten Hauptfächern keine<br />
Leistungseinbussen festzustellen. Daraufhin<br />
haben einige Kantone sogenannte Musikklassen<br />
mit erweitertem Musikunterricht<br />
eingeführt, andere lassen aber auf sich<br />
warten. Viele Politiker unterschätzen den<br />
Bildungswert der musikalischen Erziehung.<br />
Ihnen sei zum Schluss noch gesagt, dass<br />
die Schulversuche weitere positive Schlüsse<br />
zuliessen: Das soziale Klima verbesserte<br />
sich durchwegs, die Konzentrationsfähigkeit<br />
wurde deutlich besser, was zu<br />
einer Arbeitsökonomie führte, die auch in<br />
der Wirtschaft gefragt ist. Kürzungen im<br />
Bildungsbereich erachte ich deshalb als verhängnisvoll.<br />
Ich bin froh, dass – nota bene<br />
trotz massiver Widerstände etlicher Politiker<br />
– in der revidierten Bundesverfassung<br />
(Art. 57) festgehalten werden soll, dass<br />
«der Bund kulturelle Bestrebungen von<br />
gesamtschweizerischem Interesse unterstützen<br />
sowie Kunst und Musik im Bereich der<br />
Ausbildung fördern kann». Dieser Vorschlag<br />
fand im National- und im Ständerat<br />
schliesslich eine Mehrheit. Hoffen wir,<br />
dass es nicht bei leeren Worten bleibe.<br />
Bill Clinton, seines Zeichens «Unterhaltungskünstler»<br />
und mächtigster Saxophonist<br />
unseres Planeten, ist in aller Munde.<br />
Finden Sie es richtig, wenn die Medien<br />
Disharmonisches und Persönliches veröffentlichen?<br />
Bill Clinton ist in der Tat ein guter Saxophonist,<br />
aus meiner Sicht auch ein guter<br />
Präsident. Alles andere gehört in die Kategorie<br />
«Seifenoper/Schlammschlacht». Die<br />
Pharisäer des Senats hätten vordringlichere<br />
Aufgaben zu lösen, als sich tagelang mit<br />
formalen Fragen des Impeachments zu<br />
befassen. Die privaten Fernsehsender der<br />
USA stürzen sich natürlich auf solche<br />
«stories» und bauschen sie auf, zum Gaudium<br />
des Volkes.<br />
Waren Sie auch schon mit musikalischen<br />
Weltgrössen in unmittelbarer Tuchfühlung?<br />
Ja. In meinen Studienjahren habe ich mir<br />
als Platzanweiser Gratiseintritte zu Sinfoniekonzerten<br />
verdient. Zudem habe ich<br />
mich in dieser Zeit in etliche Proben hineingeschmuggelt.<br />
Dabei kam es zu unvergesslichen<br />
Begegnungen mit Koryphäen wie<br />
Ernest Ansermet, Rafael Kubelik, Igor Markewitch<br />
oder André Cluytens. Besonders<br />
nachhaltig ist mir Ferenc Fricsay in Erinnerung<br />
geblieben. Sein Charisma und seine<br />
Probenmethodik führten bei mir zu einem<br />
Schlüsselerlebnis. Gerne erinnere ich mich<br />
aber auch an ein Gespräch, das ich mit<br />
Louis Armstrong führen durfte.<br />
Bisher brachte der <strong>Schweizer</strong>ische Dirigentenwettbewerb<br />
Baden 1<strong>99</strong>3 Baldur Brönnimann<br />
und 1<strong>99</strong>6 Philippe Bach als Sieger<br />
hervor. Beide Male amteten Sie als Jurymitglied.<br />
Wie stehen die Chancen dieser jungen<br />
Generation, Karriere zu machen?<br />
Ziel dieses Wettbewerbs ist es, jüngeren<br />
Dirigentinnen und Dirigenten die Möglichkeit<br />
zu schaffen, ihr musikalisches Potential<br />
und die erworbenen Fertigkeiten zu messen.<br />
Die Spitze ist zwar schmal; alle bisherigen<br />
Wettbewerbsteilnehmer haben aber<br />
zweifellos viel profitiert, sei es, weil sie<br />
sich mit andern vergleichen und ihre<br />
Selbsteinschätzung modifizieren konnten,<br />
sei es aber auch, weil sie von der Jury<br />
eine differenzierte Rückmeldung erhielten,<br />
welche anregte, in welche Richtung sie<br />
sich weiter ausbilden lassen müssten, die<br />
ihnen manchmal aber auch ihre Grenzen<br />
aufzeigte.<br />
Baldur Brönnimann, Philippe E. Bach – ich<br />
nenne im gleichen Atemzug auch Carlo<br />
Balmelli – gehören zu den Ausnahmetalenten,<br />
die seither unsere Prognosen vollauf<br />
bestätigt haben. Für sie war die Teilnahme<br />
der Anfang zu einer Karriere.<br />
Findet 2001 das Eidgenössische Musikfest<br />
mit Neukomm als MK-Präsident statt?<br />
Ja! Bereits bei meinem Amtsantritt anno<br />
1<strong>99</strong>2 habe ich in Aussicht gestellt, 10 Jahre<br />
die Geschicke des SBV mitzugestalten.<br />
Die Dekade spielte in meinem Leben<br />
immer eine wichtige Rolle. Mehrmals habe<br />
ich mich nach dieser Zeitspanne neu orientiert.<br />
Dadurch konnte ich vermeiden, in<br />
Routine zu verfallen. Geistige Fliessbandarbeit<br />
kam deshalb nie auf. Ich halte es<br />
auch diesmal so und hoffe, im Frühjahr<br />
2002 sagen zu können, dass sich mein<br />
Einsatz gelohnt hat.<br />
Möchten Sie das absolute Gedächtnis<br />
haben?<br />
Ums Himmels Willen: nein! Dann könnte<br />
ich nämlich den aufgestauten Ballast nicht<br />
über Bord werfen.<br />
Und das absolute Musikgehör?<br />
Ich empfinde es nicht als Nachteil, diese<br />
Gabe nicht zu besitzen. Allerdings habe<br />
ich mein Musikgehör im Laufe der Jahre<br />
derart geschärft, dass ich durchaus eine<br />
hohe Grundstimmung eines Orchesters<br />
ohne Stimmgerät von einer tiefen unterscheiden<br />
kann. Dieser Speicher funktioniert<br />
bei mir, er wurde mir aber nicht in die<br />
Wiege gelegt.<br />
Abschliessend frage ich Sie mit dem<br />
grossen Schriftsteller Max Frisch: «Wann<br />
haben Sie aufgehört zu meinen, dass Sie<br />
klüger werden, oder meinen Sie’s noch?»<br />
Mein Wissensdurst ist ungebrochen. Ob<br />
ich klug bin, klug handle, darüber mögen<br />
andere entscheiden. Jedenfalls bemühe ich<br />
mich, mein Bestes zu geben.<br />
Fritz Neukomm, ich danke Ihnen für Ihre<br />
ergiebigen, offenen Antworten und wünsche<br />
Ihnen alles Gute.<br />
René Messmer<br />
Name:<br />
Fritz Neukomm<br />
Geboren:<br />
16. April 1937,<br />
jedoch kein typischer Widder.<br />
Berufe:<br />
Seminarlehrer (Didaktik), musikalischer<br />
Zehnkämpfer (Musiker,<br />
Pädagoge, Juror, Dirigent, Referent,<br />
Autor).<br />
Hobbies:<br />
Familie, Reisen, Lesen (hoffentlich<br />
künftig mehr Belletristik), Fussball.<br />
Steckbrief