ARTVINUM-Symposium 2007: Bernhard Tschofen - Baden ...
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Vortrag, <strong>Symposium</strong><br />
„Die europäische Weinkultur im Zeitalter der Globalisierung“<br />
Stuttgart, 20 04 <strong>2007</strong><br />
<strong>Bernhard</strong> <strong>Tschofen</strong>, Tübingen<br />
Europa im Extrakt? Die gemeinsame Weinkultur und der Geschmack der Regionen<br />
Werte Respektspersonen,<br />
sehr geehrte Damen und Herren!<br />
Wenn Sie mich als Kulturwissenschafter hier zur <strong>ARTVINUM</strong> und zu diesem Symposion<br />
eingeladen haben, dann wollen Sie vermutlich von mir keine Dinge hören, von denen Sie<br />
weit mehr verstehen als ich. Daher werde ich mich zurückhalten mit Kommentaren zu<br />
Weinbau und Weinwirtschaft und werde stattdessen mein Augenmerk auf die Ecksteine<br />
richten, die sie für ihr Thema – die Weinkultur – abgesteckt haben: Europa, Globalisierung<br />
und Regionalität.<br />
Als Referenz an den Gegenstand und an den Anlass habe ich mir erlaubt, meinen Vortrag in<br />
drei Viertel zu gliedern. Ich kredenze Ihnen also quasi eine Bouteille und darf festhalten,<br />
dass dies mir, der ich akademische Längen gewohnt bin, ausgesprochen schwer gefallen ist.<br />
Wer an der Universität zuhause ist, denkt ansonsten eher in Magnum-Kategorien, ich<br />
aufgrund meiner Herkunft ohnehin gleich im Format des guten alten österreichischen<br />
Dopplers. Vielleicht bleibt nach den drei Schlaglichtern ja noch Platz für eine knappe<br />
Nachbemerkung.<br />
1. Viertel: Europa als Extrakt - Europäische Weinkultur<br />
Auch bei ganz oberflächlicher Betrachtung erweist sich der Weinbau als ein immens euro–<br />
päisches Phänomen. Niemand wird das ernsthaft bezweifeln wollen, und so kann ich mir –<br />
von einigen wenigen Hinweisen abgesehen - ersparen, den exakten Nachweis zu führen. Die<br />
europäische Weinkultur hat vom Beginn ihrer Geschichtsschreibung an alle Anforderungen<br />
des klassischen Europakonzepts erfüllt: von den – zumindest jedenfalls – römischen<br />
Anfängen, der mühsam gesicherten Kontinuität der antiken Techniken im Mittelalter und der<br />
Bedeutung der Klöster bis zu den Auf- und Niedergängen im Europa der frühen Neuzeit und<br />
der Ausdifferenzierung der Weinkultur im Europa der Nationalstaaten.<br />
Aber selbst wenn man über den gewohnten christlich-abendländischen (als dem<br />
Europäischen synonymen) Tellerrand hinausblickt, erscheint die Frage nach dem Wein als<br />
eine Art Lackmustest der Voraussetzungen und Ordnungen des Kontinents. Wie Europa<br />
selbst nicht zu denken ist ohne sein orientalisches Gegenüber, so ist auch der europäische<br />
Weinbau nicht zu denken ohne seine Beziehung zu den das alte Europa überschreitenden<br />
1
Beziehungen in den Süden und Osten, zur arabischen Welt, zu den Kulturen des vorderen<br />
und mittleren Orients.<br />
Und die europäische Weinkultur selbst ist gleichermaßen von Gemeinsamkeiten und<br />
Unterschieden gezeichnet, sowohl im Raum als auch in der Zeit sind das geradezu paradoxe<br />
Gleichzeitigkeiten. Mit der Zeit beginnend, zeichnet sich die europäische Weinkultur in<br />
historischer Dimension einerseits durch eine große Kontinuität der Sorten, Techniken und<br />
Bedeutungen aus, andererseits durch eine die geschichtliche Entwicklung sensibel<br />
wiedergebende Dynamik. Um ein Beispiel zu nennen; Der Niedergang des Weinbaus in<br />
vielen europäischen Regionen während des 17. und 18. Jahrhunderts ist auch deswegen<br />
reversibel, weil das lokal verlorene Wissen im kommunikativen Austausch mit anderen<br />
Regionen wieder gewonnen werden kann. Ähnlich verhält es sich im Raum, die natürliche<br />
Vielgestaltigkeit ist das eine, wichtiger noch ist die politische und soziale Kleinräumigkeit, die<br />
eine Vielfalt generiert, die bis heute dafür sorgt, dass gerade aus Differenz so etwas wie<br />
Identität – also ein gemeinsames Selbstverständnis, aber auch eine nach außen<br />
wahrnehmbare Eigenart – entsteht.<br />
Europakritische Geister werden in diesen Ausführungen eine bloß affirmative Spiegelung der<br />
EU-Ideologie von „in pluribus unum“ (Einheit in der Vielfalt) vermuten. Ich möchte daran<br />
festhalten, wenn darunter nicht bloß eine Vielfalt im Sinne des Nebeneinanders verstanden<br />
wird, sondern auch eine Gestaltung des gemeinsamen Erfahrungsraumes durch die<br />
Beziehungen der räumlich, sozial und kulturell differenzierten Weinkulturen untereinander.<br />
Um für diesen Punkt ein letztes Beispiel anzuführen: An den Strukturen der Weinwirtschaft<br />
lässt sich vielerorts noch die Rolle der Klöster und des Adels in der frühen Neuzeit ablesen,<br />
während andernorts der Wein von den Geschmacksvorstellungen des emanzipierten<br />
Bürgertums infiltriert wurde.<br />
Kurz: In der Weinkultur einen Extrakt des Europäischen zu erkennen, heißt, nicht nur eine<br />
geradezu partikularistische Vielfalt anzuerkennen, sondern auch eine Aufmerksamkeit für die<br />
aus historischen und sozialen Beziehungen gewordene Differenz. Weinkultur ist also stets<br />
relational, sie ist weder in einem europäischen noch in einem regionalen Horizont für sich<br />
und isoliert zu denken.<br />
Dies führt uns zum zweiten Eckstein des Symposions.<br />
2. Viertel: Globalisierung<br />
Die Rede von der Globalisierung teilt mit anderen Epochenchiffren das Problem, dass<br />
angesichts der beobachteten fundamentalen Veränderungen in Kultur- und Gesellschaft<br />
frühere Formen und Phasen aus dem Blick geraten. Globalisierung ist also nicht etwas, was<br />
über uns gekommen ist, wie der Hagelschlag über den Weinberg, sondern ist ein Komplex<br />
von Neuformierungen der sozialen Welt, der sich seit langem abzeichnet und auch seine<br />
Vorgeschichte besitzt. Und sie ist vielleicht weniger ein Tatbestand als ein Wahrnehmungsmuster.<br />
Deswegen sprechen Historiker und Sozialwissenschafter heute auch von der<br />
2
„ersten“ und „zweiten Globalisierung“ (auch andere Zählungen existieren) und verweisen auf<br />
das Netz globaler politischer und wirtschaftlicher Beziehungen, das sich bereits im Zeitalter<br />
der Entdeckungen herauskristallisiert und in verschiedenen historischen Schüben entwickelt<br />
hat – freilich nicht ohne dabei vor allem die Qualität der Beziehungen zu verändern.<br />
Es spricht vieles dafür, zu behaupten, dass die europäische Weinkultur nicht erst heute ins<br />
Zeitalter der Globalisierung eingetreten ist. Der Blick zurück ins 19. Jahrhundert lehrt uns<br />
nämlich auch hier, dass die ganze Dynamik des Weinbaus zwischen Modernisierung,<br />
Gefährdung und Sicherung schon die globale Abhängigkeit zu Tage treten ließ. Nicht nur<br />
Reblaus und Mehltau waren Importprodukte der „ersten Globalisierung“, auch ihre<br />
Überwindung bedurfte des transatlantischen Austauschs: seither wächst auf dem<br />
europäischen Kontinent kein Wein mehr, der nicht eine amerikanische Unterlage besitzt,<br />
während weltweit ursprünglich europäische Pfropfreben zum Einsatz kommen und damit<br />
globale Geschmackskulturen begründen halfen.<br />
Aber auch die bis heute in ihren Strukturen wirksame Weinwirtschaft der modernen<br />
europäischen National- und Territorialstaaten zeigt, wie ‚entgrenzt‘ – wenn man so sagen<br />
darf – der Weinbau bereits im 19. Jahrhundert war. <strong>Baden</strong> und Württemberg als gubernial<br />
durchgestaltete Merkantilstaaten sind dafür hervorragende Beispiele. Auch wenn die<br />
Modernisierung des Weinbaus hier im staatlichen und regionalen Rahmen organisiert bleibt,<br />
geschieht sie doch nach einer Logik, hinter der man Ansätze einer frühen Globalisierung,<br />
zumindest aber Europäisierung erkennen kann. Sozietäten wie die „Gesellschaft für die<br />
Weinverbesserung in Württemberg“ (1828) traten damals in mehr oder weniger allen<br />
Weinbauregionen auf den Plan, staatliche Weinbauschulen – wie 1868 in Weinsberg – und<br />
Versuchsanstalten – wie in Karlsruhe und Freiburg – entstanden seit der Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
auch in den anderen weinbauenden Ländern Europas (etwa in den Kronländern<br />
Österreich-Ungarns, in Frankreich und im werdenden Italien). Im Großherzogtum und im<br />
Königreich war man wie anderswo auch bereits früh bemüht, das europäische Weinwissen<br />
zu vernetzen. Hunderte von Rebsorten wurden erfasst, geordnet und verglichen. Ein<br />
gemeinsamer Kommunikationsraum entstand, in dem Verbindendes und auch regionale<br />
Spezifika verhandelt wurden. Experten wie Johann Ph. Bronner bereisten deutsche und<br />
französische Weinbaugebiete, und die großen Önologen wie Adolph Blankenhorn standen<br />
ohnehin in Korrespondenz mit ihresgleichen an vergleichbaren Institutionen: Blankenhorns<br />
Kontakte reichten schon in den 1870er Jahren bis nach Kalifornien, Australien, Südafrika und<br />
Palästina.<br />
Europäische und globale Netzwerke halfen also einerseits den Weinbau in Südwestdeutschland<br />
zu retten und zu modernisieren, andererseits wissen wir heute, dass die Neuordnung<br />
der europäischen Weinlandschaften im Zeitalter der Nationalstaaten auch eine Folge früher<br />
Globalisierung ist. Die Aufgabe des Weinbaus in vielen mitteleuropäischen Regionen um und<br />
nach 1870 ist mindestens ebenso von der Errichtung eines europäischen Eisenbahnnetzes<br />
und dem Zusammenrücken der Märkte bestimmt wie von der oft als Ursache kolportierten<br />
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Reblaus. Der damit verbundene Konkurrenz- und Modernisierungsdruck bedeutete vielerorts<br />
zumindest den Anfang vom Ende der alten Autarkiewirtschaft.<br />
3. Viertel: Regionalisierung<br />
Die Plädoyers für mehr Regionalität im Weinbau wollen manchmal von all diesen<br />
Zusammenhängen wenig wissen und versuchen stattdessen, regionale Weinkultur als<br />
probates Mittel gegen die Globalisierung in Anschlag zu bringen. Damit soll diesen<br />
Versuchen nicht ihre Legitimität entzogen werden, sondern sie sollen im Gegenteil eine<br />
solide Basis erhalten, die nicht von falschen und oft naiven Annahmen ausgeht. Als<br />
Kulturwissenschafter muss ich hier für eine Perspektive plädieren, in der Regionalisierung<br />
nicht allein als Gegenbewegung zur Globalisierung verstanden wird, sondern auch als ihr<br />
Effekt und Motor. Anders gesagt: Globalisierung (man könnte auch variieren:<br />
Europäisierung) hat stets zugleich homogenisierende und heterogenisierende Tendenzen.<br />
Wie durch sie einerseits die Welt „kleiner“ wird, erscheint diese andererseits als „größer“,<br />
„pluraler“ und „unübersichtlicher“ als je zuvor. Die Ausweisung regionaler Spezifika nach<br />
einer überregionalen Logik ist ein Aspekt davon.<br />
Die Begeisterung für das Terroir, die Vorstellung regionaler Geschmackskulturen, ist also ein<br />
hochgradig modernes Phänomen. Erst mit der rasant gestiegenen Verfügbarkeit der Güter<br />
ist Herkunft zu jenem Kriterium geworden, das es heute darstellt. Bewusst überzeichnend<br />
formuliert: In einer weitgehend überschaubaren Welt bleiben die Weine und Speisen der<br />
Regionen unbefragte Güter, den Ortszusatz brauchen sie erst, als diese Regionen in einen<br />
wirtschaftlichen und kulturellen Austausch miteinander eintreten.<br />
Freilich, bereits in einer Zeit, in der man sich in vielen Landschaften noch mit im offenen<br />
Holzbottich vergorenen Weinen begnügte, hat man bereits Wein en masse über die Alpen<br />
gebracht, und freilich ist das Bordeaux gleich gar nicht zu denken ohne seinen englischen<br />
Hintergrund, aber der Großteil der Märkte blieb dennoch lange beschränkt.<br />
Je näher diese zusammenrücken, umso wichtiger wird das Wissen um die Herkunft, umso<br />
mehr wird die generische Qualität zum Thema – und zum Problemfeld. Kein Wunder also,<br />
dass mit die ersten internationalen Bemühungen zur Sicherung des geistigen Eigentums<br />
geographische Herkunftsangaben betreffen. Das macht deutlich, wie sehr all dies, was uns<br />
heute gerne als autochthone Eigenart vorgeführt wird, ein Produkt historischer und<br />
gegenwärtiger Agrar- bzw. Weinbauregimes ist. Oder anders gewendet: Terroir bewegt sich<br />
nicht nur im Dreieck von Natur, Kultur und Reglement, sondern beinhaltet stets auch einen<br />
guten Anteil an Imagination. Regionen sind im Weinbau so wenig wie in anderen Feldern der<br />
sozialen Welt gegebene Ordnungen, ihre Konturen und ihre – auch geschmacklichen –<br />
Konnotate sind historisch geworden, mittelbar und erzählt.<br />
„Region also nur ein Konstrukt?“, werden Sie fragen, und: „Terroir nicht mehr ein<br />
Marketinggag einer unter globalen Druck geratenen Weinwirtschaft?“ Im Gegenteil, die<br />
Betonung liegt nicht in der Schmälerung durch das „nur“, sondern in der Perspektive, die sich<br />
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durch die menschliche Konstruktionsleistung ergibt. Auch wenn man aus kulturwissenschaftlicher<br />
Warte konstatieren muss, dass das dabei in Anschlag gebrachte Konzept einer<br />
in Raum und Tradition aufgehobenen Kultur nicht unserem analytischen Begriff entspricht, ist<br />
das Potential einer erzählten und erfahrbar gemachten Region kaum zu überschätzen.<br />
Sie wissen, dass ich (vom Akademischen abgesehen) weitgehend austriakisch sozialisiert<br />
bin, und wer in Österreich schon einmal drei Viertel getrunken hat, der weiß auch, dass<br />
damit selten Schluss ist – daher kann und will ich Ihnen ein abschließendes Flucht- oder<br />
Reiseachtel („the one for the road“) nicht vorenthalten.<br />
7. Achtel: Wünsche an die Praxis<br />
Dieses Symposion hat ein hochgestecktes Ziel. Es will (nicht uneigennützig für die<br />
Positionierung des Landes <strong>Baden</strong>-Württemberg) die Chancen von Regionalität in den sich<br />
globalisierenden Märkten der Gegenwart befragen. Die Chancen sind großartige! Aber sie<br />
sind – wenn ich hier eine Empfehlung aussprechen darf, die mehr einem Wunsch gleicht –<br />
umso größer, je reflektierter und aufrichtiger man an die Sache herangeht. Von einer<br />
mystischen Regionalität bekommt man rasch genug, von einer gut vermittelten<br />
Auseinandersetzung mit ihren Voraussetzungen und Interpretationen nimmt man gerne<br />
etwas mehr. „Reinen Wein einschenken!“, bleibt also auch hier die Devise.<br />
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!<br />
CV<br />
<strong>Bernhard</strong> <strong>Tschofen</strong><br />
Professor für Empirische Kulturwissenschaft und derzeit Direktor des Ludwig-Uhland-Instituts<br />
der Universität Tübingen<br />
geb. 1966, 1984–1992 Studium der Empirischen Kulturwissenschaft/Volkskunde und Kunstgeschichte<br />
in Innsbruck und Tübingen, nach Museums- und Ausstellungstätigkeit ab 1995<br />
Universitätsassistent, ab 2001 außerordentlicher Professor am Institut für Europäische<br />
Ethnologie der Universität Wien. Forschungs- und Lehrschwerpunkte: Regionale<br />
Ethnographie, Symbol-, Stadt- und Bergforschung (Tourismus / Alpinismus), Volks- und<br />
Alltagskulturen / Repräsentationen (Nahrung, Kleidung), Wissenskulturen, Museologie.<br />
Anschrift<br />
Prof. Dr. <strong>Bernhard</strong> <strong>Tschofen</strong><br />
Universität Tübingen<br />
Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft<br />
Burgsteige 11 (Schloss)<br />
D-72070 Tübingen<br />
Tel.: +49/7071/2972375, Sekr. 2974886<br />
Fax: +49/7071/295330<br />
E-Mail: bernhard.tschofen@uni-tuebingen.de<br />
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