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Richtlinien und Verfahrenshinweise zur Anwendung von ...

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Nur für ai-Mitglieder ai-Index: POL 34/009/2006<br />

---------------------------------------<br />

Amnesty International<br />

International Secretariat<br />

Peter Benenson House<br />

1 Easton Street<br />

London WC1X 0DW<br />

Großbritannien<br />

an: alle Sektionen <strong>und</strong> Strukturen<br />

<strong>von</strong>: Internationales Exekutivkomitee (IEC)<br />

Datum: 26. September 2006<br />

<strong>Richtlinien</strong> <strong>und</strong> <strong>Verfahrenshinweise</strong> <strong>zur</strong> <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong><br />

Waffengewalt <strong>und</strong> zu militärischer Intervention<br />

Zusammenfassung<br />

Diese <strong>Richtlinien</strong> dienen dem Zweck, das Internationale Exekutivkomitee bei der <strong>Anwendung</strong> der Entscheidung 2 der<br />

Internationalen Ratstagung 2005 zu unterstützen. Diese Entscheidung besagt, dass amnesty international, während sie<br />

generell keine Position zu einzelnen militärischen Interventionen oder anderen Formen bewaffneten Konflikts<br />

einnimmt, sich unter außergewöhnlichen Umständen für eine Position <strong>zur</strong> <strong>Anwendung</strong> militärischer Gewalt<br />

entscheiden kann.<br />

Verteilung<br />

Dies ist ein internes R<strong>und</strong>schreiben <strong>zur</strong> Verteilung an alle Sektionen <strong>und</strong> Strukturen.<br />

Empfohlene Maßnahmen<br />

Bitte verbreitet dieses Dokument zu Information an diejenigen in eurer Sektion oder Struktur, die sich verantwortlich<br />

mit Politikfragen befassen, die öffentliche Stellungnahmen <strong>und</strong>/oder Kampagnenmaterialien mit Bezug zu ai-Aktivitäten<br />

in bewaffneten Konflikten erstellen.<br />

[Übersetzung <strong>von</strong> Martin Roger, Gruppe 1166 Hannover, m.roger@htp-tel.de;<br />

Hinweise <strong>zur</strong> Übersetzung sind in eckige Klammern gesetzt.]


<strong>Richtlinien</strong> <strong>und</strong> <strong>Verfahrenshinweise</strong> <strong>zur</strong> <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong><br />

Waffengewalt <strong>und</strong> zu militärischer Intervention<br />

1 Einleitung<br />

Die Internationale Ratstagung (ICM) 2005 hat einen umfassenden Beschluss zum Schutz der Menschenrechte durch<br />

Verhinderung bewaffneter Konflikte, Intervention <strong>und</strong> Verurteilung <strong>von</strong> Gewaltanwendung angenommen. In dem<br />

Beschluss bestätigt ai, dass friedliche Konfliktlösung unabdingbar für die Verwirklichung der Menschenrechte ist, <strong>und</strong><br />

dass bewaffnete Konflikte unweigerlich Menschenrechtsverletzungen erzeugen. Der Beschluss beschreibt eine große<br />

Bandbreite <strong>von</strong> Schritten, die ai unternehmen kann, um die Arbeit <strong>zur</strong> Vorbeugung bewaffneter Konflikte <strong>und</strong> <strong>zur</strong><br />

Konfliktlösung auszubauen. Der Beschluss begründet dann eine neue ai-Politik zu militärischer Gewalt wie folgt 1 :<br />

Gr<strong>und</strong>satzposition [general position]<br />

amnesty international ist eine unabhängige <strong>und</strong> unparteiische Menschenrechtsorganisation, die gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

keine Stellung dazu bezieht, ob eine bestimmte Militärintervention oder andere Formen bewaffneten Konflikts<br />

wünschenswert oder sonst zu bewerten ist, mit Ausnahme der Forderung, dass alle Beteiligten die internationalen<br />

Menschenrechte <strong>und</strong> das humanitäre Völkerrecht beachten müssen.<br />

Ausnahmeposition [exceptional position]<br />

Unter Ausnahmebedingungen kann amnesty international unter vollständiger Berücksichtigung der eigenen<br />

Länderstrategien, des Engagements für die Menschenrechte der Frau <strong>und</strong> anderer maßgeblicher Erwägungen:<br />

• sich gegen die <strong>Anwendung</strong> oder Androhung einer militärischen Intervention aussprechen, die in besonderer<br />

Weise erwarten lässt, dass sie zu einer Ausweitung <strong>von</strong> Menschenrechtsverletzungen führt;<br />

• zu Waffenstillständen aufrufen oder sie unterstützen oder die Konfliktparteien zu Verhandlungen drängen;<br />

• <strong>zur</strong> <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Waffengewalt aufrufen (Streitkräfte oder Polizeikräfte [military or law-enforcement<br />

forces] eingeschlossen), um drohende oder bereits stattfindende verbreitete <strong>und</strong> schwere Verletzungen der<br />

internationalen Menschenrechte <strong>und</strong> des humanitären Völkerrechts (wie Völkermord, Verbrechen gegen die<br />

Menschheit[/Menschlichkeit] <strong>und</strong> Kriegsverbrechen) abzumildern, zu verhindern oder zu beenden, auch<br />

wenn eine solche Situation aktuell droht, <strong>und</strong> zwar unter folgenden Voraussetzungen:<br />

(a) Der Einsatz steht in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht.<br />

(b) Der Einsatz verfügt über ein Mandat <strong>zur</strong> <strong>Anwendung</strong> notwendiger <strong>und</strong> angemessener Gewaltanwendung<br />

[proportionate force], um Menschenrechte zu wahren.<br />

(c) Solche Aufrufe bleiben auf die Ausführung oder Erweiterung <strong>von</strong> Blauhelm- [UN peacekeeping] oder<br />

gleichartigen Operationen beschränkt.<br />

Auch nach einem solchen Aufruf wird ai in der erforderlichen Weise weiter die Durchführung derartiger Operationen<br />

kritisieren, wenn sie internationalen Menschenrechten oder humanitärem Völkerrecht nicht genügen.<br />

Die Entscheidung forderte außerdem das Internationale Exekutivkomitee (IEC) auf, „detaillierte <strong>Richtlinien</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Verfahrenshinweise</strong> zu Situationen zu entwerfen, in denen solche Aufrufe getätigt werden, <strong>und</strong> die <strong>Richtlinien</strong> nach<br />

Beratung mit dem nächsten Chairs Forum fertigzustellen.“ Auf Bitten des IEC hat das Internationale Politik-Komitee<br />

(ICP) einen Entwurf der <strong>Richtlinien</strong> 2 vorbereitet, der dann allen Sektionen <strong>und</strong> Strukturen <strong>zur</strong> Kommentierung<br />

weitergeleitet wurde, <strong>und</strong> kurz danach hat das IEC seinen Entwurf für <strong>Verfahrenshinweise</strong> 3 <strong>zur</strong> Ergänzung dieser<br />

<strong>Richtlinien</strong> versandt.<br />

Eine detaillierte Diskussion der Entwürfe für die <strong>Richtlinien</strong> <strong>und</strong> die <strong>Verfahrenshinweise</strong> fand auf dem Chairs Forum<br />

(29. Juni - 2. Juli 2006) statt, was die die schriftlichen Antworten <strong>von</strong> 22 Sektionen <strong>und</strong> Strukturen 4 ergänzte.<br />

Insgesamt haben die Mitglieder des Chairs Forum positiv auf die <strong>Richtlinien</strong> <strong>und</strong> <strong>Verfahrenshinweise</strong> reagiert. Dabei<br />

1 siehe Entscheidung 2 der Internationalen Ratstagung (ICM) 2005<br />

2 Entwurf <strong>von</strong> <strong>Richtlinien</strong> zum Einsatz <strong>von</strong> Waffengewalt <strong>und</strong> Militärintervention (POL 34/002/2006)<br />

3 Entwurf <strong>von</strong> <strong>Verfahrenshinweise</strong>n für die Entscheidungsfindung zum Einsatz <strong>von</strong> Waffengewalt <strong>und</strong> Militärintervention<br />

(POL 34/003/2006)<br />

4 Der volle Text aller Antworten ist verfügbar bei Section responses to UoF consultation (ICP 2006-11).


zeigten die meisten Sektionen breite Zustimmung zu den vorgeschlagenen Entwürfen, obwohl einige nach wie vor<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich ablehnen, dass ai jemals <strong>zur</strong> <strong>Anwendung</strong> militärischer Gewalt aufruft, um Menschenrechte zu verteidigen.<br />

Es gab Forderungen nach genaueren Definitionen, <strong>und</strong> die <strong>Richtlinien</strong>-Teile <strong>zur</strong> Entscheidungsfindung wurden<br />

um einige Argumente erweitert. Das IEC leitete dem ICP die Entwürfe der <strong>Richtlinien</strong> <strong>und</strong> <strong>Verfahrenshinweise</strong> <strong>zur</strong><br />

Überarbeitung zu. In seiner Sitzung im Juli 2006 hat das ICP die Empfehlungen der Sektionen <strong>und</strong> Strukturen<br />

zusammen mit den Rücksprachen auf dem Chairs Forum beraten <strong>und</strong> dem IEC die überarbeiteten Papiere <strong>zur</strong><br />

Beschlussfassung vorgelegt. Diese wurden vom IEC bei seinem Treffen im September 2006 weiter diskutiert, <strong>und</strong> die<br />

Anhänge I <strong>und</strong> II des vorliegenden Dokuments enthalten nun die vom IEC beschlossenen Endfassungen der<br />

<strong>Richtlinien</strong> bzw. der <strong>Verfahrenshinweise</strong>.<br />

2 Der Kontext der <strong>Richtlinien</strong><br />

Diese <strong>Richtlinien</strong> dienen dem Zweck, das Internationale Exekutivkomitee bei der <strong>Anwendung</strong> der Entscheidung 2 der<br />

Internationalen Ratstagung 2005 zu unterstützen. Sie erläutern die Umstände, in denen das IEC entscheiden kann, dass<br />

ai eine Position zum Einsatz militärischer Gewalt einnimmt, aber sie verpflichten das IEC nicht dazu eine solche<br />

Position einzunehmen.<br />

2.1 Die Philosophie hinter den <strong>Richtlinien</strong><br />

Beim Beschluss über diese <strong>Richtlinien</strong> war sich das IEC insbesondere zweier gr<strong>und</strong>legender Gedankengänge bewusst.<br />

Erstens sind präzise <strong>Richtlinien</strong> zu diesem Thema nicht möglich: Versuche, einen höheren Grad an Präzision <strong>und</strong><br />

Detaillierung einzubringen, als dieses Dokument enthält, würde unausweichlich zu <strong>Richtlinien</strong> führen, die zu rigide<br />

sind, um mit ihnen zu arbeiten. Und es gibt einen zweiten <strong>und</strong> verwandten Aspekt. Das IEC ist der Ansicht, dass<br />

dieses Thema zwar unzweifelhaft gr<strong>und</strong>legende moralische Fragen aufwirft, dass dies aber keine Fragen sind, die ai<br />

auf einer abstrakten Ebene beantworten kann oder muss: eine ai-Stellungnahme für den Einsatz <strong>von</strong> Waffengewalt<br />

oder gegen militärische Intervention wird die Ausnahme sein, <strong>und</strong> es erscheint uns nicht hilfreich, weiterhin<br />

beträchtliche Zeit <strong>und</strong> Energie darauf zu verwenden, Kriterien zu debattieren.<br />

2.2 Führung <strong>und</strong> Klarheit<br />

Die Frage, ob ai sich gegen Militärinterventionen aussprechen sollte oder auch für Militärgewalt, wenn es darum geht,<br />

schwere <strong>und</strong> verbreitete Menschenrechtsverletzungen zu verhindern oder zu beenden, war Gegenstand einer<br />

intensiven <strong>und</strong> langatmigen Debatte innerhalb der Bewegung. Es ist klar, <strong>und</strong> Entscheidung 2 lässt daran keinen<br />

Zweifel, dass die ai-Mitgliedschaft in der Frage der Militärgewalt tief verunsichert [ambivalent] ist. Diese <strong>Richtlinien</strong><br />

versuchen deshalb zwei Geboten gleichzeitig Rechnung zu tragen: Raum zu schaffen für eine sinnvolle <strong>Anwendung</strong><br />

auf tatsächliche Fälle, <strong>und</strong> ausreichende Klarheit zu schaffen um der ai-Mitgliedschaft die Sicherheit zu geben, dass<br />

bei dieser <strong>Anwendung</strong> alle maßgeblichen Folgen des Tätigwerdens oder Nicht-Tätigwerdens sorgfältig bedacht<br />

werden.<br />

Schon im R<strong>und</strong>schreiben 13 <strong>zur</strong> Internationalen Ratstagung 2005 (POL 34/002/2005) wurde angemerkt:<br />

Es sollte betont werden, dass jegliche Kriterien (für die <strong>Anwendung</strong> der Ausnahmeposition) mit Vorsicht<br />

zu behandeln sind - es wird immer Raum für begründete Meinungsverschiedenheiten zwischen vernünftigen<br />

Menschen geben, was die Interpretation <strong>von</strong> Schwellenwerten für das Tätigwerden <strong>von</strong> ai angeht;<br />

manche wichtigen Kriterien werden unweigerlich höchst subjektiv sein; <strong>und</strong> die Antworten auf zentrale<br />

Fragen werden <strong>von</strong> Tatsachen in Situationen abhängen, in denen möglicherweise Tatsachen kaum über<br />

begründete Zweifel erhaben festgestellt werden können. Daher sind Kriterien wie die folgenden eher als<br />

Faktoren anzusehen, die in Betracht gezogen werden sollten, wenn ai nach Einschätzung der tatsächlichen<br />

<strong>und</strong> politischen Lage zu einer Entscheidung kommt, <strong>und</strong> weniger als starre Standards, die objektiv<br />

gemessen werden müssten. Zum Beispiel können sich die Meinungen über die Legitimität (als Gegenstück<br />

<strong>zur</strong> Legalität) einer Militäraktion ohne Weiteres stark unterscheiden.<br />

Diese <strong>Richtlinien</strong> sind daher vorgesehen, den Entscheidungsprozess zu unterstützen <strong>und</strong> sind nicht starre Regeln, die<br />

automatisch angewandt werden können, um eine Antwort auf die Frage hervorzubringen, unter welchen Umständen ai<br />

sich zum Einsatz militärischer Gewalt positionieren sollte.


2.3 Ausgleich <strong>von</strong> Spannungen<br />

Entscheidung 2 enthält zwei Spannungsbögen. Begründet sind sie, wie bereits angemerkt, in den weit auseinander<br />

gehenden Ansichten der ai-Mitgliedschaft darüber, wie weit es Sinn macht, auf Militärgewalt <strong>zur</strong>ückzugreifen. Bei<br />

der <strong>Anwendung</strong> dieser <strong>Richtlinien</strong> muss sich das IEC unweigerlich offensiv mit diesen Spannungen auseinander<br />

setzen [confront these tensions].<br />

Erstens, <strong>und</strong> weiter unten ausführlicher beschrieben, besagt die Entscheidung, dass ai nicht zu einem „Krieg für<br />

Menschenrechte“ aufrufen sollte, selbst wenn das Ziel sein kann, schwere <strong>und</strong> verbreitete Menschenrechtsverstöße zu<br />

beenden, die durch schwer bewaffnete Gruppen ausgeführt werden. Zweitens macht die Diskussion der humanitären<br />

Intervention weiter unten in Absatz 4.3 deutlich, dass es für ai schwierig ist, gleichzeitig für offene Kriterien für<br />

solche Interventionen zu plädieren, wenn sie die Sache der Menschenrechte voranbringen, <strong>und</strong> für enge Kriterien,<br />

wenn festzustellen ist, dass Staaten vorgeschobene Argumente für humanitäre Interventionen vorbringen.<br />

Im Fall der Unterstützung des Einsatzes <strong>von</strong> Waffengewalt liegt für ai das Risiko darin, dass es dann schwieriger sein<br />

kann, ihn im anderen Fall abzulehnen. Zum Beispiel haben einige Kommentatoren die US-geführte Invasion des Irak<br />

mit Argumenten der humanitären Intervention gerechtfertigt. Wenn dies auch das Völkerrecht in unzulässiger Weise<br />

strapazierte, traf es dennoch zu, dass schwere <strong>und</strong> verbreitete Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit<br />

stattgef<strong>und</strong>en hatten <strong>und</strong> sich weitere <strong>zur</strong> Zeit der Intervention zutrugen, <strong>und</strong> es war unmöglich vorherzusagen (in<br />

diesen frühen Phasen), dass aus dieser Intervention eine bedenkliche [grave] Menschenrechtslage entstehen würde.<br />

Bei der Umsetzung dieser <strong>Richtlinien</strong> wird das IEC daher im Auge behalten müssen, dass einerseits selbst die Einsätze<br />

<strong>von</strong> Waffengewalt mit den besten Vorsätzen unvorhergesehene <strong>und</strong> unerwünschte Ergebnisse nach sich ziehen.<br />

Andererseits könnte es sehr schwierig sein, die Militärintervention gegen Regierungen mit einer langen Liste <strong>von</strong><br />

schweren <strong>und</strong> massiven Menschenrechtsverletzungen [human rights interventions, gemeint ist wohl: abuses] auf der<br />

Gr<strong>und</strong>lage <strong>von</strong> Menschenrechtsargumenten zu verurteilen. Diese beiden Gesichtspunkte werden wohl sicherstellen,<br />

dass ai nur in Ausnahmefällen eine ausdrückliche Position zu Militärinterventionen einnimmt.<br />

2.4 Asymmetrie in den <strong>Richtlinien</strong><br />

Weiterhin bemerkenswert ist die Asymmetrie zwischen Aufrufen zum Einsatz militärischer Gewalt <strong>und</strong> gegen<br />

militärische Intervention in dem ICM-Beschluss. Der Beschluss legt drei verbindliche Kriterien fest, die anzuwenden<br />

sind, wenn ai sich für den Einsatz militärischer Gewalt ausspricht, wohingegen sie nur ein Kriterium für die<br />

Ablehnung militärischer Intervention durch ai festlegt, nämlich die Wahrscheinlichkeit einer Zunahme an Menschenrechtsverletzungen.<br />

Dieser Unterschied spiegelt sich in den <strong>Richtlinien</strong> wider, die sowohl verbindliche als auch als<br />

Ratschlag gedachte Erwägungen beinhalten. Zusätzlich unterscheiden sich die Arten militärischer Gewalt, für oder<br />

gegen die sich ai aussprechen kann, geringfügig: ai kann sich für den Einsatz einer UN-autorisierten Truppe auf<br />

Einladung einer Regierung aussprechen, sie kann jedoch einen solchen Einsatz nicht ablehnen. Diese <strong>Richtlinien</strong> sind<br />

bestrebt, für jedes Szenario Mittel zum Umgang mit den Lücken <strong>und</strong> den möglichen Einsprüchen bereitzustellen.<br />

2.5 Einnahme einer Ausnahmeposition<br />

Die <strong>Anwendung</strong> militärischer Gewalt führt fast unvermeidlich zu Menschenrechtsverletzungen. In der Tat lässt sich<br />

nur schwer eine Militärintervention vorstellen, die nicht direkt oder indirekt zu einigen Menschenrechtsverletzungen<br />

führt. Vor diesem Hintergr<strong>und</strong> hat ai bestimmt, dass eine Position gegen Militärintervention oder für den Einsatz<br />

militärischer Gewalt nur im Ausnahmefall eingenommen werden kann. In der Wirklichkeit gibt es nur extrem selten<br />

Situationen schwerer <strong>und</strong> verbreiteter Menschenrechtsverletzungen, in denen Waffengewalt mit einer vernünftigen<br />

Aussicht auf Erfolg zu deren Verringerung führt, in denen gleichzeitig Interventionskräfte verfügbar sind, <strong>und</strong> in<br />

denen diese Kräfte außerdem die hohen Standards an Legitimität <strong>und</strong> Kontrolle aufweisen, die das Völkerrecht<br />

erfordert. Diese Wirklichkeit stellt sicher, dass ai nur in Ausnahmefällen tätig wird. Das Ausmaß, in dem die in den<br />

<strong>Richtlinien</strong> enthaltenen Kriterien klar <strong>und</strong> unzweideutig erfüllt werden, entscheidet darüber, ob ai sich in einem<br />

Einzelfall positioniert.<br />

Ob es um eine Stellungnahme gegen Militärintervention oder für Waffengewalt geht, das IEC wird die Beratung mit<br />

dem Chairs Forum gestaffelt durchführen. Kontroverse Fälle werden ein Höchstmaß an Beratung haben, soweit dies<br />

unter den gegebenen Umständen machbar ist, <strong>und</strong> umgekehrt werden Fälle, die wenig oder keinen Anlass zu<br />

gegensätzlichen Äußerungen bieten, bedeutend weniger oder gar keine Einlassung in eine Beratung erfordern.<br />

Wenn sich das IEC in solche Beratungen einlässt, folgt es, wie in Absatz 6 beschrieben, dem in Anhang II dargestellten<br />

Verfahren.


3 Geltungsbereich der <strong>Richtlinien</strong><br />

In vergangenen Debatten gab es Verwirrung über die Arten <strong>von</strong> Waffengewalt, die unter dem Begriff „use of force“ zu<br />

beraten <strong>und</strong> zu diskutieren sind. Bei der Betrachtung dieser <strong>Richtlinien</strong> sollte Folgendes im Auge behalten werden.<br />

3.1 Verhältnis der <strong>Richtlinien</strong> zu bestehenden ai-Gr<strong>und</strong>sätzen [policies]<br />

ai hat bereits umfassende Gr<strong>und</strong>sätze zu Menschenrechten <strong>und</strong> bewaffneten Konflikten. Diese Gr<strong>und</strong>sätze, insbesondere<br />

die nachfolgend aufgeführten, werden durch die neue „Ausnahme-Position“ nicht direkt berührt.<br />

• ICM-Entscheidung 2 berührt nicht die für ai seit langem bestehende Handlungsmöglichkeit, gegebenenfalls die<br />

Durchführung militärischer Einsätze zu kritisieren, wenn sie hinter internationalen Standards der Menschenrechte<br />

oder des humanitären Völkerrechts <strong>zur</strong>ückbleiben. Unabhängig da<strong>von</strong>, ob ai in einem Konflikt die <strong>Anwendung</strong><br />

militärischer Gewalt unterstützt, sie ablehnt oder keine Position bezieht, wird ai weiterhin alle Parteien bewaffneter<br />

Konflikte an den anzuwendenden Standards messen.<br />

• ICM-Entscheidung 2 berührt außerdem nicht die für ai seit Langem bestehende Handlungsmöglichkeit, Staaten<br />

dazu auf<strong>zur</strong>ufen, auch geeignete Zwangsmaßnahmen zu ergreifen, soweit nötig unter Einschluss der Sicherheitskräfte,<br />

um die Menschenrechte derer zu wahren, die in ihrem Gebiet leben. ai kann Staaten dazu aufrufen,<br />

eine Reihe <strong>von</strong> Maßnahmen zu ergreifen, um dieses Ziel zu erreichen. Bei gewalttätigen Auseinandersetzungen<br />

auf kommunaler Ebene oder zwischen Volks- oder Religionsgruppen kann ai beispielsweise den Staat aufrufen,<br />

seine Verpflichtung zum Schutz aller Beteiligter ohne Diskriminierung zu erfüllen <strong>und</strong> dazu wenn nötig auch<br />

seine Sicherheitskräfte einzusetzen. 5<br />

Nichtsdestoweniger könnte die Einnahme einer Position <strong>zur</strong> <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Waffengewalt die Bandbreite der<br />

Anliegen im Bereich des humanitären Völkerrechts erweitern, die ai in einer gegebenen Situation vorbringen kann.<br />

Wenn ai etwa einen Blauhelm-Einsatz [peacekeepers] unterstützt, wäre denkbar, dies damit zu verbinden, Angriffe auf<br />

sie zu verurteilen. Wenn im umgekehrten Fall ai eine als unrechtmäßig angesehene Intervention ablehnt, könnten eher<br />

alle Tötungen abgelehnt werden, die sich aus der Intervention ergeben, als nur diejenigen, die Regeln des humanitären<br />

Völkerrechts verletzen.<br />

3.2 Zwei Typen der Ausnahmeposition<br />

Die Entscheidung gibt ai jedoch die Möglichkeit in zwei Typen <strong>von</strong> Situationen dazu - unter Ausnahmebedingungen -<br />

eine Position zum Rückgriff auf militärische Gewalt einzunehmen.<br />

(a) ai kann nun militärische Interventionen ablehnen, ohne Rücksicht auf die Motive des intervenierenden Staates.<br />

Der Gebrauch des Begriffs „Intervention“ bedeutet, dass der Gr<strong>und</strong>satz [policy] nur auf Situationen anzuwenden<br />

ist, in denen es über internationale Grenzen hinweg zu militärischer Gewaltanwendung kommt <strong>und</strong> wo die<br />

maßgebliche de-jure- oder de-facto-Autorität ablehnt, dass die Interventionskräfte in ihr Hoheitsgebiet kommen,<br />

d.h. wo ein gewaltsames Eindringen in ein Gebiet 6 gegen die Wünsche des Staates oder der betreffenden<br />

Machthaber 7 vorliegt. Interventionen sollten so verstanden werden, dass sie Fälle einschließen, in denen eine<br />

Marionettenregierung ausländische Kräfte einlädt.<br />

Eine „Intervention“ liegt nur dann vor, wenn Truppen eine internationale Grenze überqueren (zu Land, zu Wasser<br />

oder in der Luft). Diese <strong>Richtlinien</strong> sind daher nicht anwendbar auf innere bewaffnete Auseinandersetzungen, in<br />

die keine ausländischen Truppen verwickelt sind, denn diese Situationen fallen nicht unter die Bestimmungen des<br />

allgemeinen Völkerrechts [general public international law].<br />

Etwa zwei Drittel der schätzungsweise 30 bewaffneten Konflikte in der heutigen Welt sind interne Konflikte.<br />

ICM-Entscheidung 2 bezieht sich mit Bedacht auf militärische Interventionen, da der ICM eine Situation<br />

vermeiden wollte, in der ai entweder unter entsprechendem äußeren Druck in vielen dieser internen Konflikte in<br />

der Frage der <strong>Anwendung</strong> militärischer Gewalt „Partei ergreift“ oder viel Zeit damit verbringt zu erklären, warum<br />

5 siehe Indien: Gleicher Schutz muss für alle Bürger gewährleistet sein (ASA 20/002/2002) <strong>und</strong> Indonesien: Menschenrechte im<br />

Ausnahmezustand auf den Molukken wahren (ASA 21/027/2000) [Dokumente nur in Englisch verfügbar]<br />

6 Die Entscheidung eines souveränen Staates, militärische Gewalt in seinem Hoheitsgebiet anzuwenden, ist keine Intervention. Das<br />

trifft zu, wenn der Staat seine eigenen Truppen nutzt, <strong>und</strong> ebenso, wenn er die anderer Staaten einlädt. Solche Entscheidungen fallen<br />

nicht unter das allgemeine Völkerrecht, das sich mit Gewaltanwendung befasst, selbst wenn die Durchführung solcher Einsätze<br />

selbstverständlich den Anforderungen der Menschenrechte <strong>und</strong> des humanitären Völkerrechts unterliegt.<br />

7 In manchen Fällen kann die Identifizierung der maßgeblichen Machthaber Schwierigkeiten bereiten.


es keine ai-Position gibt. Diese Situationen unterliegen natürlich den Regeln der internationalen Menschenrechte<br />

<strong>und</strong> des humanitären Völkerrechts [international humanitarian law] <strong>und</strong> werden wie oben beschrieben <strong>von</strong> bestehenden<br />

ai-Arbeitsfeldern abgedeckt.<br />

Deshalb bedeutet Entscheidung 2, dass AI sich nur gegen die grenzüberschreitende <strong>Anwendung</strong> militärischer<br />

Gewalt aussprechen kann; das heißt, dass sie gegen die Wünsche des betroffenen Staates eingesetzt wird.<br />

Beispielsweise kann ai sich nicht dagegen aussprechen, dass ein Staat sein Militär einsetzt, um einen Aufstand<br />

niederzuschlagen, obwohl ai in diesen Fällen natürlich den Verlauf dieser Operationen in der bereits beschriebenen<br />

Weise kritisieren kann.<br />

(b) ai kann sich nun für die <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Waffengewalt aussprechen, wenn sie in Übereinstimmung mit dem<br />

Völkerrecht steht 8 . Die Übereinstimmung mit dem Völkerrecht kann entstehen, indem ein Staat Truppen eines<br />

anderen Staates einlädt, oder durch eine ausdrückliche Ermächtigung des UN-Sicherheitsrats oder durch<br />

Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung 9 . Einige Kommentatoren vertreten auch die Ansicht, dass die Übereinstimmung<br />

mit dem Völkerrecht durch eine humanitäre Intervention entstehen kann, die auf der Doktrin der<br />

Schutzverantwortung [responsibility to protect] beruht (siehe Absatz 4.4).<br />

3.3 Waffenstillstände <strong>und</strong> Verhandlungslösungen<br />

Es gibt gute Gründe, Verhandlungslösungen bewaffneter Konflikte zu unterstützen, denn nicht zuletzt zeigt die<br />

Erfahrung, dass Verhandlungen in irgendeiner Form fast immer <strong>von</strong>nöten sind, um Bürgerkriege zu beenden, die ja die<br />

überwältigende Mehrheit bewaffneter Konflikte darstellen. Die Begriffe Waffenstillstände <strong>und</strong> Verhandlungen<br />

bezeichnen weder dieselben noch notwendigerweise direkt zusammenhängende Inhalte; Verhandlungen finden oft<br />

ohne Waffenstillstand statt, <strong>und</strong> viele Waffenstillstände werden eingehalten, ohne dass irgendwelche Verhandlungen<br />

stattfinden. Darüber hinaus können Waffenstillstandsforderungen so interpretiert werden, dass sie einer Seite einen<br />

militärischen Vorteil geben, <strong>und</strong> geben daher eher Anlass zu kontroversen Einschätzungen als Forderungen nach<br />

Verhandlungen.<br />

Entscheidung 2 stellt klar, dass die Unterstützung <strong>von</strong> ai für Waffenstillstände oder Verhandlungen wie eine Forderung<br />

<strong>zur</strong> Unterstützung oder Ablehnung einer Militärintervention nur auf Ausnahmesituationen beschränkt sein soll. Jedoch<br />

in Anbetracht der Tatsache, dass Forderungen nach Waffenstillständen oder Verhandlungen voraussichtlich sowohl<br />

weniger umstritten als auch weniger riskant für ai sein werden als Positionen, die ai <strong>zur</strong> Unterstützung militärischer<br />

Intervention oder <strong>zur</strong> Ablehnung militärischer Gewaltanwendung einnimmt [wörtlich übersetzt, aber hier ist wohl<br />

Unterstützung <strong>und</strong> Ablehnung verwechselt worden], sehen die <strong>Richtlinien</strong> gesonderte Kriterien für Waffenstillstände<br />

<strong>und</strong> Verhandlungen vor <strong>und</strong> behandeln solche Forderungen als weniger außergewöhnlich.<br />

4 Völkerrecht <strong>und</strong> Gewaltanwendung<br />

Die UN-Charta stellt in Artikel 1(1) fest, dass es eines der Ziele der Vereinten Nationen ist,<br />

den Weltfrieden <strong>und</strong> die internationale Sicherheit zu wahren <strong>und</strong> zu diesem Zweck wirksame Kollektivmaßnahmen<br />

zu treffen, um Bedrohungen des Friedens zu verhüten <strong>und</strong> zu beseitigen, Angriffshandlungen <strong>und</strong><br />

andere Friedensbrüche zu unterdrücken <strong>und</strong> internationale Streitigkeiten oder Situationen, die zu einem<br />

Friedensbruch führen könnten, durch friedliche Mittel nach den Gr<strong>und</strong>sätzen der Gerechtigkeit <strong>und</strong> des<br />

Völkerrechts zu bereinigen oder beizulegen.<br />

Die maßgeblichen Vorschriften der Charta sehen unter anderem Folgendes vor:<br />

Artikel 2 (3)<br />

Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die<br />

internationale Sicherheit <strong>und</strong> die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden.<br />

8 Die Frage der Übereinstimmung mit dem Völkerrecht bezieht sich hier darauf, ob die Gewaltanwendung durch einen Staat oder eine<br />

Gruppe <strong>von</strong> Staaten nach dem Völkerrecht erlaubt ist oder nicht, <strong>und</strong> nicht darauf, wie die Gewalt angewendet wird.<br />

9 Darüber hinaus gibt es eine wenig genutzte Handlungsmöglichkeit der UN-Vollversammlung, die sich „Gemeinsam für den Frieden“<br />

[Uniting for Peace] (UfP) nennt. Diese Handlungsmöglichkeit wurde geschaffen, damit Die UN handlungsfähig ist, auch wenn der<br />

Sicherheitsrat durch Vetos lahmgelegt ist. Die Resolution 377 der UN-Vollversammlung <strong>von</strong> November 1950 sieht für die Fälle <strong>von</strong><br />

„Bedrohung des Friedens, Bruch des Friedens oder Aggressionshandlung“, in denen die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats sich<br />

nicht darauf einigen können zu handeln, vor, dass die Vollversammlung umgehend zusammentreten <strong>und</strong> den UN-Mitgliedern<br />

gemeinsame Maßnahmen vorschlagen kann, um „den internationalen Frieden <strong>und</strong> die internationale Sicherheit zu erhalten oder<br />

wiederherzustellen“.


Artikel 2 (4)<br />

Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit<br />

oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen<br />

unvereinbare Androhung oder <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Gewalt.<br />

Die Charta hat eine System kollektiver Sicherheit geschaffen, in dem der Sicherheitsrat ermächtigt ist, „festzustellen,<br />

ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt“ <strong>und</strong> zu „beschließen, welche<br />

Maßnahmen (...) zu treffen sind, um den Weltfrieden <strong>und</strong> die internationale Sicherheit zu wahren [oder wiederherzustellen]“<br />

(Artikel 39). Die Gewaltanwendung durch regionale Einrichtungen (wie diejenigen in Zusammenhang mit<br />

der Afrikanischen Union, der Europäischen Union oder der NATO) fällt ebenfalls in die Kompetenz des Sicherheitsrats.<br />

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat ebenfalls klargestellt, dass Staaten <strong>von</strong> der Gewaltanwendung oder<br />

-androhung untereinander Abstand nehmen müssen. 1970 beschloss die Vollversammlung die „Erklärung über gute<br />

Beziehungen“ 10 , weithin als zweckdienliche Feststellung des Völkergewohnheitsrechts angesehen, die bekräftigt, das<br />

„bewaffnete Intervention <strong>und</strong> alle anderen Arten <strong>von</strong> Einmischung oder versuchter Bedrohung der Staatlichkeit oder<br />

der politischen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> kulturellen Elemente des Staates eine Verletzung des Völkerrecht darstellen.“<br />

Ausnahmen <strong>von</strong> dem gr<strong>und</strong>sätzlichen Verbot der Gewaltanwendung fallen im Völkerrecht unter eine der beiden<br />

folgenden Kategorien: (1) individuelle oder kollektive Selbstverteidigung <strong>und</strong> (2) Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats<br />

unter Kapitel VII der UN-Charta. Darüber hinaus werden Argumente vorgebracht, dass eine dritte Ausnahme durch<br />

humanitäre Intervention gerechtfertigt sein kann (siehe unten in Absatz 4.3).<br />

4.1 Individuelle oder kollektive Selbstverteidigung<br />

Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen erlaubt die Gewaltanwendung <strong>zur</strong> Selbstverteidigung:<br />

Nichts in dieser Charta beschneidet im Fall eines bewaffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Nationen<br />

das naturgegebene Recht <strong>zur</strong> individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung, bis der Sicherheitsrat<br />

die <strong>zur</strong> Wahrung des Weltfriedens <strong>und</strong> der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.<br />

Maßnahmen, die ein Mitglied in Ausübung dieses Selbstverteidigungsrechts trifft, sind dem Sicherheitsrat<br />

sofort anzuzeigen; sie berühren in keiner Weise dessen auf dieser Charta beruhende Befugnis <strong>und</strong> Pflicht,<br />

jederzeit die Maßnahmen zu treffen, die er <strong>zur</strong> Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens <strong>und</strong> der<br />

internationalen Sicherheit für erforderlich hält.<br />

Wörtlich gelesen scheint die Formulierung der Selbstverteidigung in Artikel 51 die präemptive Gewaltanwendung<br />

durch einzelne Staaten oder Staatengruppierungen auszuschließen <strong>und</strong> die Gewaltanwendung ausschließlich dem<br />

Sicherheitsrat vorzubehalten. In dieser Lesart sind Maßnahmen <strong>zur</strong> Selbstverteidigung nur dann legitim, wenn ein<br />

Angriff unmittelbar bevorsteht oder schon stattgef<strong>und</strong>en hat. Manche verfechten jedoch die Ansicht, dass Artikel 51<br />

nicht so eng ausgelegt werden sollte, <strong>und</strong> dass er Staaten die Möglichkeit geben sollte, vorbeugende Maßnahmen zu<br />

ergreifen, wenn individuelle oder kollektive Sicherheit in Gefahr sind. Dennoch stimmen beide Denkschulen überein,<br />

dass jede Militärintervention an die Bedingungen der Notwendigkeit <strong>und</strong> des Übermaßverbots geb<strong>und</strong>en sind.<br />

4.2 Vom UN-Sicherheitsrat autorisierte Interventionen<br />

Nach Kapitel VII der UN-Charta kann der Sicherheitsrat tätig werden, wenn es um Bedrohungen des Friedens, um<br />

den Bruch des Friedens <strong>und</strong> um Angriffshandlungen geht. Artikel 41 ermächtigt den Sicherheitsrat über wirtschaftliche<br />

<strong>und</strong> diplomatische Sanktionen zu beschließen <strong>und</strong> Artikel 42 über alle anderen Maßnahmen einschließlich<br />

Militäreinsätzen <strong>zur</strong> Erhaltung oder Wiederherstellung des Friedens. Humanitäre Gesichtspunkte wie Flüchtlingsbewegungen<br />

wurden als Bedrohung des Friedens angesehen. Bei verschiedenen Gelegenheiten hat der Sicherheitsrat<br />

entschieden, dass schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen den internationalen Frieden <strong>und</strong> die internationale<br />

Sicherheit bedrohen <strong>und</strong> hat wirtschaftliche Sanktionen oder militärische Maßnahmen beschlossen, empfohlen oder<br />

autorisiert. Weiterhin sind die Internationalen Strafgerichtshöfe für Jugoslawien <strong>und</strong> Ruanda durch Entscheidungen<br />

nach Kapitel VII geschaffen worden.<br />

10 Resolution 2625 der Vollversammlung der Vereinten Nationen vom 24. Oktober 1970, Erklärung zu den Gr<strong>und</strong>sätzen des<br />

Völkerrechts im Hinblick auf fre<strong>und</strong>liche Beziehungen <strong>und</strong> Zusammenarbeit der Staaten in Übereinstimmung mit der Charta der<br />

Vereinten Nationen


4.3 Humanitäre Intervention 11<br />

Die Frage der humanitären Intervention wird in der UN-Charta nicht ausdrücklich behandelt. Wenn auch die weiter<br />

unten vorgestellte Richtlinie für 'Ausnahmebedingungen' feststellt, dass jede Art <strong>von</strong> Unterstützung für Gewaltanwendung<br />

in Übereinstimmung mit Prinzipien des Völkerrechts sein sollte, fordert sie nicht ausdrücklich, dass für eine<br />

Intervention eine Ermächtigung durch den Sicherheitsrat vorliegt.<br />

Angenommen, ai wollte (in Fällen <strong>von</strong> schweren <strong>und</strong> verbreiteten Menschenrechtsverletzungen) zu einer humanitären<br />

Intervention aufrufen, <strong>und</strong> es sei nicht möglich, geradlinig mit Selbstverteidigung zu argumentieren (d.h. mit einer<br />

restriktiven Auslegung <strong>von</strong> Artikel 51) <strong>und</strong> ein Konsens im Sicherheitsrat über ein Tätigwerden nach Kapitel VII habe<br />

sich nicht erreichen lassen - wie würde ai einen solchen Aufruf rechtfertigen?<br />

ai könnte Bezug nehmen auf die Debatten über das Recht <strong>und</strong> die Pflicht eines Staates, unter solchen Umständen zu<br />

intervenieren. Dies war Gegenstand <strong>von</strong> wissenschaftlichen <strong>und</strong> breiten Debatten seit dem Kalten Krieg, zuletzt im<br />

Ergebnisdokument des UN-Gipfeltreffens <strong>von</strong> 2005 12 . Diese Argumente basieren im Wesentlichen auf drei Ansätzen.<br />

Der erste nimmt an, dass humanitäre Intervention keine Handlung gegen die „territoriale Integrität oder politische<br />

Unabhängigkeit eines Staates“ <strong>und</strong> daher keine Verletzung <strong>von</strong> Artikel 2 (4) der UN-Charta darstellt. Der zweite<br />

schlägt die <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Artikel 51 vor <strong>und</strong> stellt fest, dass die Intervention eine Handlung <strong>zur</strong> Selbstverteidigung<br />

zugunsten der Menschen ist (die z.B. Opfer <strong>von</strong> schweren <strong>und</strong> verbreiteten Menschenrechtsverletzungen sind). Das<br />

dritte <strong>und</strong> am wenigsten ausgearbeitete Argument unterstellt, dass ganz unabhängig <strong>von</strong> der UN-Charta das Völkergewohnheitsrecht<br />

ein Recht anerkennt, <strong>zur</strong> Verhinderung schwerer <strong>und</strong> verbreiteter Menschenrechtsverletzungen zu<br />

intervenieren. Keines dieser Argumente ist jedoch unter Völkerrechtlern oder in der breiteren Öffentlichkeit herrschende<br />

Meinung.<br />

4.4 Verantwortung für den Schutz [Responsibility to Protect] 13<br />

Im April 2006 wurde die Resolution 1674 des Sicherheitsrats über den Schutz <strong>von</strong> Zivilisten in bewaffneten<br />

Konflikten angenommen. Die Resolution 1674 enthält die historisch erste offizielle Sicherheitsrats-Äußerung zu „...<br />

der Verantwortung, die Bevölkerung vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischer Säuberung <strong>und</strong> Verbrechen gegen<br />

die Menschheit [humanity] zu schützen“. Diese Resolution markiert ein politisches Engagement der internationalen<br />

Gemeinschaft für den Schutz der Zivilbevölkerung, wenn sie schweren Menschenrechtsverletzungen ausgeliefert ist.<br />

Auch wenn ai noch keinen Gr<strong>und</strong>satz <strong>zur</strong> Frage der Schutzverantwortung hat, wurde die Situation in Darfur in einem<br />

gemeinsamen Schreiben mit anderen Nichtregierungsorganisationen an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen<br />

(Mai 2006) als eine „Nagelprobe für das Engagement des Sicherheitsrats für das Konzept der Schutzverantwortung“<br />

bezeichnet. Es ist zu erwarten, dass diese <strong>Richtlinien</strong> Hilfestellung geben, wenn ai sich weiter mit der Entwicklung<br />

<strong>von</strong> Gr<strong>und</strong>sätzen in diesem Bereich befasst.<br />

4.5 Schutz für verletzliche Gruppen<br />

Seit 1999 hat der UN-Sicherheitsrat sich mit der Pflicht der Staaten <strong>und</strong> der Rolle des Sicherheitsrates im Umgang mit<br />

den Bedürfnissen verletzlicher Bevölkerungsgruppen befasst, unter anderem mit Flüchtlingen, intern Vertriebenen, 14<br />

Frauen 15 <strong>und</strong> Kindern 16 . Diese Bevölkerungsgruppen sind während bewaffneter Konflikte in besonderem Maß<br />

gefährdet. Daher verlangen diese <strong>Richtlinien</strong>, dass der Schutz verletzlicher Gruppen einen besonderen Platz in der<br />

Entscheidungsfindung einnimmt, wenn ai über den Einsatz <strong>von</strong> Waffengewalt <strong>und</strong> Militärintervention nachdenkt.<br />

11 Dies ist ein kontroverser Begriff. Wie in der Studie über die Gewaltanwendung <strong>und</strong> militärischer Intervention, Teil 1 (POL<br />

34/001/2005) festgestellt: „Es macht Sinn zu Beginn darauf hinzuweisen, dass es keine akzeptierte Definition des höchst kontroversen<br />

Begriffs „bewaffnete humanitäre Intervention“ gibt, selbst wenn der Begriff in Debatten innerhalb <strong>von</strong> ai weithin benutzt<br />

worden ist. Dennoch wird in diesem Papier „bewaffnete humanitäre Intervention“ verwendet <strong>und</strong> bedeutet die Androhung oder<br />

<strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Gewalt auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Staates ohne seine Zustimmung mit der vorgeschobenen oder<br />

tatsächlichen Begründung, verbreitete <strong>und</strong> massive Menschenrechtsverletzungen zu beenden oder zu verhindern.“<br />

12 siehe Endfassung des Ergebnisdokuments des Weltgipfels 2005, A/Res/60/1 auf www.un.org/summit2005/documents.html<br />

13 siehe Die Schutzverantwortung, Bericht der Internationalen Kommission <strong>zur</strong> Intervention <strong>und</strong> <strong>zur</strong> Staatensouveränität, Dezember<br />

2001, <strong>und</strong> den Bericht des Hochrangigen Forums zu Bedrohungen, Herausforderungen <strong>und</strong> Wandel (UN Doc A/59/565), Dezember<br />

2004 <strong>zur</strong> Hintergr<strong>und</strong>informationen zu diesem Konzept<br />

14 siehe UN Doc E/CN.4/1998/53/Add.2 (1998), angemerkt in Comm.Hum.-Rts.Res. 1998/50; S/RES/1612 (2005)<br />

15 siehe GA Res. 3318 (XXIX), 29 UN GAOR Supp. (No.31) at 146, UN Doc. A/9631 (1974); S/RES/1325 (2000)<br />

16 GA Res. 54/263, Anhang I, 54 UNGAOR Supp. (No.49) at 7, UN Doc. A/54/49, Vol.III (2000), in Kraft getreten am 12. Februar<br />

2002; S/RES/1379 (2001), 1460 (2003) <strong>und</strong> 1539 (2004)


5 Anmerkungen zu den Arten <strong>von</strong> Waffengewalt<br />

Entscheidung 2 verweist darauf, dass ai-Aufrufe zu Waffengewalt auf „Blauhelm- <strong>und</strong> gleichartige Einsätze“ [peacekeeping<br />

and similar operations] beschränkt bleiben. In diesem Zusammenhang wird „gleichartig“ verstanden als<br />

gleichartig sowohl in Intensität als auch in Kontrolle <strong>und</strong> Legalität. In den folgenden <strong>Richtlinien</strong> wird dies ausgeführt<br />

als „ein <strong>von</strong> den UN autorisierter Peacekeeping-Einsatz oder (ein Einsatz, der) einem gleichartigen Grad an Legitimität<br />

<strong>und</strong> gleichartigen Kontroll- <strong>und</strong> Einsatzbedingungen unterliegt“. Dieser Satz ist gewählt worden, damit er mit den<br />

Anforderungen der Vereinten Nationen an ihre eigene heutige Peacekeeping-Arbeit zusammenpasst, die sich<br />

gegenüber dem „traditionellen Peacekeeping“, der Norm vor den 1990er Jahren, beträchtlich entwickelt haben, <strong>und</strong> de<br />

facto in einigen Fällen Friedenserzwingung [peace enforcement] einschließt 17 :<br />

Das Konzept des traditionellen Peacekeeping beinhaltet, dass Peacekeeper unbewaffnet oder leicht bewaffnet<br />

sind <strong>und</strong> Gewalt nur <strong>zur</strong> Selbstverteidigung anwenden können. Ereignisse der letzten Jahre haben aber zu<br />

einer Diskussion geführt, wie die Effektivität der UN Peacekeeper in gefährlichen <strong>und</strong> komplexen Missionen<br />

erhöht werden kann ohne dass ihre Unparteilichkeit leidet.<br />

In zunehmendem Maße hat der Sicherheitsrat Peacekeeping-Einsätze auf der Gr<strong>und</strong>lage des Kapitels VII der<br />

Charta der Vereinten Nationen beauftragt <strong>und</strong> damit den Peacekeepern ermöglicht eine robuste Haltung<br />

einzunehmen <strong>und</strong> Waffen mit abschreckender Wirkung zu tragen. Die Einsatzregeln <strong>zur</strong> Gewaltanwendung<br />

sind erweitert worden <strong>und</strong> erlauben nun Peacekeepern in Missionen mit entsprechender Ermächtigung „alle<br />

notwendigen Mittel anzuwenden“, um Zivilisten in ihrer unmittelbaren Umgebung zu schützen <strong>und</strong> Gewalt<br />

gegen UN-Mitarbeiter <strong>und</strong> Angestellte zu verhindern.<br />

Während der Generalsekretär das Recht der Blauhelme bekräftigte, sich <strong>und</strong> diejenigen zu verteidigen, mit<br />

deren Schutz sie beauftragt sind, betonte er, dass diese neue „Doktrin“ nicht als ein Mittel verstanden werden<br />

sollte, aus den Vereinten Nationen eine Kriegsmaschine zu machen, <strong>und</strong> dass die <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Gewalt<br />

immer als Mittel der letzten Wahl angesehen werden sollte.<br />

ai kann deshalb zu Einsätzen aufrufen, die die <strong>Anwendung</strong> erheblicher Waffengewalt beinhalten, aber ai wird nicht zu<br />

einem „Krieg für die Menschenrechte“ aufrufen. Eine Folge daraus ist, dass es ai eventuell nicht mäglich sein wird, zu<br />

militärischen Operationen <strong>von</strong> einer Intensität auf<strong>zur</strong>ufen, die erforderlich wäre, um manche schweren <strong>und</strong> verbreiteten<br />

Menschenrechtsverletzungen zu beenden, <strong>und</strong> ai muss bei der Art, wie Aufrufe <strong>zur</strong> Gewaltanwendung präsentiert<br />

werden, Sorgfalt walten lassen.<br />

Entscheidung 2 trifft keine Aussage darüber, ob ai zu bestimmten Arten <strong>von</strong> Waffengewalt aufrufen kann oder sollte.<br />

So lässt sie zum Beispiel die Frage offen, ob ai ausdrücklich die Einrichtung einer Flugverbotszone als eine Methode<br />

der Eindämmung <strong>von</strong> Menschenrechtsverletzungen fordern sollte. Diese Frage wird zu behandeln sein, wenn diese<br />

<strong>Richtlinien</strong> in Kraft treten.<br />

17 siehe www.un.org/Depts/dpko/faq/q9.htm<br />

[inzwischen (Februar 2007) neue Internetadresse www.un.org/Depts/dpko/dpko/faq/q12.htm <strong>und</strong> außerdem andere Schwerpunkte:<br />

„Wann können UN-Peacekeeper Gewalt anwenden?<br />

Peacekeeping-Einsätze, die in zu geringer Stärke aufgestellt, mit zu geringen Mitteln <strong>und</strong> mit unpassenden Einsatzregeln ausgestattet<br />

sind, haben sich als schlecht ausgerüstet für heutige Nach-Konflikt-Situationen herausgestellt, in denen bewaffnete Verbände oft noch<br />

in der auf Bürgerkriege folgenden Periode aktiv sind. Diese Gruppen haben nicht nur Zivilisten angegriffen <strong>und</strong> misshandelt, sie<br />

haben auch UN-Peacekeeper angegriffen. Angesichts der Gefahren, Peacekeeper in Situationen einzusetzen, in denen kein wirklicher<br />

Friede zu erhalten ist, stattet der Sicherheitsrat jetzt, wenn es nötig erscheint, UN-Peacekeeping-Einsätze mit eher „robusten“ Mandaten<br />

aus, die auf Kapitel VI (5) beruhen - dem „Erzwingungs-“Kapitel der Charta der Vereinten Nationen. Diese Mandate erlauben<br />

Peacekeepern - <strong>und</strong> verpflichten sie tatsächlich - „alle notwendigen Mittel anzuwenden“, um Zivilisten zu schützen <strong>und</strong> Gewalt<br />

gegen UN-Mitarbeiter <strong>und</strong> Angestellte zu verhindern <strong>und</strong> bewaffnete Elemente abzuschrecken, Friedensvereinbarungen zu missachten.<br />

(...) Der Generalsekretär hat allerdings wiederholt betont, dass diese neue Herangehensweise nicht als ein Mittel verstanden<br />

werden sollte, aus den Vereinten Nationen eine Kriegsmaschine zu machen, <strong>und</strong> dass die <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Gewalt immer als Mittel der<br />

letzten Wahl angesehen werden sollte.“]


6 Erwägungen <strong>zur</strong> Entscheidungsfindung<br />

Die Überzeugung, dass es „die oberste gemeinsame Verantwortung des IEC <strong>und</strong> der Generalsekretärin ist, die Bewegung<br />

mit schneller, informierter <strong>und</strong> effektiver Entscheidungsfindung zu führen“ 18 setzt den Rahmen für die<br />

Überlegungen des IEC in Fällen der Entscheidungsfindung <strong>zur</strong> Frage der Gewaltanwendung. Diese Gedanken haben<br />

das IEC dazu geführt, die in Anhang II enthaltenen <strong>Verfahrenshinweise</strong> <strong>zur</strong> Entscheidungsfindung vorzulegen.<br />

Die folgenden Punkte sollten beim Lesen der <strong>Verfahrenshinweise</strong> im Auge behalten werden:<br />

(i) Diese <strong>Verfahrenshinweise</strong> für die Entscheidungsfindung beziehen sich auf alle Angelegenheiten der Gewaltanwendung,<br />

gleich wie dringlich, aber der Umfang der verfügbaren Information <strong>und</strong> die Zeit für die Konsultation<br />

<strong>und</strong> ihr Ausmaß kann <strong>von</strong> der Dringlichkeit der Sache abhängig sein.<br />

(ii) Sektionen <strong>und</strong> Strukturen, die wollen, dass ai sich positioniert, können mit einem entsprechenden Vorschlag an die<br />

Generalsekretärin oder die Vorsitzende des IEC herantreten, in gleicher Weise, wie sie das mit jeder anderen<br />

Angelegenheit tun können.<br />

(iii)Der Satz „Das IEC wird normalerweise keine Entscheidung treffen, die im Gegensatz zu den Meinungen der<br />

Mehrheit der Sektionen <strong>und</strong> Strukturen steht“ ist aufgenommen worden um darauf hinzuweisen, dass die IEC-<br />

Entscheidung in sehr seltenen Gelegenheiten <strong>von</strong> der Mehrheit derjenigen abweichen kann, die sich im Konsultationsprozess<br />

melden. Letztendlich muss die Entscheidung des IEC auf die Rückmeldungen aus der Bewegung,<br />

den Rat der Generalsekretärin <strong>und</strong> sein eigenes bestmögliches Urteil darüber gegründet werden, was sowohl den<br />

Menschenrechten als auch der Bewegung dient.<br />

(iv) Die <strong>Verfahrenshinweise</strong> beziehen sich nicht notwendigerweise auf die Einnahme <strong>von</strong> ai-Positionen zu Waffenstillständen<br />

<strong>und</strong> zu Verhandlungen <strong>zur</strong> Beendigung <strong>von</strong> Konflikten, weil das IEC überzeugt ist, dass diese Positionen<br />

in manchen Fällen mit den normalen ai-Mechanismen erarbeitet werden können, ohne dass ein Ausnahmeverfahren<br />

in Gang gesetzt werden muss.<br />

(v) Die <strong>Verfahrenshinweise</strong> sind abgestimmt mit der Verfahrensordnung für die Entscheidungsfindung des IEC per<br />

eMail zwischen den IEC-Treffen (ORG 70/002/2006, August 2006).<br />

18 Führerschaft = Steuerung <strong>und</strong> Management [Leadership = Governance + Management]. Protokoll <strong>von</strong> IEC/Generalsekretärin in der<br />

Fassung <strong>von</strong> Februar 2006 (ORG 70/001/2006, 31. März 2006)


ANHANG I : <strong>Richtlinien</strong> für ai-Ausnahmeposition zu militärischen Interventionen <strong>und</strong> <strong>zur</strong><br />

<strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Waffengewalt.<br />

Diese <strong>Richtlinien</strong> sollten in Verbindung mit den Erläuterungen gelesen werden.<br />

Ausnahmefälle, in denen ai<br />

militärische Interventionen ablehnen kann<br />

ai kann militärische Interventionen ablehnen, bei<br />

denen es einen vernünftigen Gr<strong>und</strong> zu glauben gibt,<br />

dass die Intervention mit besonderer Wahrscheinlichkeit<br />

direkt oder indirekt zu einer Zunahme <strong>von</strong><br />

Menschenrechtsverletzungen führen würde. Dabei<br />

wird das Folgende beachtet:<br />

Menschenrechtliche Faktoren<br />

(i) Die Militärkräfte, die eingesetzt werden oder<br />

werden sollen, haben in der Vergangenheit das<br />

humanitäre Völkerrecht <strong>und</strong> die Menschenrechte<br />

ungenügend beachtet, <strong>und</strong>/oder es gibt keine geeigneten<br />

Mechanismen, einschließlich internationaler<br />

Kontrolle, um sicherzustellen, dass sie <strong>zur</strong><br />

Rechenschaft gezogen werden.<br />

Strategische Erwägungen<br />

(ii) Die Möglichkeit besteht, dass die ai-Positionierung<br />

eine gewisse Wirkung entfaltet oder dass,<br />

wenn ai schweigt, dies unter den gegebenen Umständen<br />

als Billigung der militärischen Gewaltanwendung<br />

gesehen werden könnte.<br />

(iii)Die Intervenierenden rechtfertigen ihre Entscheidung<br />

für den Rückgriff auf Waffengewalt damit,<br />

dass dies die Menschenrechtssituation verbessert,<br />

<strong>und</strong> ai ist anderer Ansicht.<br />

ai wird außerdem in Betracht ziehen,<br />

(iv) ob die Militärintervention durch den Sicherheitsrat<br />

autorisiert ist oder auf andere Weise in<br />

Übereinstimmung mit dem Völkerrecht steht.<br />

Ausnahmefälle, in denen ai die<br />

<strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Waffengewalt unterstützen<br />

kann<br />

ai kann die <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Waffengewalt unterstützen,<br />

die darauf abzielt, unmittelbar bevorstehende oder bereits<br />

stattfindende, schwere <strong>und</strong> umfangreiche Menschenrechtsverletzungen<br />

abzumildern, ihnen vorzubeugen oder sie zu<br />

beenden, sofern<br />

(i) die Entscheidung für die <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Waffengewalt<br />

in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht steht,<br />

(ii) das Mandat der bewaffneten Kräfte ausdrücklich die<br />

Verpflichtung zu angemessener Reaktion [requirement<br />

of a proportionate response] enthält,<br />

(iii)die <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Waffengewalt ein UN-autorisierter<br />

Peacekeeping-Einsatz ist oder einen gleichartigen Grad<br />

an Legitimität aufweist <strong>und</strong> gleichartigen Kontroll- <strong>und</strong><br />

Einsatzbedingungen unterliegt.<br />

ai wird außerdem in Betracht ziehen,<br />

(iv) ob der Einsatz <strong>von</strong> Waffengewalt vernünftige Erfolgsaussichten<br />

hat <strong>und</strong> die Situation aus der Perspektive<br />

der Achtung der Menschenrechte nicht verschlechtert,<br />

(v) ob die Militärkräfte, die eingesetzt werden oder werden<br />

sollen, in der Vergangenheit die Menschenrechte <strong>und</strong><br />

das humanitäre Völkerrecht un<strong>zur</strong>eichend beachtet haben,<br />

<strong>und</strong>/oder ob es ungeeignete Mechanismen gibt,<br />

einschließlich internationaler Kontrolle, um sicherzustellen,<br />

dass sie <strong>zur</strong> Rechenschaft gezogen werden,<br />

(vi) ob - wenn die Situation zuerst den Einsatz anderer, mit<br />

weniger Zwang verb<strong>und</strong>ener Methoden (etwa Sanktionen<br />

19 ) erlaubt - militärische Gewalt als letztes Mittel<br />

angewandt wird.<br />

In allen Fällen <strong>und</strong> für jede eingenommene Position wird ai<br />

- deren wahrscheinliche Auswirkung auf den breiteren menschenrechtlichen Zusammenhang berücksichtigen;<br />

- das Ausmaß, in dem die Position dazu beitragen könnte, die generellen ai-Ziele [wider goals] zu unterstützen;<br />

- das Risiko der Position für ai's Glaubwürdigkeit, Parteilosigkeit <strong>und</strong> Neutralität;<br />

- die Auswirkungen der Position auf die Menschenrechte der Frau;<br />

- relevante Analysen zum Verhältnis zwischen den Geschlechtern;<br />

- <strong>und</strong> das Ausmaß, in dem die Position zu Spaltungen innerhalb ai's führen könnte.<br />

Soweit feststellbar, wird ai auch die Wünsche der betroffenen Bevölkerung berücksichtigen.<br />

ai wird weiterhin ein angemessenes Menschenrechtstraining für alle Streitkräfte fordern <strong>und</strong> in angemessener Weise<br />

den Verlauf aller Operationen kritisieren, soweit sie hinter den Standards der Menschenrechte oder des humanitären<br />

Rechts <strong>zur</strong>ückbleiben.<br />

19 siehe <strong>Richtlinien</strong> für Sanktionen (POL 34/005/2005, April 2005)


Waffenstillstände <strong>und</strong> Verhandlungen<br />

ai kann zu einem Waffenstillstand aufrufen, sofern ein solcher Aufruf vernünftigerweise nicht den Eindruck erwecken<br />

kann, dass er der einen oder anderen Seite einen militärischen Vorteil verschafft, <strong>und</strong> wenn ein solcher Aufruf<br />

zwischenzeitliche Maßnahmen ermöglicht, zum Beispiel den Einsatz <strong>von</strong> Menschenrechtsbeobachtern, die die<br />

Achtung der Menschenrechte fördern oder Zivilisten größeren Schutz bieten würden. Ruft ai zu einem Waffenstillstand<br />

auf, so so folgt daraus nicht notwendigerweise, dass sie Verletzungen des Waffenstillstands verurteilt, die<br />

nicht auch Verletzungen der Menschenrechte oder des Völkerrechts darstellen.<br />

Was Verhandlungen angeht, so kann ai jederzeit dazu aufrufen, dass die Konfliktparteien einen größeren Schutz für<br />

Zivilisten aushandeln, indem sie sich beispielsweise über Menschenrechte <strong>und</strong> humanitäres Recht, Regelungen für<br />

Beobachter eingeschlossen, verständigen. ai kann dazu aufrufen, dass die Parteien eine friedliche Lösung des<br />

bewaffneten Konflikts aushandeln, sofern dies unter Berücksichtigung aller Umstände die beste Aussicht eröffnet, den<br />

Schutz der Menschenrechte in größerem Umfang sicherzustellen <strong>und</strong> vernünftigerweise nicht so interpretiert werden<br />

kann, dass dies einer der beiden Seiten einen militärischen Vorteil verschafft.<br />

Bei jedem Aufruf zum Waffenstillstand oder zu Verhandlungen berücksichtigt ai auch dessen zu erwartende Auswirkungen.


ANHANG II : <strong>Verfahrenshinweise</strong> für die Erwägungen zu einer ai-Ausnahmeposition zu<br />

militärischen Interventionen <strong>und</strong> <strong>zur</strong> <strong>Anwendung</strong> <strong>von</strong> Waffengewalt<br />

Diese <strong>Verfahrenshinweise</strong> sollten in Verbindung mit den Erläuterungen gelesen werden.<br />

1. Ein Antrag auf Entscheidung darüber, welche Position ai in Fragen der Gewaltanwendung einnehmen sollte, kann<br />

<strong>von</strong> der Generalsekretärin gestellt werden oder <strong>von</strong> der IEC-Vorsitzenden auf Antrag zweier IEC-Mitglieder.<br />

2. Die Generalsekretärin legt dem IEC einen Entscheidungsvorschlag vor <strong>und</strong> stützt diesen durch eine Dokumentation,<br />

die Informationen zu den folgenden Themen enthält:<br />

• die tatsächliche Situation (gegebenenfalls einschließlich Erwägungen über die Quellen <strong>und</strong> die Verlässlichkeit<br />

der Information, <strong>und</strong> wie viel Zeit ai zum Handeln hat)<br />

• die einschlägigen Vorschriften des Völkerrechts <strong>und</strong> ihre <strong>Anwendung</strong> in dieser Situation<br />

• alle möglicherweise Beteiligten [stakeholders] oder Kategorien <strong>von</strong> Beteiligten <strong>und</strong> die zu erwartenden<br />

Auswirkungen auf sie<br />

• die Einschätzungen der Vereinten Nationen, anderer NGOs <strong>und</strong> der internationalen Gemeinschaft<br />

• Chancen <strong>und</strong> Risiken für ai<br />

• die zu erwartende Auswirkungen auf die Menschen in dem in Rede stehenden Staat oder Gebiet, <strong>und</strong> im<br />

Besonderen die Auswirkungen auf ihre Rechte<br />

• die Art <strong>und</strong> Qualität aller Beratungen, die mit Sektionen <strong>und</strong> Strukturen stattgef<strong>und</strong>en haben (einschließlich der<br />

Mitglieder des Chairs Forum) <strong>und</strong> das Ergebnis dieser Beratungen<br />

• falls eine Handlungsaufforderung an das Chairs Forum ergeht, die Zahl <strong>und</strong> Repräsentativität der im Chairs<br />

Forum beratenden Mitglieder<br />

• die Ergebnisse aller Beratungen mit der oder den Sektion(en) oder Struktur(en), die direkt <strong>von</strong> der vorgeschlagenen<br />

Entscheidung betroffen sind<br />

• jede Beratung mit <strong>und</strong> jeder Rat <strong>von</strong> den internationalen Komitees des IEC oder anderen Ratgebern/Experten<br />

• wie die vorgeschlagene Entscheidung zu ai's <strong>Richtlinien</strong> <strong>zur</strong> Gewaltanwendung passt, <strong>und</strong> der Grad, in dem<br />

jedes der Kriterien erfüllt ist oder nicht<br />

• die Vereinbarkeit (oder nicht) der vorgeschlagenen Entscheidung mit ai's vorangegangenen Entscheidungen<br />

(mit Bezug <strong>zur</strong> Gewaltanwendung <strong>und</strong> in anderen einschlägigen Kampagnen <strong>und</strong> öffentlichen Äußerungen)<br />

• wie ai weitere Entwicklungen handhaben will (z.B. die Verschärfung des Konflikts, wachsendes Risiko für die<br />

Menschenrechte, andere Änderungen der Situation)<br />

• wie ai den Aktionserfolg messen <strong>und</strong> bewerten will <strong>und</strong> welche weiteren Schritte ai evtl. unternehmen muss<br />

3. Während der Vorschlag Text unter jeder dieser Überschriften enthalten muss, bleibt dem IEC die Entscheidung<br />

vorbehalten, ob die Information ausreichend ist <strong>und</strong> ob die Erwägung der wesentlichen Informationen die<br />

vorgeschlagene Entscheidung angemessen erscheinen lässt.<br />

4. Soweit die Dringlichkeit der Lage es nicht praktisch <strong>und</strong>urchführbar macht, bittet der Vorsitzende des IEC alle<br />

Mitglieder des Chairs Forum um ihre Einschätzung zum vorgeschlagenen Vorgehen. Die Bitte soll so viel Zeit wie<br />

möglich für Beratung <strong>und</strong> Diskussion lassen. In jedem Fall werden alle Mitglieder des IEC <strong>und</strong> des Chairs Forum<br />

über jeden Schritt so früh wie möglich informiert. Das IEC wird normalerweise keine Entscheidung treffen, die im<br />

Gegensatz zu den Meinungen der Mehrheit der Sektionen <strong>und</strong> Strukturen steht.<br />

5. Falls eine Situation eintritt, in der eine Dringlichkeitsentscheidung zu treffen ist, sollte das IEC seinen <strong>Richtlinien</strong><br />

<strong>zur</strong> Entscheidungsfindung in Krisensituationen oder nachfolgenden <strong>Verfahrenshinweise</strong>n folgen.<br />

6. Das IEC wird nur dann eine Position einnehmen, wenn diese <strong>von</strong> den IEC-Mitgliedern mehrheitlich mit einem<br />

Stimmenabstand <strong>von</strong> mindestens zwei Stimmen unterstützt wird. Wenn der Vorschlag im IEC verbreitet wird,<br />

muss der Vorsitzende eine Frist für die Antwort festlegen. Nicht stimmberechtigte kooptierte Mitglieder oder<br />

Vertreter werden bei der Feststellung des Ergebnisses nicht berücksichtigt. Die Abstimmung kann auf jede Weise<br />

herbeigeführt werden, die normalerweise vom IEC <strong>zur</strong> Entscheidungsfindung genutzt wird.<br />

7. Das IEC teilt der Bewegung rechtzeitig <strong>und</strong> in allen Kernsprachen eine vollständige Begründung seiner<br />

Entscheidungen mit Bezug zu allen einschlägigen Kriterien in den <strong>Richtlinien</strong> mit.<br />

8. Das IEC kann - eine vorgeschlagene Entscheidung aufschieben,<br />

- eine bereits getroffene IEC-Entscheidung revidieren.<br />

Wenn sich eine Situation ändert, sollte das IEC neu beraten.

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